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»Wirklich, lieber Mann, er bewies Theresa am letzten Gesellschaftsabend große Aufmerksamkeiten«, sagte Mrs. Malderton zu ihrem Gatten, der, nach seinen Tagesmühen in der City, ein seidenes Tuch über den Kopf gedeckt, die Füße auf das Kamingitter gestellt hatte und seinen Portwein trank; »sehr große Aufmerksamkeiten; und ich wiederhole es, wir sollten ihm auf jede Weise entgegenkommen. Er muß durchaus zum Mittagessen eingeladen werden.«
»Wer muß eingeladen werden?« fragte Mr. Malderton.
»Du weißt ja, wen ich meine, liebster Malderton – der junge Mann mit dem schwarzen Backenbart und der weißen Halsbinde, der soeben in unserem Gesellschaftszirkel aufgetaucht ist und von dem alle Mädchen sprechen – der junge – wie heißt er doch? – Marianne, wie heißt er?«
Marianne war Mrs. Maldertons jüngste Tochter. Sie war beschäftigt, eine Börse zu sticken, und bemühte sich, empfindsam auszusehen. »Mr. Horatio Sparkins, Mama«, erwiderte Miss Marianne mit einem Juliaseufzer.
»Richtig – Horatio Sparkins«, sagte Mrs. Malderton; »ohne Frage der feinste und wohlerzogenste junge Mann, den ich jemals gesehen habe. Er sah am letzten Gesellschaftsabend in seinem wie angegossen sitzenden Rocke aus wie – wie –«
»Wie Prinz Leopold, Mama – so nobel, so gefühlvoll!« fiel Miss Marianne im Tone enthusiastischer Bewunderung ein.
»Du solltest bedenken, liebster Mann«, fuhr Mrs. Malderton fort, »daß Theresa achtundzwanzig Jahre alt und daß es wirklich von großer Wichtigkeit ist, daß etwas geschieht.«
Miss Theresa Malderton war eine kleine, runde Person mit hochroten Wangen, von freundlichem Wesen und noch ohne Gatten, Bewerber oder Anbeter; ein Unglück, dessen Ursache jedoch, um ihr Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, keineswegs in einem Mangel an Beharrlichkeit von ihrer Seite lag. Sie hatte vergeblich zehn Jahre lang kokettiert, vergeblich hatten Mr. und Mrs. Malderton eine ausgedehnte Bekanntschaft mit jungen heiratsfähigen Männern aus Camberwell, Wandsworth und Brixton sogar sorgfältig unterhalten; die Londoner noch nicht einmal gerechnet, die sonntags vorsprachen. Miss Malderton war so bekannt wie der Löwe auf dem Giebel von Northumberland-House und hatte ungefähr ebensoviel Wahrscheinlichkeit, »wegzugehen«, wie der Tierkönig, obschon er fortwährend, gleich Miss Malderton, »auf dem Sprunge« war.
»Ich bin vollkommen überzeugt, daß er dir gefallen würde«, fuhr Mrs. Malderton fort; »er ist so weltmännisch.«
»So geistreich«, sagte Miss Marianne.
»Und spricht so vortrefflich, so fließend«, fügte Miss Theresa hinzu.
»Er hegt große Hochachtung für dich, lieber Mann«, sagte Mrs. Malderton zu ihrem Gatten in vertraulichem Tone.
Mr. Malderton hustete und sah in das Feuer.
»Ich bin überzeugt, daß er sehr viel von Papa hält«, sagte Miss Marianne.
»Ohne allen Zweifel«, bekräftigte Miss Theresa.
»In der Tat, er hat es mir selbst im Vertrauen gesagt«, bemerkte Mrs. Malderton.
»Schon gut, schon gut«, entgegnete Mr. Malderton einigermaßen geschmeichelt; »wenn ich ihn morgen im Gesellschaftszirkel sehe, lade ich ihn vielleicht zu uns ein. Ich denke, er wird wissen, daß wir auf Oak Lodge in Camberwell wohnen, meine Liebe?«
»Natürlich – und auch, daß du einen Wagen und ein Pferd hältst.«
»Nun, wir wollen sehen«, sagte Mr. Malderton, sich zu einem Schläfchen zurechtsetzend; »ich werde daran denken.«
Mr. Malderton war ein Mann, dessen Gesichtskreis auf Lloyds, die Börse, das Ostindienhaus und die Bank beschränkt war. Einige glückliche Spekulationen hatten ihn aus einem dürftigen Mann in einen wohlhabenden verwandelt. Wie es in solchen Fällen häufig zu geschehen pflegt, hatte sich mit der Zunahme der Mittel seine Meinung von seiner Person und seiner Familie sehr ungebührlich gesteigert; er suchte es den Vornehmeren und Reicheren in jeder Torheit nachzutun, strebte vornehm zu sein und legte einen entschiedenen und geziemenden Abscheu vor allem, was möglicherweise als gewöhnlich betrachtet werden konnte, an den Tag. Mr. Malderton war gastlich aus Prunksucht, engstirnig aus Unwissenheit und voll von Vorurteilen aus Dünkel und Eitelkeit. Sein vortrefflicher Tisch verschaffte ihm zahlreiche Gäste. Er sah gern gescheite Personen bei sich oder solche, die er dafür hielt, weil davon gesprochen wurde, konnte aber durchaus die »gewitzten« Leute, wie er sie nannte, nicht leiden. Er hegte diese Abneigung wahrscheinlich aus Höflichkeit gegen seine beiden Söhne, die ihrem werten Papa in dieser Beziehung keine Unruhe verursachten. Die Familie war von dem Ehrgeiz besessen, sich Bekanntschaften und Verbindungen in einem höheren gesellschaftlichen Kreise zu verschaffen als dem, in dem sie sich selbst bewegte; und eine der notwendigen Folgen dieses Hanges und ihrer damit verbundenen gänzlichen Unkenntnis der Welt außerhalb ihrer eigenen beschränkten Sphäre war die, daß jeder, der sich nur mit einigem Schein einer Bekanntschaft mit Leuten von Rang und hoher Geburt rühmen konnte, gastlicher Aufnahme in Mr. Maldertons Hause stets gewiß war.
Mr. Horatio Sparkins' Erscheinen in dem Gesellschaftszirkel hatte unter deren regelmäßigen Teilnehmern nicht wenig Aufsehen und Neugierde erregt. Was mochte er sein? Er war augenscheinlich zurückhaltend und, wie es schien, melancholisch. War er ein Geistlicher? Er tanzte zu gut. Ein Sachwalter? Man sah und hörte nichts von ihm in den Gerichtshöfen. Er bediente sich sehr gewählter Ausdrücke und sprach ziemlich viel. War er vielleicht ein Ausländer von Distinktion, der in der Absicht nach England gekommen war, das Land und seine Sitten und Gebräuche zu schildern, und Citybälle und öffentliche Diners besuchte, um sich mit dem Leben und Treiben der großen Welt und englischer verfeinerter Sitte und Bildung bekannt zu machen? Aber man bemerkte bei ihm durchaus keine fremde Betonung. War er Wundarzt, Künstler, schrieb er Moderomane oder für die belletristischen Zeitblätter? Nein. Dem allen stand irgendeine gewichtige Einwendung entgegen. Jedermann sagte: »Er muß aber doch etwas sein.« Auch Mr. Malderton schloß sich dieser Meinung an, »denn«, sprach er bei sich selbst, »er fühlt unsere Überlegenheit und erweist uns so große Aufmerksamkeit.«
Der Abend nach der erwähnten Familienunterredung war ein »Gesellschaftsabend«. Das Vorfahren des Wagens ward auf präzis neun Uhr bestellt. Die Misses Malderton legten himmelblaue, mit künstlichen Blumen besetzte Atlaskleider an, und Mrs. Malderton – eine kleine, runde Frau – war ebenso angezogen und sah aus wie ihre älteste Tochter mit zwei multipliziert. Mr. Frederick Malderton, der älteste Sohn, war in seinem eleganten Ballanzug das wahrhafte Ideal eines fixen, geschniegelten Kellners, und Mr. Thomas Malderton, der jüngste Sohn, glich in seiner weißen Halsbinde, seinem blauen Rock mit glänzenden Knöpfen und seinem roten Uhrband auf das Haar dem Bildnis jenes interessanten, obgleich ein wenig unbesonnenen jungen Herrn George Barnwell. Sämtliche Familienglieder hatten sich darauf vorbereitet, Mr. Horatio Sparkins' Bekanntschaft zu pflegen. Miss Theresa war natürlich so liebenswürdig und interessant, wie Damen von achtundzwanzig auf der Mannsschau zu sein pflegen, und Mrs. Malderton schien lauter Lächeln und Freundlichkeit zu sein. Miss Marianne wollte sich ein paar Verse in ihr Stammbuch erbitten, Mr. Malderton den großen Unbekannten durch eine Einladung zum Mittagessen protegieren, und Tom hatte sich's ausgesonnen, ihn in betreff seiner Schnupftabak- und Zigarrenkenntnis auszuholen. Sogar Mr. Frederick Malderton – er, das Familienorakel in allem, was Geschmack, Kleidung und elegante Arrangements betraf – er, der seine eigene Wohnung im Westend und freien Zutritt im Covent-Garden-Theater hatte, stets nach der Mode des Monats gekleidet war, dieselben Partien machte, die von der vornehmen Welt gemacht wurden, und sich eines vertrauten Freundes rühmte, der einst mit einem Gentleman bekannt war, der vormals in Albany wohnte – selbst er hatte beschlossen, daß Mr. Horatio Sparkins ein verflucht guter Patron sei und daß er ihm die Ehre erweisen wolle, ihn zu einer Partie Billard aufzufordern.
Der erste, die sehnsüchtigen Blicke der hoffenden Familie bei ihrem Eintritte in den Ballsaal treffende Gegenstand, war der interessante Horatio. Er lehnte mit aus der Stirn gestrichenem Haar und die Augen empor an die Decke geheftet an einem Pfeiler.
»Da ist er«, flüsterte Mrs. Malderton sehr erregt ihrem Gatten zu.
»Wie ähnlich Lord Byron«, murmelte Theresa.
»Oder Montgomery«, flüsterte Miss Marianne.
»Oder den Porträts des Kapitän Roß!« fiel Tom ein.
»Tom – sei kein Esel«, sagte sein Vater, der Tom bei jeder Gelegenheit zum Schweigen verwies, wahrscheinlich um zu verhindern, daß er »gewitzt« würde, was sehr unwahrscheinlich war.
Der elegante Sparkins posierte mit bedeutendem Effekt, bis die Familie Malderton in seine Nähe kam, fuhr sodann mit höchst natürlich nachgemachter freudiger Überraschung empor, redete Mrs. Malderton mit der größten Herzlichkeit an, begrüßte die jungen Damen auf die bezauberndste Weise, verbeugte sich auf das ehrerbietigste vor Mr. Malderton und erwiderte die Begrüßung der beiden jungen Herren mit halb erfreuter und halb herablassender Gönnermiene, was ihre Überzeugung zu vollkommener Gewißheit erhob, daß er ein bedeutender und zugleich ein verbindlich-liebenswürdiger Mann sei.
»Miss Malderton«, sagte Horatio nach den gewöhnlichen Begrüßungen und verbeugte sich dabei sehr tief, »vergönnen Sie mir, die Hoffnung hegen zu dürfen, daß Sie mir gestatten werden, das Vergnügen zu haben –«
»Ich glaube nicht, daß ich schon engagiert bin«, sagte Miss Theresa, schreckliche Gleichgültigkeit mimend – »aber wirklich – so viele –«
Horatio sah so allerliebst unglücklich aus wie ein auf einem Stückchen Apfelsinenschale ausgleitender Hamlet.
»Es wird mir das größte Vergnügen gewähren«, säuselte die interessante Theresa endlich, und Horatios Antlitz begann wieder zu glänzen wie ein alter Hut in einem Regenschauer.
»Es ist wahr, ein sehr feiner junger Mann«, bemerkte Mr. Malderton sehr befriedigt, als Horatio seine Partnerin zum Tanz entführte.
»Sein Takt ist ganz ausgezeichnet«, fiel Mr. Frederick ein.
»Wahrhaftig, er ist ein Hauptkerl«, sagte Tom, der es sich nie versagen konnte, mit einzureden; »er spricht ganz wie ein Auktionator.«
»Tom!« sagte sein Vater feierlich, »ich meinte dir schon gesagt zu haben, daß du kein Gimpel sein sollst.«
Tom sah so vergnügt aus wie ein Hahn an einem regnerischen Morgen.
»Wie entzückend!« sagte der interessante Horatio zu seiner Tänzerin, als er mit ihr nach Beendigung der Quadrille im Saale auf und ab ging – »wie entzückend, wie erquickend ist es, sich von den Gewitterstürmen, den Wirren und Unruhen des Lebens, und wär' es auch nur für kurze flüchtige Augenblicke, zurückzuziehen; und diese Momente, so kurz sie sein und so schnell sie dahinschwinden mögen, in der süßen, seligen Nähe einer Dame hinzubringen, deren Zürnen der Tod, deren Falschheit Verderben, deren Treue Seligkeit sein und deren Kälte in Wahnsinn stürzen würde – deren Zuneigung als der glänzendste und schönste Lohn erscheint, mit dem der Himmel einen Mann beglücken könnte.«
»Wie gefühlvoll, wie poetisch!« dachte Miss Theresa und lehnte sich stärker auf ihres Führers Arm.
»Doch genug – genug«, fuhr der elegante Sparkins mit theatralischer Betonung fort. »Was hab' ich gesagt? Was hab' ich – hab' ich – mit Gefühlen dieser Art zu schaffen? Miss Malderton – darf ich hoffen, daß Sie es mir erlauben, Ihnen das sehr geringe Anerbieten –«
»Wirklich, Mr. Sparkins«, unterbrach ihn Theresa innerlich jubelnd und süß und verwirrt errötend, »ich muß Sie an meinen Vater verweisen. Ohne seine Einwilligung darf ich es schlechterdings nicht wagen, zu – zu –«
»Er wird sicher nichts dagegen haben –«
»Ach, Sie – Sie kennen ihn nicht«, fiel Miss Theresa ein, sehr wohl wissend, daß nichts zu fürchten war; allein, sie wünschte, eine Romanszene herbeizuführen.
»Er kann in der Tat nichts dagegen haben, daß ich Ihnen ein Glas Glühwein anbiete«, fuhr der anbetungswürdige Sparkins ein wenig überrascht fort.
»Ist das alles?« sprach die getäuschte Theresa bei sich selbst. »Wieviel Lärm um nichts!« –
»Es wird mir das größte Vergnügen gewähren, Sir, Sie am nächsten Sonntag um fünf Uhr in Oak Lodge zum Mittagessen bei mir zu sehen, sofern Sie nichts Besseres vorhaben«, sagte Mr. Malderton, als er und seine Söhne nach Beendigung des Balls mit Mr. Horatio Sparkins plauderten.
Horatio verbeugte sich verbindlich und nahm die schmeichelhafte Einladung an.
»Ich muß gestehen«, fuhr der manövrierende Vater, seinem neuen Bekannten die Dose bietend, fort, »daß ich diese Gesellschaft nicht so sehr liebe wie den Komfort – ich hätte bald gesagt, den Luxus von Oak Lodge; sie haben keine großen Reize für ältere Leute.«
»Und am Ende, Sir, was sind Leute, was sind Menschen?« sagte der metaphysische Sparkins – »wie gesagt, was ist der Mensch?«
»Sehr wahr«, bemerkte Mr. Malderton, »sehr wahr.«
»Wir wissen, daß wir leben und atmen«, fahr Horatio fort; »daß wir Bedürfnisse und Wünsche, Neigungen und –«
»Ohne allen Zweifel«, unterbrach Mr. Frederick Malderton mit äußerst weiser Miene.
»Ich wollte sagen, wir wissen, daß wir existieren«, wiederholte Horatio mit erhobener Stimme; »doch hier sind wir ans Ende unseres Wissens, auf dem Gipfel unserer Forschungen, am Ziele unserer Bestrebungen angelangt. Was wüßten wir weiter?«
»Nichts«, entgegnete Mr. Frederick, und in der Tat konnte niemand mit größerem Rechte eine solche Antwort geben als er. Tom wollte gleichfalls etwas sagen, bemerkte jedoch zum Glück für den Ruf seiner Weisheit des Vaters zornige Seitenblicke und schlich sich davon wie ein auf einer kleinen Dieberei ertappter junger Hund.
»Auf mein Wort«, sagte Malderton der Vater, als die Familie im Wagen nach Hause fuhr, »der Sparkins ist ein wundervoller junger Mann. Was für erstaunliche Kenntnisse! Welch eine stupende Gelehrsamkeit! Und welch eine glänzende Redegabe!«
»Ich glaube fest, daß eine bedeutende Person unter seiner Maske steckt«, bemerkte Miss Marianne. »Wie bezaubernd romantisch!«
»Er spricht sehr laut und sehr artig«, fiel Tom schüchtern ein; »allein, ich verstehe eigentlich nicht, was er sagt.«
»Ich fange fast an zu verzweifeln, daß du jemals irgend etwas verstehen wirst, Tom«, sagte sein Vater, der natürlich durch Mr. Horatio Sparkins' Unterhaltung sehr erleuchtet war.
»Es ist ganz offenbar, Tom«, sagte Miss Theresa, »daß du dich heute abend entsetzlich lächerlich gemacht hast.«
Die ganze Familie bestätigte Theresas Ausspruch, und der unglückliche Tom drückte sich möglichst tief in seine Wagenecke. Mr. und Mrs. Malderton besprachen noch lange ihrer Tochter Aussichten und die demnächst zu treffenden Einrichtungen. Miss Theresa begab sich zu Bett, erwägend, ob es sich, falls sie einen Titel erheiratete, für sie schicken würde, die Besuche ihrer jetzigen Freundinnen anzunehmen, und träumte die ganze Nacht von verkleideten Grafen, prachtvollen Gesellschaften, Straußfedern, Brautkränzen und Horatio Sparkins.
Am Sonntagmorgen ward vielfach darüber hin und her gesprochen, auf welche Weise der sehnsüchtig erwartete Horatio mutmaßlich erscheinen würde. Hielt er ein Gig – sollte er vielleicht zu Pferd kommen – oder einem Stellwagen seine Gönnerschaft zuwenden? Diese und andere Fragen von gleicher Wichtigkeit beschäftigten Mrs. Malderton und ihre Töchter den ganzen Vormittag.
»Ich muß doch in der Tat sagen«, bemerkte Mr. Malderton zu seiner Gattin, »es ist höchst verdrießlich, daß dein Bruder sich gerade heute bei uns zu Gast gebeten hat. Er hat gar zu gewöhnliche Manieren. Ich habe, da Mr. Sparkins kommt, absichtlich niemand außer Flamwell eingeladen. Und nun dein Bruder – ein Gewürzkrämer – es ist unerträglich. Ich würde lieber tausend Pfund verlieren, als ihn in Gegenwart unseres neuen Bekannten seines Ladens erwähnen hören. Es würde mich nicht stören, daß er hier ist, wenn er nur so gescheit wäre, es nicht merken zu lassen, welch ein Schandfleck er für die Familie ist; aber er ist so verwünscht verliebt in sein schauderhaftes Geschäft, daß er jedermann offenbaren wird, wer und was er ist.«
Mr. Jakob Barton, der Bruder und Schwager, von dem Mr. Malderton sprach, war ein wohlhabender Gewürzkrämer, und so gewöhnlich denkend, so ganz entblößt von feinem Gefühl, daß er nie und nirgend Bedenken trug, zu bekennen, daß er sich nicht »zu vornehm für sein Geschäft« hielt. »Ich mache mir mein Geld damit«, pflegte er zu sagen, »und meinetwegen mag's die ganze Welt wissen.«
»Ah, mein wertester Flamwell, wie geht's?« rief Mr. Malderton einem eintretenden kleinen Mann mit grüner Brille entgegen. »Sie erhielten mein Billett?«
»Allerdings, und stellte mich mit Ihrer Erlaubnis ein.«
»Kennen Sie nicht einen Mr. Sparkins wenigstens dem Namen nach? Sie kennen ja alle Welt?«
Mr. Flamwell gehörte zu den Leuten mit unglaublich ausgebreiteter Bekanntschaft, die jedermann zu kennen vorgeben, und natürlich niemand kennen. In Maldertons Haus, wo mit begierigen Blicken alles verschlungen wurde, was vornehme Personen betraf, war er ebenso beliebt wie geehrt, und da er sehr gut wußte, mit was für Leuten er es zu tun hatte, ließ er seiner Leidenschaft, mit jedermann bekannt sein zu wollen, alle Zügel schießen. Er hatte eine besondere Manier, seine größten Lügen beiläufig und mit der Miene der Selbstverleugnung einzuflechten oder hinzuwerfen, als ob er fürchtete, für anmaßend gehalten zu werden.
»Hm, nein, ich kenne ihn unter dem Namen nicht«, erwiderte er mit leiser Stimme und unermeßlich wichtiger Miene. »Indes zweifle ich nicht im mindesten, daß ich ihn kenne. Ist er groß?«
»Von Mittelgröße«, sagte Miss Theresa.
»Er hat schwarzes Haar?« fuhr Flamwell, eine dreiste Behauptung wagend, fort.
»Ja, ja«, erwiderte Theresa eifrig.
»Ein wenig von einer Stumpfnase?«
»Nein, o nein«, sagte Theresa verblüfft; »er hat eine römische Nase.«
»Ganz recht, eine römische Nase – das wollte ich eben sagen. Er ist ein feiner junger Mann?«
»Freilich.«
»Hat äußerst einnehmende Manieren?«
»Ja freilich«, sagte die ganze Familie aus einem Munde. »Sie kennen ihn unfehlbar.«
»Ich dachte mir's wohl, daß Sie ihn kennen würden, wenn er ein irgendwie bedeutender junger Mann ist«, rief Mr. Malderton triumphierend aus. »Was meinen Sie, wer er ist?«
»Ihrer Schilderung nach«, sagte Flamwell sinnend und ließ die Stimme fast bis zum Geflüster sinken, »hat er eine starke Ähnlichkeit mit dem hochachtbaren Augustus Fitz-Edward Fitz-John Fitz-Osborne. Er ist ein äußerst begabter junger Mann und ein wenig exzentrisch. Es ist sehr wahrscheinlich, daß er zu irgendeinem Zweck für den Augenblick einen anderen Namen angenommen hat.«
Wie hoch Theresa das Herz schwoll! Sollte er wirklich der hochachtbare Augustus Fitz-Edward Fitz-John Fitz-Osborne sein? Welch ein Name auf eleganten Verlobungskarten! »Der hochachtbare Augustus Fitz-Edward Fitz-John Fitz-Osborne!« Der Gedanke war Entzücken und Seligkeit.
»'s ist in fünf Minuten fünf Uhr«, sagte Mr. Malderton, auf seine Uhr sehend; »ich will hoffen, daß er uns nicht vergebens auf sich warten läßt.«
»Da ist er!« rief Miss Theresa aus, denn es ertönten mächtige Doppelschläge an der Haustür. Alle bemühten sich – wie es häufig zu geschehen pflegt, wenn ein Besucher begierig erwartet wird – auszusehen, als wenn sie an niemands Eintreten gedacht hätten.
Die Tür wurde geöffnet. »Mr. Barton!« rief der Bediente.
»Der verwünschte Krämer«, murmelte Mr. Malderton. »Ah, mein werter Herr, wie befinden Sie sich? Nichts Neues?«
»Nein, nichts Besonderes«, antwortete Barton mit seiner gewöhnlichen biederen Zutraulichkeit; »nichts Besonderes, daß ich wüßte. Was macht ihr, Mädels und Burschen? – Freue mich, Sie hier zu sehen, Mr. Flamwell.«
»Da kommt Mr. Sparkins, und auf was für 'nem prächtigen Rappen!« sagte Tom, der durch das Fenster geschaut hatte.
In der Tat sprengte Horatio auf einem Rappen daher, den er gleich dem ersten Kunstreiter kurbettieren ließ. Er stieg ab und übergab sein Roß dem Stallbedienten, trat ein und wurde Flamwell und Barton sowie diese ihm vorgestellt. Flamwell musterte ihn durch seine Brille mit geheimnisvoll-wichtiger Miene, und Horatio warf Theresa, die sich anstrengte, ausnehmend schmachtend auszusehen, unaussprechliche Dinge verkündende Blicke zu.
»Ist's der hochachtbare Augustus – wie nannten Sie ihn doch?« flüsterte Mrs. Malderton Flamwell zu, der sie nach dem Speisezimmer führte.
»Hm – nein – zum wenigsten nicht so ganz eigentlich«, erwiderte das große Orakel, »nicht so ganz eigentlich.«
»Aber wer ist er denn?«
»Pst!« sagte Flamwell mit bedeutsamem Kopfnicken, um anzudeuten, daß er es sehr gut wisse, allein durch wichtige Gründe bewogen würde, das wichtige Geheimnis nicht verlauten zu lassen. Der Unbekannte war vielleicht ein Mitglied des Ministeriums, das sich inkognito mit der Volksstimmung bekannt machen wollte.
»Mr. Sparkins«, sagte die glückliche Mrs. Malderton, »darf ich bitten, daß Sie die Damen trennen? John, setzen Sie einen Stuhl für den Herrn zwischen Miss Theresa und Miss Marianne.«
John versah gewöhnlich die Dienste des Stallknechts und Gärtners, war aber an diesem Tage, da es galt, Mr. Sparkins eine große Vorstellung von den Maldertons beizubringen, in Schuhe und ein weißes Halstuch gesteckt und sonst nach Kräften aufgestutzt worden, um wie ein zweiter Bedienter auszusehen.
Das Diner war ausgesucht, Horatio erwies Theresa alle möglichen Aufmerksamkeiten, und alle waren äußerst vergnügt mit Ausnahme Mr. Maldertons, der seinen Schwager zu gut kannte, um nicht in fortwährender Angst zu schweben.
»Haben Sie Ihren Freund, Sir Thomas Noland, kürzlich gesehen, Flamwell?« fragte er, Horiatio von der Seite anblickend, um zu sehen, was für Effekt die Erwähnung eines so bedeutenden Mannes bei ihm machte.
»Hm, nein – ganz kürzlich nicht; vorgestern sah ich aber Lord Gubbleton.«
»Ich hoffe, Seine Lordschaft befindet sich wohl«, fuhr Malderton im Ton der lebhaftesten Teilnahme fort, und kaum wird es nötig sein, zu sagen, daß er bis zu diesem Augenblick hinsichtlich seiner Kenntnis vom Dasein des edeln Lords im Stande der vollkommensten Unschuld gelebt hatte.
»O ja; der Lord befand sich sehr wohl – in der Tat sehr wohl. Er ist ein sehr lieber Mann. Ich begegnete ihm in der City und plauderte lange mit ihm. Wir sind sehr vertraut miteinander. Ich konnte mich indes nicht so lange bei ihm aufhalten, wie ich's gewünscht hätte, weil ich gerade auf dem Wege zu einem Bankier war, einem sehr reichen Mann und Parlamentsmitglied, mit dem ich gleichfalls, wie ich wohl sagen kann, auf dem vertrautesten Fuß stehe.«
»Ah, ich weiß, wen Sie meinen«, sagte Malderton, der genausoviel wußte wie Flamwell selbst.
»Er macht sehr ausgedehnte Geschäfte.«
Hiermit war ein sehr gefährlicher Gegenstand berührt.
»Da von Geschäften die Rede ist«, nahm Barton, der mitten am Tische saß, das Wort, »fällt mir ein, Malderton, daß vor einigen Tagen ein Herr, den Sie sehr genau gekannt haben, ehe Sie Ihre erste glückliche Spekulation machten, in meinen Laden kam, und –«
»Barton, darf ich Sie um die Kartoffeln bitten«, unterbrach ihn der unglückliche Gastgeber, in der Hoffnung, die Geschichte im Keime zu ersticken.
»Mit Vergnügen«, entgegnete der Gewürzkrämer, ohne seines Schwagers Absicht nur von fern zu ahnen – »und fragte sehr freundschaftlich –«
Malderton unterbrach ihn zum zweiten Male durch ein ähnliches Anliegen. Er fürchtete den Schluß der Erzählung und vor allen Dingen die Wiederholung des Wörtchens »Laden«.
»Und fragte also, wie gesagt, sehr freundschaftlich«, fuhr der unerschütterliche Barton fort, »wie geht es mit Ihrem Geschäft? Ich antwortete scherzend: Sie kennen meine Weise – ich halte mich nicht zu vornehm für mein Geschäft und hoffe, es wird auch mich nicht vornehm im Stich lassen. Ha, ha, ha!«
»Mr. Sparkins«, sagte Malderton, der vergeblich seinen Verdruß zu verbergen suchte, »ein Glas Wein?«
»Mit dem größten Vergnügen, Sir.«
»Freue mich, Sie bei uns zu sehen.«
»Danke ergebenst.«
»Wir sprachen vor ein paar Tagen«, fuhr der Wirt zu Horatio fort, um sowohl seinem neuen Bekannten Gelegenheit zu verschaffen, seine Unterhaltungsgabe zu zeigen, als auch in der Hoffnung, den Krämer zu hindern, mit seinen Geschichten zum Vorschein zu kommen – »wir sprachen vor ein paar Tagen über die menschliche Natur. Ihre Ansichten erschienen mir ebenso neu wie wahr.«
»Mir auch«, fiel Mr. Frederick ein, und Horatio antwortete durch eine graziöse Kopfneigung.
»Was ist denn Ihre Meinung über die Frauen, Mr. Sparkins?« nahm Mr. Malderton das Wort.
Die jungen Damen lächelten und sahen verschämt vor sich nieder.
»Der Mann«, erwiderte Horatio, »der Mann, sei es, daß er die holden, seligen, blumigen Fluren eines zweiten Eden, oder die öde, unfruchtbare, und wenn ich so sagen darf, alltäglich-gemeine Steppe bewohnt, an die wir uns in Zeiten wie die unsrigen gewöhnen müssen: ich sage, der Mann – und zwar unter allen Umständen und an jedem Orte – mühselig sein Dasein fristend zwischen den Eisfeldern der kalten Zone oder keuchend unter den senkrechten Strahlen der glühenden Äquatorsonne – der Mann würde, ohne die Frauen – allein sein.«
»Es freut mich ausnehmend, Mr. Sparkins«, bemerkte Mrs. Malderton, »zu sehen, daß Sie so ehrenhafte Meinungen hegen.«
»Mich gleichfalls«, fügte Miss Theresa hinzu.
Horatio warf ihr einen dankbar-seligen Blick zu, und die junge Dame wurde so rot wie eine vollkommen aufgeblühte Päonie.
»Meine Meinung ist«, hub Barton an –
»Ich weiß, was Sie sagen wollen«, unterbrach ihn Malderton, entschlossen, seinen Schwager nicht wieder zu Wort kommen zu lassen, »und bin Ihrer Meinung keineswegs.«
»Wieso?« fragte Barton verwundert.
»Tut mir leid, anderer Meinung sein zu müssen«, erwiderte Malderton so bestimmt, als wenn er wirklich einer ausgesprochenen Behauptung Bartons entgegentrete; »kann aber in der Tat eine Ansicht nicht billigen, die mir als durchaus verkehrt erscheint.«
»Ich wollte aber nur sagen –«
»Sie werden mich nie überzeugen«, unterbrach ihn Malderton im Tone der hartnäckigsten Bestimmtheit; »nie!«
»Und ich«, fiel Mr. Frederick ein, dem Vater zum Angriffe nachfolgend, »ich kann Mr. Sparkins' Meinung durchaus nicht teilen.«
»Wie!« rief Horatio aus, der in demselben Maße metaphysischer und redseliger wurde, als er gewahrte, daß ihm die Damen mit bewunderndem Entzücken zuhörten; »wie! ist die Wirkung die Folge der Ursache? Ist die Ursache die Vorläuferin der Folge?«
»Das eben ist die Frage«, fiel Flamwell beistimmend ein.
»Allerdings«, sagte Mr. Malderton.
»Ist nun die Wirkung der Ursache Folge und geht die Ursache der Wirkung vorher, so möchten Sie entschieden unrecht haben«, fuhr Horatio fort.
»Offenbar unrecht«, bekräftigte Flamwell.
»Ich darf zum wenigsten hoffen, meine Behauptung logisch begründet zu haben?« sagte Sparkins in fragendem Ton.
»Ohne allen Zweifel«, stimmte Flamwell abermals bei. »Sie haben sie ganz außer Frage gestellt.«
»Mag sein«, sagte Mr. Frederick; »es wollte mir nur nicht sogleich einleuchten.«
Und mir leuchtet es auch jetzt noch nicht ein, dachte der Gewürzkrämer.
»Wie wundervoll gescheit er ist!« flüsterte Mrs. Malderton ihren Töchtern zu, als sie sich mit ihnen zurückzog.
»Oh, er ist ein ganz prächtiger Mensch!« sagten die beiden jungen Damen. »Er muß reiche Lebenserfahrungen gemacht haben.«
Als die Herren sich selbst überlassen waren, trat eine Pause ein, während der alle sehr nachdenklich aussahen, als wenn sie durch Horatios Gedankentiefe ganz überwältigt wären. Flamwell, der auszuforschen beschlossen hatte, wer und was Mr. Sparkins eigentlich war, brach zuerst das Stillschweigen.
»Bitte um Vergebung, Sir«, hub er an, »haben Sie nicht die Rechte studiert? Es war einst auch meine Absicht, und ich bin noch jetzt mit mehreren der höchsten Zierden der englischen Anwaltschaft genau bekannt.«
»Nein!« erwiderte Horatio ein wenig zögernd, »so eigentlich nicht.«
»Allein, ich müßte doch sehr irren, wenn Sie nicht vielen Umgang mit Rechtsgelehrten gehabt hätten?«
»Allerdings; fortwährend seit meinen ersten Jünglingsjahren.«
Flamwell meinte, jetzt vollkommen genau zu wissen, was er wissen wollte. Sparkins war ein junger angehender Sachwalter.
»Ich möchte nicht Sachwalter sein«, sagte Tom, der jetzt zum ersten Male den Mund öffnete und umherschaute, um jemand zu finden, der seine Bemerkung beachtete, was indes von niemand geschah.
»Ich möchte keine Perücke tragen«, wagte Tom hinzuzusetzen.
»Tom, ich bitte dich, mach dich nicht lächerlich«, nahm sein Vater das Wort. »Höre zu, unterrichte dich durch das, was du hörst, und mach nicht fortwährend so abgeschmackte Bemerkungen.«
»Ja, ja, Vater«, versetzte der unglückliche Tom, der, seit er seine Mutter um ein Viertel nach fünf – und es war jetzt acht Uhr – um ein Stück Rindfleisch gebeten, kein Wort gesprochen hatte.
»Laß gut sein, Tom«, sagte sein gutmütiger Onkel, »ich denke wie du; möchte auch keine Perücke tragen, binde lieber 'ne Schürze vor.«
Mr. Malderton hustete stark genug, allein Barton fuhr fort:
»Denn wenn sich jemand zu vornehm für sein Geschäft dünkt –«
Der Husten kehrte mit zehnfacher Heftigkeit zurück und hörte nicht eher wieder auf, als bis der Unheilstifter, der Schuld daran war, vollkommen vergessen hatte, was er sagen wollte.
»Mr. Sparkins«, begann Flamwell, seinen Entdeckungsversuch wieder aufnehmend, »kennen Sie vielleicht Mr. Delafontaine von Bedford-Square?«
»Er hat mir und ich habe ihm eine Karte geschickt, und ich hatte seitdem Gelegenheit, ihm einen nicht unbeträchtlichen Dienst zu leisten«, erwiderte Horatio, sich ein wenig verfärbend – ohne Zweifel, weil er sich hatte verleiten lassen, so etwas auszuschwatzen.
»Sie sind sehr glücklich zu schätzen, wenn Sie Gelegenheit gehabt haben, sich diesen angesehenen Mann zu verpflichten«, bemerkte Flamwell mit einer Miene tiefer Ehrerbietung.
»Ich weiß in der Tat nicht, wer er ist«, flüsterte Flamwell dem Gastgeber vertraulich zu, als sie Horatio in das Damenzimmer folgten; »indes ist es ganz ausgemacht, daß er dem Stande der Rechtsgelehrten angehört, ein Mann von Bedeutung ist, vornehme Verbindungen hat.«
»Ohne Zweifel, ohne allen Zweifel«, versetzte Mr. Malderton.
Der Abend verging äußerst angenehm. Barton schlief ein, Malderton sah sich dadurch von seinen Ängsten befreit und war deshalb so gesprächig und liebenswürdig wie möglich. Miss Theresa spielte ein Modestück, wie Mr. Sparkins erklärte, »vollkommen meisterhaft«, und beide sangen mit Frederick Terzetts ohne Zahl, nachdem sie die erfreuliche Entdeckung gemacht, daß ihre Stimmen auf das schönste harmonierten. Freilich sangen alle drei die erste Stimme und Horatio hatte nicht nur das kleine Unglück, kein musikalisches Gehör zu haben, sondern kannte auch nicht eine einzige Note; allein die Zeit verging dessenungeachtet unendlich angenehm, und es war zwölf Uhr geworden, als Mr. Sparkins sein Trauerpferd vorführen ließ. Er hatte jedoch zuvor heilig versprechen müssen, seinen Besuch am folgenden Sonntag zu wiederholen.
»Vielleicht nimmt aber Mr. Sparkins morgen abend an unserer Partie teil?« sagte die Frau vom Hause. »Malderton denkt, die Mädchen ins Theater zu führen.«
Mr. Sparkins verbeugte sich und versprach, während der Vorstellung in Loge Nr. 48 zu erscheinen.
»Wir wollen Ihnen den Vormittag nicht rauben«, sagte Theresa in bezauberndem Tone; »denn Mutter gedenkt, die Putzlädenrunde mit uns zu machen, und ich weiß, daß die Herren nur zu oft einen wahren Abscheu davor hegen.«
Mr. Sparkins verbeugte sich abermals und versicherte, daß er entzückt gewesen wäre, wenn er daran hätte teilnehmen können, doch während des Vormittags von wichtigen Geschäften in Anspruch genommen würde. Flamwell warf Malderton bedeutsame Blicke zu. »'s ist die Zeit der Gerichtssitzungen«, flüsterte er.
Am folgenden Vormittag um zwölf Uhr stand der Wagen vor Mr. Maldertons Haustür bereit, die Mutter und die Töchter aufzunehmen. Sie beabsichtigten, bei einer Freundin zu Mittag zu essen und sich zum Theater anzukleiden, zuvor aber zahllose Läden zu besuchen und mannigfache Einkäufe zu machen. Die jungen Damen vertrieben sich die Langeweile der Fahrt damit, daß sie Mr. Horatio Sparkins priesen und auf ihre Frau Mama schalten, daß diese sie immer weiter und weiter fahren ließ, um ein paar Schillinge zu sparen. Endlich hielt das Fuhrwerk vor einem sehr kläglich aussehenden Laden, in dessen Fenster ein buntes Gemisch von Handelsartikeln ausgestellt war – Saffianschuhe, Schals, Sonnenschirme und Hunderte andere.
»Oh, Himmel, Mama, wohin bringen Sie uns!« sagte Miss Theresa; »was würde Mr. Sparkins sagen, wenn er uns hier sähe!«
»Oh, um alles in der Welt!« rief Miss Marianne schaudernd aus.
»Bitte, nehmen Sie Platz, meine Damen. Was befehlen Sie?« fragte der dienstbeflissene Ladenbesitzer, der, in seinem mächtigen weißen Halstuch mit steifer Schleife, dem schlechten »Porträt eines Gentleman« in der Kunstausstellung glich.
»Ich wünsche, seidene Stoffe zu sehen«, erwiderte Mrs. Malderton.
»Augenblicklich, Ma'am – Mr. Smith! Wo ist Mr. Smith?«
»Hier, Sir«, ertönte eine Stimme aus dem Kontor hinter dem Laden.
»Geschwind, Mr. Smith«, rief ihm sein Prinzipal zu. »Sie sind doch niemals am Platz, wenn man Ihrer bedarf.«
Mr. Smith gehorchte der Aufforderung, sprang mit großer Behendigkeit über einen Warenballen, der ihm im Wege lag, und stand wie ein Deus ex machina hinter dem Ladentisch dicht vor den kauflustigen Damen. Mrs. Malderton stieß einen ohnmächtigen Schrei aus; Miss Theresa, die sich zur Seite gewendet hatte, um mit ihrer Schwester zu flüstern, blickte auf und erschaute – Horatio Sparkins!
»Wir wollen einen Schleier über die jetzt folgende Szene ziehen«, wie die Romanschreiber sagen. Der geheimnisvolle philosophische, romantische, metaphysische Sparkins – er, der der interessanten Theresa als das verkörperte Ideal der jungen Herzöge und poetischen Grafen erschienen war, von dem sie geträumt und gelesen, das zu schauen sie aber kaum gehofft hatte – war plötzlich verwandelt in Mr. Samuel Smith, den Ladendiener bei einem Kramhändler sehr untergeordneter Klasse! Das würdevolle Verschwinden des Helden von Oak Lodge bei dieser unerwarteten Enthüllung war nur der Flucht eines diebischen Hundes zu vergleichen, dem ein ansehnlicher Stein nachgeworfen wird. Die süßen Hoffnungen der Familie Malderton sollten in nichts zerfließen wie das Zitroneneis bei einem Sommerdiner; Almacks stand ihnen fortwährend so fern wie der Nordpol. Und Miss Theresas Aussichten, einen Mann zu bekommen, waren ungefähr so wahrscheinlich wie die Entdeckung einer nordwestlichen Durchfahrt durch Kapitän Roß.
Jahre sind seit jenem schrecklichen Morgen verflossen. Die Gänseblümchen haben dreimal auf dem Anger von Camberwell geblüht – die Sperlinge haben dreimal ihr Frühlingsgezirp im Hain von Camberwell wiederholt – aber noch immer sind die Misses Malderton unvermählt. Miss Theresas Fall ist verzweifelter denn je, allein Flamwell steht im Zenit seines Ansehens, und die Familie hegt immer noch dieselbe Vorliebe für aristokratische Bekanntschaften und eine verstärkte Abneigung gegen alles Gewöhnliche.