Hans Dominik
Das ewige Herz
Hans Dominik

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Dreihundert Jahre

(1542 bis 1844)

Über den Meister Peter Henlein hat sich das Grab geschlossen, doch sein Werk lebt weiter und wächst. Eine lange Reihe von Orelmachern und Kleinuhrmachern nennen die Akten der Stadt Nürnberg während der nächsten 100 Jahre. Sie beginnt mit dem Schlosser Andreas Osterberger. Ihm folgt der »hormacher« Sebastian Löher. Besondere Erwähnung verdient der »Kleinuhrmacher« Hanns Pflugritter, dessen Taschenuhren gerühmt werden und weiter sind der »Stadtuhrmacher« Georg Ment und Ehrhard Ferber zu nennen. Auch die Tatsache ist bemerkenswert, daß sich um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts in Nürnberg verschiedenfach Geistliche der Uhrmacherkunst befleißigen und sie gewerbsmäßig ausüben. Von diesen mag Johannes Vetter, Pfarrer bei St. Johann genannt werden, der die Uhren auf dem Schloß Stierberg und dem Wenzelsturm zu Lauf wieder in Stand setzt. In den Manualien des Landpflegamtes finden sich darüber im Jahre 1559 die folgenden Einträge: »Stierberg. Die alten hora soll man wider vom schloßer nemen und dem pfarrer zu S. Johanns besehen laßen, wie der zu helfen sei«, ferner: »Lauf pfleger, das er die alten schlaghora, so auf S. Wenzelsthurn ist, hereinschicke; woll man die wider zurichten lassen«; und gleich danach: »Die schlaghora sei fertig; das er ein für hereinschick; wolt man die hinausschaffen, den pfarrer zu S. Johann mitschicken, die anzurichten; cost zu machen 3 fl. 3 pfd.; wenn er die von Lauff gemacht, soll man sich um sein mue mit ime vertragen« und schließlich: »Dem priester bei S. Johanns hat man von der uhr zu Lauff zu pessern 5 fl. minus 24 Pfg. geben.« – – –

Im weiteren geht es mit der Erfindung Peter Henleins ähnlich, wie hundert Jahre früher mit derjenigen des Johann Gutenberg. Wie dessen Gesellen damals die Buchdruckerkunst im Laufe weniger Jahre durch die deutschen Städte und weiter durch die Länder des Reiches verbreiteten, so bringen Nürnberger Oerleinmacher nun auch die Kunst Taschenuhren zu fertigen zunächst in die anderen großen Reichsstädte. Schon um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts werden Kleinuhrmacher in Straßburg und Augsburg bezeugt und kurz darauf gibt es solche auch in Paris und London. Die Taschenuhr, ein Menschenalter früher noch eine kostbare Seltenheit, würdig Fürsten und Kanzlern als Ehrengeschenk überbracht zu werden, beginnt ein allgemein begehrter Gebrauchsgegenstand zu werden.

Auch ist nun die Zeit gekommen, da der Uhrenbau von der Schlosserei gelöst wird. Im Jahre 1556 erhalten die Nürnberger Uhrmacher eine eigene Zunft mit besonderen Rechten und Pflichten und schnell folgen gleiche Zünfte in den anderen Reichsstädten. Allenthalben in Deutschland steht die Uhrmacherkunst in voller Blüte. Eine schöne Zukunft scheint ihr bevorzustehen, als die unheilvolle Zeit der Religionskriege wie eine zerstörende Flutwelle über das Reich hineinbricht.

Alle diplomatischen Künste des fünften Karl haben es nicht vermocht, die religiöse Spaltung zu verhüten, die zuerst auf dem Reichstag zu Regensburg offenbar wurde. Von Jahr zu Jahr sind die Meinungsverschiedenheiten stärker geworden. Schon 1530 haben sich die evangelischen Stände des Reiches im schmalkaldischen Bund gegen den Kaiser zusammengeschlossen. Vier Jahre nach dem Tode Peter Henleins bricht der erste Religionskrieg, der schmalkaldische Krieg aus. Der Kaiser wird ein Jahr später in der Schlacht am Mühlberg von deutschen Fürsten besiegt, muß im Frieden von Passau den Protestanten Religionsfreiheit gewähren und damit ist der Riß unheilbar geworden. –

Müde und enttäuscht legt Carolus quintus 1556 seine Kronen nieder und zieht sich in das Kloster San Yuste nach Spanien zurück. Seine letzten Lebensjahre widmet der einstige Herr der Welt der Uhrmacherkunst. Es sind vornehmlich Tischuhren, mit denen der Kaiser sich beschäftigt, und resigniert muß er in seinen letzten Lebensjahren erkennen, daß es ihm nicht gelungen ist, sie zu gleichem Schlag und Gang zu bringen. Der Sterbende spricht die nachdenklichen Worte: »Und ich wollte viele Nationen zu gleichem Denken und Handeln führen!« – – –

Schweres Leid kommt in den folgenden Jahrzehnten über Deutschland; der dreißigjährige Krieg bringt das Reich an den Rand des Abgrundes. Vorbei ist es mit dem Wohlstand der Reichsstädte. Weit mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist in den langen Kriegsjahren zugrunde gegangen. In Schutt und Asche liegen zahllose Städte und Dörfer. Mehr als hundert Jahre wird es dauern, bis auch nur die schwersten Schäden des großen Krieges geheilt sind.

Daß es in einem Lande, das solche Heimsuchung erlitt, auf lange Zeit für Künste und Wissenschaften keinen fruchtbaren Boden mehr gibt, ist begreiflich. In anderen Ländern, die von der Kriegsfurie verschont blieben, finden sie eine Pflegstatt und in ihnen blüht die Uhrmacherkunst neu auf.

Die großen Physiker des siebzehnten Jahrhunderts, Galilei in Italien und Huygens in Holland, entdecken die Pendelgesetze und erfinden unabhängig voneinander die Pendeluhr. Deutsche Uhrmacher, die vor den Verwüstungen des Krieges in die Schweiz entwichen sind, betreiben zunächst in Neuenburg, bald auch in anderen Kantonen den Uhrenbau, der über die Etappen des Kleinbetriebes und der Hausindustrie im Laufe eines Jahrhunderts zur Uhrenfabrik entwickelt wird.

Schon Huygens hat die Waag Peter Henleins mit einer feinen Spiralfeder verbunden und dadurch eine Unruh mit besonderer Eigenbeschwingung geschaffen. Der Engländer Graham erzielt eine weitere bedeutende Verbesserung durch die Einführung der nach ihm benannten ruhenden Pendeluhrhemmung. Alle diese Fortschritte, die in den anderthalb Jahrhunderten nach dem Tode Peter Henleins gemacht werden, addieren sich und führen in der Summa zu einer wesentlichen Verbesserung der Genauigkeit. So ist nun die Zeit gekommen, an die Lösung einer Aufgabe zu gehen, für die das englische Parlament im Jahre 1714 einen Preis von 20 000 Pfund Sterling aussetzt.

Ein Schiffschronometer soll geschaffen werden, das bei einer mehrmonatigen Seereise einen Fehler von weniger als 2 Minuten macht. Zur Zeit Peter Henleins war man zufrieden, wenn die Turmuhren im Laufe des Tages nicht mehr als eine Viertelstunde voneinander abwichen. Ein Mangel an Genauigkeit, dem das bei Universitätsvorlesungen noch heut übliche akademische Viertel seinen Ursprung verdankt. Jetzt sollen in einem Zeitraum von etwa 120 Tagen höchstens 120 Sekunden Abweichung gestattet sein, d. h. im Durchschnitt eine Sekunde für den Tag, gegenüber den 900 Sekunden zu Peter Henleins Zeiten. Eine rund vertausendfache Genauigkeit wird verlangt.

Die Forderung entspringt aus den Bedürfnissen der Seeschiffahrt. Für die Bestimmung des Schiffsorts ist eine möglichst exakte Kenntnis der Zeit eines bestimmten Längengrades, beispielsweise des Meridians von Greenwich notwendig. Ein Fehler von zwei Minuten bedeutet einen halben Längengrad, in mittleren Breiten etwa zwanzig Seemeilen, in der Nähe der Küste also eine bedenkliche Unsicherheit, doch vorläufig wagt man es nicht, die Forderung höher zu spannen. In der Tat ist sie bei dem damaligen Stand der Uhrmacherkunst auch fast ungeheuerlich und es verstreicht ein halbes Jahrhundert, bevor der ausgesetzte Preis, dessen Kaufkraft etwa einer Million Mark entspricht, errungen wird. Er fällt dem englischen Uhrmacher John Harrison zu. In unermüdlicher Arbeit hat Harrison ein Menschenalter an der Lösung der Aufgabe gearbeitet, wertvolle Verbesserungen ersonnen und ein Seechronometer nach dem anderen gebaut. Mit dem berühmten vierten Chronometer gewinnt er 1761 den Preis, 47 Jahre nach dessen Ausschreibung. Nach einer fünfmonatigen Reise weist sein Zeitmesser eine Abweichung von 53,3 Sekunden auf. Der tägliche Fehler beträgt im Durchschnitt nur noch eine drittel Sekunde; ein lang vergeblich erstrebtes Ziel ist damit erreicht.

Schiffschronometer und feststehende astronomische Uhren sind Spitzenleistungen. Es sind technische Kunstwerke im wahrsten Sinne des Wortes und bedeuten für den Uhrmacher gewissermaßen die hohe Schule. Jede Zehntel- oder gar Hundertstelsekunde mehr an Genauigkeit muß schwer erkämpft und teuer bezahlt werden. Dabei ist die Zahl der benötigten Werke verhältnismäßig gering. Demgegenüber steht die Herstellung von Gebrauchsuhren, an die wesentlich geringere Ansprüche hinsichtlich der Genauigkeit gestellt werden, die aber für einen von Generation zu Generation immer größer werdenden Interessentenkreis erschwinglich sein müssen. Kurz zusammengefaßt läßt sich sagen: Die Taschenuhr ist 1530 ein Geschenk für Fürsten, 1550 ein Objekt für reiche Patrizier, im siebzehnten Jahrhundert erobert sie den zweiten, im achtzehnten Jahrhundert den dritten Stand und im neunzehnten Jahrhundert wird sie für den vierten, den Arbeiterstand auch unentbehrlich. Eine immerfort steigende und auf ständige Verbilligung hinzielende Massenfabrikation ist mit solcher Entwicklung zwangsläufig verbunden.

Nicht mehr zu Dutzenden oder Hunderten, sondern zu Hunderttausenden und Millionen muß die Taschenuhr hergestellt werden, um dem wachsenden Bedarf zu genügen. So entstehen besonders in der Schweiz, weiter in Frankreich und England und endlich auch in den Vereinigten Staaten Industriewerke, in denen Taschenuhren am laufenden Band gefertigt werden. Dabei geht der Fortschritt nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ weiter; die Massenfabrikation wird zur Präzisionsmassenfabrikation entwickelt. Ihre Erzeugnisse sind wohlfeile Taschenuhren mit einem verhältnismäßig recht genauen Gang, die den Ansprüchen des Alltags vollauf genügen.

Deutschland, durch endlose Kriege geschwächt und verarmt, in einige Dutzend Einzelstaaten zerfallen und durch Zollgrenzen zerrissen, vermag dieser Entwicklung nicht zu folgen. Während der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts muß es den größten Teil seines Uhrenbedarfs aus fremden Ländern einführen. Das Land, in dem ein Peter Henlein die ersten »Oerlein« schuf, ist auf dessen ureigenstem Gebiet vom Auslande überflügelt worden. Wird es ihm gelingen, die Führung zurückzugewinnen? – – –


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