Hedwig Courts-Mahler
Der Abschiedsbrief
Hedwig Courts-Mahler

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Der Chauffeur stand stumm, unbeweglich wartend neben dem eleganten Auto. In seinem gebräunten, energischen Gesicht bewegte sich kein Muskel. Nur die Augen schienen Leben zu haben, tiefliegende, stahlblaue Augen, in denen sich die ganze Energie des kraftvollen, schlankgewachsenen Mannes zu konzentrieren schien. Sie blickten zuweilen in das hell erleuchtete Vestibül hinein, zu dem Marmorstufen, mit dicken roten Teppichen belegt, hinaufführten, flogen aber dann immer wieder in brennender Unruhe zu den erleuchteten Fenstern im ersten Stock der vornehmen Villa empor, vor deren Portal er hielt.

Sie gehörte dem bekannten Rechtsanwalt Doktor Friesen und lag inmitten eines großen Gartens, der bis zum See hinunterführte. Rechts hinter der Villa befand sich, von Bäumen und Sträuchern verborgen, die Garage, in der noch ein großer Tourenwagen stand, außer der jetzt am Portal haltenden Limousine, die Doktor Friesen nur zu seinen Fahrten in die Stadt benutzte.

Immer ungeduldiger sah der Chauffeur zu den Fenstern hoch, aber endlich kamen drinnen im Vestibül zwei Gestalten die Treppe herunter. Es ging wie ein Ruck durch seine sehnige Gestalt, die wie die eines trainierten Sportsmannes wirkte. Seine Augen 8 flammten auf, und die Muskeln seines Gesichts zuckten in verhaltener Erregung.

Gleich darauf aber stand er in scheinbar gleichmütiger Haltung am Wagenschlag und wartete auf das Nähertreten der beiden Personen. Es waren Herr Doktor Friesen, der Besitzer der Villa, und neben ihm die schlanke junge Dame, in einfacher, aber trotzdem vornehm wirkender Kleidung, Fräulein Lonny Straßmann, die Sekretärin Doktor Friesens. Sie schienen beide in ein wichtiges geschäftliches Gespräch vertieft zu sein. Fräulein Straßmanns Gesicht zeigte gespannte Aufmerksamkeit. Immer noch miteinander redend, standen sie nun unter dem hell erleuchteten Portal.

Die Zähne des Chauffeurs bissen sich fest aufeinander, als er den Wagenschlag öffnete. Schnell schaltete er das Licht im Wagen ein, und dann trat er zur Seite. Seine Augen hingen dabei an dem Antlitz der jungen Dame. Unruhig forschte er in ihren Zügen, und als er sah, daß sie sehr gleichmütig und förmlich, wenn auch aufmerksam wirkte, hob ein erleichterter Atemzug seine Brust.

Doktor Friesen machte eine einladende Handbewegung. »Steigen Sie ein, Fräulein Straßmann, Sie können gleich mit mir in die Stadt fahren.«

Es sah auf die Uhr. Dann fuhr er fort:

»Wahrhaftig, schon wieder zwanzig Uhr. Also bitte, steigen Sie ein. Hennersberg setzt mich am Klub ab, wo ich schon längst sein sollte; sonst würde ich erst Sie nach Hause fahren. Sie kommen heute wieder spät zum Feierabend. Hennersberg fährt Sie nach Hause und wartet dann am Klub auf mich. Hören Sie, Hennersberg?«

Der Chauffeur verneigte sich. Er ließ erst Fräulein Straßmann einsteigen, dann Doktor Friesen. Schnell 9 schloß er den Wagen und nahm seinen Platz ein. Der Führersitz war von den beiden anderen Sitzen im Fond des Wagens nur durch eine verschiebbare Scheibe getrennt, die zum Teil offenstand. So konnte der Chauffeur einen Teil der Unterhaltung hören, die Doktor Friesen mit seiner Sekretärin führte.

»Also ich verlasse mich darauf, Fräulein Straßmann, wenn ich morgen früh nach dem Termin ins Büro komme, haben Sie die Protokolle fertig und auch den Vertragsentwurf«, hörte er Doktor Friesen sagen.

Die junge Dame antwortete ruhig und bestimmt:

»Sie können unbesorgt sein, Herr Doktor, ich werde alles bereit halten.«

»Gut, ich weiß, daß Sie sehr verläßlich sind. Wie ich ohne Sie fertig werden sollte, weiß ich nicht. Aber für Sie ist es gar nicht gut, daß man sich so fest auf Sie verlassen kann, dadurch verleiten Sie mich, Ihnen immer mehr aufzupacken. Ich glaube, das ist schon das zweite Mal in dieser Woche, daß ich Sie mit in meine Privatwohnung hinausschleppen mußte, damit Sie noch nach der Bürozeit Stenogramme aufnehmen konnten.«

»Das macht ja nichts, Herr Doktor, ich freue mich sehr darüber, daß ich Ihnen nützen kann. Es ist doch auch mein Vorteil, wenn ich Ihnen unentbehrlich bin. Und Sie haben ja auch jeden Tag Überstunden zu machen, wenn Sie alles schaffen wollen.«

Bei dem ruhigen, geschäftsmäßigen Ton, in dem die beiden miteinander sprachen, glättete sich langsam der gespannte Zug im Gesicht des Chauffeurs, der unwillkürlich gelauscht hatte. Aus den Augen wich die brennende Unruhe.

Die Limousine hielt nach kaum einer Viertelstunde vor dem Klub. Doktor Friesen stieg aus und sagte freundlich, aber etwas eilig und sehr nüchtern und 10 sachlich: »Guten Abend, Fräulein Straßmann, und morgen früh alles pünktlich erledigen; erinnern Sie bitte auch meinen Bürovorsteher noch einmal an die Sache mit Klemm, er ist leider Gottes sehr vergeßlich. Also, Hennersberg, wenn Sie Fräulein Straßmann nach Hause gefahren haben, holen Sie mich hier wieder ab. Ich habe nur eine halbe Stunde im Klub zu tun.«

Wieder verneigte sich der Chauffeur, und während Doktor Friesen die Treppe zum Klubhaus emporstieg, nahm er den Führersitz ein und fuhr mit Lonny Straßmann davon. Aber er fuhr jetzt entschieden langsamer. Er wußte, wo die junge Dame wohnte, hatte sie schon öfter nach Hause gefahren, wenn sie, wie heute, Überstunden machte und Doktor Friesen den Wagen entbehren konnte.

Lonny Straßmann aber widmete dem vor ihr sitzenden Chauffeur ihre Aufmerksamkeit mit einer seltsamen Intensität. Sie konnte zuweilen sein scharf gezeichnetes Profil sehen. Und wie so oft mußte sie denken, was für einen eigenartig vornehmen Eindruck dieser Chauffeur Hennersberg machte.

Der herbe Duft, der seinem Lederanzug entströmte, drang durch die halb geöffnete Scheibe zu ihr herein. Sie atmete ihn ein wie ein Parfüm. Er gehörte zu Lutz Hennersberg, und wenn sie zuweilen an ihn dachte, wenn er nicht zugegen war, spürte sie in der Erinnerung immer diesen Duft. Und – sie dachte sehr oft an ihn, wenn sie sich das auch nicht eingestand.

Immer langsamer fuhr Lutz Hennersberg, als wollte er die Minuten verlängern, in denen ihm Lonny Straßmann anvertraut war. Die heimliche Eifersucht auf Doktor Friesen, die ihn immer überfiel, wenn er Lonny mit diesem allein wußte, hatte ihn wieder einmal verlassen. Hatte er doch sein Herz an dieses schöne, 11 reizvolle Geschöpf verloren, seit er sie zum erstenmal gesehen. Und weil er wußte, daß er, der ›Chauffeur‹, sich nie um sie bewerben durfte – was hätte sie wohl zu solcher Vermessenheit gesagt –, war er auf jeden Mann eifersüchtig, der in ihre Nähe kommen durfte, und natürlich am meisten auf ihren Chef, mit dem sie, wie er wußte, oft stundenlang allein war.

Viel zu schnell für ihn – und auch für Lonny Straßmann – war nun das Haus erreicht, in dem sie wohnte. Schnell sprang der Chauffeur aus dem Wagen, um ihr die Tür zu öffnen und beim Aussteigen behilflich zu sein. Er stützte sie sorgsam, und das Licht aus dem Wagen fiel auf seine in verhaltener Erregung zuckenden Züge. Lonnys Blick traf in den seinen, und einen Augenblick hingen die beiden Augenpaare weltvergessen ineinander. Aber dann stand Lonny auf festem Boden, und er mußte sie loslassen. Mit einer knappen Verbeugung trat er zurück, die Lippen hart aufeinandertreffend. Aber da reichte sie ihm, einem plötzlichen Gefühl gehorchend, mit einem unsicheren Lächeln die Hand. »Es tut mir so leid, Herr Hennersberg, daß Sie sich so oft meinetwegen bemühen müssen, und doch bin ich froh, wenn Doktor Friesen mich heimfahren läßt, wenn es so spät geworden ist. Hier in dieser abgelegenen Straße ist es unbehaglich, wenn die Schaufenster ringsum ihr Licht verlöscht haben. Ich bin dann immer froh, wenn ich Ihren Schutz genießen kann, bis ich im Haus bin.«

Lutz Hennersberg hatte die kleine, warme Mädchenhand festgehalten. Ihre Worte beglückten ihn, und von seinen Empfindungen hingerissen, vergaß er einen Augenblick, daß er jetzt nur Chauffeur war. Er beugte sich über ihre Hand und zog sie impulsiv an seine Lippen. 12

»Es ist mir eine Ehre und ein Vergnügen, wenn ich Ihnen einen Dienst erweisen kann«, sagte er mit verhaltener Stimme, aber in einer so weltmännischen-ritterlichen Art, daß sie stutzte. Auch der Handkuß, der auf ihrer Hand brannte, da sie den Handschuh schon abgelegt hatte, brachte sie außer Fassung. Sie sah noch einmal in sein erregtes Gesicht, in seine stahlblauen, tiefliegenden Augen hinein, und eine helle Röte stieg ihr ins Gesicht.

»Gute Nacht«, hauchte sie verwirrt, schloß schnell das Tor auf und verschwand.

»Gute Nacht!«

Dieser Ruf, der mit einer seltsamen Wärme und Innigkeit über seine Lippen drang, klang noch zu ihr hinüber.

Wie auf der Flucht vor sich selber schloß sie hastig die Tür hinter sich zu und eilte die Treppe hinauf, nachdem sie den elektrischen Lichtknopf berührt hatte. Hennersberg stand wie ein Steinbild und schaute durch die Glasscheiben der Tür in den hellen Hausflur hinein. Er hatte Lonnys Verwirrung bemerkt und fragte sich nun unruhig, ob er sich darüber freuen durfte oder nicht. Galt diese Verwirrung dem Mann – oder der Überheblichkeit eines Chauffeurs, der es gewagt hatte, ihr die Hand zu küssen wie ein Gleichberechtigter?

Er wußte, daß Lonny die Tochter eines Majors war, der freilich nach dem Krieg, der Not gehorchend, Versicherungsagent geworden war und seiner Tochter gestatten mußte, ihr Brot zu verdienen, weil er es ihr nicht mehr schaffen konnte. Aber immerhin war Lonny Straßmann eine Dame im besten und edelsten Sinnes des Wortes.

Doch – hatte sie ihm nicht freundlich, wie einem Gleichberechtigten, die Hand gereicht? Hatte sie 13 damit nicht betont, daß sie keinen Unterschied gelten lassen wollte? Das hatte ihn so sehr beglückt, daß er selbstvergessen aus seiner Rolle als Chauffeur fiel, die er zu spielen gezwungen war.

Galt ihre Verwirrung wirklich nur dem Mann?

Seufzend setzte er den Wagen wieder in Gang und fuhr davon. Und während der ganzen Fahrt bis zum Klub hielt er sich eine Vernunftpredigt. Er mußte ablassen von seinen Träumen, durfte sich nicht den Luxus erlauben, sich in dieses süße, entzückende Mädchen zu verlieben. Wozu sollte das führen? Doch nur zu Kummer und Herzeleid. Er mußte vernünftig sein! So redete er sich zu.

Eine Weile später hielt er von dem Klub, mitten zwischen anderen Chauffeuren, die von seinem Herzenskummer keine Ahnung hatten. 14

 


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