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Jolanthe und die Fürstin Iraklis saßen am Teetisch. Jolanthe rührte mechanisch mit dem goldenen Löffelchen in der Schale. Nur mit Mühe bewahrte sie äußerlich den Gleichmut.
»Fürst Murad muß jeden Augenblick kommen. Er ist seit gestern unaufhörlich in Bewegung. Ständig in Verbindung mit der politischen Polizei.«
Jolanthe nickte mechanisch.
»Und wann fuhren sie zur Jagd? Abdurrhaman und Ahmed Fuad?«
»Heute morgen. Sagte ich dir das nicht schon?« erwiderte die Fürstin.
Der Löffel entfiel Jolanthes Hand und klirrte zur Seite.
»Mag sein. Ich überhörte es wohl. Zur Jagd, sagst du? Vielleicht, daß doch etwas anderes, Wichtigeres . . .«
»Ich glaube nicht, Jolanthe. Sie fuhren allein, nur in Begleitung des Jagdpersonals. Prinz Ahmed war heute morgen hier. Es war ihm sichtlich nicht angenehm, heute zur Jagd mitfahren zu müssen. Er schien Wert darauf zu legen, dich zu sprechen.«
Jolanthe zwang sich zu einem Lächeln.
»Ah! Er wollte gute Botschaft von mir hören.« Sie wiegte den Kopf. »Ich habe zwar in der letzten Zeit die Angelegenheit mit Modeste wenig betrieben. Ich habe da überhaupt nicht allzu große Hoffnung mehr.«
»Oh, Jolanthe! Das wäre aber . . .« unterbrach sie die Fürstin.
»Das Ganze müßte, wie ich Modeste kenne, anders angefaßt werden«, fuhr Jolanthe fort. »Ihr kühles deutsches Blut vermag sich nur schwer zu entzünden. Prinz Ahmed . . . wie ein Feuerbrand müßte er über sie kommen, daß sich an seiner Glut ihr Herz entflammt. Die Maske sollte er fallen lassen. Ihre Kälte muß schwinden, wenn sie den Brand in seinem Inneren schaut.
Wann sie zurückkommen, ist ungewiß?«
»Ja. Wenigstens wußte Prinz Ahmed nicht.«
Die Tür ging auf. Fürst Murad trat ein. Die Frauen erhoben sich.
»Gehen wir gleich in mein Arbeitszimmer, Jolanthe, ich habe dir vieles zu berichten.«
Stundenlang hatten sie da zusammengesessen. Zäh bestand Jolanthe auf ihrem Verlangen.
»Lebendig müssen sie in unsere Hand kommen! Besonders der eine, der Deutsche!«
»Er wird sein Geheimnis nie preisgeben, wird eher sterben.«
»Du magst recht haben. Aber was verschlägt's, ob er früher oder später stirbt. Vielleicht findet sich auch in ›Mon Repos‹ genügend Material, um damit weiterarbeiten zu können ohne ihn.«
»Ich gebe nur mit Widerstreben nach. Einen solchen Mann lebendig zu fangen! Ein ungeheures Wagnis.«
»Es muß sein!« Jolanthe schnitt ihm das Wort ab. »Und wär's auch nur, um . . .« Sie sprach nicht mehr, was sie dachte . . .: um den in meiner Gewalt zu sehen, der mir den ersten Stein auf meinen Weg warf.
»Vergiß nicht, immer wieder warne ich dich, die ungeheure Macht, die der Mann besitzt. Es kann doch keinem Zweifel unterliegen, daß die Rettung der Werke von St. Marie sein Werk war.
Ich habe im Auftrag des Kalifen mit Kapazitäten der physikalischen Wissenschaft gesprochen. Nur eine Erklärung, Atomenergie! Dieser Fall mit Almeiras und seinen Leuten. War's seine Tat? Er besäße die Atomenergie aufs höchste entwickelt. Anscheinend kaum einer, der darüber weiß. Verschwindet er, niemand wird sich darum kümmern.«
»Er wird verschwinden! Wenn morgen nicht, später. Erst wenn . . .«
Sie stand auf und schritt zum Fenster. Ihre Hände krampften sich in die Vorhänge. Erst nach einer Weile drehte sie sich um.
»Vielleicht fällt er auch im Kampf, und alle deine Bedenken sind überflüssig.«
* * *
Iversen und Modeste von Karsküll traten aus dem Hotel. Sie hatten Mette zur Kurpromenade abholen wollen. Die hatte abgelehnt.
Der Schlag von Warnum hatte den Vater schwer getroffen. Seine kräftige Natur war ins Wanken geraten, sein Zustand besorgniserregend. Vergeblich hatte Mette dem Vater geraten, einen Arzt heranzuziehen. Der hatte es schroff abgelehnt. Sie wagte es nicht mehr, den Vater allein zu lassen.
Iversen und Modeste gingen die Rue Antoine entlang. Ihre Stimmung gedrückt. Es wollte kein rechtes Gespräch aufkommen.
»Die arme Mette! Sie hat jetzt schwere Tage,« sagte Modeste, »sie täte besser, mit dem Vater fortzureisen. Mich selbst duldet es auch nicht mehr recht hier. Wäre Jolanthe nicht notwendigerweise nach Madrid, würden wir sicher auch Biarritz schon verlassen haben.«
»Sie wollten nach London?«
»Ja. Jolanthe besitzt dort ein eigenes Haus. Viele Bekannte in der englischen Gesellschaft. Sie erzählte mir so viel Angenehmes und Schönes darüber, daß ich eigentlich nur deshalb einwilligte, als sie mich vom Tirsenhof holte.«
»Ob Sie sich in London so wohl fühlen würden, teuerste Baronin? Ich glaube, es wird nicht lange dauern, so sehnen Sie sich nach dem Tirsenhof zurück.«
»Oh! Warum? Kennen Sie Londoner Verhältnisse?«
»Gewiß! Ich kenne sie sehr gut.«
»Was mißfällt Ihnen daran?«
»Mißfallen?« Iversen wiegte den Kopf. »Ich will durchaus nichts Ungünstiges sagen, aber ich glaube nicht, daß Sie, Fräulein Modeste, so besonderen Gefallen daran finden werden.«
»Oh, Herr von Iversen! Mir scheint, Sie wollen damit sagen, daß das Gänschen vom Tirsenhof auf dem glänzenden Parkett des Londoner Highlife eine schlechte Rolle spielen wird. Sie irren, Herr von Iversen.«
Iversen schaute ihr lachend ins Gesicht. »Auf die Gefahr hin, mir Ihre Ungnade zuzuziehen, gnädigste Baronin, ich irre mich nicht . . . wäre ein schlechter Menschenkenner.
In den nächsten Wochen beginnen in London die großen Tenniswettkämpfe um die englische Meisterschaft. Ich werde nicht verfehlen, als Zuschauer daran teilzunehmen. Ich werde dann Gelegenheit haben, Sie wiederzusehen . . . wiederzusprechen.«
»Gut! Sprechen wir uns wieder, Herr von Iversen.«
Sie waren auf der Kurpromenade angekommen. Um sie herum das bunte Treiben des eleganten Weltbades. Sie kamen am Musikpavillon vorbei.
Ein Hotelboy . . . der sich nach allen Seiten umschaute. Jetzt hatte er sie gesehen. Kam auf sie zugelaufen, schwenkte in der Hand ein Telegramm, überreichte es Modeste.
»Von Jolanthe wahrscheinlich.«
Sie traten in einen Seitenweg. Modeste riß es auf, las es. Stand still. Die Brauen zusammengezogen, einen ärgerlichen . . . ängstlichen Ausdruck in ihrem Gesicht.
»Keine gute Nachricht von Ihrer Schwester, gnädigste Baronin? Es geht ihr nicht gut?«
Modeste schüttelte den Kopf.
»Das Telegramm betrifft mich.« Sie sprach mit leiser, stockender Stimme.
»Sie? Was kann das sein?«
»Lesen Sie selbst!« Sie reichte Iversen das Telegramm. Der überflog die wenigen Zeilen:
»Bin gezwungen, voraussichtlich die nächsten Tage hierbleiben zu müssen. Wünsche sehr, daß Du schnellstens hierherkommst.«
»Hm!« Iversen faltete das Telegramm zusammen und gab es ihr zurück. Sein Blick ging dabei über Modestes Gesicht, die bedrückt . . . in trübem Nachdenken neben ihm herschritt.
»Ich selbst, gnädigste Baronin, würde es ja sehr bedauern, wenn die Tage unseres Beisammenseins ein so schnelles Ende nehmen würden . . . Gefiel es Ihnen so wenig in Madrid, daß Ihnen der Wunsch Ihrer Schwester so unangenehm? Verzeihen Sie, wenn ich es ausspreche, doch verrät Ihr Gesicht nur zu deutlich die Abneigung, die Sie dagegen haben.«
Sie waren aus den Anlagen herausgekommen. Der Strand breitete sich vor ihnen aus.
»Gehen wir zu unserem Strandkorb. Wär's möglich, daß ich Ihnen in irgendeiner Weise behilflich sein könnte? Entschuldigen Sie meine Freiheit, Baronin Modeste. Ich will mich keineswegs in Ihr Vertrauen drängen . . .«
Modeste wandte den Kopf zur Seite, als wolle sie ihm ihr Gesicht verbergen.
Iversen beugte sich vor. »Zürnen Sie mir, Baronin Modeste?«
Er sah, wie zwei Tränen über ihre Wangen rollten. Sie schüttelte heftig den Kopf, preßte ihr Taschentuch vor's Gesicht.
»Nein! Nein! Das ist es nicht, Herr von Iversen.«
»Modeste!« Iversen ergriff ihre Hand. »Die höchste Bitte, die ich an Sie stellen kann. Schenken Sie mir Vertrauen. Vielleicht, daß ich Ihnen helfen könnte. Nichts, was mir mehr am Herzen läge, als Sie . . . Modeste.«
Mit stillem Entzücken sah er die feine Röte, die bei seinen Worten an ihrem Nacken emporstieg, sich im goldigen Kraus des Haares verlor.
Modeste blieb stumm. Er sah, wie es in ihr kämpfte.
»Modeste! . . . Ich glaubte . . . Ihr Vertrauen . . .? Oh, wie mich das kränkt.«
Da wandte sie sich ihm voll zu. Ein warmer Strahl brach aus ihren Augen.
»Wie könnte ich Sie kränken wollen? . . . Sie! . . . Ich . . . Nur zu gern möchte ich Ihnen alles das anvertrauen, was . . . doch ich . . . weiß nicht, ob ich darf. Geht es doch nicht mich allein an. Jolanthe! . . . Wie würde sie . . . o Gott! Niemals, niemals darf ich Ihnen das sagen.«
»Ihre Schwester . . . Jolanthe! Steht sie Ihnen nicht ganz zur Seite?«
»Nein! . . . Nein! Sie denkt anders als ich, und ist doch die einzige auf der Welt, an die ich mich wenden könnte. Die mir am nächsten steht.«
»So wollen Sie also fahren?«
»Nein! Auf keinen Fall! Niemals wieder betrete ich Madrid.« Sie war bei den Worten aufgesprungen.
Widerstrebende Gefühle spiegelten sich in Iversens Mienen. Er freute sich, daß sie bliebe, war enttäuscht, daß sie sich nicht offenbaren wollte.
Sie sah es. Ergriff seine Hand.
»Sie sind mir böse, Herr von Iversen? Nein, das dürfen Sie nicht. Wie gern möchte ich Ihnen alles erzählen . . . alles . . . doch es betrifft nicht mich allein.«
* * *
In schwindelnder Höhe überschreitet der Paßweg von St. Jean her aus dem Norden kommend den Kamm der Pyrenäen, um dann den Quellen des Aragon nach Spanien hinein zu folgen. Tiefe Schluchten, in die selten ein Sonnenstrahl dringt. Schäumendes Wildwasser in der Tiefe. So schmal der Pfad, daß kaum zwei Saumtiere sich auf ihm ausweichen können.
Hier . . . schon auf maurischem Gebiet, ein kleines Seitental. Breit ausladend ein flacher Talkessel im grünen Schmuck üppiger Almwiesen. Ein Blockhaus auf der Wiese. Hier hauste Juan Pagano. Korporal unter Gonzales, hatte er den maurischen Krieg bis zum bitteren Ende mitgemacht. Sich dann in diese Felseinsamkeit zurückgezogen, wo er von den Erträgnissen einer Almwirtschaft lebte. Aber nach wie vor blieb der Veteran seinem alten Führer Gonzales mit Leib und Seele ergeben, und seine Hütte hier war der verschwiegene Platz, an dem Gonzales und Eisenecker sich in den letzten Wochen schon öfter als einmal gesehen hatten.
Von Norden her kam Eisenecker den Saumpfad hinab, bog jetzt in das Seitental ab und trat in die Hütte.
»Da bin ich, Don Antonio.«
Der Oberst hatte auf der Bank neben der Feuerstelle gesessen. Jetzt sprang er auf.
»Seien Sie mir willkommen, Don Frederego. Sie wünschten mich zu sehen?«
Eisenecker stutzte.
»Gewiß, mein Freund, ich hatte den Wunsch, Sie zu sehen. Doch die Einladung kam diesmal von Ihnen.«
»Von Ihnen!«
»Von mir?«
Der Oberst Gonzales zog ein Billett aus der Tasche und gab es Eisenecker. Der warf einen Blick darauf und preßte die Lippen zusammen. In der Tat eine Einladung in der neutralen und nichts verratenden Form, wie sie sie ein für allemal für diese Zusammenkünfte hier verabredet hatten. Kopfschüttelnd zog er ein ganz ähnliches Billett hervor und legte es neben das des Spaniers. Der warf einen Blick darauf und zuckte zurück.
»Verrat?« kam es von Eiseneckers Lippen.
Der Oberst hob die Hand. »Verrat? Die Hand soll im Feuer verdorren, wenn uns einer der Unseren verriet. Wer weiß, wie sie hinter unser Geheimnis kamen?
. . . doch . . . was sollen wir tun? Was wird geschehen? Was plant man gegen uns? Will man uns hier fangen? Sind wir umstellt, in einer Falle?«
Er sprang zur Leiter, die zum Dach führte, kletterte hinauf. Suchte mit dem Glas die Runde ab. Pagano war ihm nachgeeilt, stand neben ihm.
»Da unten!« Aus dem Tale blitzte es wie Waffen. Der Oberst schaute hin. Richtig! Da kamen sie. Nochmals ließ er das Glas durch die Runde schweifen.
Ja . . . Jetzt! Da! . . . Da! . . . »Richtig . . . wir sind umstellt. Die Falle ist zu.«
Er ging zu Eisenecker zurück.
»Sie hörten's? . . . Jeder Ausweg versperrt! . . . Und wir waffenlos. Ah!«
Er warf sich auf die Bank. Ein bitteres Lachen kam aus seinem Munde.
»Das Ist das das Ende? . . . Alles umsonst? Und Sie . . .?«
Eisenecker trat zu ihm, legte die Hand auf seine Schulter.
»Nicht den Mut verloren, Don Antonio! Bin ich doch nicht ganz waffenlos. Vielleicht, daß wir, wenn das Glück uns günstig, doch Sieger bleiben.«
»Was?« Der Oberst war aufgesprungen. »Was? . . . Was ist's, was uns retten könnte? . . .«
Der alte Pagano kam zur Tür hereingestürzt. »Ein Parlamentär, Herr Oberst! Ein Offizier mit einer weißen Flagge nähert sich.«
Die beiden gingen zur Tür, erwarteten den.
Der trat heran, grüßte.
»Im Auftrage meiner Regierung habe ich Sie zu verhaften. Das Haus ist von allen Seiten umstellt. Entrinnen unmöglich. Ergeben Sie sich gutwillig! . . .
Wenn nicht, muß ich Gewalt anwenden.«
Eisenecker fragte: »Haben Sie einen schriftlichen Befehl, Herr Offizier?«
»Nein!«
»Sie wissen auch nicht, weshalb man uns verhaften will?«
»Nein! Ich führe nur den Befehl aus, der mir erteilt ist. Die Gründe sind mir unbekannt.«
»Nun, so gehen Sie zurück und melden Sie Ihrem Auftraggeber, daß wir nicht gesonnen sind, uns zu ergeben. Daß wir . . . hm . . . erforderlichenfalls Gegenmaßregeln . . .«
Eisenecker drehte sich um und trat, von dem Oberst gefolgt, in das Haus. Der Offizier kehrte zu seinen Leuten zurück.
Unmittelbar darauf löste sich aus dem Ring des Kordons ein kleiner Trupp, der unter Führung eines Offiziers ausgeschwärmt gegen die Hütte vorging. Kurze Zeit danach begann der ganze Ring sich auf das Gebäude hin zusammenzuziehen, wurde enger und enger.
»Was wollen Sie tun, Don Frederego?« Während er die Frage stellte, blickte Gonzales zu Eisenecker hin, sah dessen Züge sich verändern. Hart der Mund. Aufeinandergepreßt die Lippen. Die Brauen drohend zusammengezogen.
Gonzales sah, wie Eiseneckers rechte Hand sich bewegte. Und plötzlich! . . . Was war es? . . . War es Taschenspielerei? Trotz allen Hinstarrens hatte Gonzales nicht gesehen, wie es geschah. In der vorgestreckten hohlen Hand Eiseneckers lag plötzlich ein glühender Fleck. Glühte hell und immer heller auf. Wuchs von der Größe einer Erbse bis zu der einer Kirsche. Leuchtete jetzt in grellem, blauweißem Licht.
Und jetzt! Weit aus breitete Eisenecker die Hand, bis die hohle Fläche sich nach oben wölbte. Langsam entglitt ihm die schimmernde Kugel. Rollte über die Fingerspitzen hinab und blieb in der Luft schweben. Rollte und schwebte weiter, während sie noch zu wachsen schien. Bewegte sich vorwärts.
Gonzales stand wie erstarrt. Wie fasziniert hingen seine Augen an den Kugeln, die sich in rechtem Winkel zueinander auf den Vortrupp und die Schützenlinie zu bewegten. Sie setzten ihren Weg immer noch gradlinig fort.
Jetzt hatte die erste den Vortrupp, der schon auf hundert Meter heran, erreicht. Gonzales sah es deutlich.
Ein paar wichen zurück. Einer stieß mit dem Gewehrkolben danach. Sie blieb daran hängen, schob sich wie tändelnd höher und höher. Der Soldat ließ das Gewehr fallen.
Die schimmernde Kugel blieb daran, erreichte das Eisen.
Und dann war's geschehen. Einen Augenblick alles in wabernde Lohe gehüllt. Ein furchtbares Krachen . . . wie stärkster Blitzschlag . . . Der Vortrupp erschlagen am Boden.
Die andere Kugel: Schon hatte auch sie die Kette der Soldaten erreicht. Die standen still, starr . . . betäubt von dem, was da vor ihren Augen mit dem Vortrupp geschehen. Unfähig, sich zu rühren, zu fliehen.
Da war die zweite am Ziel. Einen Bruchteil einer Sekunde der ganze Ring der Soldaten ein feuriger Kreis. Aus der kleinen Kugel ein fressender Blitz, der alles dort Stehende und Lebende in eine Flamme hüllte.
Auf den Blitz der Donner! So ungeheuer die Stärke der Entladung, so gewaltig der Luftdruck, daß Gonzales gegen den Pfosten der Tür zurückgeworfen wurde, sich festklammern mußte, um nicht niederzustürzen. Betäubt, empfindungslos, die Augen geblendet, verharrte er minutenlang . . .
Dann löste er seine Hände. Richtete sich auf. Sah Eisenecker mit einem entsetzten Blick an. Wankte in die Hütte, sank auf der Bank zusammen, vergrub seinen Kopf in den Händen.
Die Macht dieses Mannes! Ihm graute. Was war da geschehen? Der . . .
Mit der bloßen Hand schleuderte er Tod und Verderben. Wo war die Phantasie, die das erträumt?
War das noch ein Mensch? – – Kam der vom Himmel – kam er aus der Hölle? –
Der starke gläubige Mann . . . seine Finger gingen zur Brust. Er bekreuzigte sich.
War's Gott oder der Satan, der ihm das gab?
Neben ihm Pagano auf den Knien vor dem Heiligenbild . . . versuchte zu beten. Nur unartikulierte Laute brachte er über die Lippen.
»Auf, Don Antonio! Gehen wir, ehe andere kommen!«
Gonzales erhob sich. Mit leichenblassem Gesicht starrte er den Freund an.
»Don Frederego!« . . . Seine Stimme klang heiser, ». . . die Kugeln? . . . Wo kamen die her? Wer gab sie Ihnen? Menschenwerk? Sagen Sie's!«
»Mein Werk, Sie Ungläubiger! – –
Doch jetzt fort hier! Raffen Sie sich auf! Wir müssen eilen.
Kein Kugelblitz mehr, den ich senden könnte. Ich wäre gänzlich waffenlos.«
* * *
»Und Sie können auch keine Vermutung aussprechen, Herr Generaldirektor, wer der Mann war, der die Tür der Zollhütte aufschloß und Sie und Ihre Leute herunter nach St. Jean geleitete?«
Harder . . . Die Hand Mettes, die seine hielt, preßte sich krampfhaft zusammen . . . er holte kurz Atem.
»Nein! . . . Wie sollte ich auch? Bin ich doch fremd . . . hier . . . erst recht in den Bergen dort.«
Der Kommissar nickte mit dem Kopf.
»So bliebe also nur die eine Annahme. Der Mann . . . ein früherer Komplice der Banditen . . . jetzt ihr Feind, hat Gründe, im Verborgenen zu bleiben. Nun! Ich hoffe, daß die energischen Schritte unserer Regierung in Madrid Veranlassung geben, alles zu tun, um diesen mysteriösen Vorfall aufzuklären.«
»Ich halte das für sehr erwünscht, Herr Kommissar. Daß solche Zustände hier im Grenzgebiet überhaupt noch möglich sind, ist ein Skandal, dem bei gutem Willen der beteiligten Regierungen bald ein Ende gemacht werden könnte.«
»Sie können versichert sein, Herr Generaldirektor, daß man unsererseits nicht versäumen wird, gelegentlich dieses unglaublichen Falles das Nötige zu tun. Doch noch eine Frage. Es wäre sehr erwünscht, wenn wir die Person dieses geheimnisvollen Retters feststellen könnten . . .
Der Mann schlug, als er Sie verlassen, den Weg nach der Kapelle St. Jean le miracle ein?«
Harder nickte.
»Hm! Daraus wäre zu schließen, Herr Generaldirektor, daß der Mann Franzose ist, oder wenigstens in Frankreich wohnt, sich hier aufhält. Einen anderen Weg über das Gebirge nach Spanien außer jenem, auf dem Sie herunterkamen, gibt es nicht in dieser Gegend.
Leider ist niemand von Ihnen in der Lage, eine einigermaßen genügende Beschreibung dieses Mannes geben zu können. Sonst wäre vielleicht seine Ermittlung, sofern er auf französischem Boden wohnt, möglich.«
Sie waren wieder in das Hotel zurückgekehrt. Harder warf sich mit mürrischem Gesicht in einen Stuhl.
»Hoffentlich war das die letzte Vernehmung! . . . Ich bin dieses ewigen Verheimlichens über. Warum soll ich nicht sagen . . . warum hast du nicht auf die Frage des Kommissars gesagt, du hättest geglaubt, in dem Fremden einen früheren Bekannten wiedererkannt zu haben. Ich zweifle nicht, daß dann die Aufklärung dieses unerhörten Überfalles schneller gelänge. Wer weiß, ob . . .?«
»Vater!« Mette schrie es fast. »Sprich es nicht aus! Der Gedanke ist deiner nicht würdig.«
Sie stand vor ihm. Das Gesicht weiß, kein Blutstropfen in ihm. Ihre Lippen bebten. Ihr Blick suchte den des Vaters. Der mied ihn, sah brummend zur Seite.
»Weshalb wir alle den Namen Eisenecker nicht nannten? . . . Iversen war es, der mir zuerst den guten Gedanken gab. Eisenecker will . . . das ist klar . . . will im Verborgenen bleiben. Seine Gründe kennen wir nicht, aber wir müssen sie achten. Schon allein die Dankbarkeit verlangt es. Wer weiß, wie es uns . . . dir . . . ohne seine Hilfe ergangen wäre.
Oder glaubst du etwa, deinet- . . . meinethalben hätte er nicht gekannt werden wollen . . .?«
Ein kurzes, bitteres Lachen kam aus ihrem Munde. Harder war aufgestanden, schickte sich an, das Zimmer zu verlassen.
»Es ist merkwürdig, mit welchem Interesse du diesen Mann verteidigst, Mette. Ich dächte, die Erinnerung an . . .«
»Die Erinnerung an jenen Sommer in Warnum! Entsetzlich! Ja! Und doch . . . mit welch namenlosem Entzücken denke ich daran. Wieder und immer wieder.«
»Mette!« Der Generaldirektor Harder hatte sich zu ihr gewandt. »Mette! Was ist dir? Die Ereignisse der letzten Tage . . . du bist maßlos erregt. Diese Worte aus deinem Munde! Du? . . . Du? . . . Liebst den noch?«
Mette war ein paar Schritte zurückgewichen. Einen kurzen Moment vor dem drohenden Blick, der aus ihres Vaters Augen schoß, schwankte sie . . . dann! Sie warf den Kopf hoch empor.
»Ja! Du sagst es. Ich liebe ihn noch immer!«
Harder stand da. Schwer atmend ging seine Brust. Dann strich er sich mit einer müden Bewegung über die Augen.
»Der! Alles hat er mir geraubt . . . Nun nimmt er mir das Letzte . . . dich, Mette!«
Noch stand die da, unfähig, ein Wort der Erwiderung zu finden. Da war der Vater ins Nebenzimmer gegangen, hatte die Tür hinter sich verschlossen. Vergeblich hatte Mette daran gerüttelt, um Einlaß bittend. Die Tür war verschlossen geblieben.
Und dann hatte Harder allein mit sich und seinen Gedanken den schweren Kampf gekämpft. Seine Gedanken waren zurückgewandert zu der Zeit, wo Friedrich Eisenecker in seinem Laboratorium arbeitete.
Mehr als einmal hatte Eisenecker den Vorschlag gemacht, die Aufgabe auf elektrostatischem Wege zu lösen. Hatte sich erboten, die nötigen Vorarbeiten selbst zu machen. Doch er hatte die Idee ebensooft verworfen.
Aber die Idee war unbewußt in ihm hängen geblieben. Auch später, als er schon fort war, war sie immer wieder von Zeit zu Zeit lebendig geworden. Immer wieder hatte er sie zur Seite geschoben.
Der Goldklumpen! Als er ihn gesehen . . . die Analyse nachgeprüft . . . Wie Bergeslasten hatte es sich auf ihn gelegt. Der Weg, von ihm verworfen . . . ein anderer hatte ihn beschritten! . . . War auf ihm zum Ziele gelangt!
Wer war der? Eine innere Stimme schrie es immer wieder . . . Friedrich Eisenecker!
Vergebens hatte er sich dagegen gewehrt . . . Der! . . . Der . . . mußte es sein!
Und dann hatten sie ihn gepackt, die bösen Geister. Neid . . . gekränkter Ehrgeiz . . . Haß! Kaum war er sich der Schritte bewußt gewesen, die er dann unternommen. Er hatte Malte von Iversen hinter dem hergejagt . . . nachdem er ihn belogen.
Er hatte seinen Mitarbeitern in Warnum schnellstes Vorgehen befohlen, unbekümmert um die Gefahr. Hatte in krankhaftem Trotz sich der inneren Stimme verschlossen, die mahnte, in den Apparat sichernde Sperrkreise zu legen . . . Der Tod Warnums . . . seine Schuld! . . . Alles die Frucht des bösen Triebes.
Und jetzt . . . was ihm bisher nur Verdacht . . . in dieser Nacht war's ihm zur unumstößlichen Gewißheit geworden, die Rettung der Werke von St. Marie . . . der Tod der Banditen das Werk Eiseneckers.
Und jetzt . . . verglich er sein Werk mit dem des Elias Montgomery, mit dem Friedrich Eiseneckers . . . Wie groß der! . . . Wie klein er!
Der! . . . Ein übermächtiger Gegner . . . unwiderstehlich seine Macht auch, die ihm Mette nahm. Und den Mann, den er mit seinem Haß und Neid verfolgt . . . Mette . . . die liebte den.
Da waren die eisernen Nerven des Mannes gerissen. Dies Letzte gab ihm den letzten Stoß.
Der nächste Morgen. Des Vaters Platz am Teetisch blieb leer. Mette eilte in verzweifelter Angst zum Hoteldirektor. Der ließ die Tür öffnen.
Harder lag zu Bett. Tödliches Fieber raste in seinen Adern. Mette wich nicht von seiner Seite. Tag und Nacht. Kaum, daß sie Iversen gestattete, sie abzulösen.
Der Kranke in furchtbaren Fieberphantasien tobend . . . Friedrich Eisenecker! . . . Der Name. Bald laut geschrien, bald geflüstert kam er von seinen Lippen.
Der Kampf der Nacht! . . . Im Fieber wiederholte er sich in fürchterlichster Weise . . . daß, die an seinem Bette saßen, erstarrten vor Furcht und Schmerz . . .
Der Kampf war schwächer geworden . . . die Kräfte Harders erlahmt. Der Name kam immer noch von seinen Lippen . . . Doch jetzt lallend . . . bittend . . ., daß denen die Herzen mitbebten in Leid und Jammer.
In einer verzweifelten Stunde war Iversen zu Mette getreten.
»Nur einer, der uns helfen kann, Mette. Eisenecker! Ich suche ihn!«
* * *
Das Rätsel von Montgomery-Hall gelöst! Diese Worte mit Fragezeichen . . . mit Ausrufungszeichen am Kopf der Zeitungen. Der Apparat in Spanien!
Kein Zweifel mehr, nachdem trotz strengster Pressezensur die Nachricht von dem rätselhaften Tod der 300 maurischen Soldaten in die europäischen Zeitungen gelangt war.
Der einzige überlebende Augenzeuge dieses Ereignisses ein Soldat, der wegen einer Fußverletzung dem Marsch der anderen nicht hatte folgen können und ein Stück zurückgeblieben war. Er hatte das Fürchterliche aus der Ferne gesehen. Sinnlos vor Furcht und Schrecken war er davongestürzt, hatte es hie und da Landsleuten, die ihm begegneten, erzählt, bevor er zur nächsten militärischen Stelle kam.
St. Marie aux Chaines. Der rätselhafte Tod der sechs Banditen, die den Generaldirektor Harder geraubt, der Tod der dreihundert maurischen Soldaten, – die Kette geschlossen, keine andere Erklärung, der Apparat Montgomerys hatte hier gearbeitet.
Einige auch, die den mysteriösen Vorfall bei der Notlandung der »Potomac« im ewigen Eis mit dem Apparat Elias Montgomerys in Verbindung bringen wollten. Doch dann wäre ja der Apparat an Bord der »Potomac« gewesen, die an jenem Tage in Hamburg aufgestiegen und ohne Zwischenlandung auf dem Wege nach Amerika war. Der oder die Räuber dann also Europäer. – Wann . . . wo hatten sie das Geheimnis Montgomerys ergründet? Und warum dann mit dem Apparat nach Amerika? . . . Warum später mit ihm nach Spanien? Hier versagten alle Erklärungsmöglichkeiten.
Und war das große Rätselraten über den Verbleib von Montgomerys Apparat beendet, so begann jetzt ein neues, die Köpfe und Sinne aller noch mehr erregendes, verwirrendes. Wer – – – wer – – – hatte ihn, wer hatte sein Geheimnis gelöst?
Ein geringer Anhaltspunkt. Diese dreihundert maurischen Soldaten hatten den Auftrag gehabt, einen früheren Oberst der spanischen Armee, Antonio Gonzales, in der Hütte eines Almbauern Pagano zu verhaften.
Sollte der Oberst Gonzales es sein, der den Apparat besaß? – Wenn nicht er selbst, dann vielleicht mehrere andere mit ihm zusammen? Noch während man über diese Möglichkeit stritt, kam die Bestätigung. Die maurische Regierung veröffentlichte in allen Zeitungen, an allen Orten des Landes eine Bekanntmachung, wonach auf den Kopf des Obersten Gonzales ein Preis von einer halben Million Peseten ausgesetzt wurde. Europa, die ganze Welt ein Gedanke nur: Wann würde der Schleier, der über diesen geheimnisvollen Vorgängen schwebte, sich lüften?
»Unerträglich diese peinigende Ungewißheit, fast raubt sie mir die Arbeitskraft. Ich kann, will es nicht glauben, daß noch ein anderer, ein Größerer lebt, der das Problem löst.«
Der greise Ibn Ezer schüttelte den Kopf. »Keine andere Möglichkeit, Abd ul Hafis, vergeblich wehrst du dich gegen den Gedanken, ein anderer, ein Größerer lebt, der das Geheimnis beherrscht. Auch der Kalif nicht mehr im Zweifel –«
»Der dann unser Feind! – Was wird die Zukunft bringen?«
»Wer weiß es, Abd ul Hafis – – Doch jetzt weg mit diesem unfruchtbaren Grübeln und Sorgen,« er war aufgesprungen, reckte die gekrümmte Gestalt hoch empor, sein Auge blitzte, »zu unserem Werk, mit all unseren Kräften. Großes ist uns schon gelungen, Größeres wird uns gelingen, so Allah uns gnädig – und uns Zeit gönnt.«
Er stand an dem Apparat. Seine Rechte glitt über Hebel und Knöpfe. Grünlichbläulich flammte es auf. In knatternden Funken suchte die hochgespannte Elektrizität, die dem Apparat entströmte, durch die Luft hin ihren Ausgleich.
»Unbegreiflich, daß weder die englischen Physiker noch Harder an den sichernden Sperrkreis gedacht.«
»Sie alle waren Elias Montgomery nicht ebenbürtig, – deshalb nicht würdig, Montgomerys Erbe zu heben. Ibn Ezer, er allein der Würdige.« Er beugte sich und küßte ihm den Saum des Gewandes.
* * *
Mette Harder stand auf der Terrasse des Hotels. – Der Vater schlief. Ihre Augen gingen nach Süden. Schon seit zwei Tagen war Iversen fort. – Würde er ihn finden, Friedrich Eisenecker? – Der, was wollte der dort in den Bergen? Warum gerade dort? . . . Ihre Gedanken weilten bei dem. Sie ließ sich in einen Korbstuhl nieder, schloß die Augen – – –
Ein Wagen rollte an der Terrasse vorbei. Jetzt hielt er jäh. Der Sand stob unter den festgebremsten Rädern. Sie sah auf. Einer stieg aus, winkte, kam auf sie zugeeilt. Sie sprang auf.
»Sie sind's, Malte?! . . . Sie bringen Gutes?!«
Iversen schob die Lederkappe zurück von der erhitzten Stirn.
»Ja, Mette, es ist mir gelungen . . .« Er reichte ihr den Arm und führte sie zu der Bank zurück. »Ja, Mette, soweit wär's gelungen. In einem kleinen Schlößchen, fast eine Ruine, tief in den Bergen, haust Friedrich Eisenecker. Fast hätte ich es gewagt, bei ihm einzudringen, ihn zu bitten, mit mir zu kommen. – Doch die Furcht, daß er meine Bitte abschlüge . . . ich ihn gar damit verscheuchte, hielt mich noch im letzten Augenblick ab.«
»Ah, Malte! Sie verharren dabei, daß ich mitgehen muß? Ich ihn bitten muß, zum Vater zu kommen?«
Sie waren aufgestanden, an die Balustrade getreten. Sie kämpfte innerlich einen schweren Kampf. Immer wieder bebte sie vor dem Schritt zurück . . . der doch unvermeidlich schien.
Die beste Hilfe für den Vater, – der einzige Weg, ihm Ruhe zu schaffen von den quälenden Gedanken. – Eisenecker!
Iversen war zu ihr getreten.
»Sie müssen sich entschließen, Mette. Ich kann durchaus begreifen, daß es nicht leicht sein wird, den Mann zu bitten, der im bösen von Ihnen schied.
Und heute noch! . . . Wer weiß, wo er morgen ist?«
Mette sah ihn erstaunt an.
»Wie soll ich Sie verstehen, Malte? Wird er abreisen?«
Iversen zuckte die Schultern.
»Es könnte sein, Mette! Ich glaube, ich habe bei den Nachforschungen nach seinem Aufenthalt einen Blick in das rätselhafte Dunkel getan, das ihn umgibt. Wenn nicht morgen . . . dann doch bald wird er wohl kaum noch diesseits der spanischen Grenze sein.«
»Malte! Sie erschrecken mich! Was sollen Ihre dunklen Andeutungen? Fürchten Sie, daß die maurische Regierung hinter sein Geheimnis gekommen . . . ihn gar gewaltsam über die Grenze holen könnte?«
»O nein, liebe Mette!« Iversens Gesicht zeigte ein vielsagendes Lächeln. »Ich glaube, die maurische Regierung könnte sich nichts mehr wünschen, als daß er nicht in ihr Land käme.
Ah! . . .« Er reckte seine elastische Gestalt hoch auf, »könnte ich doch dabei sein!«
»Malte! Es ist wenig schön von Ihnen, mich mit solchen unklaren Worten zu quälen. Schweigen Sie, wenn Sie mir nicht sagen wollen, um was sich's handelt.«
Iversen lachte.
»Ich täte es, Mette, wenn ich nicht dächte, ein anderer sagte es Ihnen bei nächster Gelegenheit. Doch jetzt gilt's dem Vater. Sind Sie bereit, in zwei Stunden mit mir zu fahren . . . dann schlagen Sie ein!«
Er hielt ihr die Hand hin.
»Ich bin es, Malte! Aber . . .«
»Kein ›Aber‹ Mette! Die Fahrt in die Berge . . . und das, was ich dort sah . . . mir ist so wohl um's Herz! Ich glaube, die nächste Zeit wird manche frohe Überraschung bringen.« – – –
Zwei Stunden später rollte der Kraftwagen Harders den Pyrenäen zu. Jetzt fand Iversen Gelegenheit, Mette zu berichten, wie es ihm gelungen, Eisenecker aufzufinden.
»Ich hatte viel Glück dabei,« schloß er, »das gestehe ich offen. Wenn mir auch . . .« er lachte in heiterer Selbstironie, »meine früher als Privatdetektiv erworbenen Erfahrungen von bestem Nutzen waren.
Ah! . . . Die Szene beim Madrider Polizeikommissar . . . es schüttelt mich noch, wenn ich daran denke. Damals schwur ich mir: Ihrem Vater Bericht geben! Ihn dann für lange Zeit nicht wiedersehen. Nach England wollte ich damals sofort, in scharfen sportlichen Wettkämpfen diese schlimmste Schlappe meines Lebens vergessen . . .
Und . . . nun bin ich immer noch hier . . . bin sogar wieder auf den Spuren Friedrich Eiseneckers. Ja! . . . Sie sehen, Mette, man soll sich nichts vornehmen.«
Mette reichte Iversen die Hand.
»Ich bin Ihnen so dankbar, Malte! . . . Immer wieder muß ich's sagen . . . daß Sie so freundlich und aufopfernd bei uns ausgehalten haben.« – – –
Eine Stunde schon, daß sie den Kraftwagen verlassen. Auf schlechten, bisweilen kaum gangbaren Wegen strebten sie dem Ziele zu. Die Sonne war schon hinter den Bergspitzen verschwunden, als die grauen Mauern von »Mon Repos« zu ihren Füßen auftauchten.
Sie standen still.
Mette sah mit schwachem Lächeln zu Iversen hin. Jetzt, wo nur noch wenige Schritte sie von Eisenecker trennten, bedurfte es noch einmal der größten Überwindung. Iversen entging es nicht.
»Mette! Es ist für Ihren Vater. Kommen Sie! Nehmen Sie meinen Arm! Der Weg hier runter wird halsbrecherisch. Ich mußte diese Route wählen, weil sie uns am schnellsten zum Ziele führte. Der andere bessere Weg ist viel länger . . .«
Und dann standen sie vor der Pforte der Gartenmauer. Iversen klopfte mit der Faust gegen die altersschwache Tür.
Sie lauschten. Da nahten Schritte. Ein Riegel wurde zurückgeschoben. Der alte schnauzbärtige Diener stand da, fragte nach ihrem Begehr.
»Wir möchten Ihren Herrn sprechen, ist er zu Hause?«
Der Alte brummte ein paar unverständliche Worte in den Bart, schloß die Tür und verschwand . . .
Nach einer Weile wieder das Geräusch von Schritten. Doch ein anderer mußte es sein, der da kam. Kräftiger, fester trat er auf.
Da war der an der Pforte. Der Riegel flog zurück, die Tür ging auf.
»Friedrich Eisenecker!« Die Überraschung trotz allem so groß, daß Mette den Ruf nicht zurückhalten konnte.
»Fräulein Mette Harder? . . . Sie wollen zu mir? . . .«
Er stand im Eingang . . . mußte sich besinnen, ehe er den Eingang freigab . . . Er übersah Iversens Gruß. Seine Augen hingen an dem Munde Mettes.
»Bitte, treten Sie ein!« Seine Stimme klang ruhig, gelassen. Nichts verriet den Sturm, der in seinem Inneren tobte.
»Ja! Herr . . . Eisenecker . . . ich komme zu Ihnen. Die Sorge um meinen Vater ist's, die mich hierhertreibt.«
Sie schritten dem Hause zu. Vor dem Portal eine steinerne Bank. Mette . . . kaum, daß ihre Füße sie trugen, sank darauf nieder.
»Ihr Vater, Fräulein Harder, ist krank?«
Mette nickte stumm.
»Und Sie kommen deshalb zu mir, Fräulein Harder?«
»Ja! Zu Ihnen.« Sie deutete neben sich auf die Bank. Er setzte sich. Und nun, da er nicht mehr vor ihr stand, sein Auge nicht mehr auf ihr ruhte, fühlte sie sich freier.
»Die Ereignisse der letzten Zeit, der Überfall bei St. Jean – der Unglücksfall auf Warnum, ich verstehe, auch für die Nerven eines Starken eine harte Probe.«
Mette schüttelte den Kopf.
»Wär's das allein, . . . er würde es schneller überwinden. Seine Krankheit . . . andere Ursachen . . . gefährlicher, tiefer. Sie verwirrt ihm den Verstand. Läßt ihn nicht zur Ruhe kommen Tag und Nacht.
Das Schlimmste droht, wenn . . . Sie nicht helfen . . . Sie.«
»Ich? . . . Fräulein Harder! Wie soll ich ihm helfen können? Sie täuschen sich in mir . . . in Ihrem Vater. Er würde Ihren Schritt wohl nie gebilligt haben, wenn er's wüßte.«
»Er weiß es nicht. Ja! . . . Würde es auch nie erlaubt haben, wenn sein Geist gesund.«
»Und doch . . .«
»Und doch komme ich zu Ihnen. Durch Sie kam das Leid über ihn. Nur durch Sie kann er genesen.«
Ihre Stimme hatte den bebenden Ton verloren. Laut, wie anklagend klangen die Worte.
»Fräulein Harder! Ich begreife . . . verstehe nicht . . . Sie klagen mich an. Was tat ich Ihrem Vater?«
Mette wandte sich ab. Ihr Kopf sank in die Hand.
»Sie taten ihm nichts.« Leise, fast flüsternd kamen die Worte aus ihrem Mund. »Und doch haßt er Sie . . .«
»Warum der Haß?«
»Er haßt Sie, wie der Kleine . . . der Geschlagene den Großen . . . den Sieger haßt. Sie, der in wenigen Jahren erreichte, was er in der Zeit eines Menschenalters vergeblich erstrebt hat.«
»Sie kommen vergebens, Fräulein Harder. Ich kann ihm nicht helfen . . . Will es auch nicht. Der Sieger soll zu dem Geschlagenen kommen? Ha! Tät ich's . . . hinausjagen wird er mich gar!«
Er stand auf.
»Sie wollen gehen? Nein! Sie dürfen es nicht! Dürfen meine Bitte nicht abschlagen. Der letzte verzweifelte Versuch! Wüßten Sie, wie schwer es mir geworden, hierherzukommen.«
Unfähig, ihre Stimme zu beherrschen. Ein haltloses Schluchzen. Sie vermochte nicht weiterzusprechen.
Sie schwankte. Er reichte ihr den Arm. Willenlos legte sie ihren hinein.
Er schritt mit ihr durch die Wege des Gartens. Wußte nicht die Antwort zu finden.
Mette Harder an seinem Arm! Wie lange war's her . . .?
Warnum . . . Mon Repos . . . Der in Biarritz . . . da . . . die Gedanken hasteten fort. Was würde der sagen, sähe er Mette an seinem Arm hier . . .?
Wieder wie damals? . . . Nein! . . . Vielleicht doch nicht. Ein leichtes stolzes Lächeln trat auf seine Züge.
Heute! . . . Das Blatt hatte sich gewendet. Und doch . . . die letzte Fahrt in Warnum . . . Er vor dem Alten . . . die Erinnerung ließ sich nicht bannen.
Zu tief die Wunde, die ihm damals geschlagen . . . von ihr. Wie schwer es ihr geworden . . . sie sprach es selbst . . . und er verstand sie wohl, die stolze Mette Harder.
Und während er sann, überkam ihn ein weiches Gefühl . . . des Mitleids. Er zog ihren Arm fester in den seinen. Er spürte, wie sie zusammenzuckte . . . da ließ er wieder los.
Sie blieb stehen. Im grauen Dämmerlicht war ihr Gesicht bleich wie der Tod.
Es schien eine fremde Stimme, die aus ihrem Munde klang.
»Sie werden mit mir gehen, Friedrich Eisenecker! Sie werden den, den Sie besiegten, nicht untergehen lassen! Ihren Sieg entweihen!«
Seine Lippen bewegten sich zum Nein. Da trat sie dicht vor ihn hin, daß sie sich berührten. Ihr Blick versenkte sich in seinen. Vergeblich wehrte er sich dagegen.
Die Macht der grauen Augen war stärker, schlug seine Sinne in Banden. Zwang ihn, seine Hand in die ihre zu legen.
* * *
Die rätselhaften Vorgänge in Spanien!
Die öffentliche Meinung, die Presse der Welt kamen darüber nicht zur Ruhe.
Spanien selbst. Eine dumpfe, schwüle Stimmung im Lande. Trotz strengster Pressezensur drangen immer wieder Nachrichten aus der Welt in die Bevölkerung, steigerten die Unruhe. Besonders der maurische Teil der Bevölkerung wurde davon betroffen. Schien sich das geheimnisvolle Phänomen in erster Linie gegen die maurische Gewalt zu wenden.
Die Truppen selbst . . .? Im Madrider Kriegsministerium herrschte starke Besorgnis. – – –
»Ich fürchte, daß eine Wiederholung solcher Vorfälle auf die Disziplin unserer Truppen von ungünstigstem Einfluß sein würde«, schloß Prinz Ahmed seine Rede.
Fürst Iraklis und Jolanthe sahen zum Kalifen hinüber. Der saß, die Lippen zusammengepreßt, düster vor sich hinstarrend. Sprach dann.
»Diese tapfersten, besten Soldaten der Welt, wehrlos preisgegeben einer unsichtbaren fürchterlichen Waffe . . .! Auch der Mutigste muß da den Mut verlieren.«
»Und immer noch keine befriedigende Erklärung,« warf Prinz Fuad ein, »wie die Waffe beschaffen, die so ungeheure Wirkung hat.«
Fürst Iraklis breitete ein Papier auf dem Tische aus.
»Hier eine Skizze der Umgebung von Paganos Hütte. Ich nahm sie bei unserem gestrigen Besuch auf. Die Stellen, wo unsere Soldaten getroffen wurden, waren leicht zu erkennen. Der Boden zeigte da starke Brandspuren. Wir konnten die Entfernungen zuverlässig feststellen.
Jolanthe war es, die mich da auf eine Frage von Bedeutung aufmerksam machte. Warum warteten die in der Hütte, bis unsere Leute so nahe heran waren. Es war zweifellos ein großes Wagnis. Ein plötzlicher Feuerüberfall von unserer Seite hätte die Hütte mit allem Lebenden darin vernichtet.«
Abdurrhaman horchte auf. Sein Auge hing an dem Fürsten, der weitersprach.
»Die Erklärung, die Jolanthe hierfür zu finden glaubte, erscheint mir wohl zutreffend. Die Waffe des Feindes scheint nur auf kürzere Entfernung wirksam zu sein.«
»Ah!« Prinz Ahmed sprang auf, »gut so! Das wäre nicht ohne Bedeutung. Die Waffe verlöre damit vieles von ihrem Schrecken.«
Eine farbige Signallampe an der Tür glühte auf. Ein Wink Abdurrhamans. Fürst Iraklis ging zur Tür und öffnete sie. Ein Adjutant mit einer Mappe in der Hand.
Der Fürst nahm, legte sie vor den Kalifen. Der schlug den Deckel zurück.
Ein Brief. Er begann zu lesen. Stockte . . . wandte das Blatt . . . die Unterschrift . . . Seine Brauen schoben sich zusammen. Ein düsterer Brand glomm in seinen Augen auf.
»Vom Oberst Gonzales!« Die Worte mit seltsam tonloser Stimme gesprochen, wie ein Blitz trafen sie die anderen. Doch sprach keiner ein Wort. Ihre Augen hingen an dem Kalifen, der das Blatt wieder zurückwendete, weiterlas.
Der . . . die Augen stier . . . starr auf das Papier gerichtet, das gebräunte Gesicht tief erblaßt, die Hand, die den Brief hielt, in leichtem Zittern . . . der las langsam, als könne er den Sinn der Worte nicht fassen, schwerfällig Zeile um Zeile . . .
Schloß jetzt die Augen. Die Hand mit dem Brief sank kraftlos herunter. Die anderen . . . ihre Blicke flogen von dem Kalifen zueinander. Bebend in ungeheuerster Spannung . . . Erwartung.
Durch die Gestalt Abdurrhamans ging ein leises Beben. Die Hand krampfte sich um das knisternde Papier. Eine Röte stieg langsam empor . . . vom Nacken zu den Wangen . . . höher zur Stirn . . . Tiefrot jetzt sein Antlitz!
Und dann . . . die Augen sprangen weit auf . . . Ein blutigroter Schein brach daraus. Nichts Menschenähnliches darin . . . wie eine Bestie . . . zu wahnsinniger Wut gereizt.
Mit einem wilden Satz sprang er auf. Die geballten Hände umkrampften den Brief . . . stießen empor.
Ein unartikulierter Laut brach aus seinem Munde. In jähem Wurf schleuderte er das Schriftstück zu Boden. Starrte auf den Papierball . . . stampfte mit dem Fuß darauf.
Seine Brust hob sich in wilden Atemstößen. Seine Lippen keuchten in wirrem Gestammel . . .
Die anderen sprangen auf . . . umringten ihn, als wollten sie ihn halten . . . stützen.
»Abdurrhaman . . .!« Prinz Ahmed sprach es mit leiser, zitternder Stimme. »Abdurrhaman . . .!«
Der, als riefe ihn der Name zurück . . . starrte mit wilden Blicken um sich. Sah die jetzt . . . Er schob die Hände, die sich ihm entgegenstreckten, zurück. Stürmte wie ein gefangenes Raubtier durch das weite Gemach hin und her.
Mit Entsetzen verfolgten die anderen das wahnsinnige Gebaren des Mannes. Jolanthe die erste, die den Bann von sich warf. Sie schritt zu dem Papier, hob es auf, glättete es. Las es mit halblauter Stimme . . . unterbrach sich immer wieder. Wandte sich zu den anderen, die ihr lauschten.
Der da, was der schrieb . . . war es möglich? Die Mauren sollten das Land verlassen? . . . Binnen acht Tagen schon sollte die Provinz Navarra geräumt sein? . . . Die Frist, um unnötiges Blutvergießen zu vermeiden . . . schrieb der da . . . Sonst Gewalt! Vernichtung! . . . Die neue furchtbare Waffe rücksichtslos angewandt . . . Das bei Paganos Hütte ein leichtes Vorspiel . . . doch genügend zur Warnung . . . Beweis, wie stark die Waffe.
Das verhängnisvolle Blatt entsank der Hand. Blaß . . . stumm starrten sie sich an.
Wer . . . Hilfe . . . Rat?
»Acht Tage Frist!« Die Worte kamen von Jolanthes Lippen, »acht Tage! . . . wenig . . . viel . . . für den, der die Zeit zu nutzen weiß. Der Feind ist in Spanien! Der Deutsche . . . Gonzales . . . der Preis auf seinen Kopf verzehnfacht! . . . Polizei . . . Militär, keine andere Aufgabe als . . . sie zu suchen!
Und finden wir sie nicht . . .« Sie schloß die Augen Ein leichtes Zittern ging durch ihre Glieder . . . »dann kämpfen . . . sterben!« Sie stand bewegungslos. Da! In ihren Mienen regte es sich. Leben kam in ihre Gestalt. Ihre Augen, weit geöffnet, schienen in weite Fernen zu dringen. »Ibn Ezer! . . . Ibn Ezer!« Sie stieß den Namen aus.
»Ibn Ezer!?« Die Stimme Abdurrhamans schrie es in die Stille. »Was ist mit dem? . . . Ha! . . . Ha! Sucht ihr da Rettung?«
»Könnte er uns nicht helfen, könnte er uns raten!« rief Prinz Ahmed.
»Rufen wir ihn! In wenigen Stunden könnte er hier sein«, sagte Fürst Murad.
Abdurrhaman zuckte die Achseln.
»Tut es! Wenn ihr glaubt . . .«
»Sein letzter Bericht . . .« der Prinz sprach . . . »so vorsichtig er auch abgefaßt war, er war nicht ungünstig. Der nächste . . . vielleicht noch günstiger . . . er könnte schon hier sein. Mit jedem Kurier können wir den erwarten.«
Der Prinz ging zur Tür, öffnete sie. Der Adjutant kam.
»Der Kurier aus Kairo . . .?!«
»Er ist soeben gekommen.«
»Bringen Sie die Depeschen sofort hierher!«
Die anderen hatten es mit angehört. Schweigend warteten sie.
Der Adjutant kam, legte eine Mappe auf den Tisch, entfernte sich.
Was barg sie? . . .
Abdurrhaman ging an den Tisch, schlug sie auf . . . blätterte.
»Ibn Ezer! . . . Der Bericht! . . .«
Die anderen traten heran. Der Bericht!
Abdurrhaman las. Still . . . die Lippen bewegten sich, bildeten Worte. Die wurden lauter.
». . . nachdem die falschen Schaltungen entdeckt . . . sicher, das Geheimnis Montgomerys zu lösen . . . Die Versuche . . . mit Allahs Hilfe . . . der Apparat arbeitet . . . wie in den Händen seines Meisters! . . .«
Was dann noch dastand . . . Sie lasen es nicht mehr. Schauten sich an.
»Allah hat geholfen. Allah wird weiter helfen!«
Verwandelt alle!
Unbeschreiblich die Erregung. Keinen duldete es an seinem Platz. Bewegten sich wirr durcheinander. Der eine zum anderen. Es dauerte lange, bis sie Ruhe . . . Selbstbeherrschung wiedergefunden.
Maßlos die Freude in jedem!
Abdurrhaman, als wäre neue Kraft über ihn ausgegossen.
»Nicht mehr wehrlos! Mit gleichen Waffen ihn bekämpfen! Wär's möglich?
In einer Stunde! . . . Einer muß unterwegs sein nach Ägypten.«
»Ich fahre!« Jolanthe rief's.
* * *
»Wo ist Mette?« Harder fragte den alten Diener. »Sie soll kommen, . . . gleich!«
»Das gnädige Fräulein Mette ist vor ungefähr vier Stunden mit Herrn von Iversen im Wagen fortgefahren. Der Herr Generaldirektor schliefen. Das gnädige Fräulein gab mir den Auftrag, dem Herrn Generaldirektor zu bestellen, sie mache einen größeren Ausflug.«
Harder lehnte sich mißmutig in dem Liegestuhl zurück. Ließ den Diener die Decken, die sich während des Schlafes verschoben, ordnen.
»Wenn Mette kommt, soll sie zu mir kommen.« Er winkte dem Diener, sich zu entfernen.
Mette . . . seit vier Stunden schon war sie fort? . . .
Nun ja . . . sie war gewiß der Erholung bedürftig, Tag und Nacht hatte sie an seinem Krankenlager gewacht, sich um ihn gesorgt . . . Wo war sie hingefahren? . . . Sonderbar, daß sie es dem Diener nicht gesagt . . .
Ein Wagen rollte vor. Sie konnte es sein. Er klingelte dem Diener. »Mette soll sofort zu mir kommen.«
»Es war ein fremder Wagen, Herr Generaldirektor.«
Hm, es war nicht Mette? . . . Wo sie nur blieb? . . .
»Du weißt nicht, in welcher Richtung sie mit Herrn von Iversen gefahren ist?«
»Nach Süden, Herr Generaldirektor. Ein Hotelchauffeur hörte Herrn von Iversen kommandieren: Richtung Bayonne!«
Der Diener ging. Harder legte sich auf seinem Lager zurück, schloß grübelnd die Augen.
Nach Süden war sie gefahren? . . . Da unten, die Pyrenäen. – War sie in die Berge gefahren? . . . Was wollte sie da? Eine so weite Fahrt!
Die Erinnerung an jene Fahrt nach St. Jean le miracle wurde wach . . . die Prophezeiung des Schäfers – der Überfall – die Rettung durch . . .
»Eisenecker!« hatte Mette geschrien, »Eisenecker!« Keiner hatte ihn erkannt, sie allein, sie . . . die Augen der Liebe sehen scharf . . . Mette liebte ihn, Eisenecker . . . den Feind. Hatte es selbst gesagt, daß sie ihn noch immer liebe . . . Wie tief mußte die Liebe in ihr wurzeln nach all dem Vorangegangenen . . .?
Und dann, als hätte er eine Vision, er warf den Oberkörper nach vorn, seine Hände umklammerten die Armlehne, als wollten sie sie zerbrechen . . .
Mette in die Berge gefahren . . . zu ihm?! – – Er sah sie in Eiseneckers Armen, den Armen des Mannes, der ihm alles geraubt, Ehre, Ruhm . . . sie, Mette.
Er schleuderte die Decken von sich, wollte sich erheben. Die geschwächten Glieder versagten den Dienst. Mit lautem Stöhnen sank er zurück . . . unerträglich die Qual des Wartens . . . der Ungewißheit.
Da! War es nicht das bekannte Signal seines Wagens? Er schellte dem Diener. »Mette ist zurück?! Sie soll . . .« Die Tür öffnete sich, Mette trat ein.
»Mette . . . Mette!« Harder schrie es, streckte ihr weit die Arme entgegen.
»Vater, Vater, was ist dir? Du bist . . .« Mette war zu ihm geeilt, hatte seine Hände ergriffen, drückte sie an ihre Brust.
Harders Atem ging schwer. Seine Augen umfingen mit unaussprechlicher Freude Mettes Gestalt. Sie war wieder bei ihm, seine Mette. – Ein Trugbild, das seine Augen soeben zu schauen geglaubt. Es konnte, konnte nicht sein.
Er rang nach Worten, wollte fragen, wo sie gewesen. Die Gewißheit aus ihrem Munde hören, daß er sich getäuscht.
Mette sah seinen Kampf. Das Geständnis, – ein furchtbarer Schlag mußte es für ihn sein. Jetzt erst kam es ihr zu vollem Bewußtsein, wie gefährlich, gewagt ihr Plan, die beiden Männer zusammenzubringen. Sie wollte sprechen, doch die Lippen versagten den Dienst . . .
Sie sahen sich schweigend an – dann senkte Mette den Blick.
»Wo warst du, Mette?« Die Stimme des Vaters klang dumpf grollend. Mette antwortete nicht, suchte vergeblich nach Worten.
»Du warst bei Friedrich Eisenecker . . . du! Mette Harder! . . . Gestehe es, sei nicht feige!« Harder sprach die Worte mit einer fast unnatürlichen Ruhe, und doch verriet ihr Ton, daß er nur mit Mühe an sich hielt.
»Ja! ja! ich war bei ihm.« Mette schrie es. »Aber nicht meinetwegen . . .«
»Nicht deinetwegen?! – Leere tönende Worte, hinter die du dich flüchtest.« Hohn, Haß klang in der Stimme Harders.
»Wärest du doch gleich bei ihm geblieben! . . . oder wollte er dich nicht mehr? . . .« Ein häßliches Lachen begleitete die Worte.
Mette stand starr, schaute den Vater an, als müsse sie sich überzeugen, daß er es gewesen, der diese Worte gesprochen.
Dann, mit einem Aufschrei sank sie an seiner Seite in die Knie, schlang die Arme um ihn, sprach zu ihm mit bald bebender, bald fester Stimme . . . lange.
Harder schien zunächst den Sinn ihrer Worte nicht zu fassen. Stumm hörte er ihr zu. Endlich, als sie sagte, daß Eisenecker mit ihr gekommen sei, mit Harder zu sprechen, kam ihm zum Bewußtsein, was Mette getan . . . für ihn. Er legte die Hand auf ihren Scheitel, strich leise darüber hin. »Mette – was hast du getan? Du, die Stolze, hast dich um meinetwillen gedemütigt, hast dich erniedrigt, diesen Mann zu bitten. Unterbrich mich nicht. Wer anders als ich kann die Größe dieses Opfers ganz ermessen . . .
Und doch, es war umsonst, dein Opfer! Es kann nicht geschehen! Zu tief die Kluft, die mich von dem trennt!«
»Vater!« rief Mette, indem sie die Hände zusammenschlug und aufspringen wollte. »Die Kluft, die euch trennt, wer riß sie auf? – Du, du allein! Schon längst hätte ich dir das sagen sollen. Nur war ich zu feige dazu.
Sollte Eisenecker seinen Geist verdorren lassen, oder sollte er, nachdem ihm die große Tat gelungen, zu dir kommen, dir sein Werk zu Füßen legen?! Nein! Nichts bindet ihn an dich!
Ein Zufall wollte es, daß ich Zeuge war jener Unterredung zwischen dir und Malte in unserem Hause am Bismarckdamm. Schon damals war ich von dem guten Rechte Eiseneckers felsenfest überzeugt, hatte Zweifel an der Wahrhaftigkeit deiner Beschuldigungen . . . Ich muß es sagen, so weh es mir auch tut.«
Harder wandte den Kopf zur Seite. Was er sich nie mit voller Klarheit eingestanden, in den Worten Mettes lag die Wahrheit, die unumgängliche, unübersteigliche Wahrheit. Aber so ganz wider Erwarten traf ihn, was ein anderer Mund sprach, daß er blindlings zurückflog. Mit ringender Brust atmete er die durch das Fenster strömende kühle Seeluft, um sich von dem erstickenden Herzschlag zu befreien.
Dann, wenigstens körperlich etwas beruhigt, sprach er mit halber Stimme, ohne sich umzuwenden. »Du bist ein Weib, Mette, nie wirst du verstehen, was ein Mann empfindet, dem nach jahrzehntelangem Ringen ein anderer den Preis entreißt! Diese ungeheure, niederschmetternde Enttäuschung, die Vernichtung meines Lebenswerkes . . .«
»Ein Mann, ein wahrer Mann räumt dem Sieger das Feld, schreitet zu neuer, anderer Tat.«
»Ich bin krank«, sagte er leise. »Krank. Ich leide an dem Mann, denke nichts anderes als ihn. Er ist in mir wie eine Qual, wie ein Feuer. Ich habe keine Vernunft mehr, meine Kraft ist gebrochen, ich bin unfähig zu neuer Tat.«
»Sprich mit ihm, Vater, und alles wird anders werden.«
Harder schüttelte stumm den Kopf. »Es wäre die bitterste Stunde meines Lebens . . . ich kann es nicht.«
»Auch dann nicht, wenn er dich bäte, ihm mitzuhelfen bei dem großen Werk, der Menschheit dienstbar zu machen, was sein Geist erdacht? – –«
»Er mich bäte? Er . . .? Eisenecker . . .? Ich verstehe dich nicht, Mette. Welcher Täuschung gibst du dich hin? Der Mann, der mit einem Wort die ganze Weltwirtschaft umzustoßen vermag, bedarf meiner Hilfe nicht.«
»Sprich mit ihm, nur das eine bitt' ich dich, Vater.«
Mette rückte näher an sein Lager heran, neigte sich zu seinem Ohr, erzählte mit fliegendem Atem, was sie und Iversen mit Eisenecker auf der Fahrt verabredet . . .
Ein frommer Betrug. Die neue Organisation der Energiewirtschaft bedurfte langer schwieriger Vorbereitungen. Das große Organisationstalent Harders sollte von Eisenecker zur Hilfe herangezogen werden.
Harder Mitarbeiter Eiseneckers! Es erschien die einzige Möglichkeit, Harder mit allem auszusöhnen.
Je weiter Mette sprach, mit desto größerem Interesse folgte Harder ihren Worten. Seine Brust hob sich in tiefen, befreienden Atemzügen. Jetzt reckte er sich auf. Ein anderer Ausdruck auf seinem Gesicht. Nicht mehr in Qual und Haß verzerrt die Mienen. Er fühlte sich frei von all dem, das seine Vernunft geknebelt zu Boden gepreßt hatte.
»Mette . . . sprichst du die Wahrheit?« Harder hatte sich von ihren Armen freigemacht, schaute sie prüfend an.
»Sie spricht die Wahrheit!« Eine Männerstimme gab die Antwort. Bei ihrem Klang schloß Harder die Augen. Stumm, mit fahlem Gesicht sank er in sich zusammen, rührte sich auch nicht, als er fühlte, wie eine kräftige Männerhand die seine ergriff, sie drückte.
Mette war aufgesprungen, ihr Gesicht von dunkler Röte übergossen. Höchste Freude, Seligkeit lag in den Blicken, die von einem zum anderen wanderten. Dann war sie aus dem Gemach verschwunden. Hatte in ihrem Zimmer gesessen, in banger Erwartung – – – lange. Doch je länger sie warten mußte, desto leichter wurde es in ihr.
Die beiden Männer, sie mußten sich gefunden haben! Iversen trat ein. Er reichte ihr die Hand.
»Ein langes Palaver, was die beiden da führen! Sie scheinen ja die ganze Welt auf den Kopf stellen zu wollen, daß sie kein Ende finden.«
»Malte! Ich bin ja so glücklich, daß es gelungen ist. Und – – dir das Hauptverdienst.«
Malte von Iversen schlug die Hacken zusammen, machte eine überkorrekte Verbeugung und legte die Hand aufs Herz.
»Unendlich geschmeichelt, teuerste Mette! Dies Anerkenntnis aus deinem Munde mein höchster Lohn! . . . Trotz alledem . . . den Kuppelpelz möchte ich nicht missen.«
Sein lustiges, vieldeutiges Augenzwinkern trieb Mette das Blut ins Gesicht. Verwirrt, halb unwillig, halb lachend sprang sie auf, verließ den Raum.
Die Tür zum Zimmer des Vaters . . . wie ein Magnet zog es sie dorthin. Jetzt stand sie davor, preßte die Hand auf das hochklopfende Herz. Dann, leise . . . zag drückte sie den Türgriff nieder, schaute verstohlen durch den Spalt.
Da saßen die beiden in eifrigem Gespräch. – Ein Tisch zwischen ihnen, bedeckt mit Papieren . . . lange Zahlenreihen . . . Pläne . . . Projekte. – Vergessend Zeit und Raum, in gemeinsamer Arbeit an dem großen Zukunftswerk.
* * *