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Fräulein Germaine von Freydet
Villa Beauséjour, Paris-Passy.
Café d'Orsay, 11 Uhr. Während des Frühstücks.
»Alle zwei Stunden, wenn ich kann, noch öfter, werde ich Dir einen dieser blaues Eilbriefe schicken, und zwar, ebensowohl um Dir die Zeit der Angst und Spannung zu kürzen und Dich zu beruhigen, Schwesterherz, als um die Freude zu haben, diesen ganzen großen Tag, den ich trotz aller in der elften Stunde abtrünnig Gewordenen mit einer Siegesbotschaft zu beschließen hoffe, im Geiste mit Dir zu verleben. Picheral hat mir vorhin einen Ausspruch Laniboires zugetragen: ›In die Akademie tritt man, den Degen an der Seite, nicht in der Hand.‹ Das bezieht sich auf das Astiersche Duell. Ich bin es doch wahrhaftig nicht, der sich geschlagen hat, aber die Bestie hängt jedenfalls weit mehr an ihrem geistreichen Witzworte, als an dem mir gegebenen Versprechen. Auf Danjou ist auch nicht mehr zu zählen. Nachdem er mir so oft gesagt: ›Werden Sie einer von den Unsrigen,‹ hat er mir heute früh auf dem Sekretariat ins Ohr getuschelt: ›Lassen Sie sich suchen,‹ was vielleicht noch das hübscheste Wort seines Repertoires ist. Einerlei! Die Wahl habe ich in der Tasche. Meine Nebenbuhler kommen gar nicht in Betracht. Der Baron Huchenard, der Verfasser der ›Höhlenbewohner‹, Mitglied der französischen Akademie! Ganz Paris würde sich dagegen auflehnen! Was Dalzon angeht, so finde ich seine Kandidatur auch sehr gewagt. Ich bin im Besitz seines Buches, seines berüchtigten Buches. . . . Gebrauch werde ich schwerlich davon machen, aber in acht nehmen soll er sich!
Zwei Uhr.
»Im Institut: bei meinem guten Meister, wo ich das Resultat der Abstimmung abwarte. . . . Kannst Du Dir das erklären? Ich habe das Gefühl, daß mein doch vorher verabredetes Hierherkommen Störungen hervorgerufen hat. Unsre Freunde hatten just ihr Frühstück beendigt. Thüren werden zugeworfen, eine häusliche Verwirrung entsteht, Corentine führt mich nicht in den Salon, sondern schiebt mich ins Archiv, wo mein Meister zu mir gekommen ist, aber mit befangener Miene, leise sprechend und mir die größte Ruhe und Zurückhaltung anempfehlend, und dabei so traurig. . . . Sollte er schlimme Nachrichten haben? . . . ›Nein, nein, mein gutes Kind . . .‹ dann ein warmer Händedruck: ›Kopf hoch! Den Mut nicht verlieren . . .‹ Schon seit einiger Zeit ist der wackere Mann nicht mehr er selbst. Man fühlt immer, daß sein Herz von Leid überfließt, daß er die Thränen zurückhält. Irgend ein geheimer Kummer, welcher natürlich mit meiner Kandidatur nicht im Zusammenhang steht, nur in meiner Stimmung, meinem Geisteszustande . . .
»Noch mehr als eine Stunde der Erwartung. Meine einzige Zerstreuung ist, hinüberzublicken in den Sitzungssaal, durch dessen große Glasscheiben ich die lange Reihe der Büsten von Akademikern übersehe. Soll das eine Vorbedeutung sein?
Fünfzehn Minuten vor drei Uhr.
»Eben habe ich all' meine Richter unter mir vorbeiziehen sehen, siebenunddreißig, wenn ich recht gezählt habe; die Akademie ist also vollzählig, mit Ausnahme von Epinchard, der in Nizza, Ripault-Babin, der in seinem Bett, und Loisillon, der auf dem Père Lachaise ist. Ein stolzer Anblick, wenn all' diese Berühmten in den Hof eintreten; die Jungen langsam und ernst, das Haupt gesenkt wie unter der Last einer allzu schweren Verantwortung; die Alten lebhaft, leichtfüßig, in freier Haltung; einzelne Gichtische oder Rheumatiker wie Courson-Launay lassen den Wagen bis an die ersten Treppenstufen fahren, stützen sich auf den Arm eines Kollegen. Ehe man hinaufgeht, wird eine Weile gewartet, geplaudert, kleine Gruppen bilden sich, man sieht Achselzucken, Kopfschütteln, Gestikulieren mit den Händen. Was würde ich nicht drum geben, diese letzte Besprechung über meine Aussichten und Hoffnungen mitanhören zu können! Ich mache das Fenster sachte halb auf; aber ein mit großen Koffern beladener Wagen fährt eben rasselnd in den Hof und setzt einen in Pelze gewickelten Reisenden mit einer Ottermütze ab. Epinchard ist's, Schwester, Epinchard, der mit dem Eilzuge von Nizza herbeikommt, eigens um mir seine Stimme zu geben. Wackerer Mann! . . . Dann ging mein alter Lehrer hinüber, ganz beschattet von seinem breitrandigen Hute, das Exemplar von ›Splitternackt‹ durchblätternd, das ihm zuzustellen ich mich zuguterletzt doch entschlossen habe, für den Fall. . . . Was willst Du machen? Im Kriege gilt es, sich seiner Haut zu wehren!
»Nichts mehr zu sehen, als die zwei Wagen, welche warten, und die Schildwache stehende Büste der Minerva. Sei du meine Beschützerin, Göttin! Droben fängt der Namensaufruf an und die vorschriftsmäßige Frage an jeden einzelnen, ob er seine Stimme frei und unbeeinflußt abgeben werde. Eine leere Formalität, wie Du Dir denken kannst, die mit pagodenhaftem Kopfnicken der Reihe nach beantwortet wird.
* * *
»Etwas Unerhörtes. Eben hatte ich Corentine meine letzten Zeilen an Dich zur Beförderung übergeben und trat, um Luft zu schöpfen, ans Fenster, mich abmühend, aus der düsteren Fassade mir gegenüber mein Schicksal zu entziffern, als ich plötzlich an dem Kreuzstock neben dem meinigen, nur durch die Wand getrennt, Huchenard erblicke, der ebenfalls frische Luft schöpft, mir so nah ist, daß wir uns die Hand reichen könnten . . . Huchenard, mein Nebenbuhler, Astier-Réhus Todfeind in seinem Arbeitszimmer! . . . Er, nicht weniger verblüfft als ich, grüßte, ich desgleichen, dann zogen wir uns, vom nämlichen Impuls geleitet, beide hastig vom Fenster zurück. . . . Aber er ist da; ich höre ihn; ich fühle seine Nähe hinter dem Verschlage. Kein Zweifel, auch er wartet hier den Verlauf der akademischen Sitzung ab, die Entscheidung; nur daß er zu diesem Zweck den weiträumigen einstigen Salon Villemain zur Verfügung hat, während ich in diesem vollgestopften, modrig riechenden Winkel von einem Archiv ersticke. Jetzt kann ich mir freilich erklären, daß mein Erscheinen Verwirrung angerichtet hat . . . aber weshalb? Wie konnte das geschehen? Schwester, der Kopf wirbelt mir. Welcher ist es, über den man sich hier lustig macht?
»Unheil und Verrat! Gemeine akademische Intrigue, für die ich noch keinen Schlüssel in Händen habe, für welche ich keine Worte finde!
Erster Wahlgang. | Zweiter Wahlgang. | |||||
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Baron Huchenard | 17 | Stimmen | Baron Huchenard | 19 | Stimmen | |
Dalzon | 15 | " | Dalzon | 15 | " | |
Vicomte von Freydet | 5 | " | Vicomte von Freydet | 3 | " | |
Moser | 1 | " | Moser | 1 | " |
Dritter Wahlgang | ||
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Baron Huchenard | 33 | Stimmen |
Dalzon | 4 | " |
Vicomte von Freydet | 0 (!!) | " |
Moser | 1 | " |
»Offenbar hat man zwischen dem zweiten und dritten Wahlgang das Exemplar von ›splitternackt‹ die Runde machen lassen und zwar zu gunsten von Baron Huchenard. . . . Die Erklärung all dieser Vorgänge! Ich will sie haben . . . ich fordere sie . . . ich werde dies Haus nicht verlassen, ohne daß man sie mir gegeben.
Vier Uhr.
»Du kannst Dir denken, Herzensschwester, in welcher Aufregung ich mich befunden, als, nachdem ich in dem nebenanliegenden Zimmer Herrn und Frau Astier, den alten Réhu und einen ganzen Schwarm von Besuchern den Verfasser der Höhlenbewohner mit Glückwünschen hatte überfluten hören, die Thüre des Archivs aufging und mein Meister mit ausgestreckten Händen auf mich zueilte: ›Verzeihung, mein teurer Sohn . . .‹ die Hitze, Aufregung, er rang nach Atem . . . ›Verzeihung, dieser Mensch hielt mich an der Kehle . . . ich mußte . . . ich mußte . . . ich wähnte, das Unglück, das über meinem Haupte schwebt, abwenden zu können, aber man wendet nichts ab, was uns bestimmt ist, nicht einmal um den Preis einer Ehrlosigkeit!‹ Er breitete die Arme aus, und ich warf mich ohne Groll und Rachegedanken an seine Brust, ohne auch nur zu verstehen, von was für einem geheimen Kummer er sprach, was für Qualen er mit sich herumtrug.
»Bei Lichte besehen, wird der Schaden bald gut gemacht sein. Ich habe die besten Nachrichten über Ripault-Babin: es ist zweifelhaft, ob er die Woche überlebt. Dann ein zweiter Feldzug, lieb Schwesterchen. Unglücklicherweise bleibt der Salon Padovani wegen tiefer Trauer den Winter über geschlossen. Wir haben somit als Feld der Thätigkeit nur die ›jours fixes‹ der Damen Astier, Ancelin und Eviza, deren Montage durch den Besuch des Großherzogs einen bedeutenden Aufschwung genommen haben. Vor allem aber, meine gute Germaine, wirst Du hierher übersiedeln müssen. Passy ist zu entlegen: die Akademie verkehrt dort nicht. Du wirst denken, daß ich Dich abermals aus der Ruhe reiße und quäle, aber die Sache ist eben von solcher Wichtigkeit! Sieh Dir diesen Huchenard an, seine Ansprüche auf einen Fauteuil beruhten einzig auf den von ihm gegebenen Gesellschaften . . . ich bin bei meinem Meister zu Tische: warte nicht auf mich.
Von Herzen
Dein Bruder Abel von Freydet.«
Die einzige Stimme, welche Moser bei allen drei Wahlgängen erhalten hat, ist die von Laniboire, dem Berichterstatter über die Tugendpreise. Man erzählt sich über diesen Punkt eine Geschichte, die sehr anzüglich ist . . . aber einerlei . . . die Kuppel deckt alles! Gott, was für eine Komödie!«