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Himmel und Erde

In der süßen blühenden Maienzeit ihres Lebens, da alle sprossenden Knospen der Seele zur Sonne lechzen, alle brennenden Träume um ein seltsam Fernes und Seliges kreisen und alle weitwache Sehnsucht nach dem lockenden Ungreifbaren sich aufreckt, war sie Nonne geworden.

Sie hatte die Insel der Seligen erreicht, nach der die Träume ihrer Nächte gegriffen hatten. Aus den Wirrnissen des Alltags kommend, zu denen sie nie eine rechte Stellung hatte finden können, war es nun wie eine Erlösung, der großen Stille, dem heiligen Schweigen gegenüberzustehen. In der geheimnisbeladenen Einsamkeit nur den einen Weg vor sich zu wissen, der zu den goldnen Altären des Gebetes und zu den schmerzlich seligen Höhen der Opferung führte.

Sich opfern und hergeben. Wund sein an sich selbst, das Herz schwer von Demut und Liebe zu Einem, der über allem Irdischen jene weiten Tore öffnete, die in eine Welt der seltsamen Schauer, Erschütterungen und Verzückungen führten – diese heimliche lechzende Sehnsucht ihrer keuschen Seele, die, noch unbewußt der Macht ihres blühenden Körpers, sich ihr eigenes Reich baute und ahnungslos über den Gefilden seiner erdhaft gerichteten Strahlungen zu der dinglosen Welt übersinnlicher Ekstasen aufflog. Diese heimliche lechzende Sehnsucht ward ihr nun erfüllt.

Schwester Serapha.

Wuchsen ihr nicht Flügel aus diesem himmelhoch tragenden Namen. Ward nicht ihr Leben plötzlich nur noch ein Schweben. Keine Erde mehr unter ihren Füßen. Keine Finsternis mehr um sie her. Tag und Nacht, ein strahlendes Lichtopfer an den goldnen Altären ewiger Anbetung!

Alles wurde leicht in ihr. Die schwersten Pflichten ihres neuen Amtes trug sie lächelnden Herzens wie duftende Rosenketten. Ihre Seele glühte purpurrot wie das ewige Licht vor den heiligen Altären. –

Die älteren Nonnen sahen erstaunt in die leuchtende Pracht dieser gottblühenden Magd.

Einige, schon etwas Ermüdete, entzündeten sich neu an der brünstigen Fackel dieser weihrauchschweren Andacht.

Noch Müdere blickten scheu und schuldig auf sie hin. Jene aber, die am Ende des Opferweges gingen, hatten ein leises, welkes Lächeln, das wie ein Schatten über die verstummten Lippen huschte.

Die Seniorin des Klosters aber sah mit seltsam strengen Augen auf diese Gotteslilie und schüttelte oftmals das greise Haupt und seufzte.

Schwester Serapha merkte von all dem nichts.

Konnte man jemals müde werden an diesem schwingenden Beben der Seele, diesem jubelnden Singen des Herzens, dieser schwellenden Betäubung des ganzen Wesens? –

Und einer blieb wahrhaft entzückt vor diesem lieblichen Wunder.

Der alte Priester der Klausur.

Seine frommen Augen berauschten sich an dieser steil zum Himmel aufglühenden Gottesflamme. Wenn auch sein allzu wissendes Herz ein Weh dabei empfand.

Wie manche schon hatte er in solch ekstatischer Gotteswonne über diese heilige Schwelle treten sehen, und was war daraus geworden? Die bittre Antwort lag täglich vor ihm ausgebreitet auf den müden, leeren, ausgebrannten Gesichtern ringsum, denen er immer wieder neue Kraft zu spenden und immer wieder die gleichen welken Sünden zu vergeben hatte.

Trotzdem aber erquickte es ihn immer von neuem, wenn eine frische, reine Kerze auf dem Altar zum Himmel lohte. –

Denn verloren war solch reines Gottesglühen nie, es gab der Jungfrauenseele einen überirdischen Glanz und Schimmer, unverlierbaren Reichtum, – Seligkeiten ohnegleichen – wenn –. Ja wenn.

Auch dieser würde er das erlösende Wort sagen, das er all jenen Ermüdeten gesagt hatte, wenn ihre Stunde gekommen wäre. Würde diese die Kraft haben, daran zu einem neuen Leben zu erwachen, wenn die Durchgangswehen ihrer, aus jähen Gluten empfangenen Seele von ihr abfielen und sie das wahre Antlitz ihrer selbst erkannte?

Das wahre Antlitz ihrer selbst, das, plötzlich schleierlos geworden, den Blick zur blühenden Erde senkte und wissend ward um die mißverstandenen Flammen ihres erdgebundenen Blutes. –

Wie oftmals schon hatte er dies Wort gesagt.

Die Gebundene lösen wollen von dem Eide gegen sich selbst, der, nun eine Lüge und Last geworden, an den feinsten Dingen ihres Wesens zehrte und seine Wurzeln zerstörte, seit die Ekstasen des jungen schäumenden Blutes an den antwortlosen Ufern des allzu fernen Jenseits verrauscht waren. Aber keine der Lastbeladenen hatte mehr die Kraft gefunden, sich der schmerzhaften Bürde zu entladen. Keine den schwingenden Mut in sich entzündet, an dem sich tausend neue Leben hätten entflammen können.

In der dumpfen Müde ausgelebter Illusionen, in der grauen Dämmerung verlöschter Himmelslichter wollten sie lieber weiterschleichen all die altgewordene Zeit hindurch, bis zur Schwelle des letzten Schweigens, so ganz war alle Lebensspannung in ihnen zusammengesunken, so ganz war alles zu Asche und Schutt erloschen, was im Übermaß des gotttrunkenen Rausches ihrer blühenden Jugend sie in taumelnden Entzückungen zu dieser heiligen Schwelle getrieben.

Würde auch diese so verlöschend am Boden liegen?

Er wartete und lauschte auf ihre Stunde.

Und ihre Stunde kam.

Plötzlich lag es wie ein dichter Nebel über ihrer glühenden Andacht. Dehnte sich eine weite Leere um sie her. Die blühenden Gottesgärten waren verschwunden, und ihre Seele lag nackt und hilflos im brennenden Sande einer schreckvollen Wüste. Ihre Sinne hatten den Flug zur Höhe verloren und empfanden nun in jähem Umschwung die erdhafte Nüchternheit der Dinge umher. Alle Ströme der Gnade waren versiegt, die himmlischen Heerscharen, mit denen sie bisher so nahe und innige Zwiesprache gehalten, blieben der Erde entrückt, in die unfaßbare Ferne der Ewigkeit zurückgenommen, aus welcher auch das von wildester Not durchbebte Gebet sie nicht mehr heranzuzwingen vermochte.

Verstört und verwirrt starrte die junge Nonne in dieses unentwirrbare Chaos, an das sich ihr ganzes Wesen verloren und das sie in die Grenzenlosigkeit des Nichts auflösen zu wollen schien.

Mit der letzten Kraft ihrer entgötterten Seele hüllte sie sich von Kopf bis zu Füßen in das Dornengewand der Reue und Buße und, von Demut und Zerknirschung bis in die letzten Fasern zermürbt, warf sie sich dem Priester zu Füßen.

Dieser, im milden Leuchten seiner wissenden Güte, legte ihr die segnenden Hände auf die brennenden Wundmale, und mit der stillen Weisheit der Liebe griff er in die geheimnisvolle Tiefe ihres Leides, da wo die Wurzeln ihrer Kräfte verknotet und verdorrt in ihrem krank gewordenen Boden ruhten. Und seine Stimme, beladen mit allen Gnaden der ewigen Wahrheit, durchdrang die erschütterte Seele und richtete langsam Wort um Wort ihre zerstörte Schönheit wieder auf. Und leise hob ein neues Blühen an. Tag um Tag weitete sich dieses Blühen und bedeckte den dürren Sand der Wüste allmählich mit einer neuen fremden Pracht, und in einer seltsam feierlichen Stunde schlug die junge Nonne die Augen auf und sah die Erde von jener Göttlichkeit der Schönheit und Seligkeit bedeckt, die sie bislang hoch über ihr in weiten Fernen gesucht hatte.

– Siehe – sagte der Priester – gleichwie der leuchtende Regenbogen für einen seligen Augenblick den Himmel mit der Erde bindet –

Siehe – so bindet die Liebe von Mann und Weib den Himmel ihrer Herzen an die Erde ihres Blutes, daß sie sich selbst und Gott erkennen.

Laß deine Kräfte neu erblühen und wende dich zum Leben, heilige die Erde in dir durch die Liebe, so wird der Himmel zu dir kommen und in dir sein, und du brauchst ihn nicht über den Wolken zu suchen. Des Himmels Gnadenfülle zu ertragen, geht den Sterblichen meist über ihre Kraft, und nur ganz selten ist ein Begnadeter dieser seligen Last gewachsen.

Du aber brauchst Erde unter deinen Füßen –

Geh, mein Kind, ich entbinde dich deines Gelübdes –

Möge das Weh der Erde dir leicht sein. –

 

Und die Nonne Serapha fand die Kraft, ihren heiligen Namen am Altar wieder in Gottes Güte zurückzugeben.

Ihre Füße fanden allmählich die festen erdruhenden Schritte, ihre Hände den sichern Griff zu den Dingen des Alltags, ihre Augen erblühten im tiefen Erschauen der unerschöpflichen Schönheitsfülle, die im Diesseits der Welt wie in einem Spiegelbilde die Herrlichkeit des Jenseits widerstrahlt und durch ihre Nähe und Greifbarkeit dem Menschen gleichsam ein Stück der Gottheit fühlbar in die Hände gibt.

Sie ging einher, ein Mensch unter Menschen. Alles Flammende in ihr gereinigt und durchseelt von der Lauterkeit des keuschen Liebesdienstes zu den Füßen der Gottheit. Und als sie an dem goldenen Becher der Lust, den die Minne des Lebens dem schwer beladenen Pilger der Erde zu Labsal und Aufschwung zu reichen hat – sich von seligsten Berauschungen erdenthoben zu den Gefilden paradiesischer Entzückungen fortgerissen fühlte, blieb ihr, umhüllt vom flammenden Purpurmantel der glühenden Mannesleidenschaft, in der letzten ruhenden Stille ihres Wesens die reine, schattende Kühle der gottdurchwehten Andacht, daß sie wie ein kristallner Kelch den glühenden Odem des Lebens in sich aufnehmen konnte, ohne jede Versehrung der heiligen Schwelle, an der Mensch und Tier sich einen kurzen gefährlichen Augenblick begegnen, jener kurze, von hinreißenden Seligkeiten beladene, von tödlichen Entscheidungen umflammte Augenblick, der Mann und Weib zu allen Himmeln und Höhen tragen und halten kann – oder sie für immer an die giftschwangeren Niederungen des Nur-Erdenhaften bindet. –

Und als das Kindlein geboren war, blühte Frau Marias Angesicht in jener unirdischen Menschenschöne, wie sie die Meister langer Zeiten in ihren Bildern in kniender Ehrfurcht vor der rührenden Keusche des Mysteriums des Weibes über die Erde hingestreut haben. Des uralten ewig jungen Mysteriums des Muttertums, in dem Himmel und Erde sich immer wieder neu verbinden, um immer wieder das süßeste aller Wunder – das Kind, zu erzeugen.


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