Arthur Conan Doyle
Onkel Bernac
Arthur Conan Doyle

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Siebzehntes Kapitel.

Wie mein Abenteuer endete.

General Savary ritt geradeswegs nach Tour de Briques, um dem Kaiser Bericht zu erstatten, während Gerard mich nach Boulogne begleitete, um eine Flasche Wein mit mir zu trinken. Ich hatte erwartet, meine Cousine Sibylle hier zu treffen. Sie war aber nicht da, und – was mich noch mehr wunderte – sie hatte auch keine Nachricht darüber zurückgelassen, wo sie zu treffen sei.

Am nächsten Morgen bei Tagesanbruch weckte mich ein Abgesandter Napoleons aus dem Schlafe.

»Der Kaiser wünscht Sie zu sehen, Monsieur de Laval.«

»Wohin soll ich kommen?«

»Nach Tour de Briques.«

Ich wußte, daß Napoleon in erster Linie rasche Erfüllung seiner Befehle von seinen Untergebenen verlangte. In zehn Minuten saß ich daher im Sattel, um nach einer weiteren halben Stunde im Schlosse einzutreffen. Man führte mich die Treppe hinauf in ein Zimmer, wo sich der Kaiser und seine Gattin befanden. Josephine, in einem reizenden, blaßroten, mit Spitzen besetzten Negligé, lag auf der Chaiselongue; Napoleon aber ging in gewohnter Weise mit festen Schritten im Zimmer auf und ab. Er hatte das sonderbare Kostüm an, das er in den Morgenstunden zu tragen liebte, ehe seine offizielle Tätigkeit begann – weißen Schlafrock, rote türkische Pantoffeln und ein weißes, um den Kopf gewundenes Seidentuch. Das Ganze verlieh ihm das Aussehen eines Westindischen Pflanzers. Der starke Geruch von Eau de Cologne verriet, daß er eben aus dem Bade kam. Er war in bester Laune, und Josephines Miene spiegelte wie gewöhnlich seine Stimmung wider. Beide empfingen mich mit freundlichem Lächeln.

»Sie haben sich bei mir ausgezeichnet eingeführt,« sagte der Kaiser. »Savary hat mir alles erzählt, was sich zugetragen hat, und ich wüßte wirklich nicht, wie man geschickter hätte vorgehen können. Ich selbst habe ja wenig Zeit, an derlei Dinge zu denken; meine Frau aber wird ruhiger schlafen, da sie Toussac tot weiß.«

»Ja, wirklich,« rief die Kaiserin aus, »Er war ein schrecklicher Mensch. Er nicht minder als Cadoudal.«

»Mich leitet mein Stern, Josephine,« sagte Napoleon, ihr den Kopf streichelnd. »Die Bahn ist mir vorgezeichnet, wie ein offenes Buch liegt die Zukunft vor mir. Nichts kann mir widerfahren, ehe ich mein Werk vollendet habe. Ich glaube an Bestimmung, meine Teure.«

»Warum schmiedest du dann Pläne, Napoleon, wenn ohnehin alles vorausbestimmt sein soll?«

»Weil auch das Bestimmung ist, daß ich Pläne schmieden muß, du kleiner Dummkopf. Ist es denn nicht auch Bestimmung, daß mein Hirn fähig ist, so große Gedanken zu fassen? Wie hinter einer Wand richte ich das Gebäude meiner Zukunftspläne auf, und niemand sieht, was ich baue, ehe ich meine Arbeit vollendet habe. Ich denke nie weiter als zwei Jahre voraus, Monsieur de Laval; den ganzen heutigen Morgen habe ich dazu verwendet, um über meine Pläne für den Herbst und Winter des Jahres 1807 schlüssig zu werden. Was ich übrigens sagen wollte: Ihre Cousine hat sich sehr geschickt erwiesen. Es wäre schade, wenn sich das prächtige Mädchen an diese feige Kreatur von einem Lucien Lesage wegwerfen würde, der seit einer Woche um Gnade winselt. Meinen Sie nicht auch, daß es schade wäre?«

Das mußte ich zugeben.

»So geht es immer mit solchen verträumten, ideal angelegten Frauen; ihre Grillen und Einbildungen führen sie irre. Sie kommen mir vor wie die Orientalen, die nicht glauben wollten, daß ich ein größerer Feldherr sei als Kléber, weil ihnen meine äußere Erscheinung weniger imponierte als der Friseurkopf und die Hausknechtfigur meines Generals. Genau so machen die Weiber aus diesem Lucien Lesage einen Helden – nur weil er ein feingeschnittenes Gesicht und große Kalbsaugen hat. Sein Äußeres hat Sibylle bestochen, und den Rest dichtet sie hinzu. Glauben Sie übrigens, daß sie von Lesage ablassen würde, wenn sie seinen Charakter im wahren Lichte sähe?«

»Davon bin ich überzeugt, Sire. Nach dem wenigen, was ich von meiner Cousine weiß, verachtet niemand Feigheit mehr als sie.«

»Sie sprechen in warmem Ton von ihr, Monsieur de Laval. Hat sie es vielleicht auch Ihnen ein wenig angetan, diese hübsche Cousine?«

»Sire, ich sagte bereits . . .«

»Ach was, die ist drüben über dem Wasser; und die Dinge haben sich geändert . . .«

Konstant trat ins Zimmer. »Er ist hier, Sire.«

»Gut, wir wollen ins Nebenzimmer gehen. Kommen Sie mit, Josephine, die Angelegenheit geht mehr Sie an als mich,«

Wir traten in ein langes, schmales Zimmer. Es hatte seitlich zwei große Fenster; doch waren die Vorhänge an denselben so stark zusammengezogen, daß ein geheimnisvolles Halbdunkel im Raume herrschte. An der zweiten uns gegenüberliegenden Tür hielt Roustem, der Mameluck, Wache, und neben ihm stand mit gekreuzten Armen und gesenktem Haupt Lucien Lesage, das Bild der Demut und Zerknirschung. Als wir eintraten, zuckte er zusammen. Der Kaiser ging einige Schritte auf ihn zu; dann blieb er mit gespreizten Beinen und über dem Rücken verschränkten Armen vor ihm stehen und sah ihn forschend an.

»Nun, Sie sauberer Junge,« sagte er endlich, »Sie haben sich ordentlich die Finger verbrannt; nun werden Sie es wohl aufgeben, mit dem Feuer zu spielen. Oder wollen Sie Ihrem Beruf als Politiker auch fernerhin treu bleiben?«

»Wenn Eure Majestät mir nur das eine Mal vergeben wollten,« stammelte Lesage, »so verspreche ich feierlich, bis zu meinem Tode Eurer Majestät ergebenster Diener zu bleiben.«

Napoleon nahm eine Prise, wobei er, wie gewöhnlich, seinen weißen Schlafrock mit Tabak überschüttete, »Nun,« sagte er, »ich wäre nicht abgeneigt, Ihren Worten Glauben zu schenken. Die treuesten Diener sind es, welche die Furcht an den Herrn fesselt. Ich verlange jedoch blinden Gehorsam in allen Dingen.«

»Jede Arbeit will ich verrichten, die Majestät von mir fordern. Alles will ich tun, alles . . . wenn Sie mir nur vergeben.«

»Nun, gleich ein Beispiel,« sagte bei Kaiser. »Es ist eine meiner Grillen, daß ich jeden jungen Mann, der in meine Dienste tritt, ganz nach meinem Gutdünken verheirate, wann und an wen ich will. Sind Sie damit einverstanden?«

Die nervösen Handbewegungen und Gesichtszuckungen Luciens ließen erkennen, daß er innerlich mit sich kämpfte.

»Darf ich fragen, Sire . . .«

»Sie haben gar nichts zu fragen.«

»Es gibt doch Fälle, Sire . . .«

»Nun habe ich es bald satt,« schrie der Kaiser scharf und drehte sich auf dem Absatz um. »Ich streite nicht; ich befehle. Ich suche für Mademoiselle de Bergerot einen Gatten. Wollen Sie sie heiraten, oder wollen Sie zurück ins Gefängnis?«

Wieder kam der innere Kampf des geängstigten Jünglings in seinen Mienen zum Ausdruck. Verlegen drehte und wand er sich; aber er schwieg.

»Nun genug,« schrie der Kaiser. »Roustem, rufe die Wache!«

»Um Gottes willen, Sire, senden Sie mich nicht ins Gefängnis zurück!«

»Die Wache, Roustem.«

»Ich will ja alles tun, ich will ja auch die heiraten, die Eure Majestät mir bestimmen.«

»Elender,« schrie eine Stimme.

Die Vorhänge des einen Fensters wurden auseinandergerissen, und zwischen ihnen erschien wie in einem Rahmen Sibylles hohe, schlanke Gestalt. In ihrer leidenschaftlichen Erregung neigte sie den Oberkörper weit vor; ihr Antlitz war blaß, und die Augen sprühten vor Zorn. Den Kaiser, die Kaiserin, alles hatte sie vergessen über dem Aufruhr ihrer Gefühle, über den Ekel und Widerwillen gegen den elenden Feigling, den sie so heiß geliebt.

»Man hat mir gesagt, welch erbärmliche Kreatur Sie sind,« schrie sie, »und ich glaubte es nicht; ich konnte es nicht glauben, weil ich es nicht für möglich hielt, daß es ein so verächtliches Wesen auf dieser Erde gebe. Man versprach mir, Beweise zu liefern, und ich glaubte noch immer nicht. Jetzt erst weiß ich, was ich von Ihnen zu halten habe. Gott sei Dank, daß ich es noch zu rechter Zeit erfuhr! Und für Sie habe ich einen Mann dem Tode überliefert, der tausendmal mehr wert war als Sie! Nun habe ich die verdiente Strafe für meine unweibliche Tat! Toussac hat sich gerächt.«

»Genug,« unterbrach sie der Kaiser streng. »Konstant, führe das Fräulein ins Nebenzimmer. Und was Sie anbelangt, Herr, so kann ich es keiner Dame an meinem Hofe zumuten, die Gattin eines solchen Menschen zu werden. Es genügt, daß Mademoiselle Bernac Ihren wahren Charakter erkannt hat und von ihrer unglückseligen Leidenschaft geheilt ist. Roustem, führe den Gefangenen ab.«

»Das wäre abgetan,« sagte der Kaiser, nachdem der unglückliche Lesage das Zimmer verlassen hatte. »Es war Ihre Idee, Josephine; ich mache Ihnen mein Kompliment. Und jetzt zu Ihnen, Monsieur de Laval. Ich schulde Ihnen eine Belohnung dafür, daß Sie durch Ihre Rückkehr nach Frankreich den anderen jungen Edelleuten ein gutes Beispiel gegeben haben, und weiterhin für Ihre Beteiligung an der Ergreifung Toussacs. Sie haben sich brav gehalten.«

Ein banges Gefühl beschlich mich, denn ich ahnte, was nun kommen würde.

»Ich verlange keinen Lohn, Sire,« sagte ich.

»Sie sind zu bescheiden. Mein Entschluß bezüglich der Belohnung, die Sie erhalten sollen, ist übrigens bereits gefaßt. Ich will Ihnen eine Jahresrente ausweisen, die es Ihnen ermöglicht, als mein Adjutant standesgemäß aufzutreten; und außerdem sollen Sie der Gatte einer Hofdame der Kaiserin werden.«

Es gab mir einen Stich ins Herz.

»Ich kann nicht, Sire,« stammelte ich. »Ich kann wirklich nicht.«

»Da gibt es keine Überlegung. Die Dame ist aus vornehmer Familie und ist überdies ein reizendes Mädchen. Mit einem Wort, die Sache ist geordnet; nächsten Donnerstag findet die Trauung statt.«

»Es ist unmöglich, ganz unmöglich, Sire,« wiederholte ich.

»Unmöglich! Bei mir gibt es dieses Wort nicht; die Sache ist abgemacht und damit fertig.«

»Meine Liebe gehört einer anderen, Sire. Ich kann nicht von ihr lassen.«

»Sie bestehen auf Ihrer Weigerung?« fragte der Kaiser frostig. »Dann sind Sie aus meinem Dienst entlassen.«

Mit meinen ehrgeizigen Plänen war es also endgültig vorbei.

»Das ist der bitterste Augenblick meines Lebens, Sire,« sagte ich, »und doch kann und will ich meiner Eugenie nicht untreu werden. Und müßte ich auf der Landstraße für sie betteln, nie konnte eine andere als Eugenie meine Gattin werden.«

Die Kaiserin hatte sich erhoben und trat auf das Fenster zu.

»Nun, Monsieur de Laval,« sagte sie, »ehe Sie Ihr letztes Wort sprechen, sollten Sie sich doch die Ihnen zugedachte Hofdame ein wenig ansehen.«

Rasch zog sie den Vorhang des zweiten Fensters zurück. In der Fensternische stand ein Mädchen. Sie machte einen Schritt vorwärts ins Zimmer und dann – dann sprang ich mit einem Freudenschrei auf sie zu und schloß sie in meine Arme. Wie im Traum kam ich mir vor und konnte es nicht fassen, daß ich meiner süßen Eugenie in die glückstrahlenden Augen schaute. Immer wieder küßte ich ihre Lippen, ihre Wangen, ihr Haar, bis ich es endlich glaubte, daß sie es wirklich war, meine heißgeliebte Eugenie.

»Lassen wir sie allein,« sagte die Kaiserin mit ihrer sanften Stimme. »Komm, Napoleon, es macht mich zu traurig. Es erinnert mich allzusehr an die längstvergangenen Tage in der Rue Chautereine.«

So wäre ich denn mit meiner bescheidenen Erzählung zu Ende, denn der Plan des Kaisers kam wie immer pünktlich zur Ausführung, und unsere Trauung fand wirklich, wie er es befohlen hatte, am nächsten Donnerstag statt. Mit seinem überallhinreichenden, allmächtigen Arm hatte er Eugenie aus dem kentischen Städtchen herübergeholt, um meines Verbleibens in Frankreich sicher zu sein und den Hof um eine Repräsentantin der angesehenen Familie de Choiseul zu bereichern. Wie es meiner Cousine Sibylle weiter erging, berichte ich später einmal ausführlich. Nur das eine verrate ich schon heute, daß sie viele Jahre später Etienne Gerard heiratete, als er bereits Chef einer Brigade und einer der berühmtesten Kavallerieführer der ganzen Armee geworden war. Ein andermal will ich davon erzählen, wie ich wieder in den Besitz meines Stammschlosses Grobois gelangte, an dem so entsetzliche Erinnerungen haften, daß sie mir die Freude daran noch heute trüben. Und nun genug von mir und meinen Geschicken. Ich habe schon zuviel davon gesprochen.

Für meine Berichte über Napoleon nehme ich nur das eine Verdienst in Anspruch, daß sie der Nachwelt einen schwachen Begriff von den persönlichen Eigenschaften des großen Mannes zu geben imstande sind, über seine Taten und Geschicke weiß man ja ohnehin alles aus der Weltgeschichte. Er brach das Lager bei Boulogne ab, weil er die Herrschaft im Kanal nicht an sich zu reißen vermochte und daher auch von der beabsichtigten Landung seiner Truppen in England abstehen mußte. Die englische Flotte hätte ihn sonst wohl von der Hauptmacht seiner Truppen abgeschnitten. Mit der Armee, die er zur Besetzung des Inselreiches bestimmt hatte, schlug er Rußland und Österreich und im nächstfolgenden Jahre Preußen aufs Haupt. Von dem Augenblick an, da ich in seine Dienste trat, bis zu jenem Tage, da er übers Meer in die Verbannung fuhr, um nie wieder zurückzukehren, hielt ich treu zu ihm; mit seinem Stern hob und senkte sich auch der meine. Und doch, wenn ich auf die wechselvollen Ereignisse der Zeiten zurückblicke, die ich mit ihm zusammen verlebte, vermag ich nicht zu sagen, ob er ein guter Mensch gewesen oder ein schlechter. Nur das eine weiß ich, daß er ein großer Mann war, den man nicht mit demselben Maßstab messen darf wie andere Menschen. Drum mag er in Frieden ruhen in seiner großen Gruft im Invalidendom: er hat sein Werk vollendet, und die mächtige Hand, die Frankreich erhob und alle Grenzlinien Europas verschob, ist zu Staub zerfallen. Das Fatum hat ihn gebraucht, das Fatum hat ihn vom Erdboden hinweggefegt; und doch lebt er in unser aller Erinnerung weiter, und noch bewegt seine Erscheinung die Gedanken der Nachkommen und leitet ihre Taten. Bände sind über Napoleon geschrieben worden; viele haben ihn in den Kot gezogen, andere haben ihn in den Himmel erhoben; ich aber tat keins von beiden. Nur den Eindruck wollte ich schildern, den ich von ihm empfing – damals im Lager von Boulogne, da ich, nach langer Verbannung aus dem Vaterland, Grobois, das Schloß meiner Väter, zum erstenmal wiedersah.

 

Ende

 


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