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Sobald der fröhliche Lärm der Stimmen verhallt war, und ich die Wagen davonfahren hörte, kehrte ich zum Klavier zurück. Ich fühlte, daß dies mein einziger teilnehmender und zuverlässiger Freund hier war, und auch, daß ich mich niemals so sehr nach einem solchen gesehnt hatte.
Während ich noch sinnend vor den Tasten saß, trat geräuschlos ein Diener ein, der erst, nachdem er schon einige Lichter ausgelöscht hatte, meiner ansichtig wurde. Nur die großen Stehlampen in der Mitte des Zimmers brannten noch, aber ich zog das Dämmerlicht dem vorher herrschenden strahlenden Glanze vor, um so mehr, als ich ohne Noten spielte. Nun machte ich dem Diener ein Zeichen, indem ich ihm zugleich das Wort: »Bus,« zurief, einen der wenigen hindostanischen Brocken, die ich kannte und der so viel bedeutet als: »Genug.« Er verstand meinen Befehl, verbeugte sich tief und entfernte sich ebenso leise, als er gekommen war.
Wohl nahezu eine Stunde lang mochte ich gespielt haben, als die kleine silberne Uhr in meiner Nähe die zehnte Stunde schlug. Ich hatte mich beruhigt und in eine träumerisch friedliche Stimmung eingewiegt – und schon war ich im Begriff, das Instrument zu schließen, als ich draußen Fußtritte hörte, die rasch die Stufen herauf und über die mattenbelegte Veranda kamen. Das mußte Walter sein! Endlich also war er gekommen!
Mit aufs äußerste gespannter Erwartung lauschte ich der nahenden Entscheidung meines Schicksals. Plötzlich wurde der japanische Perlenvorhang lebhaft zur Seite geschoben, und eine tiefe Stimme meldete: »Thorold Sahib.«
Ja, er war es! Die ganze Länge des großen Raumes trennte uns, und langsam trat ich aus dem Halbdunkel meines Verstecks in den Lichtkreis der hellen Lampen.
»Walter ...« murmelte ich leise, hielt aber sofort wieder inne.
Er sah so eigentümlich, so verlegen und überrascht aus. Ja, ich täuschte mich nicht, aus seinen Augen sprach unbegrenztes Erstaunen – oder war es am Ende gar Bewunderung? – Daß er mich recht verändert fand, war ja selbstverständlich, denn aus dem ausgelassenen Wildfang war eine erwachsene Dame geworden, der die Gesellschaftstoilette recht gut stand, wie der mir gegenüber befindliche Spiegel mir sagte. Aber warum sprach er denn nicht? Kaum ein paar Sekunden waren verflossen, seitdem der indische Diener seine Meldung: »Thorold Sahib,« erstattet hatte, und doch deuchten sie mir eine wahre Ewigkeit.
Plötzlich trat er rasch näher.
»Miß Ferrars, wie ich vermute?«
Nun wurde mir mit einem Male klar, daß dieser Mann vor mir unmöglich Walter sein konnte. Er war älter, dunkler und größer, als mein Bräutigam sein mußte. Der feste Blick dieser Augen, der entschlossene Zug um den Mund, die ruhige Sicherheit im Auftreten, all das erinnerte entfernt nicht an meinen einstigen Spielkameraden, obgleich es mit der Photographie im Einklang stand.
»Ich muß Ihnen leider eine Enttäuschung bereiten,« fuhr er, eine Depesche entfaltend, mit klarer, wohlklingender Stimme fort, und lächelnd fügte er hinzu: »Sie haben wohl jemand anders erwartet ... meinen Vetter Walter?«
Einen Stützpunkt suchend, streckte ich die Hand nach der nächsten Stuhllehne aus, denn ich zitterte am ganzen Körper, und das Zimmer ging wie im Kreise mit mir herum.
»Es tut mir wirklich leid, denn ich sehe, wie nahe Ihnen die Enttäuschung geht. Morgen wird er aber ganz bestimmt kommen, um zwölf Uhr zwanzig, wie es in der Depesche heißt. Sie wissen doch, daß er bei mir wohnen wird?«
Das war also der vielgerühmte Adonis – aber war das nicht auch der Mann, um dessentwillen ich die weite Reise gemacht hatte? Wohl mußte er fünf bis sechs Jahre mehr zählen als Walter, aber es war dasselbe schöne, vornehme Gesicht, dessen Photographie mich bezaubert hatte. Wie war es möglich, daß ich mir nur einen Augenblick hatte einbilden können, Walter werde je zu einem solchen Manne heranreifen? Und doch bestand eine unverkennbare Ähnlichkeit zwischen den beiden Vettern.
Langsam zog ich mich ans Klavier zurück. Ein unwiderstehliches Gefühl trieb mich in den Schatten, wo ich mich dem prüfenden Blick dieser dunkeln, fragenden Augen entziehen zu können hoffte. Ach, wenn er die Wahrheit ahnte, daß ich, Pamela Ferrars, übers Meer gekommen war, um ihn zu heiraten, und nicht meinen Vetter Walter! Meine ganze Kraft mußte ich jetzt zusammennehmen, all meinen Stolz und meine Selbstbeherrschung zu Hilfe rufen. So fest biß ich die Zähne in die Lippen, daß ich das warme Blut an meinem Kinn herunterfließen fühlte. Ein rascher Griff mit dem Taschentuch entfernte die verräterischen Tropfen, zu sprechen aber vermochte ich kein einziges Wort.
Mittlerweile versuchte mein Gegenüber, der meine Verwirrung wohl auf übergroße Schüchternheit schieben mochte, mich in freundlicher Weise zu beruhigen – mich, seine künftige Verwandte, der er Lampen und Porzellan geschenkt, die auserwählte Braut und Heldin des Tages! Wie abscheulich, daß gerade jetzt der Gedanke an seine Geschenke mir durch den Kopf fahren mußte! Würde ich nun trotz allem in Weinen ausbrechen?
»Ich stand schon eine gute Viertelstunde lang draußen und lauschte ganz hingerissen Ihrem wundervollen Spiel. Es war ein seltener Genuß für mich, denn ich bin ein begeisterter Musikfreund und habe jetzt so wenig Gelegenheit, gute Musik zu hören. Unter Ihren Fingern spricht und singt, flüstert und weint dieses Instrument hier.«
Ich stammelte irgend etwas Unzusammenhängendes, Unverständliches, das er freundlicherweise als eine Antwort nahm.
»Draußen im Garten schien es mir, als kämen die Töne auf den Strahlen des Mondes herabgeglitten, als seien sie nicht von dieser Erde. Ich wagte nicht einzutreten, da ich den Zauber zu brechen fürchtete ... Sie haben hoffentlich eine gute Überfahrt gehabt?« fragte er verbindlich, da ich nichts erwiderte.
»Ja, das Schiff war ... war überfüllt.« Ich war noch immer fast besinnungslos. Dann ließ ich mich auf den Klavierstuhl niedersinken, und wieder trat eine peinliche Pause ein.
»Wollen Sie mir eine große Gunst erweisen und noch etwas spielen? Nur ein einziges Stück – was Sie selbst am liebsten spielen. Wenn Sie wüßten, was für eine seltene Freude Sie mir damit bereiten, würden Sie mir meine Bitte sicherlich nicht abschlagen.«
Das tat ich denn auch nicht – das Klavier gab mir Halt und Sicherheit. Weit leichter konnte ich es zum Sprechen bewegen als meine eigene Zunge.
»Was Sie selbst am liebsten spielen,« wiederholte er, mit dem Ellbogen sich auf den Flügel lehnend.
Was ich selbst am liebsten spielte! Als ich nach kurzem Zögern die ersten bekannten Akkorde von Beethovens Trauermarsch auf den Tod eines Helden anstimmte, da bemerkte ich die Überraschung auf seinem Gesicht. Aber warum sollte ich dieses Stück nicht wählen, da mein Held doch wahrscheinlich tot war? Mit vollem Gefühl und wunderbarerweise auch fehlerlos spielte ich weiter. Dabei fühlte ich deutlich, daß die Augen meines Zuhörers unverrückt auf meinen Zügen hafteten. Erst nachdem der letzte Ton verhallt war, ließ er den Arm sinken und holte tief Atem.
»Wundervoll! Aber welch seltsame Wahl für eine Braut! ... Ich will nicht hoffen, daß Sie die Ehe als ein Grab der Liebe ansehen, und daß dies Ihre Totenklage war?«
Ohne zu antworten, griff ich nach meinen Armbändern.
»Das ist doch Ihr Bild, nicht wahr?« fragte ich unvermittelt, indem ich auf eine vergrößerte Kopie der in meinem Besitz befindlichen Photographie zeigte, die ich jetzt erst an der Wand bemerkte.
»Ja, mein allerneuestes. Übrigens recht geschmeichelt; es tut mir nur leid, daß ich mich im Strohhut aufnehmen ließ.«
»Warum?«
»Weil mich nun alles im Verdacht der Kahlköpfigkeit hat,« antwortete er schalkhaft. »Kahlköpfige Männer lassen sich nämlich mit Vorliebe mit dem Hut photographieren.«
»Wirklich?« murmelte ich.
»Wie ich sehe, haben Sie keine Lust gehabt, mit auf den Ball zu gehen. Sie erwarteten wohl Walter? Auch mir ging es so.«
»Ich bin so müde,« – ich erhob mich – »daß ich Sie bitten muß, mich zu entschuldigen.«
»Natürlich, selbstverständlich. Ich kam auch nur herein, um Ihnen den Inhalt der Depesche mitzuteilen. Sie sehen wirklich angegriffen aus. Sobald Watty morgen anlangt, will ich ihn schicken ... das soll aber nicht heißen, daß er etwa geschickt zu werden brauchte! Schlafen Sie wohl.«
Es schien mir, als wolle er mir die Hand reichen, ich tat aber, als bemerkte ich es nicht, und verließ mit aller mir zu Gebot stehenden Würde das Zimmer.
Gottlob, ich hatte mich tapfer gehalten! Stolz und Selbstbeherrschung waren mir treu geblieben. Nun durfte ich zusammenbrechen. Tatsächlich erinnere ich mich nicht, wie ich mein Zimmer erreichte, nur so viel weiß ich, daß ich außer den Portieren auch Schiebetüren dort entdeckte, die ich zusammenschob. Nun blies ich die Lampe aus und warf mich in all meinem Spitzen- und Flitterstaat aufs Bett – ein Häufchen jammervollen Elends.
Der Kopf brannte mir, dennoch versuchte ich Ordnung in meine wild tobenden Gedanken, in meine Gefühle und Pläne zu bringen. Wenn Watty mich absichtlich betrogen hatte – so wollte ich ihn trotz all der getroffenen Hochzeitsvorbereitungen nicht heiraten, so wollte ich mich freimachen und lieber eines jener beklagenswerten Geschöpfe werden: ein heimatloses, verlassenes Mädchen in Indien!
*
Stunde um Stunde verrann, und noch immer lag ich wach, obgleich mich die Glieder vor Müdigkeit schmerzten. Allein mein überangestrengtes Hirn arbeitete zu heftig, als daß der Körper hätte Ruhe finden können. Ich hörte den mißtönigen Ruf des Schakals, die Rückkehr der Ballbesucher, das schüchterne Krähen eines jungen Hahns. Endlich verfiel ich in einen unruhigen Schlummer, aus dem mich aber bald wieder das eigenartige Gezwitscher unbekannter Vögel und die zu mir hereindringende kühle Luft des indischen Morgens zum Bewußtsein erweckten.
Und da lag ich noch immer in meinem schönen weißen Kleide auf dem Bett gerade so, wie ich am Abend vorher darauf niedergesunken war. Was hatte dies alles zu bedeuten? War ich krank gewesen? Mühsam, im dumpfen Gefühl von etwas Unangenehmem, Schmerzlichem, suchte ich meine Erinnerungen zu sammeln – bis endlich die ganze schreckliche Wahrheit wieder vor meiner Seele stand.
Plötzlich öffnete sich die Türe und, ein Tuch um den Kopf geschlagen, trat leise die Ajah ein. Mein Anblick versetzte sie in solchen Schrecken, daß sie das Teebrett in ihrer Hand fast hätte zu Boden fallen lassen. Sie faßte sich jedoch rasch wieder und fragte mich in kläglichem, vorwurfsvollem Tone: »Warum Missy mir am Abend nicht gerufen? Missy niemals Kleid ausziehen?«
»Ich bedurfte Ihrer Hilfe nicht,« antwortete ich, indem ich aufstand und mich auf einen Stuhl setzte. »Eine Tasse Tee ist mir jetzt aber sehr willkommen.«
Mit bewunderungswürdiger Gewandtheit verbarg die Ajah ihr Erstaunen. Geschäftig lief sie hin und her und legte alles für den Anzug zurecht, während ich mir eine Tasse Tee eingoß und sie gierig austrank. Der Tee tat mir gut, ebenso ein kaltes Bad, und wunderbar erfrischt, ja, wie neubelebt, kleidete ich mich in aller Eile um. Hierauf schaute ich zwischen den Stäbchen des Rollladens der auf die Veranda führenden Türe ins Freie hinaus. Die Veranda war dicht von gelben Rosen umrankt und mit hübschen Bambusmöbeln und großen in Töpfen stehenden Palmen ausgestattet, zwischen denen zwei reizende Eichhörnchen miteinander Versteck spielten. Dicht davor im Grase hockte ein Gärtner mit dünnen, nackten Beinen, den Kopf in einen schweren Turban eingemummt, und jätete Unkraut aus. Über das dichte Gebüsch her, das den Garten umgab, tönten militärische Hornsignale herüber, denn Bareda war eine große Garnisonstadt.
Lange starrte ich durch die schmalen Ritzen des Bambusladens, und da es draußen still blieb, entschloß ich mich, einen Rundgang durch den Garten zu machen, um mich ungestört meinen Gedanken hingeben zu können. Ich nahm Hut und Pelzboa und stieg die Stufen zu dem Kiesweg hinunter. Der Bungalow war, wie ich jetzt von außen sehen konnte, ein langes, niedriges, weißes, mit hellgelb angestrichenen Säulen geschmücktes Gebäude, das auf dem dunkelgrünen Hintergrund im Verein mit den bunten Blumenbeeten und rötlichen Gartenwegen einen äußerst freundlichen Eindruck machte. Der tadellos gehaltene Garten selbst war nicht groß, so daß ich ihn bald von einem Ende zum andern besichtigt hatte. Aus weißen Steinen gemauerte schmale Wasserkanäle liefen längs der Wege hin, die Grasflächen glichen weichem Samt, und wie zur Parade aufgestellte Soldaten, so kerzengerade und gleichmäßig zugestutzt, standen die Rosenbäume da. Welcher Unterschied zwischen dem großen, von einer alten Backsteinmauer umgebenen Garten zu Beverly, den ich zuletzt in trübem Spätherbstgewande mit entlaubten Bäumen und verödeten Gewächshäusern gesehen hatte, und diesem wohlgepflegten indischen Garten, der im üppigsten Blumenschmuck prangte!
Zwei offenstehende hölzerne Gittertore führten auf die Straße. Jenseits derselben breitete sich eine weite Ebene aus, auf der ich in einiger Entfernung Infanterie und Artillerie ihre Übungen abhalten sah. Rings um diesen großen Platz lagen in unregelmäßigen Zwischenräumen eine Menge Bungalows, und aus den Baumkronen ragte ein Kirchturm hervor. Eine große Anzahl Europäer ritten und fuhren über den Platz, Eingeborene trieben Ziegenherden vorüber, magere kleine Esel strauchelten unter der Last riesiger Bündel, von der Stadt kamen scharenweise schwatzende Soldatenweiber, wahrscheinlich vom Markte her, und dazwischen schritten lange Reihen von Kamelen stolz einher.
Ich wanderte selbst auf den großen, von üppigen Bäumen beschatteten Wiesengrund hinaus, wo niemand mich beachtete. Mit Gewalt suchte ich mir einen Entschluß abzuringen. Was würde der heutige Tag mir bringen? Vor allem Watty. Und mit ihm die Enttäuschung. Und danach? Hochzeit, Elend, Selbstverachtung! Zog ich mich aber noch in der letzten Stunde zurück, so mußte ich mich auf viele Unannehmlichkeiten, auf Hohn und Spott und eine heimatlose Zukunft gefaßt machen. Ich gab mir alle Mühe, kühl, verstandesmäßig beide Seiten dieser schwierigen Lage zu erwägen. Als jedoch eine der städtischen »Gurras« neun Uhr schlug, war der Entschluß, unverzüglich mit Tizzie zu sprechen, in mir zur Reife gelangt. Alle andern Pläne jagten sich noch unbestimmt in meinem Gehirn.
In der Nähe des Bungalows angelangt, sah ich einen Herrn auf einem der Wege herabreiten, während ich auf einem andern hinaufging. Auch er bemerkte mich und zog grüßend den großen Hut. Nun erst erkannte ich Maxwell Thorold. Das war ein früher Besucher!
Als ich das Eßzimmer betrat, saßen Oberst Hassall und seine Gattin bereits beim Frühstück. Letztere sah wohl und munter, wenn auch bei dem Tageslicht ziemlich verblüht aus. Ein ganzer Stoß Briefe lag neben ihrem Teller aufgestapelt.
»Ah, hier sind Sie ja!« rief sie, die Zuckerzange in der Hand. »Ich fing schon an zu fürchten, Sie seien am Ende davongelaufen. Nun sind Sie gewiß recht hungrig nach Ihrem Spaziergang?«
»Ich glaube auch,« antwortete ich, mich setzend.
»Nun, Miß Ferrars, haben Sie gut geschlafen?« fragte Oberst Hassall. »Hoffentlich haben Sie sich von den Strapazen der Reise erholt und neue Kräfte gesammelt für den heutigen, ereignisreichen Tag?« fügte er, mich mit schalkhaftem Lächeln ansehend, hinzu. Seine redselige Gattin aber nahm mir die Antwort von den Lippen, indem sie ausrief: »Ich finde, sie sieht aus, als habe sie statt meiner die Nacht durchwacht.«
»Ich bin aber vollständig ausgeruht,« entgegnete ich, bemüht, die Aufmerksamkeit von meinem Aussehen abzulenken. »Haben Sie sich auf dem Ball gut unterhalten, Mrs. Hassall?«
»Nicht Mrs. Hassall: Tizzie!« verbesserte sie mich. »Ja, ich habe mich königlich amüsiert. Um drei Uhr kamen wir erst nach Hause, und wenn ich nicht so entsetzlich viel zu tun hätte, würden Sie mich jetzt nicht schon hier sehen. Dies da,« fuhr sie, auf die Briefe zeigend, fort, »sind lauter zusagende Antworten auf meine Einladung zur Hochzeit. Nun muß aber vor allem das Hochzeitskleid ausgepackt werden. Doch hoffentlich weißer Atlas?«
»Ja, aber sonst sehr einfach,« antwortete ich kleinlaut.
»Sobald ich dem Hausmeister meine Befehle gegeben und einige Briefe geschrieben habe, wollen wir es uns ansehen. Ihre Brautjungfern kommen nämlich zum Gabelfrühstück zu mir, und nachher soll hier Kleiderprobe stattfinden. Die Mädchen müssen alle ganz gleich gekleidet sein, und ich will sehen, ob alles in Ordnung ist. Wenn ich einmal etwas in die Hand nehme, wird es auch ordentlich gemacht; ich tue niemals etwas halb.«
»Was sagen Sie zu dieser Tatkraft?« rief der Gatte bewundernd. »Nun ist sie in ihrem Element! Ihr geht nichts über einen lebhaften Umtrieb, und nun hat sie zur Abwechslung auch noch gar eine Hochzeit!«
»Kommen Sie, Pamela!« sagte sie aufstehend und ihre Briefe zusammenraffend. »Wenn Sie mit dem Frühstück fertig sind, wollen wir uns auf den Weg machen.«
Rasch erhob ich mich und folgte ihr mit ängstlich klopfendem Herzen in den Salon.
»Ich habe etwas mit Ihnen zu reden,« begann ich mit zitternder Stimme.
»Nun, das freut mich, meine Liebe, denn ich dachte schon, Sie hätten die Sprache verloren. Was gibt es? Sprechen Sie rasch! Sie wissen ja, wie sehr meine Zeit in Anspruch genommen ist.«
»Entschuldigen Sie mich einen Augenblick, ich werde sogleich zurück sein.«
Ich eilte in mein neben dem Salon liegendes Zimmer, um nach wenigen Minuten etwas außer Atem mit dem meiner Reisetasche entnommenen Lederrahmen zurückzukehren.
»Darüber wollte ich mit Ihnen reden,« sagte ich, ihr das Bild reichend.
»Das ist ja Maxwells neueste Photographie! Wie kommt denn die in ihren Besitz?« fragte sie in schneidend scharfem Tone.
Noch ehe ich antworten konnte, hatte sie das Bild von neuem aufgenommen und die Widmung in der Ecke gelesen.
»Walter seiner lieben Pam,« las sie laut. »Walter seiner lieben Pam?« wiederholte sie, das Bild niederlegend. Dann sah sie mich mit ihren scharfen, kleinen Augen prüfend an und murmelte fast unhörbar: »Was soll das heißen?«
»Walter schickte mir dieses Bild als seine Photographie,« erwiderte ich nachdrücklich.
»So sind Sie also mit dem Gedanken hierhergekommen, diesen Mann da zu heiraten?« fragte sie, auf das Bild deutend.
Ich antwortete nicht, allein Schweigen war so viel wie Zustimmung.
»Aber, ich bitte Sie, mein liebes Kind,« fuhr sie erregt fort, »da muß doch irgend ein abscheuliches Mißverständnis obwalten! Es ist ja doch unmöglich, daß Watty Ihnen dieses Bild als sein eigenes geschickt hat!«
»So sehen Sie doch nur die beiden Namen an, die darauf geschrieben sind,« entgegnete ich mit eisiger Ruhe. »Auch die Schrift kann Ihnen nicht fremd sein.«
Mein Mut mußte unzweifelhaft mit den Umständen gewachsen sein, denn meine Stimme klang so ruhig, als spräche ich von den Angelegenheiten einer Fremden.
»Dann scheint es fast,« erklärte Mrs. Hassall nach einer langen Pause, »als habe er seinen Scherz mit Ihnen getrieben. Ich begreife die Geschichte nicht, jedenfalls aber wird sich die Sache aufklären, sobald er kommt. In weniger als einer Stunde muß er hier sein,« fügte sie mit einem Blick auf die Kaminuhr hinzu.
Dann rief sie, wie von einem plötzlichen Gedanken durchzuckt: »Wer hat Sie denn aber aufgeklärt? Woher wissen Sie, daß dies nicht Watty ist?«
»Ich sah das Original gestern abend, nachdem Sie fortgegangen waren. Er brachte eine Depesche.«
»Ja, ja. Und diesen Morgen war er auch schon wieder hier – nun verstehe ich. Er sagte, er habe Sie spielen hören, und daß Sie der heiligen Cäcilia Konkurrenz machten, worauf ich ihn fragte, was er von Ihnen halte. Soll ich Ihnen sagen, was er mir antwortete?«
»Nein, nein! Ich will nicht wissen, was die Leute von mir denken.«
»Du meine Güte, wie albern! Mir macht es gerade Spaß, zu erfahren, was die Leute von mir sagen, aber freilich, wir beide sind eben auch grundverschieden. Für meinen Geschmack kann ein Mädchen nicht dunkel genug sein, Max jedoch erzählte mir heute früh, er habe Sie gestern abend für eine Erscheinung aus einer höheren Welt gehalten, als Sie groß, blond, weiß gekleidet, schweigend und mit den Augen eines schüchternen Rehes in den Lichtkreis der Lampen getreten seien. Nach dem, was Sie mir vorhin sagten, kann ich jetzt natürlich recht wohl begreifen, daß Maxwells unerwarteter Besuch Ihnen einen tüchtigen Schrecken eingejagt hat. Im übrigen hätte er besser daran getan, zu Hause zu bleiben, als sich hier herumzutreiben.«
»Jedenfalls wählt er etwas eigentümliche Stunden für seine Besuche. Zehn Uhr abends und vor neun Uhr morgens.«
»Oh, damit nimmt man es in Indien nicht so genau; daran werden auch Sie sich bald gewöhnen. Allein es wäre mir doch lieber, Sie hätten Watty zuerst gesehen, dann wäre auch die Geschichte mit der Photographie von keiner Bedeutung. Ich bin wirklich recht böse auf Watty; das heißt doch den Scherz zu weit treiben!«
»Einen Scherz nennen Sie das?« rief ich empört.
»Natürlich, was denn sonst?« sagte sie, sich erhebend. »Ich muß jetzt mit dem Hausmeister reden, und wenn Sie mir bitte Ihre Schlüssel geben wollen, dann werde ich der Ajah sagen, daß sie sofort nachsieht, was an Ihrem Hochzeitskleid unter Umständen noch in stand gesetzt werden muß.«
Ich zögerte einen Augenblick, dann händigte ich ihr aber doch die Schlüssel ein. Ich verpflichtete mich dadurch ja zu nichts.
»Welch entsetzlich ernstes Gesicht machen Sie aber für eine Braut!« sagte sie plötzlich und streichelte mir mit ihren mageren Fingern die Wange. »Seien Sie doch heiter und guten Mutes: Sie sehen ja wie ein Gespenst aus.«
Vergeblich suchte ich nach einigen Worten, allein mir war das Weinen näher als das Lachen.
»Möchten Sie Watty lieber allein empfangen, wenn er kommt?«
»Ja, bitte, das wird am besten sein.«
»Nun, ich hoffe, Sie werden mit dem Ärmsten nicht gar zu streng ins Gericht gehen, nicht wahr?« Ihr einschmeichelndes Lächeln milderte jedoch den harten Ausdruck ihrer Augen nicht. »Wenn Sie sich nur kein zu vollkommenes Bild von ihm gemacht haben! Der arme Watty ist leider ein etwas schwacher, aber überaus gutmütiger und leicht zu lenkender Mensch, und er hat die besten Vorsätze gefaßt. Eine Frau, wie Sie, ist gerade das, was er braucht, und wert, mit Gold aufgewogen zu werden.«
Mit dieser übertriebenen Schmeichelei verließ sie mich.