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»Wir wollen vierundzwanzig Stunden warten, Malte, ehe wir Schritte um Modeste tun!« hatte Mette gesagt.
Iversen hatte eine schlaflose Nacht hinter sich, hatte vergeblich gehofft, Modeste würde zurückkehren. Am nächsten Morgen war er schon mit der Sonne aufgebrochen. Hatte alle Hotels in der Oase bei den Pyramiden besucht, nach Jolanthe von Karsküll gefragt.
Ein einziger Gedanke, der ihn beherrschte. Wo Jolanthe ist, muß auch Modeste sein. Indes vergeblich all sein Suchen.
Er war nach Kairo gefahren. Dasselbe! Alle Hotels und Fremdenpensionen hatte er durchforscht, keine Spur von Jolanthe.
Ein paarmal hatte er auch vor dem Polizeigebäude gestanden, überlegt, ob er nicht die Hilfe der Behörden anrufen sollte. Immer wieder hatte er den Gedanken verworfen. Immer wieder war das Gesicht jenes Polizeibeamten, mit dem er gestern gesprochen, vor ihm aufgetaucht. Immer tiefer wurzelte der Verdacht in ihm, daß der hinter seinen leeren Reden die Wahrheit verbarg.
Die Hilfe des Konsulats in Anspruch nehmen? . . . Überflüssig! Das würde sich ja auch nur der Polizei bedienen können.
Längst hatte die Sonne den Höchststand überschritten. Erschöpft stand Iversen im glühenden Sonnenbrande in der Hauptstraße von Kairo . . . Aussichtslos! . . . Genug für heute! . . . Seine Kräfte waren erschöpft.
Er winkte ein Auto herbei. Stieg ein. »Nach dem Splendid-Hotel!«
An einer Straßenkreuzung mußten die Wagen halten. Als die Passage wieder frei, sah er neben sich einen Privatwagen kurze Zeit mit dem seinen auf gleicher Höhe. Es war ein schweres, luxuriöses Gefährt. Unwillkürlich schaute er näher hin.
Jetzt sah er das Profil des Chauffeurs . . . Die Erinnerung an einen Tag, da er dasselbe Gesicht gesehen? . . . Vergeblich grübelte er . . .
Und doch! . . . Besondere Umstände knüpften sich an die Bekanntschaft mit diesem Gesicht . . .
Da! Jetzt wußte er's . . . und im selben Augenblick auch, was sich damals damit verband . . . Die Dame, die damals darin fuhr . . . Jolanthe . . . In Madrid war's, in der Calle Alcantara . . .
Er beugte sich vor zu seinem Fahrer. »Dem leeren Wagen da vor uns nach!«
Der andere fuhr in schnellem Tempo aus der Stadt heraus über die Nilbrücke und nahm die Route nach den Oasenhotels. Sollte Jolanthe doch da draußen wohnen? . . . Vielleicht unter anderem Namen? . . .
Es fuhren viele Wagen in der Richtung der Oase. Gut für ihn! So war nicht zu befürchten, daß dem voranfahrenden Wagen seine Verfolgung auffiel.
Aber jetzt. Der bog noch vor der Oase in einen Seitenweg ab. Wo fuhr er hin? Der Weg führte auf den Nil zu. An dessen Ufer an dieser Stelle nur ein kleines Lustschlößchen der ägyptischen Königsfamilie. Kein anderes Ziel für den Wagen!
Ihm folgen? . . . Unmöglich! Er sprang auf, rief dem Chauffeur zu: »Splendid-Hotel! . . . Schnell!«
Noch im Fahren warf er dem ein Geldstück zu, sprang heraus, eilte ins Hotel. War mit ein paar Sprüngen beim Fahrstuhl.
»Zum Dachgarten!«
Der Lift sauste in die Höhe. Iversen eilte an die Balustrade, kniff die Augen zusammen, schärfer zu sehen . . . sah . . .
Da fuhr der andere . . . fuhr in das Tor des Schlößchens ein. Während Iversen noch überlegte, sah er, wie sich dort drüben das Tor hinter dem Wagen schloß.
Er überlegte scharf. War dieser Chauffeur noch in Jolanthes Dienst, dann durfte er mit Sicherheit annehmen, daß Jolanthe dort im Schloß wohnte . . .
Und Modeste? . . .
Er vergaß alle Müdigkeit. Fieberhaft liefen seine Gedanken . . . Was weiter tun? . . . Wie in jenes Schlößchen kommen? . . .
Er erwog tausend Möglichkeiten und verwarf alle. Nur den einen Weg sah er. Ein Boot nehmen, auf ihm den Nil hinabfahren und von der Wasserseite her unbemerkt Beobachtungen anstellen.
Eine halbe Stunde später trieb ein Boot . . . dessen Insasse lag ausgestreckt unter dem Sonnensegel . . . langsam auf der trägen Flut den Fluß hinab . . . an dem Schlößchen vorbei.
Schon zum zweiten Male jetzt! Ganz vergeblich die erste Fahrt! Jetzt war das Boot wieder auf der Höhe des Schlosses angekommen, da warfen es die Bugwellen eines großen Sudandampfers, der stromaufwärts ging, aus seiner Fahrtrichtung. Vergeblich riß Iversen am Steuer. Die Wellen warfen ihn beinahe hart an die Kaimauern des Schloßgartens.
Nur mit Mühe unterdrückte er einen kräftigen Fluch, der ihm auf den Lippen schwebte. Nun war es wieder vergeblich! Die hohe Kaimauer verhinderte jeden Blick auf die Fenster des Baues. Jetzt trieb er unter den tiefhängenden Zweigen einer Tamariske hin. Da hörte er Stimmen von oben. Ein Mann und eine Frau im Gespräch. Sie mußten direkt über ihm an der Balustrade sitzen.
Die Stimme Jolanthes! Er kannte sie von Biarritz her. Der Mann . . .? Hatte er richtig verstanden? . . . »Mein Prinz!« redete sie ihn an?
Er griff in die Zweige der Tamariske, hielt das treibende Boot fest, lauschte aufmerksam.
Jetzt sprach Jolanthe wieder. »Schon zweimal versuchte ich mit ihr zu sprechen. Sie gibt mir keine Antwort. Weist mich ab. Mein Brief scheint bei ihren Freunden auch nicht genügend gewirkt zu haben. Das Polizeiamt meldete heute morgen, daß ein Herr aus Harders Gesellschaft dort schon gestern den Vorfall gemeldet und um Unterstützung gebeten habe.
Ich weiß nicht, mein Prinz, ob Modeste ihre Sinne je ändern wird . . .«
»Wollen Sie damit etwa sagen, Jolanthe, daß wir sie zurückkehren lassen sollen? Niemals! Noch gebe ich die Hoffnung nicht auf. Wir nehmen sie heute nacht mit nach Madrid . . .«
Das Weitere, was sie noch sprachen, blieb ihm größtenteils unverständlich. Sie redeten von Apparaten . . . von einem Ibn Ezer . . .
Nur der eine Gedanke in ihm, wie hier unbemerkt fortkommen? Seine Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt. Endlich hörte er, wie beide aufstanden, sich entfernten. Vorsichtig schob er sich an der Kaimauer weiter, hielt sich so dicht wie möglich am Ufer im Schutze des Röhrichts. Erst eine Strecke flußabwärts wagte er es, zu den Rudern zu greifen. Mit raschen Schlägen trieb er zur Anlegestelle der Boote.
* * *
Mette ging am Arm des Vaters durch den Park des Hotels.
»Nun auch Iversen verschwunden. Den ganzen Tag schon ist er fort. Ich verstehe nicht, daß er nicht irgend etwas hinterließ. Er kann sich doch denken, daß wir uns über sein langes Fortbleiben beunruhigen.«
»Nun, wo wird er sein? Er wird auf der Suche nach Modeste sein. Und, offen gestanden, sein langes Ausbleiben beunruhigt mich gar nicht. Im Gegenteil, es scheint, als hätte er irgendeine Spur gefunden, die er nun verfolgt.«
»Ich möchte von Herzen wünschen, daß es so ist, Vater. Denn . . . ich habe immer wieder den Brief Modestes gelesen und muß sagen, je öfter ich ihn las, desto verdächtiger kommt mir das alles vor. Es will mir nicht in den Kopf, daß Modeste einen so außergewöhnlichen Schritt getan. Dazu der Verdacht Maltes. Ich habe mich lange gesträubt, ihn für begründet zu halten, wies ihn anfangs als leeres Hirngespinst zurück . . . Jetzt denke ich anders.«
Harder wiegte zweifelnd den Kopf. »Ich habe da starke Zweifel. Nun, Malte wird nicht ewig ausbleiben.« Nach einer Pause fuhr er fort. »Hoffentlich kommt er bald.«
»Gewiß, hoffentlich bald. Die Unruhe peinigt mich sehr.«
»Hm . . .« Harder sprach die Worte halblaut vor sich hin, »das meinte ich nicht. Hm . . . es würde gut sein, wenn er noch heute käme.«
»Ich verstehe dich nicht, Vater, was meinst du?«
Der, als hätte er schon zuviel gesagt, schwieg . . . zauderte . . .
»Du weißt, Eisenecker kann in den allernächsten Stunden hier sein . . .«
»Weshalb kommt er?«
»Du fragtest mich schon einmal. Ich sagte dir, ich wolle, dürfe darüber nicht sprechen.«
»Vater, warum fängst du jetzt wieder damit an, was hat das mit Malte zu tun?«
Es war Harders Gesicht anzusehen, wie er sich in die Enge getrieben fühlte, nach Ausflüchten suchte. Vergeblich wich er dem fragenden Blicke Mettes aus.
»Ich will, will nicht sprechen! Es ist nicht mein Geheimnis. Zwar hat Eisenecker selbst mir nichts gesagt, aber wenn ich mich nicht sehr getäuscht habe, dann wäre es möglich, daß hier im Laufe des Abends, der Nacht Dinge passieren . . . es wäre möglich, daß wir schon in den nächsten Stunden unsere Koffer packen müssen.«
»Vater, hättest du lieber geschwiegen, als mich durch diese unklaren Worte zu beunruhigen.«
»Laß, Mette! . . . Frage nicht weiter! Vielleicht kommt es auch ganz anders . . .
Eisenecker kann jeden Augenblick kommen. Dann werden wir alles wissen.«
* * *
Zum zweiten Male war die Sonne gesunken. Modeste stand am Fenster, schaute durch das Gitter über die trüben Fluten des Nils.
Festbleiben! Sie hatte es sich zugeschworen. Keinen Schritt weichen! . . . Nicht nachgeben! Sie konnte doch nicht ewig als Gefangene hier gehalten werden. So unmenschlich konnte Jolanthe nicht sein, die Schwester mit Gewalt zu der verhaßten Ehe zu zwingen.
Ruhelos ging sie in dem Gemach auf und ab. Unberührt standen die Speisen auf dem Tisch, die ein Diener ihr brachte, um sie ebenso wieder abzutragen.
Die Stunden verrannen. Keine Müdigkeit wollte über sie kommen.
Da! Sie wandte den Kopf zum Fenster. Ein Geräusch . . . ein Knacken von draußen. Sie lauschte. Es war still – – –
Jetzt wieder! Entschlossen sprang sie auf. Was konnte das sein? Sie öffnete das Fenster . . . Die Eisenstäbe verbogen?! . . . Ihr Mut wollte sie verlassen. Sie wollte schreien . . .
»Still, Modeste! Keinen Laut! . . .«
Beim Klang der Stimme prallte sie zurück. Hatte sie richtig gehört? Diese Stimme! . . . Iversen?! . . .
Mit einem Sprung war sie am Fenster.
»Ich bin's! . . . Iversen!«
Unmöglich, den zu erkennen. Doch, eine Hand streckte sich ihr entgegen. Sie ergriff sie, drückte sie.
Er war's.
Sie klammerte sich fest an seiner Hand, als wolle sie sie nie wieder loslassen. Mit Gewalt machte der sich frei.
Wieder krachten die Eisenstäbe, bogen sich, brachen aus der Mauer . . . Eine Öffnung, groß genug, sie durchzulassen.
Sie sprang auf die Fensterbank. Zwei Arme fingen sie auf, hielten sie sekundenlang fest umschlungen . . . ein Mund flüsterte leise liebe Worte an ihr Ohr.
Die Kräfte verließen sie. Sie fühlte nur, wie starke Arme sie umfaßten, die Treppe hinabtrugen, sanft in ein Boot legten.
* * *
Der Garagenaufseher auf dem breiten Dach der Dependance eilte aus seiner Kabine. Ein später Ankömmling. Ein Gast, der im Privatflugzeug gekommen. Jetzt stand die Helikoptere noch fünfzig Meter über dem Dach, dann sank sie senkrecht nieder, knirschend setzten ihre Kufen auf den Kies. Ein einzelner Herr entstieg dem Flugzeug. Schritt zum Lift, der nach unten führte.
Harder und Mette saßen in ihrem Zimmer. Harder am Schreibtisch, griff manchmal zu einem Bleistift, entwarf ein paar Zahlen, ließ es dann wieder sein. Mette, eine Zeitung vor sich . . . immer wieder entsank das Blatt ihrer Hand. Die Spannung der Erwartung ließ sie nicht zur Ruhe kommen. Immer wieder gingen ihre Augen zur Uhr. Schon die neunte Stunde überschritten!
Harder sprang auf. Er schritt durch die offene Balkontür hinaus. Die Klänge der Abendmusik unten im Hotelgarten drangen rauschend durch die warme Nacht. Seine Augen glitten über den Nachthimmel. Nirgends das weiße Buglicht eines ankommenden Flugschiffes. Er hörte nicht, wie leise an die Zimmertür geklopft wurde.
Mette hatte es vernommen. Er? . . . Wie gelähmt ihre Glieder, das Zeitungsblatt entfiel ihrer Hand. Dann . . . war sie aufgesprungen, wollte zur Tür eilen . . . Da ging die auf. Er trat ein.
Einen Augenblick standen sie sich gegenüber, stumm. Er ergriff ihre Hand, hielt sie fest . . . Mette ließ sie ihm, machte auch keinen Versuch, sich zu befreien, als er sie näher an sich zog, die Linke um ihre Schulter schlang, sie an seine Brust drückte – – –
»Mette!« Harder stand in der Balkontür, starrte mit aufgerissenen Augen auf das Bild vor ihm.
Die gab keine Antwort, grub ihren Kopf nur fester an die Brust des Mannes.
Fassungslos trat Harder auf sie zu . . . »Mette . . . Herr Eisenecker . . .« Seine Lippen stammelten zusammenhanglose Worte.
Da hob gar Eisenecker den Kopf Mettes mit leisem Zwang in die Höhe, küßte sie auf den Mund – – –
»Nun dürfte wohl kein Zweifel mehr bestehen, Herr Generaldirektor! . . .«
Jetzt hatte Harder begriffen. »Allerdings, Herr Eisenecker! . . . Mette! . . . Kein Zweifel mehr über die Tatsache, die sich vollzog, während ich minutenlang den Rücken wendete. Ihr werdet beide zugeben, daß das eine Überraschung für mich war, wie sie größer . . .«
»Und schöner nicht gedacht werden konnte«, unterbrach ihn Mette, die sich freigemacht und in ihres Vaters Arme geworfen hatte – – –
Eine Stunde war vergangen . . . viel zu schnell für die drei Glücklichen in dem Gemach. Zuviel hatten sie sich zu erzählen. Harder war in Erinnerung an längst vergessene Jugendtage ein paarmal aufgestanden, war auf den Balkon getreten, sie allein zu lassen.
Jetzt bedeutete er Eisenecker, ihm auf den Balkon zu folgen. Flüsternd sprachen sie miteinander. Harder horchte hoch auf. Seine Augen blitzten.
»Wir müssen die Koffer packen, Mette!« rief er in das Zimmer, »ich ahnte richtig! . . . Nein, bleib hier, ich selbst will alles ordnen. Du . . . ihr könnt Abschied nehmen . . .«
Er wollte zur Tür schreiten, da wurde sie aufgerissen. Iversen stürmte mit lautem Jubelgeschrei in das Zimmer, zog Modeste am Arm hinter sich her.
»Da ist er, der Ausreißer! Ich habe ihn gefunden!«
Die im Zimmer standen einen Augenblick sprachlos. Dann, ein wirres Durcheinander, Fragen, Antworten . . . Weinen, Lachen . . . unmöglich für Malte, den genauen Hergang der Befreiung zu schildern. Keiner wunderte sich auch, als er jetzt Modeste in seine Arme schloß und der Errötenden einen lauten Kuß auf die Lippen drückte.
Harder der erste, der den Bann des frohen Augenblicks von sich schüttelte. Wie ein Inquisitor nahm er Modeste gewaltsam beim Arm, ließ sie sich auf einen Stuhl setzen, setzte sich ihr gegenüber, fragte sie aus. Tauschte dabei mehrmals Blicke mit Eisenecker, dessen Mienen, je weiter Modeste sprach, immer finsterer wurden.
»Genug, genug, Vater!« rief Mette endlich, »siehst du nicht, wie die arme Modeste immer blasser, müder wird? Nach soviel Schrecklichem, was sie erlebt, muß doch dein Inquirieren sie foltern!« Sie eilte auf Modeste zu, hob sie auf, legte sie in Maltes Arme. »Hier, du Ärmste, dein Retter auch dein bester Arzt.«
Harder war mit Eisenecker zur Seite getreten, sprach mit ihm. »Zwölf Warnums! . . . Sie haben gut von mir gelernt,« setzte er in bitterem Tone hinzu . . . »Aber Sie, . . . Sie werden ihren sauberen Plan zum Scheitern bringen . . . Keinen Augenblick gilt's jetzt zu verlieren . . . Was Sie tun wollen, tun Sie's sofort.«
Der trat auf Mette zu, stand einen Augenblick allein mit ihr, küßte sie, ging. – – –
Zur Verwunderung des Garagenwärters stieg der erst kürzlich gekommene Hotelgast schon jetzt wieder, mitten in der Nacht, in sein Fahrzeug, flog fort.
Daß eine halbe Stunde später Harder und seine Angehörigen das Hotel im Flugzeug verließen, nahm ihn nicht weiter wunder. Sie waren ja schon länger hier. Auch zogen es viele Passagiere vor, bei sternenklarem Himmel die Reise zur Nacht zu machen, benutzten je nach Laune die bequemen Kabinen zum Schlafen.
Hätte der Garagenwärter sich nicht gleich wieder in seine Koje zurückgezogen, hätte er wohl mit einem scharfen Nachtglas sehen können, wie jener zuerst abgeflogene einzelne Gast sein Flugzeug zunächst in große Höhen trieb, dann in engen Spiralen über der Cheopspyramide niederging, bis er ungefähr in Höhe der Pyramidenspitze stand, einen kurzen Augenblick in dieser Stellung verweilte, – ein Gegenstand wurde über Bord geworfen – dann wieder höher ging, nach Westen weiterflog.
Eisenecker, der darin saß, gab jetzt ein paar Wellen. Die Antwort folgte sofort. Er griff zum Steuer. Das Flugzeug ging bald rechts, bald links, bald nach oben, bald nach unten, suchte anpeilend das große Flugschiff Harders, von dem ununterbrochen gesendet wurde.
Jetzt sah er die grüne Steuerbordlaterne blinken. Dann war er neben dem Schiff, das sich durch seine Hubschrauben fest an einer Stelle in der Luft hielt. Er legte sein Flugzeug mit ein paar geschickten Steuerwendungen daneben, warf die Helikopterenschrauben aus, rief Harder ein paar Worte zu . . . einen Gruß für Mette, . . . flog dann in rasendem Flug weiter nach Westen.
Nur Mette, die ihm von Backbordseite nachsah, bis er verschwunden. Die anderen standen an der Steuerbordseite, starrten mit Nachtgläsern zu den Pyramiden.
* * *
Im Altariksaale des Madrider Schlosses eine kleine Gruppe von Militärs. Höhere Offiziere. Darunter der Kalif selbst und Fürst Iraklis. Hinter einem Projektionsapparat ein Adjutant, der Bilder von den gesprengten Depots und Arsenalen auf die Leinewand warf.
»Pamplona!« meldete er jetzt.
»Ah!« Der Kalif, der zur Verwunderung der Generäle bisher auffällig wenig Interesse für die furchtbaren Bilder der Zerstörung, Vernichtung von unermeßlichen Werten gezeigt hatte, trat einen Schritt näher an die Leinewand heran, betrachtete sie mit unverhohlenem Interesse.
Seine Lippen bewegten sich . . . murmelten . . . formten Worte.
»Das ist . . . übersteigt jede Vorstellung.« Er drehte sich zu den anderen um, wies mit der Hand auf das Bild. »Diese Kasematten . . . mit den modernsten Abwehrmitteln geschützt, selbst für schwerste Bombenabwürfe unverletzbar – – kein Sprengmittel, das ihnen was anhaben könnte, hier,« er deutete wieder hin, »ein einziges Trümmerfeld. Bis in ihre tiefsten Tiefen hat die Zerstörung sich ausgewirkt. – –
Solche Wirkungen dieser unheimlichen Waffe! Niemand hätte das für möglich gehalten.
Welche Aussichten!«
Seine Worte, mit ruhiger, fester Stimme gesprochen, nichts darin, was auf Schrecken, Angst deutete. Die Generäle nickten nur stumm. Die Ruhe, mit der Abdurrhaman gesprochen, wirkte geradezu beunruhigend auf sie. Sie dachten im stillen an die starke Erregung, die durch diese Ereignisse im maurischen Heere entstanden war. Bis in die entlegensten Garnisonen war trotz aller Vorsicht schon das Gerücht gedrungen, hatte die Tatsachen entstellt, vergrößert weitergegeben. Wiederholten sich derartige Dinge, war eine Lockerung der Disziplin unausbleiblich.
Der Kalif hatte indessen ein paar Worte mit dem Fürsten Iraklis gewechselt, wendete sich jetzt zu den anderen.
»Meine Herren! Mein Interesse galt besonders diesen letzten Bildern. Doch nicht allein deshalb ließ ich Sie rufen.
Sie werden von mir wohl Befehle erwarten, die einer Wiederholung derartiger Verbrechen steuern. Doch nicht jetzt. Ich erwarte Sie in drei Stunden wieder. Ich werde Ihnen dann Aufschlüsse geben, die . . .« ein leichtes Lächeln flog über seine Züge, »ganz sicher geeignet sind, allen Kleinmut zu zerstreuen, den ich hinter Ihren Mienen sehe.«
Mit einem leichten Gruß entfernte er sich in Begleitung des Fürsten Iraklis. – – –
In seinem Arbeitszimmer angekommen, zog Abdurrhaman einen Zettel mit einer Funkdepesche aus der Tasche. Trat in den Schein einer Ampel, las . . .
»Immer wieder muß ich's lesen, was sie von der Pyramide gemeldet, Jolanthe, die Göttliche!
Die Stunden, bis ihre Nachricht einlief von jener ab, in der sie den Aufschub meldete – – – die Stunden waren wie Jahre fürchterlicher Qual für mich. Ich konnte die Zweifel, ob es Ibn Ezer gelingen würde, nicht los werden, erwartete immer wieder ein neues Hindernis . . . neuen Aufschub. Ihre Depesche:
Alle zwölf Apparate fertig . . . jeder erprobt, teilweise schon verpackt, bald werden wir fahren – – –
Jetzt kann ich's wagen! Jetzt will ich es!«
Er ging zum Schreibtisch, holte das Schriftstück, das er damals mit Jolanthe entworfen, überflog es noch einmal . . . Ein unbeschreibliches Triumphgefühl in ihm.
»Doch wird es so leicht sein, Verbindung mit jenen zu bekommen?« unterbrach ihn der Fürst Iraklis.
»Das ist doch sicher, daß sie, wenn sie nicht selbst senden oder ihre geheimen Nachrichten empfangen, ihren Apparat auf die Welle des Kriegsministeriums einstellen, um unsere Anordnungen zu hören. Immerhin, du hast recht, könnte es länger dauern, als uns lieb ist,« versetzte der Kalif.
Fürst Iraklis trat zum Sender . . . hatten die auf Welle Kriegsministerium eingestellt? . . . Er rief, . . . rief wieder und wieder.
Keine Antwort!
Die Zeit verrann. Keiner wagte es, aufzustehen . . . herauszugehen. Ihre Ungeduld wurde immer größer, je länger es dauerte.
Ha! . . . Endlich! . . . Es war gelungen. Gut! . . . Gut!
Jene hörten.
Gonzales selbst am Apparat! Der Fürst Iraklis wollte den Brief an ihn verlesen. Abdurrhaman riß ihm das Schriftstück aus der Hand.
»Ich selbst! Meine Stimme soll's ihnen künden!«
Langsam, jedes Wort, jeden Satz schwer betonend, las er, was dort stand.
»Ihr habt meinen Befehl gehört?«
»Wir haben deine Worte gehört, Abdurrhaman.« Die Stimme Gonzales' gab die Antwort.
»Und ihr werdet gehorchen?«
»Wir haben deine Worte gehört, Abdurrhaman. Weiter habe ich dir nichts zu sagen.«
Der Kalif legte den Hörer aus der Hand. Seine Augen funkelten in stolzem Triumph.
»Sie können es anscheinend nicht fassen! . . . Wollen sich bedenken. Ha! . . . Vergeblich . . . sie müssen gehorchen! Müssen es!
Doch sie mögen sich beeilen, meine Geduld nicht auf zu harte Probe stellen! Ich möchte sie bald verloren haben! Und wären sie gar ungläubig, wollten, könnten es nicht glauben – – – Paris morgen ein zweites Warnum!! Fast wünschte ich, daß es so käme! Bei mir ist jetzt die größere Macht . . .
Jolanthe! Wie schön wäre es, wenn sie hier dabei. Diese Stunde! Ha, welcher Triumph!
Sie wird schon unterwegs sein. Wie lange noch wird es dauern, und sie ist hier . . . ich habe sie!«
Er legte die Hände auf die Schultern des Fürsten Iraklis.
»Murad! Gab es je eine Stunde in meinem Leben, in der ich glücklich war, so ist es diese . . . Jolanthe! Ich will versuchen, sie zu sprechen . . . ihre Welle! Fürst, stellen Sie ein!«
Er nahm den Hörer ans Ohr.
Was war das? Was klang da aus dem Hörer? . . . Verworrene Geräusche . . . Schreie . . .
Er raffte sich zusammen, rief.
»Jolanthe!« Immer wieder den Namen.
Niemand! . . . Keine Antwort . . . doch immer noch das Getöse, das verworrene Rufen in dem Hörer . . . Hilfeschreie jetzt sogar!
Seine Hand ging zu dem Fürsten, klammerte sich an den.
»Ein Unglück geschehen? . . . Was ist das? . . .«
Sein Gesicht war bleich geworden, ein leises Zittern in seiner Stimme. Mit bebender Hand nahm er den Hörer ans Ohr.
»Abdurrhaman! . . . Abdurrhaman! . . .« Eine fremde heisere Stimme schrie seinen Namen. Wer das? Jetzt wieder der Name, dieselbe Stimme, die ihn sprach. Die Stimme eines Menschen, einer Frau in höchster Todesnot!
Seine Augen öffneten sich weit. Er wollte fragen, die Lippen gehorchten nicht . . .
Jetzt immer wieder . . . »Abdurrhaman! . . . Abdurrhaman . . .!«
Mit Gewalt zwang er seine Stimme . . . rief zurück. »Wer ist da? . . . Wer ist es, der mich ruft? . . . Wer? . . .
Du . . . Du? . . . Jolanthe? . . . Du bist das, Jolanthe . . .?
Was ist's mit dir . . . sprich . . . ein Wort . . .«
Die sprach jetzt. Nur wenige Worte waren es.
»Die Cheopspyramide brennt! . . . Alles vernichtet! . . .«
»Die . . . Cheopspyramide . . . brennt!? . . .« Der Schrei eines Wahnsinnigen . . . der Hörer entsank seiner Hand. Wie ein gefällter Baum stürzte Abdurrhaman zu Boden.
* * *
Wie ein riesiger dunkler Vogel hing die Jacht des Generaldirektors Harder unbeweglich in einer Höhe von 2000 Metern unter dem schimmernden Firmament. Eine klare, wolkenlose Nacht. Durch die scharfen Gläser sahen sie den Schein der elektrischen Starklichter der Hotels am Nil.
Wie kleine leuchtende Pünktchen hier und da die Lagerfeuer des Truppenkordons um die Pyramiden. Die Feuer flammten jetzt heller auf . . . Lichter wurden entzündet . . . Fackeln glühten und bewegten sich hin und her. Der weite Ring des Lagers alarmiert . . . in wildem Durcheinander. – – –
Da, wo der Kordon der großen Pyramide am nächsten, zog er sich auseinander. Die Lichter flohen nach beiden Seiten hin.
Noch stärker wurde da jetzt das Dunkel. Auch das Mondlicht war auf seiner Wanderung nach Westen hinter die Nordostkante der Pyramide getreten. Die Nordfläche der Cheopspyramide . . . Der Eingang dort zur Königskammer lag in tiefem Schatten.
Die laute Stimme Harders . . .
»Da! . . . Da! Seht hin! Am Fuße . . . beim Eingang . . . ein schwacher, rotglühender Schein!«
Sie suchten alle. Nun sahen sie es auch. Wie gebannt starrten sie auf den sonderbaren Fleck, der größer und großer zu werden schien. Je mehr er wuchs, desto heller wurde er. Jetzt schimmerte er in hellem Gelb. Wuchs dabei immer weiter – – –
Jetzt . . . Er hatte sich schon um den Eingang herumgefressen. Deutlich hob sich aus dem schimmernden Glast die dunkle Röhre des Ganges ab, der ins Innere der Pyramide führte.
Und als wenn das Feuer aus sich selbst heraus größere Kraft schöpfte . . . die helle leuchtende Fläche dehnte sich mit immer größerer Schnelligkeit aus . . . erreichte nun die Kanten zu beiden Seiten. Ergoß sich an einzelnen Stellen darüber hinweg . . . die feurigen Zungen flossen zusammen, vereinigten sich. Immer schneller griff der Brand um sich . . . erreichte endlich die Spitze der Pyramide.
Kaum, daß sie's noch sahen . . . Geblendet von dem übermächtigen Glanz, schlossen sie die mißhandelten Augen, deckten sie mit den Händen.
Erst jetzt faßten ihre Sinne dies ganze ungeheuerliche Schauspiel . . . erst jetzt begann die Wucht dieser größten Tragödie des Jahrtausende alten Bauwerks auf sie zu wirken.
Überwältigt von dem Erschauten . . . erschüttert bis in die innersten Tiefen ihrer Seele verharrten sie so. – – –
Iversen schaute auf. Um ihn herum alles taghell wie im stärksten Sonnenschein. Behutsam machte er sich von den Armen Modestes frei, die sich an ihn geklammert. Ging zu Harder, der am Bug stand. Der reichte ihm ein geschwärztes Glas.
»Schaut jetzt dahin!« Er deutete zur Seite, zur Oase.
Neuer Schrecken . . . Das Splendid-Hotel, den Pyramiden am nächsten . . . seine Südseite brannte schon in hellen Flammen. Wehe denen, die sich nicht rechtzeitig in Sicherheit gebracht hatten. – – –
Über die große Nilbrücke ein doppelter Strom von Kraftwagen, Fahrzeugen aller Art in rasender Hast. Immer neue Kolonnen von Kairo her, das sie wie im hellen Sonnenglanze in allen Einzelheiten klar vor sich sahen. Deutlich konnte man in den taghell erleuchteten Straßen der Stadt ein wirres Durcheinander aufgeregter Menschenmassen sehen. – – –
Ein kühler Luftzug strömte über sie hinweg. Wurde stärker, wurde Sturm. Man sah, wie er den Brand immer gewaltiger entfachte . . .
Die Jacht begann leise zu schaukeln. Die Bewegung wurde immer stärker. Nur mit Mühe hielten die sausenden Schrauben das Schiff an seinem Ort.
Der Führer der Jacht trat jetzt auf Harder zu.
»Wir müssen weiterfliegen oder in größere Höhen gehen. Die Propeller vermögen nicht länger dem wachsenden Sturm Widerstand zu leisten.«
Harder ließ noch einmal den Blick über das schaurige Bild da unten gleiten.
»Fort von hier! Nehmen Sie kürzesten Kurs auf Rom!«
Die Propeller sprangen an. Die Jacht stieg in steilem Flug in die Höhe. – – –
Der Brand schien zurückzuweichen. Und je weiter er wich, desto freier wurden sie von dem Bann, in den das Ungeheure sie geschlagen. Ihre Zungen lösten sich. Sie fanden die Kraft wieder zur Sprache.
Die Luken der Jacht wurden dichtgemacht. Das Schiff stieg eine Meile höher, jagte mit hundert Metern in der Sekunde durch die verdünnte Atmosphäre nach Nordwesten.
Sie standen am Heck des Schiffes. Längst hätte das glühende Dreieck der brennenden Pyramide unter die Kimme sinken müssen . . .
Aber? . . . Was war da? . . . Die Pyramide schien in den Himmel zu wachsen . . .
War's ein Spiegelbild? . . .
»Glühender Wüstensand!« schrie Harder, »Sand, den der rasende Verbrennungswind da zusammenträgt . . . über dem glühenden Herd in die Höhe reißt.« – – –
Die Küste Kretas vor ihnen. Noch immer hinter ihnen der Glutschein im Südosten.
Harder versuchte den Bordsender arbeiten zu lassen. Unmöglich. Keine Verbindung zu bekommen. – Der Äther erfüllt von Tausenden von Funkdepeschen. Auf allen Wellenlängen schwirrte es um den ganzen Erdball hin und her. –
Die Menschheit in allen fünf Erdteilen Neugier. Die ersten Nachrichten waren blitzschnell bis in die fernsten Erdenwinkel gedrungen. – Jeder wollte weiteres über die Katastrophe hören. Alle Stationen von der größten bis zur kleinsten in fieberhafter Arbeit . . . Die Überzahl der Depeschen machte jede Verständigung unmöglich . . .
* * *
»Endlich . . . es ist kaum zu glauben . . . sind die würdigen Häupter der europäischen Staatsweisheit sich doch noch einig geworden. Nach dem wenig versprechenden Anfang hatte ich schon geglaubt, vor Jahresende würde das frohe Ereignis nicht zu erwarten sein.« Harder sprach es, während er in Begleitung Eiseneckers die große Freitreppe des Berner Parlamentsgebäudes hinabstieg.
»Ich bewundere Sie, mein lieber Harder, offen gestanden, das hätte Ihnen so leicht keiner nachgemacht. Die Art, wie Sie mit jenen da umgingen, in den Ausschüssen unsere Sache vertraten . . . das war großartig.«
»Nichts zu sagen . . . Routine . . . wenn Sie einmal soviele Aufsichtsratsversammlungen geleitet haben wie ich, können Sie's auch.«
Sie waren an ihren Kraftwagen gekommen. Harder warf mit einem erleichternden »Uff!« die schwere Aktenmappe auf den Vordersitz.
»Zum Flugplatz!« . . . Sie stiegen ein.
Eine halbe Stunde später saßen sie in Harders Flugschiff. Eisenecker stellte den Empfänger ein. Die Berner Welle. Er glaubte zu sehen, zu fühlen, wie die Nachricht von dem glücklichen Ausgang, immer wieder von Bern gefunkt, durch den Äther eilte. Dazwischen die unzähligen Funkdepeschen der Reporter. –
Harder-Eisenecker! Das Programm angenommen! – – –
Millionen, die jetzt die Nachricht hörten . . . lasen . . . verschlangen. Die Bedeutung, die in dem kurzen Sinn lag, für Europa – die Welt von den gewaltigsten Folgen. Träume verwirklicht, die schon seit Jahrzehnten die Menschheit geträumt.
Durch ihn! – – Die Millionen, die die Nachricht lasen, darüber sprachen – – – überall sein Name! Während seines kurzen Aufenthalts in Bern war er absichtlich im Hintergrunde geblieben, hatte alle Verhandlungen durch Harder führen lassen . . . Trotzdem ständig ein Heer von Reportern an seinen Fersen. Immer wieder ihre Objektive auf ihn gerichtet, die sein Bild um den Erdball funkten.
Für ewige Zeiten an seinen Namen geknüpft der Anfang einer neuen Epoche!
»Ich versuchte mit Mette zu sprechen, der Empfang ist schlecht, die Luft ist verseucht von diesen unzähligen Depeschen. Kaum, daß man die Berner Welle versteht. Die brachte eben nochmals den wesentlichen Inhalt unseres Programms, funkt jetzt einen Auszug aus den letzten Verhandlungen. Mette wird wohl am Hörer sein, wird so indirekt von unseren Erfolgen erfahren.
Die Frage des letzten Punktes des Programmes wird wohl, ich will lieber sagen, hoffentlich, sobald nicht entschieden werden. Nun . . . spätere Sorge. Vorläufig müssen sich Tausende von Händen regen, um die ersten Punkte durchzuführen. Sie, mein lieber Eisenecker, sind der Ansicht, daß eine Hochzeitsreise mit Mette der Mitarbeit dabei vorzuziehen wäre.«
Der lachte. »Würde ich Sie doch andernfalls eines Vergnügens berauben.«
»Vergnügen?«
»Ja, gewiß, Herr Harder. Es gibt wohl keinen Menschen in Europa, der so mit diesem Problem verwachsen ist wie Sie. Ein Blick genügt, um zu sehen, wie alles in Ihnen fiebert, sich in die Arbeit zu stürzen, das Programm durchzuführen.«
»Nun, mein teurer Schwiegersohn, ein so reines Vergnügen dürfte das wohl nicht sein. Vergessen Sie nicht, daß ich noch eine kleine Nebenbeschäftigung habe . . . Meine Riggers-Werke umstellen, wird auch viel Arbeit und Sorge kosten! –
Besonders unangenehm ist mir der Gedanke an die großen Entlassungen, die doch unvermeidlich sind . . . Unzählige brotlos, arbeitslos. Und das gerade, das Arbeitslos, das ist das Schwierigste, Bedenklichste. Für Brot ist ja gesorgt.« Er zog aus seiner Mappe ein Schriftstück. »Punkt 2 des Programmes hat da Vorsorge getroffen.«
Er blätterte in dem Exposé und las: ». . . ›die neue Energie wird bis auf weiteres zu zwei Dritteln des alten Preises an die Verbraucher abgegeben. Die daraus resultierenden Einnahmen werden dazu verwandt werden, die durch die Umstellung brotlos Gewordenen auf Staatskosten zu erhalten.‹ Ich glaube nicht, daß das allzu lange dauern wird. Unsere Produktion muß sich in Zukunft so billig gestalten, daß bald für Millionen Hände neue Arbeit dasein wird.
Punkt 1 ist allerdings sehr einfach. Jedes Land bekommt einen der Apparate. Die großen Leitungsnetze des Landes müssen zum Anschluß an diese Zentralpunkte mehr oder weniger umgebaut werden.
Punkt 3! . . . da sollte wohl Ihre Hochzeitsreise Gelegenheit geben, einige Vorstudien zu machen. Nach Grönland. In Zukunft, nun, es mögen noch einige Jahre darüber hingehen, dürften Hochzeitsreisen nach Grönland mehr an der Tagesordnung sein. – Wenn einmal aus Grönland wirklich das Grüneland geworden ist.«
Eisenecker nickte lächelnd. »Merkwürdig, daß einige Vertreter da Schwierigkeiten sahen. Zweifellos gehört Grönland zu Europa, und es ist doch mit unbedingter Sicherheit zu erwarten, daß sich unter den günstigen Lebensbedingungen, die Europa von jetzt ab haben wird, ein Menschenüberschuß ergeben muß, für den wir Neuland brauchen.«
»Um noch einmal auf die Ansprüche des Auslandes zu kommen,« sprach Harder, »so dürfte uns ein gesunder Egoismus nicht verdacht werden. Es ist doch wohl menschlich begreiflich, wenn wir, das heißt Europa, die Früchte unserer Arbeit erst einmal eine Zeitlang allein genießen. Unseren Industrien, die in schwerem Kampfe mit den Weltindustrien stehen, Gelegenheit geben, neue Kräfte zu sammeln.
Diese Forderungen einiger außereuropäischer Staaten, auch ihnen gleichzeitig die neue Energie dienstbar zu machen, kann ich nur als eine Anmaßung bezeichnen.« – –
Das Flugschiff hatte sich dem Berliner Hafen genähert und landete in den Riggers-Werken.
* * *
In der Harderschen Villa am Bismarckdamm. Die Nachrichten aus Bern lagen vor ihnen. Immer wieder lasen sie die Worte mit freudigen Gefühlen. Wie lange konnte es noch dauern, dann mußten die beiden zurück sein, Harder, Eisenecker.
»Da werden die Zeitungen was zu schreiben haben«, rief Iversen, ergriff eine, die vor ihm lag. »Die Überschriften sehe ich schon. – –
Ah! . . . übrigens, hier las ich vorher: von 2 bis 3 Uhr Funkbilder aus aller Welt. Zum Schluß das Bild der Cheopspyramide in ihrer jetzigen Gestalt.«
Er sah auf die Uhr. »Ich werde gleich einstellen: Bilder von dem Übergang der maurischen Truppen über die Meerenge!« Das Zimmer verdunkelte sich, der Schirm leuchtete auf.
Ah! Der Fels von Gibraltar. Deutlich und plastisch die alte Felsenfestung auf der rechten Seite des Bildes. Davor die breite Meerenge, am Horizont die Silhouette von Ceuta. Da zog es hinüber und herüber, eine unendliche Kette von Transportschiffen, beladen mit Menschen und Tieren . . .
Das Bild wechselte. Ein Kai, an dem Schiffe festgemacht. Ein Gewimmel von Soldaten in den typischen maurischen Uniformen.
Wieder wechselte das Bild. Eine Nahaufnahme schien's. Ein Flugschiff . . . zwei Männer traten heran. Prinz Ahmed Fuad und Fürst Iraklis . . .
Iversen, der den Apparat bediente, wandte sich nach Modeste um, vergaß ganz, daß er in dem Dunkel nichts sehen konnte.
Seine Hand drehte den Knopf. Versehentlich erwischte er die Berner Welle, die Filmaufnahmen gab. Vor ihnen der weite Saal mit dem Gewimmel der Abgeordneten. Schon wollte er weiterdrehen, da . . . man konnte ihn deutlich erkennen . . . Eisenecker trat ein.
Hunderte von Armen regten sich im Händeklatschen beim Anblick dessen, der Europa die neue Zeit brachte. Die deutschen Vertreter waren aufgesprungen, winkten mit Tüchern und Händen, jubelten dem großen Landsmann laut zu . . .
Und dann verfolgten sie die Verhandlungen mit gespanntester Aufmerksamkeit bis zum Schluß . . .
Der Schirm wurde dunkel. Ein neues Bild.
Kairo, der Nil! Und jetzt . . . die Pyramiden! Das Objektiv rückte näher heran, konzentrierte das Bild auf die Cheopspyramide. Man wußte ja schon aus den Zeitungsberichten, wie es ungefähr aussah, doch erst das lebendige Bild vermittelte den rechten Eindruck.
Da stand das uralte Bauwerk. Unverändert in seiner Gestalt.
Jetzt rückte das Objektiv noch näher. Und da, da konnte man sehen, wie die Glut der entfesselten Energie die Pyramide doch veränderte.
Wie Cheops, der große Pharao, sie einst gebaut, so war sie jetzt wieder erstanden.
Die Flächen in schimmernder spiegelnder Glätte. Ein unerklimmbarer Glasberg. Was die Jahrtausende dem riesigen Bauwerk geraubt, der vierundzwanzigstündige Brand hatte es ihm wiedergegeben. In seiner Glut war die äußerste Schicht zum Schmelzen gekommen, hatte die treppenartigen Vorsprünge überflossen und die ursprüngliche Form in voller Reinheit wiederhergestellt.
Der Brand der Cheopspyramide! . . . Die Worte unglaublich, unfaßbar! Seit jener Nacht Weltgespräch! . . . Millionen, die es nicht glauben konnten, wollten. Brennender Granit?! . . . Undenkbar! Dem einfachen Menschenverstand unfaßbar! Jetzt Millionen Augen, die das Bild sahen.
In neuer und doch ursprünglicher Form stand der riesige Königsbau. Nicht zerstört durch den Brand, sondern geläutert zu neuem vieltausendjährigem Kampf gegen die Zeit. Das gigantische Denkmal, das eine neue Epoche an ihren Anfang gesetzt! . . .
Das Bild erlosch . . . Verloren in der Erinnerung an die Nacht, da der Brand entstand, saßen sie da.
* * *
Als Eisenecker und Harder eine halbe Stunde später in das Gebäude der Reichsbank traten, empfing sie der Präsident mit einem Stab von Beamten. Begrüßte den ihm bekannten Generaldirektor mit freundlichem Händedruck.
Der stellte ihm Eisenecker vor. Die Blicke des Bankgewaltigen flogen mit einem Gemisch von Bewunderung und Staunen über dessen Gestalt hin . . . blieben dann haften an dem unscheinbaren Kasten, den der in der Hand trug.
Er schritt mit Harder voran. »Herr Generaldirektor!« Flüsternd sprach er zu Harder. »So ohne jede Bedeckung? . . . ohne jede Vorsichtsmaßregel? . . .«
Der schüttelte den Kopf. »Unnötig, mein Lieber! Wir schützen uns selbst besser!«
Sie waren in den unterirdischen Gewölben angekommen. Immer neue Panzertüren geöffnet! . . . Jetzt standen sie in einem kleinen Raum. Die schmale Rückwand ein Tresor.
Harder zog einen Schlüssel aus der Tasche, schloß einen Riegel. Nach ihm der Präsident. Das wiederholte sich noch mehrere Male. Dann öffnete sich die Tür.
Ein winziger Raum nur, den die dicken Wände übrig ließen. Mit Harders Hilfe legte Eisenecker den Kasten hinein.
Die anderen starrten in stummem Staunen, wie die beiden lange Zeit an dem Apparate arbeiteten . . . Jetzt die Kabel, die dort aus der viele Meter starken Panzerwand hineintraten, anschlossen.
Und dann! Sie sahen, wie Eisenecker aus einer Kanne schimmerndes Quecksilber in den Apparat goß.
»Genug, für Deutschlands Energieverbrauch in einem Jahre! . . .«
»In acht Tagen, Herr Präsident, wird der Umbau der Leitungen so weit gefördert sein, daß man einschalten kann.«
Er trat zurück. Die schwere Tür wurde geschlossen.
Er drückte dem Bankpräsidenten zum Abschied die Hand.
»Hier die Quelle, aus der von nun an die Energie der deutschen Wirtschaft fließt!«
* * *
Als sie bald darauf durch die Gartenpforte des Landhauses am Bismarckdamm traten, kam ihnen Mette entgegen. Umarmte den Vater, hing sich an Eiseneckers Arm.
»Ihr braucht uns gar nichts zu erzählen! Wir sahen und hörten ja fast alles. Der Jubel, mit dem sie dich empfingen!« . . . Sie barg ihr Gesicht, das Stolz und Freude röteten, an ihm.
Mit stillem Vergnügen sah Harder ihre ungewöhnliche Lebhaftigkeit. Wie sie erzählte . . . von der Pyramide . . . von dem Übergang über die Meerenge . . . wie sie sich dabei immer wieder an Eisenecker schmiegte, dessen Hand das alles vollbracht.
»Spanien! . . . Ja, ein Brief ist gekommen. Von Gonzales, deinem Freunde.«
Sie schritten dem Hause zu. Fern vom Tennisplatz klangen die Stimmen Modestes und Iversens. Die wollten in den nächsten Tagen nach dem Tirsenhof fahren, ihrem künftigen Heim.
Eisenecker öffnete den Brief. Es war ein langes Schreiben. Gar viel hatte der Freund ihm zu berichten. Jetzt spannten sich plötzlich seine Züge, Staunen darin . . .
Die letzten Zeilen . . . dann hatte er geendet.
»Eine Überraschung, die ich euch mitzuteilen habe.
Wir wissen, daß der Apparat Montgomerys gestohlen wurde, wissen aber nicht, wer der Täter war. Wir nicht allein . . . die ganze Welt hat sich über die Frage den Kopf zerbrochen.
Durch einen Zufall ist jetzt das Geheimnis gelüftet worden. Also hört und staunt.
Der Apparat wurde gestohlen auf direkte Veranlassung der maurischen Regierung . . . Durch wen? . . . Und durch wessen Hilfe? . . .
Ja! . . . Ja! . . .«
Fast zögernd kamen die Worte aus seinem Munde.
»Der Urheber des Planes . . . der, der am meisten getan hat bei dessen Ausführung, ist . . . die Baronin Jolanthe von Karsküll.«
»Jolanthe!« Mette war aufgesprungen, lief zu ihm hin, beugte sich über den Brief, las, wo dessen Finger hindeutete.
»Jolanthe von Karsküll!« Sie wandte sich ab, um ihre Erschütterung zu verbergen.
»Die arme Modeste!« murmelte sie leise. »Jolanthe! Solch ein Weib . . . Ihre Schönheit! . . . Ihr Reichtum! . . . Sie eine Verbrecherin?!«
»Laß, Mette!« Harder legte beruhigend den Arm um ihre Schultern. »Nach dem, was da in Ägypten vorgefallen . . .« er unterbrach sich . . . »Weiter, Eisenecker!«
Der fuhr fort. »Sie lebte in England mit der ausdrücklichen Bestimmung, für das mauretanische Reich Spionendienste zu leisten. Von ihrem Haus, das Wand an Wand mit dem des maurischen Botschafters lag, konnte sie jederzeit durch eine Maueröffnung direkt mit Midhat Pascha in Verbindung treten . . .
Von Moskau her war sie mit Lord und Lady Permbroke eng befreundet. Von Lord Permbroke erfuhr sie gelegentlich eines Besuches in Montgomery-Hall das Geheimnis der Sicherungen. In einem unbeobachteten Augenblick teilte sie das alles einem Matrosen des Luftschiffes mit, der in maurischen Diensten stand . . .
Der versetzte sich durch irgendwelche Mittel in einen hohen Fieberzustand, wurde bei der Abfahrt des Schiffes zurückgelassen. Nachts erhob er sich heimlich von seinem Lager, schaltete die Sicherungen zur verabredeten Stunde aus. Ein maurisches Flugschiff ließ einen Späherkorb in den Hof des Schlosses hinab. Der Matrose legte den inzwischen von ihm geholten Apparat hinein . . .
Das Schiff fuhr ab. Der Matrose schaltete die Sicherungen wieder ein, kehrte zu seinem Lager zurück . . . wurde später als geheilt entlassen und verschwand.
Der Apparat wurde nach Spanien gebracht, maurischen Gelehrten gezeigt, die daran verzweifelten, ihn in Betrieb zu setzen.
Da! . . . Herr Generaldirektor Harder, halten Sie sich fest! . . . entwarf Jolanthe von Karsküll einen Plan, der beinahe unglaublich erscheint . . .
Der Plan war: Den Generaldirektor Harder nach St. Jean le miracle zu locken, dort aufzuheben und nach Spanien zu bringen. Dort sollten ihm scheinbar spanische Patrioten den Apparat in die Hand geben . . . mit der Bitte, die Lösung des Geheimnisses zu versuchen . . . um dann mit Hilfe dieser Energie Spanien zu befreien.«
Die Wirkung dieser Worte war außerordentlich.
Mette hatte sich in Eiseneckers Arme geworfen. »Du! . . . Du allein! . . . Du warst der Retter!«
Harder lief wie ein gereiztes Raubtier in dem Zimmer auf und ab.
»Das ist zuviel! Das ist zuviel!« stieß er immer wieder zwischen den Zähnen hervor. »Die ist ein Teufelsweib! Diese schöne Larve! . . . Teuflisch der Plan! . . . Welch höllische Phantasie, so etwas zu ersinnen . . .
Oder ist das nur alles Phantasie, was der Brief da gibt?«
»Leider nicht! Der Brief stützt sich auf authentische Dokumente . . .
Bei der teilweis kopflosen Räumung der maurischen Ministerien in Madrid wurde unter anderem in dem Geheimarchiv des Kalifen in einer Mappe sein Briefwechsel mit Jolanthe von Karsküll gefunden, aus dem das alles klar hervorgeht . . . Irgendwelche persönlichen Beziehungen zwischen ihr und dem Kalifen müssen auch bestanden haben . . . welcher Art, weiß man nicht . . .«
Lange saßen sie da, konnten es nicht fassen, das Unfaßbare . . .
»Jolanthe . . . wo mag sie sein?« Mette fragte es.
* * *
Wieder lag der Löwenhof der Alhambra im schimmernden Schein des Mondes . . .
Am Brunnen auf einer Steinbank zwei einsame Menschen.
Die weiten Höfe, Hallen leer.
Das Haupt des Mannes nach vorn gesenkt, sein Blick starr auf die Steinfliesen des Bodens gerichtet . . .
Die Frau, den Oberkörper nach rückwärts gelehnt, den Kopf weit übergeworfen, starrte wie entrückt zum Firmament. Die weichen Strahlen des Mondlichtes umspielten das wunderbare . . . wundersam schöne Gesicht.
Tiefste Stille um sie her. Die Wipfel der Bäume regungslos. Kein Lüftchen, das ihre Blätter zu leichtem Rauschen zwang. Kein Schrei eines Nachtvogels. Erstorben die Natur um sie her . . .
Erstorben ihre Seelen . . .
In einem Syringengebüsch . . . ein leiser, schluchzender Ton . . . Die königliche Sängerin der Nacht begann ihr Lied . . . immer heller, süßer. Der Gesang . . . die Frau senkte den Kopf zur Seite, lauschte . . .
Ein unbeschreiblich wehmütiges Lächeln zog über das bleiche Gesicht. Mit verhaltenem Atem lauschte sie, bis der letzte Ton verklungen.
Sie schaute um sich. Der Mann an ihrer Seite . . . er atmete schwer. Auch sein Herz getroffen von dem Zaubergesang . . . ein Schüttern ging durch seinen Körper.
Mit einer jähen Bewegung warf sie ihre Arme um den, schmiegte sich dicht an ihn.
»Unser Hochzeitslied, Geliebter! Hörst du's? . . .«
Der richtete sich auf. Sein Atem keuchte, seine Brust spürte, wie die Wärme ihres Körpers in seinen überströmte.
Die Frau an seiner Seite . . . zu seiner Königin hatte er sie machen wollen . . . zur Königin des größten Reiches der Welt. Ein Fest hatte er rüsten wollen, wie es nie einer Königin dargeboten . . .
Die Hochzeitsnacht! Das schönste Weib, das auf Erden wandelte, in seinen Armen! – – –
Vorbei! . . . Vorbei!
Er stieß sie zurück, sprang auf. Wie ein wunder Löwe stürmte er durch die leeren Arkaden . . .
»Boabdil!« . . . Der Name, von seinen Lippen geschrien, hallte schaurig, im Echo sich brechend, durch die öden Hallen. »Ich wollte dich rächen! . . . Ha! Ha! Ha! . . .«
Das gräßliche Lachen riß die Frau auf. Mit fliegendem Gewande eilte sie suchend dem Klange der Stimme nach.
Der stand an der Brüstung, die zur Tiefe führte, die Arme weit ausgestreckt. Seine Stimme hallte fernhin durch die stille Nacht.
»Dich, Boabdil, wollte ich rächen . . . der Kleine den Großen! . . . Mit allen Ehren . . . dein Heer unter vollen Waffen . . . räumtest du das Land. Ich hier . . .« Sein Lachen gellte entsetzlich dazwischen . . . »wie geschlagene Hunde fliehen meine Heere nach der Heimat . . . waffenlos! . . . Vor der Übermacht. – – –
Vor der Übermacht?! . . .« Wieder das schreckliche Lachen . . .
»Vor einem einzelnen Manne! . . . Vor einem einzigen Menschen! . . .«
In wildem Toben stieß er die Faust zum Himmel.
»Allah! Du da oben . . . siehst du deine Söhne nicht? . . . Konntest du ihnen nicht helfen? . . .
Du! Ha, ha, ha! Du fürchtest wohl auch den? . . . Ja! Ja! . . . Du fürchtest ihn auch! . . .
Und ich . . . ich sage mich los von dir!«
Er riß den Ring des Kalifen von der Hand, schleuderte ihn in den Abgrund.
»Abdurrhaman! . . . Du bist von Sinnen! . . . Du lästerst! . . .«
Beim Klang ihrer Stimme war Abdurrhaman zusammengezuckt . . . warf wilde Blicke um sich. Sie legte ihre Hände um seinen Kopf, zog ihn an sich, strich leise darüber . . . küßte ihm Augen und Mund.
»Komm! Es ist Zeit! . . . Schon neigt sich der Mond.«
Eng umschlungen, als wären sie eins, gingen sie zum Löwenhof zurück, setzten sich nieder auf der Bank.
Jolanthe griff in die Falten ihres Gewandes . . . zog die Hand wieder heraus . . . Ein dunkles Etwas darin. Sie öffnete die Finger, betrachtete es lange.
»Ist's nicht in offener Schlacht, – wir sahen sie ja nie, unsere Feinde, Aug' in Aug' – soll's doch durch des Feindes Waffe geschehen.«
Der schaute stumm dahin. Sah, wie jetzt Jolanthe mit einem kleinen Dolch die Hülle zerschneiden wollte. Die gab nicht nach.
»Das Messer ist stumpf!« Sie warf es von sich. Klirrend fiel es zu Boden.
»Warte! . . .«
Abdurrhaman war aufgesprungen, eilte in eine der Hallen . . . kam wieder . . . schwang ein blitzendes Krummschwert in seiner Hand, rief ihr laut entgegen.
»Das Schwert Boabdils . . . als Heiligtum brachte ich es mit hierher . . . soll uns helfen . . . mit uns in den Tod gehen!«
Er ergriff die Patrone . . . wie spielend warf er sie in die Luft.
Jetzt! Die Schwertklinge fuhr sausend um sein Haupt, traf sie in freiem Fall . . .
Die Schärfe zerschnitt den Mantel . . .
Doch der Arm, mit dem er geschlagen, blieb wie erstarrt in der Luft stehen . . .
Was war das? Ihre Augen, in denen schon der Tod stand, starrten auf die Schwertspitze.
Eine kleine bläuliche Kugel tänzelte daran . . . jetzt wurde sie frei . . . Spielend wie ein gaukelnder Schmetterling schwebte sie um sie herum. Bald näher . . . bald weiter . . . senkte sich, hob sich wieder . . .
Das Schwert entglitt der Hand, fiel klingend auf den Stein . . . Der Arm sank hernieder.
»Tod! Willst du uns narren?« . . .
Jolanthe schrie es. Ihre Rechte raffte das Schwert vom Boden . . .
Sprungbereit stand sie da . . .
Die Kugel . . . die tanzende Kugel . . . jetzt war sie wieder näher gekommen . . .
Da holte sie aus. Sausend fuhr die Waffe durch die Luft . . . traf das . . .
Der Löwenhof . . . die weiten Räume der Burg . . . der Berg selbst . . . ein bläuliches Feuer, in Millionen von Blitzen sich entladend . . . millionenfacher Donner . . . minutenlang der Himmel überstrahlt. – – –
Wieder die alte Stille der Natur . . .
Wo eben noch die sagenumwobenen Reste des herrlichsten maurischen Königsschlosses gestanden – – – Mit ihrem König und ihrer Königin gen Himmel geschleudert. Keine Spur von ihnen auf Erden mehr.
* * *
In vielen Liedern sangen die Sänger in Mauretanien noch lange von Abdurrhaman, dem Kalifen, und von Jolantha, seiner Geliebten.
Sangen von der Tapferkeit des Helden, seinen großen Taten. Seiner größten, wie er sein Volk über das Meer nach Norden geführt, die alten Reiche wieder aufgerichtet.
Von Jolantha, dem schönsten Weib, dessen Fuß je den Staub der Erde berührt. Dienerin, Geliebte, Königin des Helden.
Von der wundersamen Hochzeit in den Hallen der Alhambra. – – – Wie sie Allah zu sich genommen in sein Paradies. – – –
Im Wetteifer um das schönste Lied andere – – – die sangen gar, daß nicht Asrael, der Todesbote, sie geleitet . . . sangen, daß sie noch am Leben – – – der Stunde harrten, wiederzukommen, ihr Volk zu neuer Herrlichkeit zu führen.