Anna Croissant-Rust
Unkebunk
Anna Croissant-Rust

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Assessor Kofler eilte seiner Wohnung zu. Es wurde schon dämmerig, und er hatte nicht mehr allzuviel Zeit, um sich zur Gesellschaft beim Gouverneur umzukleiden. Das heißt, nicht allzuviel Zeit, wie er's verstand, denn er war gewöhnt, noch einmal ein Bad zu nehmen, ehe er sich dem Friseur anvertraute, und ehe er an seine eigentliche Toilette ging, die sehr viel Zeit wegnahm. Seine Hausfrau hatte er bis jetzt nicht so weit gebracht, daß ihr alle Geheimnisse seines Toilettetisches, seines Wäschespindes und Kleiderschrankes ebenso geläufig waren, wie seiner Münchener Hausfrau, die eine Dame war und gewußt hatte, was sie ihm hinzulegen und herzurichten hatte, wenn er den Frack wünschte oder den Smoking. Die »Hiesige« schlug die Hände über dem Kopf zusammen, als er nur versuchte, ihr einigermaßen klar zu machen, was er wollte.

»Ei, ei, ei, was sin des for Sache! Herr Kofler, Herr Kofler, des kann ich m'r nie un nie merke!«

Es hatte schon Kampf genug gekostet, bis er nur eine für seine Begriffe einigermaßen anständige kleine Wohnung hier gefunden; das Badezimmer war natürlich erst auf seine Kosten hergerichtet und gebührend bestaunt worden. Man hielt ihn deshalb zuerst für einen Krösus, dann für einen Verschwender, zuletzt gar für einen Schwindler. Die Hausfrau ließ ihn merken, daß er nicht diesem Luxus des Badezimmers entsprechend lebe, und in ihre sonst ziemlich respektvollen Worte hatte sich bald ein halb verachtungsvoller, halb geringschätziger Ton gemischt. Er trank fast keinen Wein, fast keinen Kaffee, – den ihren hatte er von vornherein mit aller Bestimmtheit abgelehnt – nur Tee. Und für Tee hatte Frau Hepp eine grenzenlose Verachtung. Das allein hätte genügt, ihn bei ihr herabzusetzen. Und heute hatte er ihre Verstimmung deutlich gemerkt, weil sie nun auch all die Sachen herrichten sollte, ohne daß er dafür etwas Spezielles zu zahlen gesonnen war. Es stand bei Kofler 252 fest, daß, wenn er heimkam, alles verdreht oder gar nichts bereit lag. Zum Frack jedenfalls eine schwarze Krawatte, rote englische Handschuhe, den grauen Hut und nicht die Lackschuhe, aber dafür, wie schon einmal, die »Sonntagsstiewel«.

»Ei ich meen, die sin doch scheen genungk!«

Kofler fing schon zu schwitzen an, wenn er nur an die Unmöglichkeit dachte, ihr das alles auch nur einigermaßen beizubringen. Nun, wenigstens war sie reinlich, und mit ihrem weiß und roten, glatten Apfelgesicht und den straff nach hinten gewichsten Haaren nett anzusehen. Hätte er nur nicht so viel Zeit mit Nebensächlichem vertrödeln und ihr ewiges, fast tadelndes Verwundern über seine Manikure-Utensilien, von ihr das »Nächelkästche« geheißen, über seine Bürsten und Kämme und Flakons ertragen müssen! Es lief ihm eine Gänsehaut auf, wenn er sie sah, stets bereit mit: »hm! hm! hm!« und Ausrufen der kleinbürgerlichsten Beschränktheit über ihn herzufallen, die sie oft mit irgendeinem faustdicken Lob überzuckerte.

Verstimmt über all das, was ihn wohl erwarten würde, verstimmt über das charakterlose, dünne Heruntertröpfeln, das nicht Nebel, nicht Regen war, schritt Kofler mit gesenktem Kopf quer über den öden Platz, fröstelnd die Hände in den Manteltaschen.

»Herr Assessor, Sie werden ja naß! Haben Sie keinen Schirm dabei?«

Überrascht hob er den Kopf, vor ihm auf einer Stufe eines Hauseinganges stand ein zierliches, kleines Wesen, das in einem grauen Regenmantel steckte und einen weißen Schleier ziemlich unordentlich um den Kopf gewickelt hatte. Dieses ganz niedlich scheinende Wesen hatte einen sehr zierlichen Mädelsschirm in der Hand, den es ihm entgegenstreckte.

»Da, nehmen Sie ihn nur! Ich mache mir doch weniger aus dem Naßwerden als Sie« . . .

253 Kofler schaute halb belustigt, halb unangenehm berührt dies kleine, ihm unbekannte Persönchen an und zog vor dem Dämchen den Hut.

»Mit wem hab ich denn eigentlich das Vergnügen?« frug er, von der damenhaften Haltung, die die Kleine nun anzunehmen wußte, belustigt.

»Gelt, das möchten Sie nun wissen! Ich sag's aber um die Welt nicht, wenn Sie's nicht erraten! Kommen Sie nur ein bißchen näher, hier unter die Laterne . . . mit wem habe ich denn Ähnlichkeit? . . . Gott! dauert das lang!«

Und mit einem Ruck riß sie den weißen, zerknitterten Schleier vom Kopf, und zwei Augen sahen ihn erwartungsvoll an. Die Augen – die Augen kannte er . . . wem gehörten denn diese Augen? Er besann sich, besann sich . . . da erkannte er den indischen Schleier.

»Sie sind Nelly« . . .

Nelly machte einen richtigen Backfischknix und lachte ausgelassen.

»Richtig, Herr Assessor! Nun verehren Sie meine schönste Schwester, Stella, den Stern der Garnison; Mäuschen, Täubchen, Herzchen von Mama geheißen, und mich kennen Sie nicht! Da sollten Sie sehen, wie Holischka springt, wenn er mich sieht. Auf fünfzig Schritt kennt er mich! Und Pralinés gibt's und Fondants und Küßchen! Aber jetzt nicht wegen mir, bewahre! Alles wegen unserm Betzerl, wegen Amélie, wegen Billettchen und Briefchen.«

»Was haben Sie denn hier gemacht, Nelly?«

»Das will ich Ihnen sagen, wenn Sie mich mitnehmen. So halten Sie nur den Schirm auch schön über mich, obwohl es meinem alten Regenmantel weniger schadet als Ihrem neuen Ulster. Famos ist er . . . Schick! Schick!«

So dirigierte die Kleine den Assessor in der Straße weiter 254 und schwätzte darauflos, während er sich eines unbehaglichen Gefühls nicht erwehren konnte. Er kam sich lächerlich vor, wie er so mit unter dem Schirme schritt, die Kleine trippelnd an seiner Seite. Sie hatte die Oberhand, sie war ganz unbefangen . . . er sagte bei sich: sie protegiert mich, und ich benehme mich lächerlich.

»Was ich hier getan habe? Nun, ich will's Ihnen sagen, weil's zu köstlich ist. Von hier aus kann ich nämlich nach Eva von Armharts Zimmer sehen. Wenn es dämmert, stellt sie ein Licht ans Fenster. Etwa eine Lampe meinen Sie? Eine richtige kleine, stinkende Armhartsche Funzel . . .

›Die Leuchte und wär's meines Lebens Licht,‹ . . .

das Liebeszeichen für den Leutnant Schneider, wissen Sie, le joli tailleur. Wenigstens meint sie, er käme dann, oder er sei unten, oder er schicke seinen Bedienten, was weiß ich. Dann kommt sie im weißen Gewande ans Fenster und läßt langsam an einer Schnur etwas herunter. Köstlich, nicht? Das heißt, wenn jemand unten steht. Wer das ist, weiß sie nicht, sie ist ja furchtbar kurzsichtig. Ich hab die Billet-douxcher auch schon oft abgenommen, ich glaub', ich hab eins da. Wollen Sie's lesen? Und ich binde dann wieder an die Schnur alte, verwelkte Sträußchen und so was, oder etwas ganz Scheußliches, und sie küßt's dann, pff! pff!« Nelly bog sich vor Lachen.

»Das ist Unkebunk, Herr Assessor! Sie kennen das alles schon, nicht? Das Wort und das großmächtige Buch, was die Alte schreibt, für die Verherrlichung des Namens. Wie finden Sie das?«

»Sie sind ein abscheulicher Racker, Nelly.«

»Ach, reden Sie doch nicht wie Hertwig! Ich habe gedacht, Sie sind ganz anders; ich habe mich gefreut auf Sie, sonst hätt ich Sie doch nicht angesprochen. Ich meinte, einer, der für's Tanzen ist . . . Resa-Rosa übt ja immer für sich, zu Ihnen 255 gesagt, sie will's nur nicht wahr haben, und sperrt alle Türen zu. Ich hab mir aber ein kleines Loch in die Türe gebohrt und schaue ihr immer zu, wenn sie ohne Kleider oder mit nur wenig Kleidern tanzt. Nicht übel, aber ich hab mehr Talent!«

»Sie?« Der Assessor wußte wahrlich nicht mehr, was er mit dem kleinen Balg anfangen sollte, der ihn von einer Verlegenheit in die andere brachte, und dem man genau ansah, daß er sich seiner Überlegenheit bewußt war.

»Ich! Ja ich! Was ist dabei? Mir braucht niemand etwas in den Kopf zu setzen, ich weiß alles selbst. Ich werde mir auch von niemand etwas einreden lassen. Da können sich die Alten meinetwegen auf den Kopf stellen!«

»Was wollen Sie denn eigentlich?«

»Was? Ja, sehen Sie, das weiß ich noch nicht so genau, es wird schon was aus mir! Im übrigen werd' ich das gleich Ihnen sagen! Damit Sie's der Resa-Rosa wiedersagen! Das kennt man! Sie sehen sie ja heute abend auf dem Yankee-doodle-Fest. Viel Vergnügen, Herr Assessor! Man hat dort eine neue Nummer, Freundin von Hertwig. Wenn sie auch so langweilig und so tiefsinnig ist wie der . . . brrrr! Nun, der Schick bringt sie nicht um, das habe ich sofort gesehen, dafür ist so etwas Künstleratmosphäre um sie, ganz neu für hier.«

So ging das wie ein Mühlrad weiter. Aber plötzlich bückte sich Nelly; sie waren an Koflers Wohnung angelangt: »Karo! Karo!« schrie sie, und schon lag sie auf den Knien und hatte ihre Arme um Karos Kopf geschlungen, den sie zärtlich an sich drückte.

»Holischkas Karo,« schrie sie, »Holischka ist bei Ihnen oben; ach, lassen Sie den Karo doch mit hinein und mich auch ein bißchen.«

Kofler war starr. »Ich muß mich umkleiden,« sagte er frostig, immer bemüht, dem buschigen Schwanz Karos auszuweichen, 256 der in zärtlicher Erregung auf- und niederging und Schmutz und Nässe in die Höhe peitschte. Kofler liebte Hunde sehr, aber nur reine, wohlerzogene, edle Hunde, von denen man weder beschmutzt noch belästigt wurde. Es war ihm ein so unangenehmer Gedanke, das vor Schmutz und Nässe starrende Tier in das Haus zu lassen, daß er nur zögernd den Schlüssel ins Schloß steckte.

Nelly erriet das instinktiv, und es machte ihr ein boshaftes Vergnügen, ihn zu ärgern.

»Nun, wegen des An- und Ausziehens hätten Sie sich wegen mir keine Skrupeln machen brauchen. Was ist denn dabei? Holischka hat sich x-mal vor mir umgezogen und Schneider auch, im Nebenzimmer natürlich! . . . aber Karo können Sie nicht brauchen, das sehe ich ein; der läuft mir schon nach, wenn ich pfeife, und Amélie wird ihn noch viel zärtlicher in die Arme nehmen als ich, und dabei flöten: ›Ho–lisch–ka!‹ Der war schon oft übernacht im Bezirksamt. Der Karo nämlich! Guten Abend, Herr Assessor, ich komm' ein andermal zu Ihnen!« Und Karo, der unschlüssig an der Tür stand, pfeifend, lief sie davon, Karo mit großen Sätzen hinter ihr drein.

Kofler war heute gar nicht in der Stimmung, die Begegnung mit Nelly humoristisch zu nehmen; er war zu erregt. Zuerst hatte er eine Unterredung mit Hertwig gehabt, die ihn verstimmte . . . Hertwig mußte raus aus dem bunten Rock, aber wie? . . . dann diese kleine Krabbe, die ihm wie ein Zerrbild Resa-Rosas erschien, und die Streiflichter auf Resa-Rosa warf. Er wollte das alles doch nicht sehen, wenn es auch da war . . . wenn er sie nur aus diesem Milieu reißen, sie frei machen könnte! Dabei reizte ihn ihr jetziges Zurückweichen immer mehr; wie lange hatte er sie nicht gesehen . . . die reine Folter, wenn man bei diesem Grad der Leidenschaft angelangt ist, und doch riß er sich immer wieder zurück: Vorsicht! eine 257 innere Stimme warnte ihn . . . und in dieser Stimmung sollte er den guten Holischka ertragen, der gewiß gekommen war, ihn abzuholen? In der letzten Zeit hatte er so wie so die angenehme Allüre angenommen, sich als heimlichen Schwager zu betrachten und zu gerieren. Nun, wenigstens würde er ruhig sitzen bleiben und ihn nicht mit unnötigen Fragen bei der Toilette stören, das hatte er schon begriffen, ja das suchte er selbst nachzuahmen.

Zerstreut gab Kofler Holischka die Hand, sein erster Blick galt seinen Kleidern, seiner Krawatte, seinen Lackschuhen, alles tadellos in Reih und Glied, nichts fehlte.

»Das habe ich angeordnet!« sagte Holischka strahlend. »Stimmt's?«

»Wundervoll,« sagte Kofler – Holischka stieg in seiner Meinung – und seine Stimmung begann sich zu heben.

»Ihr wißt nicht, wie einem solche Kleinigkeiten einen Abend verderben können . . . man hängt so ganz davon ab. Ihr habt's leichter . . . einfach die Vorschrift, und dann Euere Diener« . . .

Holischka winkte mit der Hand ab, darüber war mit Kofler nicht zu reden.

»Mit wem sprachst du vorhin unten?« fragte er. »Ich stand zufällig am Fenster, da war es mir, als hätte ich Karo winseln hören.«

»Mit Nelly. Nein, das ist doch unglaublich!«

»Mit Nelly?« Kofler sah, wie Holischka rot und röter wurde, wie er erregt den Schnurrbart drehte: Amélie? dachte Kofler, aber er war diskret, sah Holischka nicht einmal an, nein, und ging mit einer rasch hervorgestoßenen Entschuldigung in das Badezimmer. Bald hörte Holischka, wie die Brause niedersprühte und klatschte. 258

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