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Ich vermute, daß ich deshalb von den Affen geträumt habe, weil sie im Käfig beim Krokodilsmann waren; mit Jelena Iwanowna hatte es allerdings eine andere Bewandtnis.
Ich schicke voraus, daß ich diese Dame liebte; doch ich eile, und zwar mit Extrapost, mich zu verbessern … ich liebte sie wie ein Vater, nicht mehr und nicht weniger. Ich schließe dies daraus, daß es mir schon mehrmals begegnet ist, den unbezwinglichen Wunsch zu haben, ihr Köpfchen oder ihr rosiges Wänglein zu küssen. Und obgleich ich so etwas nie getan habe, muß ich gestehen, daß ich nichts dagegen gehabt hätte, ihr Mündchen zu küssen, und nicht so sehr das Mündchen als die Zähnchen, die sich immer beim Lachen so zeigten und wie eine Reihe gleicher regelmäßiger Perlen aussahen. Und sie lachte erstaunlich oft. In Kosefällen pflegte Iwan Matwejewitsch sie immer »seinen lieben Unsinn« zu nennen – eine Bezeichnung, die wirklich im höchsten Grade zutreffend und charakteristisch war. Sie war ein Bonbon von einer Dame und nichts weiter. Darum kann ich gar nicht begreifen, warum es auf einmal Iwan Matwejewitsch einfallen konnte, in seiner Gattin eine russische Eugenie Tour zu erblicken. Wenn man die Affen aus dem Spiel läßt, machte mein Traum auf mich jedenfalls einen höchst angenehmen Eindruck, und während ich mir bei meinem Morgentäßchen die Ereignisse des gestrigen Tages vergegenwärtigte, beschloss ich, auf dem Wege in den Dienst unbedingt bei Jelena Iwanowna vorzusprechen, wozu ich übrigens auch in meiner Eigenschaft als Hausfreund verpflichtet war.
In einem winzigen Zimmerchen vor dem Schlafzimmer, im sogenannten »Kleinen Salon« (obwohl auch ihr großer Salon klein war), saß auf einem netten kleinen Diwan vor einem Teetischchen Jelena Iwanowna in einem luftigen Morgenjäckchen und trank Kaffee aus einem winzigen Täßchen, in das sie ein Zwiebäckchen tauchte. Sie war bezaubernd niedlich, doch schien sie mir ein wenig nachdenklich.
»Ah, Sie sind es, Sie Schelm«, empfing sie mich mit einem zerstreuten Lächeln, »setzen Sie sich, Sie Wildfang, und trinken Sie Kaffee. Nun, was haben Sie denn gestern getan? Waren Sie auf dem Maskenball?«
»Waren Sie denn dort? Ich besuche ja keine Bälle … zudem war ich gestern noch bei unserem Gefangenen.«
Ich seufzte und machte ein frommes Gesicht, während ich den Kaffee empfing.
»Bei wem? Bei welchem Gefangenen? Ach ja, der arme Junge! Nun, wie geht es ihm? Er ist wohl traurig? Ja, wissen Sie, ich wollte Sie fragen: …ich darf doch jetzt um Scheidung bitten?«
»Um Scheidung?« rief ich bestürzt und hätte beinahe meinen Kaffee dabei verschüttet. ,Das ist der Schwarzkopf!1 dachte ich ingrimmig.
Es gab so einen jungen Schwarzkopf mit einem kleinen Schnurrbärtchen, er war am Bauamt angestellt, kam fast zu oft und verstand es fast ganz ausgezeichnet, Jelena Iwanowna zum Lachen zu bringen. Ich gestehe, daß ich ihn haßte, und zweifle nicht daran, daß er Jelena Iwanowna bereits gestern auf dem Maskenball oder womöglich auch hier gesehen und ihr eine Menge Unsinn eingeredet hatte.
»Ja, was ist denn das eigentlich?« plapperte Jelena Iwanowna plötzlich wie eingelernt. »Was ist denn das? Er wird da die ganze Zeit im Krokodil sitzen und kommt vielleicht sein Lebtag nicht heraus, und ich soll hier auf ihn warten? Der Mann soll zu Hause leben und nicht in einem Krokodil!«
»Aber es ist doch ein unvorhergesehener Fall«, begann ich in begreiflicher Aufregung.
»Ach nein, lassen Sie das, lassen Sie das!« rief sie plötzlich ganz erzürnt. »Sie widersprechen mir immer, Sie Windbeutel. Mit Ihnen kann man nichts besprechen. Sie geben nie einen Rat. Fremde Menschen sagten mir schon, daß ich jetzt die Scheidung erwirken könnte, weil Iwan Matwejewitsch kein Gehalt mehr bekommen wird.«
»Jelena Iwanowna! Sprechen Sie so?« rief ich pathetisch. »Welcher Bösewicht konnte Ihnen dergleichen weismachen! Scheidung aus einem so geringfügigen Grunde, wie das Gehalt, ist ganz unmöglich, und der arme, arme Iwan Matwejewitsch, er ist sozusagen von Liebe zu Ihnen entbrannt, sogar im Innern des Ungeheuers. Nicht genug, er schmilzt vor Liebe zu Ihnen wie ein Stückchen Zucker. Noch gestern abend, während Sie sich auf dem Maskenball amüsierten, erwähnte er, daß er sich im äußersten Fall dazu entschließen werde, Sie in der Eigenschaft seiner legitimen Gattin zu sich ins Innere kommen zu lassen, umso mehr, als das Krokodil sich als sehr geräumig erwiesen hat, nicht nur für zwei, sondern auch für drei Personen.« Und ich erzählte ihr diesen Teil meiner gestrigen Unterhaltung mit Iwan Matwejewitsch.
»Wie? Wie?« rief sie erstaunt. »Sie wollen, daß auch ich da hineinkrieche zu Iwan Matwejewitsch? Welche Idee! Und wie werde ich es denn anfangen, im Hut und in der Krinoline? Gott! Welche Dummheit! Welch ein Bild werde ich denn abgeben, wenn ich da hineinsteige! Und jemand wird mir vielleicht noch zusehen … Das ist zu komisch! Und was werde ich denn dort essen? Und … und wie wird es denn sein, wenn ich+.. ich … O Gott! Was Sie sich ausgedacht haben! Und welche Vergnügungen gibt es dort? Sie sagen, es rieche dort nach Gummi? Und wie, wenn wir uns dort streiten? Müssen wir dann auch nebeneinander liegen? Pfui, wie das garstig ist!«
»Beste Jelena Iwanowna, ich bin mit Ihren Einwänden vollkommen einverstanden«, unterbrach ich sie in dem begreiflichen Bestreben, mich auszusprechen, das immer den Menschen befällt, wenn er fühlt, daß das Recht auf seiner Seite ist. »Jedoch eines haben Sie bei alledem außer acht gelassen, Sie haben nicht bedacht, daß er ohne Sie wohl nicht leben kann, da er Sie zu sich ruft. Also ist das hier Liebe, leidenschaftliche, treue Liebe. Sie haben die Liebe nicht beachtet, Jelena Iwanowna, die Liebe!«
»Ich will nichts, nichts, nichts davon hören!« Und sie winkte abwehrend mit ihrer hübschen kleinen Hand, an der die frisch gewaschenen und gebürsteten rosigen Nägelchen blitzten.
»Sie Garstiger! Sie werden mich noch bis zu Tränen rühren! Steigen Sie doch selbst hinein, wenn es Ihnen angenehm ist. Sie sind ja sein Freund, also bleiben Sie aus Freundschaft zu ihm da liegen und streiten Sie Ihr Leben lang über langweilige Wissenschaften …«
»Sie lachen vergeblich über diese Voraussetzung«, unterbrach ich das leichte Frauchen. »Iwan Matwejewitsch hat mich ohnehin zu sich gerufen. Sie zieht natürlich die Pflicht hin, mich dagegen nur die Großmut. Aber als Iwan Matwejewitsch mir gestern von der Dehnbarkeit des Krokodils erzählte, machte er eine sehr klare Andeutung, daß nicht nur Sie allein, sondern auch ich in meiner Eigenschaft als Hausfreund mit Ihnen zusammen dort Unterkommen könnte, zu dritt, wenn ich es übrigens wünschte, und darum …«
»Wieso? Zu dritt?« rief Jelena Iwanowna, mich erstaunt anblickend. »Wie denn … dann werden wir dort alle drei zusammen sein? Hahaha! Wie sie beide dumm sind! Hahaha! Ich werde Sie da unbedingt die ganze Zeit kneifen, Sie Nichtsnutz, hahaha! Hahaha!«
Sie lehnte sich an das Rückenpolster des Diwans und lachte bis zu Tränen. Und das alles, die Tränen und das Lachen, war so bezaubernd, daß ich nicht widerstehen konnte, ihr Händchen zu ergreifen und mit Hingebung zu küssen. Sie wehrte mir nicht, obwohl sie mich als Zeichen der Versöhnung sanft an den Ohren zauste. Nun wurden wir beide vergnügt, und ich erzählte ihr ganz genau Iwan Matwejewitschs gestrige Pläne. Die Idee mit den Empfangsabenden und dem Salon gefiel ihr sehr gut.
»Aber ich brauche dann sehr viel neue Kleider«, bemerkte sie, »und darum muß Iwan Matwejewitsch möglichst bald und möglichst viel Geld schicken. Allein«, fügte sie nachdenklich hinzu, »wie wird man ihn denn in einem Behälter zu mir bringen? Das ist sehr lächerlich. Ich will nicht, daß man meinen Mann in Behältern herumträgt. Ich werde mich vor den Gästen schämen … Nein, ich will nicht, ich will nicht!«
»Übrigens, um es nicht zu vergessen, war Timofei Semjenowitsch gestern abend bei Ihnen?«
»Ah ja, er war da! Und wir haben mit ihm Karten gespielt, er setzte Konfekt, und wenn ich verlor … küßte er mir die Hände. So einer! Und denken Sie sich, beinah' wäre er mit mir auf den Maskenball gefahren, wirklich!«
»Verliebtheit!« bemerkte ich. »Und wer ist nicht in Sie verliebt, Sie schönste Zauberin!«
»Ach, gehen Sie mit Ihren Komplimenten! Halt, ich werde Sie auf den Weg kneifen; ich habe jetzt famos gelernt zu kneifen; nun, wie war's? Übrigens, Sie sagen, Iwan Matwejewitsch hätte gestern viel von mir gesprochen?«
»Nun … ein! Man kann nicht behaupten … Offen gesagt, denkt er eigentlich mehr an das Schicksal der ganzen Menschheit und will …
»Nun, Gott mit ihm! Sprechen Sie nicht davon; wahrscheinlich ist es entsetzlich langweilig. Ich werde ihn einmal besuchen. Morgen gehe ich bestimmt hin. Nur heute nicht, heute habe ich Kopfweh, und dann wird da so viel Publikum sein … Man wird sagen: seht, das ist seine Frau, und wird mich in Verlegenheit bringen. – Adieu! Abends sind Sie wohl … dort?«
»Bei ihm, bei ihm! Er hat befohlen, zu kommen und Zeitungen zu bringen.«
»Das ist ja nett. Gehen Sie zu ihm und lesen Sie ihm vor! Und zu mir kommen Sie heute nicht. Ich bin nicht ganz gesund, vielleicht fahre ich auch zu Besuch. Nun adieu, Schelm!«
»Das ist gewiß der Schwarzkopf, der heute abend bei ihr ist«, dachte ich mir.
In der Kanzlei zeigte ich natürlich mit keiner Miene, von welchen Sorgen und Aufregungen ich verzehrt wurde. Bald aber bemerkte ich, daß einige von unseren fortschrittlichen Blättern mit einer ganz besonderen Geschwindigkeit unter meinen Kollegen von Hand zu Hand gingen und mit außerordentlich ernsthaften Mienen gelesen wurden. Das erste, welches ich erblickte, war der »Listok«, ein Käseblättchen ohne besondere Richtung, bloß allgemein menschenfreundlich, wofür es in der Regel bei uns verachtet wurde, obwohl man es auch las. Nicht ohne Staunen las ich folgendes:
»Gestern verbreiteten sich in unserer großen und mit herrlichen Gebäuden verzierten Stadt ganz ungewöhnliche Gerüchte. Herr N..., ein bekannter Feinschmecker aus der besten Gesellschaft, vermutlich der Küche Boreis und des … Klubs überdrüssig, trat in das Gebäude der Passage, in den Raum, wo ein riesenhaftes, eben erst hergebrachtes Krokodil ausgestellt wird, und verlangte, daß dieses ihm zum Mittag zubereitet würde. Nachdem er mit dem Eigentümer handelseinig geworden, begann er alsbald, dieses bei lebendigem Leibe aufzuessen, indem er mit einem Federmesser die saftigsten Stücke abschnitt und diese mit ungeheurer Geschwindigkeit verschlang. Allmählich verschwand das ganze Krokodil in seinem geräumigen Innern, so daß er sich anschickte, sich an das Ichneumon, den ständigen Begleiter der Krokodile, zu machen, wohl in der Vermutung, daß dieses ebenso wohlschmeckend sei. Wir haben gar nichts gegen dieses neue Nahrungsmittel einzuwenden, das den ausländischen Feinschmeckern schon längst bekannt ist. Wir haben es sogar vorausgesehen. Die englischen Lords und Reisenden fangen in Ägypten Krokodile scharenweise und genießen das Rückenstück des Ungeheuers in der Gestalt von Beefsteaks mit Senf, Zwiebeln und Kartoffeln. Die Franzosen, die mit Lesseps hinübergekommen sind, ziehen die in Asche gebackenen Pfoten vor, was sie übrigens aus Trotz gegen die Engländer tun, die sie verlachen. Vermutlich wird man bei uns beides zu würdigen wissen. Unsrerseits freuen wir uns über den neuen Zweig der Industrie, an welcher es vorwiegend unserem weiten und mannigfaltigen Vaterlande mangelt. Nach diesem ersten, im Innern des Petersburger Gastronomen verschwundenen Krokodil wird vermutlich kaum ein Jahr vergehen, daß ihrer nicht Hunderte hierhergebracht werden, und warum sollte man wohl das Krokodil nicht in Russland akklimatisieren? Wenn das Newa-Wasser für diese interessanten Fremdländer zu kalt sein sollte, so gibt es doch in der Hauptstadt Teiche und außerhalb derselben Flüsse und Seen. Warum zum Beispiel könnte man nicht eine Krokodilzucht in Pargolowo oder in Pawlowsk einrichten? Und in Moskau in den ›Presninskij Prudy‹ und im ›Ssamotek‹. Indem sie unseren Feinschmeckern eine angenehme und gesunde Nahrung liefern, können sie zugleich den an diesen Teichen lustwandelnden Damen eine angenehme Abwechslung bieten und die Kinder durch ihren Anblick in der Naturgeschichte belehren. Aus dem Krokodilsleder könnte man Futterale, Handkoffer, Zigarettenetuis und Brieftaschen herstellen, und wohl mehr als ein russischer Kaufmann wird schmunzelnd seine geliebten, fettigen Tausender in einer Krokodilledertasche verwahren. Wir hoffen dieses interessante Thema nochmals zu berühren.«
Obschon ich etwas Derartiges geahnt habe, war ich doch durch die Voreiligkeit dieser Mitteilung verblüfft. Da ich niemanden fand, mit dem ich meine Eindrücke austauschen konnte, wandte ich mich an den mir gegenübersitzenden Prochor Ssawitsch und bemerkte, daß er mich schon lange mit seinen Blicken verfolgte und den »Wolos« in der Hand hielt, bereit, ihn mir zu überreichen. Schweigend nahm er von mir den »Listock« entgegen und übergab mir den »Wolos«, in dem er mit dem Fingernagel einen Aufsatz kräftig angestrichen hatte. Dieser Prochor Ssawitsch war ein äußerst sonderbarer Mensch. Er war ein schweigsamer alter Hagestolz, trat zu keinem von uns in irgendwelche Beziehungen, sprach im Büro fast mit niemandem und hatte immer und überall seine eigene Meinung, konnte es jedoch nicht leiden, sie jemandem mitzuteilen. Er lebte einsam. In seiner Wohnung war beinah niemand von uns gewesen.
Folgendes las ich in dem mir bezeichneten Aufsatz des »Wolos«: »Es ist bekannt, daß wir progressiv und human sind und danach streben, es in jeder Beziehung Europa gleichzumachen. Doch ungeachtet aller Anstrengungen und Bemühungen unserer Zeitung sind wir noch lange nicht reif, wie folgender empörende Fall es beweist, der sich gestern in der Passage abspielte, und den wir vorhergesehen haben. Es kommt in die Hauptstadt ein ausländischer Menageriebesitzer und bringt ein Krokodil mit, das er in der Passage ausstellt. Wir begrüßten diesen neuen Erwerbsweg, der im allgemeinen unserem mächtigen und mannigfaltigen Vaterlande fehlt. Da erscheint plötzlich gestern gegen 4½ Uhr nachmittags eine Persönlichkeit von außerordentlichem Umfang und in stark angeheitertem Zustande im Geschäft des Ausländers, zahlt für den Eintritt und kriecht sofort, ohne jegliche vorausgehende Mitteilung, in den Rachen des Krokodils, das natürlich gezwungen war, ihn zu verschlingen, um nicht zu ersticken. Weder die Hilferufe des Ausländers, noch das Jammergeschrei seiner erschrockenen Angehörigen, noch Drohungen, die Polizei zu rufen, haben Wirkung. Aus dem Innern des Krokodils erschallt nichts als Gelächter und Versprechungen, mit der Knute kurzen Prozeß zu machen, und das arme Säugetier, welches gezwungen war, eine solche Fleischmasse zu verschlingen, vergießt vergebliche Tränen. Ein ungebetener Gast ist schlimmer als ein Tatar – sagt ein altes Sprichwort. Doch dessenungeachtet will der unverschämte Eindringling nicht heraus. Wir können uns derartige barbarische Vorfälle nicht erklären, die unsere politische Unreife bezeugen und uns in den Augen der Ausländer herabsetzen. Das Draufgängertum der russischen Natur hat eine würdige Anwendung gefunden. Es fragt sich, was der ungebetene Gast eigentlich haben wollte. Brauchte er einen warmen und gemütlichen Winkel? Aber in der Hauptstadt gibt es ja viele herrliche Häuser mit billigen und sehr gut eingerichteten Wohnungen, mit Wasserleitung und mit Gasbeleuchtung auf der Treppe, für die der Hauswirt oft sogar einen Portier hält. Wir machen unsere Leser auch auf die barbarische Behandlung der Haustiere aufmerksam. Dem zugereisten Krokodil ist es selbstverständlich sehr beschwerlich, eine solche Masse auf einmal zu verdauen, und jetzt liegt es hochaufgetrieben da und erwartet unter unsagbaren Qualen den Tod. In Europa wird Tierquälerei schon lange gesetzlich verfolgt. Jedoch ungeachtet unserer europäischen Beleuchtung, unserer europäischen Trottoire und europäischen Bauweise sind wir noch weit davon entfernt, unsere altgewohnten Vorurteile abzustreifen.
,Neu sind die Häuser, doch alt die Vorurteile«, heißt es in einem Gedicht, und nicht einmal die Häuser sind neu, zum mindesten nicht die Treppen. Wie wir schon mehrmals in unserem Blatt erwähnt haben, sind im Hause des Kaufmanns Lukjanoff auf der Petersburger Seite die hölzernen Aufgangsstufen verfault und durchgebrochen und stellten schon lange eine Lebensgefahr für die bei ihm bedienstete Soldatenfrau Afimja Skapidarowa vor, die oft genötigt ist, die Treppe mit Wassereimern oder Holzbündeln zu betreten. Unsere Warnungen haben sich endlich bestätigt. Gestern um 10 Uhr vormittags brach eine Stufe unter der Afimja Skapidarowa durch, welche mit ihrem Suppennapf hinstürzte und sich ein Bein brach. Wir wissen nicht, ob Lukjanoff jetzt seine Treppe reparieren wird. Die Russen denken immer zu spät an vorbeugende Maßregeln. Das Opfer der russischen Nachlässigkeit ist bereits in ein Hospital gebracht worden. Wir werden gleichfalls nicht müde, zu behaupten, daß die Hausknechte, welche auf der Wiborger Seite die Trottoire kehren, nicht die Füße der Vorübergehenden beschmutzen sollten, sondern den Unrat in Haufen schichten, gleichwie es in Europa beim Stiefelputzen getan wird …
»Was ist denn das?« fragte ich Prochor Ssawitsch einigermaßen verwundert. »Was ist denn das?«
»Was denn?«
»Nun, daß man das Krokodil beklagt, anstatt Iwan Matwejewitsch zu bedauern.«
»Aber wieso? Ein Tier, ein Säugetier sogar hat man bedauert, ist das nicht europäisch? Da werden die Krokodile auch sehr bedauert. Hi – hi – hi..
Damit vertiefte sich der Sonderling Prochor Ssawitsch in seine Akten und sagte kein Wort weiter.
Den »Wolos« und den »Listok« steckte ich zu mir, raffte noch zur Abendlektüre für Iwan Matwejewitsch so viele alte »Nachrichten« und »Wolos« zusammen, wie ich finden konnte, und obwohl es noch lange bis zum Abend war, entwischte ich möglichst früh aus dem Dienst, um in die Passage zu gehen und mir wenigstens aus der Entfernung das Treiben dort anzusehen und die verschiedenen Meinungen und Ansichten zu erlauschen.
Ich sah voraus, daß dort wohl ein großes Gedränge sein würde und vergrub daher mein Gesicht tief in meinen Mantelkragen, weil es mir peinlich war – so wenig sind wir an die Öffentlichkeit gewöhnt.
Doch ich fühle mich nicht berechtigt, meine eigenen prosaischen Gefühle angesichts eines so bemerkenswerten und originellen Vorganges weiterhin zu äußern.