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Ein Goldbergwerk im Bolidenkrater. Reichtum oder Goldinflation? Die Amerikaner landen im Mac-Murdo-Sund. Am Krater trifft man Vorbereitungen für ihren Empfang.
Hundert Kilometer nördlich vom Bolidenkrater stand die feste Station des deutschen antarktischen Institutes seit vier Wochen an derjenigen Stelle, welche die Reichsregierung dafür in Aussicht genommen hatte. Den Herren Wille und Schmidt war diese Verlegung ziemlich gleichgültig, weil sie jetzt, wie Schmidt sarkastisch bemerkte, ihr Gewerbe im Umherziehen betrieben. Auf kurze Aufenthalte in der festen Station folgten jedesmal längere Reisen mit den drei Raupenwagen. Unablässig wuchs dabei das Beobachtungsmaterial, und in stetiger Arbeit wurden neue physikalische Theorien ausgebaut und erhärtet.
Hagemann, das altbewährte Faktotum, gehörte natürlich zu der motorisierten Station, und Rudi besorgte dort den Funkdienst. Trotzdem brauchte Lorenzen kein Einsiedlerleben zu fuhren, denn der neue Etat sah für die feste Station noch einen Maschinisten und einen Koch vor, so daß es dort wenigstens für ein gemütliches Kartenspiel langte, wenn die Kraftfahrzeuge unterwegs waren. – –
Die Raupenwagen bewährten sich in einer Weise, die über jedes Lob erhaben war. Mochte draußen der Schneesturm brausen, mochten Nebel und wirbelnder Eisstaub jede Sicht versperren, stets bot das Innere dieser Fahrzeuge einen gut durchwärmten Zufluchtsort. Vor allen Unbilden eines mörderischen Klimas geschützt, konnten die Forscher hier unbehindert ihrer Arbeit obliegen, und wenn es galt, die Station zu verlegen, dann erwiesen sich die auf breiten Raupenbändern überall, auch im zerklüfteten Gelände schnell und sicher laufenden Kraftwagen als überaus leistungsfähige Verkehrsmittel.
Öfter als einmal holte sich Schmidt nach dem Abendessen einen Band aus dem Bücherschrank und las mit sichtlichem Behagen darin. Es war eine Beschreibung der antarktischen Expedition von Scott aus dem Jahre 1903. Unter unsäglichen Strapazen hatten die Forschungsreisenden sich damals ihren Weg durch die Eiswüste suchen müssen, hatten selbst ihre Schlitten über das Eis schleifen müssen, nachdem die letzten Hunde geschlachtet und verzehrt waren. Ein Teil der Mitglieder war unterwegs vor Erschöpfung gestorben. Am Ende ihrer Kräfte erreichten die wenigen Überlebenden schließlich die Küste, mehr Gespenstern als Menschen ähnlich, als sie das rettende Schiff betraten . . .
Ein wohliges Gruseln lief dem langen Doktor über den Rücken, während er die Schilderung las, und unwillkürlich rückte er dabei noch näher an den elektrischen Ofen heran. – –
Ein wohlbekanntes Geräusch riß ihn aus seiner Lektüre, das trommelnde Donnern eines Stratosphärenschiffes. Dicht neben dem Wohnwagen ließ sich ›St 11‹ auf den Schnee nieder. Unerwarteten Besuch aus Deutschland brachte das Flugschiff, außer Berkoff und Hein Eggerth auch den Ministerialdirektor Reute und den alten Professor Eggerth.
Wille und Schmidt verließen ihren Wagen, um zu dem Schiff hinüberzugehen. Nach den eintönigen Wochen in ihren Fahrzeugen bedeutete der Aufenthalt in dem großen Salon von ›St 11‹ für sie eine angenehme Abwechslung. Nach kurzer Begrüßung war bald ein allgemeines Gespräch im Gang, an dem sich nur der hagere Schmidt nicht beteiligte. In seiner hölzernen Manier saß er mit zusammengekniffenen Lippen schweigend da.
»Das lange Gerippe hat mal wieder was auf dem Herzen«, flüsterte Hein Eggerth Berkoff zu. »Ich will ihm Gelegenheit geben, sein Gemüt zu erleichtern.«
Mit vergnügtem Gesicht zog er sich einen Stuhl zu Schmidt heran und begann sich intensiv nach dem Befinden und den Arbeiten des verehrten Herrn Ministerialrats zu erkundigen. Das war die Zündschnur an die Bombe, und prompt explodierte Schmidt.
»Sie haben mein letztes Radiogramm unbeantwortet gelassen, Herr Eggerth«, schoß es zwischen den schmalen Lippen heraus.
»Welches Radiogramm, Herr Ministerialrat? Ich wüßte nicht . . .«
»Meine Anfrage in Sachen Bolton und Garrison. Wie kommen die beiden Amerikaner, die von Ihnen bei Neapel abgesetzt wurden, als Schiffbrüchige mitten in die Südsee? Die Frage interessiert mich außerordentlich . . . ganz außerordentlich, Herr Eggerth.«
»Mich nicht, Herr Geheimrat. Ich falle auf amerikanische Enten nicht mehr rein. Mich interessiert das hier viel mehr.«
Während der letzten Worte zog er eine deutsche Zeitung aus der Tasche und hielt Dr. Schmidt eine rot angestrichene Notiz hin. Der las sie, bewegte dabei die Kiefern, als ob er an einem zähen Bissen kaute, ließ das Blatt dann sinken, während Zweifel und Staunen sich in seinen Zügen malten.
»Ja, verehrter Herr Ministerialrat, die Herren Bolton und Garrison sind rührige Leutchen. Mal trifft man sie in der Antarktis, mal wird ihr Vorhandensein mitten aus der Südsee und danach aus Amerika gemeldet, und jetzt sind sie auf dem Wege zum Mac-Murdo-Sund, wahrscheinlich schon im Roß-Meer, dicht bei der Küste . . .«
»Undenkbar! Unglaublich!« preßte Dr. Schmidt durch die Zähne.
»Leider nur zu glaubhaft«, fuhr Hein Eggerth fort. »Die Angelegenheit war uns wichtig genug, um genaue Erkundigungen einzuholen. Die neue Expedition Captain Andrews dürfte in spätestens acht Tagen im Mac-Murdo-Sund an Land gehen und es besteht eine ziemliche Wahrscheinlichkeit, daß die Herren Bolton und Garrison Ihnen, Herr Ministerialrat, in nächster Zeit wieder ins Gehege kommen.«
»Aber das ist ja abscheulich«, war alles, was Schmidt schließlich herausbrachte.
Hein Eggerth stand auf. »Machen Sie sich keine Sorge, Herr Ministerialrat. Wir sind über die Absichten der Herren Bolton und Garrison im Bilde und werden rechtzeitig unsere Maßnahmen treffen. Sobald die Andrewsche Expedition deutsches Gebiet betritt, hat sie sich den Anweisungen des Reichskommissars zu fügen. Herr Reute bringt für diesen Fall ausführliche Instruktionen mit.« – – –
Kurze Zeit darauf erschien Hein Eggerth in Begleitung zweier Mechaniker, die eine ziemlich umfangreiche Apparatur mit sich schleppten, in der Funkkabine des dritten Wagens, und mit offensichtlichem Vergnügen sah Rudi Wille zu, wie die Mechaniker einen schönen neuen Funkpeiler in seine Station einbauten. Als die Montage vollendet und die Mechaniker wieder gegangen waren, blieb Hein Eggerth noch eine gute Stunde bei Rudi, über die Bedienung des neuen Gerätes brauchte er ihm nicht viel zu erzählen. Von seiner langjährigen Bastelei her wußte der Junge damit recht gut Bescheid. Schon nach wenigen Versuchen peilte er die Funkstation am Krater bis auf wenige Bogenminuten genau an . . .
Erheblich längere Zeit nahmen die Instruktionen in Anspruch, die ihm Hein Eggerth über den eigentlichen Zweck und die dadurch bedingte Anwendung der Peilanlage gab. Sie liefen darauf hinaus, daß drei neue Peilstationen, eine am Krater, die andere in der festen Station und die dritte in der motorisierten Station in gemeinsamer Zusammenarbeit den Standort der Andrewschen Expedition möglichst frühzeitig feststellen und danach ständig weiter verfolgen sollten.
Rudi Wille spitzte die Ohren nicht schlecht, als er vernahm, daß sein alter Bekannter, Mr. Garrison, wieder im Lande sei, und mit Begeisterung übernahm er die neue Aufgabe, den unerwünschten Besuch mit überwachen zu helfen. Kaum hatte Hein Eggerth den Wagen verlassen, als auch schon Funksprüche zwischen Rudi und Lorenzen hin und her flogen. Lorenzen hatte das neue Peilgerät bereits vor zwei Tagen erhalten und fleißig damit gearbeitet. Nach den Mitteilungen, die er Rudi darüber machte, war auch der schnell in der Lage, einen Sender anzupeilen, dessen Zeichen aus der Richtung des Mac-Murdo-Sundes kamen. Die Herren Bolton und Garrison waren bereits avisiert, bevor sie ihren Fuß auf die Antarktis setzten. – – –
»Sie wissen, Herr Wille, daß die Amerikaner wieder . . .«
»Ich bin informiert, mein lieber Schmidt«, schnitt ihm Dr. Wille die Frage ab. »Sie können ganz unbesorgt sein. Ich werde Sie jetzt auf etwa 24 Stunden verlassen und bitte Sie, für diese Zeit die Leitung des Institutes zu übernehmen!«
Dr. Schmidt kehrte in seinen Wagen zurück. ›St 11‹ zog sich an seiner Hubschraube wieder in die Höhe und schlug die Richtung nach dem Krater ein. Für die kurze Entfernung von hundert Kilometern lohnte es sich nicht, in die Stratosphäre zu steigen. In mäßiger Höhe strich das Schiff über das sonnenbeglänzte Gelände dahin. Etwa die Hälfte des Weges mochte es zurückgelegt haben, als Reute nach unten wies. Ein Kraftwagen lief dort über den Schnee, ein Raupenfahrzeug ähnlich denjenigen, die ›St 11‹ vor kurzem verlassen hatten.
»Was soll das werden?« fragte Wille.
»Eine Vorbereitung für den Empfang der amerikanischen Expedition«, erklärte Reute. »In einem Abstand von 50 Kilometern legen wir um die Kraterstation herum eine Kontaktleitung, die am Krater sofort die Stelle meldet, an der sie etwa von dem Raupenwagen Andrews überfahren wird. Das Gebiet innerhalb dieser Ringleitung ist für die Amerikaner tabu. Sie dürfen es nicht berühren.«
»Und wenn sie es doch tun?« fragte Wille.
»Dann treten die Instruktionen in Kraft, Herr Kollege, über die wir nun unter vier Augen sprechen müssen«, sagte Reute und führte Wille aus dem Salon in sein Arbeitszimmer.
Die Unterredung der beiden Herren war noch nicht beendigt, als ›St 11‹ am Kamm des Kraterringes aufsetzte. Geraume Zeit wurde sie noch in dem Haus, das Reute hier zur Verfügung hatte, fortgesetzt und es war unverkennbar, daß Dr. Wille von ihrem Inhalt recht befriedigt war. Als die beiden danach wieder ins Freie traten, gesellte sich Professor Eggerth zu ihnen.
»Es ist wohl sechs Monate her, seitdem Sie das letztemal hier waren, Herr Doktor Wille«, sagte der Professor, »sicher wird es Sie interessieren, zu sehen, was inzwischen entstanden ist.«
Er brauchte nicht viel weiteres zu sagen, Dr. Wille sah bereits selber, wie sehr sich hier alles in dem letzten halben Jahr verändert hatte. Tiefe Polarnacht war es damals, heute lag das ganze Ringgebirge um den Kraterschacht im rötlichen Sonnenlicht des langen Polartages. Heinzelmännchen schienen hier an der Arbeit gewesen zu sein, um in einer verhältnismäßig kurzen Zeit all die neuen Anlagen aus dem Boden wachsen zu lassen.
Da stand ein mächtiges Kraftwerk. Leichter Dunst entstieg seinen Schloten.
»200 000 Pferde«, sagte der Professor, »50 Tonnen Treiböl schlucken die Motoren in jeder Stunde, 1200 Tonnen jeden Tag. Wir mußten eine Flotte von zwanzig Stratosphärenlastschiffen größter Bauart einsetzen, um den Brennstoffbedarf dieses Kraftwerkes sicher decken zu können.«
Während sie am Kraterrande weitergingen, dröhnte aus dessen Tiefe fast ununterbrochen der Donner von Explosionen empor.
»Die Sprengarbeiten sind in gutem Fluß«, sagte Reute, »wir bohren und sprengen nur dort, wo vorhergehende Proben goldreiche Adern gezeigt haben und fördern jetzt täglich tausend Tonnen Erz.«
»Tausend Tonnen, eine Riesenmenge!« unterbrach ihn Wille erstaunt.
»In Wirklichkeit nicht so schlimm, wie es sich anhört«, fuhr der Professor fort. »Bei dem hohen Gewicht des Erzes sind es einige 70 Kubikmeter pro Tag. Leider vermögen unsere Aufbereitungsanlagen vorläufig erst den fünften Teil davon zu verarbeiten. Wir bereiten jetzt täglich 200 Tonnen auf und ziehen daraus zwanzig Tonnen gediegenen Goldes im Handelswert von 50 Millionen Reichsmark.«
»50 Millionen jeden Tag!« Dr. Wille faßte sich an den Kopf, als könne er die Zahl schwer fassen. »50 Millionen jeden Tag . . . das wäre eine Milliarde in 20 Tagen, zehn Milliarden in 200 Tagen . . . soviel ich weiß, beträgt der nachweisliche Goldbesitz der Menschheit zur Zeit 50 Milliarden. Bei diesem Arbeitstempo könnten Sie ihn in tausend Tagen verdoppeln.«
»Soweit wollen wir nicht voraus rechnen«, sagte Reute, »es ist sehr zweifelhaft, ob wir das tun werden. Im Augenblick wissen wir nicht einmal, ob wir es überhaupt tun können.«
Während ihrer Unterhaltung hatten die drei Herren die Aufbereitungsanlage erreicht und traten in die große Halle ein. Eine fast atembeklemmende Stille umfing sie.
Wer etwa hier die Einrichtungen der sonst wohl gebräuchlichen Erzaufbereitungsanlagen zu finden erwartete, wäre enttäuscht gewesen. Da waren keine polternden Erzbrecher, keine ratternden Schüttelrutschen, keine Röst- und Schmelzöfen. Nur würfelförmige Tröge aus hartgebranntem, glasiertem Ton enthielt der Raum, jeder einzelne Trog reichlich mannshoch und ebenso lang und breit. In schnurgeraden langen Reihen waren die Tröge aufgestellt, reichlich armdicke Starkstromkabel führten zu jedem von ihnen. Ein Deckenkran huschte über die Trogreihen hin, öffnete hier und dort das Maul seines Behälters und ließ Brocken des schimmernden Erzes in die Flüssigkeit fallen, mit der die einzelnen Gefäße bis obenhin gefüllt waren. Ein leichter Dunst, der undefinierbar nach irgendwelchen Säuren und Chemikalien roch, legte sich Wille auf die Brust, daß er hüsteln mußte.
»Kommen Sie, Doktor«, sagte der Professor und zog ihn mit sich ins Freie. »Das elektrolytische Naßverfahren, nach dem wir die Erze ausbeuten, ist zwar technisch glänzend, aber für die menschlichen Lungen weniger zuträglich. Wenn unsere Leute dort drinnen zu tun haben, müssen sie stets Gasmasken vorbinden.«
Wille zog erst ein paarmal in kräftigen Zügen die klare kalte Polarluft ein, bevor er antwortete.
»Nach einem elektrolytischen Naßverfahren scheiden Sie die Metalle. Ich muß sagen, das überrascht mich, kommen Sie denn damit wirtschaftlich zurecht?«
»Glänzend, Herr Doktor«, erwiderte ihm Professor Eggerth, »freilich dürfen Sie dabei nicht an die älteren derartigen Methoden denken. Es handelt sich hier um ein ganz neues, überaus wirksames Verfahren. Um es genau zu sagen, werden dabei gleichzeitig chemische und elektrolytische Wirkungen ausgenutzt. Die Elektrolytenflüssigkeit muß deshalb auch nach einer gewissen Zeit regeneriert werden. Wir haben zu dem Zweck die chemische Fabrik errichtet, die Sie dort zur Rechten liegen sehen. Wir wollen nicht hineingehen«, unterbrach er sich, als Dr. Wille seine Schritte dorthin lenken wollte. »Da drinnen stinkt und raucht's noch mehr als in der Aufbereitung.«
Er zog Wille am Ärmel zurück. »Hier rechts lang geht unser Weg. Wir wollen erst mal ordentlich frühstücken.« –
Ein Frühstücksraum, der in manchen Einzelheiten an das gemütliche Kasino der Eggerth-Werke in Bitterfeld erinnerte, nahm sie auf, und während ihnen eine gute Mahlzeit serviert wurde, ging das Gespräch weiter.
»Ihre Zahlen habe ich gehört, Ihre Anlagen habe ich gesehen«, sagte Wille. »Aber zu begreifen vermag ich das alles nicht.« Er griff sich wieder an den Kopf. »Bei allem Hinundherdenken kann ich keine andere Auswirkung dieses ganzen Unternehmens finden als eine Goldinflation, welche die kranke Weltwirtschaft noch kränker machen wird. Wenn Sie es besser wissen, dann sagen Sie es mir.«
Reute rührte nachdenklich in seiner Fleischbrühe herum. Langsam kamen die Worte von seinen Lippen.
»Wenn wir unvorsichtig vorgingen, Herr Kollege, könnte eine solche Inflation in der Tat die Folge sein, und ihre Auswirkungen könnten unheilvoll werden. Aber wir werden nicht unvorsichtig sein. Die Pläne unserer Regierung sind bereits bis in alle Einzelheiten durchdacht und ausgearbeitet.«
Wille zuckte die Achseln. »Ich sehe keine Möglichkeit, wie Sie das vermeiden wollen.«
Professor Eggerth kam Reute mit der Antwort zuvor.
»Das liegt, glaube ich, daran, Herr Dr. Wille, daß Sie das Gold wie jedes beliebige andere Erzeugnis ansehen, bei dem Angebot und Nachfrage den Preis regulieren.«
»Zweifellos, ich glaube, ich habe recht damit.«
»In diesem Falle haben Sie unrecht, Herr Wille, frei nach Goethe möchte ich sagen: Gold ist ein ganz besonderer Stoff. In dem Sinne nämlich, daß es auch heute noch trotz aller Versuche, davon loszukommen, irgend etwas anderes an seine Stelle zu setzen, der einzige internationale Wertmesser ist.«
»Mag alles sein. Aber wenn Sie . . .«, versuchte Wille einzuwenden.
»Kein ›Aber‹, Herr Doktor«, fuhr Eggerth fort. »Sie unterschätzen den ungeheuren Goldhunger der ganzen Welt. Nach den bitteren Erfahrungen, welche die Sparer fast aller Nationen mit ihren nur auf Papier beruhenden Währungen gemacht haben, ist er größer als je. Wir sind davon überzeugt, daß fünf Milliarden, ja sogar zehn Milliarden, wenn wir sie in Form gemünzten Goldes vorsichtig, ich betone immer wieder, vorsichtig . . . in den Verkehr bringen, spurlos in den Sparstrümpfen der ganzen Welt verschwinden. Sie werden in der goldhungrigen Welt gewissermaßen versickern, ohne daß die Öffentlichkeit überhaupt etwas von ihrem Vorhandensein weiß.«
Wille schüttelte den Kopf und machte ein ungläubiges Gesicht.
»Sie können es mir glauben«, fuhr Eggerth in seinen Auseinandersetzungen fort, »den ersten großen Gewinn von der Goldinjektion, die wir auf diese Weise der Menschheit versetzen, werden natürlich das Reich und die deutsche Wirtschaft haben. Wir sind aber überzeugt, daß danach auch eine Wiederbelebung der Weltwirtschaft einsetzen, daß unser Vorgehen schließlich für die ganze Welt nützlich sein wird. Hätten wir diese Überzeugung nicht, dann hätten wir uns nicht dazu entschlossen, des dürfen Sie gewiß sein.«
»Aber die Inflation, die Goldinflation«, flog es Wille unwillkürlich heraus.
»Ist ein grundsätzlicher Irrtum von Ihnen«, fiel ihm Professor Eggerth ins Wort. »Sie dürfen die Papierinflationen der vergangenen Jahrzehnte nicht mit einer verstärkten Golderzeugung in einen Topf werfen. Eine papierne Banknote bleibt immer nur ein Zahlungsversprechen, das an Stelle der Zahlung genommen wird, solange das allgemeine Vertrauen dazu bereit ist. Ein Goldstück dagegen bedeutet kein Zahlungsversprechen mehr, sondern eine wirkliche Zahlung.«
Wille stürzte mit einem Ruck seine Bouillon herunter.
»Gestatten Sie mir nun auch einmal einen Einwand auszusprechen, meine Herren. Nach der Entdeckung Amerikas brachten die spanischen Eroberer mühelos erworbene Goldmengen nach Europa, durch die der europäische Goldschatz plötzlich verdoppelt, wie einige sagen, sogar verdreifacht wurde. Sie können nicht bestreiten, daß dies Ereignis tief einschneidende und keineswegs erfreuliche Folgen für die Wirtschaft der Alten Welt gehabt hat. Eine Umschichtung aller Stände und Lebensverhältnisse. Nach einer durchaus plausiblen Theorie sollen der deutsche Bauernkrieg und das ganze Raubrittertum eine Folge davon sein, daß Cortez den unglücklichen Mexikanern ihr Gold gestohlen hat . . .«
Reute wollte den Doktor unterbrechen, aber der war zu geladen. Erst mußte einmal heraus, was er auf dem Herzen hatte, unbeirrt fuhr er fort:
»Der Zusammenhang ist vollkommen logisch. Als das spanische Gold durch Handel und Wandel in die Hände der deutschen Bürger und Kaufleute kam, legten sie sich einen höheren Lebensstandard zu. Die Ritter auf ihren Burgen wollten es ihnen natürlich gleichtun. Da sie aber selbst keine Kaufleute waren, blieben ihnen nur zwei Möglichkeiten. Entweder die reichen Pfeffersäcke auf den Landstraßen zu überfallen und ihnen die guten Dinge abzunehmen, das heißt Raubrittertum, oder aber ihre leibeigenen Bauern bis aufs Blut auszupressen und das hatte dann die Bauernkriege zur Folge. Fürchten Sie nicht, meine Herren, daß Ihr Bolidengold etwas Ähnliches hervorrufen könnte?«
Er schwieg und blickte die andern fragend an. Reute machte eine verneinende Bewegung.
»Sie verkennen, Herr Kollege, daß wir es bei den heutigen Goldwährungen mit verkappten Energiewährungen zu tun haben. Zu 99,9% wird Gold heute nicht mehr gefunden, sondern erarbeitet. Praktisch ist der Goldvorrat in den südafrikanischen Goldminen unbegrenzt, jedenfalls viel größer als derjenige in unserm Bolidenkrater. Aber um es zu gewinnen, um die 10 bis 12 Gramm aus einem Kubikmeter härtesten Quarzgesteins herauszuholen, muß man Maschinenarbeit im Betrage vieler Pferdekraftstunden leisten. Die Verhältnisse sind so, daß der heutige Goldpreis diese Unkosten deckt und den afrikanischen Minengesellschaften noch eine mäßige Verzinsung ihres Kapitals gewährt. Tatsächlich liegen die Dinge so, daß auf diese Weise der Preis der Pferdekraftstunde oder, wenn Sie elektrisch rechnen wollen, der Kilowattstunde einerseits und des Goldes andererseits auf das engste verbunden sind. Würde es plötzlich möglich, die Kilowattstunde zum zehnten Teil des bisherigen Preises zu erzeugen, so müßte logischerweise auch der Goldpreis auf etwa den zehnten Teil absinken. Dann könnten Sie vielleicht von einer Goldinflation reden, obwohl es letzten Endes eine Energieinflation wäre.«
»Jetzt habe ich Sie gefangen, Herr Ministerialdirektor«, platzte Wille los. »Sie gewinnen hier das Gold mit dem hundertsten, dem tausendsten Teil . . . was weiß ich . . . derjenigen Energie, die man in den südafrikanischen Minen dafür braucht. Also . . .«
». . . müßte das Gold hundert oder tausendmal billiger werden«, führte Reute den Satz weiter, »wenn die übrige Welt das auch könnte. Aber sie kann es nicht, Herr Dr. Wille, und das ist der springende Punkt.
Zur Erläuterung will ich eine andere Möglichkeit heranziehen. Wie Sie wissen, hat die Zerlegung der chemischen Elemente mittels schneller Kathodenstrahlen in den letzten Jahren bemerkenswerte Fortschritte gemacht. Nehmen wir einmal nun an, es gelänge – was theoretisch durchaus denkbar ist – mit Hilfe dieser Strahlen von dem Quecksilberatom drei Wasserstoffkerne abzuschlagen, so müßte ein Goldatom übrigbleiben. Nehmen wir weiter an, ein genialer Physiker entdeckte ein besonders günstiges Verfahren, bei dem sich die Umwandlung von einem Kilogramm Quecksilber in ein Kilogramm Gold mit dem Aufwande von nur einer Kilowattstunde bewerkstelligen läßt, dann könnte . . . ja, dann müßte in der Tat das eintreten, was Sie jetzt zu Unrecht von unserm Vorgehen befürchten. Zwangsläufig müßte dann der Goldpreis bis auf den Preis des Quecksilbers hinab sinken, denn jedermann könnte sich ja dann Quecksilber kaufen und es mit ganz geringen Kosten in Gold verwandeln. Begreifen Sie jetzt den Unterschied zwischen einem solchen Zustand und unserer Lage, Herr Doktor Wille?«
»Ich glaube, ich verstehe Sie«, sagte Wille nachdenklich. »Sie wollen sagen, daß nur Deutschland über dieses vom Himmel gefallene Gold verfügt, daß aber für die übrigen Staaten nur die bisherige Art der Goldgewinnung in Frage kommt und daher auch der jetzige Weltpreis bestehen bleiben wird.«
»So ist es, Herr Doktor«, bestätigte ihm Professor Eggerth seine Worte. »Für die übrige Welt wird der Goldpreis immer mit dem jeweiligen Preis der Kilowattstunde verbunden bleiben, gleichgültig, ob wir zehn oder zwanzig Milliarden Gold in die Adern der Weltwirtschaft pumpen oder nicht. Wir müssen es nur, wie ich bereits betonte, vorsichtig tun. Nachrichten über die Größe des Goldvorrates in dem Bolidenkrater hier dürfen nicht in die Öffentlichkeit gelangen.«
»Was um so leichter ist, als wir selbst nicht Genaues darüber wissen«, fiel Professor Eggerth ein. »Es wäre möglich, daß der Bolide in seiner ganzen Ausdehnung mit Goldadern durchsetzt ist. Es ist aber ebensogut möglich, daß sie sich nur bis zu einer geringen Tiefe erstrecken, und dann wäre der Vorrat gar nicht so überwältigend groß. Dann könnten wir mit zwanzig, höchstens dreißig Milliarden überhaupt am Ende unserer Kunst sein. Ich hoffe, Herr Dr. Wille, daß Sie nach dieser Mitteilung den Alpdruck einer Goldinflation loswerden.« – – –
Das Mahl war beendet.
»Bevor ›St 11‹ Sie zu Ihrer Station zurückbringt, Herr Kollege«, sagte Reute, »wollen wir Ihnen nun auch noch das Letzte zeigen.«
Die Herren warfen sich ihre Pelze über und traten wieder ins Freie. Reute ging geradeswegs auf ›St 11‹ zu.
»Ich denke, ich soll noch etwas sehen?« fragte Wille.
»Sehr richtig, Herr Doktor. Sie sollen die goldenen Eier sehen, die unsere Henne hier legt. Schauen Sie dorthin.«
Wille blickte sich um, erst jetzt fiel ihm auf, daß ›St 11‹ seinen Liegeplatz inzwischen gewechselt hatte. Es lag unmittelbar neben einem kleineren Gebäude, dessen hohem Schornstein ein weißlicher Rauch entquoll.
»Hier steht der Schmelzofen, in dem das elektrolytisch gewonnene Gold in Barren umgeschmolzen wird«, gab Reute die Erklärung. »Es sind Barren zu je zwanzig Kilo. 2000 Stück davon, die Ausbeute von zwei Tagen, nimmt ›St 11‹ heute nach Deutschland mit.«
›St 11‹ lag in einer kleinen Mulde dicht neben dem Gießhaus, etwas tiefer als dieses. Zu einer Ladeluke in der hinteren Hälfte seines Rumpfes führte eine Aluminiumbrücke, die infolge dieses Höhenunterschiedes waagerecht lag. In kurzen Abständen kamen Elektrokarren mit stumpfgelben Gußbarren beladen aus dem Haus und rollten über die Brücke in das Schiff.
Die drei Herren kamen gleichfalls den Weg über die Brücke und gingen in den Laderaum, der sich im Unterteil des Rumpfes dort befand, wo an dessen Oberteil die Schwingen ansetzten. Eine Weile standen sie hier und sahen zu, wie die Werkleute Barren um Barren von den Karren hoben und auf dem Boden des Lagerraumes dicht nebeneinander schichteten.
»40 Tonnen sind immerhin 40 Tonnen, meine Herren«, sagte Professor Eggerth. »Man kann sie auch in einem Stratosphärenschiff von der Größe von ›St 11‹ nicht an einer beliebigen Stelle verstauen. Sie müssen dort gelagert werden, wo senkrecht über ihnen die Tragkraft der Schwingen angreift. Schwanzlastige oder kopflastige Flugschiffe könnten zu unangenehmen Zwischenfällen führen. Auf diese Weise haben wir im Salon nachher das Vergnügen, unmittelbar über hundert Millionen zu sitzen.«
»Ich sehe, daß Sie die Barren nur in einer Schicht auf dem Boden ausbreiten«, fragte Wille.
»Es geschieht, um die Last besser über das Fachwerk des Rumpfes zu verteilen«, erwiderte der Professor. »Wollte man diese Goldmenge von zwei Kubikmeter etwa auf einer nur zwei Quadratmeter großen Fläche einen Meter hoch aufstapeln, so würde sie uns das Fachwerk zweifellos zerdrücken.«
Dr. Wille schwieg. Er schien in allerlei Gedanken versunken zu sein.
»Warum auf einmal so tiefsinnig, Herr Kollege?« fragte ihn Reute.
Wille lachte. »Ich mußte eben an das Märchen aus ›Tausend und eine Nacht‹ denken, wo der Kalif einem Günstling erlaubt, so viel Gold aus seiner Schatzkammer mitzunehmen, wie er zu tragen vermag.«
»Doch ein ganz anständiger Vorschlag«, meinte Reute.
»Ja, aber allzuviel kommt nicht dabei heraus. Nehmen wir einmal an, daß dieser Günstling ein Athlet war und mit einem runden Zentner abziehen konnte. Dann wären das immer nur 125 000 Mark. Gewiß ein recht nobles Geschenk, aber nach den Worten des Kalifen hätte ich, offen gesagt, mehr erwartet.«
»Tja, Gold hat sein Gewicht, lieber Doktor«, warf der Professor ein. »Ein Scheck läßt sich in der Brieftasche viel bequemer mitnehmen. Aber wir dürfen nicht vergessen, daß er nur Wert hat, wenn Deckung für ihn vorhanden ist, und letzten Endes wird diese Deckung durch das Gold dargestellt, das in den Kellern der Bank liegt, bei der er präsentiert wird.«
»An und für sich ist es unsinnig, Milliarden und aber Milliarden von Pferdekraftstunden aufzuwenden, um damit ein bestimmtes gelbes Metall (das Gold) aus dem Quarzgestein herauszuarbeiten und als Währungsunterlage in die Keller der Banken einzulagern«, meinte abschließend Reute, »denn das Vertrauen der Öffentlichkeit zu der gesunden Wirtschaft eines Volkes und seiner Regierung ist die beste Unterlage für seine Währung. Weil aber andere Staaten den Goldfimmel haben, so wollen wir auf einen Schelmen anderthalbe setzen und mit dem Golde, das der Himmel uns in den Schoß warf, zum Besten unseres Landes wirtschaften.«
Der letzte Karren hatte seine wertvolle Ladung abgegeben und rollte über die Brücke ins Freie. In einer Länge von zehn Metern und einer fast ebenso großen Breite war der Boden des Schiffsraumes jetzt mit einer Decke gediegenen Goldes belegt.
»Ein kostbarer Teppich. Es gibt keinen kostbareren in der Welt«, sagte Professor Eggerth nachdenklich, während er über die gelbschimmernde Fläche zu einer Treppe hinging. Sie führte nach oben zu dem Vorraum des großen Salons. Hier verabschiedete sich Reute, der in der Kraterstation zurückbleiben wollte. Dr. Wille und Professor Eggerth gingen in den Salon. Kurz darauf wurden alle Luken und Türen verschraubt. ›St 11‹ stieg auf, um zunächst Wille zu seinen Motorwagen zurückzubringen.
»Ich bin noch wie benommen von dem, was Sie und Herr Reute vorher andeuteten«, sagte er zu Eggerth, »mag der Himmel geben, daß Ihre Pläne gelingen und unserem Vaterland alles bringen, was Sie davon erhoffen.«
Ein tiefer Ernst lag während der letzten Worte auf seinen Zügen.
»Sie werden gelingen, Herr Wille«, erwiderte Professor Eggerth, der ebenfalls ernst geworden war, »wenn sie in allen Einzelheiten richtig durchgeführt werden. Ein Teil der Verantwortung dafür liegt auch bei Ihnen, Herr Dr. Wille. Er liegt in den Instruktionen, die Ihnen Herr Reute für Ihr Verhalten gegenüber der amerikanischen Expedition gegeben hat. Ich bitte Sie auf das dringendste, genau danach zu verfahren, über irgendwelche Folgen brauchen Sie sich dabei keine Gedanken zu machen. In dieser Angelegenheit steht das Reich hinter Ihnen. Als Reichskommissar handeln Sie in seinem Auftrag und Namen.« – – –
Wie Fliegen auf weißem Zucker wurden in weiter Ferne die drei Motorwagen des Institutes sichtbar. Bald darauf lag das Flugschiff neben ihnen. Wille drückte dem Professor die Hand und ging zu dem Wohnwagen hinüber. Gegen seine sonstige Gewohnheit erwiderte er den Gruß des langen Schmidt nur wortkarg und zog sich gleich danach in seinen Arbeitsraum zurück. Der Tag und auch der nächste Tag noch vergingen, bevor er wieder richtig zu seinen wissenschaftlichen Arbeiten kam. Zu sehr gingen ihm all die neuen Eindrücke durch den Kopf, die er in der Kraterstation empfangen hatte.
*
Die ›City of Boston‹, welche die Andrewsche Expedition nach der Antarktis brachte, hatte das Glück, im Roß-Meer erträgliche Eisverhältnisse zu finden. Schon war die Felsküste von Viktoria-Land deutlich am Horizont erkennbar, als sich ihr die ersten Eisschollen in den Weg schoben. Krachend zerbarsten sie, wenn der scharfe Bug des Schiffes sie traf. Vorsichtig, mit halber Maschinenkraft vermochte das Schiff seinen Weg fortzusetzen. Vorläufig war es immer noch lockeres Treibeis.
Kilometer um Kilometer brachte die ›City of Boston‹ hinter sich, höher und höher wuchs das Ufergebirge empor, doch größer und stärker wurden auch die Eisschollen. Schon war es dem Schiff nicht mehr möglich, sie mit dem Vordersteven zu zerspalten. Es mußte sie umfahren und sich sorgfältig seinen Weg auf den schmalen Wasserstreifen zwischen ihnen suchen. Oft schien es, als ob der Weg unwiderruflich zu Ende sei, doch immer wieder ließ sich eine schmale Rinne entdecken, durch die das Schiff sich mit voller Schraubenkraft hindurchzwängte, während die scharfkantigen Schollenränder sich knirschend an seinen Flanken rieben.
Dem Kapitän Lewis war nicht wohl bei dieser Fahrt. Sprang etwa der Wind um, trieb er die Schollen gegen die Küste hin, dann mußten sie sich ja zu dem gefürchteten Packeis zusammenschieben, würden sein Schiff umklammern, einschließen . . . für lange Zeit, vielleicht für immer. Alles kam darauf an, daß der Landwind anhielt, solange das Schiff sich in diesem gefährlichen Gebiet befand. Er war froh, als das Ziel endlich erreicht war und die ›City of Boston‹ unmittelbar neben einem Felsplateau ihre Anker in zwanzig Faden Wassertiefe niederrasseln ließ, und gab Befehl, sofort mit der Ausschiffung der Expedition zu beginnen.
Eine schwere, für diesen Zweck in den Albany-Werken besonders konstruierte Laufbrücke wurde von zwei Schiffskränen zu dem Plateau hinausgelegt, und der schwere Raupenwagen glitt über sie hin an Land. Der Treibstoff folgte. Eiserne Fässer, jedes hundert Kilo enthaltend, wurden über die Brücke gerollt und von der Mannschaft auf dem Plateau aufgestapelt.
Mr. Bolton hatte aus seinem früheren Unfall eine Lehre gezogen und diesmal ein tief siedendes Benzin gewählt, das auch bei der strengsten Kälte nicht erstarrte. Zweihundert solcher Fässer wurden an Land gebracht. Sie bedeuteten einen Treibstoffvorrat von zwanzig Tonnen, ausreichend für eine Fahrtstrecke von mehr als 20 000 Kilometern. Hier hatte Bolton nicht gespart, denn Treibstoff bedeutete ja Bewegungsmöglichkeit, Bewegungsfreiheit für die Expedition, bedeutete Wärme und Licht während der langen Fahrten durch die eisige Einöde.
Proviant kam nach dem Treibstoff ans Land. Konserven aller Art, die Büchsen in Kisten zu handlichen Gepäckstücken vereinigt, eine hinreichende Menge, um den Nahrungsbedarf der fünf Teilnehmer der Expedition auf viele Monate sicherzustellen. Danach Pelze und Bekleidungsstücke in beträchtlicher Zahl, obwohl der mächtige Raupenwagen einen sicheren Schutz vor allen Unbilden des polaren Klimas bot.
Kaum war das letzte Stück an Land, als die Brücke zurückgenommen wurde. Dumpf heulte die Sirene der ›City of Boston‹ auf, grollend kam das Echo von den Felswänden zurück . . . Die Schrauben begannen zu arbeiten. Langsam beschrieb der graue Rumpf in dem engen Fahrwasser einen kurzen Bogen, vorsichtig entfernte sich das Schiff von der Küste und suchte den Weg zum freien Meer zu gewinnen. Zusehends waren die offenen Rinnen in der kurzen Zeit, die es hier gelegen hatte, schmaler geworden, denn der Wind hatte sich derweil gedreht. Mit Mühe glückte es Lewis noch, das offene Meer zu gewinnen. Erleichtert atmete er auf, als sein Schiff in eisfreiem Wasser mit voller Maschinenkraft nach Norden dahinzog. – –
Bolton und Garrison standen mit Captain Andrew am Rande des Plateaus und schauten der ›City of Boston‹ nach, bis ihre Schornsteine am Horizont verschwanden. Scharf blies ihnen der Wind von der See her entgegen und nahm von Minute zu Minute an Stärke zu. Sturmartig peitschte er jetzt die See und drückte die Eismassen mit unwiderstehlicher Gewalt gegen das Ufer. Donnernd und krachend zerbarsten die mächtigen Schollen, wenn die vereinigte Wucht von Sturm und Meer sie gegen die Felsschroffen schleuderte. Doch immer neue Schollen trieben heran, schoben sich aufeinander, türmten sich hoch und immer höher. Schon stand das Eis mehrere hundert Meter weit wie eine kompakte Masse vor der Steilküste, ächzte und stöhnte unter dem gewaltigen Druck und wuchs immer weiter in die See hinaus.
»Wir haben Glück gehabt, Mr. Bolton«, sagte Captain Andrew. »Wenn wir eine Stunde später kamen, hätten wir lange nach einer Landungsmöglichkeit suchen können. Möge uns das Glück auch weiterhin günstig sein.«
Garrison fröstelte in dem eisigen Sturm.
»Gehen wir in unsern Wagen«, schlug er vor, »und fassen wir dort unsere Entschlüsse für die nächste Zukunft.«
Der Wagen, nach den Entwürfen von Andrew gebaut, war wesentlich größer als die Fahrzeuge der Willeschen Station. Gut fünfzehn Meter lang und über drei Meter breit enthielt er reichlichen Raum nicht nur für Bolton, Garrison und Andrew, sondern auch für den Wagenführer Parlett und für den Funker Bowson und vermochte außerdem noch eine bedeutende Nutzlast mitzunehmen.
Die Tanks dieses riesigen Vehikels faßten zwei Kubikmeter und schluckten somit fast anderthalb Tonnen Treibstoff. Unter einigermaßen normalen Verhältnissen mußte diese Menge für 150 Fahrstunden ausreichen.
Bei Annahme einer Stundengeschwindigkeit von dreißig Kilometer ließen sich damit gut 2000 Kilometer bewältigen, und mit dieser Tatsache operierte Bolton bei der Besprechung, welche die drei jetzt in dem Wagen hatten. Mit Zähigkeit vertrat er die Ansicht, man müsse sofort in das Gebiet unter dem 80. Breitengrad vorstoßen und dort von dem kostbaren Erz soviel einsammeln, wie der Wagen eben zu tragen vermöge. Während Garrison sich neutral verhielt, trat Andrew diesem Plan energisch entgegen, wobei er sich auf seine langen Erfahrungen berufen konnte. – –
Captain Andrew wollte von Anfang an systematisch vorgehen und so, wie er es von seinen früheren Expeditionen her gewöhnt war, auf der Strecke, die sie einzuschlagen beabsichtigten, in nicht allzu weiten Abständen eine Kette von Treibstoff- und Lebensmitteldepots anlegen. Ohne Zweifel schaffte ein derartiges Vorgehen größere Sicherheit für die Expedition, aber ebenso zweifellos mußte es auch mit einem erheblichen Zeitverlust verbunden sein. Immer wieder mußte man ja bei seiner Ausführung zu der Landungsstelle zurückkehren und neue Ladung nehmen, bis endlich alles einmal in der gewünschten Weise verteilt war. Bolton aber war ganz von der Idee beherrscht, daß sie keine Zeit mehr verlieren dürften. Ärgerlich schlug er während der Aussprache auf den Tisch und schrie Andrew an:
»So etwas hat man nicht nötig, wenn man über einen zuverlässigen Raupenwagen verfügt. Der deutsche Dr. Wille denkt gar nicht daran, seine Zeit mit solchem Humbug zu vertrödeln. Er fährt los, wohin er will und kehrt erst um, wenn er die Hälfte seines Treibstoffes verbraucht hat.«
Andrew schüttelte den Kopf.
»Sie vergessen, Mr. Bolton, daß Dr. Wille einen unbezahlbaren Rückhalt in den deutschen Stratosphärenschiffen hat, die er im Notfalle immer zu Hilfe rufen kann. Hätten Sie Lust, die Deutschen heranzufunken, wenn uns irgendein Zwischenfall passiert? Möchten Sie sich dann von einem der ›St‹-Schiffe, etwa von Mr. Eggerth jun. oder Mr. Berkoff nach Hause bringen lassen?«
Bolton und Garrison tauschten einen Blick, in dem eine ganze Geschichte lag. Die Namen Eggerth und Berkoff lagen beiden noch schwer im Magen.
»Von den Deutschen müssen wir unter allen Umständen unabhängig sein«, sagte Garrison mit Entschiedenheit.
»Dann müssen wir so verfahren, wie ich es Ihnen eben vorgeschlagen habe, und die Strecke mit Depots besetzen«, erklärte Andrew, und nun gab Bolton seinen Widerstand auf.
»Ich freue mich, daß Sie sich von mir raten lassen, Mr. Bolton«, sagte Andrew.
Die wahren Gründe dieser Meinungsänderung konnte er ja nicht wissen, da es die Herren Bolton und Garrison vorgezogen hatten, über ihr Abenteuer auf der Robinson-Insel zu jedermann zu schweigen. Andrew legte eine Karte auf den Tisch, auf der er die geplante Route bereits eingetragen und die Depots markiert hatte. Bolton musterte sie mit kritischen Blicken und fragte dann:
»Wozu der große Umweg, Captain? Wie ich sehe, wollen Sie zunächst nach Westen bis zum magnetischen Südpol vorstoßen und dann erst nach Süden abbiegen.«
»Aus dem einfachen Grunde, Mr. Bolton, weil der direkte Weg über ein ungemein schwieriges Gelände führt. Sehen Sie hier die Alpenkette mit dem Mount Lewick, fast dreitausend Meter hoch? Ich ziehe es vor, diesem Hindernis aus dem Wege zu gehen und meinen Weg in ebenem Gelände zu suchen. Das finden wir auf der Route, die hier eingezeichnet ist.« –
Den Gründen Andrews konnte sich weder Bolton noch Garrison verschließen und so wurde nach seinen Vorschlägen verfahren. Mit Proviant und Treibstoff bis an die Grenze seiner Tragfähigkeit beladen, stieß der große Raupenwagen zunächst nach Westen vor. Fast unablässig machte Captain Andrew dabei astronomische Ortsaufnahmen, und in Abständen von hundert zu hundert Kilometer wurde ein kleines Depot mit je hundert Kilo Treibstoff und einigen Lebensmitteln errichtet.
Das kostete Zeit, denn Andrew bestand darauf, bei jedem Depot eine reichlich mannshohe Steinpyramide aufzutürmen. Mit Ungeduld sah Bolton darüber die Stunden dahinschwinden.
»Wozu die unnötige Arbeit?« fragte er verdrießlich, »in der Antarktis gibt es weder Eisbären noch Füchse, die uns an die Vorräte gehen könnten.«
»Aber Schneestürme, Mr. Bolton«, erwiderte ihm Andrew, »die uns unser Depot ohne die Steinkegel so verwehen könnten, daß wir sie nie wieder finden.«
Ärgerlich schüttelte Bolton den Kopf und gab sich unwillig in das Unvermeidliche. Er begann es bereits zu bereuen, daß er sich überhaupt mit Andrew eingelassen hatte. – –
Das sechste Depot war angelegt.
»Für ein siebentes haben wir noch Vorrat im Wagen«, sagte Andrew. »Dann müssen wir zur Küste zurück und neues Material holen. Es geht ungefähr auf, wenn wir das siebente an der Stelle anlegen, an der Dr. Wille seine Station hat.«
Er griff wieder zum Sextanten, um eine neue Ortsbestimmung zu machen, denn auf den Kompaß war in diesem Gebiet so nahe dem magnetischen Südpol kaum Verlaß.
»Die Beobachtungen von Dr. Schmidt scheinen zu stimmen«, sagte er, während er zu rechnen begann. »Der magnetische Südpol muß seit seiner ersten Entdeckung von Shackleton stark nach Süden abgewandert sein. Ich denke aber, daß wir die Stelle mit Hilfe der astronomischen Ortsbestimmungen finden werden.«
»Es genügt, wenn wir nur in die Nähe kommen«, warf Garrison ein. »Der hohe Funkmast, die andern Masten für die elektrischen Messungen von Dr. Wille, das läßt sich gar nicht verfehlen. Man sieht es schon auf ein paar Meilen.«
Aber vergeblich spähte Garrison danach aus, während der Wagen Kilometer um Kilometer weiterrollte.
»Hier müßte es sein«, erklärte Andrew, der eben wieder eine Ortsbestimmung gemacht hatte, und befahl dem Wagenführer zu halten. Bolton warf sich den Pelz über und kletterte aus dem Fahrzeug hinaus. Soweit das Auge reichte, dehnte sich die antarktische Hochebene nach allen Seiten, über größeren Flächen hatte der ewige Sturm die Schneemassen fortgeblasen, rötlichgrau trat der nackte Felsboden zutage. Nur hier und da, wo geringfügige Erhöhungen Halt und Widerstand boten, zeigten sich weiße Flecken, ein Zeichen, daß sich dort Schneewehen gebildet hatten. Bolton brachte einen scharfen Feldstecher vor die Augen und musterte das Gelände damit. Plötzlich ließ er ihn wieder sinken und deutete mit der Hand nach vorn.
»Da! Etwa einen halben Kilometer weg, da scheint was Sonderbares zu liegen. So werden Sie es nicht erkennen, Garrison. Nehmen Sie mal mein Glas.«
»In der Tat, merkwürdig«, meinte Garrison nach längerer Betrachtung, »das müssen wir uns in der Nähe besehen –«
Kurz danach hielt der Wagen an jener Stelle. Kopfschüttelnd schritt Garrison um einen Haufen mehr oder weniger zerbrochener hölzerner Bauteile herum, der hier Veranlassung zu einer Schneewehe gegeben hatte und ihnen dadurch von weitem aufgefallen war.
»Merkwürdig, höchst merkwürdig«, wiederholte er immer noch kopfschüttelnd. »Ich erinnere mich, daß der Stapel damals unmittelbar neben der Station von Dr. Wille lag. Wo zum Teufel ist denn die Station geblieben?«
Er fand keine Antwort auf seine Frage, und ebenso vergeblich bemühten sich Bolton und Andrew, das Rätsel zu lösen, denn die deutsche Regierung hatte es nicht für notwendig erachtet, der Öffentlichkeit die Verlegung des antarktischen Institutes bekanntzugeben. Das konnten sie jedoch mit Sicherheit feststellen, daß sie an der richtigen Stelle waren. Die großen in den Felsboden einbetonierten stählernen Haken, an denen früher die Abspannseile des Funkmastes befestigt waren und die man bei der Verlegung der Station zurückgelassen hatte, lieferten einen untrüglichen Beweis dafür.
Während sie dicht neben dem Stapel ihr siebentes Depot anlegten, zerbrach sich Garrison den Kopf, woher die beschädigten Bauteile stammen mochten. Bei seinem damaligen Aufenthalt war er achtlos an ihnen vorübergegangen, und Dr. Wille und seine Leute hatten ihm gegenüber kein Wort über die Sturmkatastrophe verloren, von der die Station betroffen worden war. Blitzartig kam ihm jetzt der Gedanke, daß auch diese Trümmer hier mit dem Bolidensturz zusammenhängen müßten. Wie riesenhaft mußte jenes Geschoß aus dem Wellraum gewesen sein, wenn es noch auf tausend Kilometer derartige Zerstörungen anzurichten vermochte. – –
Ein Ruf Boltons riß ihn aus seinem Sinnen. Das Depot war fertig. In schneller Fahrt und ohne zu rasten ging die Reise zur Mac-Murdo-Bucht zurück, um dort neue Ladung zu nehmen. Ging danach wieder nach Westen auf der schon einmal befahrenen Route. Nach anderthalb Tagen waren sie wieder bei ihrem siebenten Depot und der eigentliche Vorstoß nach Süden konnte beginnen.
Mit wachsender Ungeduld ertrug Bolton die mehrfachen Aufenthalte, die Andrew durch seine wissenschaftlichen Beobachtungen und weiterhin durch die Benutzung der Funkstation verursachte. Bei Benutzung der Radioanlage war es ja unvermeidlich, den hohen Mast auszukurbeln, und das konnte nur geschehen, während der Wagen auf vollkommen ebenem Gelände sicher feststand. Der Funkverkehr Andrews war Bolton ein Dorn im Auge. Am liebsten wäre es ihm gewesen, wenn die Welt gar nichts über den weiteren Verbleib der Expedition erfahren hätte. Wie wäre er erst aufgebraust, wenn er geahnt hätte, daß jedes Funkgespräch Andrews den deutschen Peilstationen Gelegenheit gab, seinen jeweiligen Standort, bis auf wenige Kilometer genau, festzustellen.
Eine gewisse Entschädigung bot ihm das Schicksal dafür in Gestalt einiger Erzfunde. Sooft es einen Aufenthalt gab, stürzte er aus dem Wagen und suchte das über große Strecken schneefreie Gelände mit dem Glas ab. Mehr als einmal sah er es dabei verführerisch aufblinken, eilte zu der betreffenden Stelle hin und konnte einen Erzbrocken in die Tasche stecken. Die einzelnen Stücke waren nicht groß, höchstens einmal ein paar Kilogramm schwer, aber allmählich begann sich ihr Gewicht erfreulich zu addieren. Vergnügt zeigte er Garrison eine Kiste, die fast bis zum Rande mit den Fundstücken gefüllt war, und meinte dazu:
»Wenn's so weiter geht, muß ich es bald ebenso machen wie Captain Andrew.«
»Wie meinen Sie das?« fragte Garrison.
»Depots anlegen, old chap! Wenn ich neben jedem unserer Lebensmitteldepots ein ordentliches Erzdepot aufbauen kann, will ich zufrieden sein.«
Garrison schüttelte den Kopf. »Dazu langt's vorläufig noch nicht, aber vielleicht ein paar hundert Kilometer südlicher. Wenn wir in ein Gebiet kommen, über das der Bolide tüchtig gestreut hat, könnte es Ihnen wohl glücken.« Während er sprach, erwärmte er sich an seinen eigenen Worten. »Das wäre eine Sache, was Bolton? Wenn wir eine volle Schiffsladung für die ›City of Boston‹ an den Mac-Murdo-Sund bringen könnten. 3000 Tonnen kann der Dampfer bequem laden. 3000 Tonnen Erz, Bolton, da wäre für uns beide ausgesorgt.«
›Für mich bestimmt‹, dachte Bolton, aber er zog es vor, den Gedanken für sich zu behalten. – – –