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Der Rückzug der Amerikaner

Garrison bricht zusammen. Bolton muß seine Pläne fahren lassen. Rückzug auf den Mac-Murdo-Sund. Der Sturz in die Eiskluft. Rettung durch ›St 11‹. Die Amerikaner an Bord der ›City of Boston‹.

Über den Verbleib der Andrewschen Expedition drangen seit jenem Novembertage, an dem ›St 11‹ ihr die glänzenden Brocken über den Weg streute, nur spärliche Nachrichten in die Öffentlichkeit. Aus Funksprüchen, die häufiger von dem deutschen Sender in der Antarktis als von der Expedition selber kamen, wußte man wenigstens, daß sie nicht verschollen war, sondern sich unter 75 Grad südlicher Breite langsam in westlicher Richtung durch Viktoria-Land bewegte.

Schweigend hatte sich Captain Andrew in das Unabänderliche gefügt. Er ließ Bolton und Garrison, die er für unheilbare Narren hielt, ihrer Leidenschaft frönen und wartete geduldig auf den Tag, an dem sie unter den Anstrengungen und Strapazen ihrer gegenwärtigen Tätigkeit zusammenbrechen mußten. Seine Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt. Sechs lange Wochen hindurch hielten Bolton und Garrison sich mit Gewalt aufrecht und arbeiteten in zäher Verbissenheit schwerer als die Lastträger in irgendeinem Hafen. Unermüdlich sammelten sie die Erzbrocken auf dem weiten Schneefeld und schleppten sie zu Stapeln zusammen, obwohl ihre Hände zerrissen und zerschunden waren und jeder Muskel, jedes Glied sie schmerzte.

Den fünfzigsten Stapel hatten sie gesetzt, da kam bei Garrison der Zusammenbruch. Als ihn Bolton aus unruhigem, fiebrigem Schlaf weckte, vermochte er sich nicht mehr von seinem Lager zu erheben. Apathisch blieb er liegen, so viel Bolton auch tobte und wetterte. Fluchend gab er es schließlich auf und verließ in übler Laune den Wagen, um allein an die schwere Arbeit zu gehen.

Jetzt hielt Captain Andrew es an der Zeit, einzugreifen. Im Verlauf seiner früheren Expedition hatte er gewisse ärztliche Erfahrungen gesammelt, die ihm nun bei einer gründlichen Untersuchung Garrisons zugute kamen. Das Ergebnis übertraf seine Befürchtungen.

Andrew fand eine durch übermäßige Anstrengungen hervorgerufene Herzerweiterung verbunden mit einer Herzschwäche, die ihn veranlaßte, schleunigst zu den Digitalistropfen des Arzneischrankes zu greifen. Dazu vernachlässigte Erfrierungen an den Händen und Füßen, die stellenweise schon brandig zu werden drohten.

Kopfschüttelnd stellte Andrew das alles fest. Wie konnte ein Mann von der wissenschaftlichen Vorbildung Garrisons es so weit mit sich kommen lassen? Wie sehr mußte er in seine fixe Idee verrannt sein, daß er alle diese bedrohlichen Erscheinungen so lange unbeachtet ließ!

Unter der sachkundigen Behandlung Andrews besserte sich Garrisons Zustand im Laufe der nächsten Stunden zusehends. Er vermochte seine Glieder wieder zu bewegen und betrachtete verwundert seine Hände, die in dicken Verbänden steckten.

»Bleiben Sie ganz ruhig liegen, Mr. Garrison«, befahl Andrew, als er es versuchte, sich in seinem Bett aufzurichten.

»Ich muß raus, Captain, muß Bolton helfen, das Erz einzusammeln. Jede Stunde ist kostbar.«

Andrew drückte ihn auf das Kissen zurück.

»Damit ist es vorläufig vorbei, dear Sir. Wenn ich Sie über den Berg bringen soll, brauchen Sie für die nächsten Wochen absolute Ruhe und größte Schonung. Sie haben sich einen Herzknacks geholt, der sich unter Brüdern sehen lassen kann . . .«

»Aber ich muß, Captain! Was wird Bolton sagen, wenn ich ihm nicht weiter helfe?«

Andrew zuckte die Achseln. Er erkannte, daß hier nur brutale Offenheit helfen konnte.

»Mr. Bolton kann sich höchstens an Ihrem Begräbnis beteiligen, wenn Sie jetzt ungehorsam sind und gegen meine Verordnungen handeln. Ein Begräbnis in der Antarktis, Mr. Garrison! Es wäre nicht das erste, dem ich beiwohnen würde. Man hackt ein Loch in das Eis, packt den Toten hinein, schichtet die Eisbrocken über ihn und steckt ein Holzkreuz daneben. Sechs solcher Kreuze kenne ich, Mr. Garrison. Sie stehen drüben in Marie-Byrd-Land. Vor vier Jahren habe ich sie dort hingesetzt. Es täte mir leid, wenn ich hier ein siebentes in den Schnee stecken müßte.«

Die Worte Andrews, der ernste, fast düstere Ausdruck, der in seinen Mienen lag, während er sie sprach, verfehlten ihre Wirkung auf den Kranken nicht. Zum erstenmal seit Wochen versuchte er wieder nüchtern zu denken und sich von dem Goldtaumel frei zu machen. In der ruhigen objektiven Art, die Andrew von früher her an ihm kannte, begann er Fragen über seinen Zustand zu stellen.

»Ihr Zustand ist derartig, mein lieber Mr. Garrison«, erwiderte ihm Andrew, »daß Sie Ihrem Schöpfer danken müssen, wenn die Herzschwäche in den nächsten Tagen nachläßt. Ob wir ohne Amputation einiger Finger und Zehen auskommen werden, ist im Augenblick noch zweifelhaft. Ich sage Ihnen nochmals: unbedingte Ruhe für die nächste Zeit. Mit Mr. Bolton werde ich selber ein ernstes Wort reden.« – –

Das Wort wurde gesprochen, als Bolton nach dreistündiger Abwesenheit zu dem Wagen zurückkam, aufgeregt, polternd und fluchend, daß Garrison immer noch schlappmache.

Bolton hatte sich ein großes Weinglas bis an den Rand voll Whisky gegossen und wollte es eben zum Munde führen, als die Rechte Andrews sein Handgelenk umklammerte und ihn zwang, das Glas wieder niederzusetzen.

»Einen Augenblick, Mr. Bolton. Ich möchte erst einmal Ihr Herz untersuchen.«

Vergeblich mühte sich Bolton, seine Hand loszumachen. Er hätte sie eher aus einem Schraubstock frei bekommen als aus der muskulösen Faust Captain Andrews. Bolton war gewiß kein Schwächling, aber der körperlichen Kraft Andrews und seinen gewandten Griffen war er nicht gewachsen. Wie ein Kind zog ihn der hinter sich her in den Nebenraum. Ehe er sich's versah, lag er dort auf einem Ruhelager. Mit der Rechten drückte der Captain ihn nieder, mit der Linken öffnete er ihm wie spielend Rock und Weste und legte ihm die Brust frei. Hatte dann plötzlich ein Stethoskop in der Hand und begann die linke Seite des Liegenden abzuhorchen.

Bolton gab den Widerstand auf. Jetzt, da er hier ausgestreckt und entspannt auf dem Polster lag, spürte er erst richtig, wie miserabel ihm eigentlich zumute war. Neugierig verfolgte er die Untersuchung, die Andrew mit ihm anstellte. Der behorchte und beklopfte ihn von allen Seiten, schob dann das Stethoskop zusammen und steckte es in die Tasche. Ohne ein Wort zu sagen, betrachtete er seinen Patienten lange mit nachdenklichem Ernst, wiegte dabei den Kopf kaum merklich. Bolton wurde sein Schweigen schließlich unheimlich. Er konnte nicht länger an sich halten und brach los.

»Reden Sie doch, Captain Andrew! Haben Sie was entdeckt?«

Die wiegende Bewegung von Andrews Haupt wurde stärker. »Ich habe mir sagen lassen, Mr. Bolton, daß ein Herzschlag der schönste Tod sein soll. Es wird einem schwarz vor Augen, man fällt um und ist in der nächsten Sekunde im Jenseits.«

Bolton starrte ihn mit aufgerissenen Augen an.

»Was sprechen Sie von Herzschlag? Wie kommen Sie darauf?«

»Sie riskieren jedesmal einen hübschen kleinen Herzschlag, Mr. Bolton, wenn Sie von Ihrer irrsinnigen Arbeit erschöpft hierherkommen und sich mit einer Mordsdosis Alkohol zu neuen Anstrengungen aufpeitschen. Hundertmal mag's gut gehen, beim hundertunderstenmal spielt der mißhandelte Herzmuskel nicht mehr mit und dann . . . ich hatte bereits Gelegenheit, Ihrem Freund Garrison ein Begräbnis in der Antarktis zu schildern. Die Toten halten sich gut im Polareis. Die sechs drüben in Marie-Byrd-Land dürften heut noch ebenso frisch aussehen wie damals vor vier Jahren, als wir sie in das Eis betteten . . .«

Bolton hatte sich aufgerichtet und starrte Captain Andrew wie ein Gespenst an. Der fuhr unbewegt fort. »Für Ihre Seele, Mr. Bolton, möchte ich auf Grund unserer bisherigen Bekanntschaft jede Garantie ablehnen. Wenn Sie aber Wert darauf legen, daß Ihre sterblichen Überreste für die nächsten zehntausend Jahre gut konserviert werden, dann empfehle ich Ihnen, jetzt Ihren Whisky auszutrinken und wieder auf das Eis hinauszulaufen.«

Boltons Kehle war trocken, heiser kamen die Worte aus seinem Munde: »Sie scherzen, Captain Andrew . . . Sie wollen mich erschrecken . . .«

»Wo es um Leben oder Sterben geht, scherze ich nicht, Mr. Bolton. Ihr Freund Garrison ist körperlich zusammengebrochen, es wird langer Zeit bedürfen, um ihn wieder auf dir Beine zu bringen. Sie sind der Robustere. Sie können das Spiel noch ein Weilchen weitertreiben, aber lange auch nicht mehr, das sage ich Ihnen aus voller Überzeugung. Jeden Augenblick kann Ihr Schicksal Sie ereilen, wenn Sie so unsinnig weiterleben.«

Die rote Gesichtsfarbe Boltons war einer fahlen Blässe gewichen. Alt und verfallen sah er plötzlich aus, wie er jetzt dasaß und erschrocken zu Andrew hinaufschaute.

Der spürte Mitleid mit ihm. »Ich habe Ihnen ebenso offen wie vorher Garrison meine Meinung über Ihren Zustand gesagt. Es steht ganz bei Ihnen, ob Sie hier zugrunde gehen oder wieder gesunden wollen.«

»Sie glauben, Captain, das wäre möglich?«

»Unbedingt, Bolton. Wenn Sie sich jetzt strikte meinen Anordnungen fügen, können Sie noch hundert Jahre alt werden. Sie haben, mit Respekt zu sagen, eine Ochsennatur. Die Aussicht auf eine völlige Wiederherstellung ist bei Ihnen größer als bei Garrison, aber folgsam müssen Sie sein. Kommen Sie jetzt mit hinüber, wir wollen zusammen essen. Danach müssen Sie sich dann ein paar Stunden aufs Ohr legen.« – –

Das Mahl begann schweigsam. Die Blicke Boltons gingen zwischen dem leeren Platz Garrisons und dem vollen Whiskyglas hin und her. Andrew nahm das Glas, goß seinen halben Inhalt in die Flasche zurück und schob es Bolton hin.

»Eine kleine Herzstärkung muß ich Ihnen schon erlauben, weil Sie nun einmal daran gewöhnt sind. Aber mit Maßen, alter Freund, sonst . . . Sie wissen, was Ihnen passieren könnte.«

Bolton trank und fühlte sich danach wohler. Langsam kehrten seine Gedanken zu dem zurück, was ihn diese letzten Wochen so sehr beschäftigt hatte, und schließlich hielt er es nicht mehr aus, er mußte davon zu Andrew sprechen.

»Das Erz, Captain Andrew, das kostbare Erz . . . ich möchte sagen, der Himmel hat's uns auf unsern Weg gestreut. Sollen wir es denn wirklich liegen lassen?«

»Ich will Ihnen mal etwas sagen«, unterbrach ihn Andrew. »Nach meinen Beobachtungen haben Sie bisher rund fünfzig Erzhaufen zusammengeschleppt. Das Gewicht jedes einzelnen davon taxiere ich auf etwa zwei bis drei Tonnen. Macht zusammen hundert bis hundertundfünfzig Tonnen. In Frisko erzählten Sie mir, daß allerlei Edelmetall in dem Zeug stecken soll. Da müßten doch hundert Tonnen schon einen recht annehmbaren Wert haben.«

»Aber es liegt ja noch viel mehr da, Captain. Hunderte, vielleicht Tausende von Tonnen. Soweit man sehen kann, ist das Land damit besät.«

»Stop, Bolton! Wir sprechen hier nur von dem, was Sie bereits zusammengelesen haben. Wie hoch schätzen Sie den Wert davon?«

Während Andrew es sagte, griff er nach Bleistift und Papier. Bolton schwieg und überlegte. Bisher hatten Garrison und er es vermieden, Andrew irgendwelche genaueren Angaben über den wirklichen Gehalt der früher von ihnen analysierten Proben zu machen. Sollte er das Geheimnis jetzt preisgeben, um dadurch den Captain vielleicht für ein weiteres Einsammeln zu interessieren? Zögernd begann er zu sprechen.

»Es könnte recht wohl sein, daß bis zu zehn Prozent Gold in dem Erz stecken . . .«

Der Bleistift in Andrews Hand glitt über das Papier.

»Zehn Prozent von hundert Tonnen sind zehn Tonnen oder zehntausend Kilogramm, Mr. Bolton. Zehntausend Kilogramm Gold . . . der Marktpreis für das Gold beträgt meines Wissens 2700 Mark . . . das wären ja 27 Millionen, die Sie bisher zusammengelesen haben. Ja, Mann Gottes, genügt Ihnen denn das immer noch nicht?«

»Wenn man tausend Tonnen hätte . . . wenigstens tausend Tonnen, Captain Andrew.«

»Würde man gar nicht wissen, wie man sie an den Mac-Murdo-Sund und ins Schiff bringen sollte. Schon die hundert oder meinetwegen hundertundfünfzig Tonnen werden uns allerlei Kopfschmerzen machen. Wenigstens fünfmal werden wir fahren müssen, um das Zeug an die Küste zu bringen. Es wäre heller Wahnsinn, wenn Sie auch nur noch einen Zentner mehr davon sammeln wollten.« – –

Notgedrungen fügte sich Bolton schließlich den Gründen Andrews. Er konnte sich ihnen nicht verschließen, aber das Herz blutete ihm bei dem Gedanken, daß so viel von dem kostbaren Erz in der Antarktis zurückbleiben sollte, und es erfüllte ihn mit Bitterkeit, daß vielleicht irgendein anderer kommen und diese Schätze heben könnte.

Die Möglichkeit dazu war nach den amerikanischen Nachrichten, welche die Funkstation der Expedition in den letzten Tagen aufgefangen hatte, zweifellos gegeben. In ihrem Taumel hatten sich bisher weder Garrison noch Bolton um diese Funksprüche gekümmert, jetzt benutzte Bolton die erzwungene Ruhe, um sie nachträglich zu lesen und ersah daraus mit Unbehagen, daß auch noch andere Leute ihr Glück in der Antarktis versuchen wollten. Nicht weniger als vier Expeditionen waren danach in Vorbereitung und sollten im nächsten Sommer nach dem sechsten Kontinent abgehen. Mit einem starken modernen Flugzeug wollte es Ellsworth versuchen. Bolton kannte den Mann von Frisko her und wußte, daß der auszuführen pflegte, was er sich vornahm.

Ganz auf die alte Manier mit Schlitten und Hunden beabsichtigte der in den Vereinigten Staaten lebende Norweger Lars Rinsen, einen Vorstoß in die Antarktis zu unternehmen. Er vertrat den etwas verstaubten Grundsatz, daß kleine Trupps von drei bis vier Mann mit fünfzig Polarhunden die Pole leichter erobern als ganze Armeen. Auch der alte Byrd rührte sich. Ein Funkspruch aus Boston meldete, daß er seinen bei früheren Polfahrten bewährten Kutter ›Bear‹ frisch auftakeln ließ. Endlich machte Hubert Wilkins wieder von sich reden. Er ließ an einem neuen U-Boot arbeiten, mit dem er unter dem antarktischen Eis vordringen wollte. Ein wahrer Wettlauf nach der Antarktis schien plötzlich einzusetzen. – –

Andrew saß bei seinen Instrumenten, mit allerlei Messungen beschäftigt, als Bolton, die Depeschen in der Hand, zu ihm kam. »Begreifen Sie das, Captain? Ich, offen gestanden, nicht. Gleich vier Expeditionen auf einmal? Sind denn die Leute in den Staaten übergeschnappt?«

Schweigend schob ihm Andrew ein anderes Blatt hin. Es war ein neuer Funkspruch, erst vor wenigen Minuten aufgenommen. Bolton las ihn und fühlte seine Knie schwach werden. Schwerfällig ließ er sich auf den nächsten Stuhl nieder.

»Was heißt das, Andrew? Deutschland löst seine Banknoten wieder in Gold ein? Was soll das bedeuten?«

»Ich nehme an, Mr. Bolton, daß Deutschland in seiner neuen Kolonie in der Antarktis eine ergiebige Goldmine entdeckte, die ihm den Luxus erlaubt, wieder zur Goldwährung zurückzukehren. Damit haben Sie auch gleich die Antwort auf Ihre übrigen Fragen. Die Herren Ellsworth und Genossen wollen natürlich auch Gold in der Antarktis finden. Mit wissenschaftlichen Dingen haben ihre Expeditionen nach meiner Meinung wenig zu tun.«

Eine geraume Weile blieb Bolton schweratmend auf seinem Stuhle sitzen. Er brauchte Zeit, um diese Neuigkeiten zu verdauen. Andrew überließ ihn sich selber und widmete seine ganze Aufmerksamkeit einem neuen hochempfindlichen Bathometer, das die Schwerkraft bis auf Bruchteile eines Grammes genau registrierte.

»Es wäre nicht ausgeschlossen, daß hier Gold in größeren Mengen vorhanden ist«, sagte er mit einem Blick auf die von dem Meßinstrument gezeichnete Kurve, »aber es muß sehr tief liegen. Es dürfte kaum möglich sein, es zu erreich . . .«

Die Stimme Boltons fuhr dazwischen. »Höchste Zeit, Captain Andrew, daß wir unser Gold in Sicherheit bringen. Es muß in den Staaten längst auf dem Markt sein, bevor die andern hierherkommen. Wir müssen sofort alles an den Mac-Murdo-Sund schaffen und nach Frisko funken, damit die ›City of Boston‹ rechtzeitig da ist.« – –

Im deutschen antarktischen Institut trug der lange Dr. Schmidt während der nächsten Tage und Wochen mit gewohnter Methodik und Sorgfalt die Peilmeldungen über die Andrewsche Expedition in eine Karte ein. Er war eben wieder damit beschäftigt, als ein Stratosphärenschiff von der Kraterstation her ankam und Reute zu ihm ins Zimmer trat.

»Sie funkten mir, Kollege Schmidt, daß die Andrewsche Expedition in diesem Jahre unsere Kreise nicht mehr stören wird«, fragte er beim Hereinkommen.

Schmidt wies auf die Karte, die mit verschiedenfarbigen Linien bedeckt war. »Ich bin davon überzeugt, Herr Ministerialdirektor. Sie sind seit Wochen eifrig dabei, das gesammelte Erz nach dem Mac-Murdo-Sund zu schaffen. Drei Reisen dorthin haben sie schon hinter sich. Die schwarze Linie hier bedeutet die erste, die rote die zweite und die blaue die dritte Reise. Ich kann's mir plastisch vorstellen, wie die Herren Bolton und Garrison dabei sind, die Erzstapel in ihren Tankwagen zu bringen. Sie werden ihn wohl jedesmal bis unters Dach vollpacken, und danach geht die Fahrt dann mit vollem Dampf an die Küste. Augenblicklich bewegt sich die Expedition wieder landeinwärts, um neue Ladung zu fassen. Ich nehme an, daß sie ihre Beute noch in Sicherheit bringen wollen, bevor das Eis im Mac-Murdo-Sund zugeht.«

Aufmerksam betrachtete Reute die Karte, meinte dann: »Es wäre ja sehr erfreulich, wenn Sie recht hätten, Herr Doktor. Soviel ich über die beiden Amerikaner gehört habe, werden sie sich von ihrem Erz kaum trennen, sondern es mit sich nach Frisko nehmen. Ein Glück wär's, wenn wir sie hier wirklich loswürden. Captain Andrew ist reiner Wissenschaftler, ein durch und durch anständiger Kerl und wird uns nicht stören.« – – –

Ganz so wie Schmidt die Dinge im Geiste sah, spielten sie sich nun in Wirklichkeit nicht ab. Der lange Schmidt wußte ja nichts von dem Zusammenbruch Garrisons und der Erkrankung Boltons. Noch immer hatte Garrison sorgsame Pflege nötig, und auch Bolton durfte sich nicht persönlich an dem Einladen der Erzstapel beteiligen. Das besorgten jetzt Parlett und Bowson gegen eine reichliche Extrabezahlung. Aber Bolton ließ es sich nicht nehmen, dabeizustehen, und dreimal hatte es zwischen Andrew und ihm schon mächtigen Krach gegeben, weil er jedesmal mehr Erz mitnehmen wollte, als sich mit der Tragfähigkeit des Wagens vereinbaren ließ.

Jetzt waren sie zum vierten Male dabei, Ladung zu nehmen, und sie hatten Eile damit. Schon war die Sonne unter den Horizont gesunken, und die Dämmerung der aufkommenden Polarnacht begann einzusetzen. Nach den letzten Funksprüchen befand sich die ›City of Boston‹ auf dem Wege zur Antarktis bereits in der Nähe des Polarkreises und meldete von dort neues Treibeis. Es kam alles darauf an, mit dem Rest der wertvollen Beute rechtzeitig die Küste zu erreichen und sich einzuschiffen, bevor die Eisverhältnisse noch schlechter würden.

Um Tage, vielleicht sogar nur um Stunden ging es, wenn man in diesem Jahr noch glücklich von der Antarktis fortkommen wollte. Noch eine fünfte Fahrt etwa war bei der Knappheit der Zeit vollkommen ausgeschlossen. Das wußte auch Bolton sehr gut, und in seiner Goldgier ließ er sich zu einem Schritt hinreißen, der schwerwiegende Folgen nach sich ziehen sollte. –

Um zwei Uhr morgens nach mitteleuropäischer Zeit fing der neue Funker, der jetzt an Lorenzens Stelle in der deutschen Station seines Amtes waltete, einen Hilferuf der Andrewschen Expedition auf.

»Also doch!« war alles, was Dr. Schmidt über die verkniffenen Lippen brachte, als man ihm das Telegramm vorlegte. Es war in englischer Sprache gehalten, und die wenigen Worte ›an ugly breakdown‹ darin erhellten ihm blitzartig die Situation. Natürlich hatten die Amerikaner in ihrer Sucht, möglichst viel von dem Erz mitzunehmen, den Wagen überladen und ebenso natürlich war der unter der übermäßigen Belastung zusammengebrochen.

Während Dr. Schmidt diesen ersten Notruf noch studierte, kam der Funker bereits mit einem zweiten Telegramm, demzufolge die Lage noch ernster schien. Das Fahrzeug Andrews war demnach im Begriff, einen ziemlich steilen Abhang hinaufzufahren, als in dem letzten Teil des Getriebes, der die Motorkraft auf die in der Raupenkette laufenden Räder übertrug, ein Bruch eintrat. Schon in der Ebene wäre das ein übler Zwischenfall gewesen, hier wurde es noch schlimmer. Infolge der übertriebenen Belastung begann der Wagen, jetzt nicht mehr vom Motor gehalten, rückwärts zu Tale zu rollen. Alle Versuche des Wagenführers, zu bremsen, waren vergeblich. Schnell und immer schneller ging die Fahrt rückwärts, während das angebrochene Getriebe restlos zermalmt und zerstört wurde. Bei der Schnelligkeit, mit der sich alles abspielte, verlor der Fahrer in der Dunkelheit die letzte Gewalt über den mächtigen Tankwagen. Steuerlos raste das Fahrzeug einen Steilhang hinab und prallte schließlich in eine Eiskluft, in der es mit jähem Schlag und Ruck fast senkrecht steckenblieb.

Im stillen bewunderte Dr. Schmidt die eiserne Ruhe Captain Andrews, der in solcher Lage noch eine genaue Ortsbestimmung gemacht hatte und in dem zweiten Funkspruch die Stelle des Unfalls auf Bogenminuten genau angab. Der Doktor zeichnete den Punkt auf derselben Karte ein, auf der er bereits die früheren Fahrten der Andrewschen Expedition markiert hatte und maß die Entfernung bis zur deutschen Station ab. Es waren etwas mehr als siebenhundert Kilometer. Auch bei forcierter Fahrt würden die deutschen Wagen viele Stunden gebrauchen, um dorthin zu gelangen.

Er überlegte noch, als der Funker wiederkam und um weitere Instruktionen bat.

»Fragen Sie erst bei Captain Andrew an, ob der Motor noch läuft und die Amerikaner noch Licht und Wärme in ihrem Wagen haben. Wenn ja, kommen Sie mit der Antwort zu mir, wenn nein, nehmen Sie sofort Verbindung mit der Kraterstation und fragen Sie, ob ein Stratosphärenschiff abkömmlich ist.«

»Sehr wohl, Herr Ministerialrat«, sagte der Funker und verschwand wieder.

Seitdem der lange Doktor während Willes Urlaub das deutsche antarktische Institut zu leiten hatte, war er noch um ein beträchtliches Stück ministerialrätlicher geworden; in allen seinen Entscheidungen und Anweisungen kam das zum Ausdruck. Auch jetzt war seine Anordnung bei aller Knappheit zweifellos sachlich richtig.

Nur eins hatte er dabei übersehen und konnte es auch beim besten Willen nicht wissen. Den Umstand nämlich, daß ›St 11h‹ mit Hein Eggerth und Berkoff als Piloten an Bord nach Ablieferung einer Ladung Treibstoff vor kurzem die Kraterstation verlassen hatte.

»Wollen doch mal hören, was der biedere Schmidt in seinem Bau treibt, vielleicht erwischen wir ein Lebenszeichen von ihm«, meinte Berkoff und stellte den Empfänger des Stratosphärenschiffes auf die Welle der deutschen Station ein. Von Dr. Schmidt vernahm er zunächst nichts, aber er kam gerade noch zurecht, um den zweiten Notruf der amerikanischen Expedition aufzufangen, der auf dieser Wellenlänge von Andrews Funker gegeben wurde. Eilig notierte er die Ortsbestimmung.

»Was gibt's?« fragte Eggerth, der ihn schreiben sah.

»Schöne Geschichte, Hein. Captain Andrew hat einen ›Breakdown‹, der nicht von schlechten Eltern zu sein scheint. Sein Wagen steckt kopfheister in einer Eiskluft. Er bittet Schmidt um schnelle Hilfe.«

Noch während er sprach, hatte Hein Eggerth ihm das Blatt aus der Hand genommen und verglich die Ortsbestimmung mit der Karte neben der automatischen Steuervorrichtung des Stratosphärenschiffes, die den jeweiligen Standort des Schiffes selbsttätig anzeigte. Berkoff hörte und schrieb inzwischen weiter, schüttelte den Kopf und brummte vor sich hin.

»Schlechte Aussicht für Captain Andrew. Im Augenblick kein anderes Schiff am Krater. Schmidts Wagen können vor morgen früh nicht an der Unfallstelle sein.«

»Aber wir, Georg! Wenn wir unsern Motoren etwas Kattun geben, können wir in einer Stunde da sein.«

Noch während er es sagte, griff Hein Eggerth in die Steuerung, das Schiff beschrieb einen Viertelkreis und jagte auf neuem Kurs der Stelle zu, an der Andrews Tankwagen vom Verhängnis ereilt worden war.

»Sage mal, Georg, beißen sie dich, oder aus welchem andern Grunde kratzt du dir so nachdrücklich deine Tolle?« fragte Eggerth nach einiger Zeit.

»Hm, Hein . . . hm wie stellst du dir eigentlich unser Wiedersehen mit den Herren Garrison und Bolton vor? Ich fürchte, es wird dabei nicht ohne einige Auseinandersetzungen abgehen.«

»Ei verdammt ja! Du könntest am Ende mit deiner Vermutung recht haben. Aber das hilft nun nichts, wir müssen Captain Andrew mit seiner Karre aus dem Dreck ziehen.«

»Müssen wir, Hein. Ist unsere Pflicht. Captain Andrew wird uns auch dankbar dafür sein. Aber ich fürchte sehr, daß Bolton und Garrison bei der Gelegenheit die alte Geschichte von der Robinson-Insel aufs Tapet bringen werden. Wie wollen wir uns da verhalten?«

Die beiden Piloten überlegten hin und her, aber sie fanden keine rechte Antwort auf die schwierige Frage.

»Ah, bah«, meinte Berkoff schließlich und zündete sich eine Zigarette an. »Wir wollen die Dinge einfach an uns herankommen lassen. Im entscheidenden Moment wird uns schon eine passende Antwort einfallen. Vielleicht ist es am besten, wenn wir uns absolut dumm stellen . . . so tun, weißt du, Hein, als ob die Amerikaner die Geschichte von der Insel überhaupt nur geträumt haben. Wer weiß, in welchem Zustand wir sie vorfinden, vielleicht glauben sie's sogar am Ende selber.«

Schon während der letzten Worte hatte Berkoff wieder zum Bleistift gegriffen und notierte die Funksprüche mit, die zwischen Captain Andrew und der deutschen Station hin und her flogen.

»Aha! Das ist es Hein. Sie erwarten ihren Dampfer, die ›City of Boston‹, im Mac-Murdo-Sund, möchten ihn mit dem havarierten Wagen noch erreichen, bevor das Eis in der Bucht zugeht . . . leicht gesagt, aber schwer getan, mein lieber Captain Andrew. Den Wunsch wirst du dir wohl verkneifen müssen.«

Geraume Zeit schwiegen beide. Sie waren der Unfallstelle jetzt so nahe, daß genaue astronomische Ortsbestimmungen notwendig wurden, die Berkoff für die nächsten Minuten vollauf in Anspruch nahmen. Als er sie hatte, schob er sie Hein Eggerth hin, der danach den Kurs des Stratosphärenschiffes ein wenig änderte und halblaut bemerkte:

»Vielleicht können wir dem Captain seinen Wunsch doch erfüllen. ›St 11h‹ fliegt fast leer. Wir haben diesmal nur wenig mehr als zwei Tonnen Gold an Bord genommen« – – –

Es sah böse in dem amerikanischen Wagen aus, als er nach dem Unfall endlich zum Stillstand kam. Zwar steckte er nicht ›kopfheister‹, wie Berkoff sich ausdrückte, in der Eiskluft, sondern mit dem Vorderteil höher als mit den Hinterrädern, aber um einen Winkel von mehr als 45 Grad geneigt. Selbst in unversehrtem Zustand hätte er sich mit eigener Kraft nicht herausarbeiten können.

Motoren und Dynamomaschinen waren außer Betrieb. Glücklicherweise hatte die Akkumulatorenbatterie nicht gelitten, aber ihre Leistung war begrenzt. Es ließ sich auf die Minute voraussehen, wie lange sie noch Strom für die schwache Notbeleuchtung und die Funkanlage zu liefern vermochte. Längst bevor die deutschen Wagen hier sein konnten, mußte sie erschöpft sein. Ohne Licht und ohne Verständigungsmöglichkeiten mit der Außenwelt würden die Insassen des verunglückten Wagens dann allen Unbilden der Polarnacht preisgegeben sein.

Die waren verhältnismäßig glimpflich davongekommen. Da sie sich schon während des Unfalles, während der Wagen führerlos schnell und immer schneller den Abhang hinunterraste, zu Boden warfen und irgendwie und irgendwo festzuklammern versuchten. So waren Captain Andrew und der Funker mit ein paar unbedeutenden Schrammen davongekommen. Der Wagenführer auf seinem Sitz und Garrison auf seinem Krankenlager waren von Anfang an so gesichert, daß ihnen kaum etwas passieren konnte. Nur Bolton war von dem letzten Sturz überrascht mit dem Kopf gegen einen Türpfosten geschleudert worden. Der Pfosten erwies sich bei diesem Zusammenprall als der stärkere, und Bolton trug eine faustgroße Beule auf der Stirn davon, die er fluchend drückte und kühlte, während er die Vorwürfe Garrisons über sich ergehen lassen mußte.

Sofort nach dem Unglück war Andrew an die Funkanlage geeilt. Er atmete auf, als er sie unversehrt fand und die Verbindung mit der deutschen Station aufnehmen konnte. Das Ergebnis war freilich wenig befriedigend. Vor vierundzwanzig Stunden konnte die deutsche Hilfe nicht zur Stelle sein. Er übergab die Anlage danach wieder Bowson und ging in den Raum, in dem Garrison lag.

»Es hat keinen Zweck mehr, über geschehene Dinge zu sprechen, Mr. Garrison«, unterbrach er dessen Rede. »Es ist besser, wenn wir uns über unsere weiteren Maßnahmen klarzuwerden versuchen. Die Aussicht, die ›City of Boston‹ noch rechtzeitig zu erreichen, ist natürlich zum Teufel. Sie dürfte schon jetzt im Mac-Murdo-Sund kreuzen und vergeblich auf uns warten.«

Bolton wollte mit allerlei Vorschlägen dazwischenfahren, aber Andrew hieß ihn schweigen.

»Ich kenne die deutschen Fahrzeuge nicht genauer, Gentlemen, aber es ist mir mehr als zweifelhaft, ob sie stark genug sind, um unsern Wagen aus der Kluft herauszuziehen. Wir werden vielleicht gezwungen sein, ihn hier bis zum nächsten Frühjahr liegen zu lassen und die Gastfreundschaft der deutschen Station in Anspruch zu nehmen. So, Mr. Bolton, das wollen wir mal erst als das Wahrscheinlichste voraussetzen. Jetzt können Sie Ihre Vorschläge, was weiter geschehen soll, machen. Die vergebliche Fahrt der ›City of Boston‹ geht selbstverständlich auf Ihre Rechnung . . .«

Bevor Bolton noch etwas erwidern konnte, fuhr Captain Andrew fort:

»Und ebenso selbstverständlich die Wiederinstandsetzung des Wagens, denn Sie haben ihn durch Ihre irrsinnige Überlastung mit dem verdammten Erz mutwillig zerstört.«

Andrew schwieg und ließ Bolton ungehindert reden, obwohl nicht viel Vernünftiges in dem war, was der vorbrachte.

In den Disput hinein platzte Bowson mit einem neuen Funkspruch. Andrew las ihn und sprang auf.

»Eine neue Wendung der Dinge, Gentlemen! Ein Stratosphärenschiff der Eggerth-Werke kommt uns zu Hilfe. Nach dem Funkspruch ist es bereits in nächster Nähe.«

Ein Stratosphärenschiff der Eggerth-Werke . . . Garrison und Bolton tauschten hinter dem Rücken Andrews einen vielsagenden Blick. Ein unheimliches Gefühl überkam beide im gleichen Moment. Konnten . . . durften sie sich diesem Schiff anvertrauen, um vielleicht wieder an einer weltverlorenen Stelle des Erdballs abgesetzt zu werden. Während ihre Gedanken noch durcheinanderwirbelten, drang plötzlich grelles Licht von außen in den Wagen und überstrahlte die schwache Notbeleuchtung. An seiner Hubschraube hing ›St 11h‹ über der Kluft und leuchtete die Unfallstelle mit seinen starken Scheinwerfern ab. Jetzt hatten die Lichtkegel den Wagen gefaßt und hielten ihn fest. Ein wenig weiter schob sich das Schiff, bis es genau über ihm stand und sank dabei langsam tiefer. Regungslos hing es dann in der Luft, kaum um eines Mannes Länge war sein Kiel noch von dem höchsten Punkt des Wagens entfernt.

Um das nun folgende Manöver zu verstehen, muß man die maschinellen Einrichtungen von ›St 11h‹ genauer kennen. ›St 11h‹ war ein Montageschiff, speziell dazu bestimmt, die schweren Dieselmaschinen von Deutschland nach dem Kraftwerk der Kraterstation zu bringen. Diesem Zweck entsprechend hatte man es mit mächtigen Greifervorrichtungen ausgerüstet, die es ihm ermöglichten, Lasten bis zu 100 Tonnen aufzunehmen und in seinen Rumpf hineinzuziehen, und diese Vorrichtungen kamen ihm jetzt zu passe.

Die drei Amerikaner in ihrem Wagen konnten nicht sehen, was dicht über ihnen geschah, wie sich dort an der Unterseite des Rumpfes die Metallhaut des Stratosphärenschiffes kulissenartig auseinanderschob, aber ein Zuschauer, der etwa seitlich von der Schlucht gestanden hätte, würde jetzt einen eigenartigen Anblick gehabt haben.

Es sah etwa aus, wie wenn ein fliegender Käfer, der seine sechs Beine bisher eng an den Leib gezogen hatte, sie plötzlich ausstreckt, um im Fluge eine Beute damit zu haschen.

Wie fasziniert starrten Andrew und Bolton durch die Wagenfenster. Blinkend im Licht der Scheinwerfer kam zu beiden Seiten etwas Massiges, Gelenkiges, Bewegliches hinab. Es klang, wie wenn Metall sich an Metall reibt, und ein leichtes Knistern ging durch die Wagenflanken. Dann brüllten die Motoren des Stratosphärenschiffes so gewaltig auf, daß sie jedes andere Geräusch übertönten.

Nur noch ein Schüttern spürten die Amerikaner und merkten, wie ihr Wagen aus seiner schrägen wieder in die waagerechte Lage zurückkehrte, hatten dann die Empfindung, als ob er sich hob und emporschwebte.

Wenige Sekunden noch fiel das Licht der Scheinwerfer von außen her in den Raum, dann verschwand es. Wie tiefe Dunkelheit kam Andrew und seinen Gefährten nach der blendenden Helligkeit das schwache Licht der Notbeleuchtung vor.

Noch einmal eine leichte Erschütterung des Wagens, während gleichzeitig ein mildes gleichmäßigeres Licht von außen her durch die Fenster drang. Es beleuchtete nicht mehr die grünglasigen Wände der Eiskluft; silbrig schimmerndes Fachwerk, Spanten, Nieten und Platten wurden in seinem Schein sichtbar. Die Greifervorrichtungen hatten den Tankwagen in den Rumpf des Schiffes hineingezogen und auf den wieder geschlossenen Boden abgesetzt.

»Gesehen habe ich es. Begreifen und glauben kann ich es trotzdem nicht«, rief Andrew und eilte zur Tür. Sie hatte sich durch den Anprall beim Sturz in die Schlucht verzogen und klemmte. Erst mit Bowsons Hilfe und unter Anwendung von Werkzeugen gelang es, sie zu öffnen. Andrew stand im Türrahmen, ein Mann trat ihm entgegen.

»Captain Andrew, wenn ich nicht irre.«

Andrew vermochte nicht zu sprechen, nur stumm zu nicken.

»Mein Name ist Eggerth, Hein Eggerth von den Eggerth-Werken in Bitterfeld. Wir haben Ihren Wagen an Bord genommen. Wohin sollen wir Sie bringen?«

Während Andrew noch nach einer Antwort suchte, bemerkte er, daß Hein Eggerth plötzlich lebhaft zu der Wagentür hin winkte. Er wandte den Kopf zurück, hinter ihm stand Bolton und sah in diesem Augenblick weder schön noch geistreich aus. Die Beule auf seiner Stirn schimmerte in allen Regenbogenfarben, sein Mund war halb geöffnet, seine Augen starrten auf den Deutschen, als ob er ein Gespenst erblickte.

Hein Eggerth trat einen Schritt näher und winkte ihm vergnügt zu.

»Hallo, Mr. Bolton! Auch mal wieder im Land? Freue mich, Sie gesund und munter anzutreffen. Was macht Mr. Garrison?«

Bolton schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen. An seiner Stelle antwortete Andrew. »Mr. Garrison geht's nicht gut. Er ist krank. Aber . . .« Andrew raffte sich zusammen und sprang aus dem Wagen. »Meinen aufrichtigsten Dank für Ihre tatkräftige Hilfe, Mr. Eggerth. Bei Gott, Sie kamen zur rechten Zeit. Darf ich Sie noch weiter in Anspruch nehmen?«

»Wir stehen ganz zu Ihrer Verfügung, Captain Andrew. Sie brauchen nur zu bestimmen, wohin Sie gebracht werden wollen.«

»Unser Schiff, die ›City of Boston‹ kreuzt im Mac-Murdo-Sund. Wenn es möglich wäre, Mr. Eggerth . . .«

»Es ist möglich, Captain Andrew, entschuldigen Sie mich einen Augenblick, ich will den Befehl in den Pilotenraum geben.«

Über eine schmale Aluminiumtreppe verschwand Hein Eggerth nach oben. Andrew wandte sich an Bolton.

»Sie machen ein merkwürdiges Gesicht, Bolton. Haben Sie etwas gegen diesen Mr. Eggerth?«

Einen Augenblick schluckte und würgte Bolton, als ob er etwas hinunterbringen müßte.

»Ich . . . etwas gegen den Deutschen? . . . nein, Captain. Wie kommen Sie auf die Vermutung?«

»Um so besser, wenn ich mich geirrt habe, wir sind Mr. Eggerth zu großem Dank verpflichtet. Ich müßte es bedauern, wenn irgendein Mißklang dazwischen käme.«

Die letzten Worte sagte Andrew in einem Ton, der jeden Widerspruch ausschloß, selbst wenn Bolton hätte widersprechen wollen.

Aber Bolton hatte gar nicht mehr die Absicht. Ebenso wie kurze Zeit vorher Berkoff war er zu dem Entschluß gekommen, die Episode auf der Robinson-Insel als nicht geschehen zu behandeln, denn eine andere Sorge lag ihm augenblicklich viel näher.

Wenn dies verteufelte Stratosphärenschiff sie mit ihrem Wagen kurzerhand draußen im Sund auf dem Deck des ›City of Boston‹ absetzte, so war ihm das Erz, das er auf den drei vorangehenden Fahrten an die Küste geschafft hatte, vorläufig verloren . . . für immer verloren, wenn irgendein anderer ihm zuvorkam und es als herrenloses Gut an sich nahm.

Er hörte die Worte, die Andrew noch weiter sprach, ohne ihren Sinn zu erfassen. Fieberhaft überlegte er, auf welche Weise er die Deutschen dazu bringen könnte, auch diese Stapel auf den Dampfer zu schaffen. Sehr aussichtsreich erschien ihm sein Verhalten nicht, wenn er sich daran erinnerte, wie damals auf der Insel ihr ganzer Erzvorrat spurlos verschwunden, gegen eisernes Werkzeug ausgewechselt worden war. Während er noch hin und her überlegte, kam Hein Eggerth zurück, um Captain Andrew und ihn zu einem Imbiß in den Salon des Stratosphärenschiffes zu bitten. – – –

Sie speisten nur zu dritt. Berkoff hatte es doch vorgezogen, die alte Bekanntschaft mit Mr. Bolton nicht zu erneuern, sondern lieber unsichtbar zu bleiben. Dafür nahm das Gespräch mit Hein Eggerth eine Wendung, die Bolton aufs höchste erfreute. Ganz von selbst kam Eggerth auf die noch am Ufer liegenden Vorräte der Expedition zu sprechen.

»Sie müssen sich mit der Tatsache abfinden«, sagte er, »daß das Eis im Sund bereits geschlossen ist. Nach den soeben mit der ›City of Boston‹ gewechselten Funksprüchen kreuzt der Dampfer auf dem 74. Breitengrad an der Eisgrenze. Ein direkter Verkehr zwischen der Küste und Ihrem Schiff ist ausgeschlossen, es liegen etwa 300 Kilometer ungangbaren Packeises dazwischen.«

»Verdammt!« Bolton konnte den Ausruf nicht unterdrücken. Hein Eggerth überhörte ihn und fuhr fort.

»Ich nehme an, daß Sie dort noch mancherlei lagern haben, was Sie gern mit nach Amerika nehmen wollen. Wenn wir Sie abgesetzt haben, sind wir gern erbötig, zur Küste zurückzukehren und Ihnen alles, was Sie uns näher bezeichnen, auf die ›City of Boston‹ nachzubringen.«

Captain Andrew schüttelte den Kopf.

»Danke, Mr. Eggerth. Wir wollen Ihre Güte nicht mißbrauchen. Unsere Treibstoff- und Lebensmitteldepots können bis zum nächsten Sommer dortbleiben, ich müßte sonst doch alles wieder dorthin bringen, wenn ich in sechs Monaten zurückkomme.«

Bolton saß wie auf glühenden Kohlen. Vergeblich versuchte er Andrew unter dem Tisch auf den Fuß zu treten, um ihn zum Schweigen zu bringen. Der Captain zog seine gefährdeten Extremitäten einfach zurück und sprach in dem Sinne wie bisher ruhig weiter.

Bolton vermochte nicht länger an sich zu halten, er wollte losplatzen, als Hein Eggerth von sich aus auf das Thema zu sprechen kam, das seinem Gegenüber so am Herzen lag.

»Sie haben recht, Captain Andrew, Ihre Vorräte lassen Sie am besten an der Küste. Aber meines Wissens haben die beiden anderen Herren im Verfolg ihrer geologischen Untersuchungen verschiedenes Material gesammelt, das sie vielleicht doch lieber gleich mitnehmen möchten.«

»So ist es, Mr. Eggerth!« rief Bolton. »Garrison und ich haben allerlei Erz- und Steinproben gesammelt und neben Captain Andrews Depot aufgestapelt. Wir wären Ihnen außerordentlich verpflichtet, wenn Sie es an Bord der ›City of Boston‹ bringen würden.«

»Ich glaube, Bolton, Sie sind doch übergeschnappt«, fuhr Andrew dazwischen, »das dürfen Sie nicht verlangen, es hieße die Freundlichkeit Mr. Eggerths über alle Gebühr beanspruchen. Allerlei Gesteinsproben . . . wissen Sie, was das in Wirklichkeit bedeutet«, fuhr er zu Eggerth gewandt fort. »Annähernd hundert Tonnen eines schweren, wie es scheint, in der Antarktis häufiger vorkommenden Erzes. Diese gewaltige Last sollen Sie ihm nach der ›City of Boston‹ bringen. Das ist natürlich ganz ausgeschlossen.«

Die Gesichtsfarbe Boltons wurde um einige Töne dunkler. Am liebsten hätte er den Captain in diesem Augenblick niedergeschlagen. Über die Züge Hein Eggerths huschte ein leichtes Lächeln, während er weitersprach.

»Aber ich bitte Sie, meine Herren, das ist für ›St 11h‹ eine Kleinigkeit. Hundert Tonnen können wir bequem mitnehmen. Es soll uns ein Vergnügen sein, die Bitte von Mr. Bolton zu erfüllen. Sowie wir Ihren Wagen abgesetzt haben, kehren wir zur Küste zurück und bringen dem Dampfer das Gewünschte nach.«

Während der letzten Minuten war ›St 11h‹, ohne daß die drei im Salon etwas davon merkten, aus der Stratosphäre wieder nach unten gegangen und strich in einer Höhe von wenigen hundert Metern über das Wasser des Roßmeeres dahin. Ein dumpfes Brausen und Heulen kam auf, die Sirene der ›City of Boston‹ meldete sich. Die Scheinwerfer von ›St 11h‹ blitzten auf, ihre Lichtbalken huschten suchend über die See.

Sie trafen auf dunkles, fast unbewegtes Wasser, dessen Fläche hier und dort von großen Treibeisschollen unterbrochen war, dann blieben sie an etwas Grauem, Massigem hängen, sie hatten den Dampfer gefunden. Die ›City of Boston‹ fuhr mit gebänkten Feuern und geringster Maschinenkraft, sie machte eben noch gerade so viel Fahrt, um steuerfähig zu bleiben. Wenige Sekunden später hing ›St 11h‹ über dem Schiff, während seine Funkstation unablässig arbeitete. Verwundert las Kapitän Lewis die Funksprüche, die man ihm auf die Kommandobrücke brachte. Das deutsche Flugschiff hatte nicht nur Andrew und seine Leute, sondern auch den gewaltigen Tankwagen an Bord? . . . Die ›City of Boston‹ sollte die große Ladeluke für den Wagen klarmachen und die Reling runternehmen? . . . Er ließ erst noch einmal rückfragen, bevor er Befehl gab, die deutsche Anordnung auszuführen.

Kaum war es geschehen, als ›St 11h‹ wie ein fallendes Blatt langsam niedersank, während seine Scheinwerfer die Umgebung tageshell erleuchteten. Sein gewaltiger Rumpf lag quer zu der ›City of Boston‹. Kapitän Lewis hielt den Atem an. Jeden Augenblick erwartete er, daß das Deck seines Schiffes von der Last des Riesenflugzeuges eingedrückt werden müsse. Die wenigen Zentimeter, die das Stratosphärenschiff noch über dem Deck der ›City of Boston‹ hing, konnte er von seinem Standort nicht wahrnehmen; ebensowenig, wie die sechs Greiferarme, die den Tankwagen schnell und sicher durch die Luke in den Laderaum senkten und dort absetzten. Er sah nur, wie das Flugschiff plötzlich wieder emporstieg, starrte ihm noch erstaunt nach, als ihm ein neuer Funkspruch gebracht wurde:

›Tankwagen mit Andrew Expedition auf ›City of Boston‹ abgesetzt. Luke schließen. Andere Luke für hundert Tonnen Gestein öffnen. Kommen schnellstens zurück. St 11h‹.

Kapitän Lewis lief von der Brücke hinunter auf das Vorderdeck und schaute durch die offene Luke in den Laderaum; er rieb sich die Augen, wie wenn er einen Traum verscheuchen wolle. Da unten stand tatsächlich der große Raupenwagen an seinem alten Platz, als ob er den Bauch der ›City of Boston‹ niemals verlassen hätte, und aus der geöffneten Tür kletterte Andrew so seelenruhig, als ob die ganze Geschichte die selbstverständlichste Sache auf der Welt wäre. Da begriff Kapitän Lewis, daß es angebracht sei, auch den weiteren Anordnungen dieses unbegreiflichen Stratosphärenschiffes nachzukommen, und er gab die entsprechenden Befehle.

In Boltons Kopf war nur der eine Gedanke. Werden die Deutschen wiederkommen? Werden sie mir mein sauer erworbenes Erz wirklich abliefern? Ungeduldig lief er neben Kapitän Lewis auf der Kommandobrücke hin und her, während die Zeit verstrich. Eine Stunde und noch eine andere. Dann blitzten die Scheinwerfer des Stratosphärenschiffes zum zweiten Male die ›City of Boston‹ an. Wieder schwebte es kurze Zeit dicht über dem Deck des Dampfers. Wie aus einer geöffneten Schleuse ergossen sich hundert Tonnen des blinkenden Metalles aus dem Flugschiff rasselnd und polternd in die offene Luke des Dampfers.

»Eigentlich«, sagte Berkoff lachend zu Hein Eggerth, der neben ihm im Kielraum von ›St 11h‹ stand, »eigentlich hätten wir das Erz gleich beim erstenmal in die ›City of Boston‹ werfen können. Wir hätten unsern Freunden Garrison und Bolton viel Mühe erspart.«

»Uneigentlich war es aber so jedenfalls besser«, meinte Eggerth und mußte ebenfalls lachen.

Zu seinem Glück konnte Bolton dies Gelächter nicht hören. Es ging in dem Dröhnen des niederstürzenden Erzes unter. Er sah nur den schimmernden Segen aus dem Stratosphärenschiff in den Dampfer fallen und überschlug den Gewinn, den er ihm bringen sollte.

Warum hatten die Deutschen das erstemal auf jener verwünschten Insel das Erz behalten, warum hatten sie es ihm diesmal wiedergegeben? Im Augenblick kam ihm der Gedanke an diese Frage nicht. Auch noch nicht während der Wochen, in denen die ›City of Boston‹ die blaue See durchpflügte und die Andrewsche Expedition nach Frisko zurückbrachte.

Erst viel später, als er seine Beute in den chemischen Werken von Detroit verarbeiten ließ und aus der ganzen gewaltigen Masse nur eben eine Tonne Platin und ein wenig Silber gewann, begann er sich Gedanken darüber zu machen, aber da war es zu spät. Für die nächsten Monate wenigstens schützte die lange Polarnacht das Geheimnis der Antarktis.

 


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