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45.

                    Das Schauerliche
Giebt dem Erhab'nen einen Reiz noch mehr.

Oehlenschläger.

Auf der Anhöhe, wo Friedmann die Bewaffneten und seinen Diener Stephan zurückgelassen hatte, stand dieser schon seit geraumer Zeit und sandte ungeduldige, erwartungsvolle Blicke hinab in's Thal. Seine Gesellschaft hatte sich sehr vermehrt. Wohl an hundert wohlgerüstete Männer von kriegerischem Ansehn waren am Boden gelagert. Mehr als die Hälfte von ihnen hatten ihre Pferde neben sich, deren Zaum sie in der Hand hielten. Die übrigen waren ihrer Bewaffnung nach Bogenschützen. Ein Jüngling von höchstens zwanzig Jahren schien ihr Anführer. Er war fein und schlank gebaut, sein Antlitz war frei und offen, sein Gang schwebend und sein ganzes Wesen von einer Heiterkeit beseelt, die gewöhnlich nur dem jugendlichen Alter angehört. Sein sorgfältig angeordneter und reich mit Silber geschmückter Anzug bewies, daß er von einiger Eitelkeit nicht ganz frei sei und sich dabei in einem Glückszustande befinde, der ihn in der Befriedigung solcher Liebhabereien nicht beschränkte. Er stand keinen Augenblick ruhig. Bald war er bei diesem Haufen der lagernden Kriegsmänner, bald bei jenem, und scherzte und lachte mit ihnen. Die hohe Reiherfeder auf seinem Barett tanzte immer in den Lüften, seine Glieder waren in steter Beweglichkeit, aber Alles geschah mit einer Anmuth, die nur Folge eines frühen Umgangs mit höhern Ständen sein konnte.

Jetzt meldete Stephan die Erscheinung seines Herrn an. Der fröhliche Jüngling sprang an den Rand der Anhöhe und sah nun selbst den Ritter von Sonnenberg, dessen mächtiges Streitroß mit großen, weitgreifenden Schritten den steilen Bergpfad hinanklimmte. Der Ritter schien in tiefe Gedanken verloren. Er überließ es dem Instinkte seines Pferdes, ihn den beschwerlichen Weg hinaufzutragen, ohne daß er das Thier ermuntert und angetrieben hätte. Er sah einigemal in das unten liegende Thal zurück, sonst waren seine Blicke niedergeschlagen und keiner von ihnen flog nach der Anhöhe hinauf. Als er beinahe oben war, erweckte ihn eine bekannte Stimme aus seinen Träumereien.

»Frisch auf, Ritter von Sonnenberg!« rief diese. »Ich bin gekommen, Euch zu einem lustigen Jägerstückchen abzurufen. Ihr seid ja ein Freund der Jagd von jeher gewesen, und je edler das Wild, desto fröhlicher die Jagd.«

»Oettingen, Ihr?« sagte mit Erstaunen Friedmann. Er sprang von seinem Pferde und blickte mit noch größerer Verwunderung auf die beträchtliche Anzahl Kriegsmänner, die sich hier gelagert hatten, aber bei seiner Ankunft aufgestanden waren, um ihn mit kriegerischen Ehrenbezeigungen zu begrüßen. »Und in so zahlreicher Begleitung? Sprecht, was hat den zierlichen Edeljunker bewegen können, die Nähe der kaiserlichen Person zu verlassen, wo in Banketten und Festspielen seine Freuden blühen?«

»Adolph's Wille und mein eigener Wunsch!« versetzte leichthin der junge Graf von Oettingen. »Ihr habt ganz recht, wenn Ihr meint, daß ich ein Freund vom Tanze und von anderen geselligen Vergnügungen bin, aber die Oettingen haben auch von jeher ernstlichere Spiele geliebt, bei denen es Blut und Wunden absetzt und auch der Tod nichts seltenes ist. Ich will nun ein solches Spiel auch einmal mitmachen, unter Euern Augen und Euerer Anführung, mein edler Herr von Sonnenberg, und ich bitte Euch, mir deshalb ein Gehör unter vier Augen zu gönnen, damit ich den Auftrag unseres Kaisers und Herrn an Euch zu Eurer Kenntniß bringe.«

Friedmann ging sogleich mit dem jungen Grafen zur Seite. Sie suchten und fanden bald eine einsame Stelle, wo sie von dem Kriegsvolke nicht gesehen und gehört werden konnten.

»Ihr sollt ein lustiges Treibjagen anstellen, auf den geistlichen Herrn von Mainz!« sagte jetzt der Jüngling in einem etwas ernsteren Tone, als er bisher angestimmt hatte. »Während wir immer Rheinaufwärts zogen, dem Schwabenlande zu, erhielt Kaiser Adolph plötzlich Nachricht, daß sein liebevoller Vetter Gerhard mit anderen hochverrätherischen Reichsfürsten eine Zusammenkunft verabredet habe, in der sie Vieles zum Nachtheile der kaiserlichen Sache verhandeln und beschließen wollten. Der Erzbischof will nur erst, um Kriegs- und Reisegelder in Händen zu bekommen, die Zollgelder aus den Rheinschlössern zusammenholen. Jetzt ist er auf diesem Zuge begriffen. Ich habe genaue Kundschaft eingezogen. Er war hinunter bis Boppard und Oberlahnstein und kehrt heute Abends oder morgen in der Frühe mit vollem Seckel zurück. Er hat nur geringe Bedeckung mit sich, denn da er Herrn Adolph im Schwabenlande weiß, so denkt er hier an keine Gefahr. Ihn wegzufangen, ihn zu verhindern, der beabsichtigten Zusammenkunft beizuwohnen, das ist der Auftrag, den Euch der Kaiser giebt. Ihr seht, das Ganze ist ein lustiges Jagdstückchen mit Netz und Falle: wir treiben das Wild ein, ist es drin, so ziehen wir zu und mit dem Fang auf und davon!«.

»Ihr kennt dieses Wild nicht;« versetzte nach kurzem Nachdenken der Ritter: »es ist vielgestaltig und wandelbar, bald ein Eber, der unsere Netze nicht achtet und sie leicht durchbricht in seiner übermächtigen Kraft, bald eine Schlange, die hindurch schlüpft mit einer List und Gewandtheit, die jeder Vorsicht spottet. Aber es könnte doch gelingen,« fuhr er mit erwachendem und immer zunehmendem Feuer fort, »und wenn es gelänge, wenn ich den tückischen Urheber alles Unheils, den Häuptling dieser abscheulichen Verschwörung gegen den edelsten Monarchen, den Mörder und Giftmischer, den grausamen, blutdürstigen Gerhard in meinen Händen sähe, in Ketten nach Schwaben schleppte, daß dort die Strafe des Hochverraths sein verbrecherisches Haupt streife, wenn so mit einemmale, durch die Vertilgung des Hauptfeindes, Friede dem Vaterlande, Sicherheit dem Throne Adolphs von Nassau würde – Ha! Oettingen, das ist ein Gedanke, der mich beseligend ergreift. Auf! wir wollen keinen Augenblick verlieren. Laßt die Schaar sich ordnen. Ich führe Euch an, nach dem Rheine hin kenne ich jeden Pfad. Die Rache soll über ihn einbrechen, wie der Zorn des Himmels: schnell und unerwartet! Sprecht, Oettingen: sind es lauter Nassauer, die Ihr mir zugeführt habt, oder sind es fremde Söldner?«

»Lauter Landsleute von Euch, von der Lahn und von der Dill;« erwiederte der Jüngling. »Ich allein bin so unglücklich, ein Fremder zu sein.«

»O Ihr seid gut Nassauisch,« entgegnete Friedmann mit großer Heiterkeit, »denn Ihr habt ein Herz und einen Arm für den Kaiser! Bei Gott, Oettingen, mit diesen hundert Nassauern stehe ich tausend bischöflichen Söldnern! Jetzt fort! Ein beschwerlicher und ermüdender Weg liegt vor uns.«

Friedmann und der junge Graf von Oettingen setzten sich an die Spitze des Haufens, der mit lautem Jubelruf dem ritterlichen Anführer folgte. Zu jener Zeit, als in den dichten Wäldern Deutschlands noch wenig gebahnte Wege die Ueberkunft von einem Orte zum andern erleichterten, bestand eine eigene Kunst, deren sich besonders die Jäger rühmen durften, darin, an dem Stand der Sonne und an einzelnen örtlichen Merkmalen die Richtung zu erkennen, die man zu nehmen habe, um an eine bestimmte Stelle zu gelangen. Der Ritter von Sonnenberg war durch viele Uebung Meister geworden in dieser Kunst. Seitdem er das enge Aarthal wieder gesehn, war er überzeugt, die unfehlbare Richtung nach jedem ihm bekannten Orte finden zu können. Von dem Berge aus, auf welchem er sich jetzt befand, nahm er einen hohen spitzzulaufenden Baum auf einer weit entfernten Anhöhe rechts als vorläufiges Ziel an, von dem er dann weiter seine Wanderung bestimmen wollte. Er wußte, daß in der Nähe dieses Baumes die Trümmer eines alten römischen Castells lagen, und es war ihm bekannt, daß bei solchen gewöhnlich Spuren einer an den Rhein führenden Straße anzutreffen waren. Mit einem raschen Blicke maß er die Anhöhen und Thäler, die seinen jetzigen Standpunkt von jenem Berge trennten, und nachdem er glaubte, einen richtigen Begriff von ihrer Lage aufgefaßt zu haben, rief er den Bogenschützen zu, sich hinter den Reitern aufzusetzen und gebot nun die größte Eile, zu der er zugleich durch sein eigenes Beispiel ermunterte.

Indem der Zug sich den Berg hinabbewegte, war jene Anhöhe mit dem bezeichneten Baume bald den Blicken Friedmanns entschwunden. Jetzt mußte er sich ganz durch seine eigene Einsicht und Erfahrung leiten lassen. Er war aber so sicher in seiner Berechnung, daß er nach einer Wanderung von anderthalb Stunden, während welcher man oft nur mit Mühe und großer Beschwerlichkeit die dichten Waldungen durchdringen konnte, die Anhöhe mit dem spitzlaufenden Baume dicht vor sich sah. Jetzt wandte er sich links nach deren schräg ablaufenden Abhange hin und in sehr kurzer Zeit waren nun die Trümmer des alten Römercastel's aufgefunden.

Mit einem Gefühle von Selbstzufriedenheit, das ihm nicht zu verargen war, sagte der Ritter von Sonnenberg jetzt zu seinem jungen Begleiter:

»Seht, Oettingen! Es war bei meiner Ritterpflicht keine Kleinigkeit, durch die tiefeinschneidenden Thäler, durch die dichten Waldungen, die hinter uns liegen, an diese Stelle zu gelangen. Jetzt haben wir gewonnen Spiel! Ein tüchtiger Jägersmann findet allenthalben die rechte Spur. Dort links von dem alten Gemäuer herab bemerkt Ihr wohl die schmal fortlaufende Erhebung im Wiesengrunde? Das ist Alles, was noch einen ehemaligen Weg nach dem Rheine hin anzeigt, aber es ist genug, um uns zu leiten. Vorwärts, meine Freunde! Gut Werk will Eil haben.«

Int raschen Trabe ging es jetzt einem Thale zu, das sich durch einzeln stehende kahle Felsenstücke, von oft sehr ansehnlicher Größe, und durch die Nacktheit der ziemlich schroff ansteigenden Wände besonders auszeichnete. Sie gelangten an einen Quell, der sehr stark aus der Erde hervorsprudelte und sich sogleich zu einem ansehnlichen Bach bildete. Der Bach rauschte im schnellen Laufe das Thal hinab. Einige der Krieger versuchten von dem Wasser zu trinken, allein es hatte einen übeln salzigen Geschmack.

»Aller Wahrscheinlichkeit nach,« redete Friedmann den jungen Grafen wiederum an, »befinden wir uns in einem Thale, das gerade auf den Flecken Lorch am Rheine ausläuft. Schon oft und Seltsames hat man mir von diesem Thale erzählt, allein selbst war ich noch nie hier.«

Friedmann schwieg. Die Neugierde seines Reisegefährten war rege gemacht. Er erwartete eine weitere Erzählung des Ritters, doch diese wollte nicht erfolgen. Die Gegend selbst zeigte sich indessen immer seltsamer. Die Steinklippen nahmen sonderbare Gestalten an, tiefe Spalten zeigten sich in den Wänden, es war dem Jünglinge, als höre er ein seltsames Geflüster in diesen und oft blies ihn ein schaueriger, sonderbarer Hauch an, der sein ganzes Wesen erschütterte. Die Krieger schienen ähnliche Erfahrungen zu machen. Sie drängten sich hart aneinander, sprachen leise unter sich und warfen scheue Blicke umher.

»In der That,« wurde endlich der junge Graf laut, dem das Schweigen seines Gesellschafters drückend war, »nach den Gefühlen, welche mich hier ergreifen, ist dieses die wunderlichste Gegend, die ich gesehn und von der ich jemals gehört. Friert Euch denn nicht, Ritter Sonnenberg, hört Ihr nicht das unerklärliche Geflüster zu beiden Seiten?«

»Ich höre Alles, was Ihr hört, ich empfinde, was Ihr empfindet;« versetzte halblaut der Ritter: »aber ich wünschte nicht, daß unsere braven Nassauer, die jedem Feinde von Fleisch und Blut muthig entgegenstehen, aber mit gespenstischen Wesen ungern Bekanntschaft machen möchten, durch unsere Rede und unser Beispiel in größere Bedenklichkeiten geriethen, als sie schon ohnehin zu hegen scheinen. Laßt uns ein wenig vorwärts sprengen, in einiger Entfernung von ihnen will ich Euch von den Wundern dieses Thales erzählen.«

Sie ritten rasch vorwärts und als sie einen ziemlichen Vorsprung vor dem Haufen gewonnen hatten, begann der Ritter:

»Dieses Bächlein heißt die Wisper, und von ihm führt dieser Grund den Namen des Wisperthales. Es ist verrufen weit in der Gegend und die Landleute vermeiden es und machen gern einen Umweg von einigen Stunden, um es nicht zu betreten. In diesen Felsenspalten sollen die Bergkobolde hausen, welche die hohen Berge am Rhein, den Kederich, die Rossel und den gewaltigen Felsen des Münsterbergs erbaut haben. Sie ruhen hier aus, können aber ihre Tücken nicht lassen und necken die Wanderer auf mancherlei Weise, größere Schaaren durch höhnisches Geflüster und durch ein kaltes Anhauchen, das Mark und Bein durchschauert, den einsamen Wandrer durch noch schlimmere Streiche. So zog einst ein junger Abentheurer durch dieses Thal in der Abenddämmerung. Er dachte nichts Arges, denn er hatte nie gehört von dem Wisperthale und seiner Seltsamkeit. Auch war es ganz stille, kein Flüstern, kein schaueriger Hauch flösten ihm böse Ahnung ein. Da sah er mit einemmale, als er um eine Felsenecke kam, vor sich ein stattliches Schloß mit hellerleuchteten Fenstern. An dem Schlosse befand sich ein Söller, auf dem im Glanze unzähliger Lichter drei wunderschöne Jungfrauen saßen. Sie flüsterten mit freundlichen Geberden zu ihm herab. Er konnte ihre Rede nicht verstehen, allein ihre Winke ladeten ihn auf die verständlichste Weise zur Einkehr in ihre Wohnung ein. Der junge Abentheurer zögerte keinen Augenblick und ritt froh, eine so angenehme Gesellschaft und eine so gute Nachtherberge, wie er sie nicht erwarten durfte, zu finden, in das Schloß ein. Hier umringten ihn sogleich viele Knechte, lauter kleine Gestalten mit wackelnden Köpfen, die immer zu ihm auflachten und ihn mehr auszulachen, als anzulachen schienen. Jetzt ergriff ihn zum erstenmale ein unheimliches Gefühl; aber schon standen die drei reizenden Mädchen unter dem innern Eingange und schwatzten nach ihm hin und begrüßten ihn mit den anmuthigsten Mienen. Da war sogleich alles Grauen aus seiner Seele verschwunden, und er folgte lustig und guter Dinge den Jungfrauen, die vor ihm her die Stiege hinaufeilten und ihn in eine glänzende Halle führten. Hier strahlten ihm köstliche Dinge entgegen, wie er sie noch nie gesehen hatte. Die Wände schimmerten von Gold und Edelsteinen, eine wohlbesetzte Tafel mit den herrlichsten Leckerbissen versprach dem Gaumen des jungen Abentheurers einen Genuß, den er schon lange entbehrt hatte, Hypocras, Claret und andere brennende Würzweine verbreiteten aus großen Silbergefäßen einen stärkenden Geruch. Der Abentheurer folgte ohne alle Umstände einem neuen Winke der Schönen, der ihm andeutete, sich mit ihnen zu Tische zu setzen. Während er den Speisen und Getränken alle Ehre anthat, wie es von einem jungen irrefahrenden Fant mit hungrigem Magen zu erwarten war, flüsterten und wisperten die drei Mädchen mit den liebevollsten Geberden immer auf ihn ein. Aber er verstand kein Wort von dem, was sie vorbrachten. Es war immer nur ein Gesumme und Gewisper, wie wenn der Wind durch die Blätter der Espe fährt, ein Murmeln und Flüstern, gleich dem Rauschen eines Bächleins über scharfe Kieselsteine hin. Der Abentheurer, eine gute, sorglose Seele, tröstete sich damit, daß es eine fremde, ihm unbekannte Sprache sein müsse, und war nur bemüht, aus schuldiger Courtoisie die gütigen Geberden der drei Jungfrauen mit ähnlichen zu erwiedern. Als er seinen Hunger gestillt hatte und es, seiner Berechnung nach, nahe an Mitternacht sein mochte, führten sie ihn mit ungemeiner Freundlichkeit in eine Seitenhalle von noch größerem Umfange, als das Speisegemach. In der Mitte dieser Halle sah der Fant einen silbernen Baum stehen, von dessen Zweigen viele kostbare Kleinodien herabhingen. Die eine der Jungfrauen nahm einen Dolch, dessen Griff mit kostbaren Edelsteinen besetzt war, herab und überreichte ihn dem Abentheurer, indem sie sehr anmuthig einiges Wenige dazu wisperte, die andere gab ihm auf gleiche Weise eine zierlich gearbeitete goldene Kugel, die eigentlich ein Balsambüchschen vorstellte, und die dritte eine herrlich gestickte Schärpe. Ob er gleich nicht verstand, was sie dabei wisperten und flüsterten, so merkte er doch, daß es Geschenke sein sollten und nahm sie mit dankbaren Geberden an. Darauf kredenzte ihm die Lieblichste der Schönen noch einen Becher Wein, den er ihnen zu Ehren auf einen Zug leerte. Sogleich sank er in einen tiefen Schlaf, während die Jungfrauen ein Liedchen dazu wisperten, wie man es wohl bei einem Kinde, das man zum Einschlummern bewegen will, zu thun pflegt. Als der junge Fant am nächsten Morgen erwachte, war er nicht wenig erstaunt, von allen diesen Herrlichkeiten nichts mehr, sondern sich in ganz anderen Umgebungen zu sehen. Er hörte, indem er sich die Augen rieb, noch immer ein seltsames Gewisper. Eine eisige Luft durchschauerte sein Gebein. Da blickte er auf, und siehe da! er lag an einem Hügel des Kederich auf bloßer feuchter Erde, unter dem Galgen von Lorch, in seiner Linken hielt er ein bleiches Todtenbein, in seiner Rechten einen verwitterten Menschenschädel, um seinen Leib war ein halbvermoderter Strick geknüpft. Das waren die Geschenke der drei Schönen. Er warf sie mit Entsetzen von sich, er glaubte ein fernes Hohngelächter zu hören. Drei Krähen flogen kreischend neben ihm auf. Von schrecklicher Angst ergriffen bestieg er sein Pferd, das an den Galgen gebunden stand und an allen Gliedern zitterte. Mit Windeseile flog er davon, indem er zehnfache Gelübde aussprach, nie wieder eine Gegend zu betreten, wo über Nacht ein prachtvolles Schloß sich in einen Galgen und ein Kleeblatt schöner Jungfrauen in häßliche Galgenvögel verwandeln könne.«

Der junge Graf von Oettingen hatte mit aller Gläubigkeit zugehört, die in dem Geiste jener Zeit lag. Sein munterer Sinn unterwarf sich der Uebermacht einer festen Ueberzeugung von dem vorhandenen Eingreifen übernatürlicher Mächte, und ein sehr ernster Ausdruck zeigte sich auf dem jugendlichen Angesichte.

»O ich könnte Euch noch andere Wunder von den Geistern dieses Thales erzählen,« fügte der Ritter von Sonnenberg hinzu, »von Gilgen von Lorch, den sie die Teufelsleiter am Kederich hinaufgeführt, daß er sich die Braut herunterholte; aber da taucht der Rhein in seinem grünen Glanze vor uns auf und hier am Ausgange des Thales zeigt sich der Kirchthurm von Lorch. Jetzt gilt es neue Kundschaft einzubringen, jetzt müssen wir Näheres von dem Zug des ehrwürdigen Herrn wissen.«

Mit scharfen Augen sah er an den Bergwänden des Thales umher, ob er keinen Arbeiter in den Weinbergen, die schwebend an den höchsten Schieferfelsen hingen, entdecken könne.

»Seht Ihr dort oben das Männlein, Junker von Oettingen?« sagte er jetzt zu diesem, indem er mit der Hand nach der Spitze des Kederich deutete. »Es hat, von hier aus gesehen, die Größe einer Fliege und scheint uns nicht wahrgenommen zu haben, denn es arbeitet ruhig und eifrig fort im Gestein. Getrauet Ihr Euch wohl, es mir von dort herabzuholen? Ich gebe Euch meinen Diener Stephan mit, einen tüchtigen Bergjäger.«

»Ein Kinderspiel das!« versetzte munter der junge Graf, indem er vom Pferde sprang. »Voriges Jahr erst war ich zu Besuch bei meinem Ohm in Tirol und habe dort manchmal mit den Gemsen in die Wette geklettert. Das ist ein ander Ding, eine Jagd auf Gemsen oder Steinböcke!«

Der Jüngling und des Ritters Diener begannen sogleich ihr beschwerliches Geschäft. Sie klimmten von zwei verschiedenen Seiten die schmalen Zugänge zwischen den Schieferwänden hinan und schienen so geübt in diesem Werke, daß sie immer schon weit voraus waren, wenn Friedmann's Auge sie an einer tieferen Stelle suchte. Bald erschienen auch sie so klein, wie jener Weinbauer und befanden sich, ohne noch von ihm wahrgenommen zu sein, in gleicher Höhe mit ihm zu seinen beiden Seiten. Stephan näherte sich ihm von hinten, während der Junker noch höher kletterte. Im nämlichen Augenblicke sah sich der erschrockene Mann von dem herabspringenden Oettingen und dem heranschleichenden Stephan ergriffen und den Berg hinabgedrängt.

In jener Zeit ward der schutzlose Landmann bei dem Anblicke eines Kriegers immer von Besorgniß für sein Leben und seine geringe Habseligkeit ergriffen. Die Plünderungssucht und Grausamkeit der Söldner hatte keine Schranken. Wer nicht Kriegsmann war, schien ihnen nicht besser als ein Thier, an dessen Leben nichts gelegen und das nur dafür da sei, ihnen als Sklav zu dienen und jedem ihrer Gelüste zu leben. Es befremdete daher den jungen Ritter gar nicht, als der Weinbauer, der ihm zugeführt wurde, zitternd an seinem Pferde auf die Kniee fiel, um Gnade flehete und die silbernen Knöpfe seines Wamses als Auslösung bot. Friedmann beruhigte ihn durch einige gütige Worte und erfuhr dann auf sein weiteres Befragen, daß der Erzbischof schon in der Frühe des heutigen Morgens durch Lorch gekommen sei, auf Burg Ehrenfels, wie seine Begleiter ausgesagt, verweilen wolle bis Nachmittags und dann noch am Abende Mainz zu erreichen, gedenke. Nachdem er den erstaunten Bauer mit einem ansehnlichen Geschenke entlassen, rief er dem Junker zu:

»Jetzt gilt es einen scharfen Ritt, Oettingen! Wie der Blitz durch Lorch hin, immer am Rheine aufwärts, dicht am Strome, denn oben ist der Pfad unsicher und der Schiefergrund bröckelt gern herab. Frisch auf, liebe Landsleute! Des Bischofs Zollgulden müssen Euer werden!«

Mit Sturmeseile brauste die wilde Schaar aus dem Wisperthale hervor, an den entsetzten Bewohnern von Lorch, die nicht wußten, ob sie Menschen oder Gespenster sahen, vorüber. In kurzer Zeit war das ärmliche Dörfchen Asmannshausen erreicht und der Engpaß, der von hier nach Schloß Ehrenfels führt, besetzt.

»Hier ist Euer Posten, Junker!« sagte der Ritter eilig. »Laßt Euch den feurigen Rothwein munden, der hier wächst und weither aus dem Burgunderlande stammt. Aber hütet mir das Dörflein wohl und den Paß, damit dem Bischofe keine Kundschaft unseres Unternehmens hinterbracht werde. Seht dort hinaus den Berggipfel! das ist die Rossel, die höchste Spitze des Niederwaldes. Wann Ihr dort eine Rauchsäule aufsteigen seht, dann stürmt wie ein Gewitter mit Euren Leuten vorwärts, an Ehrenfels vorüber, die Straße nach Rüdesheim hin. Dort findet sich das Weitere. Lebt wohl, bis dahin! Ich lasse den größten Theil der Reiter bei Euch.«

Von den Bogenschützen und ungefähr einem Dutzend Reiter begleitet, wandte sich Friedmann die hinter dem Dörfchen auslaufende Bergschlucht hinauf. Bald schlug er einen so steil angehenden Bergpfad ein, daß die Reiter absteigen und ihre Pferde führen mußten. Als sie unter großen Beschwerlichkeiten die Höhe erreicht hatten, wandten sie sich rechts in den Wald. Nun ging es immer rasch vorwärts auf Wegen, die von Jägern gebahnt zu sein schienen. Sie hatten nur eine kurze Strecke zurückgelegt, als der Ritter anhalten ließ und seinem Diener gebot, ihm mit vier Bogenschützen zu folgen. Er führte sie zu Fuß etwa hundert Schritte weit bergan. Dann standen sie plötzlich auf einer nackten Felsenspitze, von der herab sich ein großer Theil des Stromgebiets, da wo die kleinere Nahe sich in den mächtigen Rhein ergießt und beide das Städtchen Bingen umarmen, erschauen ließ. Grauenhaft erhoben sich die dunkeln Schieferberge gegenüber, das Getöse des Binger Strudels tönte bis herauf und der Mausthurm, in dem bewaffnete Mauthner zur Bezwingung widerspenstiger Schiffe lagen, sah keck aus den wild schäumenden Wogen empor.

»Hier bleibst Du, Stephan!« befahl sein Herr. »Ich lasse Dir nur zwei Bogenschützen, denn Dein Geschäft ist gefahrlos und bedarf blos einer scharfen Aufmerksamkeit. Siehe dort unten etwa auf vier Steinwürfe weit die vorstehende Klippe! Auf diese stelle ich diese zwei andern Männer zur Wacht. Sie können von da aus Burg Ehrenfels und den Weg nach Rüdesheim übersehen. Sobald sie eine Bewegung in dem Schlosse bemerken und eine kleine Schaar stattlicher Reiter ausziehen sehen, so geben sie Dir mit weißen Tüchern ein Zeichen. Dann zündest Du sogleich aus dürrem Reisig ein Feuer an, dessen Rauch zum Himmel aufsteigt. Besorge Alles wohl, mein treuer Stephan! Es wird Dein Schade nicht sein. Du gewinnst Dir heute die Aussteuer zu Deiner Hochzeit mit dem Pfeffer-Rösel.«

Der lustige Diener lachte hell auf bei diesem Scherze. Friedmann aber zog, nachdem er diese Anordnungen getroffen, still und verborgen mit den Seinigen zwischen den Weinbergen einen Hohlweg hinab und lagerte sich hart an der Straße, in der Nähe von Rüdesheim, hinter einem weiten Buschwerk, das ihn dem Auge der Vorübergehenden verbarg und ihm dennoch den Blick auf die bedeutungsvolle Spitze der Rossel frei ließ.



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