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Im Lager bei Boulogne befanden sich hundertfünfzigtausend Mann Infanterie und fünfzigtausend Mann Kavallerie; mit Ausnahme von Paris hatte damals keine Stadt in Frankreich eine so hohe Bevölkerungszahl aufzuweisen. Die ganze Ansiedlung war in vier Sektionen geteilt: das rechte und das linke Viertel, das Viertel von Wimereux und jenes von Ambleteuse. Im ganzen hatte das Lager eine Tiefe von einer Meile und zog sich sieben Meilen lang an der Meeresküste hin. An der Landseite unbefestigt, war es gegen die See hin durch mächtige Geschütze von bisher nie dagewesenem Kaliber gedeckt. Die Aufstellung der Batterien auf den hohen Klippen ermöglichte es ihnen, herannahende Schiffe schon auf große Distanz zu beschießen und die Landung von Truppen sicher zu verhindern. Das Lager bot einen recht freundlichen Anblick. Länger als ein Jahr lag das Armeekorps schon hier, und die Soldaten hatten alles mögliche getan, um ihre Zelte auszuschmücken. Viele derselben waren von hübschen Gärtchen umgeben, und die sonnverbrannten Soldaten knieten – Spaten und Gießkanne in der Hand – zwischen den Blumen. Andere wieder saßen in der Sonne vor ihren Zelten, gipsten ihre weißen Ledergürtel und putzten die Gewehre. Für uns hatten sie kaum einen Blick; denn Kavalleriepatrouillen kamen und gingen jeden Augenblick. Durch eine stattliche Flucht von Straßen, deren jede ihren Namen, wie Rue d'Arcola, Rue de Kléber, Rue de l'artillerie volante und dergleichen führte, gelangten wir endlich zu dem Hauptquartier des Kaisers.
In jener Zeit brachte Napoleon die Nächte gewöhnlich in dem Dorfe Tour de Briques zu, das einige Meilen weit landeinwärts lag; bei Tage aber hielt er sich zumeist im Lager auf, um mit seinen Offizieren Kriegsrat zu halten. Minister, Generale kamen zu ihm, um Bericht zu erstatten und Befehle entgegenzunehmen. Für diese Besprechungen war ein eigenes Haus gebaut worden, das einen einzigen, sehr großen Raum enthielt. Der Pavillon, den wir von der Höhe des Hügels aus gesehen hatten, diente als Warteraum, in dem sich die Audienzwerber versammelten. Vor dem Tore des letzteren hielt eine Abteilung von Grenadieren Wache, wenn Napoleon anwesend war. Mein Begleiter sprang vom Pferde und hieß mich seinem Beispiele folgen. Hierauf verlangte uns einer der wachthabenden Offiziere die Namen ab und erstattete einem General vorschriftsmäßige Meldung davon. Es war General Duroc, ein großer, hagerer, etwa vierzigjähriger Mann von auffallend kühlem, gemessenem Benehmen. Er sah sehr mißtrauisch drein.
»Sind Sie Monsieur Louis de Laval?« fragte er mit steifem Lächeln.
Ich verneigte mich.
»Der Kaiser erwartet Sie. Sie können abtreten, Herr Leutnant.«
»Ich hafte persönlich für die Einlieferung des Mannes, Herr General.«
»Also kommen Sie mit, wenn Sie wollen.«
Wir traten in einen großen Raum, dessen Wänden entlang eine hölzerne Bank lief. Sonst war keine Einrichtung vorhanden. Eine Anzahl Offiziere verschiedener Waffengattungen, darunter auch Marineure, saßen ringsherum, andere standen in Gruppen beisammen und unterhielten sich in gedämpftem Ton. An der gegenüberliegenden Wand war eine Tür, die in das Beratungszimmer des Kaisers führte. Ab und zu ging ein Offizier in großer Uniform auf die Tür zu und kratzte mit dem Fingernagel leise daran. Sofort öffnete sie sich, um den Einlaßbegehrenden durchschlüpfen zu lassen, und schloß sich wieder leise hinter ihm. Von kriegerischer Stimmung war hier nichts zu merken. Es war eher Hofluft, die mich umwehte, eine Atmosphäre von Bewunderung und Ehrfurcht, die zu diesen rauhen Soldaten und Seeleuten nicht recht passen wollte. Die Nähe des Kaisers schien für alle etwas Überwältigendes zu haben.
»Seien Sie ohne Sorge, Monsieur de Laval,« sagte mein Begleiter, »Sie haben einen guten Empfang zu gewärtigen.«
»Woraus schließen Sie das?«
»Aus dem Benehmen General Durocs. Wenn der Kaiser Ihnen wohlgesinnt ist, dann lächelt Ihnen jedermann zu, bis hinab zu dem Lakaien dort in der rotsamtnen Livree. Wenn er Ihnen aber zürnt, so spiegelt sich sein Zorn in allen Gesichtern wider. Sogar der Mann, der sein Eßgeschirr wäscht, wird Sie ungnädig anblicken. Und das Schlimmste daran ist, Sie wissen nie, warum Sie heute in Gnade stehen und morgen in Ungnade fallen. Deshalb beneide ich selbst Talleyrand nicht um seine Stellung, trotz seines Palais in der Rue St. Florentin und der Hunderttausende, die er jährlich einnimmt. Lieber reite ich mein flinkes Pferd und bleibe bei meiner Schwadron.«
Während ich mich noch in Gedanken mit der Frage beschäftigte, ob der Gruß Durocs wirklich eine so gute Vorbedeutung für meine Aufnahme beim Kaiser habe, kam ein junger Mann in glänzender Uniform auf mich zu. Trotz der gänzlich veränderten Kleidung erkannte ich in ihm sofort General Savary, der heute nacht die Expedition befehligt hatte.
»Nun, Monsieur de Laval,« sagte er, mir kräftig die Hand schüttelnd, »Sie haben gewiß davon gehört, daß dieser Toussac uns entkommen ist. Eigentlich hatten wir es gerade auf ihn abgesehen, denn der andere ist ja doch nur ein ungefährlicher Träumer. Nun, wir werden ihn hoffentlich ein andermal fangen, und bis dahin wollen wir den Kaiser sorgfältig bewachen. Meister Toussac ist nicht zu verachten!«
Ich fühlte im Geiste den kräftigen Daumen an meinem Kinn.
»Er ist allerdings recht gefährlich,« versetzte ich.
»Der Kaiser wird Sie bald vorlassen,« fuhr General Savary fort. »Er ist heute sehr beschäftigt, aber er erteilte mir den Auftrag, Sie zur Audienz vorzumerken.«
»Sie machen Fortschritte,« flüsterte mir Gerard zu; »mancher würde viel darum geben, von Savary so freundlich angesprochen zu werden. Sie scheinen beim Kaiser einen Stein im Brette zu haben. Nun, mein Freund, kommt gar Monsieur de Talleyrand selbst!«
Ein breitschultriger Mann von etwa fünfzig Jahren hinkte, auf einen Stock mit silbernem Griff gestützt, langsam auf uns zu. Die stark vorgeneigte Gestalt in dem einfachen schwarzen Anzuge stach stark gegen die glänzenden Erscheinungen der Offiziere ab. Sein geistreiches Gesicht jedoch verriet Energie und Selbstbewußtsein. Alle Anwesenden verbeugten sich und traten zurück, um ihm den Weg freizugeben. »Monsieur Louis de Laval?« fragte er, vor mir stehenbleibend, und musterte mich mit seinen kalten, grauen Augen vom Kopf bis zu den Füßen.
Ich verneigte mich etwas kühl, denn ich teilte die Abneigung meines Vaters gegen diesen abtrünnigen Priester und meineidigen Politiker, doch seine glatte, verbindliche Art entwaffnete mich.
»Ihren Vetter Rohan kannte ich sehr gut,« sagte er, »Wir waren Spielkameraden und beide rechte Spitzbuben, damals, als es in der Welt noch lustiger zuging als heute. Auch mit Ihrem Onkel, dem Kardinal de Laval, bin ich sehr befreundet. Sie werden also dem Kaiser Ihre Dienste anbieten?«
»In dieser Absicht bin ich aus England gekommen.«
»Um gleich bei der Ankunft ein nettes Abenteuer zu erleben. Es ist mir alles gemeldet worden. Nun, da Sie die Gefahren kennen, die dem Kaiser von allen Seiten drohen, werden Sie um so eifriger im Dienste sein. Wo befindet sich gegenwärtig Ihr Onkel Charles Bernac?«
»Er ist auf Schloß Grobois.«
»Kennen Sie ihn näher?«
»Ich habe ihn erst gestern kennen gelernt.«
»Er hat dem Kaiser recht gute Dienste geleistet, aber . . . aber . . .« – er neigte sich zu meinem Ohre – »Sie werden sich wohl ein anderes Feld für Ihre Tätigkeit aussuchen.« Mit einer leichten Verbeugung drehte er sich um und hinkte auf die andere Seite des Zeltes zurück.
»Mein Freund,« sagte der Husar an meiner Seite, »Sie sind zweifellos zu etwas Großem bestimmt, Talleyrand ist mit freundlichen Worten und Verbeugungen nicht freigebig; er weiß auch, woher der Wind bläst. Ich werde noch um Ihre Protektion bitten müssen, wenn ich es während des englischen Feldzuges zum Kapitän bringen will. Ah, der Kriegsrat ist zu Ende.«
Aus der gegenüberliegenden Tür traten mehrere Herren in dunkelblauen Röcken heraus. Auf den Aufschlägen prangte das goldene Eichenlaub als Abzeichen der Marschallswürde. Alle, bis auf einen, schienen die Vierzig kaum überschritten zu haben. In anderen Armeen müßte einer vom Glück begünstigt sein, wenn er in diesem Alter Regimentskommandeur war, aber die unaufhörlichen Kriege und das System Napoleons, bei Besetzung der höchsten Stellen in seinem Heere weniger die Anciennität als die Leistungen der Offiziere zu berücksichtigen, ermöglichte es einem tüchtigen Soldaten, außerordentlich rasch vorwärtszukommen. Die Marschälle bildeten einen kleinen Kreis für sich und sprachen in zwangloser Haltung lebhaft untereinander.
»Sie gehören einer guten Familie an?« fragte mein Begleiter.
»Ich bin mit Rohan und Montmorencys nahe verwandt.«
»Das entnahm ich Ihrem Gespräche mit Talleyrand, Sie werden sich indes über den neuen Geist wundern, der in Frankreich herrscht. Ehemalige Handwerker und Händler bekleiden jetzt die höchsten Staatsämter. Einer dieser Würdenträger war Kellner, ein anderer Schmuggler, ein dritter Faßbinder und ein vierter Anstreicher. Das sind die Gewerbe, die beispielsweise Murat, Masséna, Ney und Lannes betrieben haben.«
Es interessierte mich, diese hochgestellten Männer kennen zu lernen, so peinlich auch die Erinnerungen waren, die mir, als Aristokraten, der Klang ihrer Namen heraufbeschwor, und ich bat den Offizier, mir die berühmtesten unter ihnen zu zeigen.
»Ach, es gibt so viele berühmte Männer hier im Zimmer; und dazu viele jüngere Offiziere, die noch mehr versprechen. Dort rechts steht Ney.«
Der berühmte Marschall mit seinem kurzgeschorenen roten Haar und den breiten Backenknochen erinnerte mich an einen englischen Preisboxer, den ich einmal irgendwo gesehen hatte.
»Wir nennen ihn Peter den Roten oder den Roten Löwen,« sagte der Husar. »Man sagt, er sei der tapferste Mann im Heere, obwohl ich nicht zugeben kann, daß er tapferer ist als mancher andere, den ich nennen könnte. Zweifellos ist er auch ein ausgezeichneter Führer.«
»Und der General an seiner Seite?« fragte ich. »Warum hält er den Kopf so stark zur Seite geneigt?«
»Das ist General Lannes. Er erhielt bei St. Jean d'Arc einen Schuß in den Nacken, die Narbe zieht seinen Kopf nach links. Lannes ist Gascogner wie ich und trägt, fürchte ich, zu deren Rufe, etwas gesprächig und streitsüchtig zu sein, manches bei. Sie lächeln, Monsieur de Laval?«
»Gewiß nicht,« sagte ich.
»Ich glaubte, Sie fänden an meinen Reden etwas Komisches. Vielleicht halten Sie die Gascogner wirklich für streitsüchtig. Ich aber sage Ihnen, die Gascogner sind die sanftesten Leute in Frankreich – dafür stehe ich ein, in jeder Weise, wenn Sie es wünschen. Im übrigen ist Lannes ein heldenmütiger Mann; vielleicht manchmal etwas zu hitzköpfig. Neben ihm dort steht Augereau.«
Augereau! Der Held von Castiglione! Die einzige Gelegenheit, wo Napoleons Geist und Herz versagte, hatte er benutzt, um sich unsterblichen Ruhm zu sichern. Aufs Schlachtfeld mochte er besser passen als an den Hof. Mit seinem Bocksgesicht und seiner Branntweinnase sah er, trotz des goldenen Eichenlaubes, das seine Aufschläge zielte, nicht viel besser aus als irgendein bärbeißiger, großmäuliger, alter Krieger, wie man sie in jeder Baracke antrifft. Erst in vorgerückten Jahren war er zum Marschall ernannt worden, und so konnte die spät erfolgte Beförderung an seinen Manieren nichts mehr ändern. Immer blieb er der Korporal in Marschallsuniform.
»Gewiß, er ist ein rauher Geselle,« sagte Gerald auf meine diesbezügliche Bemerkung. »Der Kaiser will ihn auch nur im Lager sehen. In das Boudoir der Kaiserin in den Tuilerien paßt er nicht. Der mit dem finsteren Gesicht ist Vandamme. Gott sei dem englischen Dorf gnädig, wo er sein Quartier aufschlägt! In Westfalen schlug er einem Priester die Zähne ein, weil keine zweite Flasche Tokaier zur Stelle war.«
»Und der dort ist vermutlich Murat?«
»Jawohl, der mit dem schwarzen Bart, den dicken, roten Lippen und dem sonnverbrannten Gesicht. Das ist mein Mann! Wenn er an der Spitze seiner Kavalleriebrigade dahinrast, mit wallendem Federbusch und blitzendem Schwert – etwas Schöneres gibt es nicht. Wiederholt genügte sein Anblick, um ein Infanteriekarree zu sprengen. In Ägypten hielt sich Napoleon fern von ihm, da in Anwesenheit Murats die Araber dem Kaiser nicht folgen wollten. Meiner Meinung nach ist Lasalle der bessere Kavallerist, aber keinem gehorchen die Soldaten so wie Murat.«
»Und wer ist der Offizier mit den strengen Zügen, der sich auf sein orientalisches Schwert stützt?«
»Oh, das ist Soult, der eigensinnigste Mann der Welt. Er streitet sogar mit dem Kaiser. Der hübsche junge Mann neben ihm ist Junot, und dort an der Zeltstange lehnt Bernadotte.«
Das ungewöhnliche Gesicht dieses Abenteurers, dessen dunkler Teint seine spanische Abkunft verriet, seine lebhaften, glänzend schwarzen Augen und die kühn geschwungene Nase machten einen tiefen Eindruck auf mich. Vom Gemeinen in Napoleons Armee war er zum Marschall aufgestiegen, und in seinen energischen Gesichtszügen stand es geschrieben, daß er vom Schicksal zu noch Höherem bestimmt war. Bekanntlich hat er später Schwedens Königsthron bestiegen, und zwar eher trotz Napoleon als durch ihn, wie so viele Kreaturen dieses Welteroberers. Von all den stolzen, fähigen Männern, die den Kaiser umgaben, war er zweifellos der begabteste, aber keinem mißtraute sein Kriegsherr in so hohem Grade als Jules Bernadotte.
Plötzlich ging ein aufgeregtes, leises Flüstern durch den Raum. Wie schwätzende Schuljungen verstummen und in die Bänke eilen, wenn der Lehrer unerwartet eintritt, so brachen alle Anwesenden die Unterhaltung ab. Die in Gruppen zwanglos herumstehenden Offiziere ordneten sich hastig in Reihen, und die auf den Bänken saßen, sprangen auf. Napoleon war eingetreten und stand an der Türe seines Empfangszimmers. Weder Gott noch den Teufel fürchteten sie, wie Augereau sich brüstete, diese unerschrockenen Soldaten, aber ein Stirnrunzeln des Mannes, der sie alle bändigte, schüchterte sie ein wie unreife Knaben, und sein Lächeln war Balsam für ihr Herz. Es hätte übrigens dieser äußeren Anzeichen kaum bedurft, um mir die Anwesenheit des großen Mannes zu verraten. Der bleiche Schimmer auf seinem elfenbeinernen Gesicht zog meine Blicke unwiderstehlich an, und trotz seiner unauffälligen Gewandung hätte ich in einer Versammlung von Tausenden gewiß ihn zuerst bemerkt. Da stand er also wirklich, mit seiner kleinen, untersetzten, breitschultrigen Gestalt im grünen, rot ausgeschlagenen Rocke mit seinen kräftigen, wohlgeformten Beinen in den enganliegenden Hosen, mit seinem historischen goldenen Degen in der Schildpattscheide! Den flachen, berußten Hut mit der dreifarbigen Kokarde, den man aus Abbildungen kennt, trug er unter dem linken Arm; auf dem unbedeckten Haupt wuchs spärliches, rötlichbraunes Haar. In der rechten Hand hielt er eine Reitpeitsche mit silbernem Griff. Langsam kam er näher, mit regungslosen Zügen und starren Augen, gemessen und unerbittlich, die Verkörperung des erbarmungslos dahinschreitenden Schicksals.
»Admiral Bruix.«
Seine Worte gingen mir durch und durch. Nie hatte ich eine so scharfe, drohende, ja unheilverkündende Stimme gehört. Die lichtblauen Augen des Kaisers unter den gerunzelten Brauen blitzten wie ein Schwert im Sonnenschein.
»Hier bin ich, Sire.« Ein angegrauter, sonnverbrannter Mann in Marineuniform drängte sich aus den Reihen hervor, Napoleon machte drei kurze Schritte auf ihn zu; und so drohend sah er dabei aus, daß der wetterfeste Seemann zusammenschrak.
»Wie kommt es, Admiral Bruix,« schrie der Kaiser mit Donnerstimme, »daß Sie meinen Befehlen gestern abend nicht nachgekommen sind?«
»Ich sah den Weststurm kommen, Sire. Ich wußte« – er konnte vor Erregung kaum sprechen – »ich wußte, daß die Schiffe verloren waren, wenn . . .«
»Sie haben meine Befehle nicht zu überprüfen,« schrie der Kaiser, ganz außer sich vor Zorn, »Glauben Sie, daß Ihr Urteil dem meinen die Wage hält?«
»Wenn der Fall den Dienst zur See betrifft, Sire.«
»In gar keinem Falle.«
»Aber das Unwetter, Sire, das bewies doch, daß ich im Rechte war.«
»Wie? Sie wagen auch noch, mit mir zu streiten?«
»Das Recht ist auf meiner Seite.«
Totenstille herrschte in der Versammlung. In banger Erwartung hielten alle den Atem an. Der Kaiser war grün im Gesicht geworden, und seine Stirnmuskeln führten ganz eigentümliche drehende Bewegungen aus. Er bot den Anblick eines Epileptikers.
Mit erhobener Reitpeitsche trat er auf den Admiral zu.
»Frecher Bube,« zischte er. Es war das italienische Wort »coglione«, dessen er sich bediente, und auch sein Französisch klang im Zorn wie das eines Ausländers.
Jeden Augenblick drohte die Reitpeitsche auf das Gesicht des Seemannes niederzusausen. Bruix trat einen Schritt zurück und griff an den Degen.
»Hüten Sie sich, Sire,« sagte er.
Die Spannung war aufs höchste gestiegen. Endlich ließ Napoleon die Peitsche sinken und führte einen scharfen Hieb gegen den eigenen Schenkel.
»Vizeadmiral Magon,« schrie er, »Sie übernehmen das Kommando der Flotte. Und Sie, Admiral Bruix, haben Boulogne binnen vierundzwanzig Stunden zu verlassen und begeben sich nach Holland. Wo ist Leutnant Gerald von den Berchény-Husaren?«
Die Hand meines Begleiters fuhr an die Mütze.
»Hier, Sire.«
»Gut, Sie können abtreten.«
Der Leutnant salutierte, drehte sich auf dem Absatz um und ging sporenklirrend davon; der Kaiser aber wandte sich mir zu und sah mich forschend an. Damals lernte ich mit der Redensart von dem durchdringenden Blicke eines Mannes eine bestimmte Vorstellung zu verbinden. Diese Augen sahen wirklich in mein Innerstes. Aber der strenge Ausdruck derselben war gewichen; nur Freundlichkeit und Güte sprachen aus ihnen.
»Sie wollen in meine Dienste treten, Monsieur de Laval?«
»Jawohl, Sire.«
»Sie haben sich Zeit gelassen mit diesem Entschlusse.«
»Ich war nicht mein eigener Herr, Sire.«
»Ihr Vater war Aristokrat?«
»Jawohl, Sire.«
»Und Anhänger der Bourbonen?«
»Jawohl, Sire,«
»Jetzt gibt es in Frankreich keine Jakobiner und keine Aristokraten mehr; wir sind alle Franzosen und kämpfen für den Ruhm des Vaterlandes. Kennen Sie Louis von Bourbon?«
»Ich sah ihn ein einziges Mal, Sire.«
»Er macht einen recht unbedeutenden Eindruck, nicht wahr?«
»Im Gegenteil, Sire, ich fand ihn sehr schön,«
Ein Schatten huschte über das Gesicht des Kaisers; seine Augen blickten unwillig. Gleich darauf war aber der Zorn verflogen. Scherzhaft zupfte er mich am Ohre. »Monsieur de Laval ist nicht zum Höfling geboren,« sagte er. »Übrigens wird Louis von Bourbon schließlich einsehen, daß man den Königsthron von Frankreich nicht von London aus durch Proklamationen erobert. Ich meinerseits fand Frankreichs Krone auf dem Boden liegend und hob sie mit dem Schwert auf.«
»Auch das daniederliegende Frankreich hoben Sie mit dem Schwert auf, Sire,« warf Talleyrand ein, der daneben stand.
Napoleon warf seinem berühmten Minister einen kurzen Blick zu. Ich glaubte Mißtrauen darin zu lesen. Dann wandte er sich an seinen Sekretär.
»Ich lasse Monsieur de Laval in Ihrer Obhut, de Meneval. Nach Beendigung der Kavallerieparade wünsche ich ihn in meinem Beratungszimmer zu sehen.«