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VII.

Der nächste Tag brachte wieder herrliches Wetter. Leuchtend lag der Sonnenschein über dem Schnee, und durch den klaren Äther hindurch tauchte der Blick in die weltfernen Tiefen des blauen Himmels.

Ich hatte am Vormittag wieder einige Besuche in den Tepees gemacht, immer in der unbestimmten Hoffnung, Minnehaha in einem anzutreffen. Das Dorfleben schien seinen gewöhnlichen Gang zu gehen, nur ein gewisses lebhafteres Hin- und Herlaufen der Bewohner von einem Tepee zum anderen fiel mir auf. Ich legte ihm aber keine Bedeutung bei. Regen-ins-Gesicht blieb wie gestern unsichtbar.

Es konnte zu nichts führen, mich noch länger in der Reservation aufzuhalten und, ich weiß nicht auf was, zu warten. Entweder hatte man Minnehaha heimlich aus dem Dorfe geschafft, und dann war mein fernerer Aufenthalt hier überhaupt nutzlos, oder man hielt sie vor mir verborgen, und dann brachte man sie sicher nicht zum Vorschein, solange ich die Reservation nicht verlassen hatte.

Mein Entschluß vom vorigen Abend, mit dem Braunen Donner nunmehr ohne weitere Umschweife ein ernstes Wort zu sprechen, stand noch immer fest.

Am Nachmittage führte ich ihn aus, nachdem der stumme Indianerjunge wieder den ganzen Vormittag seinen Kundschafterdienst geübt und am Mittag ergebnislos zurückgekehrt war.

Als ich mich dem Tepee des Braunen Donners näherte, tönte mir ein eintöniger, einer gesungenen Litanei nicht unähnlicher Gesang entgegen.

Ich wußte, daß die Medizinmänner, wenn sie nicht gerade anderweit beschäftigt sind, ihre Zeit meist mit derartigen, an ihr Pa-wa-kun gerichteten Anrufungen verbringen und daß es die Sitte eigentlich verlangt, eine Pause abzuwarten, bevor man die Behausung betritt. Derartige Rücksichten konnten mich jetzt aber nicht mehr stören. Handeln war nötig, und handeln wollte ich, ohne mich durch Nebendinge aufhalten zu lassen.

Übrigens hörte der Gesang auch, jedenfalls infolge des bei meinem Näherkommen wieder losbrechenden Hundegebelles, auf, noch bevor ich den Eingang erreicht hatte.

Bei meinem Eintritt fand ich den Braunen Donner wieder mit seinen Kräutern und Wurzeln beschäftigt, während seine Squaw einen Kessel bewachte, der über dem Feuer hing. Ich ließ mich in seiner Nähe auf einer Kiste nieder und kam ohne Umschweife auf mein Anliegen.

»Kannst du mir sagen, wo sich Minnehaha befindet?

Du weißt, ich habe sie im Blizzard aufgefunden und ihren verrenkten Fuß geheilt.«

Während die Zehndollarnote gestern seine Zunge merkwürdig gelöst hatte und er in zuversichtlicher Erwartung einer zweiten mich freundlich genug empfangen hatte, war er bei dieser Frage sofort wieder der echte Indianer, dessen Würde es erfordert, Fragen stets nur nach einem mehr oder minder langen Schweigen zu beantworten.

»Weiß nicht,« sagte er endlich.

»Ich bin überzeugt, daß du es ganz genau weißt. Warum hältst du sie vor mir verborgen?«

»Sie ist fort,« behauptete er nach einer weiteren Pause.

»Wohin ist sie gegangen?«

»Weiß nicht.«

»Du bist merkwürdig unwissend heute. Willst du mir vorreden, sie habe den Kamp verlassen, ohne jemand zu sagen, wohin sie gehe?«

»Hat sie es jemand gesagt, als sie das letztemal aus dem Kamp weglief?«

»Willst du damit sagen, daß sie wieder heimlich aus dem Kamp weggelaufen sei?«

»Ja, ich habe gehört, daß sie mit dir in einer Höhle war. Vielleicht hat es ihr dort so gut gefallen, daß sie wieder dahin zurückgekehrt ist.«

Ein unverkennbarer Hohn lag in den letzten Worten ausgedrückt, und er brachte mein Blut in Wallung.

»Wenn du sicher bist, daß sie wieder davongelaufen ist,« erwiderte ich in etwas schärferem Tone, »so kommen wir zu der Frage, warum läuft sie davon?«

»Frage sie.«

»Das habe ich getan. Und sie hat mir zwei Gründe genannt. Ihr wollt sie zwingen, ihr Christentum aufzugeben und die Squaw eines Mannes zu werden, der ein Verbrecher ist und ins Gefängnis gehört.«

»Welches Recht hast du, dich in diese Sachen zu mischen?«

»Du hast die Gewohnheit, jede Frage stets durch eine andere Frage zu beantworten. Laß mich dasselbe tun. Angenommen, du siehst, wie ein Mensch überfallen und gemordet wird, wirst du da nicht dem Überfallenen zu Hilfe eilen? Und denkst du, der Mörder wird dich fragen, welches Recht du dazu hast?«

»Niemand will Minnehaha morden.«

»Ihr wollt ihr ihren Glauben nehmen, und für ein Mädchen wie Minnehaha ist das nicht weniger schlimm.«

»Habt ihr ihr nicht den unseren genommen?« fragte er.

»Nein, sie hat sich ihren jetzigen Glauben selbst gewählt,« erklärte ich.

Er richtete nur einen seiner ausdrucksvollen Blicke auf mich, der mich genügend darüber belehrte, was er von meiner Versicherung hielt. Um aber jede Erörterung über diesen Punkt abzuschneiden, fuhr ich hastig fort:

»Darum handelt es sich aber jetzt nicht. Es handelt sich nicht darum, was du oder ich über deinen oder ihren Glauben denken. Das Entscheidende ist, daß sie sich in dem ihrigen glücklich fühlt und einen Halt für ihr Leben darin findet. Was wollt ihr sie also mit euren dummen Versuchen von Gottaustreibung, an die du doch wohl selbst nicht glaubst, quälen und ängstigen? Und ich muß euch davor warnen, sie noch länger zu peinigen, die Squaw eines verbrecherischen Halunken zu werden. Es gibt Mittel, das Mädchen dagegen zu schützen.«

»Ich möchte dir raten, das nicht vor den andern Stammesmitgliedern zu sagen. Ihr Weißen habt uns nicht gut behandelt, und sie sind nicht gut auf euch zu sprechen, wenn du auch sicher genug bist, solange du als Gast in unserer Mitte weilst und die Rechte der Gastfreundschaft nicht mißbrauchst. Warum ist der Vater Minnehahas nicht meinem Rate gefolgt? Ich habe ihn gewarnt, Minnehaha auf eine Schule zu schicken, denn ich wußte, daß sie als eine Christin zurückkehren würde. Aber er wollte sie die Künste der Weißen lernen lassen, denn es sei eine neue Zeit gekommen, und wir wüßten nicht, was der Große Geist mit seinen roten Kindern vorhabe. – Und wie ich's gesagt, so ist es gekommen. Minnehaha ist Christin geworden.«

»Und trotzdem eine echte Sioux geblieben,« warf ich ein, »eine Sioux, der die Zukunft ihres Stammes mehr am Herzen liegt, wie dem Manne, dem du sie zur Squaw geben willst!«

»Ein echter Sioux kann niemals Christ sein! Warum wollt ihr uns zu Christen machen? Ihr habt uns unser Land genommen, und nun wollt ihr uns den Glauben an Kitschi-Manitu nehmen.

Warum besteht ihr überhaupt darauf, uns etwas zu geben, was wir nicht wollen?«

»Niemand zwingt euch, etwas anzunehmen, was ihr nicht haben wollt.«

»Minnehaha ist, was ihr katholisch nennt?« fragte er weiter.

»Ja.«

»Ist katholisch christlich?«

»Was meinst du damit?«

»Ich erinnere mich, daß im vergangenen Jahre ein Weißer hier im Kamp war, ein Methodistenpriester –« er sprach das Wort englisch aus, da die Siouxsprache keinen Ausdruck dafür enthielt, und seine Aussprache war so verstümmelt, daß ich Mühe hatte, zu verstehen, was er meinte –, »der erzählte mir, daß nicht alle Christen dasselbe glauben. Der Methodistenglaube, sagte er, sei der richtige. Und Minnehaha behauptet wieder, ihr Glaube sei der richtige.«

»Jeder hat das Recht, seinen Glauben für den richtigen zu halten,« sagte ich etwas unsicher, da es mir schien, als sei er im Begriff, der Diskussion eine verfängliche Wendung zu geben.

Wenn er das aber etwa beabsichtigt hatte, so wurde er hier durch die Squaw unterbrochen, die zwei Schalen Tee neben uns stellte, eine Aufmerksamkeit, die mir gestern nicht erwiesen worden war.

»Trink,« sagte Brauner Donner. »Es ist kalt, und eine Tasse Tee tut gut. Aber warte, ich habe noch etwas Honig, den wir im Sommer eingesammelt haben.«

Er stand auf, um ihn herbeizuholen.

Dieser unerwartete Beweis von Gastfreundschaft zusammen mit den gestrigen Angaben des Braunen Donners über seine Kenntnisse von bösen Medizinen hatten mich aber vorsichtig gemacht. Außerdem hatte es mir geschienen, als ob die Schalen so vor uns gesetzt worden waren, daß ich gerade eine bestimmte ergreifen mußte. Ich hielt es daher für sicherer, in dem Augenblicke, als Brauner Donner mir den Rücken gewendet hatte, die Schalen zu vertauschen. Wenn sich diese Vorsichtsmaßregel als unnötig erwies, so hatte dieser Austausch ja nichts zu bedeuten. Wenn der Braune Donner aber etwa beabsichtigt hatte, mir irgendeinen hinterlistigen Streich zu spielen, so sollte der auf ihn selbst zurückfallen.

Ohne etwas von dem Umtausche bemerkt zu haben, kehrte er jetzt mit dem Honig zurück und mischte eine reichliche Quantität in den Tee.

Ich gebrauchte aber noch die weitere Vorsicht, ihn zuerst trinken zu lassen. Dann erst folgte ich seinem Beispiel. Der Geschmack war unverdächtig. Es schien einfacher Wintergrüntee zu sein, und wahrscheinlich hatte ich dem alten Herrn mit meinem Verdacht überhaupt unrecht getan. Immerhin schien mir etwas zuviel Vorsicht den Umständen besser zu entsprechen als zu wenig.

»Wir waren mit unserer Diskussion übrigens noch nicht zu Ende,« setzte ich dann die Unterhaltung fort. »Du hast mir noch nicht gesagt, warum du das Mädchen durchaus einem Rowdy wie Regen-ins-Gesicht zur Squaw geben willst?«

»Ich weiß auch gar nicht, ob ich die Absicht habe, dir etwas darüber zu sagen,« entgegnete er mit ruhiger Frechheit. »Was geht es dich an?«

»Das hast du schon einmal gefragt, und ich habe dir darauf geantwortet. Selbst wenn mich die Sache nichts angeht, könnte es etwas schaden, wenn wir sie hier besprechen?«

»Es könnte dir schaden.«

»Laß dich das nicht stören. Ich bin ganz in der Lage, für mich selbst auszuschauen. Und dir könnte es vielleicht nützen.«

»Inwiefern?«

»Ich weiß auch einiges, das ich dir vielleicht mitteilen würde.

Er blickte auf und warf einen forschenden Blick auf mich. Über den Sinn meiner Worte konnte er nicht im Zweifel sein, und er schien es für geraten zu halten, herauszufinden, wie weit meine Kenntnis der Schliche seines würdigen Neffen eigentlich reichte, denn er nahm erst noch bedächtig einen Schluck Tee und sagte dann: »Seid ihr gewohnt zu tun, was euch euer Großer Geist befiehlt?«

»Wir bemühen uns wenigstens, es zu tun,« erwiderte ich, nicht recht wissend, worauf er mit seiner Frage hinauswollte. Er hatte überhaupt eine eigentümliche Gewohnheit, unverhoffte Fragen zu stellen und aus diesen dann ebenso unverhoffte Schlußfolgerungen zu ziehen.

»Und es würde dich nicht überraschen, wenn auch wir tun, was uns unser Großer Geist befiehlt?«

Ich war im Begriff, ihm zu antworten, daß sein Großer Geist ein Wahn sei und daher auch keine Befehle erteilen könne. Das hätte uns aber auf das endlose Gebiet eines religiösen Streites geführt, bei dem in der Regel kein Teil in der Lage ist, den andern von der Richtigkeit seiner Anschauungen zu überzeugen. Das wollte ich vermeiden, deshalb antwortete ich einfach: »Gewiß nicht.«

»Nun, Kitschi-Manitu hat mir in verschiedenen Träumen geoffenbart, daß Regen-ins-Gesicht unser Häuptling werden soll, und das kann nur geschehen, wenn Minnehaha, die Tochter unseres letzten Häuptlings, seine Squaw wird. Nun weißt du den Grund.«

Daß er diesen Unsinn auf mich abladen zu können glaubte, ging mir denn doch etwas zu weit, und der Blick, den ich auf ihn richtete, drückte das auch aus. Er verriet aber durch nichts, ob er den Hohn, den er darin gelesen haben mußte, bemerkt hatte.

»Sag mal,« erwiderte ich. »Trinkt euer Kitschi-Manitu Whisky?«

Er fuhr auf. Ich konnte aber nicht entscheiden, ob aus Schreck über meine Blasphemie seinem Großen Geist gegenüber oder aus andern Gründen.

»Was willst du damit?« fragte er mit einiger Schärfe.

»Oh, ich meine nur, Kitschi-Manitu könnte in seiner Entscheidung, die du mir eben mitgeteilt hast, beeinflußt worden sein durch die Whiskyopfer, die ihm Regen-ins-Gesicht durch deine Vermittlung beigebracht hat. Denn ich nehme an, daß der Whisky, den er dir häufig bringt, als Opfer für Kitschi-Manitu bestimmt ist.«

»Wer hat dir gesagt, daß er mir Whisky bringt?«

»Genügt es nicht, daß ich es weiß?«

»Das sagt nicht viel.«

»Du hast recht, ich muß es beweisen können, wenn ich es etwa dem Sheriff mitteilen wollte.«

»Du hast nicht gesehen, daß er mir Whisky gebracht hat?«

Er schien mich ausholen zu wollen, und bis zu einer gewissen Grenze war ich ganz bereit, ihm das zu gestatten.

»Nein,« entgegnete ich. »Aber andere Leute haben es gesehen.«

»Pschaw!« erwiderte er wegwerfend. »Und du kannst auch nicht behaupten, daß Whisky in den Flaschen war, die er mir brachte?«

»Ich kann mich überhaupt nicht erinnern, daß ich etwas von Flaschen gesagt habe.«

Er merkte, daß er sich kompromittiert hatte, und lenkte ein.

»Man kann Whisky nicht in der Hand bringen – kann man?«

»Nicht in den Quantitäten, die erforderlich sind, um Kitschi-Manitu genügend zu beeinflussen.«

»Ist es ein Verbrechen, wenn ein Indianer Whisky trinkt?«

»Vielleicht nicht. Aber du weißt, es steht schwere Strafe darauf, wenn ihm irgend jemand Whisky verabreicht.«

»Aber sagtest du nicht selbst, man muß erst Beweise haben, bevor man jemand bestraft?«

»Man hängt keinen, bevor man ihn hat. Aber es ist manchmal schon unangenehm, wenn der Sheriff nachforscht, woher der Whisky stammt, von dem jemand behauptet hat, daß er vorhanden sei, wenn er ihn auch nicht gesehen hat. Du weißt, der Sheriff und die Mounted Police haben eine scharfe Nase und die lästige Gewohnheit, sie immer in die Angelegenheit anderer Leute hineinzustecken.«

»Und wozu sagst du mir das alles?« fragte er, mich jetzt mit ein paar tückischen funkelnden Augen musternd, die mir klar und deutlich verrieten, daß wir jetzt das Stadium offener Feindschaft erreicht hatten, das ich aber dem Versteckenspiel, das wir bisher geübt hatten, vorzuziehen geneigt war.

»Ich sage es dir, um dich zu warnen, Minnehaha etwa zu zwingen, Regen-ins-Gesicht zum Manne zu nehmen. Das Mädchen steht unter meinem Schutz, und wie weit der reicht, werden wir sehen. – Ich denke übrigens, daß unsere Unterhaltung damit zu Ende gekommen ist,« fügte ich, mich von meinem Sitze erhebend, hinzu. »Oder hast du mir noch etwas zu sagen?«

»Nicht jetzt,« erklärte er in einem Tone, aus dem ich eine geheime Drohung herauszuhören glaubte, »ich werde dich's wissen lassen, wenn ich dir noch was zu sagen habe.«

»All right. Good by!«

Damit empfahl ich mich, diesmal ohne Händeschütteln, und begab mich nach dem Tepee der alten Indianerin zurück.

Ich fand sie wieder allein. Der Junge war nicht sichtbar.

Auf meinem Lager sitzend, suchte ich mir über meine nächsten Schritte klar zu werden. Ich war geneigt, den Angaben des Braunen Donners, daß Minnehaha sich wieder aus dem Kamp entfernt habe, Glauben zu schenken, denn sonst hätte ich, da ihr meine Anwesenheit hier längst hätte bekannt sein müssen, wohl schon ein Lebenszeichen von ihr erhalten. Daß man sie etwa gefangen hielt und bewachte, wollte mir nicht in den Sinn, denn Schi-pi-ku-pi-neß, das hatte mir meine letzte Unterredung mit ihm deutlich gezeigt, war schlau genug, um die bei dem Charakter des Mädchens völlige Nutzlosigkeit einer solchen Gewaltmaßregel einzusehen.

Wenn sie sich aber nicht im Lager befand, war auch mein fernerer Aufenthalt hier überflüssig, und die Frage war nur, ob ich alles weitere Suchen nach ihr aufgeben und nach Winnipeg zurückkehren, oder ob ich erst noch einen Versuch machen sollte, die geheime Destillerie von Regen-ins-Gesicht aufzufinden und meine Entdeckung dann dem nächsten Sheriff mitzuteilen. Das würde, ob ich das Mädchen wiedersah oder nicht, wenigstens den einen Erfolg haben, sie davor zu bewahren, die Squaw dieses Schuftes zu werden.

Ich hatte so Wohl eine Stunde lang oder auch noch länger meinen Gedanken nachgehangen, und die Dunkelheit war bereits hereingekrochen, als die den Zelteingang verschließende Decke beiseite geschoben wurde und der Indianerjunge hereinschlüpfte.

Seine dunklen Augen leuchteten in einem stillen Triumph, als er mir einen Zettel reichte, den ich mit ziemlichem Erstaunen in Empfang nahm. Ihn auseinanderfaltend, erkannte ich dieselben kindlichen Schriftzüge, die ich schon einmal in meiner Höhle gesehen, und las die folgenden mit Bleistift gekritzelten Worte:

»Ich weiß, daß du hier bist. Aber du kannst nichts für mich tun. Ich gehöre zu meinem Volke, und mein Geschick muß sich erfüllen. Du schwebst in Gefahr und mußt die Reservation sofort verlassen. Regen-ins-Gesicht spendet reichlich Whisky und reizt den Stamm gegen dich auf. Ich habe Angst. Also geh!«

Mit einem bitteren Lachen knüllte ich den Zettel zusammen und warf ihn in das Feuer.

Da hatte ich's ja! Nachdem ich mir, einem Närrischen Trieb zum »Schutz den Schwachen« gehorchend, Mühen und Strapazen verursacht, um einem Indianermädchen, das mich schließlich gar nichts anging, zu Hilfe zu eilen, wurde mir deutlich gemacht, daß sie meine Einmischung in ihre Angelegenheiten gar nicht wünschte.

Ich war einfach ein Narr gewesen und fühlte, daß ich mich vor mir selbst lächerlich gemacht hatte.

Hatte es da unten in Spanien nicht früher einen Ritter Don Quixote gegeben? Well, hier war ein anderer von diesem Schlage, und es war gut, daß sich in dem Zelte kein Spiegel befand, denn ich hätte mich wahrscheinlich geschämt, hineinzublicken. Aber die Sache war jetzt wenigstens zu Ende, und in Zukunft würde ich wahrscheinlich meine Zeit hauptsächlich damit ausfüllen, mich um meine eigenen Angelegenheiten zu kümmern.

Die Warnung, die der Zettel enthielt, unterschätzte ich nicht. Wenn der Indianer Whisky erhält, fängt er an, Amok zu laufen, und ist zu allem fähig. Aber sofort davonzulaufen, kam mir nicht in den Sinn. In meiner augenblicklichen Stimmung wäre mir ein Angriff ganz erwünscht gewesen, und wir würden ja dann gesehen haben, wer den kürzeren zog.

Bei etwas ruhigerer Überlegung sagte ich mir freilich, daß dies wohl das Schlimmste oder wenigstens das Dümmste sei, das mir passieren könne. Denn mochte der Ausgang sein, wie er wollte, in welches Licht mußte ich meinen Freunden gegenüber kommen, wenn nicht nur der Angriff, sondern auch die Veranlassung dazu bekannt wurde! Welche Witze würden die Zeitungen über mich reißen! Über mich, der als verheirateter Mann einem Indianermädchen nach deren Reservation folgt, um ihr als Ritter ohne Furcht und Tadel Hilfe zu bringen, die sie gar nicht wünscht!

Well, die Sache war zu Ende. Am nächsten Morgen wollte ich die Reservation verlassen – wo ich ja auch in der Tat nichts mehr zu suchen hatte – aber keineswegs vorher. Vor einer Bande betrunkener Indianer Reißaus zu nehmen, fiel mir gar nicht ein, – in tausend Jahren nicht.

Die Stunden vergingen, während ich so mit meinen, nicht sehr angenehmen Gedanken beschäftigt war. Ich hatte kaum bemerkt, daß der kleine Stumme wieder verschwunden und auch zur Abendmahlzeit nicht zurückgekehrt war. Freilich, auch die Abendmahlzeit war mir kaum recht zum Bewußtsein gekommen, da sie für mich ohnehin nur aus einer Tasse Tee bestand, die ich gedankenlos schlürfte.

Es mochte gegen neun Uhr sein, und ich dachte bereits daran, mein Lager aufzusuchen, obwohl ich keineswegs müde war, während die alte Indianerin am Feuer saß und mit Perlenarbeiten beschäftigt die sie im nächsten Store wohl gegen Mehl und Zucker und sonst was einzutauschen beabsichtigte, als der Kleine wieder zurückkehrte.

Sein Gesicht verriet, daß er etwas Außergewöhnliches zu berichten hatte, woran ihn aber die Lähmung seiner Stimmbänder verhinderte. Er beschränkte sich daher darauf, mir erregt zuzuwinken, daß ich ihm folgen solle. Anstatt sich aber dem gewöhnlichen Ausgang zuzuwenden, begann er, an der Rückwand des Tepees das Segeltuch aufzuheben, und mir von neuem zuwinkend, schlüpfte er durch die entstandene Öffnung in die Nacht hinaus.

Verwundert, aber ohne Zögern, folgte ich ihm, indem ich über den niedrigen Schneewall, der das Tepee umgab, um es warmzuhalten, hinwegstieg.


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