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Ich will die Sicherheit gedoppelt sicher
machen und ein Pfand vom Schicksal
nehmen. – Du sollst nicht leben!
Shakspeare.
Das Bankett in der kaiserlichen Pfalz hatte durch diese stürmische Begebenheit ein frühzeitiges Ende gefunden. In der Brust Kaiser Adolphs erwachten alle quälenden Empfindungen, welche die Folge einer späten Enttäuschung, eines so großen Irrthums sein mußten. Jetzt lag es klar vor seinem Geiste, daß er in den Handlungen, die er für die wichtigsten seines Lebens, die er für zuträglich dem deutschen Volke und Reiche gehalten, nur das Spielwerk eines Verräthers gewesen, der ihm zu dienen geschienen, während er von Frankreich für seine arglistigen Verlockungen, von Oesterreich für die Ausspürung kaiserlicher Geheimnisse, von Mainz für Verbrechen jeder Art bezahlt worden sei. Adolph hatte schon viele bittere Erfahrungen gemacht, aber so weh, wie diese, hatte ihm noch keine gethan. Wie viele Warnungen von Günthers Falschheit waren, im festen Vertrauen auf den Liebling, von ihm zurückgewiesen worden! Wie hatte er sich rücksichtslos ihm ganz hingegeben in der Ueberzeugung, der Günther hänge ihm an um seiner selbst, und nicht um des kaiserlichen Ansehens willen, das ihn umgebe? Ach! und welche peinigende Reue hatte er in diesem Wahne sich bereitet, die sich jetzt fühlen ließ und nun fort und fort wie ein fressendes Gift an seinem Herzen nagte? Sein Thron war erschüttert, das Reich in Spaltungen zerrissen, allenthalben erhoben sich Feinde gegen ihn und in so vielen Rathschlägen des Ritters von Nollingen, denen er vertrauungsvoll gefolgt war, konnte er nun, durch Günthers eigene Schrift belehrt, die Ursachen dieses Unheils erkennen: Dennoch war es ihm lieb, daß der Geächtete, den die Gesetze des Ritterthums zu einem entehrenden Tode verurtheilten, glücklich entkommen war.
Er konnte den Gedanken nicht ertragen, den, der oft sein Lager und seinen Tisch mit ihm getheilt, als einen elenden Verbrecher untergehen zu sehen. Uebrigens ergriff ihn die gemachte Entdeckung zu sehr, als daß es ihm möglich geworden wäre, dem Feste noch ferner beizuwohnen. Er zog sich in seine Gemächer zurück und ließ Herrn Schelm vom Berge, und den salernitanischen Arzt dahin entbieten.
Die Entfernung des Monarchen endigte das Bankett. Während die Troßbuben wild lärmend hereinstürmten und mit langen Stangen das Wappen des Vervehmten niederwarfen und zerbrachen, während die Falkner, die bisher unter seinen Befehlen gestanden hatten, mit wüthenden Verwünschungen die Bänden mit Nollingens Farben von sich schleuderten, verließen die Ritter und Frauen den Ort, der so plötzlich aus einem Schauplatze der Freude in eine Szene der Verwirrung verwandelt worden war.
Noch hatte seit jener furchtbaren Ueberraschung Jutta die Augen nicht aufgeschlagen und kein Zeichen des Lebens von sich gegeben. Ihr Stolz war so plötzlich und schrecklich gebrochen worden, daß Körper und Geist dem stürmischen Eindrucke erliegen mußten. Weinend war Amalgundis beschäftigt, sie zur Besinnung zu bringen, allein es wollte ihr nicht gelingen. Volrad war verschwunden. Der alte Reichsschultheiß näherte sich jetzt mit einigen Dienern, welche eine Sänfte trugen.
»Ich hätte sie für stärker gehalten!« sagte er finster bei sich selbst, als Jutta auf seinen Befehl in die Sänfte gehoben wurde. »Aber sie ist auch nur ein schwaches Weib, wie die übrigen, das vergehen will, wenn ihr Liebster zum Schurken wird und sie den Schurken dann verliert.«
Mit dem Anstande eines Mannes, der im Umgange mit höhern Ständen ergraut ist, bot er Amalgundis die Hand und führte das zitternde Mädchen hinter der Sänfte her, aus der Halle hinweg. In dieser stieg nun in kurzer Zeit die Verwirrung und der Tumult auf den höchsten Gipfel. Die Ehrenjunker nahmen die Tafel ein, welche die Ritter verlassen hatten; nach ihnen wurde sie von den Reisigen besetzt und was diese von Speise und Trank übrig ließen, kam dem wüthenden Heere der Troßbuben zu Gute, die es in ihre dunkeln Gemächer schleppten und hier Orgien feierten, bei denen das Thierische in der menschlichen Natur bei Weitem das Höhere und Geistige überwog.
Indessen erwartete der Junker von Sonnenberg in seinem Gefängnisse mit vollkommener Ruhe die Lösung des Knotens, zu dem sich sein Schicksal verschlungen hatte. Er gedachte der vielen seltsamen und wunderbaren Dinge, die ihm während seines kurzen Aufenthaltes am Kaiserhofe begegnet waren, wie noch sein Herz frei und unbefangen geschlagen, als er von der väterlichen Burg gen Frankfurt gezogen und wie es nun auf ewig in Liebe einer Jungfrau ergeben sei, zu der ihm eigentlich sein niedrer Stand als Junker noch nicht erlaube aufzublicken. Das friedliche und stille Leben auf Sonnenberg kam ihm in den Sinn. Aber er schwankte keinen Augenblick, ob er diesem oder dem bunten Treiben am Kaiserhofe den Vorzug geben solle? Wo Amalgundis sich befand, da war jetzt seine Welt; wo sie nicht weilte, da sah er eine traurige Wüste. Es mußte ihm selbst vorkommen, als sei er von der Vorsehung zu großen Dingen, zu denen er auch den einstigen Besitz der holden Amalgundis rechnete, ausersehen. Wie viele Edeljunker waren an den Hof des Kaisers gesandt worden, ohne je die Aufmerksamkeit des Monarchen erregt zu haben, ohne von etwas Außerordentlicherem, das sie ihrer untergeordneten Stellung entrissen hatte, heimgesucht worden zu sein. Aber er? Sein erstes Zusammentreffen mit dem Kaiser war von den wunderbarsten Umständen begleitet gewesen, die Vorzüge, welche ihm Adolph gleich einräumte, indem er ihn zum ersten Leibjunker ernannte, waren ein Beweis seiner großen Gnade, die zufällige Bekanntschaft Bandini's hatte ihm Gelegenheit gegeben, dem Monarchen einen Dienst zu leisten, der jedem Ritter Ehre und Dank bringen mußte – waren das nicht Winke des Schicksals, die er nicht übersehen durfte? –
Man ließ ihm Muße, diesen Betrachtungen nachzuhängen. Erst gegen die Mitternachtsstunde öffnete sich die Thüre seines Gefängnisses und ein Mann von niedrigem, finsteren Ansehn trat herein, um ihm Speise und Trank zu überbringen. Der Mann war ganz schwarz gekleidet und trug eine gelbe Binde um den Leib, wie sich Friedmann erinnerte an den Dienern und Söldnern Günthers von Nollingen gesehn zu haben. Seine Blicke wichen denen des Junkers, der ihn forschend betrachtete, scheu aus. Er deutete schweigend auf die Nahrungsmittel und verließ dann wiederum das Gemach.
»Gewiß habt ihr mir die Mahlzeit gesegnet zur Reise ins Himmelreich!« sprach der Junker von Sonnenberg bei sich, indem er die Speisen und das Getränk untersuchte. »Das grüne Pulver hier auf dem gerösteten Rehschenkel ist zu dick gestreut, um nicht bemerkt zu werden und zur guten Warnung zu dienen. Der dunkle Bodensatz im Becher lockt auch nicht eben an, den Wein zu versuchen. Daß ich ein Narr wäre und mein eigener Mörder würde! Ich habe gut gefrühstückt bei Herrn Schelm und kann's schon aushalten bis zum Abende. Aber was ist das? Was hat der Pergamentstreifen, den man künstlich ins Brod gebracht, zu bedeuten? Das kommt nicht von Feinden, das kommt von Freunden! heraus mit Dir, ob Du vielleicht einen besondern Aufschluß gibst!«
Vorsichtig löste Friedmann das Brod um den Streifen ab. Es gelang ihm, diesen unverletzt hervorzubringen und er las nun von einer Hand, die ihm unbekannt war:
»Genießt nichts von diesen Speisen und dem Weine, der sie begleitet. Beides ist vergiftet. Täuscht Euere Gegner und laßt sie glauben, Ihr wäret unvorsichtig genug gewesen, in die Falle, die Euch ihre Bosheit gestellt, zu gehn. Ein schlafender Wolf beißt nicht. Noth sollt Ihr nicht leiden. Ihr werdet auf einem andern Wege Nahrungsmittel erhalten
von Euern Freunden.«
»Das ist eine sehr überflüssige Warnung, meine lieben Freunde!« rief Friedmann lächelnd aus und verbarg den Zettel in seinem Gewande. »Aber Ihr meint es gut und ich kann Euch wohl den Gefallen thun, dem trefflichen Günther einige Hoffnung auf meinen Tod zu geben.«
Er verschüttete einen Theil des Weines in einem düstern Winkel seines Gefängnisses, er verbarg über die Hälfte der Speisen hinter einen Stein, der sich von der Mauer gelöst hatte. Dann setzte er sich ruhig auf die steinerne Bank, die längs den Wänden hinlief, und suchte jene Gedanken wieder anzuknüpfen, in denen er durch den Eintritt des Mannes gestört worden war. Allein es wollte ihm nicht gelingen. Seine Einbildungskraft führte ihn jetzt in das Palatium, in die große Halle des Bankett's, wo, wie er wußte, Herr Schelm vom Berge den Verräther Günther öffentlich entlarven wollte. Jetzt war diese Zeit ungefähr da, jetzt mußte das Fest begonnen haben, jetzt konnte vielleicht seine Unschuld schon erwiesen und alle Schmach auf den zurückgefallen sein, der ihn vernichten wollen. Diese Vorstellungen regten ihn aus seiner Ruhe auf. Sie erhitzten ihn und verursachten ihm eine unbehagliche Empfindung, die er durch rasche Bewegung, indem er mit schnellen Schritten den engen Raum seines Kerkers durchmaß, zu bekämpfen suchte.
In diesem Zustande fand ihn der Wärter, der zurückkam, um das Speisegeschirr zu holen. Gleich bei seinem Eintritt warf er einen forschenden Blick auf die Nahrungsmittel, dann sah er höhnisch nach dem Junker hin, der in seiner Aufgeregtheit wohl den Glauben veranlassen konnte, er habe ahnungslos das Gift genommen und beginne jetzt dessen Folgen zu empfinden.
»Ihr habt es Euch gut schmecken lassen!« sagte der Wärter mit einem zweideutigen Lächeln, indem er sich wieder der Thüre näherte. »Freilich zehrt die feuchte Luft hier im Thurme und Jugend hat immer Freude an Speis und Trank. Nun, wohl bekomm's Euch! Ihr habt auch was ganz Besonderes erhalten, nicht wie es dem gewöhnlichen Gefangenen gereicht wird; denn es mag nun stehn mit Euch, wie es will: Ihr seid und bleibt doch immer ein Junker von adlichem Geblüt, der nicht mit Rüben und Grütz vorlieb nehmen kann.«
Nachdem er sich noch einigemal nach Friedmann, der ihn keiner Antwort würdigte, umgesehen hatte, verließ er brummend das Gemach. Er trug die feste Ueberzeugung mit sich, der Junker von Sonnenberg sei das unerrettbare Opfer eines mörderischen Anschlags geworden, den er auf Befehl eines Höhern ausgeführt, und eilte diesen von dem glücklichen Erfolge der Sache zu benachrichtigen.