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Siebzehntes Kapitel.
Gallien und Spanien bis zu Eurichs Tod

Thorismund, der Held der Völkerschlacht, muß nach seiner Heimkehr neben dem Siegesstolze zugleich Groll gegen Aëtius in sich getragen haben, weil ihn derselbe vielleicht durch die vorzeitige Rücksendung um seinen Anteil an der Beute gebracht, die Attila nicht vollständig hinwegzuführen vermocht hatte.

Jedenfalls ersehen wir aus Sidonius Apollinaris (VII, ep. 12), daß Thorismund sich Arles näherte, als ihn der Expräfekt Galliens, Ferreolus, zum friedlichen Rückzuge bewog. Nach den Exzerpten aus Fredigar, p. 702 (709) in Gregor von Tours, ward eine 500 Pfund schwere, mit kostbaren Edelsteinen besetzte goldne Schüssel, welche der Römer dem Goten schenkte, das Versöhnungspfand. Der betreffende Abschnitt aus Fredigars Excerpten enthält so viel Unwahres und Verworrenes, daß er freilich kein Vertrauen einflößt. Gerade obige Tatsache wird aber in Kap. 73 dessen ausführlicher Chronik von 584 bis 641 unterm Jahre 630 gelegentlich und zwar mit solcher Spezialität wiederholt, daß man ihr den Glauben unmöglich versagen kann. (Vergl. Dahn, Könige V, S. 188.)

Bald darauf aber, im Jahre 453, nach Jordanis erst 454 (tertio anno regni, was wir für minder richtig halten), ward der tapfere Mann von seinen Brüdern, Theoderich und Friedrich, ermordet. (Prosper Aquitanus.) Vergl. Clinton, Fasti Romani z. J. 452, wobei jedoch dieser Forscher von sonst so seltener Gründlichkeit grade das wichtigste Zeugnis, das des Prosper Aquitanus, übersehen hat.

Ob dies, wie Prosper Aquitanus sagt und Jordanis gewissermaßen zu bestätigen scheint, seiner feindlichen Gesinnung gegen Rom oder seines Hochmuts halber (nach Isidor, Chronik der Goten) geschah, wobei vielleicht ersteres nur Vorwand, letzteres das eigentliche Motiv war, lassen wir dahingestellt. Vergl. Dahn, Könige V, S. 82.

Der ältere der Brüder (Jordanis, Kap. 36, S. 134) bestieg als Theoderich II. den Thron, ein unzweifelhaft bedeutender Mann.

Er war es, der Avitus auf den Thron erhob; er allein aber hätte ihn auch darauf erhalten können, wenn nicht seine Kraft, wie wir sogleich sehen werden, durch den Krieg in Spanien gelähmt worden wäre.

In diesem Lande herrschte damals über die Sueben sein Schwager, der kriegs- und raubdürstige Rekiar.

Dieser fiel, unerachtet im Frieden des Jahres 452 das Gebiet von Carthagena an Rom zurückgegeben worden war, raubfahrend wieder in dasselbe ein. Es war ein furchtbarer Grundsatz der das Völkerrecht in der Regel sonst achtenden Barbaren, daß (wenn es ihnen diensam schien D.) ihnen alle Friedensverträge nur als persönlich mit dem jeweiligen Herrscher geschlossen galten.

Solches Verfahren gegen seinen Schützling Avitus zu dulden war Theoderich nicht gemeint. Er sowohl als letzterer selbst fordern durch denselben Comes Fronto, der jenen Frieden des Jahres 451/52 abgeschlossen hatte, den Angreifer zum Abstehen auf. Rekiar schickt aber die Sendboten zurück und plündert weiter. Darauf neue Gesandtschaft des Goten und neue Raubfahrt des Sueben, ja letzterer soll sogar seinem Schwäher, nach Jordanis, Kap. 44, hochfahrend erwidert haben: »Wenn Du mich hier störst, werde ich selbst zu Dir nach Toulouse kommen, und dort, wenn Du es vermagst, widerstehe nur.«

Das war doch zuviel. Theoderich rückte mit starker Macht in Spanien ein, wozu der Burgunderkönig Gundiok und Hilperik, dessen Sohn (Gregor von Tours I, 28) Siehe Binding, das burgundisch-romanische Königreich I, 1868, S. 306., sich ihm anschlossen. Bis in Asturiens Berge muß der Prahler vor ihm zurückgewichen sein: denn dort erst kam es zweieinhalb Meilen von Astorga am Urbicus den 5. Oktober 456 zur Schlacht, in welcher die Sueben auf das Haupt geschlagen wurden. Rekiar entfloh an die galläcische Küste, ward aber bei Portucale (vermutlich Kap Ortegal bei Ferrol), nachdem ihn, wie Jordanis sagt, ein Sturm an das Land zurückgeworfen, gefangen und (Oktober oder Dezember) getötet. (Idatius, Avitus 1 u. 2 und Jordanis, Kap. 44.)

Das Suebenreich schien vernichtet, lebte aber, wie wir sehen werden, wieder auf und erhielt sich neben den Westgoten noch bis zum Ende des sechsten Jahrhunderts.

Theoderich setzte einen seiner Gefolgen (? D.), Agriwulf oder Aiulf, einen Varner, als Herrscher über die Sueben ein. Dieser, von einem Teil der Sueben zur Erhebung gegen die gotische Oberherrschaft gezwungen, ward von Theoderichs Heer gefangen und getötet. Dahn, Könige VI, S. 564. So berichtet Jordanis Kap. 44, während Idatius nur dessen im Jahre 457 zu Portucale erfolgten Tod, ohne Angabe der Art desselben, anführt.

Während dieses gedachten Krieges war der Kaiser Avitus, Theoderichs Freund, im September 456 gestürzt worden. Sei es, daß hierdurch das Wohlwollen Theoderichs für Rom erloschen, oder daß derselbe seines Heeres selbst nicht Meister war oder daß vielleicht auch Reste des aufgelösten suebischen sich plündernd umhertrieben – jedenfalls ward die römische Bevölkerung des nordwestlichen Spaniens durch Raub und Verheerung arg heimgesucht. Zuerst traf dies die Gegend von Braga: später wollte der König selbst sich der Hauptstadt Merida in feindlicher Absicht bemächtigen, ward aber, nach Idatius Avit. 2, durch die Wunder der heiligen Märtyrerin Eulalia davon abgeschreckt.

Ende März 457, vermutlich auf die Kunde der bevorstehenden Thronbesteigung Majorians (April), verließ Theoderich II. Spanien, sandte aber einen starken Heerhaufen allerlei Volkes nach Galläcien und Asturien, der furchtbar hausend nicht nur das platte Land, sondern die Städte Astorga und Valencia ausraubte und in Asche legte, eine große Menge Bewohner aber, darunter selbst zwei Bischöfe mit ihrem Klerus, in Knechtschaft fortschleppte. (Idatius, Major. 1.)

Auch von der See her hatten die Unglücklichen keine Ruhe, da herulische Piraten im Jahre 455/6 zuerst unfern Lugo in Galläcien einfielen und, von da zurückgeschlagen, auf dem Heimwege noch die Küste von Santander und Biskaya plünderten. Dasselbe wiederholte sich im Jahre 460, wo zunächst wiederum Galläcien von jenen Piraten heimgesucht, deren Raubzug aber bis Bätica fortgesetzt ward. (Idat. Avit. 3 u. Major. 3.)

Diese westlichen Heruler kamen unstreitig von der kimbrischen Halbinsel: sie beuteten die Küsten der Nordsee wie die Vandalen die des Mittelmeeres als Gebiet ihres Seeraubes aus.

Zu den äußern Drangsalen gesellten sich noch innere. Nach Agriwulfs Absetzung ward den Sueben zwar von Theoderich die Wahl eines eignen Herrschers wieder gestattet: das Volk aber parteite sich, da ein Teil desselben den Maldra, ein andrer den Franta erhob, die wir für Brüder halten möchten S. aber dagegen Dahn, Könige VI, S. 564 f., wo diese suebischen Wirren (nach Möglichkeit) einigermaßen gelöst sind., da letzterer nicht wieder erwähnt wird, nachdem Idatius i. J. Major. 3 (460) berichtet, daß Maldra seinen Bruder ermordet habe. Den Mörder aber traf schon im Jahre 461 – wir erfahren nicht durch wen – die Vergeltung, worauf sich ein gewisser Frumari erhebt, dem wieder ein Rechimund (vielmehr Remismund D.) entgegentritt, welcher letztere endlich im zweiten Jahre Severs (463) nach Frumaris Tode die Alleinherrschaft über das Suebenvolk erlangt und behauptet, sich auch durch Verbindung mit einer ihm von Theoderich gesandten, wohl diesem verwandten, Gemahlin darin befestigt. (Idatius v. J. Major. 1 bis Sev. 2.)

In diese sieben Jahre blutiger innerer Kämpfe fallen zahlreiche sonstige Ereignisse, die Idatius speziell, aber unzusammenhängend berichtet. Fortwährendes Hin- und Herreisen der Gesandtschaften; gotische Heere ziehen vor dem Frieden mit Majorian nach Bätica, später wieder gegen die Sueben nach Galläcien; die unglücklichen Römer im Lande werden, besonders in letzterer Provinz, bald von diesem, bald von jenem Suebenfürsten mit Raub und Mord heimgesucht, wobei unter andern auch unser Idatius am 25. Juli 461 (vielmehr 460 D.) von Frumari gefangen abgeführt, schon im November aber wieder in seinen Sitz Aquae Flaviae (Chiaves bei Braga) entlassen wurde.

In dem Frieden mit Majorian ward unstreitig Bätica, wahrscheinlich auch Lusitanien, größtenteils wenigstens, den Römern wieder überlassen, so daß im Wesentlichen nur Galläcien und Asturien Asturien umfaßte damals freilich zugleich das heutige Königreich Leon., und auch dies wohl zum Teil mit Ausnahme der festen Plätze, in den Händen der Sueben blieb.

In Gallien war inzwischen nach Majorians Tod der oben berichtete Wandel der Verhältnisse eingetreten, da der tapfere Aegidius Severs und Rikimers Herrschaft nicht anerkannte, Theoderich daher vom Kaiser selbst zum Angriff gegen den aufständischen Beamten aufgefordert wurde. Gegen diesen aber vermochte er wenig, scheint sogar außer der Einnahme des wichtigen Narbonne, das ihm noch vor Beginn des Krieges durch Verrat in die Hände gespielt wurde, vor des Aegidius Tod im Jahre 464 (vielmehr 463 D.) keine Eroberung gemacht zu haben. Erst nach der Befreiung von seinem starken Gegner rückte er in das Gebiet ein, welches Aegidius für Rom behauptet hatte. (Idat. Sever. 3.)

Doch kann er dieses, abgesehen von dem gewiß gar nicht einmal betretenen nördlichen, damals weder vollständig eingenommen noch als gotische Eroberung betrachtet haben, da er ja gewissermaßen für Sever wider Aegidius gekriegt hatte.

Durch Brudermord hatte sich Theoderich II. auf den Thron geschwungen: durch Brudermord ward er von Eurich im Jahre 466 Clinton, Fasti Rom. vermutet, dies sei schon Ende 465 geschehen, wofür wir in den Quellen keinen Grund finden können. Marius setzt dessen Tod sogar erst in das Jahr 467. S. Dahn, Könige V, S. 88. herabgestoßen. (Idatius, Isidor v. Sev., Jordanis, Kap. 44/5 u. Vict. Tun.)

Höchst anziehend ist des Sidonius Apollinaris Schilderung des ihm schon seines Schwiegervaters Avitus halber persönlich wohlwollenden und vertrauten Königs (1. I, ep. 2). Derselbe sagt: von Gott und der Natur mit Glücksgaben reichlich ausgestattet sei dessen Charakter der Art gewesen, daß selbst Mißgunst gegen die Regierung die Anerkennung seiner Vorzüge nicht zu schmälern vermocht habe.

Hierauf beschreibt er die mehr wohlgebildete als heroische Gestalt und sodann die Lebensweise Theoderichs. »Vor Tagesanbruch begibt sich der König zu seinen zahlreichen Geistlichen und wohnt dem Gottesdienste mit großer Devotion bei, obwohl, im engsten Vertrauen gesagt, mehr aus Gewohnheit, als aus wahrer Frömmigkeit. Den Rest des Morgens widmet er den Regierungsgeschäften, wobei das Waffengefolge, bis auf den Waffenträger, vor der Tür bleibt. Da werden die fremden Gesandten eingelassen, die er meist nur anhört, wenig erwidernd. Ist etwas zu verhandeln, so verzögert er; etwas auszuführen, so beschleunigt er.

Um acht Uhr steht er vom Thron auf und geht entweder in die Schatzkammer oder in den Stall der Rosse.

Darauf reitet er, wenn es ein Jagdtag ist, auf die Jagd. Den Bogen trägt er nicht selbst. Zeigt sich ein Vogel oder Tier, so reicht ihm der Knecht den Bogen ungespannt. Was er erlegen will, bezeichnet er, was er bezeichnet hat, trifft er. Wenn er einmal fehlt, so liegt es mehr an der richtigen Erkenntnis des Gegenstandes als am Ungeschick des Schützen. (! D.)

Seine Tafel ist an Werktagen die eines Privatmanns, wobei die Unterhaltung die Hauptsache ist, weil nur Ernstes oder gar nicht gesprochen wird. Kein gewaltiges Aufschüsseln; das Geschirr glänzend, aber nicht von Gewicht; die Speisen wohl zubereitet, aber nicht kostbar.

Getrunken wird so mäßig, daß man eher über Durst als über Berauschung klagen könnte.

Da vereint sich griechische Eleganz mit gallischer Fülle und italienischer Leichtigkeit.

Von dem Luxus an Sonn- und Festtagen schweige ich, weil dies jeder kennt.

Nach der Tafel schläft der König oft gar nicht, immer wenig. Darauf wird zu den Würfeln gegriffen, wobei er aufmerksam, heiter und geduldig ist, ohne jegliche Aufwallung von Freude im Glück, von Ärger im Unglück.

Er treibt das Spiel fast wie den Krieg; zu siegen ist sein Bestreben, wobei die königliche Gravität bei Seite gesetzt wird. Die heitere Laune befördert sogar zuweilen den günstigen Erfolg der wichtigsten Geschäftsangelegenheiten, namentlich bei Petitionen, wie ich dies z. B., wenn ich im Spiele geschlagen wurde, zum Teil selbst erlebt habe. Um drei Uhr erneuern sich die Regierungsgeschäfte, wobei Streithändel verhandelt werden, was bis zum Abendessen dauert, das sich bis in die Nacht hinzieht. Selten werden dabei Spaßmacher zugelassen, auch diese aber dürfen nie jemanden der Gäste beleidigen. Wasserorgeln und geräuschvolle Konzerte werden dabei nicht gehört, ein einfaches Saitenspiel vergnügt den König. Nach dem Aufstehen von der Tafel ordnet er die Aufstellung der Wachen vor der Schatzkammer und dem königlichen Palaste selbst an.« (Vergl. Dahn, Urgeschichte I, S. 536 f.)

, Am frappantesten für moderne Anschauung ist darin die Erledigung der diplomatischen Audienz vor acht Uhr Morgens!

Eroberungs- und Raubdurst war Theoderich II. nicht eigen, seine Regierung, in der vor allem dessen Wohlwollen für Avitus für ihn gewinnt, auch nicht sehr tatenreich.

Dies aber ward die seines Nachfolgers Eurich, der das Westgotenreich zur Großmacht des damaligen europäischen Westens erhob.

Zunächst rege diplomatische Tätigkeit: Beschickung des neuen Kaisers Anthemius, der Sueben, der Vandalen und selbst der Ostgoten Idat. Anth. 1 Worte: alii diriguntur ad Gothos können sich nur auf die Ostgoten beziehen. durch Gesandtschaften.

Damals mag nun das großartige Unternehmen des vereinten Ost- und Westroms wider Gaiserich Eurich imponiert und ihn bewogen haben, zuerst wider die fortwährend in Spanien raubfahrend hausenden Sueben zu ziehen, die, nach Isidors Chronik, sogar Pampelona und Saragossa genommen hatten. Dies scheint er, wenn auch nicht ohne Erfolg, doch weder mit großer Streitmacht noch in Person ausgeführt zu haben, da sein Hauptaugenmerk wohl auf Gallien gerichtet war.

Mit dem Jahre 469 verläßt uns leider unser treuer, wir möchten sagen lieber Gewährsmann Idatius, so daß uns für Spanisches nur die weit dürftigere Chronik Isidors von Sevilla bleibt.

Um dieselbe Zeit hatte, wie wir oben sahen, das Zerwürfnis zwischen Anthemius und Rikimer schon einen hohen Grad erreicht und Arvandus, der Präfekt Galliens, bereits hochverräterisch mit Eurich korrespondiert. Wahrlich ein ungleich schwächerer Herrscher als dieser mußte die ihm in die Hände laufende Gelegenheit zum Losbruche wider Rom benutzen.

Da verschaffte sich Anthemius, wohl durch Geld, eine hilfreiche Diversion durch Riothimus, den König der Bretonen, d. h. jedenfalls der Aremoriker in der Bretagne. Eurichs Heer mag schon weit im Süden vorgerückt gewesen sein, als Riothimus Ende 469 oder Anfang 470 in dessen Rücken südlich der Loire landend, rasch bis Bituriges (Bourges) im Süden von Orleans vorrückte, wo er sich mit einem römischen Heer aus dem nördlichen Gallien vereinigen sollte.

Eurich aber erreichte ihn mit starker Macht noch vor Ankunft der Römer und schlug ihn bei Bourg de Déols (Dolensis vicus Unweit Chateauroux, Dep. Indre, südwestlich von Bourges. Greg. v. T. II, 18) nach langem Widerstande so nachdrücklich, daß der Kelte mit einem Teile seiner Truppen zu den Burgundern flüchten mußte.

Nachdem er so denselben abgetan, wandte er sich wieder gegen die Römer.

Über dieses Krieges Verlauf wissen wir nichts Näheres: ja selbst dessen Hauptergebnis unterliegt einem erheblichen Zweifel. Daß Eurich den Krieg wider Rom in Gallien spätestens im Jahre 470 begonnen habe, nachdem er zuvor den König der Briten (Aeremoriker) Riothimus besiegt hatte, wird von allen Forschern angenommen, ist auch in der Tat nicht zu bezweifeln.

Daß derselbe aber in diesem Jahre auch Arles und Marseille, beide jenseits des Rhone eingenommen habe, sagt nur Victor Tunun. in seiner Chronik: His coss. (Severus et Jordanes) Arelatum et Massilia a Gothis occupata sunt.

Durch Jordanis (c. 47) dagegen wird zwar die Eroberung, nicht aber das Jahr derselben bestätigt. Ganz abgesehen von dessen bekannter Unzuverlässigkeit überhaupt (wie er denn z. B. Kap. 46 von Avitus, der sechzehn Jahre vor Olybrius über ein Jahr lang regierte, sagt: hic ante Olibrium ad paucos dies regnum invaserat), handelt derselbe nämlich (c. 45) vom Beginn des Krieges und der erst nach längern Kämpfen vollbrachten Eroberung der Auvergne, während er erst (c. 47) im Fortgange seines Berichts der Einnahme jener festen Plätze gedenkt.

Dabei führt er als Motiv der Eroberung Eurichs dessen Bestechung durch Gaiserich an, weil dieser sich dadurch gegen die Nachstellungen Leos oder Zenos (der erst im Jahre 474 den Thron Ostroms bestieg) schützen wollte, so daß eine so verworrene Autorität in der Tat keine Beachtung verdient.

Der Hauptgrund gegen Victor T.s Angabe aber ergibt sich aus des Sidonius Briefen. Derselbe sagt (III, ep. 1) von den Goten: veterum finium limitibus effractis etc. metas in Rhodanum Ligerimque proterminant, daß sie also nach dem Friedensbruche die Rhone und Loire als Grenze angenommen haben, wie dies in der Tat auch die natürliche war.

In VII, ep. 6 am Schlusse verwendet sich Sidonius bei den Bischöfen Basilius, Leontius und Graecus, welche mit den Friedensverhandlungen beauftragt waren, dafür, daß den gallischen Völkern, welche an die Goten abgetreten werden würden, mindestens ihr Glaube gesichert bleibe. Von diesen Bischöfen hatte aber Graecus, wie schon der nächste Brief beweist, seinen Sitz zu Marseille, die übrigen alle jedoch (nach Tillemont VI, 3) ebenfalls auf dem linken Rhoneufer in der Provence. Selbstredend können daher die Sitze dieser Bischöfe noch nicht gotisch gewesen sein.

Noch entscheidender ist die folgende (VII, 7), an denselben Graecus, Bischof von Marseille, gerichtete Epistel, worin er diesem als Unterhändler des Friedens, auf das Gerücht hin, die Auvergne solle als Preis der Sicherheit für andere Punkte abgetreten werden, die bittersten Vorwürfe macht, die Geneigtheit der Provinz oder mindestens der Hauptstadt Clermont, sich noch länger gegen die Goten zu verteidigen, hervorhebt und zuletzt mit den Worten schließt: Si murus noster aperitur hostibus, non sit clausus vester (d. i. Marseille) hospitibus, also für die aus Clermont Fliehenden Aufnahme in Marseille verlangt.

Diesen an sich schlagenden Beweisen könnte noch das Anführen des freilich über Früheres nicht immer ganz zuverlässigen Prokop (d. b. Goth. I, 12) hinzugefügt werden: daß Gallien diesseit der Alpen unter den letzten Kaisern römisch geblieben und erst von Odovakar den Westgoten abgetreten worden sei.

Diesem allem scheint nun Ennodius in dem Leben des heiligen Epiphanius, p. 382, entgegenzustehen: »Post quem ad regnum Nepos accessit, tunc inter eum et Tolosae alumnos Getas, quos ferrea Euricus rex dominatione gubernabat, orta dissensio est: dum illi Italici fines imperii, quos trans Gallicanas alpes porrexerat, novitatem spernentes non desinerent incessere: e diverso Nepos, ne in usum praesumptio malesuada duceretur districtius cuperet commissum sibi a Deo regnandi terminum vindicare.«

Allerdings würde nun dessen Ausdruck sehr ungenau und schief sein, wenn damals lediglich das ganze linke Rhoneufer noch Gegenstand des Streits und der Verhandlung gewesen wäre. Dies ist aber bei einem kirchlichen Schriftsteller über Politisches wohl denkbar. Am wenigsten folgt übrigens aus jenen Worten, daß im Jahre 474 Marseille und Arles bereits in Eurichs Händen gewesen und ihm durch den geschlossenen Frieden abgetreten worden seien.

Unter allen Umständen könnte ein so allgemeiner, unsicherer und indirekter Grund den klaren und ausdrücklichen Versicherungen des bei jenen Ereignissen persönlich beteiligten Bischofs Sidonius nicht entgegengestellt werden.

Eben dieser Meinung sind Tillemont (VII Art. 4, besonders aber Art. 10, S. 794) und Aschbach (S. 155). (Vergl. aber auch Binding I, S. 79; Dahn, Könige V, S. 91.)

Das Ziel war der Besitz der großen an 1800 Quadrat-Meilen umfassenden Provinz Aquitanica prima Dieselbe erstreckte sich von der Loire unfern Orleans bis in die Nähe des Mittelmeers und des Rhone (unweit von Vienne). im Herzen Galliens und des östlichen Teiles der narbonnensischen, welche das Meer und der Rhone begrenzte. Dies alles scheint Eurich bis auf die gebirgige Auvergne mit Leichtigkeit erobert zu haben. Nur in letzterer fand er tapfern Widerstand bei dem römischen Feldherrn Ecdicius, des Sidonius schon erwähntem Schwager, und im Geiste der Bewohner. Beides wird uns von Sidonius Apollinaris in mehreren Briefen lebendig, vielleicht mit etwas Übertreibung, geschildert. Dabei hebt derselbe namentlich hervor, wie sich Ecdicius mit nur achtzehn Reitern durch das die Hauptstadt Augusta Nemetum (Clermont) belagernde Gotenheer in dieselbe durchgeschlagen und diesem von dort aus in glänzenden Ausfällen große Verluste beigebracht habe (III, ep. 3), während der Mut der Bewohner, die zuletzt das Gras in den Mauerspalten genossen, auch durch den bittersten Hunger und durch Seuchen sich nicht beugen ließ. Schwerlich aber hätte doch die eigene Kraft zur Abwehr ausgereicht, wenn nicht der Ecdicius persönlich befreundete Burgunderkönig Gundiok, der mit Recht die Goten mehr fürchtete als die Römer, auf dessen Seite getreten wäre. Dieser Gründer einer neuen Dynastie (s. Vergl. aber Binding a. a. O., S. 305.) hatte, nach Greg. v. T. II, 28, vier Söhne, Gundobad, (den wir oben bereits in römischem Dienste kennen lernten), Godegisel, Hilperik und Godomar, von welchen neben dem Vater besonders Hilperik, sei es als der älteste, oder der kriegerischeste, hervorgehoben wird. Dankbar, aber mit dem Widerwillen des verzärtelten Römers schildert Sidonius (Carm. 13) seine siebenfüßigen »Patrone« Spenit senipedem stylum Thalia,
Ex quo septipedes videt patronos.
, welche kaum des Hercules Küche zu sättigen vermöge, so wie deren üble Ausdünstungen und mit saurer Butter eingeschmierten Haare.

Tillemont (VI, 2. Anthem., Art. 8, S. 614) nimmt unsicher, aber nicht ohne Wahrscheinlichkeit eine vorübergehende Waffenruhe etwa von 472 bis 473 an. Vergl. Dahn. Könige V, S. 92–95. Gewiß ist nur, daß Eurich im Jahre 474 die Hauptstadt der Auvergne noch nicht erobert hatte, dessen Truppen aber, mutmaßlich im Dauphiné, schon über den Rhone hinaus bis in die Voralpen streiften.

Nach längeren vergeblichen Verhandlungen gelang es endlich dem heiligen Epiphanius, als Abgesandtem des Nepos, etwa im Mai 475 Ennodius, v. St. Epiph. erwähnt S. 382 den Schatten der Bäume auf dessen Reise nach Toulouse. den Frieden mit Eurich abzuschließen. In diesem, welchen letzterer nach des Ennodius Leben des heiligen Epiphanius S. 384 als eine, nicht Roms Macht, sondern der Person des Gesandten bewiesene Nachgiebigkeit bezeichnet, verzichtete der König unzweifelhaft auf jedweden Besitz links des Rhone, während der Kaiser ihm das ganze rechte Ufer desselben einschließlich der Auvergne, deren Hauptstadt sich bis dahin tapfer und treu gehalten hatte, abtrat.

Neben jenem Hauptkriege verlief ein zweiter im Norden Galliens. Dort hatte sich schon um die Zeit von des Aegidius Tod 463/64 Adovacer (wohl derselbe Name wie: Odovakar D.), ein sächsischer Raubfahrer, am rechten Ufer der niedern Loire festgesetzt, mit dem die Umgegend, sogar die Stadt Angers (Andegavum) eine Art von Frieden unter Stellung von Geiseln abgeschlossen haben muß.

Andererseits hielt der Frankenkönig Childerich, der damals aus der achtjährigen Verbannung nach Thüringen (s. Greg. v. T. II, 12) zurückgekehrt war (Welche aber Sage oder doch sehr stark sagenhaft ausgeschmückt ist. D.), an dem schon vor dem Attilakriege mit Rom geschlossenen Bündnis treu fest. Er verstärkte das unstreitig zur Vereinigung mit Riothimus bestimmt gewesene römische Corps unter dem Befehle des Comes Paulus, der nun in das gotische Gebiet jenseits der Loire einfiel und daselbst gewiß Vorteile errang, weil der von ihm abgeführten Beute gedacht wird. Da wandte sich das Kriegsglück dadurch, daß Adovacer den Westgoten zu Hilfe kam. Paulus mußte sich in das feste Angers zurückziehen, wo ihn Adovacer belagerte. Childerich eilte zum Entsatze, fand zwar die Stadt, bei deren Einnahme Paulus geblieben war, schon im Besitze der Sachsen, nahm sie aber denselben wieder ab, wobei einer großen, auch die Hauptkirche verzehrenden Feuersbrunst gedacht wird. (Gregor v. T. II, 18.) Die Quelle ist außerordentlich dunkel, was durch die konfuse Auffassung derselben in Fredigars Epitome Histor. Francor. noch vermehrt wird. Obige Darstellung stimmt mit der Huschbergs S. 571 überein. (Vergl. Junghans, Kritische Untersuch. usw. im Literatur-Anhang. D.)

Nach diesem Siege ging der Krieg gegen die Sachsen fort, die, von den Römern verfolgt, viel Volkes verloren, so daß endlich sogar deren Inseln nach schwerer Niederlage derselben von den Franken genommen wurden. Unstreitig waren dies die, unfern der Mündung der Charente und Loire gelegenen, Oléron, Dieu, Belle isle u. a. m., welche dieselben als Ausgangspunkt ihrer Raubzüge besetzt hatten. (Gregor v. T. II, 19.)

Unverständlich dagegen ist die in diesem Schriftsteller hierauf folgende Stelle: »Childerich schloß mit Adovacer ein Bündnis, worauf sie die Alemannen, die einen Teil Italiens durchstreift hatten, unterjochten.«

Da jedoch ein Krieg gegen die so weit entfernten und mächtigen Alemannen kaum denkbar ist, eines frühern Einfalls der Alemannen in Italien nirgends auch, wohl aber jenes der Alanen unter König Beorgor im Jahre 464 in den Quellen gedacht wird, müssen auch hier notwendig (? D.) die Alanen gemeint sein, von welchen damals nur schwache Reste noch in dortiger Gegend zurückgeblieben sein werden.

Ebenso dunkel ist eine Stelle in Sidonius (VIII, ep. 3), wonach Eurich mit den zitternden Barbaren von der Waal (also den Franken) Vergl. Dahn, Könige V, S. 99. als Sieger Frieden und Bündnis geschlossen habe. Unmöglich kann dies, obgleich es daselbst panegyrisch gesagt wird, ganz erfunden sein, bezieht sich also wohl auf den eben erwähnten, durch Paulus mit Römern und Franken wider die Westgoten geführten Krieg, der nach Erlangung eines kleinen Vorteils letzterer durch einen Frieden geschlossen worden sein mag.

Gewiß nicht, um in der Eroberung stillzustehen, sondern nur um für ein anderes, noch weiteres Feld derselben freie Hand zu gewinnen, hatte Eurich dem Kaiser Nepos im Jahre 475 Frieden bewilligt.

Das neue Unternehmen nun erleichterte ihm der bald darauf erfolgte Sturz des Letztern, worauf der König durch Navarra nach Spanien zog, woselbst er Pampelona und Saragossa einnahm und den tarraconensischen Adel, der sich ihm nicht unterwerfen wollte, in einer Schlacht überwand (Isidor v. Sev., Chron. der Goten). Allmählich bemächtigte er sich der ganzen Halbinsel, bis auf Asturien, Galläcien (vielleicht auch einen Teil Lusitaniens), die er den Sueben ließ, und mehrere feste Seeplätze, welche den Römern verblieben. Dahn, Könige V, S. 97.

An diesem Feldzuge beteiligte sich auch ein ostgotisches Heer unter Videmer. Dieser, Theoderichs des Großen Oheim, hatte nach Jordanis Kap. 56 im Jahre 473 mit einem Teile des Volkes Pannonien verlassen, weil (sein Gebiet zu schmal und arm und D.) die Umgegend bereits zu ausgeraubt war, ausreichend Nahrung oder Beute zu gewähren, und war nach Italien gezogen, wo damals Glycerius regierte. Erschrocken über solche Gäste, bewog der Kaiser sie durch Geld zum Abzuge nach Gallien zu ihren Stammgenossen, denen sie vielleicht schon bei dem Krieg in der Auvergne beistanden.

Dahin führte sie nach Videmers Tode dessen Sohn gleichen Namens.

Im Jahre 478 kehrte Eurich nach Spaniens Unterwerfung nach Gallien zurück (Isidor); was derselbe hier aber zunächst unternahm, wissen wir ebenso wenig, als was aus den Ostgoten geworden, die mit den Westgoten verbunden blieben. Aschbach, S. 154 läßt sie nach Illyrien zurückkehren, führt aber kein Zeugnis dafür an. Uns scheint nach Jord. Worten: Secum parentibus jungens Vesegothis, unum corpus efficiunt unsere obige Ansicht die richtigere.

Gewiß ist nur, daß Eurich, über den Rhone gehend, sich der Städte Arles (480? D.) und Marseille (481 D.) in offenem Kampfe bemächtigte. (Isidor v. Sev.) In Gallias regressus Arelatum et Massiliam urbes bellando obtinuit suoque regno utramque adjecit.

Ob dies aber schon im Jahre 478, oder, wie man auch angenommen hat, erst im Jahre 480 nach dem Tode des in der Provence anerkannten Kaisers geschah, ist nicht zu ermitteln, Ersteres jedoch ungleich wahrscheinlicher, da jene Scheinherrschaft des im fernen Dalmatien residierenden Kaisers den König von dieser Eroberung gewiß nicht abhalten konnte. Unzweifelhaft aber erst nach des Nepos Tode ward die ganze Provence links des Rhone von Odovakar nach Prokop (d. b. Goth. I, 12) förmlich an Eurich abgetreten. Vergl. aber Dahn, Könige V, S. 98 und die Literatur daselbst. Naiv fragt Tillemont (VI, 3, Art. 10, S. 793), warum diese, von Rom nicht mehr zu behauptende Provinz nicht lieber den befreundeten Burgundern überlassen ward? Wir erwidern darauf: einfach, weil Eurich dieselbe, größtenteils wenigstens, schon im Besitz hatte.

Die Burgunder standen nach Gundioks Tode, der mutmaßlich Gundobads Austritt aus römischem Dienst im Jahre 474 kurz vorausging (473 D.), unter dessen vier Söhnen, welche Sidonius Tetrarchen nennt. Nachdem aber Gundobad seinen Bruder Hilperik ermordet Vergl. aber dagegen Binding I, S. 116. hatte, scheint er der alleinige, oder mindestens oberste Herrscher gewesen zu sein (s. Greg. v. T. II, 28). Für dessen Reich nun war jene Abtretung der Provence an die Westgoten ein schwerer Schlag, und die hieraus entstandene Mißhelligkeit, wo nicht schon die frühere Unterstützung der Römer durch die Burgunder in dem Kriege gegen Eurich, mag zum offenen Bruche zwischen diesen und den Westgoten geführt haben.

Daß aber, wie Jordanis Kap. 47 sagt Euricus, totas Hispanias Galliasque sibi jam jure proprio tenens, simul quoque et Burgundiones subegit., die Burgunder von Eurich unterworfen worden seien, ist eine seiner allgemeinen verworrenen Phrasen, die durch irgendeinen Sieg über jene veranlaßt sein kann. Unzweifelhaft nämlich waren die Burgunder noch bei dessen Tod im Besitze der Diözesen Vienne und Lyon auf beiden Ufern des Rhone, so wie eines großen Teils der Schweiz und Savoyens, während deren Gebiet im Norden die Freigrafschaft und das spätere Burgund umfaßte.

Auch der Besiegung der Sachsen um diese Zeit gedenkt Aschbach (S. 154) unter Beziehung auf Sidonius (VIII, ep. 6 und 9).

Wir sind aber überzeugt, daß selbst Eurich sich diesen Seeräubern gegenüber auf fortwährende Abwehr ihrer Einfälle und Landungen beschränken mußte, wie denn schon während des römischen Besitzes jener Gegend auf der Insel Oléron eine Flottenstation zum Kreuzen an der Küste bestand (Sidonius VIII, ep. 6).

(Die Sachsen, die auf dem Festland ihre alten Sitze wenig oder nicht verändert hatten, führten damals ihre überschüssigen Kräfte, zum Teil auch mit der Absicht dauernder Niederlassung, zur See aus, allerdings zum Teil auch nur, wie die späteren nordischen Vikinger, mit der steten Absicht der Rückkehr in die Heimat, die freilich hier, wie bei den Vikingern später oft aufgegeben ward. Die große Überwanderung der Angeln und Sachsen auf die britannischen Inseln (in der Mitte des fünften Jahrhunderts) gewinnt bei unserer Grundanschauung von der Völkerwanderung (s. Einleitung) ganz andere Bedeutung als die einer bloß zufälligen: sie zeigt, daß auch dort eine so große Volksmehrung eingetreten war, daß die Angeln und Sachsen, ohne die bisherigen Sitze zu entblößen, so viel Volk nach England und Schottland abgeben konnten, daß die ganze von jenen Einwanderern entstammte, heutige angelsächsische Bevölkerung beider Inseln daraus erwachsen mochte. D.)

Von ganz Gallien war nun damals allein der nördliche Teil noch römisch, der immer noch weite, südlich von der Loire, nördlich von der Somme bei Amiens, westlich vom Meer und östlich von den Besitzungen der Burgunder, Alemannen und ripuarischen Franken begrenzte Raum: also die spätem Provinzen Bretagne (welche jedoch unter ihren Häuptlingen so gut als unabhängig war), Normandie, Orleans, Isle de France, Champagne und ein Teil der Picardie. Am dunkelsten ist dessen Abgrenzung gegen die Alemannen und Ripuarier. Wahrscheinlich aber war Metz schon alemannisch (sehr schwerlich D.) und Trier ripuarisch. Dieses Gebiet stand unter des Aegidius Sohn, Syagrius, und erhielt sich hauptsächlich wohl durch die Ergebenheit des Frankenkönigs Childerich, der die Stellung und den Gehalt eines römischen Generals, dabei aber wahrscheinlich noch den Tractus Aremoricanus, d. i. die Normandie und einen östlichen Teil der Bretagne, unter seinem besonderen Befehle hatte.

Als Franke war derselbe nur Fürst eines kleinen Gaus um Tournay und eines wohl durch zahlreiche Gefolgen verstärkten Heeres; durch sein auf gegenseitiges Vertrauen beruhendes Verhältnis zu dem römischen Befehlshaber steigerte sich aber seine Macht und Einfluß in der ganzen Provinz. Er starb im Jahre 482 und hinterließ seinen kühnen Sohn Chlodovech als Nachfolger, der im Jahre 486 durch die Schlacht bei Soissons die letzten Trümmer römischer Herrschaft in Gallien brach und auf diesem Boden sein Frankenreich gründete, dessen Geschichte nicht mehr hierher gehört.

Im Jahre 485 Nach Victor Tun. 485. Vergl. Clinton, Fasti Rom. Aschbach bezieht sich für das Jahr 484 S. 160 auf die Hist. de Languedoc; s. aber Dahn, Könige V, S. 101. verschied der mächtige Eurich und verließ das von ihm gegründete Gotenreich (Gothia), das fünf Sechstel von Spanien und über die Hälfte des heutigen Frankreich umfaßte, seinem aus der Ehe mit Ragnahild erzeugten, anscheinend noch jugendlichen Sohn Alarich II.

Eurich Siehe über ihn Dahn, Könige V, S. 88–101. war sonder Zweifel ein großer Mann, dessen Ruf den Erdkreis erfüllte, da Sidonius, (VIII, ep. 9) der dessen diplomatischen Verkehr als Augenzeuge schildert, neben den an seinem Hofe anwesenden Gesandten der Sachsen Dum responsa petit subactus orbis. v. 20. Eurich residierte damals zwischen 478–480 in Bordeaux., Franken, Burgunder und Römer (anscheinend von Ostrom) sogar derer von Persien weitläufig gedenkt. Dagegen beschuldigen dieser sowohl (VII, ep. 7), als Gregor von Tours (II, 26) Eurich der Unduldsamkeit und Härte, ja Grausamkeit gegen die Katholiken. Dies ist aber, wie Aschbach mit Recht bemerkt, einseitig übertrieben. Der Konfessionshaß war damals ein wichtiges politisches und zwar dem arianischen Könige höchst gefährliches Element. Diesem Haß vorzüglich war die Treue und Standhaftigkeit zuzuschreiben, mit welcher die Römer, in grellem Widerspruche zu Salvians Schilderung der Zustände vor dreißig bis vierzig Jahren, ihre Nationalität gegen die Westgoten verteidigten. Indes war die Verwaltung Galliens seit den Tagen der Honorius und Valentinian sicherlich auch eine bessere und mildere geworden, da sie nur noch von Provinzialbefehlshabern (oft tüchtigen gallischen Patrioten, »Senatoren«, d. h. Provinzialadel, welche, von Rom verlassen, tapfere Selbsthilfe übten. D.) Dahn, Bausteine I. Berlin 1879. S. 451., nicht mehr vom römischen Hofe ausging, welcher Schweiß und Blut der Untertanen unbarmherzig zu verschlingen gewohnt war.

Die Träger und Anschürer des Konfessionshasses waren vor allem die katholischen Bischöfe. Was Wunder daher, wenn Eurich gegen diese Parteiführer mit Strenge vorschritt, deren neun in seinem alten Gebiet gesessene, die Sidonius (VIII, ep. 6) im Jahre 474 oder 475 namentlich anführt, teils vertrieb, teils verhaftete, auch später unsern Sidonius, der für die Verteidigung der Auvergne so eifrig gewirkt, im Kastell Livianum zwischen Narbonne und Carcassone einsperren ließ!

Mag er dabei von tyrannischer Willkür nicht freizusprechen sein, so werden doch aus dessen späterer Regierung Beweise religiöser Verfolgung nicht erwähnt; daß er die Katholiken nicht als solche persönlich haßte, bekundet das große Vertrauen, welches er seinem ersten Minister Leo, einem katholischen Römer, schenkte und die Ernennung eines andern, des Victorius, zum dux über die neuerworbene Aquitanica prima. Auch ward selbst der nach Abtretung der Auvergne aus seinem Bistum Clermont vertriebene Sidonius später, auf Leos Verwendung, wieder in dasselbe eingesetzt, muß aber auch vorher schon mild behandelt worden sein, da er sich während seines Exils zwei Monate lang an Eurichs Hofe zu Bordeaux aufhalten durfte (s. das der ep. 9, VIII, einverleibte Gedicht).

Nicht allein im Krieg, auch im Frieden war der König groß. Er gab zuerst, nach Isidor, seinem Volke geschriebene Gesetze. Der aus des Sidonius II, ep. 1 Wortspiele: leges Theodosianas calcans, Theodoricianasque proponens hergeleitete Zweifel, daß schon Theoderich II. den Westgoten Gesetze gegeben, ist völlig unbegründet. Sidonius selbst nennt Eurich an einer anderen Stelle VIII, ep. 9 im angefügten Gedichte Theuderich, wie dies auch andre Schriftsteller tun, sei es, daß derselbe auch diesen Namen als zweiten führte oder auch nur als Theoderichs I. Sohn. (? D.) Vergl. Savaros Note zu dieser Stelle II, 1 und Aschbach, S. 157. Siehe aber dagegen Dahn, Könige V, S. 100, VI, S. 245. und Westgotische Studien, Würzburg 1873, S. 3 f. Auch ergibt sich dessen Sinn und Liebe für Kultur aus dem langjährigen innigen Verhältnisse zu seinem hochgebildeten Minister Leo, der uns von Sidonius (VI, 22 und VIII, 3) als Dichter, Redner und wahrer Mäzen geschildert wird und seinem Herrn und Land auch bis über des erstern Tod hinaus treu diente.

So schließt dies Kapitel mit dem Glanzpunkte des Westgotenreichs, von welchem es unter dem schwachen Sohne des großen Vaters, in Gallien wenigstens, bald wieder herabsank.

Wir stehen nun an der Zeit, da die großen Germanenreiche gegründet werden. Das erste derselben, das westgotische, mußte in Gallien dem fränkischen weichen, ward aber vor völligem Sturze noch vom ostgotischen Theoderich bewahrt.

Die Geschichte dieser Zeit gehört jedoch unserm Werke nicht mehr an.


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