Paula Dehmel
Das grüne Haus
Paula Dehmel

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Die Fabel vom Kohlkopf und den Veilchen

Mitten im Veilchenbeet stand ein Kohlkopf. Durch Zufall war er dort hingeraten und prächtig angewachsen. Niemand kümmerte sich um ihn und die Veilchen. Die Leute, denen der kleine Garten gehörte, waren verreist.

Wozu seid ihr auf der Welt, fragte eines Tages der Kohlkopf die Veilchen, als er schon über sie wegsehen konnte. »Ich meine, ihr macht bloß Blätter und keine Köpfe, und ihr müßt wissen, daß die Köpfe die Hauptsache sind!«

Die Veilchen sahen ganz erschrocken aus. Sie verstanden den Kohlkopf nicht, es war ihnen unheimlich, daß er so groß wurde. Ja, täglich konnten sie sehen, wie er wuchs. – »Na, seid ihr stumm,« schrie der Kohl, »was wollt ihr hier?« – »Blühen und duften,« sagte da schüchtern ein Veilchen. »Blühen und duften, hä, kann denn das der Mensch essen? Uns, die Kohlköpfe kann er essen, und Essen ist die Hauptsache! Aber euch! Hi, hi, blühen und duften, blühen und duften!« Und der Kohlkopf schüttelte sich vor Lachen und wurde noch röter als zuvor.

Die Veilchen krochen ganz in sich zusammen; sie hatten Angst vor dem dicken, roten Kohlkopf; sie fanden ihn sehr häßlich, trotzdem er so klug war und gegessen werden konnte! –

Jeden Tag hielt der Kohlkopf den Veilchen lange Reden; sie sollten wenigstens versuchen auch Köpfe anzusetzen; so dünn hätten sie gar keinen Zweck, und Zweck wäre die Hauptsache!

Eines Tages öffneten ein paar Veilchen ihre Kelche, und köstlicher Wohlgeruch strömte über das Beet.

»Wie riecht denn das hier?« sagte der Kohlkopf, »es ist schauderhaft, wie das hier riecht!« Und er wurde so wütend, daß sein Kopf blau anlief.

Am andern Morgen kamen die Leute zurück, denen der Garten gehörte. Ein junges Mädchen öffnete das Gitter und lief auf das Veilchenbeet zu. »Sie blühen schon, sie blühen schon!« jubelte sie, atmete tief ihren Duft ein und begann ein Sträußchen zu sammeln. Da bemerkte sie den Kohlkopf und lachte. »Guck, Fritz, ein Kohl mitten unter Veilchen!« rief sie dem schlanken Manne zu, der eben in den Garten trat, »gib mir dein Federmesser, ich will ihn abschneiden.« Der aber sagte: »Erst einen Kuß, Rose, dann kriegst du das Messer;« und das junge Mädchen küßte den Mann, und ihre Augen lachten.

Der Kohl aber schrie: »Ich will noch wachsen, ich bin noch nicht dick genug, merkt ihr nicht, daß ich noch nicht dick genug bin? Und dick sein ist die Hauptsache.« Aber die beiden Menschen verstanden die Kohlsprache nicht, und so wurde er abgeschnitten.

Das junge Mädchen pflückte noch mehr Veilchen; ein paar für ihren Liebsten und die andern für die kranke Mutter, die mit bleichen Händen oben im Stuhl am Fenster saß. Da duftete das ganze Zimmer, und die Augen der alten Frau leuchteten.

Und wollt ihr wissen, wo der Kohl geblieben ist? Den hat die Ziege gefressen, und wenn sie nicht so blitzdumm wäre, könnte sie's euch selbst erzählen!


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