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Draußen wimmelten, während der Regen noch immer aus dem dunklen Himmel tropfte, die Tausende in der Portikus des Theaters.
Die Portikus Pompeja, eine viereckige, überdeckte Säulenhalle, grenzte an die gerade Rückseite des Theaters. Der Dominus stand dort von seiner Grex umringt – sie hatten sich alle durch eine Hintertür des Szenagebäudes in die Portikus begeben – und schluchzte wie ein Kind mit geballten Fäusten, während eine Flut von Worten über seine Lippen strömte. Um ihn herum standen Lentulus, Thymele, Latinus, Gymnasium. Auch Cosmus kam.
Er versuchte ihn zu beschwichtigen, schaute ängstlich um sich.
»Es ist mir gleichgültig!« schrie der Dominus schluchzend. Sein Blick war wütend. »Die Angeber mögen es meinethalben hören! Habe ich nicht immer Takt gezeigt und allen amtlichen Persönlichkeiten gegenüber die erforderliche Höflichkeit gewahrt in Antiochia, in Kleinasien, in Neapel, wo immer wir auch gewesen sind? Aber niemals, hört ihr!, niemals und nirgendwo hat man mir eine solche Schändung der Kunst zugemutet! Ich bereitete alles sorgfältig vor, die Hymne und den Tanz des Attis. War das nicht beinahe rein griechisch? Können wir etwas Besseres tun, als uns so viel wie möglich dem nähern, was rein griechisch ist? Die Bacchides? War das nicht Vollkommenheit? Hätte es wenigstens nicht vollkommen sein können, wenn der Parasit nicht so aufsässig gewesen wäre?«
»Und das in seiner Parasitenmaske!« sagte scherzend Latinus.
»Und doch trug er eine so schöne Maske,« meinte Thymele preisend, »mit dem einen begehrlichen Auge und der eßlustigen Unterlippe! Wahrlich! Ihr habt schöne Masken.«
»Meine Senexmasken sind auch sehr schön,« warf der Dominus ein. »Aber was ich sagen wollte...« Jetzt ward er von allen dicht umringt.
»Was haben Thymele und Latinus aus diesem alten ›Koffer‹ gemacht! Ihr Götter, aus diesem langweiligen Geschreibsel, das aber die Menge stets von neuem sehen will! Wie habe ich es wieder inszeniert, und wie haben Thymele und Latinus es getanzt! So, wie wir es heute spielten, war es etwas Neues. Allein schon dieser ›Koffer‹ war wunderbar, was Farbe und Linie anbetrifft! Es war ein griechischer Koffer, aber größer, natürlich, sehr groß. Das war echte Kunst. Die eingeschobenen Atellanae habe ich doch auch ...«
»Schön gegeben, Dominus,« riefen alle aus, »Pappus und Maccus und die beiden dickbäuchigen Kindbett-Göttinnen!«
»Habe ich aus Laureolus nicht alles gemacht, was sich aus solchem Ausstattungsstück machen läßt?«
»Ich habe den Laureolus noch niemals bei so schönem Choragium gespielt wie heute,« versicherte Lentulus, um ihn zu trösten.
»Choragium? Das alles gehört dem Theater, dem Choragus, und die Ädilen bezahlen es. Aber habe ich es nicht ausgewählt, habe ich nicht die wilden Landschaften so aufstellen lassen und den Schiffbruch mit dem Sturm so angeordnet und den Tanz der Geister so aufführen lassen?«
»Ihr habt mich nur von einem allzu hohen Turm herabspringen lassen,« meinte Lentulus. »Ich dachte wahrhaftig, ich würde mir den Hals brechen, und vor allem, ich würde kein Blut speien können. Das muß aber doch sein, nicht wahr?«
»Dein Turm muß hoch sein,« sagte der Dominus. »Glaube nur nicht, daß ich dich zu meinem Vergnügen den Sprung von dem Dach auf die Szena habe machen lassen! Ich persönlich liebe das Theater am meisten als Bühne und nicht als Übungsplatz für Athleten. Eine Arena braucht wahrlich nicht daraus zu werden. Dazu ist es aber heute geworden mit diesem Bären, mit dieser Scheußlichkeit, mit der Kreuzigung und dem Abscheu vor diesem halb verschlungenen, bluttriefenden Mörder.«
»Der vielleicht nicht einmal der Mörder ist,« sagte Cosmus flüsternd.
»Nein, der kein Mörder ist,« flüsterte Gymnasium. »Es wird behauptet ...«
»Daß der Dieb der Mörder der Nigrina sei,« sagte Cosmus.
»Das ist mir gleichgültig,« sagte der Dominus wild abwehrend.
»Was mich rasend macht, das ist die Schändung der Kunst. Es war eine Ungeheuerlichkeit.«
»Da geht der Bär!« sagte die Tänzerin.
Der Bär ging an Ketten, von seinen Bestiarii gehalten, mit seinem Maulkorb angetan, an der Portikus entlang. Er trottete gleichgültig durch den strömenden Regen, nicht ahnend, daß er am Schlusse des »Laureolus« die Kunst geschändet hatte. Andere Tiere folgten ihm, die Ziegen und Böcke der Atellanae und ihre Eigentümer.
»Hier bin ich auf meinem Esel!« sagte Nilus, der die Gladiatoren verlassen hatte, um seinen Esel zu holen. »Das arme Tier trieft vor Nässe.«
Er versuchte, mit seinem bereits nassen Mantel seinen nassen Esel unter der Portikus trockenzureiben.
Cäcilius kam mit Colosseros und den andern Gladiatoren, Myrinus, Triumphus, Priscus, Verus.
»Beim Apollo!« schrie der Dominus. »Wo ist Cäcilianus? Ist ihm etwas zugestoßen?«
Denn er sah, daß Cäcilius traurig und verweint aussah.
»Nein, Dominus,« antwortete Colosseros beruhigend. »Er ist in Ohnmacht gefallen, und Carpophorus trägt ihn.«
»Er ist in Ohnmacht gefallen.«
»Als er sah, wie der Bär ...«
»Laureolus verschlang,« sagten die Gladiatoren erklärend.
»Aber nicht mich,« meinte Lentulus scherzend.
»Da kommen sie!« sagte Thymele.
Carpophorus trug Cäcilianus. Draußen vor der Portikus zögerte er. Denn er dachte bei sich:
»Wenn Cäcilianus die Augen öffnet, bevor ich mit ihm die Portikus betrete, werde ich morgen den numidischen Löwen besiegen. Wenn er sie erst in der Portikus aufschlägt, werde ich vom Löwen besiegt werden.«
Daher stand er zögernd still in dem strömenden Regen, den Knaben in seinen Armen haltend wie ein Kind, dessen blonder Kopf auf dem breiten, harten Kissen seiner herkulischen Schulter ruhte. Darum hielt er sich auf. Denn er wollte Fortuna und sich selber eine Gelegenheit geben.
Aufseufzend öffnete Cäcilianus die Augen.
»Mein liebes Kind, mein süßer Knabe!« murmelte der Jäger leidenschaftlich, während er Cäcilianus entzückt an sich preßte. Er beschleunigte seine Schritte, trat zu den andern in die Portikus.
»Ich bringe dir deine kretische Bacchis, Dominus!« schrie Carpophorus jubelnd.
»Ich bin so sehr durchnäßt!« sagte Cäcilianus, den der Jäger auf den Boden niedersetzte. Cäcilius hüllte ihn in die Lacerna, die ihnen der edle Plinius überlassen hatte.
»Aber das sage ich euch!« brüllte der Dominus plötzlich.
»Dominus!«
»Dominus!«
»Paßt auf! Die Angeber!«
»Daß ich morgen nicht die Bacchides geben werde.«
»Aber Dominus!«
»Dominus!« riefen die Zwillinge enttäuscht.
»Nein!« brüllte der Dominus. »Die Hymne? Das geht nicht anders. Aber die Bacchides wieder auf den nämlichen Brettern spielen, die jetzt noch vom Blut eines wirklichen Verbrechens besudelt sind?«
»Wenn er nur wirklich ein Verbrecher war!« flüsterte man ringsum.
»Das tue ich nicht!« sagte sehr bestimmt der Dominus. »Morgen führe ich die Menächmi auf.«
»Aber der Titulus?« fragte plötzlich Martial, der inzwischen hinzugetreten war und den Dominus gehört hatte.
»Ist mir ganz gleichgültig!« schrie der Dominus.
»Wer spielt Erotium in den Menächmi?« fragte Cäcilius. »Cäcilianus?«
»Nein, du,« antwortete mürrisch der Dominus.
»Laßt Cäcilius nur Erotium spielen, Dominus,« sagte Cäcilianus, »und Clarus die Matrona! Denn dazu habe ich keine Lust.«
»Nein, Dominus! Laßt Cäcilianus nur Erotium spielen,« sagte Cäcilius in liebenswürdigem Wetteifer, »aber Clarus die Matrona.«
»Ach!« sagte Cäcilianus. »Der ist der rechte Matronenspieler! Genau wie ein altes Weib ist er,« flüsterte er seinem Brüderchen zu.
»Cäcilius spielt Erotium,« entschied der Dominus.
»Freunde!« sagte Nilus. »Ich spreche nicht, weil ich mein Geschäft anpreisen möchte. Aber habt ihr keinen Hunger? Ich habe heute vor Tau und Tag mit der Mutter schon für euch gekocht.«
»Und wir? Wir haben nicht gekocht,« sagten Matta, Prisca und Flacca, die Dirnen des Taurus, die mit dem Leno und der Alexandrinerin herbeikamen.
»Ich halte ein köstliches Moretum bereit, das Gericht der Megalesia,« sagte Nilus verlockend.
»Nilus!« sagte der Dominus. »So wollen wir alle mit dir gehen. Parasit, komm her!«
Der Parasit gehorchte, während er die im Leben mäßigen dünnen Lippen fest zusammenkniff.
»Wir spielen morgen die Menächmi.«
»Gut, Dominus!«
»Hast du gehört, erster Senex?«
»Ja, Dominus. Die heiligen Bacchides könnten auf den blutdurchdrängten Brettern entweiht werden. Also erst die Menächmi, um sie rein zu waschen!«
»Parasit!« fuhr der Dominus fort, während alle die Worte des Senex belachten. »Du hast heute schlecht gespielt.«
»Ja, Dominus.«
»Ich sollte dich von Silus und Afer geißeln lassen, bis dir die Haut in Fetzen herunter hinge.«
»Ihr solltet mich kreuzigen und dann von einem Bären verschlingen lassen, Dominus,« sagte der Parasit.
»Aber nicht auf den nämlichen Brettern, auf denen die heiligen Bacchides gespielt wurden,« sagte neckend der Senex.
»Dabei hattest du ...«
»Ja, hattest du ...,« riefen Cäcilius und Cäcilianus gleichzeitig.
»Eine wundervolle Rolle in den Bacchides.«
»In den heiligen Bacchides!«
»Parasit!« sagte der Dominus. »Ich werde dich nicht geißeln lassen.«
»Nein, Dominus,« sagte der Parasit.
»Unter einer Bedingung.«
»Ja, Dominus?«
»Daß du deine Rolle in den Menächmi morgen so gut spielst, wie es dir nur irgend möglich ist.«
»Ich verspreche es Euch, Dominus.«
»Und übermorgen?« fragten die Knaben.
»Wieder die Bacchides,« sagte der Dominus.
»Dann sind die Bretter durch die Menächmi gesäubert,« sagte boshaft der Senex.
»Vorwärts denn, Freunde!« rief Nilus. »Kommt ihr alle mit mir zum Nachtmahl?«
»Ja, ja!« riefen alle, auch Lentulus, Latinus, Thymele und Gymnasium. Cosmus stahl sich fort. Er war der berühmte Duftbereiter des Vicus Tuscus. Er wollte sein Nachtmahl gemeinsam mit Tryphon, dem Buchhändler, mit den Seidenhändlern und den Goldschmieden einnehmen.
»Wem darf ich meinen Esel anbieten?« fragte Nilus. »Wer will auf meinem Esel reiten?«
»Alexa! Alexandra!« riefen die Dirnen des Taurus.
»Nein!« sagte die Mutter des Nilus. »Ich bin nicht müde.«
»Dann Cäcilianus,« sagte Thymele. »Das Kerlchen ist ohnmächtig geworden.«
»Warum denn?« rief Cäcilianus. »Mir ist schon wieder besser. Es war nur wegen des Bären. Ich will nicht auf den Esel. Setz du dich drauf, Thymele!«
»Ja, Thymele,« wiederholte Cäcilius, »setz du dich auf den Esel!«
»Nein,« sagte Thymele. »Ich gehe gern ein wenig, wenn ich getanzt habe. Gerade dadurch bleiben meine langen Beine geschmeidig.«
»Nun,« sagte die Einstmalige, Gymnasium, »wenn Alexa nicht auf den Esel will! Sie ist ebenso dick wie ich.«
»Alexa ist dicker,« sagte Colosseros.
»Die eine ist ebenso dick wie die andere,« meinten Myrinus und Triumphus.
»Messen!« rief Carpophorus.
»Nein, nein!« sagte die Mutter des Nilus abwehrend. »Ich bin viel dicker als Gymnasium.«
»Also meinethalben!« sagte Gymnasium. »Wenn dem so ist, dann will ich gern auf dem Esel sitzen.«
»Wir wollen noch ein wenig warten, bis der Regen nachläßt,« sagte der Dominus.
»Es tropft nur noch wenig,« sagte Cäcilius.
»Ja,« sagte Cäcilianus, indem er die Hand zur Portikus hinausstreckte. »Es tropft nur noch wenig.«
»Dann vorwärts!« rief Nilus aufmunternd. »Gymnasium auf den Esel!«
»Gymnasium auf den Esel!« erklang es von allen Seiten.
Gymnasium versuchte, sich, von Nilus unterstützt und emporgewuchtet, auf den Esel zu setzen gleich einer Amazone.
»Ich rutsche herunter,« rief Gymnasium.
»Dann rittlings!« riefen die Gladiatoren.
»Ich kann nicht,« rief Gymnasium.
Die Gladiatoren eilten zu Hilfe. Links und rechts griffen sie ein Bein der Gymnasium und zogen sie rittlings über den Rücken des Esels.
»Halt da! Ihr Grobiane!« rief die Einstmalige. »Faßt mich doch nicht so derb an! Ich könnte eure Mutter sein.«
»Also vorwärts!« rief Nilus nochmals.
»Vorwärts! Vorwärts!« riefen alle.
Sie gingen. Es regnete kaum noch.
»Kannst du nun gehen, Kerlchen?« fragte der Jäger zu Cäcilianus gewendet, der ihm morgen im Kolosseum während des Kampfes mit dem Löwen Glück bringen sollte, mit zärtlicher Stimme.
»Ja.«
»Willst du nicht lieber auf meinen Schultern sitzen?«
»Ja, ja! Auf deinen Schultern! Pferdchen spielen!« rief Cäcilianus jubelnd aus.
»Und du auf meinen Schultern?« fragte Colosseros Cäcilius.
»Ja. Wenn Cäcilianus auf seinen Schultern sitzt, will ich auf deinen sitzen.«
»Also vorwärts!«
Die Gladiatoren bückten sich, legten die Fäuste auf die Knie. Die Knaben sprangen ihnen auf den Rücken. Voran trabte langsam der Esel mit Gymnasium. Nilus und Alexa gingen zu beiden Seiten. Dann folgten Taurus und die Dirnen, dann die gesamte Grex mit Latinus, Thymele, Lentulus, den berühmten Gästen, die mit allen, auch den geringsten aus der Truppe, freundschaftlich umgingen. Etwas seitwärts von dem Zuge schritten Carpophorus mit Cäcilianus, Colosseros mit Cäcilius auf dem Nacken. Die Knaben schrien vor Freude wie Kinder. Die übrigen Gladiatoren folgten.
Alle wollten bei Nilus Moretum essen, das Gericht der Megalesia:
Mehl, Knoblauch, Käse mit Essig, Öl, Salz und Pfeffer gewürzt, das köstliche, kalt zu genießende Gericht.
Martial blieb allein und blickte ihnen fast wehmütig nach. Er wäre sehr gern mitgegangen. Aber sie vergaßen, ihn aufzufordern. Übrigens wurde er beim Kaiser erwartet. Sollte er noch nach Hause gehen, um sich umzukleiden, noch hinaus bis nach Nomentum zu Fuß, um diese kleine, unscheinbare Toga gegen eine andere ebenso unscheinbare, wenngleich etwas trockenere zu vertauschen?
Nein, das wollte er lieber nicht tun. Einsam watete er durch den Schlamm, durch die noch regenüberströmten, schlammigen Straßen des Viertels, wo die Theater und Portiken lagen, nach dem Palatium, um den Kaiser zu zerstreuen.