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Die Nacht (Fortsetzung)
Er ging die ganze Bogojawlenskaja-Straße entlang; endlich senkte sich der Weg; die Füße wateten im Schmutz, und auf einmal tat sich ein weiter, nebliger, anscheinend leerer Raum auf: der Fluß. Die Häuser verwandelten sich in Hütten; die Straße verlor sich in einer Menge unordentlicher Gäßchen. Nikolai Wsewolodowitsch ging längere Zeit an Zäunen hin, ohne sich vom Ufer zu entfernen; aber er verfolgte mit Sicherheit seinen Weg und dachte sogar kaum an ihn. Er war mit ganz anderen Gedanken beschäftigt und blickte erstaunt um sich, als er, aus seiner Versonnenheit zu sich kommend, bemerkte, daß er sich beinah auf der Mitte unserer langen, nassen Schiffbrücke befand. Ringsum war kein Mensch zu sehen, so daß es ihm sonderbar erschien, als sich plötzlich, beinahe dicht an seinem Ellbogen, eine höflich-familiäre, übrigens ziemlich angenehme Stimme mit jener süßlichen, skandierenden Aussprache hören ließ, mit der bei uns sehr kultivierte Kleinbürger oder junge lockige Handlungskommis sich ein Air zu geben suchen.
»Erlauben Sie wohl, mein Herr, daß ich Ihren Schirm mitbenutze?«
Und wirklich schlüpfte eine Gestalt unter seinen Schirm oder stellte sich wenigstens so, als ob sie es tun wollte. Der Landstreicher ging neben ihm her und nahm beinah »Fühlung mit dem Ellbogen«, wie die Soldaten sich ausdrücken. Nikolai Wsewolodowitsch verlangsamte seinen Schritt und bog sich ein wenig zur Seite, um den Menschen anzusehen, soweit das in der Dunkelheit möglich war: er war von kleiner Statur und machte den Eindruck eines verlotterten Kleinbürgers; sein Anzug war nicht warm und dabei nachlässig; auf dem strubbligen, krausen Kopfe saß eine nasse Tuchmütze mit halb abgerissenem Schirme. Wie es schien, war er kräftig und mager, mit dunklem Haar und dunkler Hautfarbe; seine Augen waren groß, sicherlich schwarz, mit dem starken Glanze und gelblichen Schimmer, den man oft bei Zigeunern findet; das ließ sich sogar in der Dunkelheit erraten. Er mochte etwa vierzig Jahre alt sein; betrunken war er nicht.
»Du kennst mich?« fragte Nikolai Wsewolodowitsch.
»Herr Stawrogin, Nikolai Wsewolodowitsch; Sie wurden mir auf dem Bahnhofe, als der Zug angekommen war, gezeigt. Außerdem habe ich früher von Ihnen gehört.«
»Durch Peter Stepanowitsch? Du ... du bist der Sträfling Fedka?«
»Getauft bin ich Fjodor Davon ist Fedka die Koseform. Anmerkung des Übersetzers. Fjodorowitsch; bis jetzt habe ich noch meine leibliche Mutter hier in der Gegend wohnen; sie ist eine gottesfürchtige alte Frau, ganz gebückt; sie betet für mich Tag und Nacht, um so ihre alten Tage nicht nutzlos auf dem Ofen zuzubringen.«
»Du bist von der Zwangsarbeit weggelaufen?«
»Ich habe meine Lage verändert. Ich hatte Bücher und Glocken und Kirchengeräte zu Gelde gemacht; dafür war ich zu lebenslänglicher Zwangsarbeit verurteilt worden und hätte also etwas lange warten müssen, bis ich freigekommen wäre.«
»Was tust du denn hier?«
»Ich sehe zu, wie Tag und Nacht abwechseln. Mein Onkel ist letzte Woche auch im hiesigen Gefängnis gestorben, wegen falschen Geldes; da habe ich, um ihm eine Gedächtnisfeier zu veranstalten, ein paar Dutzend Steine nach Hunden geworfen; weiter habe ich bis jetzt noch nichts getan. Außerdem hat mir Peter Stepanowitsch einen Paß, zum Beispiel als Kaufmann, durch ganz Rußland in Aussicht gestellt; da warte ich nun darauf, wann er so freundlich sein wird. ›Denn‹, sagt er, ›mein Papa hat dich damals im Englischen Klub im Kartenspiel verloren, und ich‹, sagt er, ›finde diese Unmenschlichkeit ungerecht.‹ Möchten Sie mir nicht drei Rubel schenken, gnädiger Herr, damit ich mich mit Tee erwärmen kann?«
»Du hast mir also hier aufgepaßt; ich kann so etwas nicht leiden. Wer hat dich dazu angewiesen?«
»Angewiesen hat mich niemand dazu; bloß weil ich Ihre Menschenfreundlichkeit kenne, die ja allen Leuten bekannt ist. Meine Einnahmen sind, wie Sie sich denken können, Luft, wenn mir nicht gelegentlich etwas an den Fingern hängen bleibt. Am Freitag habe ich mich an Kuchen satt gegessen wie Martyn an Seife; aber seitdem habe ich einen Tag nichts gegessen, den andern gehungert und am dritten wieder nichts gegessen. Wasser ist ja im Flusse, soviel man nur will; da habe ich mir eine Karauschenzucht im Bauch angelegt. Also wollen Euer Gnaden nicht mildtätig sein? Ich habe hier gerade in der Nähe eine Gevatterin wohnen; man darf sich bloß bei ihr nicht ohne Geld blicken lassen.«
»Was hat dir denn Peter Stepanowitsch von mir versprochen?«
»Versprochen hat er mir eigentlich nichts; er hat mir nur so gesprächsweise gesagt, ich könnte Euer Gnaden vielleicht einmal nützlich sein, wenn es sich so träfe; aber worin, das hat er nicht deutlich gesagt; denn Peter Stepanowitsch prüft mich in der Geduld und hat zu mir kein Vertrauen.«
»Wieso denn?«
»Peter Stepanowitsch ist ein Astronom und kennt alle Planeten, die Gott geschaffen hat; aber alles weiß er doch auch nicht. Ich rede zu Ihnen ganz aufrichtig, gnädiger Herr, weil ich viel von Ihnen gehört habe. Peter Stepanowitsch ist eine Art Mensch, und Sie, gnädiger Herr, eine andere Art. Wenn der von jemand sagt: ›er ist ein Schuft‹, so sieht er in ihm weiter nichts als einen Schuft. Oder wenn er sagt: ›er ist ein Dummkopf‹, dann hat er von ihm keine andere Vorstellung, als daß er ein Dummkopf ist. Aber ich bin vielleicht am Dienstag oder Mittwoch nur ein Dummkopf und doch am Donnerstag klüger als er. Da weiß er nun jetzt über mich, daß ich große Sehnsucht nach einem Passe habe (denn in Rußland kann man ohne einen solchen Ausweis nichts anfangen), und da denkt er denn, er habe meine Seele gefangen. Ich will Ihnen sagen, gnädiger Herr: Peter Stepanowitsch macht sich das Leben auf der Welt sehr leicht; denn er macht sich von einem Menschen selbst in seinem Kopfe eine bestimmte Vorstellung zurecht und behandelt ihn dann fortwährend auf Grund dieser Vorstellung. Außerdem ist er sehr geizig. Er ist der Meinung, ich würde es nicht wagen, mich mit Übergehung seiner eigenen Person an Sie zu wenden; aber ich will Ihnen, gnädiger Herr, in aller Aufrichtigkeit sagen: dies ist schon die vierte Nacht, daß ich Euer Gnaden auf dieser Brücke erwarte, in Erwägung, daß ich auch ohne ihn mit leisen Schritten meinen eigenen Weg gehen kann. Ich meine, ich verbeuge mich lieber vor einem Stiefel als vor einem Bastschuh.«
»Wer hat dir denn gesagt, daß ich in der Nacht über die Brücke kommen würde?«
»Das habe ich, offen gesagt, auf einem Umwege erfahren, mehr durch die Dummheit des Hauptmanns Lebjadkin, der nichts für sich zu behalten versteht ... Also drei Rubel kommen mir wohl von Euer Gnaden für drei Tage und drei Nächte und für die Langeweile zu. Und daß meine Kleider ganz naß geworden sind, davon will ich nun schon anstandshalber ganz schweigen.«
»Mein Weg geht links und der deinige rechts; die Brücke ist zu Ende. Höre, Fjodor, ich habe es gern, wenn das, was ich sage, ein für allemal verstanden wird: ich werde dir auch nicht eine Kopeke geben; begegne mir in Zukunft weder auf der Brücke noch sonst irgendwo; ich bedarf deiner nicht und werde deiner nie bedürfen; und wenn du nicht gehorchst, so werde ich dich binden und zur Polizei bringen. Marsch!«
»O weh! Na, spendieren Sie wenigstens dafür etwas, daß ich Ihnen Gesellschaft geleistet habe; der Weg ist Ihnen doch amüsanter gewesen.«
»Mach, daß du wegkommst!«
»Aber kennen Sie auch hier den Weg? Hier sind so verzwickte Gassen ... ich könnte Sie führen. Denn diese Stadt, das ist ganz so, wie wenn der Teufel sie in einem Korbe getragen hatte und der entzwei gegangen wäre.«
»Hör mal, ich werde dich binden!« sagte Nikolai Wsewolodowitsch und wandte sich drohend zu ihm hin.
»Vielleicht überlegen Sie es sich doch noch, gnädiger Herr; wozu wollen Sie einen armen Menschen lange hinhalten?«
»Du besitzt offenbar ein großes Selbstvertrauen!«
»Ich setze mein Vertrauen auf Sie, gnädiger Herr, nicht auf mich.«
»Ich habe dir gesagt, daß ich deiner ganz und gar nicht bedarf!«
»Aber ich bedarf Ihrer, gnädiger Herr; das ist die Sache. Nun gut, dann werde ich Sie auf dem Rückwege erwarten.«
»Ich gebe dir mein Ehrenwort darauf: wenn ich dir wieder begegne, binde ich dich.«
»Dann werde ich also einen Leibgurt dazu in Bereitschaft halten. Glück auf den Weg, gnädiger Herr! Sie haben unter Ihrem Schirm einen armen Menschen warm werden lassen; schon dafür werde ich Ihnen lebenslänglich dankbar sein.«
Er blieb zurück. Nikolai Wsewolodowitsch setzte, von Sorgen erfüllt, seinen Weg fort. Dieser vom Himmel geschneite Mensch war felsenfest davon überzeugt, daß er ihn unumgänglich nötig habe, und hatte sich in recht unverschämter Weise beeilt, dies auszusprechen. Überhaupt machten die Leute mit ihm nicht viel Umstände. Aber es konnte auch sein, daß der Landstreicher nicht alles erlogen hatte und ihm wirklich nur aus eigenem Antriebe und absichtlich ohne Peter Stepanowitschs Wissen seine Dienste angeboten hatte; und das wäre das Allermerkwürdigste gewesen.
Das Haus, nach welchem Nikolai Wsewolodowitsch hinging, stand in einer öden Gasse zwischen Zäunen, hinter denen sich Gemüsegärten hinzogen, buchstäblich am äußersten Rande der Stadt. Es war ein ganz einzeln stehendes kleines Holzhaus, das eben erst gebaut und noch nicht mit Brettern verkleidet war. An einem Fenster waren die Läden absichtlich nicht geschlossen, und auf dem Fensterbrette stand ein Licht, offenbar um dem heute erwarteten späten Gaste als Leuchtfeuer zu dienen. Als Nikolai Wsewolodowitsch noch dreißig Schritte entfernt war, unterschied er die vor der Haustür stehende Gestalt eines hochgewachsenen Mannes, wahrscheinlich des Bewohners, der ungeduldig herausgetreten war, um den Weg entlang zu sehen. Nun ließ sich auch seine ungeduldige und anscheinend schüchterne Stimme vernehmen.
»Sind Sie es? Ja?«
»Ja, ich bin es,« antwortete Nikolai Wsewolodowitsch, aber erst als er ganz bis zur Haustür gelangt war und seinen Schirm zumachte.
»Endlich!« sagte der Hauptmann Lebjadkin (denn dieser war es), der nun geschäftig hin und her zu treten begann und sich sehr eifrig zeigte. »Ich bitte um Ihren Schirm; er ist ganz naß; ich werde ihn hier auf der Diele in der Ecke aufspannen. Bitte näherzutreten, bitte näherzutreten.«
Die Tür, die vom Flur in das von zwei Kerzen erleuchtete Zimmer führte, stand weit offen.
»Wenn Sie nicht Ihr Wort darauf gegeben hätten, bestimmt zu kommen, so hätte ich Sie nicht mehr erwartet.«
»Dreiviertel auf eins,« sagte Nikolai Wsewolodowitsch nach einem Blick auf seine Uhr und trat ins Zimmer.
»Und dabei dieser Regen und die weite Entfernung ... Eine Uhr habe ich nicht, und vom Fenster aus sehe ich nur Gemüsegärten, so daß ich ganz von der Kultur abgeschnitten bin ... Aber ich mache Ihnen keinen Vorwurf; das wage ich nicht, das wage ich nicht; ich sage es nur, weil mich diese ganze Woche lang die Ungeduld verzehrt hat; man möchte doch endlich wissen, wie sich die Sache entscheidet.«
»Was meinen Sie?«
»Ich möchte mein Schicksal hören, Nikolai Wsewolodowitsch. Bitte nehmen Sie Platz!«
Er wies mit einer Verbeugung nach einem Sofa, vor dem ein Tischchen stand.
Nikolai Wsewolodowitsch blickte sich um; das Zimmer war sehr klein und niedrig; es befanden sich nur die notwendigsten Möbel darin: ein paar hölzerne Stühle und ein hölzernes Sofa, sämtlich ebenfalls neu gearbeitet, ohne Überzüge und ohne Kissen, zwei Tische von Lindenholz, einer beim Sofa, der andere in der Ecke; der letztere war mit einem Tischtuche gedeckt und mit irgendwelchen Dingen vollgestellt, über welche eine ganz reine Serviette gebreitet war. Auch das ganze Zimmer war anscheinend höchst sauber gehalten. Der Hauptmann Lebjadkin hatte sich schon seit acht Tagen nicht betrunken; sein Gesicht war etwas aufgedunsen und sah gelb aus; sein Blick war unruhig, neugierig und offenbar unsicher; man konnte deutlich merken, daß er selbst noch nicht wußte, in welchem Tone er reden durfte, und welchen er am vorteilhaftesten von vornherein anschlagen konnte.
»Sehen Sie,« sagte er, rings umherzeigend, »ich lebe wie der heilige Sosima. Nüchternheit, Einsamkeit und Armut, das Gelübde der alten Ritter.«
»Meinen Sie, daß die alten Ritter ein solches Gelübde ablegten?«
»Vielleicht irre ich mich? Ich besitze leider keine Bildung! Ich bin geistig verkrüppelt! Können Sie es glauben, Nikolai Wsewolodowitsch: hier bin ich zum erstenmal von schmählichen Leidenschaften losgekommen, – kein Gläschen, kein Tropfen! Ich habe meinen stillen Winkel und empfinde schon seit sechs Tagen die Glückseligkeit eines guten Gewissens. Sogar die Wände riechen nach Harz und erinnern dadurch an die freie Natur. Und was war ich vorher, wie stand es mit mir?
›Keine Ruh und Rast am Tage,
Keine Lagerstatt bei Nacht,‹
nach dem genialen Ausdruck des Dichters! Aber ... Sie sind so durchnäßt ... Ist Ihnen vielleicht Tee gefällig?«
»Bemühen Sie sich nicht!«
»Der Samowar hat seit acht Uhr gesiedet, aber nun ist er erloschen ... wie alles in der Welt. Auch die Sonne, sagt man, wird seinerzeit erlöschen ... Übrigens kann ich ihn, wenn es nötig ist, wieder in Gang bringen lassen. Agafja schläft noch nicht.«
»Sagen Sie, ist Marja Timofejewna..
»Sie ist hier, sie ist hier,« fiel Lebjadkin sogleich flüsternd ein. »Belieben Sie, sie zu sehen?« Er wies auf die zugemachte Tür, die nach dem andern Zimmer führte.
»Schläft sie nicht?«
»O nein, nein, wie wäre das möglich? Sie erwartet Sie schon von Beginn des Abends an, und sowie sie vorhin erfuhr, daß Sie kommen würden, hat sie sogleich Toilette gemacht.« Er wollte den Mund zu einem scherzhaften Lächeln verziehen, hielt aber sofort damit wieder inne.
»Wie geht es ihr im allgemeinen?« fragte Nikolai Wsewolodowitsch mit finsterer Miene.
»Im allgemeinen? Das wissen Sie ja selbst« (er zuckte bedauernd mit den Schultern); »jetzt aber ... jetzt sitzt sie und legt sich Karten ...«
»Gut, nachher; zunächst muß ich die Sache mit Ihnen erledigen.«
Nikolai Wsewolodowitsch setzte sich auf einen Stuhl.
Der Hauptmann hatte noch nicht gewagt, sich auf das Sofa zu setzen; nun zog er sich sogleich einen anderen Stuhl heran und beugte sich in unruhiger Erwartung vor, um zu hören.
»Was haben Sie denn da in der Ecke unter der Serviette?« fragte Nikolai Wsewolodowitsch, der plötzlich darauf aufmerksam geworden war.
»Was das ist?« versetzte Lebjadkin. »Das ist von Ihrer freigebigen Spende beschafft worden, um sozusagen den Einzug in die neue Wohnung zu feiern, auch in Anbetracht Ihres weiten Weges und der natürlichen Müdigkeit,« kicherte er gerührt; dann stand er auf, ging auf den Zehen hin und nahm respektvoll und behutsam die Serviette von dem Tischchen ab.
Es wurde darunter ein bereitstehender kalter Imbiß sichtbar: Schinken, Kalbsbraten, Sardinen, Käse, eine kleine, grünliche Karaffe und eine hohe Flasche Bordeaux; alles war sauber, mit Sachkenntnis und sogar geschmackvoll arrangiert.
»Haben Sie sich diese Mühe gemacht?«
»Jawohl, ich. Schon gestern, und ich habe getan, was ich konnte, um Ehre einzulegen ... Marja Timofejewna kümmert sich, wie Sie selbst wissen, um solche Dinge nicht. Aber die Hauptsache ist, daß es von Ihrer freigebigen Spende beschafft worden ist; es ist Ihr Eigentum, so daß Sie hier der Wirt sind und nicht ich; ich bin sozusagen nur Ihr Verwalter; aber dennoch, Nikolai Wsewolodowitsch, bin ich, was meinen Geist anlangt, unabhängig! Nehmen Sie mir nicht dieses Letzte, was ich habe!« schloß er gerührt.
»Hm! ... Wollen Sie sich nicht wieder hinsetzen?«
»Ich bin dankbar, ja dankbar, und unabhängig!« (Er setzte sich). »Ach, Nikolai Wsewolodowitsch, in diesem Herzen kochte so viel, daß ich Ihre Ankunft gar nicht erwarten konnte! Entscheiden Sie jetzt mein Schicksal und ... und das jener Unglücklichen; und dann – dann werde ich Ihnen, wie oftmals früher, in alten Zeiten, mein ganzes Herz ausschütten, wie vor vier Jahren. Sie erwiesen mir damals die Ehre, mich anzuhören, und lasen meine Verse ... Mochten Sie mich damals auch Ihren Falstaff aus dem Shakespeare nennen; aber Sie haben in meinem Schicksal eine so bedeutende Rolle gespielt! ... Ich lebe jetzt in großer Angst, und Sie sind der einzige, von dem ich Rat und Belehrung erwarte. Peter Stepanowitsch geht schrecklich mit mir um!«
Nikolai Wsewolodowitsch hörte mit lebhaftem Interesse zu und blickte ihn aufmerksam an. Offenbar befand sich der Hauptmann Lebjadkin, obwohl er aufgehört hatte zu trinken, doch bei weitem nicht in einem harmonischen Gemütszustände. Bei solchen langjährigen Trinkern setzt sich zuletzt für immer eine gewisse Verworrenheit, Benommenheit, Verdrehtheit fest, obwohl sie es übrigens nötigenfalls fast ebenso gut wie andere Leute fertigbringen, jemanden hinters Licht zu führen, zu betrügen und zu begaunern.
»Ich sehe, daß Sie sich in diesen mehr als vier Jahren gar nicht verändert haben, Hauptmann,« sagte Nikolai Wsewolodowitsch etwas freundlicher. »Man sieht allerdings, daß die ganze zweite Hälfte des menschlichen Lebens sich gewöhnlich nur aus den Gewohnheiten zusammensetzt, die sich in der ersten Hälfte angesammelt haben.«
»Das sind goldene Worte! Sie lösen da das Rätsel des Lebens!« rief der Hauptmann, halb aus Schlauheit, zur Hälfte aber auch in wirklichem, ungekünsteltem Entzücken, da er ein großer Freund pointierter Ausdrücke war. »Von allen Ihren Aussprüchen, Nikolai Wsewolodowitsch, erinnere ich mich ganz besonders an einen, den Sie taten, als Sie noch in Petersburg waren: ›Man muß wirklich ein großer Mensch sein, um auch gegen den gesunden Menschenverstand ankämpfen zu können.‹ So war es!«
»Nun, ich hätte ebenso gut auch sagen können: ›ein Dummkopf‹.«
»Nun ja, meinetwegen auch ein Dummkopf; aber Sie haben Ihr ganzes Leben lang mit scharfsinnigen Bemerkungen um sich gestreut; und diese Menschen? Da soll mal Liputin, da soll mal Peter Stepanowitsch einen ähnlichen Ausspruch tun! Oh, wie grausam ist Peter Stepanowitsch mit mir umgegangen!«
»Aber Sie, Hauptmann, wie haben Sie selbst sich denn aufgeführt?«
»Ich habe der Trunksucht gefrönt, und dazu hatte ich eine Unmenge von Feinden! Aber jetzt liegt das alles, alles hinter mir, und ich häute mich wie eine Schlange. Nikolai Wsewolodowitsch, wissen Sie wohl, daß ich mein Testament mache, und daß ich es schon aufgesetzt habe?«
»Das ist ja interessant. Was hinterlassen Sie denn, und wem hinterlassen Sie es?«
»Dem Vaterlande, der Menschheit und den Studenten. Nikolai Wsewolodowitsch, ich habe in den Zeitungen die Lebensbeschreibung eines Amerikaners gelesen. Er hinterließ sein ganzes kolossales Vermögen den Fabriken und den positiven Wissenschaften, sein Skelett den Studenten einer dortigen Universität, und mit seiner Haut sollte eine Trommel bezogen und auf dieser Tag und Nacht die amerikanische Nationalhymne getrommelt werden. Aber wir sind leider Pygmäen im Vergleich mit dem hohen Gedankenfluge der nordamerikanischen Staaten. Rußland ist ein Spiel der Natur, aber nicht des Verstandes. Wenn ich versuchen wollte, meine Haut beispielsweise dem Akmolinschen Infanterieregimente, bei welchem ich die Ehre hatte meine militärische Laufbahn zu beginnen, zu einer Trommel zu hinterlassen, unter der Bedingung, daß täglich darauf vor dem Regimente die Nationalhymne getrommelt werde, so würde man das für Liberalismus halten und eine solche Benutzung meiner Haut inhibieren; und daher beschränke ich mich auf die Studenten. Ich will mein Skelett der Universität vermachen, aber nur unter der Bedingung, daß an der Stirn desselben für alle Zeit ein Etikett angeklebt wird mit der Aufschrift: ›Ein reuiger Freidenker.‹ Ja, so ist das.«
Der Hauptmann sprach mit großer Lebhaftigkeit und glaubte natürlich selbst an die Schönheit seines amerikanischen Testamentes; aber er war auch schlau und wünschte sehr, Nikolai Wsewolodowitsch, bei dem er früher lange Zeit die Stellung eines Narren innegehabt hatte, zum Lachen zu bringen. Aber dieser lächelte nicht, sondern fragte vielmehr mit einem gewissen Mißtrauen:
»Sie beabsichtigen also wohl, Ihr Testament noch bei Ihren Lebzeiten zu publizieren, um eine Belohnung dafür zu erhalten?«
»Ach, wenn sich das nur so machte, Nikolai Wsewolodowitsch, wenn sich das nur so machte!« sagte Lebjadkin, sein Gegenüber vorsichtig betrachtend. »Was habe ich für ein trauriges Schicksal! Ich habe sogar aufgehört, Verse zu schreiben; und früher einmal haben doch auch Sie, Nikolai Wsewolodowitsch, sich über meine Verse amüsiert, erinnern Sie sich wohl noch, bei der Flasche? Aber meine Feder ruht jetzt. Ich habe nur noch ein Gedicht geschrieben, wie Gogol seine ›Letzte Erzählung‹; Sie erinnern sich wohl, er verkündete dem ganzen Rußland, sie sei seiner Brust ›entströmt‹. So habe auch ich dieses Gedicht verfaßt und damit Schluß gemacht.«
»Was denn für ein Gedicht?«
»Die Überschrift lautet: ›Wenn sie sich das Bein bräche‹.«
»Wa-as?«
Darauf hatte der Hauptmann nur gewartet. Seine Gedichte bewunderte und schätzte er über alle Maßen; aber infolge einer schlauen Zweiteiligkeit seiner Seele hatte er zugleich seine Freude daran gehabt, daß Nikolai Wsewolodowitsch sich oft über seine Verse amüsierte und manchmal so darüber lachte, daß er sich die Seiten halten mußte. Auf diese Weise erreichte er zwei Ziele, ein dichterisches und ein geschäftliches; aber jetzt hatte er noch ein drittes, besonderes, sehr heikles Ziel: der Hauptmann beabsichtigte, indem er die Verse aufmarschieren ließ, sich hinsichtlich eines Punktes zu rechtfertigen, in betreff dessen er für sich ganz besondere Befürchtungen hegte und sich für besonders schuldig hielt.
»›Wenn sie sich das Bein bräche‹, das heißt bei einem Spazierritt. Es ist eine Phantasie, Nikolai Wsewolodowitsch, ein Hirngespinst, aber das Hirngespinst eines Dichters. Als ich einmal einer Reiterin begegnete, überraschte mich ihr Anblick, und ich legte mir die materielle Frage vor: ›was würde dann geschehen?‹ nämlich in jenem Falle. Die Sache ist klar: alle Verehrer würden sich zurückziehen, alle Bewerber würden über Nacht verschwinden; nur der Dichter mit dem zerquetschten Herzen in der Brust würde treu bleiben. Nikolai Wsewolodowitsch, sogar eine Laus darf verliebt sein; auch der ist es durch kein Gesetz verboten. Und doch fühlte die betreffende Person sich durch meinen Brief und durch meine Verse beleidigt. Sogar Sie sollen ärgerlich geworden sein; ist dem so? Das wäre schmerzlich; ich wollte es gar nicht glauben! Nun, wem hätte ich denn durch dieses Produkt meiner Einbildungskraft schaden können? Außerdem versichere ich Ihnen mit meinem Ehrenworte, daß mich Liputin dazu angestiftet hatte. ›Schicke es ab, schicke es ab!‹ sagte er. ›Jeder Mensch hat das Recht, Briefe zu schreiben‹; und so schickte ich es denn ab.«
»Sie haben sich ja wohl als Bräutigam angeboten?«
»Feinde, Feinde, nichts als Feinde!«
»Nun, dann sagen Sie Ihre Verse!« unterbrach ihn Nikolai Wsewolodowitsch verdrossen.
»Es ist ein Hirngespinst, ein Hirngespinst; das muß ich hervorheben.«
Indessen, er richtete sich gerade, streckte die Hand aus und begann:
»Ein Bein die schöne Reit'rin brach,
Was ihren Reiz nur noch vermehrte,
Und doppelt liebte sie danach
Er, der schon stets sie hoch verehrte.«
»Nun genug!« sagte Nikolai Wsewolodowitsch und winkte ihm ab.
»Ich träume von Petersburg,« rief Lebjadkin mit schnellem Übergange zu einem anderen Gegenstande, als ob von Versen nie die Rede gewesen wäre. »Ich träume von einer Auferstehung ... Mein Wohltäter! Darf ich darauf rechnen, daß Sie mir die Mittel zur Reise nicht abschlagen werden? Ich habe die ganze Woche über auf Sie gewartet wie auf die Sonne.«
»Nein, entschuldigen Sie mich; ich habe fast gar keine Geldmittel übrig. Und weshalb sollte ich Ihnen auch Geld geben?«
Nikolai Wsewolodowitsch schien auf einmal ärgerlich zu werden. Mit kurzen, trockenen Worten zählte er alle Übeltaten des Hauptmanns auf: seine Trunksucht, seine Lügen, die Vergeudung des für Marja Timofejewna bestimmten Geldes, daß er sie aus dem Kloster herausgenommen hatte, seine frechen Briefe mit der Drohung, ein Geheimnis zu veröffentlichen, sein Benehmen gegen Darja Pawlowna usw. usw. Der Hauptmann bog sich hin und her, gestikulierte, begann etwas zu erwidern; aber Nikolai Wsewolodowitsch hielt ihn jedesmal gebieterisch zurück.
»Und erlauben Sie,« bemerkte er endlich, »Sie schreiben immer von ›Familienschande‹. Was liegt für Sie darin für eine Schande, daß Ihre Schwester mit Stawrogin in legitimer Form verheiratet ist?«
»Aber es ist eine heimliche Ehe, Nikolai Wsewolodowitsch, eine heimliche Ehe, ein verhängnisvolles Geheimnis. Ich empfange von Ihnen Geld, und da fragt man mich: ›Wofür ist dieses Geld?‹ Ich bin gebunden und kann darauf nicht antworten, zum Schaden meiner Schwester und zum Schaden der Familienehre.«
Der Hauptmann erhob die Stimme; er liebte dieses Thema und hatte fest darauf gerechnet. O weh, er ahnte nicht, welche schreckliche Nachricht ihm bevorstand. Ruhig und bestimmt, als ob es sich um die alltäglichste häusliche Angelegenheit handelte, teilte ihm Nikolai Wsewolodowitsch mit, daß er in den nächsten Tagen, vielleicht schon morgen oder übermorgen, seine Ehe im ganzen Orte bekannt zu machen gedenke, »sowohl der Polizei als auch der Gesellschaft«; damit werde sich die Frage der Familienehre und zugleich auch die Frage der Subsidien ganz von selbst erledigen. Der Hauptmann riß die Augen auf: er verstand gar nicht; es mußte ihm erst noch einmal erläutert werden.
»Aber sie ist ja ... nur halb bei Verstande?«
»Ich werde die erforderlichen Anordnungen treffen.«
»Aber ... was wird Ihre Mutter dazu sagen?«
»Nun, mag sie sagen, was sie will.«
»Aber werden Sie denn Ihre Gattin in Ihr Haus einführen?«
»Vielleicht auch das. Übrigens ist das absolut nicht Ihre Sache und geht Sie gar nichts an.«
»Wieso geht mich das nichts an?« rief der Hauptmann. »Und wie ist's mit mir?«
»Nun, Sie werden selbstverständlich nicht in mein Haus kommen.«
»Aber ich bin ja doch ein Verwandter?«
»Solche Verwandten hält man fern. Wozu sollte ich Ihnen dann noch Geld geben? Überlegen Sie sich das nur selbst!«
»Nikolai Wsewolodowitsch, Nikolai Wsewolodowitsch, das ist unmöglich; Sie werden sich das vielleicht noch überlegen; Sie werden nicht selbst Hand an sich legen wollen ... Was wird die vornehme Welt davon denken, dazu sagen?«
»Ich fürchte mich auch wohl sehr vor Ihrer vornehmen Welt! Ich habe damals Ihre Schwester geheiratet, als mir die Lust ankam, nach einem Diner mit vielem Wein, infolge einer Wette, und jetzt werde ich es laut veröffentlichen ... wenn mir das jetzt Freude macht.«
Er sagte das in besonders gereiztem Tone, so daß Lebjadkin in seiner Angst zu glauben anfing.
»Aber ich, ich bin ja doch dabei die Hauptsache! ... Sie scherzen vielleicht, Nikolai Wsewolodowitsch?«
»Nein, ich scherze nicht.«
»Nehmen Sie es nicht übel, Nikolai Wsewolodowitsch, aber ich kann es nicht glauben ... Dann habe ich eine Bitte an Sie.«
»Sie sind furchtbar dumm, Hauptmann.«
»Mag sein; aber es bleibt mir ja nichts anderes übrig!« erwiderte der Hauptmann total verwirrt. »Früher gaben mir die Leute für die Dienstleistungen meiner Schwester wenigstens eine Unterkunft in ihren elenden Wohnungen; aber was wird jetzt aus mir werden, wenn Sie Ihre Hand ganz von mir abziehen?«
»Sie wollen ja nach Petersburg fahren und Ihre Karriere wechseln. Apropos, ist das wahr, ich habe gehört, Sie hätten die Absicht, zum Zwecke einer Denunziation hinzureisen, in der Hoffnung, Verzeihung zu erlangen, wenn Sie alle andern angäben?«
Der Hauptmann öffnete den Mund, riß die Augen auf und antwortete nicht.
»Hören Sie mal, Hauptmann,« begann auf einmal Stawrogin außerordentlich ernst, indem er sich zu dem Tische vorbeugte. Er hatte bis dahin gewissermaßen zweideutig gesprochen, so daß Lebjadkin, der sich in die Rolle eines Narren eingelebt hatte, bis zum letzten Augenblicke immer noch ein wenig ungläubig gewesen war: ob sein Herr wirklich ärgerlich sei oder nur Spaß mache, ob er wirklich die böse Absicht habe, die Ehe zu veröffentlichen, oder nur scherze. Jetzt aber war Nikolai Wsewolodowitschs ungewöhnlich strenge Miene so überzeugend, daß dem Hauptmann sogar ein Schauer über den Rücken lief. »Hören Sie mal, sagen Sie die Wahrheit, Lebjadkin: haben Sie eine Denunziation eingereicht oder noch nicht? Haben Sie wirklich schon etwas getan? Haben Sie vielleicht in Ihrer Dummheit einen Brief abgeschickt?«
»Nein, ich habe noch nichts getan, und ... ich habe auch gar nicht daran gedacht,« erwiderte der Hauptmann, starr vor sich hinblickend.
»Nun, daß Sie nicht daran gedacht hatten, das lügen Sie. Deswegen erbaten Sie sich ja auch das Reisegeld nach Petersburg. Wenn Sie nicht geschrieben haben, haben Sie nicht hier zu jemand so etwas geschwatzt? Sagen Sie die Wahrheit; ich habe etwas gehört.«
»In betrunkenem Zustande, zu Liputin. Liputin ist ein Verräter. Ich habe ihm mein Herz ausgeschüttet,« flüsterte der arme Hauptmann.
»Ach was, Herz! Man darf kein Dummkopf sein. Wenn Sie einen solchen Gedanken hatten, so mußten Sie ihn für sich behalten; heutzutage schweigen verständige Menschen und plaudern nicht.«
»Nikolai Wsewolodowitsch,« begann der Hauptmann zitternd; »Sie selbst sind ja an nichts beteiligt gewesen; gegen Sie kann ich ja nichts ...«
»Ihre Melkkuh würden Sie ja natürlich nicht zu denunzieren wagen.«
»Nikolai Wsewolodowitsch, urteilen Sie selbst, urteilen Sie selbst! ...«
Und nun erzählte der Hauptmann in heller Verzweiflung und unter Tränen hastig, wie es ihm in den ganzen letzten vier Jahren ergangen war. Es war die alberne Geschichte eines Dummkopfes, der sich in eine Sache, die nicht für ihn paßte, eingelassen und infolge seiner Trunksucht und seines Bummellebens den Ernst derselben bis zum letzten Augenblicke kaum begriffen hatte. Er erzählte, er habe sich schon in Petersburg anfangs einfach aus Freundschaft, wie ein richtiger Student, obwohl er kein Student gewesen sei, hinreißen lassen und, ohne etwas davon zu verstehen, »in aller Unschuld« allerlei Papiere auf den Treppen ausgestreut, dutzendweis an den Türen und Klingeln hinterlassen, statt der Zeitungen hindurchgeschoben, ins Theater mitgenommen, dort in die Hüte hineingetan und den Leuten in die Taschen gesteckt. Dann habe er auch angefangen, Geld von ihnen anzunehmen; »denn mit meinen Mitteln war es gar zu kläglich bestellt!« In zwei Gouvernements habe er in den einzelnen Kreisen »allen möglichen Schund« verbreitet.
»Oh, Nikolai Wsewolodowitsch!« rief er aus. »Am meisten war ich darüber empört, daß dies den bürgerlichen Gesetzen und namentlich den vaterländischen Gesetzen durchaus zuwiderlief! Da stand auf diesen Blättern plötzlich gedruckt, die Bauern sollten mit Heugabeln ausziehen und nicht vergessen, daß, wer am Morgen arm ausziehe, am Abend als reicher Mann nach Hause zurückkehren könne, – nun denken Sie einmal an! Ich selbst zitterte dabei, aber ich verbreitete die Blätter. Oder es waren da auf einmal fünf, sechs Zeilen an ganz Rußland, in denen es ohne Weiteres hieß: ›Schließt schnell die Kirchen, schafft Gott ab, hebt die Ehen auf, vernichtet das Erbrecht, ergreift die Messer!‹ und weiß der Teufel was sonst noch. Mit diesem fünfzeiligen Blatte wäre es mir beinah schlimm gegangen; denn bei einem Regimente prügelten mich die Offiziere durch; indes ließen sie mich noch laufen, Gott lohne es ihnen! Und im vorigen Jahre wäre ich beinah abgefaßt worden, als ich Fünfzigrubelscheine französischen Fabrikats an Korowajew ablieferte; aber Gott sei Dank, Korowajew ertrank damals gerade in betrunkenem Zustande in einem Teiche, und da konnten sie mir nichts beweisen. Hier bei Wirginski verkündigte ich die Freiheit der sozialistischen Frau. Im Juni habe ich wieder im Kreise B*** Flugblätter verbreitet. Sie sagen, sie werden mich noch weiter dazu zwingen ... Peter Stepanowitsch teilt mir auf einmal mit, ich müsse gehorchen; er droht mir schon lange. Und wie hat er mich damals am Sonntag behandelt! Nikolai Wsewolodowitsch, ich bin ein Sklave, ein Wurm, aber kein Gott; nur dadurch unterscheide ich mich von Derschawin Derschawin sagt in seiner Ode »Gott« (1784): »Ich bin ein Fürst, ein Sklav, ein Wurm, ein Gott!« Anmerkung des Übersetzers.. Aber mit meinen Mitteln ist es gar zu kläglich bestellt!«
Nikolai Wsewolodowitsch hatte aufmerksam zugehört.
»Vieles davon habe ich nicht gewußt,« sagte er. »Mit Ihnen konnten sie natürlich alles mögliche anfangen ... Hören Sie,« fuhr er nach kurzer Überlegung fort, »wenn Sie wollen, so sagen Sie ihnen doch (ich meine denjenigen, mit denen Sie da bekannt sind), Liputin hätte gelogen, und Sie hätten, in der Annahme, daß ich ebenfalls kompromittiert sei, mich nur durch eine Denunziation einschüchtern wollen, um auf diese Weise von mir mehr Geld herauszuquetschen – Verstehen Sie?«
»Nikolai Wsewolodowitsch, Täubchen, droht mir wirklich von jenen Menschen Gefahr? Ich habe nur darum so ungeduldig auf Sie gewartet, um Sie danach zu fragen.«
Nikolai Wsewolodowitsch lächelte.
»Nach Petersburg wird man Sie allerdings nicht reisen lassen, auch wenn ich Ihnen das Reisegeld gäbe ... Übrigens, es ist Zeit, daß ich zu Marja Timofejewna gehe.«
Er stand vom Stuhle auf.
»Nikolai Wsewolodowitsch, wie ist es aber mit Marja Timofejewna?«
»So, wie ich Ihnen gesagt habe.«
»Ist das wirklich wahr?«
»Glauben Sie es immer noch nicht?«
»Werden Sie mich wirklich wegwerfen wie einen alten abgetragenen Stiefel?«
»Ich werde einmal sehen,« erwiderte Nikolai Wsewolodowitsch lachend. »Nun, lassen Sie mich zu ihr!«
»Befehlen Sie nicht, daß ich mich vor die Haustür stelle, ... damit ich nicht unversehens etwas mit anhöre ... denn die Zimmer sind sehr klein.«
»Das ist richtig; stellen Sie sich vor die Haustür! Nehmen Sie meinen Schirm!«
»Ihren Schirm? ... Ist der nicht zu schade für mich?« fragte der Hauptmann süßlich.
»Jeder Mensch ist einen Regenschirm wert.«
»Da haben Sie in knappster Form das Minimum der Menschenrechte definiert ...«
Aber er redete nur noch mechanisch; er war durch diese Nachrichten zu sehr niedergedrückt und vollständig aus der Fassung geraten. Und dennoch begann fast in demselben Augenblicke, als er vor die Haustür trat und den Schirm aufspannte, sich in seinem leichtsinnigen, schlauen Kopfe wieder der stets beruhigend wirkende Gedanke Bahn zu brechen, daß man ihn zu überlisten suche und ihn belüge, und daß, wenn dem so sei, er sich nicht zu fürchten brauche, sondern die andern vor ihm Furcht hatten.
»Wenn sie lügen und mich zu überlisten suchen, warum tun sie es dann eigentlich?« diese Frage ging ihm durch den Kopf. Die Veröffentlichung der Ehe erschien ihm als eine Albernheit. »Allerdings ist bei diesem seltsamen Menschen alles möglich; er lebt nur, um anderen Leuten zu schaden. Aber wie, wenn er sich selbst fürchtet, nach dem Affront vom Sonntag, und sich so fürchtet wie sonst noch niemals? Da kommt er nun hergelaufen, um zu versichern, daß er es selbst veröffentlichen werde, aus Furcht, daß ich es veröffentliche. Ei, ei, schieße keinen Bock, Lebjadkin! Und warum kommt er heimlich bei Nacht, während er doch selbst die Publikation wünscht? Wenn er sich aber fürchtet, so hat sich diese Furcht jetzt eingestellt, gerade jetzt, gerade vor einigen Tagen ... Ei, ei, tu nur keinen falschen Schritt, Lebjadkin! ...
»Er schreckt mich mit Peter Stepanowitsch. O weh, das ist schlimm; o weh, das ist schlimm; ja, das ist wirklich sehr schlimm! Mußte mich auch der Teufel plagen, zu Liputin zu schwatzen! Weiß der Teufel, was diese nichtswürdigen Kerle vorhaben; ich bin nie so recht daraus klug geworden. Nun haben sie wieder ihre Organisation geändert wie vor fünf Jahren. Es ist wahr: an wen sollte ich eine Denunziation einreichen? ›Haben Sie auch nicht in Ihrer Dummheit an jemand geschrieben?‹ Hm! Also kann ich doch schreiben, unter dem Scheine der Dummheit? Gibt er mir vielleicht damit einen Rat? ›Dies ist die Absicht, in der Sie nach Petersburg fahren wollen.‹ Der Schurke! mir hat nur davon geträumt, und da hat er auch schon meinen Traum erraten! Es klingt, als ob er mich selbst zu der Reise veranlassen wollte. Da sind sicherlich zwei Möglichkeiten, eine oder die andere: entweder fürchtet er wieder einmal für sich selbst, weil er einen dummen Streich gemacht hat, oder ... oder er fürchtet für sich selbst nichts und möchte mich nur dazu veranlassen, alle anderen zu denunzieren! Ach, es ist ein schlimmes Ding, Lebjadkin; ach, schieße nur ja keinen Bock! ...
Er war so nachdenklich geworden, daß er längere Zeit sogar das Horchen vergaß. Übrigens hatte das Horchen auch seine Schwierigkeit; die Tür war dick und einflügelig, und sie sprachen sehr leise; es drangen nur undeutliche Laute heraus. Der Hauptmann spuckte ärgerlich aus, nachdem er vergeblich etwas zu erlauschen versucht hatte, und ging wieder hinaus, um nachdenklich vor der Haustür zu pfeifen.
Marja Timofejewnas Zimmer war noch einmal so groß wie dasjenige, welches der Hauptmann benutzte, und mit ebenso plumpen Möbeln ausgestattet; aber der Tisch vor dem Sofa war mit einer hübschen, bunten Decke bedeckt; auf ihm brannte eine Lampe; über den ganzen Fußboden war ein schöner Teppich gebreitet; das Bett war durch einen langen grünen Vorhang abgesondert, der durch das ganze Zimmer ging, und außerdem stand beim Tische ein großer, weicher Lehnstuhl, auf den sich jedoch Marja Timofejewna nicht gesetzt hatte. In einer Ecke hatte, ebenso wie in der früheren Wohnung, ein Heiligenbild mit einem davor brennenden Lämpchen seinen Platz gefunden, und auf dem Tische lagen nebeneinander ganz dieselben unentbehrlichen Requisiten, nämlich: das Spiel Karten, das Spiegelchen, das Liederbuch, sogar die Semmel. Außerdem fanden sich dort zwei Büchelchen mit farbigen Illustrationen; das eine war ein für das Jugendalter hergestellter Auszug aus einer populären Reisebeschreibung, das andere eine Sammlung einfacher, moralischer Erzählungen, meist aus der Ritterzeit, zu Weihnachtsgeschenken und zum Gebrauch in Instituten bestimmt. Auch ein Album mit verschiedenen Photographien war da. Marja Timofejewna hatte allerdings auf den Gast gewartet, wie der Hauptmann gesagt hatte; aber als Nikolai Wsewolodowitsch zu ihr hereintrat, schlief sie in halb liegender Haltung auf dem Sofa, gegen ein Kissen von Wollenstoff gelehnt. Der Gast schloß geräuschlos hinter sich die Tür und betrachtete, ohne sich vom Fleck zu rühren, die Schlafende.
Der Hauptmann hatte gelogen, als er gesagt hatte, sie habe Toilette gemacht. Sie trug dasselbe dunkle Kleid wie am Sonntag bei Warwara Petrowna. Ihr Haar war ganz ebenso im Nacken in einen winzigen Kauz zusammengebunden, der lange, magere Hals ganz ebenso entblößt. Das schwarze Schaltuch, das ihr Warwara Petrowna geschenkt hatte, lag, sorgsam zusammengelegt, auf dem Sofa. Wie früher war sie stark weiß und rot geschminkt. Nikolai Wsewolodowitsch hatte noch nicht eine Minute lang dagestanden, als sie plötzlich erwachte, wie wenn sie gefühlt hätte, daß sein Blick auf sie gerichtet war; sie schlug die Augen auf und richtete sich schnell in die Höhe. Aber es mußte wohl auch in der Seele des Gastes etwas Sonderbares vorgehen: er blieb auf demselben Fleck an der Tür stehen und sah ihr ohne sich zu rühren mit einem durchdringenden Blicke schweigend und unverwandt ins Gesicht. Vielleicht war dieser Blick ungewöhnlich finster, vielleicht prägte sich in ihm ein Widerwille aus oder sogar Schadenfreude über ihren Schreck, wenn das der eben erwachenden Marja Timofejewna nicht alles nur so schien; aber jedenfalls malte sich nach einem fast eine Minute dauernden Warten auf dem Gesichte des armen Weibes eine grenzenlose Angst: krampfhafte Zuckungen liefen darüber hin; sie hob die Arme in die Höhe, schüttelte sie abwehrend und brach plötzlich ganz wie ein erschrockenes kleines Kind in Tränen aus; noch ein Augenblick, und sie hätte aufgeschrieen. Aber der Besucher sammelte sich; in einem Nu veränderte sich sein Gesicht, und er trat mit dem angenehmsten, freundlichsten Lächeln an den Tisch heran.
»Verzeihen Sie, Marja Timofejewna, daß ich Sie durch mein unerwartetes Kommen aus dem Schlafe aufgestört habe,« sagte er und streckte ihr die Hand hin.
Der Klang der freundlichen Worte tat seine Wirkung; der Ausdruck des Schreckens verschwand, obgleich sie immer noch ängstlich aussah und sich augenscheinlich anstrengen mußte, um etwas zu begreifen. Furchtsam streckte sie ihm die Hand hin. Endlich begann ein schüchternes Lächeln um ihre Lippen zu spielen.
»Willkommen, Fürst,« flüsterte sie und blickte ihn seltsam an.
»Sie haben gewiß einen bösen Traum gehabt?« fragte er, noch angenehmer und freundlicher lächelnd als vorher.
»Aber woher wissen Sie, daß ich gerade davon geträumt habe?«
Und plötzlich fuhr sie wieder zusammen, lehnte sich zurück, hob den Arm wie zu ihrem Schutze vor sich in die Höhe und schickte sich an, wieder loszuweinen.
»Fassen Sie sich! Lassen Sie es doch gut sein! Warum ängstigen Sie sich? Erkennen Sie mich denn nicht?« redete Nikolai Wsewolodowitsch auf sie ein, vermochte aber diesmal lange Zeit nichts auszurichten.
Sie sah ihn schweigend an, immer mit derselben qualvollen Ungewißheit, mit einem peinigenden Gedanken in ihrem armen Kopfe, und strengte sich immer noch an, über etwas ins klare zu kommen. Bald schlug sie die Augen nieder, bald wieder streifte sie ihn mit einem schnellen, seine ganze Gestalt umfassenden Blicke. Endlich schien sie sich zwar nicht eigentlich beruhigt zu haben, aber doch zu einem Entschlusse gekommen zu sein.
»Bitte, setzen Sie sich neben mich, damit ich Sie nachher ansehen kann,« sagte sie in ziemlich festem Tone, mit irgendwelcher bestimmten, neuen Absicht. »Und jetzt seien Sie ganz unbesorgt; ich meinerseits werde Sie nicht ansehen, sondern zu Boden schauen, und blicken auch Sie mich nicht eher an, als bis ich selbst Sie darum bitte! Setzen Sie sich doch!« fügte sie ordentlich ungeduldig hinzu.
Ein neues Gefühl hatte sich ihrer augenscheinlich immer mehr und mehr bemächtigt.
Nikolai Wsewolodowitsch setzte sich und wartete; es trat ein ziemlich langes Stillschweigen ein.
»Hm! Das kommt mir alles so sonderbar vor,« murmelte sie auf einmal beinah unwillig. »Allerdings haben mich böse Träume bedrückt; aber warum hat mir gerade von Ihnen so etwas geträumt?«
»Nun, lassen wir die Träume beiseite!« sagte er ungeduldig und wendete sich trotz des Verbotes zu ihr; und vielleicht zeigte sich der Ausdruck von vorhin wieder für einen Moment in seinen Augen. Er sah, daß sie einigemal Lust hatte, große Lust hatte, ihn anzusehen, sich aber mit Energie beherrschte und nach unten schaute.
»Hören Sie, Fürst,« begann sie plötzlich mit erhobener Stimme. »Hören Sie, Fürst ...«
»Warum haben Sie sich abgewandt? Warum sehen Sie mich nicht an? Wozu diese Komödie?« konnte er sich nicht enthalten zu rufen.
Aber sie schien ihn gar nicht zu hören.
»Hören Sie, Fürst,« sagte sie zum dritten Male mit fester Stimme; ihr Gesicht hatte dabei einen unangenehmen, geschäftigen Ausdruck. »Als Sie mir damals im Wagen sagten, die Ehe solle öffentlich bekanntgegeben werden, da bekam ich gleich einen Schreck darüber, daß das Geheimnis ein Ende nehmen solle. Jetzt aber weiß ich gar nicht, wie es dann werden soll; ich habe immer darüber nachgedacht und sehe klar, daß ich ganz und gar nicht dazu tauge. Ich verstehe zwar, mich zu putzen, und Gäste kann ich vielleicht auch empfangen: Leute zu einer Tasse Tee einzuladen, das ist kein Kunststück, namentlich wenn man Bediente hat. Aber doch wird man mich nicht für voll ansehen. Ich habe mir damals am Sonntagvormittag, vieles in jenem Hause angesehen. Dieses hübsche Fräulein blickte mich die ganze Zeit über an, besonders nachdem Sie hereingekommen waren. Sie waren es doch, der damals hereinkam, nicht wahr? Die Mutter dieses Fräuleins ist einfach eine komische alte Dame. Mein Lebjadkin war ebenfalls kostbar; um nicht laut loszulachen, sah ich immer nach der Decke hinauf; es ist da eine sehr schön gemalte Decke. ›Seine‹ Mutter könnte eine Äbtissin sein; ich fürchte mich vor ihr, obgleich sie mir ein schwarzes Schaltuch geschenkt hat. Gewiß sind alle Frauen damals über mich befremdet gewesen; ich nahm es ihnen nicht übel; aber ich saß immer da und dachte: wie kann ich deren Verwandte werden? Allerdings verlangt man von einer Gräfin nur geistige Eigenschaften, da sie für die wirtschaftlichen Dinge eine Menge Diener hat, und ferner noch eine gewisse gesellschaftliche Gewandtheit, so daß sie es versteht, ausländische Reisende zu empfangen. Aber trotzdem sahen mich die Damen am Sonntag mit hoffnungslosen Mienen an. Nur Dascha ist ein Engel. Ich fürchte sehr, daß die Damen ›ihn‹ durch eine unvorsichtige Bemerkung über mich betrübt haben.«
»Fürchten Sie nichts, und beunruhigen Sie sich nicht!« sagte Nikolai Wsewolodowitsch, den Mund verziehend.
»Übrigens macht mir das nichts aus, wenn er sich auch über mich ein bißchen schämt; denn das Mitleid wird bei ihm immer größer sein als die Scham, sollte ich vom menschlichen Standpunkte aus meinen. Er weiß ja, daß ich eher Anlaß habe, sie zu bemitleiden, als sie mich.«
»Es scheint, daß Sie sich sehr über sie geärgert haben, Marja Timofejewna?«
»Wer? Ich? Nein,« antwortete sie mit einem einfältigen Lächeln. »Durchaus nicht. Ich habe sie damals sämtlich betrachtet: ›Alle ärgert ihr euch, alle zankt ihr euch,‹ dachte ich; ›recht von Herzen zu lachen, wenn sie einmal zusammenkommen, das verstehen sie nicht; so viel Reichtum und so wenig Heiterkeit!‹ Das alles war mir so widerwärtig. Jetzt bedaure ich übrigens niemanden als mich selbst.«
»Ich habe gehört, daß Sie in meiner Abwesenheit mit Ihrem Bruder ein schlechtes Leben gehabt haben?«
»Wer hat Ihnen das gesagt? Unsinn! Jetzt habe ich es weit schlechter; jetzt habe ich böse Träume, und die bösen Träume kommen davon her, daß Sie angekommen sind. Ich möchte nur wissen, warum Sie erschienen sind; sagen Sie das doch einmal!«
»Möchten Sie nicht wieder ins Kloster?«
»Na, das habe ich mir doch gedacht, daß man mir wieder das Kloster vorschlagen würde! Ein reizender Ort, euer Kloster! Und warum soll ich denn dahin gehen, wozu soll ich jetzt da eintreten? Jetzt bin ich mutterseelenallein! Es ist zu spät für mich, ein drittes Leben anzufangen.«
»Sie sind über irgend etwas sehr böse; fürchten Sie etwa, daß ich Sie nicht mehr liebe?«
»Um Sie kümmere ich mich überhaupt nicht. Ich fürchte, daß ich selbst jemanden nicht mehr liebe.«
Sie lächelte geringschätzig.
»Ich habe mir gewiß ›ihm‹ gegenüber etwas Großes zuschulden kommen lassen,« fügte sie auf einmal wie im Selbstgespräche hinzu. »Ich weiß nur nicht, was ich mir habe zuschulden kommen lassen; das ist nun lebenslänglich mein ganzes Unglück. Immer und immer, diese ganzen fünf Jahre lang, habe ich Tag und Nacht gefürchtet, daß ich mir ›ihm‹ gegenüber etwas habe zuschulden kommen lassen. Ich bete, ich bete oft und denke immer an mein großes Verschulden ›ihm‹ gegenüber. Und es hat sich auch herausgestellt, daß es damit seine Richtigkeit hat.«
»Was hat seine Richtigkeit?«
»Ich fürchte nur, daß von ›seiner‹ Seite etwas vorliegt,« fuhr sie fort, ohne auf die Frage zu antworten, die sie überhaupt nicht gehört hatte. »Andererseits ist es eigentlich doch unmöglich, daß ›er‹ mit so geringwertigen Menschen gemeinsame Sache gemacht haben sollte. Die Gräfin möchte mich am liebsten auffressen, obgleich sie mich zu sich in ihren Wagen genommen hat. Alle sind sie miteinander verschworen; ob auch ›er‹ dabei ist? Hat auch ›er‹ mich verraten?« (Ihr Kinn und ihre Lippen begannen zu zucken.) »Hören Sie, haben Sie von Grischka Otrepjew Der wahre Name des falschen Demetrius. Anmerkung des Übersetzers. gelesen, daß er in sieben Kathedralen verflucht worden ist?«
Nikolai Wsewolodowitsch schwieg.
»Übrigens werde ich mich jetzt zu Ihnen wenden und Sie ansehen,« sagte sie, wie wenn sie sich plötzlich dazu entschlossen hätte. »Wenden auch Sie sich zu mir, und sehen Sie mich an, aber recht aufmerksam! Ich will mich zum letztenmal vergewissern.«
»Ich sehe Sie schon lange an.«
»Hm!« sagte Marja Timofejewna, ihn unverwandt anblickend. »Sie sind sehr dick geworden ...«
Sie wollte noch etwas hinzufügen; aber auf einmal entstellte wieder, zum drittenmal, die frühere Angst momentan ihr Gesicht; sie sank wieder zurück und hob den Arm vor sich in die Höhe.
»Aber was ist Ihnen denn?« schrie Nikolai Wsewolodowitsch beinah wütend.
Aber die Angst dauerte nur einen Augenblick; ihr Gesicht verzog sich zu einem seltsamen, argwöhnischen, unangenehmen Lächeln.
»Ich bitte Sie, Fürst, stehen Sie auf, und treten Sie ein!« sagte sie auf einmal mit fester, energischer Stimme.
»Was meinen Sie damit: ›Treten Sie ein‹? Wo soll ich eintreten?«
»Ich habe die ganzen fünf Jahre lang immer nur die eine Vorstellung gehabt, wie ›er‹ eintreten wird. Stehen Sie sofort auf, und gehen Sie durch die Tür in jenes Zimmer! Ich werde hier sitzen, als ob ich jemand erwartete, und ein Buch in die Hand nehmen, und plötzlich werden Sie, nachdem Sie fünf Jahre auf Reisen abwesend gewesen sind, eintreten. Ich will sehen, wie das sein wird.«
Nikolai Wsewolodowitsch knirschte im stillen mit den Zähnen und murmelte etwas Unverständliches.
»Genug!« sagte er, indem er mit der flachen Hand auf den Tisch schlug. »Ich bitte Sie, Marja Timofejewna, mich anzuhören. Tun Sie mir den Gefallen und nehmen Sie, wenn Sie es vermögen, Ihre ganze Aufmerksamkeit zusammen! Sie sind ja doch nicht ganz verrückt!« fuhr er ungeduldig heraus. »Morgen werde ich unsere Ehe bekanntgeben. Sie werden niemals in Palästen wohnen; davon mögen Sie überzeugt sein! Wollen Sie mit mir Ihr ganzes Leben verbringen, aber allerdings sehr weit von hier? Da im Gebirge, in der Schweiz, ist ein Ort ... Seien Sie unbesorgt; ich werde Sie nie im Stich lassen und Sie nicht in ein Irrenhaus geben. Ich habe genug Geld, um leben zu können, ohne andere Menschen bitten zu müssen. Sie werden eine Magd haben; Sie werden keine Arbeit zu tun brauchen. Alles, was Sie im Bereiche der Möglichkeit wünschen werden, wird Ihnen beschafft werden. Sie werden beten, werden gehen, wohin es Ihnen beliebt, und tun, was Ihnen beliebt. Ich werde Sie nicht berühren. Ich werde diesen Ort ebenfalls mein ganzes Leben lang nicht verlassen. Wenn Sie wollen, werde ich lebenslänglich nicht mit Ihnen reden, und wenn Sie wollen, mögen Sie mir jeden Abend, wie damals in Petersburg in den elenden Wohnungen, Ihre Geschichten erzählen. Ich werde Ihnen aus Büchern vorlesen, wenn Sie es wünschen. Aber dafür werden Sie lebenslänglich an einem Orte wohnen, und der Ort ist unschön. Wollen Sie das? Können Sie sich dazu entschließen? Werden Sie es nicht bereuen und mich nicht mit Ihren Tränen und Verwünschungen quälen?«
Sie hatte mit größtem Interesse zugehört; nun schwieg sie lange und dachte nach.
»Das alles kommt mir unwahrscheinlich vor,« sagte sie endlich spöttisch und geringschätzig. »Da soll ich am Ende vierzig Jahre dort im Gebirge wohnen?«
Sie lachte auf.
»Nun gut; leben wir da vierzig Jahre!« erwiderte Nikolai Wsewolodowitsch mit sehr finsterem Gesichte.
»Hm! ... Um keinen Preis werde ich dahin fahren.«
»Auch nicht mit mir?«
»Was sind Sie denn für einer, daß ich mit Ihnen mitfahren sollte? Vierzig Jahre hintereinander soll ich mit ihm im Gebirge sitzen, – ist das eine Zumutung! Und was für geduldige Menschen es heutzutage gibt! Nein, das ist nicht möglich, daß ein Falke zum Uhu wird. Mein Fürst ist von anderer Art!« rief sie stolz und triumphierend mit erhobenem Haupte.
Es ging ihm ein Licht auf.
»Warum nennen Sie mich Fürst, und ... für wen halten Sie mich?« fragte er schnell.
»Wie? Sind Sie kein Fürst?«
»Also gestehen Sie das selbst, mir gerade ins Gesicht, ein, daß Sie kein Fürst sind?«
»Ich sage es ja, das bin ich nie gewesen.«
»O Gott!« rief sie und schlug die Hände zusammen. »Alles hatte ich von ›seinen‹ Feinden erwartet, aber eine solche Dreistigkeit niemals! Ist er am Leben?« schrie sie rasend und bog sich nahe an Nikolai Wsewolodowitsch heran. »Hast du ihn getötet? Bekenne!«
»Für wen hältst du mich?« rief er und sprang mit entsetztem Gesichte auf.
Aber es war jetzt schwer, sie zu erschrecken; sie triumphierte.
»Wer kennt dich, was du für einer bist, und von wo du auf einmal herkommst? Aber mein Herz, mein Herz hat diese ganzen fünf Jahre her die ganze Intrige geahnt! Und ich sitze hier und wundere mich: was für eine blinde Eule ist denn da gekommen? Nein, mein Lieber, du bist ein schlechter Schauspieler, sogar ein schlechterer als Lebjadkin. Bestelle meine ergebenste Empfehlung an die Gräfin und sage ihr, sie möchte einen gewandteren Menschen schicken, als du bist! Sie hat dich wohl in Dienst genommen, sag mal? Da bist du nun bei ihr aus Gnade und Barmherzigkeit in der Küche angestellt! Ich durchschaue euren ganzen Betrug vollständig; ich verstehe euch alle, ohne Ausnahme!«
Er faßte sie kräftig oberhalb des Ellbogens an den Arm; sie lachte ihm ins Gesicht.
»Du bist ihm ähnlich, sehr ähnlich; vielleicht bist du auch ein Verwandter von ihm; ein schlaues Volk seid ihr! Aber mein Mann ist ein echter Falke und ein Fürst, und du ein Waldkauz und ein ganz gewöhnlicher Kaufmann! Mein Mann verbeugt sich vor Gott, wenn er will, und, wenn er will, auch nicht; aber dich hat der liebe Schatow, den ich so gut leiden kann, auf die Backen gehauen; mein Lebjadkin hat es erzählt. Und warum bist du damals so feige gewesen, als du hereinkamst? Wer hat dich damals erschreckt? Als ich hingefallen war und du mich auffingst, da sah ich dein gemeines Gesicht, und es war mir, als kröche mir ein Wurm ins Herz hinein: ›er‹ ist es nicht, dachte ich bei mir, ›er‹ ist es nicht! Mein Falke hätte sich niemals meiner vor einem vornehmen Fräulein geschämt! O Gott! Was mich die ganzen fünf Jahre lang glücklich gemacht hat, das war nur der Gedanke, daß mein Falke dort irgendwo jenseits der Berge lebt und umherfliegt und zur Sonne aufschaut ... Sage, du Betrüger, hast du viel dafür bekommen, daß du eine falsche Rolle spielst? Du hast dich wohl nur für eine tüchtige Geldsumme bereit erklärt? Ich hätte dir nicht einen Groschen gegeben. Ha-ha-ha! Ha-ha-ha! ...«
»Ach, du Idiotin!« rief Nikolai Wsewolodowitsch zähneknirschend; er hielt sie noch immer fest am Arm gepackt.
»Weg, du Betrüger!« schrie sie befehlend. »Ich bin das Weib meines Fürsten; ich fürchte mich nicht vor deinem Messer!«
»Vor dem Messer!«
»Ja, vor dem Messer! Du hast ein Messer in der Tasche. Du dachtest, ich schliefe; aber ich habe es gesehen: als du vorhin hereinkamst, nahmst du ein Messer heraus!«
»Was hast du gesagt, Unglückliche? Was hast du geträumt?« schrie er und stieß sie aus voller Kraft von sich, so daß sie mit den Schultern und dem Kopfe schmerzhaft gegen das Sofa schlug.
Er stürzte hinaus; sie aber sprang sogleich auf und eilte hinkend und hüpfend hinter ihm her; vor der Haustür hielt der erschrockene Lebjadkin sie mit Gewalt fest; aber sie schrie dem Davoneilenden noch kreischend und lachend in der Dunkelheit nach:
»Grischka Ot-rep-jew, sei ver-flucht!«
»Ein Messer, ein Messer!« sagte er in grimmigem Zorne vor sich hin, während er, ohne auf den Weg zu achten, mit großen Schritten durch den Schmutz und die Pfützen dahinging. In einzelnen Augenblicken hatte er allerdings die größte Lust, laut und wütend aufzulachen; aber aus irgendwelchem Grunde beherrschte er sich und unterdrückte das Lachen. Er kam erst auf der Brücke wieder zu sich, gerade an derselben Stelle, wo ihm vorhin Fedka begegnet war; ebenderselbe Fedka erwartete ihn dort auch jetzt, nahm, sobald er ihn erblickte, die Mütze ab, grinste fröhlich und begann sogleich flott und munter etwas zu schwatzen. Nikolai Wsewolodowitsch ging anfangs ohne anzuhalten vorbei und hörte eine Weile gar nicht nach dem Landstreicher hin, der sich ihm wieder angeschlossen hatte. Auf einmal überraschte ihn der Gedanke, daß er den Menschen vollständig vergessen hatte, und ihn vergessen hatte gerade in der Zeit, wo er selbst alle Augenblicke vor sich hingesagt hatte: »Ein Messer, ein Messer!« Er faßte den Landstreicher beim Kragen und warf ihn mit all dem Ingrimm, der sich in ihm aufgesammelt hatte, aus Leibeskräften auf die Brückenbohlen nieder. Einen Augenblick lang dachte dieser daran, mit dem Gegner zu ringen; aber er sagte sich sofort, daß er demselben gegenüber, noch dazu bei einem so unerwarteten Angriff, nur eine Art Strohhalm sein würde; daher verhielt er sich ruhig, schwieg und leistete überhaupt keinen Widerstand. Kniend, auf den Boden niedergedrückt, die Ellbogen auf den Rücken zurückgezwängt, wartete der schlaue Landstreicher ruhig die weitere Entwicklung ab, ohne im geringsten an eine Gefahr zu glauben, wie es schien.
Er hatte sich nicht geirrt. Nikolai Wsewolodowitsch war allerdings schon im Begriff, sich mit der linken Hand den warmen Schal abzunehmen, um seinem Gefangenen damit die Hände zu binden; aber auf einmal ließ er Fedka aus irgendwelchem Grunde wieder los und stieß ihn von sich. Dieser sprang im Nu auf die Füße, drehte sich um, und ein kurzes, breites Schustermesser, das plötzlich irgendwoher zum Vorschein kam, blitzte in seiner Hand.
»Weg mit dem Messer! Steck es ein, steck es sofort ein!« befahl Nikolai Wsewolodowitsch mit einer ungeduldigen Handbewegung, und das Messer verschwand ebenso schnell, wie es erschienen war.
Nikolai Wsewolodowitsch setzte wieder schweigend und ohne sich umzuwenden seinen Weg fort; aber der hartnäckige Taugenichts ließ dennoch nicht von ihm ab, wenn er auch jetzt nicht schwatzte und sogar eine respektvolle Entfernung von einem ganzen Schritte hinter dem Vorangehenden innehielt. Beide überschritten auf diese Weise die Brücke und stiegen das Ufer hinauf; dann wendeten sie sich diesmal links und bogen in eine gleichfalls lange, öde Gasse ein, durch die man schneller in das Zentrum der Stadt gelangte als auf dem vorher benutzten Wege durch die Bogojawlenskaja-Straße.
»Ist das wahr? Man sagt, du hättest neulich hier irgendwo im Kreise eine Kirche beraubt?«
»Das heißt, ursprünglich war ich eigentlich hingegangen, um zu beten,« antwortete der Landstreicher ruhig und höflich, als ob nichts vorgefallen wäre, und nicht nur ruhig, sondern sogar mit einer gewissen Würde.
Von der früheren freundschaftlichen Familiarität war in seiner Redeweise keine Spur mehr vorhanden. Er machte den Eindruck eines tüchtigen, ernsten Menschen, der zwar grundlos beleidigt worden ist, es aber versteht, auch eine Beleidigung zu vergessen.
»Aber als Gott mich dorthin geführt hatte,« fuhr er fort, »da dachte ich: Siehe da, das ist eine Gnade des Himmels! Das ist wegen meiner Armut geschehen, da es bei meinem Schicksal ohne Unterstützung nun einmal nicht geht. Aber Sie können es bei Gott glauben, gnädiger Herr: ich habe davon Schaden gehabt; denn Gott hat mich für meine Sünden gestraft. Für die Kirchengeräte habe ich zusammen nur zwölf Rubel bekommen. Den Kinnriemen des heiligen Nikolaus, den ich für reines Silber gehalten hatte, habe ich als Zugabe gegeben; er sei unecht, sagten sie.«
»Und den Wächter hast du ermordet?«
»Das heißt, ich habe mit dem Wächter zusammen in der Kirche aufgeräumt, und dann nachher gegen Morgen sind wir bei dem Flüßchen in Streit geraten, wer den Sack tragen solle. Da habe ich mich versündigt und ihn von allem Erdenleide befreit.«
»So ist's recht; morde nur immer, stiehl nur immer!«
»Genau dasselbe, mit denselben Worten wie Sie, rät mir auch Peter Stepanowitsch, weil er, was eine Unterstützung anlangt, sehr geizig und hartherzig ist. Außerdem glaubt er nicht die Bohne an den himmlischen Schöpfer, der uns aus Erdenstaub erschaffen hat, sondern glaubt und sagt, das habe alles die Natur so eingerichtet, sogar bis zum geringsten Tiere herab. Überdies hat er auch kein Verständnis dafür, daß ich bei meinem Schicksal ohne wohltätige Unterstützung schlechterdings nicht existieren kann. Wenn man ihm das sagt, so sieht er einen an wie der Hammel das Wasser; man kann sich über ihn bloß wundern. Werden Sie es glauben: bei dem Hauptmann Lebjadkin, den Sie soeben besucht haben, als der noch in dem Filippowschen Hause wohnte, da stand bei ihm manchmal die Tür die ganze Nacht über sperrangelweit auf, und er selbst schlief sternhagelvoll betrunken, und das Geld war ihm aus allen Taschen auf die Dielen gefallen. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen; denn daß ich bei der Wendung, die mein Schicksal genommen hat, ohne Unterstützung leben könnte, ist ganz unmöglich ...«
»Was meinst du damit: mit eigenen Augen? Bist du in der Nacht hingegangen?«
»Vielleicht bin ich auch hingegangen; nur weiß es niemand.«
»Und warum hast du ihn nicht ermordet?«
»Ich habe es mir auf dem Rechenbrett ausgerechnet und bin dadurch zu besonnenem Handeln gelangt. Denn obgleich ich bestimmt wußte, daß ich mir immer hundertfünfzig Rubel holen konnte, wie werde ich mich denn darauf einlassen, da ich doch ganze tausendfünfhundert bekommen kann, wenn ich nur ein bißchen warte? Denn der Hauptmann Lebjadkin (das habe ich mit meinen eigenen Ohren gehört) hoffte, wenn er betrunken war, immer stark auf Sie, und es gibt hier kein Restaurant, ja keine Schenke niedrigsten Ranges, wo er das nicht in solchem Zustande erklärt hätte. Da ich also dergleichen über Sie aus dem Munde vieler hörte, so habe auch ich auf Euer Erlaucht meine ganze Hoffnung gesetzt. Ich sehe Sie, gnädiger Herr, so an, als ob Sie mein leiblicher Vater oder mein leiblicher Bruder wären, und weder Peter Stepanowitsch noch sonst eine Menschenseele wird jemals etwas darüber von mir erfahren. Werden Sie mir also die drei Rubelchen schenken, Euer Erlaucht, oder nicht? Sie sollten mir einen endgültigen Bescheid geben, gnädiger Herr, damit ich die volle Wahrheit weiß; denn ohne Unterstützung kann unsereiner nicht existieren.«
Nikolai Wsewolodowitsch lachte laut auf, zog sein Portemonnaie aus der Tasche, in welchem sich etwa fünfzig Rubel in kleinen Scheinen befanden, und warf ihm eine Banknote aus dem Päckchen hin, dann eine zweite, eine dritte, eine vierte. Fedka haschte sie im Fluge, sprang hin und her, die Banknoten fielen in den Schmutz, Fedka fischte sie heraus und rief dabei bedauernd: »Oh, oh!« Nikolai Wsewolodowitsch warf ihm schließlich das ganze Päckchen zu und ging, immer noch lachend, die Gasse nunmehr allein weiter. Der Landstreicher blieb zurück und suchte, auf den Knien im Schmutze herumrutschend, die im Winde auseinanderflatternden und in den Pfützen versinkenden Banknoten, und noch eine ganze Stunde lang konnte man in der Dunkelheit seine abgebrochenen Ausrufe: »Oh, oh!« hören.