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Die sieben Königstöchter

Ein alter König, der sehr lange und weise über sein Volk geherrscht hatte, war es nun endlich müde, immer weise zu sein und herrschen zu müssen und wollte so gerne die wenigen Jahre seines Lebens, die ihm noch übrig waren, ruhig und still Sommers in seinen schönen Gärten sitzen und sich an dem Blühen und der Fruchtbarkeit der Erde freuen und im Winter die leuchtenden Sternenbilder am Himmel beobachten, wozu ein König, solange er die schwere Krone tragen muß, keine Zeit übrig hat.

Deshalb sagte er zu seinem Sohne: »Nimm meine Krone und mein Szepter und suche dir unter den Töchtern der Königshöfe im Lande ein schönes Weib, und ich will vom Throne unsrer Väter herabsteigen und dir den Weg frei machen zu ihm.«

»Ja,« antwortete der Königssohn, »wenn du mir die rechte Königin findest, dann will ich wohl König sein.«

»Das wird nicht schwer sein,« sagte der König. »Ich sende meine Boten an die Höfe im Lande und lasse die Königstöchter hierher entbieten, und da wirst du finden, was du brauchst.«

»Aber,« entgegnete der Prinz, »nur solche sollen kommen dürfen, die eine besondere Gabe haben, eine besondere Kunst kennen. Denn ich sah ihrer viele auf meinen Wanderungen durch das Land, aber keine war darunter, die mich mit etwas Besonderem, das sie an sich hatte, so bezwingen konnte, daß ich zu ihr hinknien möchte und sagen: Willst Du meine Königin sein?«

»Unter den vielen Töchtern der Könige wirst du schon eine solche finden,« sagte der König.

»Aber wenn ich sie nicht finde, dann bitte ich dich, bleibe noch eine Weile auf dem Throne, denn ohne Königin ist mir die Last der Krone zu schwer.«

»Fürchte nichts, die Frauen, die herkommen werden, werden alle schöne Locken und lachende Augen haben, und es wird dir schwer fallen, unter ihnen zu wählen.«

»Ich will etwas andres als schöne Locken und lachende Augen,« sagte der Prinz traurig.

»Was ist es, was du dir an der Königin wünschest?« fragte der alte König.

»Sagen kann ich das nicht, aber wenn sie es hat, werde ich es erkennen.«

So sandte denn der alte König seine Mannen an die Königshöfe der Nachbarländer und ließ ausrufen, daß alle Königstöchter, die irgendeine besondere Gabe hätten, sich zum großen Tage des Frühlingsfestes an seinem Hof versammeln sollten, da der Prinz, sein Sohn, sich eine Königin wählen wolle.

Und als nun der festliche Tag gekommen war, lud der König sein Volk in die herrlichen Gärten seiner Burg, damit es Zeuge sein sollte bei der Wahl der Königin und der Mutter des Volkes.

Die Gärten waren voll Sonnenschein und Blumen. Die Nachtigallen sangen, und der Himmel war so blau wie die duftenden Veilchen im Grase. Goldene Wagen, mit weißen Rossen bespannt, fuhren vor das Schloß des Königs, und der Kämmerer hob die schönen Prinzessinnen aus ihren Wagen und führte sie in den Garten, wo der König und der Prinz und alles Volk schon versammelt waren.

Der König saß auf einem goldenen Stuhl unter einem purpurnen Sonnendach, ihm zur Seite auf silbernem Schemel der Prinz. Um sie herum waren die Großen des Königshofes versammelt.

Dem Königssitze gegenüber waren auf kostbaren Teppichen sieben Sitze aus Elfenbein aufgestellt für die sieben Königstöchter, die aus den fernen Landen für die Brautschau erwartet wurden.

Als der Kämmerer nun die Jungfrauen zu ihren Sitzen führte, ertönte eine wundervolle Musik von des Königs Spielleuten, und alles Volk, das sich ringsum gelagert hatte, erhob sich und blickte neugierig und staunend auf die sieben schönen Mägdelein, von denen eine seine Königin werden sollte. Sie flüsterten miteinander und versuchten zu raten, welche es wohl sein würde, und jedem wollte eine andre besser gefallen als seinem Nachbar.

Da erhob der König seine Hand, und die Spielleute verstummten. Und er gab dem Kämmerer ein Zeichen, und dieser ging zu der ältesten der Prinzessinnen und führte sie zu dem Sitz des Prinzen.

»Sag' mir, welcher besonderen Kunst du dich rühmen kannst,« sagte der Prinz und sah ihr in das schöne Angesicht.

Die Prinzessin öffnete den Deckel des goldenen Körbchens, das sie in der Hand trug, und nahm ein duftendes goldgelbes Brot heraus und sprach: »Sieh, dieses Brot habe ich selbst gebacken, sieh, wie weiß und locker es ist. Niemand in meines Vaters Reiche kann es so gut bereiten wie ich.«

»Die Gabe genügt mir nicht,« sagte traurig der Prinz, »meine Königin braucht kein Brot zu backen, sie muß besseres können.«

Die Prinzessin machte böse Augen und ließ sich von dem Kämmerer an ihren Platz zurückgeleiten.

Die zweite Königstochter verneigte sich vor dem Prinzen und antwortete auf seine Frage: «Sieh, dieses Gewand, das ich trage, und den Schleier, der mein Haupt bedeckt, das habe ich selbst gesponnen und gewebt. Keine Frau in meines Vaters Reich kann so zarte Fäden spinnen und so kostbare Gewänder fertigen.«

»Zeige mir deine Hände,« sagte der Prinz, und da er sie sah, sprach er: »Die Hände meiner Königin müssen weich und weiß sein – spinnen und weben können meine Dienerinnen.«

Die Prinzessin wurde rot vor Zorn, als der Kämmerer ihr die Hand reichte, um sie wegzuführen.

Die dritte Königstochter kam mit stolzen Schritten zu dem Sitz des Prinzen: «Gib mir dein wildestes Pferd,« sprach sie und sah ihm kühn in die Augen, »ich reite es dir zu, daß es sanft wie ein Lamm unter deinen Händen geht.«

Der Prinz fühlte ihren Blick scharf wie den Stoß eines Raubvogels. »Nein,« sagte er, »meine Rosse reite ich mir selbst so zu, wie ich sie haben will.«

Die Prinzessin warf den Kopf in den Nacken und wandte sich ab.

Die vierte war stark und schlank wie ein Knabe und sprach zum Prinzen: »Willst du mich auf deine Jagden mitnehmen, sieh, meine Pfeile sind sicher wie der Stoß deines Falken, und sie fliegen so weit, daß kein fliehend Wild ihnen entkommt.«

»Oh,« sagte der Prinz, »meiner Königin soll das Herz weh tun, wenn sie das brechende Auge eines Tieres sieht.«

Da lachte sie hart auf und kehrte ihm den Rücken.

Der alte König wurde unruhig und sah angstvoll auf die fünfte Königstochter, aber sie war so wunderschön, daß er hoffte, sie würde endlich des Sohnes Herz bewegen.

»Darf ich dir ein Lied singen?« sagte sie mit glockenheller Stimme zu dem Prinzen. Dieser nickte, und sie begann zu singen, und das Volk lauschte entzückt, die Springbrunnen hielten in ihrem Falle inne, die Vögel flogen in Scharen herbei, die Nachtigallen fingen an zu schlagen – und man wußte nicht, welche Stimme die schönste war.

Der Prinz freute sich an dem Lied. Er reichte der Prinzessin die Hand und sagte: »Ich danke dir für dein Lied, dein Gesang ist wunderschön – aber meine Königin muß noch andres können als das.«

Die Königstochter wurde sehr traurig und ging zurück zu ihrem Platze.

»Oh,« sagte der alte König zu seinem Schwertträger, »ich sehe, ich werde noch keinen Feiertag bekommen.«

Da hörte er ein fröhliches Lachen, und als er aufsah, stand die sechste Königstochter vor seinem Sohne und sprach mit lachender Stimme: »Soll ich dir meine Geschichten erzählen, und willst du mein Lachen um dich haben, so wirst du nie mehr traurig sein. In meines Vaters Reiche drängen sich Ritter und Frauen um meinen Stuhl, wenn ich zu erzählen beginne. Ich lache den ganzen Tag, und es gibt nichts, das ich nicht so wenden könnte, daß, wer es hört, laut auflachen muß.«

»Das ist sehr schön,« sagte der Königssohn traurig, »aber es gibt auch Tränen in der Welt.«

»Tränen,« rief die Prinzessin, »was ist das, die kenne ich nicht, das ist gewiß etwas Häßliches, wovon man alt und grau wird – Lachen macht jung und froh –, und ich will immer jung und schön sein, und auch du wirst es immer bleiben, wenn du mich neben deinem Throne hast.«

»Ja, du bist schön, und dein Lachen macht jung und froh, aber ein König muß auch Tränen sehen und verstehen können, und seine Königin muß ihm helfen dazu.«

Da lachte die Prinzessin hell und laut und ein wenig höhnisch, denn sie war gekränkt, daß der junge schöne Prinz sie nicht haben wollte.

»So weine denn mit den Traurigen,« rief sie, »ich will mein Leben hüten für einen andern, der es als einen Schatz zu würdigen weiß.« Und dann ging sie langsam und still zu ihrem elfenbeinernen Stuhl zurück, denn der junge Königssohn hatte ihr gefallen, und sie wäre gar gerne seine Königin gewesen.

»Oh, oh,« seufzte der König, »nur noch eine, die allerletzte, mir geht es sicher schlecht mit meiner Sehnsucht nach dem Frieden meiner Gärten.« Und er spähte nach der siebenten Königstochter aus, denn sie war seine letzte Hoffnung.

Diese aber saß still und verzagt auf ihrem Platze und rührte sich nicht. Auch der Prinz blickte wartend zu ihr hin, und da er sie so still mit gesenkten Augen sitzen sah, wurde auch er verzagt und dachte: ich sagte es ja, für mich ist keine Königin zu finden.

Und da sie gar nicht kam, schickte der alte König seinen Marschall zu ihr und bat sie, doch näher zu kommen und von ihrer Gabe oder Kunst zu ihnen zu sprechen.

Sie erhob sich und kam langsam wie im Traume näher. Demütig stand sie vor dem Prinzen und wagte nicht, ihn anzusprechen.

Die sechs Prinzessinnen reckten die Hälse und sahen spöttisch zu ihr hin. Das Volk lauschte ängstlich, was sie endlich sagen würde, und fürchtete, der Prinz und das Land blieben nun wieder ohne eine Königin.

»Was kannst du mir sagen?« sprach endlich der Prinz. »Zeige mir deine Gabe, wie die andern taten.«

»Ach,« sagte die Königstochter und errötete lieblich, »ich habe eine Gabe und das ist etwas Wundervolles und Herrliches, aber sprechen kann ich davon nicht, sie liegt so tief in meinem Herzen, und ich weiß nicht, wie ich es Dir zeigen soll.«

»Versuche es doch,« drängte der alte König.

»Sieh mich an,« sagte der junge Prinz.

Da erhob sie endlich ihre Augen, und der Prinz erschrak vor Glück und Freude über das wundervolle Leuchten, das darin war, und er fühlte, es müsse etwas über alle Maßen Schönes um ihre Gabe sein. Und er flehte dringend: »Sprich, sprich, ich bitte dich.« Aber sie schwieg hilflos und bange, denn das, was sie Köstliches in ihrem Herzen trug, wollte sich nicht in Worte fassen lassen.

Ringsum war eine große Stille und ein banges Lauschen. Plötzlich erklang mitten in die Stille hinein das laute Weinen eines Kindes aus der Menge, das im Gedränge seine Mutter verloren hatte. Da erwachte die Prinzessin wie aus tiefem Traume und streckte die Arme nach dem Kinde aus, und ein Lächeln, schön wie der junge Morgen, breitete sich über ihr Angesicht, und des Prinzen Augen hingen staunend und glücklich an ihren Zügen.

Der alte König winkte seinem Kämmerer und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Der ging und nahm das weinende Kind auf seinen Arm und trug es zum Königshügel hinan. Er brachte es zu den sechs Prinzessinnen auf den elfenbeinernen Stühlen und frug eine jede, ob sie es nehmen wolle. Aber keine von ihnen wollte es.

»Oh,« sagte die eine, »das Kind ist mir zu schwer, ich kann es nicht halten.«

»Es ist mir zu schmutzig,« sagte die zweite und verzog das Gesicht.

Die dritte hielt sich die Ohren zu und sagte: »Oh, oh, ich kann das Schreien nicht hören.«

»Was für ein häßliches Gesicht es macht,« sagte die vierte, »nein, ich kann es nicht nehmen.«

»Pfui, es hat ja nackte Füße,« sprach die fünfte.

Die sechste lachte laut auf. »Sie weint – wie gräßlich,« sagte sie und drehte dem Kämmerer den Rücken zu.

Aber die siebente Prinzessin stand noch immer mit ausgebreiteten Armen und schaute sehnsüchtig nach dem weinenden Kinde hin. Und als der Kämmerer es ihr endlich brachte, streckte sich das Kindlein der Prinzessin entgegen und hörte auf zu weinen.

Diese nahm es mit zärtlicher Bewegung an ihr Herz, sah ihm in die jetzt lachenden Augen, und ein Strom von Güte und Liebe lag wie Glanz und goldenes Leuchten auf ihrem schönen Angesicht.

Da erhob sich der junge Prinz von seinem Sitze, beugte das Knie vor ihr und sprach laut und feierlich: »Du hast die himmlische Gabe der Liebe – du sollst meine Königin sein.«

Und alles Volk rief laut und jubelnd: »Heil unsrer Königin – Heil unserm Königspaar.«

Der alte König atmete auf, nahm seine schwere Krone vom Haupte und legte sie in die Hand seines Sohnes.

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