Charles Dickens
Clown Grimaldi
Charles Dickens

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Dreiundzwanzigstes Kapitel.

Neuer Schmerz infolge des schlimmen Lebenswandels seines Sohnes. – Der Lohn wird von der Liste des Covent-Garden-Theaters gestrichen. – Neue Spekulation in Sadlers-Wells. – Ein anderes Direktionssystem und dessen Erfolg. – Sir James Scarlett und ein Zeuge, dem die Schamröte auf die Wangen tritt.

Von dieser Zeit ab bis zu seinem Lebensende hatte Grimaldi Leiden und Widerwärtigkeiten in ununterbrochener Folge zu ertragen, die ihn tiefer und tiefer beugten. Gleich nach seiner Rückkehr nach Cheltenham verfiel er in eine schwere Nervenkrankheit, die ihn vier Wochen ans Bett fesselte, und als er endlich wieder aufstehen konnte, war er ein Krüppel und sollte ein Krüppel bleiben bis an sein Lebensende.

Er liebte seinen Sohn, sein einziges Kind, auf das zärtlichste, hatte ihm die beste Erziehung zuteil werden lassen und einen großen Teil seines oft sehr sauren Verdienstes auf ihn verwandt. Bis zu dieser Zeit hatte sich der Sohn der Liebe seiner Eltern in jeder Hinsicht würdig gezeigt und war beim Publikum allmählich in immer höhere Gunst getreten. Mit einem Male – gleichsam über Nacht – ergab er sich einem so zügellosen Lebenswandel, daß die Direktion des Covent-Garden-Theaters sich gezwungen sah, ihn aus der Mitgliederliste zu streichen.

Schon in Cheltenham erhielt Grimaldi die erste Nachricht von der mit seinem Sohne vorgegangenen Wandlung. Erst ein paar Tage hatte er sein Krankenlager verlassen, als ein Mitglied der Stadtbehörde sich bei ihm melden ließ und ihm eröffnete, daß sein Sohn wegen verschiedener toller Streiche, die er in der Trunkenheit begangen, in Arrest abgeführt worden sei.

Grimaldi bezahlte ohne weiteres, was als Bürgschaft gefordert wurde, um seinem Sohne die Untersuchungshaft zu ersparen. Im Kampfe mit den Polizisten hatte derselbe aber einen Schlag über den Kopf bekommen und eine schwere Verletzung davongetragen. Es wurde allgemein geglaubt, sein Verstand habe dadurch gelitten, weil er von Stund an ein völlig anderer Mensch wurde, unter epileptischen Anfallen litt und allerhand Tollheiten ausführte, die nur Folge eines zerrütteten Gehirns sein konnten. Zuletzt stellte sich totaler Wahnsinn bei ihm ein, so daß er in die Zwangsjacke gesteckt werden mußte.

Grimaldi nahm ihn mit sich nach London zurück, wo er wegen seines eigenen Zustandes die berühmtesten Ärzte konsultierte. Aber alle Bemühungen derselben erwiesen sich als vergeblich; eine Weile lang trug er sich noch mit der Hoffnung auf Besserung, mußte sie aber im Oktober völlig aufgeben.

Schier wäre er fast verzweifelt, als ihm die schreckliche Offenbarung wurde, daß er auf Lebenszeit gelähmt bleiben und das Krankenbett wohl nie wieder verlassen würde, daß er nicht mehr daran denken dürfe, je wieder die Bühne zu betreten, auf der er sozusagen von der Wiege an zu Hause gewesen, und die ihm ein jährliches Einkommen von 1500 Pfund verschafft hatte. Und umso schrecklicher war diese Offenbarung, als er kein anderes Einkommen mehr hatte, als seinen Gewinnanteil am Sadlers-Wells-Theater, der ihm bisher keinen Heller eingetragen, wohl aber Verlust über Verlust gebracht hatte!

Von diesem schweren Schlage, der ihn völlig betäubt hatte, erholte er sich erst nach langer Zeit wieder einigermaßen.

Sobald er seine Besinnung wiedergewonnen hatte, ließ es ihm keine Ruhe, bis er der Direktion des Covent-Garden-Theaters Mitteilung über seinen Gesundheitszustand gemacht hatte, zumal es hoch an der Zeit war, die Vorbereitungen zu der Weihnachtspantomime zu treffen.

Diese Nachricht wurde mit dem lebhaftesten Bedauern aufgenommen; die Direktion gab der Hoffnung Ausdruck, daß er doch bald wieder genesen werde, und nach längerem Bedenken faßte sie den Entschluß, die erste Clownrolle in der Pantomime Grimaldis Sohne zu übertragen, der sich seit einiger Zeit einer bessern Aufführung befleißigt hatte.

Es wurde ihm eine Gage von acht Pfund wöchentlich bewilligt; auch gegen Grimaldi selbst zeigte man sich sehr nobel, indem man ihm, wenn auch nicht die volle Gage, so doch eine Pension von fünf Pfund wöchentlich für die Dauer der Saison aussetzte. Das war weit mehr, als er erwartet hatte.

Nach Ablauf der drei Jahre, die Egertons Pachtkontrakt dauerte, wurde zwischen den Eigentümern des Theaters darüber verhandelt, ob man es behalten oder weiterzuverkaufen suchen solle. Es wollte sich kein Käufer dafür finden zu den Bedingungen, an denen man festhalten zu müssen meinte, und so einigte man sich dahin, es an Mr. Williams vom Surrey-Theater weiter zu verpachten.

Kurz darauf besuchte Williams Grimaldi, um sich mit ihm über einige Dinge zu besprechen, unter anderm darüber, was er zu einem Versuche, beide Theater durch einunddasselbe Personal zu bedienen, meine, so zwar, daß die eine Hälfte zuerst in Sadlers-Wells, dann im Surrey-Theater, die andere umgekehrt zuerst im Surrey-, dann im Sadlers-Wells-Theater spiele.

Grimaldi wußte nicht recht, was er dazu sagen sollte, aber Williams erklärte, er sei der Ausführung des Planes schon nähergetreten, indem er Wagen für die Beförderung des Personals vom einen zum andern Theater bauen lasse.

Am Ostermontage 1824 wurden die Theater in Sadlers-Wells und in Surrey eröffnet, das Experiment, mit nur einem Personal auszukommen, wurde gemacht, aber – wie Grimaldi bei sich gedacht hatte – mit vollständigem Mißerfolge. Williams als Pächter erlitt einen beträchtlichen Verlust, konnte seinen Pachtschilling nicht bezahlen, so daß die Besitzer das Theater noch vor Ablauf der Saison wieder selbst in Betrieb nehmen mußten, dabei aber wiederum beträchtliche Verluste erlitten, weil sie den Fall in keiner Weise vorausgesehen und gar keine Vorbereitungen für eine Aufführung getroffen hatten.

In diesem Jahre kam Grimaldi aus den Sorgen gar nicht heraus: die Geldverlegenheiten häuften sich, und sein Sohn gab ihm neuerdings wieder Ursache zu dem empfindlichsten Verdrusse.

Grimaldi mußte, um die Mittel zum Lebensunterhalte zu schaffen, ein Wertpapier nach dem andern verkaufen, so daß er von Monat zu Monat ärmer wurde. Sein Sohn, der jetzt eine gute Gage bekam und auch eines guten Renommees als Pantomimiker zu genießen anfing, entwich plötzlich aus dem elterlichen Hause, um sich wieder in die tollsten Extravaganzen zu stürzen.

Grimaldi schrieb ihm, bat ihn, wieder zu ihm zurückzukehren, und erbot sich zu allem, was irgend möglich war, ihm das Leben angenehm zu machen; aber der Sohn hielt es nicht der Mühe für wert, dem Vater auch nur zu antworten, sondern fügte seinen Tollheiten und Schlechtigkeiten immer neue hinzu, so daß Grimaldi sich so schwer betroffen fühlte, daß er sich täglich den Tod wünschte.

Vier Jahre lang sah er den Sohn nur von Zeit zu Zeit, einmal in Sadlers-Wells-Theater, wo er mit einer Gage von fünf Pfund wöchentlich engagiert war, ein anderes Mal auf der Straße, wo er ihm aber jedesmal auswich. Auch erhielt er in dieser ganzen Zeit nur ein einziges Mal ein paar Zeilen von ihm. Er hatte ihm nämlich mitgeteilt, daß er sich in einer ziemlich schlimmen, fast hilflosen Lage befände, und ihn um Unterstützung gebeten, die er ihm, dem alten Vater, doch recht gut leisten könne, da er doch von beiden Theatern zusammen eine Gage von dreizehn Pfund wöchentlich bezöge. Der Sohn ließ den Vater lange auf Antwort warten, und schrieb erst, als ihm auch andere Leute hart zugesetzt hatten:

»Lieber Vater! Momentan bin ich selbst in Verlegenheit; aber solange ich noch einen Schilling besitze, sollen Sie unbedingt die Hälfte haben.«

Er schickte aber seinem Vater keinen einzigen Heller und besuchte ihn auch erst nach etwa drei Jahren, und in einem Zustande, daß sich Grimaldi förmlich entsetzte, völlig abgerissen, um Obdach und Speise bettelnd.

Inzwischen hatten die Besitzer des Theaters sich dahin geeinigt, das Theater auf gemeinschaftliche Rechnung zu eröffnen, und Mr. Dibdin als Direktor zu engagieren. Ein Direktionsmitglied sollte im Theater selbst seine Wohnung nehmen, zur Unterstützung Dibdins und um die Ausgaben zu vereinfachen.

Da Grimaldi beschäftigungslos war, wurde ihm der Vorschlag gemacht, sich für eine Entschädigung von vier Pfund wöchentlich hierzu zu verstehen. Daß Grimaldi mit Freuden hierauf einging, braucht nicht erst gesagt zu werden.

Die Saison wurde mit großem Eifer begonnen, es wurde weder Geld gespart, noch Mühe und Anstrengung geschont, auch wurde mit neuen Eintrittspreisen, auf die Hälfte reduziert, ein Versuch gemacht, mehr Publikum anzulocken, statt wie sonst nur ein halbes, wurde das ganze Jahr hindurch gespielt, und zwar mit Rücksicht darauf, daß der Stadtteil, wo in Grimaldis Glanzzeit nur einzelne Häuser oder wenigstens keine geschlossenen Straßen existiert hatten, jetzt ein dichtbevölkerter Stadtteil entstanden war – und doch schloß das erste Spieljahr trotz all dieser Einrichtungen mit einem Fehlbetrage von 1400 Pfund.

Im nächsten Jahre wurde ein umgekehrter Plan verfolgt, indem die Ausgaben in allen Hinsichten eingeschränkt wurden. Grimaldi wurde die gesamte Leitung übertragen. Er begann die Reduktion der Ausgaben mit seiner eigenen Gage, die er von jetzt ab auf die Hälfte festsetzte. Dann versuchte er es mit der Einrichtung von Wettrennen, und zwar zunächst mit Ponys, und machte allein zwischen Ostern und dem sogenannten »weißen Sonntage« den ganzen Fehlbetrag des verflossenen Spieljahres gut. Auch die zweite Saison lieferte ein ziemlich günstiges Ergebnis, so daß Grimaldi auf eine Besserung seiner Einnahmen aus dem Geschäftsanteil an dem Theater wieder zu hoffen anfing.

In diese Zeit fiel eine Zeugenvernehmung in einem Prozesse zwischen zwei Parteien, die ein ungeheueres Gelächter im Gerichtssaale hervorrief. Der Anwalt, der ihn hatte vorladen lassen, führte den englischen Namen Scarlet, was soviel wie Scharlach im Deutschen bedeutet.

Natürlich machte Grimaldis Eintritt in den Gerichtssaal eine gewisse Sensation. Sein Name war in aller Munde, trotzdem er schon lange nicht mehr aufgetreten war, und man war umsomehr gespannt darauf, wie er seine Aussage abgeben würde. Der Anwalt betrachtete ihn mit großem Interesse, mochte dasselbe nun tatsächlich vorhanden oder nur künstlich gemacht sein, und fragte ihn, ob er tatsächlich der berühmte Grimaldi vom Covent-Garden-Theater sei.

Grimaldi wurde verlegen, da sich aller Blicke in verstärktem Maße auf ihn zu richten anfingen, und versetzte, errötend bis zu den Haarwurzeln:

»Ich habe als Pantomimiker im Covent-Garden-Theater gewirkt, Sir.«

»O, ich besinne mich recht wohl, Sie zuweilen gesehen zu haben,« antwortete der Anwalt des Namens Scharlach; »Sie gebieten über ein sehr hübsches Talent, Sir! Aber – Sie sind doch auch wirklich Grimaldi?«

Grimaldis Verlegenheit wuchs. Unruhig wendete er sich von der einen auf die andere Seite und wurde schließlich puterrot.

»Aber, lieber Mr. Grimaldi, Sie brauchen doch wahrlich nicht rot zu werden!« sagte der Anwalt, »dazu haben Sie doch gar keine Ursache.«

»Ich erröte auch gar nicht, Sir,« versetzte Grimaldi.

»Wenigstens brauchen Sie es ganz gewiß nicht, lieber Grimaldi.«

»Ich bin doch gar nicht rot, Sir,« sagte Grimaldi, unwillig werdend, mit einem so puterroten Gesicht, daß alle Leute im Saale zu kichern anfingen.

»Aber, lieber Mr. Grimaldi, Sie glühen ja wie eine Pumpelrose,« meinte der Anwalt wieder.

»Sie müssen sich irren,« antwortete Grimaldi ärgerlich, »wirklich, Sir! Es müßte denn gerade sein, daß ich von Ihnen angesteckt wäre; mein Arzt hat aber kein Wort davon gesagt, daß ich am Scharlach erkrankt wäre, so krank ich auch sonst sein mag.«

Der Saal hallte von Gelächter wieder. Auch der Anwalt lachte herzlich und begann gleich darauf mit dem Zeugenverhör.

 


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