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Pythias und Damon waren ohne Zweifel sehr wackere Leute auf ihre Art: der erstere wegen seiner ausnehmenden Bereitwilligkeit, persönliche Bürgschaft für einen Freund zu leisten, und der letztere wegen einer gewissen abtrumpfenden, kaum minder merkwürdigen Pünktlichkeit, gerade im letzten und entscheidenden Augenblicke wieder zur Stelle zu sein. Viele ihrer Charaktereigenheiten sind gegenwärtig veraltet. Damons sind in diesen Zeiten, wo sie ihrer Schulden wegen eingesperrt werden, schwer zu finden (die Scheine Damons ausgenommen, die eine halbe Krone kosten); und was die Pythiasse betrifft, so haben die wenigen, die es in diesem entarteten Zeitalter gab, die unglückliche Neigung gehabt, Versteck zu spielen, und zwar gerade in dem Moment, in dem ihr Erscheinen streng klassisch gewesen sein würde. Doch wenn sich in der neueren Zeit zu den Handlungen dieser Heroen keine Parallele findet, so ist es dafür in betreff ihrer Freundschaft der Fall. Wir haben Damon und Pythias auf der einen – Potter und Smithers auf der andern Seite; und da die letzterwähnten Namen das Ohr unserer unerleuchteten Leser mutmaßlich noch nicht erreicht haben, so können wir nichts Besseres tun, als sie mit den Eigentümern bekannt zu machen.
Wohlan denn! Mr. Thomas Potter war ein Kontorschreiber in der City, und Mr. Robert Smithers war ein Dito in ebenderselben; ihr Einkommen war beschränkt, aber ihre Freundschaft unbegrenzt. Sie wohnten in derselben Straße, dinierten jeden Tag in demselben Speisehause und zechten einer in des anderen Gesellschaft jeglichen Abend. Sie waren durch die engsten Bande der Freundschaft und Vertraulichkeit miteinander verbunden oder waren, wie Mr. Thomas Potter empfindsam bemerkte, »Dick-und-Dünn-Gefährten«. In Mr. Smithers' Gemütsart lag ein Anflug von Romantik – ein Strahl von Poesie – ein Aufblitzen von Zerrissenheit – eine Art Bewußtsein, er wußte nicht genau wovon, das ihn überkam, er wußte nicht recht eigentlich warum – wodurch ein schöner Gegensatz gebildet wurde zu dem Mr. Potter in einem eminenten Grade auszeichnenden munteren kecken Liebhabertaschendiebereiwesen.
Die Eigentümlichkeit ihrer Charaktere erstreckte sich auch auf ihre Kleidung. Mr. Smithers erschien in der Öffentlichkeit gewöhnlich in Überrock und Schuhen, mit einem losen, schwarzen Halstuch und einem Hut, dessen Rand stark gebogen war – Eigentümlichkeiten, die Mr. Potter durchaus mied; denn es war sein Ehrgeiz, die Elegants geringerer Klasse nachzuahmen, und er war so weit gegangen, Kapital zum Ankauf eines groben, blauen, wasserdichten Leibrocks mit hölzernen Knöpfen anzulegen, zu dem ein blumentopfuntersetzerartiger Hut mit niedriger Krone hinzukam, so daß er im Albion-Hotel und an verschiedenen andern öffentlichen und fashionablen Orten beträchtliche Sensation erregt hatte.
Mr. Potter und Mr. Smithers hatten verabredet, nach dem Empfang ihres Quartalgehaltes sich gemeinschaftlich und in Gesellschaft »einen lustigen Abend zu machen«, oder aber, wie sie sich auch ausdrückten, »den Abend recht kreuzfidel durchzubringen« – eine offenbar falsche Bezeichnung: denn alle Welt weiß, daß sich das Durchbringen nicht auf den Abend, sondern auf alles Geld bezieht, in dessen Besitze der Durchbringende sich eben befindet, wie denn beide Redensarten insofern sehr uneigentliche sind, als ihre Bedeutung dahin geht, daß noch mehrere Stunden der Nacht und des andern Morgens entlehnt und zum besagten Abend hinzugefügt werden sollen.
Der Quartalstag war endlich da – wir sagen endlich, weil Quartalstage so unberechenbar sind wie Kometen, indem sie mit erstaunlicher Raschheit von der Stelle rücken, wenn man viel zu zahlen und merkwürdig langsam, wenn man wenig zu empfangen hat. Mr. Thomas Potter und Mr. Robert Smithers blieben dem gegebenen Worte treu und machten den Anfang mit einem hübschen, reichhaltigen Mittagessen, das aus einem kleinen Aufzuge von vier Koteletts und vier Nieren, die einander folgten, bestand – einen Krug echtes und bestes Doppelbier und einige Brotpolster und Käsekeile in der Nachhut nicht zu vergessen.
Als das Tischtuch abgenommen worden war, befahl Mr. Thomas Potter dem Aufwärter, eine angemessene Quantität seines besten schottischen Whiskys nebst heißem Wasser und Zucker sowie ein paar seiner »leichtesten« Havannas zu bringen, was der Aufwärter tat. Mr. Thomas Potter mischte seinen Grog, zündete seine Zigarre an, und Mr. Robert Smithers tat dasselbe, worauf Mr. Thomas Potter scherzweise vorschlug, zu allererst »auf Abschaffung aller Kontors« zu trinken; auf diese Gesundheit wurde von Mr. Robert Smithers augenblicklich mit enthusiastischem Applaus getrunken. Sodann besprachen sie die Politika, rauchten ihre Zigarren und schlürften ihren Whisky-Grog, bis sie damit zu Ende waren. Sobald Mr. Robert Smithers dies gewahrte, ließ er eine abermalige Portion und frische Zigarren kommen, eine kleine Szene, die sich mehrere Male wiederholte, bis Mr. Robert Smithers endlich die Leichtigkeit der Havannas zu bezweifeln anfing und in hohem Maße das Gefühl hatte, als ob er rückwärts in einer Mietskutsche gefahren wäre.
Was Mr. Thomas Potter anbelangt, so lachte er eine halbe Minute um die andere laut auf, behauptete ohne alle Veranlassung oder Aufforderung in kaum artikulierten Tönen, vollkommen bei seinen fünf Sinnen zu sein, und ließ sich das Abendblatt reichen; ging aber, da er es einigermaßen schwierig fand, Neuigkeiten darin zu entdecken oder sich auch nur zu überzeugen, daß es überhaupt bedruckt war, langsam hinaus, um nach dem Kometen zu sehen, kehrte ganz blaß vom langen Himmelwärtsschauen zurück, bemühte sich, Heiterkeit darüber auszudrücken, daß sich Mr. Smithers vom Schlafe habe bewältigen lassen, legte unter hektischem Kichern den Kopf auf den Arm und schlummerte gleichfalls ein. Als er wieder aufwachte, wurde auch Mr. Smithers wach, und beide erklärten mit großem Ernst, es wäre äußerst unweise gewesen, soviel eingemachte Walnüsse zu Koteletts zu essen, da doch jedermann wisse, daß man davon stets unwirsch und schläfrig werde, und man könnte schlechterdings nicht sagen, wie schädlich sie ihnen hätten werden können, wenn der Whisky und die Zigarren nicht zum Glücke noch alles wieder gutgemacht hätten. Sie tranken daher eine Schale Kaffee, bezahlten ihre Zeche (dreizehn Schillinge mit der Erkenntlichkeit für den Aufwärter) und brachen auf, um in ihrem löblichen Unternehmen weiter voranzuschreiten.
Es war gerade halb neun; sie meinten daher nichts Besseres tun zu können, als zum Halbpreise in das Citytheater zu gehen, und verfuhren ihrer Ansicht gemäß. Mr. Robert Smithers, der, nachdem sie die Rechnung berichtigt hatten, ausnehmend poetisch geworden war, verkürzte unterwegs Mr. Thomas Potter die Zeit sehr angenehm, indem er ihm vertraulich mitteilte, daß er ein inneres Vorgefühl herannahender Auflösung habe, und fügte im Theater den Dekorationen des Hauses eine neue hinzu, indem er den Kopf und beide Arme graziös auf die Logenbrüstung sinken ließ und in dieser Attitüde abermals einschlief.
Dies war das ruhige Benehmen des anspruchslosen Smithers, und also taten sich die glücklichen Wirkungen des schottischen Whiskys und der Havannas bei diesem interessanten jungen Manne kund; Mr. Thomas Potter dagegen, der nicht wenig Wert darauf legte, sich als einen jungen Mann zu zeigen, »der es hinter den Ohren hat« und für einen »lustigen Gesellen« zu gelten, der »alles mitmacht und in Freuden lebt«, benahm sich auf eine ganz andere Weise und begann, sich zunächst sehr laut und endlich für die Langmut des Publikums zu laut zu benehmen. Sogleich bei seinem Eintreten wünschte er sämtlichen Zuschauern sehr herzlich einen guten Abend und fügte herablassend hinzu, sie möchten sich seinetwegen durchaus nicht abhalten lassen, wenn sie etwa ihren Rausch auszuschlafen wünschten. »Gebt doch dem Köter 'nen Knochen, daß er's Maul hält«, rief ein Gentleman in Hemdärmeln. »Wo hast du dein Quart Branntwein getrunken?« rief ein zweiter, »Knote!« ein dritter, »Bartputzer!« ein vierter, »Werft ihn hinaus!« ein fünfter, während sich zahlreiche andere Stimmen zu dem wohlmeinenden Rate vereinigten, daß sich Mr. Thomas Potter »wieder hinscheren möge, wo er hergekommen sei«. Mr. Thomas Potter hörte all diese Stichelreden mit der vollkommensten Verachtung an, rückte, sooft eine Anspielung auf seine Persönlichkeit gemacht wurde, seinen Hut mit niedrigem Kopf noch etwas mehr auf das linke Ohr, stemmte die Arme in die Seite und drückte dadurch möglichst melodramatisch Herausforderung und Trotzbietung aus.
Die Ouvertüre, zu der dieses alles eine Ad-libitum-Begleitung gebildet hatte, war gespielt worden, das zweite Stück nahm seinen Anfang, und Mr. Thomas Potter, durch Straflosigkeit noch dreister geworden, fuhr fort, sich auf eine höchst unerhörte und außergewöhnliche Weise zu benehmen. Zuerst ahmte er den Triller der Primadonna nach, sodann zischte er mit dem blauen Feuer um die Wette und stellte sich an, als ob er bei Erscheinung des Geistes vor Schrecken Krämpfe bekäme, und schließlich lieferte er nicht nur mit hörbarer Stimme einen fortlaufenden Kommentar zum Bühnendialog, sondern weckte sogar Mr. Robert Smithers auf, der, als er den Freund lärmen hörte und nur eine sehr unbestimmte Vorstellung davon hatte, wo er sich befand oder was von ihm begehrt wurde, um ein gutes Beispiel nachzuahmen, ein so schauderhaftes und endloses Geheul ertönen ließ, wie es nur jemals von einem Theaterpublikum gehört worden war. Es war zuviel. »Hinaus mit den Tumultuanten!« war das allgemeine Geschrei. Man vernahm ein Geräusch wie von scharrenden Füßen und als ob ein paar Leute mit Heftigkeit gegen die Vertäfelung geworfen wurden und ein hastiges Zwiegespräch: »Hinaus – Nein – Sie sollen – Ich will aber nicht – Geben Sie mir Ihre Karte, Sir – Sie sind ein Lump, Sir«, und so fort, worauf ein Beifallssturm die Billigung des Publikums bekundete und Mr. Robert Smithers und Mr. Thomas Potter die Treppe hinunter und in die Straße hinaus mit so erstaunlicher Schnelligkeit flogen, daß sie gänzlich der Mühe überhoben waren, auch nur ein einziges Mal während der ganzen Prozedur die Füße auf den Boden zu setzen.
Mr. Robert Smithers, der keineswegs zum Vogelgeschlecht gehörte und wenigstens bis zum nächsten Quartalstage Fliegens und Mitmachens genug gehabt hatte, begann, sobald er mit dem Freunde die Ecke der Miltonstraße erreicht hatte, sich in entfernten Anspielungen auf die Süßigkeiten des Schlafs zu ergehen und darauf hinzudeuten, wie angemessen es sein dürfte, wenn er und Mr. Thomas Potter nach Islington zurückkehrten und wenn sie den Versuch anstellten, mit ihren Hausschlüsseln die Schlüssellöcher zu finden. Mr. Thomas Potter war jedoch tapferen und entschiedenen Sinnes. Sie hatten einmal beschlossen, sich einen lustigen Abend zu machen, und der Beschluß mußte ausgeführt werden. Mr. Robert Smithers, der zu drei Teilen betäubt und zu einem betrunken war, willigte verzweiflungsvoll ein; sie begaben sich daher in ein Weinhaus, um sich weitere Materialien zu einem lustigen Abend zu verschaffen, und fanden darin eine hübsche Anzahl junger Damen, verschiedene alte Herren und noch mehr trinkende und schwatzende Mietskutscher und Kabriolettführer; und Mr. Thomas Potter sowie Mr. Robert Smithers tranken kleine Gläser Branntwein und große Gläser Sodawasser, bis sie anfingen, von den Dingen im allgemeinen, wie von jeglichem Dinge im besondern nur sehr verwirrte Vorstellungen zu haben –: und als sie sich selbst bewirtet hatten, begannen sie alle anderen Leute zu traktieren, und das Ende der Vergnüglichkeit bestand in einem bunten Gemisch von Köpfen und Fersen, blauen Augen und blauen Uniformen, Straßenschmutz und Gaslichtern, dicken Eichentüren und einem Steinpflaster. Das Weitere von da an war eine »vollkommene Leere«; die Leere wurde am folgenden Morgen mit dem Wörtchen »Polizeiwache« ausgefüllt, sowie die Polizeiwache mit den Herren Smithers und Potter und dem größeren Teile ihrer Gasthausgesellschafter der vorigen Nacht nebst einem verhältnismäßig geringen Teil von Kleidungsstücken aller Art. Und auf der Polizei, zur Entrüstung der Richterbank und zum Erstaunen der Zuhörer, kam es an den Tag, wie ein gewisser Robert Smithers, angestiftet von einem gewissen Thomas Potter und unter dem Beistand »desselben«, in mehreren Straßen und zu verschiedenen Zeiten fünf Männer, vier Knaben und drei Frauen geschlagen und zu Boden geworfen; wie sich »besagter« Thomas Potter verbrecherisch in den Besitz von fünf Türklopfern, zwei Klingelgriffen und einem Frauenhut gesetzt; wie Robert Smithers, des »Besagten« Freund, wenigstens für fünfzig Pfund Flüche – das Stück zu fünf Schillingen gerechnet – ausgestoßen, ganze Straßen voll ruhiger Bürger durch fürchterliches Geschrei und Feuerrufen erschreckt, fünf Polizeidienern die Uniform verdorben und sich noch vieler anderer strafwürdiger Vergehen, zu zahlreich, um sie alle aufzählen zu können, schuldig gemacht habe. Und der Friedensrichter nahm nach einem angemessenen Vorhalt Mr. Thomas Potter und Mr. Robert Smithers jeden um fünf Schillinge in Strafe wegen Trunkenheit, wie der vulgäre Ausdruck des Gesetzes lautet, und um die Kleinigkeit von vierunddreißig Pfunden wegen siebzehn bewiesener Angriffe auf Personen, das Stück zu fünf Schilling, wobei es ihnen überlassen bleiben sollte, sich mit den Anklägern zu vergleichen.
Die Ankläger ließen mit sich reden, die Herren Potter und Smithers lebten indes ein Quartal auf Kredit, so gut sie konnten, und haben es nie wieder unternommen, sich einen lustigen Abend zu machen, obwohl die Ankläger sich sehr bereit erklärten, unter denselben Bedingungen zweimal wöchentlich Angriffe auf ihre Personen zu erdulden.