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Zwanzigstes Kapitel.

Es war vierzehn Tage vor den Kalenden des Oktober. Obgleich der Dominus mit den Seinen bei dem edlen Plinius in dem Landhaus bei Laurentum stets Gastfreundschaft genossen, hatte er doch an jenem Abend, dem Vorabend der Reise nach Neapel, bei Nilus mit allen Freunden zum Abschied fröhlich zur Nacht gegessen, mit den Gladiatoren, mit Taurus, mit Gymnasium und Lentulus, Latinus und Thymele. Beiderseits waren gerührte Worte gewechselt worden, und man hatte derer gedacht, die bei dem Unglück ums Leben gekommen waren. Die bevorstehende Abreise des Lavinius hatte alle weich gestimmt. Es war ihm wirklich gelungen, einige Komödianten zu kaufen und einige zu mieten. Er würde sie in Neapel treffen, wo sie in privaten Spielen augenblicklich auftraten. Er selber hatte sich vor kurzem einen Reisewagen angeschafft mit zwei Büffeln. Syrus und Afer sollten vorne sitzen und abwechselnd die Tiere lenken, und er selbst, sowie Cäcilius und Cäcilianus würden mit dem Gepäck und den neuen Bühnenmasken, die ihm seine edlen Patroni, Verginius Rufus, Plinius und Frontin, geschenkt hatten, bequem im Wagen sitzen, der noch ohne Verdeck dort hielt, wo sich die Subura verbreiterte und wo das Fahrzeug mit den breiten Büffeln keine Stauung verursachte. Jetzt war der Augenblick gekommen. Von einem Sonnenstrahl beschienen, wartete der Reisewagen mit Syrus und Afer, und alle Dirnen wollten dem Dominus und den Knaben das Geleite geben. Gute und schlechte Tage hatten miteinander abgewechselt. Gegen Unfälle war man nie geschützt. Ein Haus in einer neuen Gegend stürzte wohl öfters ein. Man mußte das Leben philosophisch auffassen, wenngleich der Kaiser alle Philosophen aus Rom verbannt hatte. Vieles habe sich noch zum Guten gewendet, und vieles hätte noch viel schlechter enden können, meinte der Dominus mit einem Blick auf die Knaben, die ganz vergessen hatten, daß sie welkende Lilien gewesen. Solche Freude hatten sie an der neuen Zukunft, an der neuen Truppe, an dem Gedanken, daß sie Karthago sehen würden. Sie würden sich gewiß oft nach Rom zurücksehnen, nach des Nilus Kohlköpfchen und nach ihren guten Freunden, den Gladiatoren. Aber jetzt sehnten sie sich mehr danach, fortzukommen, ungeachtet alles Guten, das sie genossen, ungeachtet der Villa des Plinius, ungeachtet der schmeichelnden Epigramme des Martial, ungeachtet all der schönen Dinge, welche die edle Crispina ihnen noch vor wenigen Tagen geschenkt hatte. Sie sehnten sich, fortzukommen, um der Veränderung willen. Sie freuten sich darauf, Neapel wiederzusehen, wo sie, wie sie behaupteten, ebenfalls die Gladiatoren kannten, Syrakus wiederzusehen, wo sie die Schule besucht hatten, dann endlich nach Karthago zu gehen, wo es ganz anders sein mußte als in Alexandria und in Rom.

Sie waren entzückt und küßten jeden zum Abschied, während der Dominus alle Umstehenden umarmte. Sie küßten Gymnasium und ihre Tonstrix und die Dirnen des Taurus, die auf der Schwelle erschienen. Sie küßten Alexa, sie küßten Sklaven und Sklavinnen.

»Wir gehen mit,« sagte Colosseros.

»Wir geben euch das Geleit bis vor die Porta Capena,« sagte Carpophorus.

»Ich gehe auch mit,« sagte Nilus. »Ich brauche heute nicht zum Markt zu gehen.«

»Nun! Dann gehen wir alle mit,« rief Alexa, und auch Gymnasium war einverstanden.

Sie gingen in der Tat alle mit. Sie begleiteten den Dominus und die Knaben zum Reisewagen, und als sie eingestiegen waren und Afer an den Zügeln ziehend »Hühü!« rief und die Büffel schwerfällig anzogen, liefen alle, die Frauen und die Männer, noch mit neben dem schwerfällig einherpolternden Fuhrwerk. So gab es immer noch eine Gelegenheit, einander hier ein heiteres Wort, dort einen Scherz zuzurufen. »Ja, ja! Es wird leer und öde sein,« meinte Alexa. Gymnasium fügte scherzend hinzu, sie verlieren ihre beiden letzten Liebhaber in Cäcilius und Cäcilianus. Das könne sie nicht überleben.

»Hast du nun keinen mehr, Gymnasium?« fragte Cäcilianus neckend.

»Keinen mehr?« wiederholte Cäcilius.

Gymnasium bestätigte scherzend, daß sie nun wirklich keinen mehr habe. Aber den Frauen flüsterte sie zu, daß sie das eigentlich recht bequem finde. Alle lachten über die Einstmalige.

»Was gibt es dort?« fragte Alexa plötzlich.

»Was gibt es? Was gibt es?« fragten alle ringsum.

Denn als das Kolosseum in Sicht gekommen war, stießen sie auf eine johlende, schreiende, kämpfende Menge, die herandrängte und zurückwogte von dem hohen, viereckigen Bau des Septizonium am Palatin. Aus den Kasernen um das Kolosseum drängten sich hunderte von Gladiatoren.

Carpophorus, Colosseros, die neben dem Reisewagen herliefen, brachen sich Bahn durch die stets wachsende Menge. Sie riefen: »Was gibt es, ihr Knaben? Was ist?«

»Er ist ermordet! Er ist ermordet! Domitian ist ermordet von Domitia!«

»Domitian ist ermordet von Domitilla!«

»Rächen wir den Kaiser!« riefen die Gladiatoren, die aus den Kasernen strömten. »Er war gut zu uns. Er war gut zu uns.«

»Domitian ist ermordet von den Frauen aus dem Palast!«

»Nein!« klang es aus einer andern Menge, die vom Forum heranwogte. »Satur hat ihn ermordet.«

»Clodianus, sein Cornicularius, sein Geheimschreiber!«

»Domitian ist ermordet worden von Parthenius!«

»Wer hat ihn ermordet? Wer hat ihn ermordet?«

»Sie alle haben ihn ermordet! Stephanus hat ihn ermordet!«

Ein entsetzliches Gekreisch heulte auf. Der Reisewagen mit den Komödianten war im Gewühl des Volkes wie verschwunden mit andern Fuhrwerken, Wagen voll Steinen und Baumaterialien. Die Frauen in den Wagen schrien vor Angst. Aber die Menge brüllte jubelnd, und es war mehr ein Jauchzen des Genusses, weil ein so jähes Geschehen den alltäglichen Gang des Lebens unterbrach, als Haß auf den Kaiser. Denn so sehr haßte das Volk ihn nicht. Seine Racheakte und die blutigen Launen seines Verfolgungswahnes waren immer mehr gegen die Vornehmen gerichtet gewesen. Auch jetzt waren es die Vornehmen, die das Volk anstifteten, für die Mörder des Kaisers, wer sie auch sein mochten, einzutreten. Denn bei dem Septizonium, wo in Nischen Statuen des Kaisers standen, befahlen drei, vier Senatoren ehrfurchtgebietend und mit weitausladenden Gebärden dem Volke, Leitern zu holen und die Statuen des Domitian, des Schurken, des Elenden, hinabzuwerfen und in Stücke zu schlagen.

In diesem plötzlichen Aufflammen der Leidenschaften um den Reisewagen der Komödianten war Carpophorus einen Augenblick stehen geblieben. Er ballte die Fäuste, seine Augen waren wie geblendet von einer Raserei, die ihm all sein Blut in sein beschränktes Hirn trieb, bis er plötzlich Colosseros zubrüllte:

»Kamerad! Kamerad! Der Kaiser war immer gut zu uns. Sollen wir den Mord nicht rächen an seinen Mördern dort, die Befehl erteilen, daß man seine Statuen zerschlage?«

»Ja!« brüllte Colosseros zurück. »Wir werden ihn rächen! Wir werden ihn rächen! Hierher! Kameraden! Schart euch um Carpophorus, unsern Jäger, unsern Lanista, um den Kaiser zu rächen, um Domitian zu rächen!«

Die Gladiatoren liefen, sich sammelnd, auf den Reisewagen zu, bei dem Carpophorus mit blutunterlaufenen Augen noch immer stand. Die Frauen wollten schreiend mit Nilus und Taurus nach der Subura zurückkehren.

»Lebt wohl, Dominus! Lebt Wohl, ihr Knaben! Lebt wohl! Wer vermöchte zu sagen, ob der Tag dem Beginn eurer Reise günstig ist?« rief Nilus.

»Wir kommen nicht weiter,« rief Cäcilius. »Es ist wohl besser ...«

»Besser, daß wir bleiben,« rief Cäcilianus.

Carpophorus hörte sie, während der Dominus noch unschlüssig war und nicht wußte, was er Afer, der die Büffel lenkte, befehlen solle. Aber der Jäger sagte:

»Dominus! Macht einen Umweg! Fahrt nicht nach der Porta Capena! Fahrt nach der Porta Caelemontana! Von dort aus erreicht Ihr rechts ab gleichfalls die Via Appia. Ich wünsche Euch glückliche Reise. Das Unglück des einen bedeutet Glück für den andern. Lebt wohl, Jungen! Leb wohl, mein Cäcilianus! Leb wohl, mein süßes Kind, mein geliebter Knabe! Ich muß fort mit den Kameraden, um Domitian zu rächen. Er gestattete, als ich ihn darum bat, daß Cäcilius zurückkommen durfte. Lebe wohl!«

Er breitete seine Arme aus. Über dem Rande des Wagens preßte er den Knaben, der aufgestanden war, an seine Brust und schleuderte ihn dann beinahe von sich, gleich als könne es nach dem Verhängnis nicht anders sein, als es war und werden würde.

»Vorwärts!« brüllte er. »Vorwärts, Kameraden, um den Kaiser zu rächen!«

»Um den göttlichen Kaiser zu rächen!« brüllten alle Gladiatoren

und drangen vor in der Richtung nach dem Septizonium. Die Prätorianer strömten aus der Pforte des Turmes. Aus den Nischen schleuderten die, welche auf die Leitern geklettert waren, die Statuen des Kaisers auf die herab, die gekommen waren, seinen Mord zu rächen.

 

Der Dominus hatte Aser befohlen, die Büffel zu wenden um das Kolosseum herum und den weißen, staubigen Weg über den Caelius einzuschlagen, der nach der Porta Caelemontana führte.

»So kommen wir auch zur Stadt hinaus,« sagte der Dominus. »Syrus, sind die neuen Bühnenmasken, die die edlen Herren mir gegeben haben, auch wirklich gut verpackt? Ja, Jungen! Rom ist nun schon wieder vorbei. So stießt das Leben dahin mitten durch alles das, was uns die Götter bestimmen. Ein Kaiser ermordet! Das kam in Rom häufig vor. Das ist nicht einmal schlimm. Ich weiß nicht, wie viele Kaiser schon in Rom ermordet wurden. Das ist Politik. Damit gibt sich ein Dominus Gregis nicht ab. Warum seht ihr so betreten aus. Jungen? Ich bin wieder voller Hoffnung. Ihr beide habt mir wieder neue Energie gegeben. Aber in Zukunft müßt ihr nun auch Adulescensrollen spielen. Manchmal sind in einem Stück von Plautus die Adulescensrollen wichtiger als die Frauenrollen, die ganz gut von einem Komödiantenneuling gespielt werden könnten, wenn sie auch nicht immer so liebe, nette Gesichter haben wie ihr, meine Jungen. Bei eurer Mutter Crispina zu bleiben, dazu hattet ihr keine Lust, nicht? Ihr habt übrigens eine glückliche Wahl damit getroffen, daß ihr bei mir geblieben seid. Ihr begreift wohl, daß es auf dem Palatin nun zu Ende ist mit dem edlen Crispinus und mit eurer Mutter vermutlich auch. Wenn ich nur in Rom einen jungen Sklaven hätte finden können, um ihn für die Frauenrollen zu erziehen, wenn ihr beide Adulescentes seid! Bei den Göttern! Sprecht doch endlich was, ihr Jungen! Sonst stehen eure Schnäbel nicht still, und ihr sprecht euch eure Worte nach, als ob ihr eure Rollen hersagtet. Nun sitzt ihr da, als ob ihr nicht bis drei zählen könntet. Ist das mein Cäcilius und Cäcilianus? Redet doch! Was ist euch? Ihr trauert doch nicht etwa um den Kaiser?«

»Nein, Dominus,« begann Cäcilianus.

»Dominus,« wiederholte Cäcilius.

»Also, was denn? Was gibt es sonst?«

»Ach! Ich dachte nur ...,« sagte Cäcilius.

»Ja, ich dachte auch ...,« sagte Cäcilianus.

»Ich habe nie dem Carpophorus ...«

»Nein, ich auch. Eigentlich habe ich nie dem Carpophorus ...«

»Was denn, Jungen?«

»Gedankt.«

»Ja, gedankt,« stammelten die Knaben mühsam.

»Gedankt?« fragte der Dominus. »Wofür denn gedankt?«

»Ja, daß er den Kaiser ...,« sagte Cäcilianus traurig.

»Ja, daß er Domitian ...«

»Damals gebeten hat, ob ...«

»Ob ich zurückkehren dürfe zu meinem Brüderchen ...«

»Als ich krank war.«

Die beiden Knaben fielen einander weinend in die Arme.

»Nun,« sagte der Dominus tröstend, »das ist nicht schlimm. Carpophorus hat wohl verstanden, daß ihr es sehr lieb von ihm fandet, daß er gefragt hat. Der Kaiser war sehr gut zu ihm, und er hat von seinem Standpunkt aus recht, daß er mit Colosseros und den Gladiatoren ging, um ihn zu rächen, wenngleich er Gefahr läuft, daß ihm ein marmornes Standbild an den Kopf geworfen wird, wie ich es am Septizonium sah. Ja, Jungen! Abschied nehmen ist immer ein traurig Ding auch für Nomaden, wie wir sind. Seltsam! Ich habe das Gefühl immer, wenn ich fortgehe, nachdem ich meine Spiele aufgeführt habe und bevor ich wieder neue auf die Bühne bringe. Wenn ich Abschied nehme von den Menschen, die um uns waren und unter denen sich auch gute Herzen fanden, da ist es mir, als sterbe etwas in mir und um mich her. Dann denke ich so bei mir: Nilus, selbst der grobe Taurus, die Dirnen, Alexa, Gymnasium ...«

»Und Colosseros,« sagte Cäcilius.

»Und Carpophorus,« sagte Cäcilianus.

»Sind alles Freunde, jawohl, Freunde gewesen. Wir sehen sie vielleicht nie wieder. Aber so ist das Leben. Unser Weg geht nach Neapel, nach Syrakus, über das Meer nach Karthago und weiter noch, der Zukunft entgegen. Was nützt das Stillstehen, da wir doch nichts wissen, da nur die Götter wissen, was unser harrt am Ende dieses mühevollen, unebenen, staubigen Weges, der unserm Lebensweg gleicht?«

»Dominus!« sagte Cäcilianus, ihn unterbrechend. »Die Bacchides ...« »Ja!« lief Cäcilius. »Die Bacchides?«

»Darin dürfen wir doch immer die Frauenrollen spielen?«

»In den Bacchides? Ja,« sagte der Dominus bestimmt.

»Aber wenn wir die Menächmi geben?« sagte Cäcilius bedenklich,

»Ja, die Menächmi, worin wir die männlichen Hauptrollen ohne Masken ...«

»Ohne Masken spielen?«

»Sollen wir dann nicht Schnurrbärte und Bärte anlegen?«

»Daran dachte ich eben jetzt auch,« rief jauchzend Cäcilianus. »Sollen wir dann nicht Schnurrbärte und Bärte anlegen?«

Sie sahen einander strahlend an und lächelten schon durch ihre letzten Tränen hindurch.

»Das ist ein guter Gedanke, einmal etwas anderes als immer diese glatten Adulescensgesichter,« bewunderte der Dominus aus seiner wehmütig-philosophischen Stimmung heraus, die ihm jeden Abschied als ein Sterben erscheinen ließ, während der Reisewagen, von den schweren Büffeln gezogen, langsam durch die tiefen, schlammigen Wagenspuren von links nach rechts schwankte und Afers Peitsche knallte.

Ende.

 


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