Paula Dehmel
Das grüne Haus
Paula Dehmel

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Die kleine Prezel

Ja, ja, unserm guten kleinen Prezelchen ging's recht schlecht in der Welt, hört mal zu!

Die kleine Prezel lebte mit einer großen Prezel zusammen bei einem Dorfbäcker. Sie hatten sich so lieb, daß sie gar nicht mehr ohne einander schlafen konnten, ja, so sehr lieb hatten sie sich. Eines Morgens aber sagte die große Prezel zur kleinen: »Prezelchen, ich muß auf ein paar Tage verreisen, ängstige dich nicht um mich, ich komme bald wieder.« Aber die große Prezel kam nicht wieder.

Prezelchen wartete geduldig drei Tage lang und noch drei Tage. Da fing sie an zu weinen und weinte eine ganze Woche. Dann hörte sie aber auf, packte ein Hemdchen und ein Nachtmützchen ein und machte sich auf die Wanderschaft, um die große Prezel zu suchen.

Gegen Abend wurde sie müde, denn die Stadt, wohin die große Prezel gereist war, lag sehr weit, und nirgends konnte sie ein Fuhrwerk erspähen. Endlich traf sie ein Kaninchen mit einem kleinen Wagen.

»Bitte, liebes Kaninchen,« sagte die kleine Prezel, »laß mich doch ein Stück mitfahren, das Gehen wird mir so schwer, ich habe ja keine Beine.«

»Gern,« sagte das Kaninchen, »bis zum Stall kannst du mitfahren.«

Prezelchen stieg ein und fuhr mit bis zum Kaninchenstall. Als sie sich schön bedanken wollte, meinte das Kaninchen: »O, kein Ursach, aber laß mich zum Lohne ein Stückchen von dir abbeißen, ich esse Prezeln so gern!«

»Natürlich,« sagte sie mutig, und das Kaninchen knusperte und schluckte, bis unser Kleinchen noch ein gut Teil kleiner geworden war. Langsam ging sie weiter und dachte nur an ihre liebe, große Prezel. So kam sie in einen Wald, da war es kalt und dunkel. Prezelchen zitterte vor Frost und verlor im Finstern den Weg. Zum Glück kam ein Dachs daher. »Ach, lieber Dachs,« rief sie ängstlich, »weißt du hier in der Gegend kein Nachtquartier für arme Prezeln? Mich friert so.« »Ein Nachtquartier für Prezeln gibt es hier nicht,« brummte der Dachs, »aber du kannst bei mir schlafen,« und er nahm die kleine Prezel mit in seine Höhle. Da schlief sie weich und warm auf einem dicken Moosbett und wachte erst am späten Morgen auf. »Vielen Dank, Herr Dachs,« sagte sie freundlich. Als sie aber fortgehen wollte, hielt er sie fest und knurrte: »Erst gib mir etwas von dir ab zum Frühstück!« Und ohne die Antwort abzuwarten, hatte er dem Prezelchen beinah die Hälfte abgebissen.

Unserm Prezelchen tat das recht weh, aber sie sagte nichts und ging mit Schmerzen weiter. Gegen Mittag bekam sie großen Hunger, denn sie hatte ja seit gestern Morgen selbst noch nichts gegessen.

Da sah sie über sich in einem Strauch zwei schöne, reife Haselnüsse hängen; aber sie konnte nicht hinauflangen, und klettern konnte sie erst recht nicht. Also rief sie einem Eichhörnchen, das gerade vorbeigesprungen kam, so laut sie konnte, zu: »Bitte, bitte, liebes Eichhörnchen, pflücke mir doch die Nüsse da ab und knacke sie mir auch gleich auf, ich bin zu schwach dazu.«

Eichhörnchen war auch wie der Wind oben und warf der Kleinen die Nußkerne grad vor die Füße, nein, den Bauch – denn Füße hatte sie ja nicht.

Prezelchen aß und ließ sich von dem Eichhorn auch noch ein Nußschälchen voll Wasser holen; dann dankte sie dem Tierchen von ganzem Herzen und wollte weitergehen.

»Höre,« sagte da das Eichhörnchen, »meine Kinder essen gar zu gern Prezeln; darf ich mir ein bißchen für sie abbrechen?« »Aber nicht zu viel,« stotterte die kleine Prezel, »sonst bleibt ja garnichts mehr von mir übrig, und ich muß doch meine große Prezel suchen!«

Eichhörnchen brach ein Stückchen ab und lief nach Hause. Ganz entsetzt ging unser Prezelchen weiter; selbst nach dem Weg zu fragen hatte sie in ihrer Angst vergessen. Da traf sie eine alte Frau, die Pilze suchte, und weil sie hatte sagen hören, daß die Menschen besser seien als die Tiere, faßte sie wieder Mut und fragte unter Tränen nach dem nächsten Weg zur Stadt. Die Frau guckte das Prezelchen, das durch das viele Weinen schon ganz weich geworden war, von oben bis unten an, dann meinte sie:

»Eine Liebe ist der andern wert. Du bist so sehr schön weich, und ich habe keine Zähne mehr; gib mir ein paar Brocken ab von dir, und ich sage dir Bescheid.«

Da fing die kleine Prezel noch mehr an zu weinen und rief schluchzend: »Ist denn in der ganzen Welt kein einziger, der einem hilft, ohne etwas dabei abzubeißen?!« Aber weil sie gern weiter wollte und die alte Frau hartherzig blieb, brach sie sich selber ihre weichsten Bröckchen los, und nun zeigte ihr die Frau den richtigen Weg.

Es war fast Abend als sie in die Stadt kam. Gleich in der ersten Straße wohnte ein Konditor, und da sah nun unser aufgeweichtes, abgezehrtes Prezelchen ihre geliebte große Prezel an einem blauen Bändchen in der Ladentür aushängen, um die Leute anzulocken. Ach, wie gern wäre sie hinaufgesprungen und hätte sich küssen lassen; aber sie konnte nicht mehr springen.

»Mach mich los, mach mich los,« schrie die große Prezel, »ich werde hier ganz hart vor Hitze, seit acht Tagen brat ich in der Sonne.«

Aber die kleine Prezel konnte sich ja selber kaum noch helfen, so ein kleines, blasses Stummelchen war sie bloß noch; und vor Verzweiflung humpelte sie rings um sich herum und bat den lieben Gott um Rettung. Da kam eine Schwalbe angeflogen und ganz glückselig rief Prezelchen: »Liebes gutes Schwälbchen, nimm mir doch die große Prezel da vom Nagel ab, die bösen Menschen haben sie angebunden!«

Schwälbchen besah sich erst die Sache ganz genau, faßte dann behutsam das blaue Bändchen mit dem Schnabel und setzte die Prezel in Freiheit.

»Ist die aber schwer,« piepste das Schwälbchen.

Da stand sie nun, die schöne große Prezel, an der Ladenschwelle, und die kleine wollte ihr eben mit einem Freudenruf ans Herz stürzen. Aber hui! Da hielt ein Schwalbenbiß sie fest, und die Schwalbe flog mit dem blassen Prezelchen husch über die Dächer. Wahrscheinlich hat sie ihre Jungen damit gefüttert. Die große Prezel stand noch einen Augenblick ganz starr vor Schreck und sah der kleinen nach. Dann sagte sie bedenklich: »Sie war auch gar zu blaß und weich,« ging langsam an den Bäckerkorb und nahm sich eine andere Prezel mit auf die Reise, eine britzebraune, harte, mit der sie wohlbehalten nach Hause kam. Manchmal, wenn sie bei der andern schlief, dachte sie noch an das gute, treue Prezelchen.


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