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(1870)
Der Herr Lieutenant von Baumhart im königlichen ersten bayerischen Lagerbataillon zu München und sein Bursche, der Gürtler-Franz von der Fraueninsel im Chiemsee, waren – sozusagen – gute Freunde. Das will heißen: als der Herr Lieutenant noch ein Bub' war wie ein andrer auch, hatten seine Eltern Jahr um Jahr viele Wochen der herbstlichen Freizeit auf jenem poesievollen Lindeneiland verbracht und der junge Herr hatte beim Fischen – mit der Grundangel auf der »Hachel« – und bei nicht immer ganz jagdpolizeilichem Jagen auf Stockenten am »Ganszipfel« jeden Herbst den Gürtler-Franzl als besten Gehilfen, Genossen, Mitschuldigen und so denn als Freund gewonnen und erprobt.
Wie lustig war's, nach erfolgreichem Fischfang mit dem Senknetz, sich vom Ostwind heimtreiben zu lassen an das Ufer beim Gürtlerhäusel, das, von Kletterrosen und anderm Gerank anmutig umhegt, von den aus dem See gefischten steinernen Bildsäulen des heiligen Petrus und Paulus bewacht wird: – wie es Freund Scheffel so reizvoll beschrieben hat.
Aber auch ernstere Erlebnisse verbanden die beiden Heranwachsenden. Als der Franzi sich beim Besteigen des Hochfelln beinahe »derfalln« hätte, sprang der junge Theodor rasch bei, warf sich auf die Erde, reichte beide Arme hinab und zog ihn heraus mit äußerster Gefahr, von dem Schwereren hinabgerissen zu werden. Und als im nächsten Jahr der rasende Südwest den Einbaum der beiden Knaben in das Geklipp von Chieming trieb und der Herr Theodor, da sein Ruder brach, kopfüber in den weißgrün schäumenden Gischt hinausstürzte, da warf sich der Franzi ohne Besinnen nach in die tobende Flut, haschte den Versinkenden und half ihm wieder in den Kahn. So waren sie quitt, vorläufig.
Allmählich waren nun aus den Buben junge Leute geworden: aber die alte Freundschaft blieb unverändert und auch als der Franzl in die Kompagnie des Herrn Lieutenants eintrat, seine drei Jahre abzudienen, dauerte unter den nun durch Stellung wie durch Bildung so scharf Getrennten doch eine Art von Kameradschaft fort: – wenigstens unter vier Augen; mußte auch der Offizier, wahrlich nicht aus Hochmut, nur um der Disziplin willen, streng darauf sehen, daß in Gegenwart Dritter jedes Zeichen solcher Vertraulichkeit unterblieb.
Dem guten Franzl ward es freilich nie ganz klar, weshalb der »Thedi«, der, wann sie allein waren, selbstverständlich ihn duzte und sich duzen ließ, so zornig ward, falls sein Bursche dies auch in Gegenwart anderer Offiziere oder Soldaten fortsetzte; und noch ärger war ihm, daß der Thedi dann auch ihn mit »Sie« anredete; oft drehte er sich hierbei um und sah, wer denn eigentlich damit gemeint sei, Auch das »Zu Befehl, Herr Lieutenant« statt des altgewohnten »Ja, ja, da feit si nix« ging ihm schwer ein, dem Franzl. Und noch manch andere chiemgauische Redewendung kam ihm nicht aus der Übung.
Eines Abends hatte der Herr Lieutenant seine beste Uniform angezogen und sich sorgfältig vor dem Spiegel das braune Haar gescheitelt. Der Franzl stand dabei, machte ein verschmitztes Gesicht und reichte ihm nun den Säbel zum Umschnallen.
»Bhüt dich Gott, Franzl. Und wenn jemand nach mir fragt, so sag nur, ich sei bei . . .«
»Dem Herrn General von Hanberg und Familie.«
»Woher weißt du das?« fragte der Offizier verwundert.
»A mei, Thedi! Dumm bin i scho. Aber so dumm, daß i dös nit mirk, so dumm san mer do nit auf der Insel.«
»Wieso? Was moanst? . . . was willst du damit sagen?« verbesserte sich der Lieutenant, ein wenig rot im Gesicht.
»Geh, g'stell di do nit so, Herr Leitnampt. Schau, alleweil, bal's di gar so schö scheitelst, nacher gehst zu den saubern Generalstöchterl mit de schena blau'n Augn und die gelben Haar. Is a schön's Dirndl. G'wiß is wahr. Und bal's zu der gehst, nacha bhüat di Gott auf die längere Zeit!«
Jetzt sehr erhitzt im Gesicht, fuhr der Herr den Burschen an: »Franz, du sakrischer Kerl, i sag dir, ich rate Ihnen, daß Sie sich wie viele andre unpassende Reden auch dies verfluchte ›bhüat Gott auf die längere Zeit‹ abgewöhnen. Es ist das höchst unpassend für Sie und mir gegenüber.«
»A mei, Herr Thedi. Das d'jetzt a so sagst! Es hört's ja koa Mensch da! Und auf der Hachel hamm mer . . .«
»Wir sind nicht auf der Hachel! Und schau, Franzl,« schloß er gutherzig, »wenn du dir's nicht abgewöhnst, wann wir allein sind, kannst du's auch vor andern nicht lassen. Und das geht doch nicht. Sixt es denn gar nit ein?«
»Ja, ja, dös sich i scho. Da feit si nix . . .«
»›Zu Befehl‹, mußt du sagen. Erst neulich hat's der Herr Hauptmann gehört, wie du du zu mir gesagt hast, und hat mich gescholten, daß ich's leide, und dir Arrest gedroht. Also nimm dich zusammen!«
»Ja, ja, is ja recht. Feit si . . . Zu Befehl, Herr Leitnampt.«
Lange waren die drei Dienstjahre des Franzl um. Er hatte geraume Zeit auf der Insel dem Vater geholfen beim Fischen, ja zuletzt dem alten Mann, dem die Gicht in den Beinen und in den Händen stak, die Arbeit ganz abgenommen: die im See und die zu Land in der Feldwies, wo das Gürtlerhaus ein paar saure Wiesen besaß.
Aber soviel Zeit ließ Fischen und Mähen dem Franzl doch, daß er gar oft am Abend in das Metzgerhäusl in Hoamgarten ging und dort am Herdfeuer seine alten Netze stickte, während die nußbraune Metzger-Nanni neben der alten Basen am Spinnrocken saß.
Und wenn die Waben manchmal in die Kuchl ging, nach der magern Brennsuppen für das Nachtmahl zu sehen, und wieder hereinkam, dann war es sonderbar, daß weder der Flachswocken am Spinnrad kleiner, noch das Loch im Senknetz schmaler geworden war: wohl aber hatte die Nanndl einen Kopf so rot wie die Nelke hinter ihrem Ohr.
Aber einmal an einem schwülen Julinachmittag kam der Franzl zu ganz ungewohnter Stunde an das Metzger-Haus gelaufen und schrie laut – gegen seine sonstige Weise: – »Nanndl! Waben! Metzger! Gschwind geht's außi. Gschwind!«
Und als die drei Gerufenen hastig und erschrocken auf der Steintreppe, die zur Hausthür hinanführt, erschienen, sprang der Bub', seinen Stock und sein Packl, das er zusammengeschnürt hatte, fallen lassend, die Stufen alle mit Einem Satz hinan, packte die Nanndl mit beiden Händen an beiden Wangen und küßte sie dreimal rasch nacheinander auf den Mund: – zum sprachlosen Erstaunen ihres Vaters, und allerdings zu geringerem der Waben.
»Ja, Franzi, hat di der Teifi?« grollte der Alte.
»Wird scho so sein, Metzger. Krieg is, der Napoleon, der Sakraschwanz, hat angfangt. Eingrufn sam mer alle samm. Alls muaß fort, aus Mincka. Das Dampfschiff . . . hörst es? Da pfeift's scho. Woaß Gott, i muaß lafn. Aber – i hab's do der Nanndl sagen müassen. Und dir a, Metzger, bal i g'sund hoam kimm, na wirt glei gheirat. Jetzt, Nanndl, bhüat di Gott auf die längere Zeit!«
.
Auf dem Bahnhof zu München war alles voll von Soldaten; auch Civilisten drängten heran, soweit es die rings aufgestellten Posten verstatteten, die Einschiffung des Regiments mit anzusehen, scheidenden Freunden noch einmal die Hand zu drücken: – manchem wohl zum letztenmal.
Mit frohem Mut, mit lautem Hurra sprangen die letzten Schützen in die Wagen, die sich nach grellem langen Pfiff der Lokomotive schon langsam in Bewegung setzten: die Zurückbleibenden schwenkten die Tücher: die Soldaten winkten mit den Händen aus den offenen Wagenfenstern: endlich rollte der gewaltige Zug davon.
»No,« rief da ziemlich wehmütig der Franzi, »jetzt, Minckaner Stadt, – jetzt bhüat di Gott auf die längere . . .«
»Wollen Sie wohl das dumme Gerede lassen, Gefreiter,« grollte die barsche Stimme des Hauptmanns. »Sie machen ja die Leute abergläubisch. Maul halten!«
»Siehst du, Franzi,« mahnte der Lieutenant. »Ich hab' dir's immer gesagt. Jetzt versprich mir, daß du das Wort nicht mehr brauchst. Versprich's. Gieb mer d' Hand drauf!«
»No, meintwegen, da feit si . . . zu Befehl, Herr Leitnampt.«
Sechs Wochen später war's – am 1. September. Heiß tobte der Häuserkampf in Bazeilles.
Zum drittenmal besetzten die Ersten Jäger das Eckhaus gegenüber der Kirche: zweimal hatten sie's schon genommen, zweimal wieder räumen müssen, um nicht von der mit Übermacht vorstoßenden Infanterie des Generals von Wimpfen, der hier seinen letzten Durchbruchsversuch machte und die Bayern in die Maas werfen wollte, abgeschnitten und gefangen zu werden.
Jetzt – es war mittags 11 Uhr – brachen die stark gelichteten blauen Scharen wieder von dem Garten der Villa Beurmann vor, auf den offenen Platz vor der Kirche: sie stürzten in das blitzende und donnernde Verderben hinein: der dunkle Qualm des brennenden Hauses, der hellweiße des Pulvers wogten durcheinander, man sah oft nicht zwei Schritt weit.
Krachend schlugen der Franzl und ein anderer Jäger die Thür des Eckhauses mit den Kolben ein, an ihnen vorüber sprang der Lieutenant mit geschwungenem Säbel als der erste über die Schwelle: kein französischer Soldat war in dem Hausgang sichtbar; nur zwei Civilisten, der eine im schwarzen Rock, der andere in der blauen Bluse standen links und rechts in den Thüren der beiden Vorderzimmer des Erdgeschosses.
»Pardon, Herr Offizier,« riefen beide in ihrer Landessprache. »Harmlose Bürger und ohne Waffen. Es ist nicht ein französischer Soldat in dem Hause.«
Aber im selben Augenblick fiel von oben, von der Treppenbiegung her, ein Schuß: die blaue Uniform eines Marinesoldaten ward sichtbar da oben.
Der Lieutenant wandte den Civilisten den Rücken und sprang eine Stufe hinan. »Ergebt euch da oben!« rief er, »Das Haus ist genommen.«
Er beugte sich vor, die unverständliche Antwort, die herunter scholl, deutlicher zu vernehmen.
Da holte der Blusenmann leise aus der Brustfalte eine Pistole und hielt sie dicht hinter den Kopf des Offiziers.
»Schaug auf, Thedi!« schrie der Franzl, sprang vor und stieß dem Blaukittel das Bajonett in die Brust.
Aber im selben Augenblick schoß der andere Civilist aus einem verborgen gehaltenen Revolver dem Franzl in die Schläfe . . . Der Lieutenant stach den Meuchler nieder; dann kniete er neben Franzl, während die Jäger die Treppe hinaufstürmten und dort die Soldaten gefangen nahmen.
»Franzl,« rief der Offizier, »Franzl! Wo – wo bist du verwundet?«
»Da,« – sprach der Sterbende – auf den Kopf deutend. »Es is aus! – Bals d' hoam kimmst, grüß die Nanndl – im – Metzgerhaus – und jetzt – bhüat Gott auf die längere Zeit!«