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Lonny hatte sich inzwischen leidlich gut in New York eingelebt. Der Chef der juristischen Abteilung hatte von Mister Yacht Weisungen bekommen, und er staunte über Lonnys Kenntnisse und ihre präzise Arbeit. Man sah hier schon die künftige Privatsekretärin Mister Stanhopes in ihr, und das war ein sehr einflußreicher Posten. Lonny wurde also sehr liebenswürdig von allen Seiten aufgenommen, soweit der amerikanische Geschäftsmensch über Liebenswürdigkeit verfügt.
Als die vier Wochen um waren und man Mister Stanhope täglich erwarten konnte, kam erst mal wieder eine Nachricht von ihm, daß er noch eine Woche fernbleiben würde, weil er unterwegs gleich noch Geschäfte abwickeln wollte.
Lonny hatte mit starkem Herzklopfen seine Ankunft erwartet, und als sie hörte, daß dieselbe nun abermals um eine Woche verschoben war, wurde sie noch viel unruhiger.
Am meisten fürchtete sie die Sonntage. In der Woche hatte sie ihre Arbeit, wurde abgelenkt und mußte die Gedanken auf die Arbeit konzentrieren; aber die Sonntage waren ihr eine Qual. Sonnabend vormittags hörte sie Verabredungen ihrer Kollegen und Kolleginnen zum Wochenende, es wurden Ausflüge, 207 Segelfahrten, Ruderpartien oder doch der Besuch eines Theaters oder Kinos geplant. Eine oder die andere der jungen Damen hatte sie schon aufgefordert, sich anzuschließen, aber Lonny hatte immer mit freundlichem Dank abgelehnt. Sie konnte es noch nicht ertragen, in lustiger Gesellschaft zu sein.
So beschränkte sie sich darauf, nachmittags ein wenig allein in der Stadt herumzustreifen, um sie kennenzulernen. Sie machte auch einmal einen einsamen Ausflug an den Badestrand, sah mit traurigen Augen dem lustigen Treiben zu und ließ die Augen sehnsuchtsvoll über das Meer schweifen.
Da drüben lag irgendwo die Heimat . . .
Und das Heimweh überfiel sie mit einer solchen Wucht, daß sie es nicht wieder wagte, ans Meer zu gehen.
Nun war wieder ein Sonntag herangekommen. Sie ahnte nicht, daß gestern abend Lutz Hennersberg in New York angekommen war. Sie hatte sich, wie jeden Sonntag, etwas später von ihrem Lager erhoben, langsam angekleidet und das Frühstück eingenommen in dem hübschen, mit Blumen geschmückten Frühstücksraum des Boardinghouses. Inzwischen war ihr Zimmer in Ordnung gebracht worden, und sie zog sich dahin zurück, um sich zum Ausgehen fertig zu machen. Die Sonne schien verlockend, und sie wollte einen Spaziergang machen. Kaum hatte sie jedoch ihr Zimmer wieder betreten, als angeklopft wurde und auf ihren Zuruf einer der Neger erschien, die im Haus die Bedienung übernommen hatten. Es war ein anstelliger, intelligenter Bursche, der mit ihr immer in deutscher Sprache redete, weil er diese Sprache gern lernen wollte.
»Oh, Miß Straßmann, es sein ein Herr gekommen, der Miß Straßmann sprechen will in eine sehr dringende Angelegenheit.« 208
Verwundert sah Lonny ihn an.
»Ich empfange keine Besuche, Tom, das wissen Sie«, erwiderte sie schroff und auf ihren Ruf bedacht.
Der schwarze Diener lachte sie an, daß alle seine weißen Zähne blitzten.
»Fremder Mister sehr wichtig zu sprechen hat mit Miß Straßmann, sein eine ganz alte Mister. Wartet im Sprechzimmer auf Miß Straßmann, sein ganz gewiß sehr wichtig; Miß Straßmann müssen zu ihm gehen und sprechen mit ihm.«
Tom hatte gelogen, aber es erschien ihm unverfänglicher, wenn er den Besucher als alten Herrn hinstellte. Er hatte ein sehr fürstliches Trinkgeld von dem fremden Herrn erhalten, und dafür hätte er zur Not Miß Straßmann auch mit Gewalt ins Sprechzimmer gebracht.
Lonny konnte sich nicht denken, was irgendein alter fremder Herr mit ihr zu sprechen haben könne, aber dann fiel ihr ein, daß vielleicht Mister Stanhope zurückgekommen sei und nach ihr geschickt haben könne.
»Gut, Tom, ich komme sogleich«, sagte sie.
Sie legte ihren Hut wieder ab, zog die Handschuhe aus und ging hinaus. Tom hielt ihr mit breitem Lächeln die Tür auf. Sie schritt durch die menschenleere Diele. Heute, am Sonntag, war alles ausgeflogen, sogar ein Teil der Dienerschaft. Mit einer tiefen Verbeugung öffnete Tom die Tür des Sprechzimmers, das fürstliche Trinkgeld des Besuchers hatte Miß Straßmann in seinen Augen mit einer Glorie umgeben. Das Sprechzimmer war mit hellem Sonnenlicht gefüllt, wodurch Lonny erst ein wenig geblendet wurde, als sie eintrat. Sie sah nur wie einen Schatten eine schlanke Männergestalt mitten im Zimmer stehen, konnte aber das 209 Gesicht nicht gleich erkennen. Erst als der Besucher dicht vor sie hintrat, zuckte sie zusammen und stieß einen leisen Schrei aus.
»Lutz!«
Sie wurde totenbleich und wankte, wie aller Kraft beraubt. Aber schon hatte sie Lutz in seine Arme gerissen und hielt sie fest, als wollte er sie nie mehr loslassen. Im Übermaß des Glückes, sie endlich wiederzuhaben, stieß er immer wieder in jubelnder Inbrunst ihren Namen hervor.
»Lonny! Lonny! Lonny!«
Mit großen, erschreckten Augen sah sie zu ihm auf.
»Lutz! Mein Gott, Lutz, du?«
»Ja, Lonny, meine Lonny, ich, dein Lutz, den du so grausam verlassen hast! Ach Lonny, daß ich dich nur endlich wiederhabe. Wie furchtbar weh hast du mir getan!«
Sie erzitterte in seinen Armen und hatte nicht die Kraft, sich loszumachen; es war eine so namenlose Seligkeit, in seinen Armen zu ruhen, in seine heißgeliebten Augen sehen zu können. Und diese Augen senkten sich in die ihren mit einem Ausdruck unsagbarer Zärtlichkeit und Innigkeit. Sie schluchzte auf vor glücklicher Erregung.
»Lutz – ach Lutz, ich tat mir doch selbst am wehesten.«
Er preßte seine Lippen auf die ihren, lange und innig. Und dann sagte er weich und zärtlich:
»Wie konnte meine Lonny mir das antun?«
»Lutz, du hast doch an mir gezweifelt, hast mir mißtraut, hast von mir geglaubt, daß ich dir eine so abscheuliche Komödie vorgespielt hätte.«
Er sah sie mit brennenden Augen an, und sie merkte, wie schmal sein Gesicht geworden war. Das erschütterte sie. 210
»Lonny, was an jenem unseligen Abend in mir vorging, das weiß ich selber kaum noch. Es kam alles so unerwartet, meine Gedanken verwirrten sich, ich sah, daß deine Stiefmutter mich so seltsam anstarrte, und sah, wie du in tiefer Scham die Farbe wechseltest, und da, ja, Lonny, eine ganz kurze Weile glaubte ich, du hättest jenen Abschiedsbrief nicht wieder zurückgenommen, wenn du nicht erfahren hättest, daß ich ein reicher Erbe war. Du weißt ja nicht, wie sehr du mich mit jenem Abschiedsbrief gekränkt hattest, das hatte ich noch nicht verwunden. Aber dieser Zweifel, dieses Mißtrauen zerfiel schnell in nichts, als ich mir dann überlegte, daß du mir unmöglich eine solche Komödie hättest vorspielen können, wenn du die Anzeige gelesen hättest. Ich war wie sinnlos davongestürmt, aber ich machte mir schon bittere Vorwürfe. Meine einzige Hoffnung war, daß du meinen Zweifel gar nicht bemerkt hättest; ich wußte nicht einmal, was ich in meiner Aufregung zu dir gesagt hatte. Das las ich dann erst in deinem Brief. Lonny – wie weh hast du mir mit diesem Brief getan! Es war dein zweiter Abschiedsbrief an mich, aber er traf mich viel, viel härter noch als der erste. Wenn ich dir weh tat mit meinem Zweifel, so hast du mir mit deinem Brief viel weher getan. Du mußt mir meinen törichten, schnell vorübergehuschten Zweifel vergeben, Lonny, denn siehst du, du hast auch an mir gezweifelt, an meiner Liebe. Liebtest du mich weniger, als du an mir und meiner Liebe zweifeltest?«
»Ach, Lutz, kann es denn sein? Zu verzeihen brauche ich dir nichts, ich habe dir nie gezürnt, war nur unsagbar traurig. Lutz, sind nun wirklich alle Zweifel fort, liebst du mich wirklich so, wie es sein muß, wenn wir glücklich werden wollen?«
»Wäre ich sonst hier, Lonny?« sagte er und küßte sie, 211 bis sie beide atemlos waren. Und sie erwiderte seine Küsse in großer Glückseligkeit. Dann fragte Lutz plötzlich:
»Jetzt sorge ich mich nur noch um eins, Lonny – wie stehst du zu Mister Stanhope? Hast du schon einen Vertrag mit ihm gemacht? Bist du auf längere Zeit gebunden?«
Sie schüttelte lächelnd den Kopf.
»Es ist noch gar nicht zurück; seine Heimkehr hat sich noch um acht Tage verschoben, aber er muß in diesen Tagen ankommen.«
Zärtlich streichelte er ihre Wangen.
»Wir haben uns nun beide nichts mehr vorzuwerfen, Lonny, denn schließlich bist du genauso kopflos davongestürzt wie ich an jenem Abend. Das soll uns eine bittere Lehre sein, mein geliebtes Herz; so etwas soll nie mehr zwischen uns geschehen. Du und ich – Lonny, wir gehören doch zusammen. Was hätten wir ohne einander anfangen sollen?«
Sie atmete tief auf.
»Laß uns nie mehr daran denken, Lutz; es war eine schlimme Zeit.«
»Und das alles danken wir im Grunde deiner Stiefmutter.«
Ein Schatten flog über ihr Gesicht.
»An sie mag ich gar nicht denken, Lutz. Aber sage mir, wie hat sich Papa zu meiner Flucht gestellt?«
»Nun, er war beinahe so unglücklich wie ich. Ich soll dir seine Verzeihung bringen und tausend Grüße. Ich habe versprochen, dich wieder heimzuholen, Lonny.«
Etwas unsicher sah sie ihn an.
»Ich weiß nicht, Lutz, ob ich gleich loskommen kann von der Firma Stanhope. Sicher muß ich erst kündigen.« 212
Er lachte in glücklichem Übermut auf.
»Wenn die Firma Stanhope riskieren will, daß ich nicht von deiner Seite weiche, soll sie versuchen, dich festzuhalten. Aber wir müssen noch viel besprechen, Lonny, und das kann nicht in diesem zwar sehr netten, aber doch recht ungemütlichen Sprechzimmer geschehen. Mach dich fertig, Lonny, wir wollen erst mal ins Freie und dann sehen, wo wir ein behagliches Plätzchen finden, um uns alles vom Herzen reden zu können.«
Tom, der Neger, strahlte über das ganze Gesicht, als er eine Weile später Lonny und Lutz an das draußen haltende Auto, das Lutz hergebracht hatte, begleitete und den Wagenschlag mit Grandezza öffnete. Lutz gab ihm abermals ein Trinkgeld, aber Lonny sagte lachend:
»Er hat mir gesagt, du seist ein alter Mister, Lutz.«
Tom grinste.
»Miß Straßmann nicht gekommen wäre in das Sprechzimmer, wenn Tom gesagt, daß junger Mister sie erwarte. Tom schlau!«
Lutz griff lachend in seine Tasche und reichte Tom noch ein Trinkgeld.
»Tom ist sehr schlau gewesen«, sagte er anerkennend.
Das Auto fuhr davon, und Tom steckte lachend sein Trinkgeld ein.
Lutz hatte mit Lonny vereinbart, daß sie beide in sein Hotel fahren wollten, um dort gemeinsam zu speisen. Lonny machte freilich ein etwas besorgtes Gesicht; dies vornehme Hotel sah sehr teuer aus. Aber sie sagte noch nichts. Als sie aber dann im Speisesaal eine stille Ecke gefunden hatten und Lutz bei dem Kellner ein auserlesenes Essen bestellte, sah sie Lutz 213 erschrocken an. Und als der Kellner davongegangen war, sagte sie leise:
»O Lutz, das wird furchtbar teuer sein; du hast wohl keine Ahnung, was man hier in New York für Preise zahlt?«
Er lachte sie übermütig an.
»Du hast wohl ganz vergessen, Lonny, daß ich inzwischen eine große Erbschaft gemacht habe.«
Beklommen sah sie in sein lachendes Gesicht.
»Daran muß ich mich erst gewöhnen, Lutz.«
»O Lonny, ich glaube fast, der arme Lutz war dir lieber als der reiche?«
Sie sah ihn zärtlich an.
»Lutz ist Lutz, ob arm oder reich, das ist mir gleichgültig.«
»Mir aber nicht, mein liebes Herz. Ich finde es sehr angenehm, nicht mehr so ängstlich mit dem Pfennig rechnen zu müssen.«
»Weißt du denn schon, ob wirklich alles mit der Erbschaft stimmt?«
Er lachte über ihre ängstlichen Augen.
»Vorläufig habe ich erst einmal zehntausend Dollar bekommen als Vorschuß auf die Erbschaft. Eine Million Dollar liegt noch auf der Bank in San Francisco; dann habe ich noch ein Landhaus geerbt, das ich aber verkaufen werde, da wir sicher nicht in San Francisco leben werden; außerdem noch eine kostbare Sammlung und verschiedene andere sehr nette Sachen. Alles in allem beläuft sich die Erbschaft auf anderthalb Millionen Dollar, also mehr als sechs Millionen Mark.«
Ganz entsetzt sah sie ihn an.
»Mein Gott, das ist ja furchtbar!« entfuhr es ihren Lippen. 214
Er lachte herzlich über diesen Ausruf, und schließlich mußte sie mitlachen und sagte dann mit reizender Schelmerei:
»Dann können wir uns also das teure Essen ohne Gewissensskrupel schmecken lassen, Lutz?«
»Ich hoffe, daß es dir munden wird, meine Lonny.«
Es waren wundervolle Stunden für die beiden jungen Menschen. Lutz strahlte, daß er Lonny verwöhnen konnte, und Lonny strahlte, weil er so glücklich war, sie so verwöhnen zu können, und weil sie nun wieder in seine Augen sehen und seine zärtliche Stimme hören konnte. Dabei sprachen sie sich alles vom Herzen, was sie einander noch zu sagen und was sie während der Trennung erlebt und erlitten hatten. Lutz berichtete dann Lonny, was er aus dem Testament seines Onkels erfahren hatte, und sagte ihr, daß er bald nach San Francisco reisen wolle.
»Ich halte es für besser, wenn ich selber dort nach dem Rechten sehen und alles regeln kann. Schade, Lonny, daß wir nicht schon verheiratet sind, sonst müßtest du mich begleiten.«
Lonny atmete tief auf.
»Es ist vielleicht gut, Lutz, daß deine Reise nach San Franzisco mir Zeit läßt, meine Anstellung bei Stanhope ordnungsgemäß aufzugeben; ich möchte doch nicht davongehen wie die Katze vom Taubenschlag, da man sich meiner in der Not angenommen hat.«
»Nun gut, Lonny, mag es so sein. Aber erst bleibe ich noch einige Tage hier, um mir so viel wie möglich in deiner Gesellschaft New York anzusehen. Du wirst aber morgen gleich im Büro melden, daß du deine Stellung aufgeben wirst.«
»Wie lange brauchst du zu deiner Reise nach San Francisco, Lutz?« 215
»Genau kann ich das vorher nicht angeben, Lonny; aber jedenfalls komme ich schnellstens zurück. Und dann treten wir gemeinsam die Heimreise an. Ich gebe nachher gleich ein Telegramm an deinen Vater auf, damit er weiß, daß zwischen uns alles gut ist. Ach Lonny, Lonny – wie bin ich froh, dich wiederzuhaben.«
Sie sah ihn mit feuchten Augen an.
»Ich hatte nicht geglaubt, daß ich je wieder so glücklich werden könne, mein Lutz.«
Sie drückten einander verstohlen die Hände und sahen sich strahlend an.
Nachdem sie gegessen hatten, fuhren sie zum Strandbad hinaus und saßen dort einige Stunden auf einer der Terrassen, das fröhliche Leben und Treiben beobachtend. Heute packte Lonny das Heimweh nicht wieder – Lutz war ja bei ihr, und er verkörperte ihr die Heimat.
Am Abend besuchten sie eins der Dachgartenrestaurants, und dann begleitete Lutz Lonny wieder bis an ihre Wohnung, wo Tom, der Neger, Lonny gravitätisch die Tür öffnete. 216