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Kaum hatte Ignaz von Loyola die Augen zugetan, so atmete Jakob Lainez frei und stolz auf. Dieser ehrgeizige Mann hatte schon lange im Stillen den Wunsch gehegt: »O wäre doch ich Ordensgeneral! Nach Loyolas Tode muß ich es werden!« Lainez besaß zwar Loyolas religiöse Begeisterung nicht, dafür jedoch einen erstaunlichen Scharfblick in alle Menschenherzen und Verhältnisse, sowie eine Meisterschaft in Beredsamkeit und Staatsklugheit. Dadurch nützte er dem Orden und dem römischen Hofe bei der Kirchenversammlung in Trient (1551 und 1552) gar sehr, indem er gegen die Bischöfe der verschiedenen Nationen den Grundsatz einer angeblich von Gott selbst verliehenen Oberherrlichkeit des Bischofs von Rom, d. i. des Papstes, über die ganze christliche Kirche, also auch über alle andern Bischöfe, sowie über alle weltliche Macht verteidigte. Jakob Lainez besaß ferner eine große Herrschsucht, aber zugleich auch ein ausgezeichnetes Herrschertalent. Nach Loyolas Tode benutzte er nun sein Ansehen und seinen Einfluß bei der Gesellschaft mit aller seiner Schlauheit, um die Ordensherrschaft an sich zu bringen. Es gelang ihm auch wirklich, daß er von jenen Professen, welche sich in Rom befanden, zum General-Vikar erwählt wurde, und als solcher lud er nun die untergeordneten Ordensvorsteher in den verschiedenen Ländern nach Rom zur Wahl eines neuen Generals und zu einer allgemeinen Versammlung (oder »General-Kongregation«) ein. Dies mußte jedoch zwei Jahre lang verschoben werden, weil damals ein Krieg zwischen dem Papst und dem Kaiser war; überdies hatte der neue Papst Paul IV. einen Argwohn gegen die große Macht des Ordens, und wollte nicht zugeben, daß ein General auf Lebenszeit gewählt würde. Da brachte es Jakob Lainez bei seinen Ordensbrüdern dahin, daß sie beschlossen: »vor der Wahl eines Generals an der Verfassung des Ordens nichts zu ändern.« Als nun die Wahl wirklich vorgenommen ward, wurde Lainez im Jahre 1558 zum General der Gesellschaft Jesu erhoben, und jetzt, da er die Macht in Händen hatte, erwirkte er einen Beschluß seiner Brüder, daß der Ordens-General seine Würde auf Lebenszeit behalten sollte. Da geriet der Papst in heftigen Zorn, wiederholte sein Gebot und wollte die Jesuiten in allen Stücken den übrigen Mönchsorden gleichstellen, während doch sie selbst dies in jeder Weise zu vermeiden suchten. Der schlaue Lainez gab für den Augenblick nach, weil der Papst alt war und nicht mehr lange zu leben hatte; nach dessen Tode hoffte er dennoch seinen eigenen Willen durchzusetzen.
Mittlerweile hatte Lainez, welcher sein Ziel nie aus den Augen verlor, ein Werk weiter geführt, welches für die ganze Zukunft des Jesuitenordens ungeheuer wichtig war, nämlich das kunstreiche Gebäude der Ordensverfassung. Den Grund dazu hatte schon Loyola gelegt und auch die Bausteine dazu herbeigeschafft, und Lainez hatte ihm dabei mit Rat und Tat zur Seite gestanden. Nun sammelte Lainez alle Verordnungen und Entwürfe des Ordensstifters (die »constitutiones societatis Jesu«), legte sie den Mitgliedern der Gesellschaft zur Prüfung vor und wirkte dabei durch seine Klugheit so mächtig auf alle ein, daß das ganze System der Ordensverfassung, welches nunmehr zustande kam, und welches seine Nachfolger in der Generalswürde in seinem Sinne weiter ausbauten, hauptsächlich sein Werk genannt werden kann.
Das Grundprinzip dieses Systems, wie es sich, von der ursprünglichen Absicht des Ordensstifters Loyola abweichend, in der Folge immer schärfer entwickelte, ist folgendes: Der höchste Zweck des Jesuitenordens ist – er selbst, als geistlicher Staat. Der Zweck seiner Existenz aber ist die Herrschaft über die ganze Welt, und die Regierungsform – eine unumschränkte Monarchie, jedoch mit dem Anscheine, daß durch den Ordensregenten der Gesamtwille der ganzen Gesellschaft vertreten sei. Der feste Zusammenhang des Jesuitenordens mit dem Papsttum blieb dabei allerdings aufrecht, jedoch in einem umgekehrten Verhältnis, entgegen der Absicht des Stifters und entgegen dem Glauben der Päpste. Anfänglich sollte nämlich der Jesuitenorden die Universalmonarchie des Papsttums stützen und ausbreiten; bald aber gab das Papsttum, ohne es zu wissen, nur den Namen her, unter dessen Schutz der Orden seine eigene Weltherrschaft stützte und ausbreitete. Da es nun die Jesuiten durch ihre erstaunliche Tätigkeit und Einigkeit, durch ihren ungeheuren Einfluß dahin brachten, daß das Papsttum sie gar nicht mehr entbehren konnte, so erschien ihr Orden gleichsam als eine neue Verkörperung der Grundidee des Papsttums; ja er war gleichsam der Geist, das herrschende Haupt des römischen Katholizismus geworden. Alle Grundsätze, wodurch das Papsttum groß und stark geworden, waren auch die des Jesuitenordens. Wie der Papst sonst als Stellvertreter Jesu Christi gegolten hatte, so galten jetzt die Jesuitengeneräle dafür; wie die Päpste behauptet hatten, unmittelbar von Gott ein höchstes Recht über jede weltliche Gewalt zu haben, welche die Könige und Fürsten erst durch Übertragung von ihnen, also von der römischen Kirche, gleichsam als Lehen erhielten, so maßte sich jetzt die Gesellschaft Jesu an, dessen herrschender Staat auf Erden zu sein, und zwar so, daß alle Könige und Fürsten eigentlich nichts mehr als Beamte seien, welchen die Untertanen nur so lange zu gehorchen brauchten, als jene selbst ihrer höheren geistlichen Herrschaft gehorsam und nützlich blieben, und welche man, sobald sie es nicht mehr wären, absetzen und sogar töten dürfe! Ebenso wie die Päpste früher jeden Freidenkenden und Andersgläubigen für einen Ketzer, für einen von Gott Verworfenen, für einen durchaus Rechtslosen erklärten, ebenso galt jetzt jeder Freidenker vor der Gesellschaft Jesu als ihr Feind, welcher vernichtet werden mußte, wenn er sich nicht bekehren wollte. Kurz, alle Grundsätze des Papsttums, das vermeintliche höchste Recht zur weltlichen Oberherrschaft, die vermeintliche Unfehlbarkeit, die strenge Unduldsamkeit, alle aus einer und derselben Quelle entsprungen und demselben Zweck: der Erhaltung der Kircheneinheit, dienten, alle faßte nun der Jesuitenorden als seine eigenen zusammen, drückte sie noch schärfer und bestimmter aus, bildete sie noch konsequenter und feiner im Einzelnen aus, brachte sie in ein vollständiges System und machte dieses System durch einen Schlußstein felsenfest, nämlich durch die Formel: »Weil jede Handlung des Ordens zur größeren Ehre Gottes geschieht, so muß der Zweck jedes Mittel heiligen.« In dieser Zauberformel lag die ganze praktische Anwendung des Systems und die ganze jesuitische Moral. Die Haupthebel aber, wodurch der Jesuitenorden das erreichte, was das alte Papsttum selbst in den Zeiten seines größten Ansehens und seiner ausgedehntesten Macht nicht hatte erreichen können, waren folgende: Erstens eben die innere Einigkeit des Ordens in Folge seiner streng staatlichen Verfassung und Einrichtung, zweitens dessen Politik, welche die offenen Kämpfe mit der weltlichen Macht vermied und desto mehr durch heimliche Bekehrungen und Umtriebe einerseits, andererseits durch unbedingten Einfluß an den Höfen wirkte, drittens endlich die Jugenderziehung.
Die Grundsätze dieser letzteren brachte Klaudius Aquaviva in ein System und in einen geordneten Lehrplan. Er war der fünfte Ordensgeneral; denn nach dem Tode des zweiten, Jakob Lainez, (1565) war Franz Borgia, früher Herzog von Gandia, ein klösterlich bigotter Mann, General gewesen, nach ihm Eberhard Mercurianus von Lüttich, und auf diesen folgte Klaudius Aquaviva, aus dem herzoglichen Hause Atri, welcher vierunddreißig Jahre lang (von 1581 bis 1615) den Orden regierte. Er erließ außer jenem Lehrplan (der »ratio atque institutio studiorum societatis Jesu«) auch noch Gesetze zur Befolgung [der Anweisungen] der verschiedenen Ordensobern und mehrere Verordnungen, um teils eingerissene Übelstände zu verbessern, teils auch jeden Widerstand zu vernichten, welcher sich im Orden selbst gegen die despotische Regierungsverfassung erhoben hatte. Kurz: Aquaviva vollendete streng und konsequent das kunstreiche Gebäude der despotischen Ordensverfassung. Dies haben auch die Päpste nach und nach durch große Privilegien befestigt; vom Jahre 1540 bis zum Jahre 1753 erhielt der Jesuitenorden von 19 Päpsten insgesamt 92 Privilegien.
Die ganze Ordensverfassung, sofern man sie aus allen jenen Gesetzen, Regeln, Anleitungen und Erläuterungen erkennen kann, welche der Orden selbst im Drucke hat erscheinen lassen, war und ist noch folgende:
Die ganze Gesellschaft Jesu besteht aus verschiedenen Klassen von Mitgliedern. Die erste und höchste Klasse bilden die Professen (nämlich von allen vier Gelübden); diese haben den höchsten Grad, als Eingeweihte in die geheimen Maximen des Ordens, den nächsten Anteil an der obersten Tätigkeit und die ersten Ansprüche auf Ehren und Würden im Orden. Zu dieser höchsten Klasse gelangen stets nur wenige auserlesene und lang geprüfte Mitglieder, nämlich nur die allerklügsten und tüchtigsten, welche die ganze ungeheure Aufgabe des Ordens völlig zu erfassen und dafür zu wirken vermögen. Sie waren und sind sozusagen der Kern und Stamm des Ordens und hatten außer jenen Gesetzen, welche durch den Druck bekannt geworden sind, auch noch geheime Verhaltensregeln (monita secreta). Dann kommt die zweite Klasse, welche aus den geistlichen Koadjutoren besteht, diese müssen Priester sein und ihre Gelübde unmittelbar vor dem Ordensgeneral ablegen. Zwischen beiden Klassen gab und gibt es auch noch eine Mittelklasse, die der Professen von drei Gelübden; diese geloben dem Papst keinen besonderen Gehorsam, sondern legen bloß die gewöhnlichen Gelübde ab; jedoch nicht als einfache Gelübde, wie die Koadjutoren, sondern als feierliche. Zur dritten Klasse gehören die angenommenen Schüler (scholastici approbati); zur vierten die Laienbrüder oder weltlichen Helfer (weltliche Koadjutoren); zur fünften und untersten die Novizen, welche sich zwei oder mehr Jahre im Orden befinden, um geprüft zu werden und bloß das einfache Gelübde ablegen: »nach dem Sinne der Konstitutionen des Ordens zu leben.« Außerdem gibt es noch eine sechste Klasse von Mitgliedern, die der sogenannten »Affiliierten« oder »Adjunkten« oder »Jesuiten in kurzen Röcken.« Das sind Laien aus allen Ständen (auch aus den höchsten), von denen man es im Weltleben gar nicht weiß, daß sie zur Gesellschaft Jesu gehören, und die eben deswegen um so besser in allen Verhältnissen für die geheimen Zwecke des Ordens, als dessen Werkzeuge, tätig sein können; dafür genießen sie alle jene vermeintlichen geistlichen Gnaden, deren man – nach der Vorspiegelung der Jesuiten – durch den Eintritt in ihren Orden und schon durch das bloße Gelübde des blinden Gehorsams gegen denselben teilhaftig wird; unter anderen vorzüglich die Gnade, daß jeder, welcher dem Jesuitenorden angehört, Vergebung seiner Sünden und die Gewißheit der ewigen Seligkeit nach dem Tode erhält. Diese Versicherung war und ist noch ein gar mächtiger Sporn für gläubige Menschen, die wenig Geisteskraft und kein gutes Gewissen haben. Daher kam es denn auch, daß der Orden zu allen Zeiten bis auf den heutigen Tag zahllose solche Mitglieder »in kurzen Röcken« bekam, Staatsmänner, Gelehrte, Offiziere, Kaufleute, Damen sogar, welche man ebenso wenig kannte und kennt, wie Spione, welche überall für den Orden aufs allereifrigste tätig waren und sind, welche dessen ungeheure Macht ausbreiten halfen und noch jetzt zu befestigen suchen. Das sind die unsichtbaren Hilfstruppen der Jesuiten, vor denen man noch mehr auf der Hut sein muß, als vor jenen Jesuiten, welche in langen schwarzen Kutten einhergehen. Die haben von jeher jedem ehrlichen Manne, der kein Jesuit war, im Wege gestanden: die haben von jeher, wenn sie nicht selber große Herren waren, die großen Herren zugunsten des Ordens bearbeitet. Endlich gehören zum Umfang des Ordens im weitesten Sinne auch zahlreiche Brüderschaften oder Kongregationen, in welchen sowohl Männer als Frauen aus allen Ständen aufgenommen werden, um gemeinschaftliche Andachtsübungen und christliche Liebeswerke vorzunehmen. Diese Kongregationen werden von den Jesuiten geleitet und zum großen Vorteil des Ordens benutzt.
Die Verfassung des Ordens ist, wie gesagt, eine absolut-monarchistische oder despotische. Der Ordensgeneral vereinigt nämlich in sich die ganze gesetzgebende, verwaltende und oberrichterliche Gewalt und alle Mitglieder des Ordens sind ihm, als dem vermeintlichen Stellvertreter Jesu Christi und Gottes, zu unbedingtem Gehorsam verpflichtet, zu einem Gehorsam selbst gegen ihre Überzeugung; ja die leiseste Regung eines eigenen Denkens, eines eigenen Wollens gilt für so sündhaft wie eine Gotteslästerung. Kurz: der General ist für den Orden eben das, was der Papst für die römisch-katholische Kirche ist. Er residiert in Rom, in diesem alten Mittelpunkte der Weltherrschaft, als rechter Weltherrscher, denn sein Reich, das Reich des Jesuitenordens, ist ja die ganze weite Erde. Da darf er jedes Mitglied hinschicken, wohin es ihm beliebt; er darf jedes Mitglied richten und bestrafen, aus dem Orden ausstoßen und wieder aufnehmen, und ebenso jedes zu allen Ordensgraden, zu allen Ordensämtern befördern; er darf alle Einkünfte, alles Vermögen der verschiedenen Ordenshäuser nach Gutdünken verwalten, ja er darf sogar Vermächtnissen eine andere Bestimmung geben, als die des Stifters war; er leitet alle Kollegien, er erteilt alle Regeln; ohne seine Zustimmung hat kein Vertrag, welchen Ordensmitglieder abschließen, Gültigkeit. Seine Wahl geschieht durch eine Generalversammlung, bei welcher jedoch nur die Professen von vier Gelübden (ausnahmsweise auch solche von drei Gelübden und geistliche Koadjutoren) Sitz und Stimme haben, und zwar in einem Konklave, genau wie die Wahl eines Papstes. Zum Zwecke einer solchen Wahl schreibt der derzeitige Stellvertreter des Generals die Generalversammlung aus. Der General selbst aber muß diese dann berufen, wenn er an den Konstitutionen des Ordens etwas ändern will. Doch auch dabei macht es ihm seine sonstige unumschränkte Gewalt sehr leicht möglich, bloß seinen eigenen Willen durchzusetzen. Ebenso steht der Generalversammlung – nämlich nach dem Buchstaben der Konstitutionen – das Recht zu, den General abzusetzen, wenn er sich grober Vergehen gegen die Sittlichkeit oder gegen das Beste der Gesellschaft zu schulden kommen läßt. Aber, da der ganzen Gesellschaft stets viel an der Erhaltung ihres guten Rufes, überhaupt des Scheins vor der Welt liegen muß, so verlangt ihr eigenes Interesse, es nie wirklich auf eine Absetzung ankommen zu lassen.
Das Reich des Jesuitenordens ist, wie gesagt, die ganze weite Erde; damit nun diese ungeheure Monarchie gehörig verwaltet werden kann, ist sie in verschiedene Assistenzen eingeteilt, von denen jede wieder mehrere Provinzen umfaßt. Im Anfange gab es nur vier Assistenzen, nämlich 1) Indien, 2) Spanien und Portugal, 3) Deutschland und Frankreich, 4) Italien und Sizilien, später sechs; da wurden nämlich Frankreich, sowie Polen und Litauen zu eigenen Assistenzen erklärt. An der Spitze jeder Assistenz steht ein Assistent; die Assistenten haben keine eigentliche Gewalt, sondern sind bloß die Räte des Generals. Die verschiedenen Provinzen des Jesuitenstaates erstrecken sich über ganze Länder. Über jede Provinz ist, gleichsam als Statthalter oder oberster Regierungsbeamter, ein Provinzial gesetzt. Der General, als Souverän, ernennt ihn in der Regel für drei Jahre, beläßt ihn jedoch nach Gutdünken auch noch länger oder nur kürzer in seinem Amt. Ein Provinzial hat den Zustand der ihm untergebenen Provinz jährlich einmal festzustellen und dem General darüber Bericht zu erstatten; er muß alle weltlichen Verwaltungsgeschäfte besorgen und seine Untergebenen fortwährend genau überwachen, ebenso die Lehrer (wie überhaupt den Zustand der Studien), und muß streng achtgeben, daß in seiner Provinz kein Buch ohne Bewilligung des Generals in Druck gegeben wird. Sodann ist er verpflichtet, aller drei Jahre Provinzialversammlungen zu halten, wobei nur Professen von vier Gelübden und die unter ihm stehenden Vorsteher der Ordenshäuser und Kollegien zugelassen werden; diese Provinzialversammlungen haben den Zweck, einen Bevollmächtigten der Provinz für die sogenannte Versammlung der Prokuratoren zu erwählen, welche aus dem General, den Assistenten und eben jenen Bevollmächtigten der Provinzen besteht, um über die Notwendigkeit einer Generalversammlung zu beraten. Wie der Jesuit von dem Augenblick an, in welchem er in den Orden eingetreten ist, keine Blutsverwandten, sondern nur Ordensbrüder hat, keinen irdischen Souverän mehr, sondern bloß seinen General, keine andere Obrigkeit, als seinen unmittelbaren Ordensvorgesetzten, keine Pflicht, als für den Orden, kein Eigentum, als die gemeinsamen Schätze und Vorrechte desselben, so hat er alsdann auch kein Vaterland mehr, sondern er gehört ausschließlich jener Ordensprovinz an, in welcher er aufgenommen worden, und zwar als Untertan; sowie ihn der General in eine andere Provinz versetzt, so steht er dann auch unter den Oberen in derselben. So völlig losgetrennt von den heiligsten Banden des Vaterlandes, lebt und webt der Jesuit bloß als Untertan seines unsichtbaren Weltstaates.
Unter der obersten Aufsicht des Provinzials stehen folgende einzelne Ordensanstalten in den Provinzen, welche alle wieder ihre besonderen Vorgesetzten und Beamten haben. Zuerst die Profeßhäuser, in welchen die Professen von vier Gelübden wohnen. Diese Profeßhäuser haben keine Einkünfte, noch Güter, und die Vorsteher derselben heißen Pröpste (praepositi). Sodann die Noviziat- (oder Prüfungs-) Häuser, in welchen die Novizen, Schüler und jene Väter wohnen, welche die dritte Prüfung noch nicht überstanden haben; diese Noviziathäuser haben Einkünfte, und ihre Vorsteher heißen Novizenmeister; in jedem befindet sich außerdem ein Examinator, welcher die Prüfungen der Aufzunehmenden leitet. Als eine Art von Aushilfe anstatt der Profeßhäuser und Kollegien, gibt es an Orten, wo solche nicht aufkommen können, sogenannte Residenzen; in diesen wohnen mehrere Jesuiten, welche in der Umgebung predigen und Beichte hören, oder in stiller Ruhe sich mit wissenschaftlichen Arbeiten befassen; zuweilen werden auch Mitglieder, welche für den Orden Ärgernis gaben, in solche Residenzen, wie in Strafanstalten versetzt. In protestantischen Ländern endlich errichten die Jesuiten sogenannte Missionen, leben darin unbeachtet, wie Weltgeistliche, und suchen den Katholizismus wieder herzustellen.
Die Unterrichtsanstalten sind entweder Kollegien oder Seminarien. Die Kollegien bestehen aus Gymnasien und Fakultätsstudien. Die Gymnasien umfassen wieder mehrere Klassen. In den Fakultätsstunden werden Mathematik, Moralphilosophie, Logik, Physik und Metaphysik, Kasuistik, scholastische Theologie, hebräische Sprache und das Studium der heiligen Schrift gelehrt. Mit den Kollegien sind auch Konvikte verbunden, in welchen auch auswärtige Schüler (wie in Pension) aufgenommen werden, größtenteils Söhne aus guten Häusern; dadurch haben die Jesuiten Gelegenheit, sich viele Affiliierte (die ihnen so brauchbar sind) heranzuziehen und frühzeitig ganz für den Orden zu gewinnen. In den Seminarien hingegen bilden sie diejenigen von ihren Schülern aus, welche sie für die Zukunft als Professoren anstellen wollen.
Der Plan, welchen die Jesuiten von Anfang her bei ihrer Erziehung und Bildung der Jugend zugrunde gelegt und konsequent befolgt haben, ist ein Beweis ihrer tiefen Menschenkenntnis. Auch lassen sich daraus zum Teil das Ansehen, der Einfluß und die Macht erklären, welche sie in der Welt erlangt haben. Ihr höchster Zweck war dabei einzig der: dem Orden taugliche und berühmte Mitglieder, sowie geneigte Freunde und Gönner im Weltleben zu erziehen. Dazu war die strengste Aufsicht über Lehrer und Schüler nötig. Deshalb durfte weder ein Lehrer eine eigene freie Meinung vortragen, noch ein Schüler Gelegenheit finden, sich ein eigenes freies Urteil zu bilden und auszusprechen. Aber, je weniger Freiheit der Denkkraft wirklich vergönnt war, um so mehr wurden dagegen die Geister der Jugend durch den trügerischen Anschein derselben gereizt. In den Gymnasialklassen war bloßes Auswendiglernen die Hauptsache und wurde am meisten belohnt, Grund genug für eine ehrgeizige Jugend in der Übung des Gedächtnisses zu wetteifern und jeden höheren Zweck der Studien darüber beiseite zu setzen. Die Kenntnis der griechischen Literatur wurde allzusehr vernachlässigt, ebenso durch Einführung des Lateinischen als Umgangssprache der Schüler die Entwickelung der Volkssprache, besonders in Deutschland, gehemmt. In den höheren Studien wurden die Jünglinge nicht in das tiefere Wesen der Wissenschaften eingeführt, sondern die toten Formen wurden ihnen als das Höchste dargestellt und zunächst dann die Kunst, mit spitzfindigen Schlüssen zu disputieren, besonders über einzelne Fälle, die selten oder gar nie in der Wirklichkeit vorkommen konnten (das heißt man die Kasuistik); da kamen oft die abenteuerlichsten Streitfragen vor, welche die Phantasie der jungen Leute ebenso sehr anregten, wie deren Eitelkeit, sodaß einer den andern durch unnützen Scharfsinn zu überbieten suchte. Durch solche Spiegelfechtereien, welche den Schein des Ernstes hatten, wurde die Jugend von der Lust und Liebe zu tieferen ernsten Forschungen abgehalten, und zugleich war die Kunst zu disputieren eine gute Vorschule für jene Jesuitenzöglinge, welche dereinst Staatsmänner, Diplomaten und dergleichen werden und dem Orden nützen konnten, sowie für jene, welche im Orden selbst blieben und dann gar oft Trugschlüsse nötig hatten, um so manche Ordenshandlung, welche jeder Mann von gesundem Kopfe und ehrlicher Brust für niederträchtig gehalten hätte, als eine rechtschaffene, ja sogar gottgefällige verteidigen zu können. Außerdem verstanden es die Jesuiten meisterhaft (und sie verstehen es auch noch), die leicht empfänglichen Gemüter der Jugend ganz und gar für sich, ihre Lehrer, einzunehmen. Sie ließen sich stets freundlich und wohlwollend zu ihren Schülern herab; sie spornten den Ehrgeiz derselben durch öffentliche Redeübungen und öffentliche Preisverteilungen; sie wirkten auf ihre Phantasie durch öffentliche Schauspiele, welche sie von der Jugend aufführen ließen; ja selbst der Anstrich von militärischer Ordnung, welche sie in der Einteilung der Beschäftigungen, sogar der Spiele aufrecht hielten, hatte für die Jugend etwas sehr Anziehendes. Den Eltern aber imponierte der gelehrte Prunk ihrer Söhne, welche bloß lateinisch reden durften, sowie der äußere feine Anstand, welchen dieselben in den Jesuitenschulen lernten, ungemein, sodaß diese weit und breit als die besten gepriesen wurden, und daß jeder Vater, dem das Wohl seiner Söhne am Herzen lag, sie in die Jesuitenschule schickte; die natürliche Folge davon war die, daß die anderen geistlichen und weltlichen Schulen aus Mangel an Besuch und Unterstützung in Verfall kamen. Dabei versäumten es die Jesuiten nicht, die Knaben und Jünglinge auch durch die Bande der Religion an den Orden zu fesseln, und sie machten diese zu einem wesentlichen Bestandteil der Erziehung; Religionsunterricht, Gebete, Andachtsübungen und Lesung geistlicher Bücher wechselten mit den Lehr- und Feierstunden, tägliches Messehören, regelmäßiges Beichten und Empfang des Abendmahls, dies alles erwarb den Schülern ebenso großes Lob bei den Jesuiten, als ihr Fleiß und ihre Fortschritte in den Studien, und verschaffte den Lehrern eine vollständige Einsicht in die Herzen ihrer Schüler und eine unbegrenzte moralische Gewalt über sie. So also war das jesuitische Schulwesen bestellt. Die Vorsteher der Kollegien und Seminarien hießen Rektoren. Sie standen (wie auch die Vorsteher der Konvikte, Profeßhäuser, Noviziate) unter dem Provinzial, und hatten an diesen jährlich einen wahrheitsgetreuen Bericht zu erstatten: über den Zustand der ihnen untergebenen Anstalten, über die Tätigkeit der darin befindlichen Schüler und Brüder, sowie über die Schenkungen an die Ordenshäuser. Aus diesen einzelnen Berichten mußte dann jeder Provinzial einen Gesamtbericht zusammenstellen und an den General zu Rom schicken.
Berichterstattung war überhaupt eines der wesentlichsten und wichtigsten Mittel, wodurch der General, an der Spitze des ungeheuren Ordensstaates stehend, denselben in jedem Augenblick vollkommen übersehen, jedes Mitglied von besonders hervorragenden Fähigkeiten auch in der weitesten Ferne kennen lernen und an den für dasselbe geeigneten Platz hinstellen, kurz die kunstreiche Maschine der Verwaltung zweckmäßig lenken konnte. Zu diesem Zweck erhielt der General auch alljährlich von den Provinzialen einen kurzen schriftlichen Überblick, welchen die Vorsteher der Häuser und Kollegien abfassen und dem die Provinzialen ihre besonderen Bemerkungen beifügen mußten; ferner erhielt der General auch alle drei Jahre durch Bevollmächtigte der Provinz zwei auf ähnliche Weise angefertigte ausführliche Listen aller Mitglieder, worin Name, Alter, Ordensgrad, Leibesbeschaffenheit, geistige Fähigkeiten, Tun und Lassen eines jeden Einzelnen aufs Genaueste angegeben waren. Außerdem bestellte der General noch eigene Visitatoren, welche die Provinzen (zur strengeren Kontrolle) bereisen und auch die Provinzialen besonders beobachten mußten. Deshalb wurden auch diejenigen, welche sich in den Orden aufnehmen lassen wollten, lange und sorgfältig geprüft und beobachtet, und zum blinden Gehorsam angehalten, bevor man sie zum Noviziat zuließ, und darin mußten sie, mit völliger Entäußerung aller natürlichen Liebesbande und Neigungen, zwei Jahre hindurch, zuweilen noch länger, verharren, bevor sie die einfachen Gelübde ablegen durften; erst dann hatten sie Aussicht auf Beförderung zu höheren Graden. Ebenso verpflichteten sich die Ordensmitglieder gleich bei ihrer Aufnahme: einer den andern insgeheim sorgsam zu beobachten und jeder die Fehler und Vergehungen seines Ordensbruders den Oberen anzuzeigen. Dieses System einer durchgreifenden Kontrolle und wechselseitigen geheimen Polizei, ohne welches keine Despotie bestehen kann, beförderte freilich die Verstellung und Heuchelei, aber es hatte dafür eine andre, dem Orden hochwichtige Folge. Da nämlich jeder einzelne Jesuit wußte, daß sein ganzes Leben und alle seine Fähigkeiten dem General genau bekannt waren, und daß es im Interesse des Ordens lag, nur die tüchtigsten Mitglieder zu höheren Würden zu befördern, so suchten natürlich die Talentvollsten und Tatkräftigsten sich immer mehr Verdienste um den Orden zu erwerben; die Belohnung dafür, nämlich eben jene Beförderung zu einem höheren Wirkungskreise im Orden, eine immer größere Selbstständigkeit, die Herrschaft über Untergebene und endlich die Aussicht auf das höchste Ziel, auf die Generalswürde, entschädigte sie reichlich für ihre eigene frühere untergeordnete Stellung. Dies ist der Grund, weshalb die Ordensverfassung – so despotisch sie auch war – weit entfernt, fähige Männer vom Eintritte in den Orden abzuschrecken, solche vielmehr anzog; dadurch blieb er stark, daß das höchste Interesse jedes einzelnen Jesuiten einzig und allein das Gesamtinteresse des Ordens sein mußte, daß jeder Egoismus eines Einzelnen aufging in dem des ganzen Instituts. Aber ebenso nahm sich dieses stets mit ganzer Macht eines jeden Einzelnen an, wenn ein solcher gekränkt, sogar durch eigene Schuld von der weltlichen Obrigkeit verfolgt war, oder seinen Ruf aufs Spiel gesetzt hatte. Warum aber tat dies der Orden? Wieder aus Egoismus; denn, da sich der ganze Orden durch den angeblichen Besitz des vollen göttlichen Gnadenschatzes den Anschein der Unfehlbarkeit und Heiligkeit anmaßte, so war ja in der Ehre jedes einzelnen Jesuiten stets die des ganzen Ordens gekränkt. Kurz: diese innige Verschmelzung der beiderseitigen Interessen, der des ganzen Ordens und jener jedes einzelnen Mitgliedes, erhielt statt des Vertrauens die innere Einigkeit, erhielt statt des rechtlichen Vertrages das Gleichgewicht, erhielt die Größe, den Glanz und Bestand des Ordens.
So stand denn der Jesuitenorden als ein durchaus eigentümlicher Staat da, als Weltstaat, und zwar nicht bloß in geistiger Bedeutung dieses Wortes, sondern auch in rein weltlicher, die ganze Erde mit der ungeheuren Kette des Egoismus umschlingend, einer Kette, deren Glieder die einzelnen Mitglieder des Ordens waren. Die erste Folgerung, welche sich aus diesem stolzen Anspruch ergab, war die der Selbständigkeit. Um diese zu erreichen, genügten dem Orten die zahlreichen päpstlichen Privilegien nicht; er bedurfte auch jenes gewaltigen Talismans, welcher auf Erden größere Wunder wirkte, als alle Beredsamkeit, welcher leichtere Siege erringt, als alle Kriegsheere, und welcher leider die Stimme der Wahrheit, der Treue und Redlichkeit so oft zum Schweigen bringt; kurz: er brauchte Geld. Die Kunst, Reichtümer zu erwerben, war daher ein wichtiger Teil in der Ordenspolitik. Almosen reichten für die ungeheuren Finanzbedürfnisse des Jesuitenstaates nicht aus; umso ergiebiger waren für denselben die Verfügungen der in den Orden Eintretenden über ihr Vermögen, sodann die Geschenke und Vermächtnisse andächtiger Personen, darunter besonders der Monarchen und des Adels. Daher wendeten die Jesuiten alle möglichen Ränke an, um ansehnliche Erbschaften zu erschleichen; sie ängstigten die Gewissen reicher Erblasser und betrogen sie durch die Vorspiegelung, daß sie für das Geld tausende von Seelenmessen lesen, und, kraft des jesuitischen Vorrechts bei Gott, die ewige Seligkeit erwirken würden. Um den Geldzweck zu erreichen, wie auch, um Unterhandlungen ohne Aufsehen zu betreiben, verstießen sie oft Mitglieder zum Schein aus ihrem Orden (und der General durfte dies ja nach seiner Willkür). Solche scheinbar Ausgestoßenen erwarben dann Erbschaften, und wenn sie dies getan, nahm sie der General in den Orden wieder auf, und sie brachten nun diesem das erworbene Vermögen zu. Es kümmerte den Orden nicht, ob durch solche Erbschleichereien die rechtmäßigen Erben beeinträchtigt und in die bitterste Not gebracht wurden; ja die Jesuiten scheuten, bei ihrer frevelhaften Moral, daß der Zweck das Mittel heilige, auch selbst Verbrechen nicht, um zu jenem Ziele zu gelangen. Oft verschwanden rechtmäßige Erben von der Erde, ohne daß man wußte wie; es gibt Beispiele genug, sogar in neuerer Zeit, daß diese ruchlosen Erbschleicher ihre Opfer zum Wahnsinn brachten. Endlich trieben die Jesuiten auch Geldgeschäfte und rafften den Handel in Amerika und Indien größtenteils an sich, wobei sie ungeheure Summen verdienten, aber nicht immer auf rechtlichem Wege. Doch nach ihrem Grundsatze: »der Zweck heiligt das Mittel,« machten sie sich kein Gewissen daraus; ihr Zweck war der Vorteil des Ordens, und der Orden (so sagten sie) war ja zur größeren Ehre Gottes da, also mußten auch Wucher und Betrug bloß zur Beförderung der größeren Ehre Gottes dienen, und wurden dadurch gerechtfertigt.
Natürlicherweise kann ein Staat, welcher sich für den von Gott berechtigten alleinigen Weltstaat hält oder ausgibt, alle anderen neben sich nicht dulden; sie erscheinen ihm als Anmaßung, und wenn er sich in jener Eigenschaft behaupten will, so muß er sie erobern. Das hat denn der Jesuitenorden auch getan, aber mit unsichtbaren Waffen. Bei den heidnischen Völkerschaften in Asien und Amerika breitete er seine Herrschaft unablässig durch Missionen aus; er ließ nämlich dort das Christentum predigen, wodurch er sich in Europa hohen Ruhm verschaffte, und unter jenem heiligen Vorwand vermehrte er auch seine Reichtümer, seine Macht. Den christlichen Reichen gegenüber mußte der Orden feiner und schlauer zu Werke gehen; da mußte er; wenn er über die Fürsten und über die Völker sicher herrschen wollte, gerade den Schein der Herrschsucht mit der größten Sorgfalt vermeiden; auch mußte er bei protestantischen Staaten einen andern Weg einschlagen, als bei katholischen. Das hat er denn auch mit einer wahrhaft erstaunlichen Menschenkenntnis, Staatsklugheit und Konsequenz getan. In den katholischen Staaten war das genau berechnete Verfahren des Ordens, um die Alleinherrschaft zu erringen, folgendes: Die Jesuiten unternahmen ihre Angriffe zu gleicher Zeit von der einen Seite auf das Volk und von der andern Seite auf die Monarchen. Vor allem strebten sie, sich bei beiden einzuschmeicheln und sich beiden unentbehrlich zu machen. Deshalb umgaben sie sich mit dem blendenden Schein einer ganz besonderen Frömmigkeit, befestigten den Glauben der Menschen an den unerschöpflichen geistlichen Gnadenschatz des Ordens, und brachten es auf alle Weise dahin, daß man sie als Beichtväter suchte. Als solche hatten sie dann die volle Gewalt über die Gewissen und dadurch auch mit leichter Mühe über die Willenskraft der Gläubigen. Diese Gewalt erhielten sie sich dadurch, daß sie nicht allzu streng gegen ihre Beichtkinder waren, vielmehr denselben manche Sünden und zwar gerade diejenigen, welche sie am liebsten begingen, unter nichtigen, ja geradezu unsittlichen und verwerflichen Vorwänden gerne erließen. Ihre Politik war: sich den verschiedenen Sitten der Menschen anzuschmiegen, mit den Strengen streng, hingegen mit Leuten von weitem Gewissen auch wieder nachsichtig zu sein, überall den Neigungen entgegen zu kommen und zu schmeicheln. Volk und Monarchen trachteten sie gleichmäßig in einer geistigen Unmündigkeit zu erhalten; denn sie wußten wohl, daß man am leichtesten solche Menschen beherrschen kann, welche das Denken verlernt haben; deshalb stellten sie auch gar eifrig den angeborenen Trieb des Menschen, über das Höchste, über Glaubenssachen nachzudenken, als sündhaft, als Einflüsterung des bösen Geistes dar. Indem sie so den Verstand abstumpften, regten sie die Einbildungskraft heftig an. Aus diesem Grunde bildeten sie besonders die Verehrung der Jungfrau Maria im höchsten Grade aus und erfanden eine Menge wunderbarer Erzählungen von der geheimnißvollen unbegrenzten Macht, welche die heilige Maria im Himmel zugunsten aller derer ausübe, die ihr auf Erden andächtig dienten; ja sie erweckten in den Gläubigen die Vorstellung, daß Maria eine noch größere Macht habe, als ihr Sohn, der Heiland, diese zweite göttliche Person. So erhoben sie die Schwärmerei ihres Ordensstifters Loyola zu einem Glaubenssatze. In gleichem Grade trieben sie die Verehrung der Heiligen (besonders der aus ihrem Orden) bis zur Abgötterei; lauter vulgäre Vorstellungen, wodurch der reine Gottesglaube verdüstert ward! Als tiefe Menschenkenner blieben sie dabei nicht stehen. Sie wußten, daß ungebildete Menschen durch die abergläubische Furcht vor unsichtbaren Mächten am leichtesten zu beherrschen seien. Deshalb ersannen sie tausend abenteuerliche Erzählungen von den Listen der bösen Geister gegen die Menschen und, wenn sie dadurch schwache Gemüter geschreckt und bis zur Verzweiflung verwirrt hatten, so boten sie sich selbst, wie höhere mächtige Wesen, zu Rettern dagegen an. In diesem Geiste sind ihre berühmten »geistlichen Übungen,« das sind, sozusagen, Kampfübungen gegen die Anfechtungen des Teufels, wobei sich die schwachen Gläubigen ganz der Leitung der Jesuiten überlassen mußten: ein mit wahrhaft teuflischer Schlauheit gewebtes Netz, worin diese die gesunde Vernunft fingen und abtöteten. Außerdem suchten sie planmäßig auch im Gottesdienst durch blendenden Prunk der Zeremonien auf die sinnlichen Vorstellungen zu wirken, um dadurch jede Regung eines tieferen Gemütsbedürfnisses abzustumpfen. Zu diesem Zweck veranstalteten sie theatralische Feste, stattliche Aufzüge und prunkvolle Kirchenfeierlichkeiten. Außerdem erlangten sie großes Ansehen durch den Schein ihrer Gelehrsamkeit, und allerdings muß man, um nicht ungerecht zu sein, auch einräumen, daß sie in einzelnen Wissenschaften, wie in den mathematischen, Anerkennenswertes geleistet, und daß Erd-, Länder- und Völker-, sowie Sprachkunde infolge ihrer mit wahrem Mut und beispielloser Ausdauer vollbrachten Missionen manche Bereicherung erhielten. Da sie nirgends eine abstoßende mönchische Strenge an den Tag legten, da sie ferner durch die Jugenderziehung mit den Familien aufs innigste zusammenhingen und besonders die Frauen an sich zu fesseln verstanden, so konnte es nicht fehlen, daß ihr Einfluß auf das Volk zu einer wahren Herrschaft ward. – Den Einfluß, welchen sie auf die Monarchen, als deren Beichtväter, hatten, trugen sie nicht immer zur Schau; ja dies war ihnen nach ihrer Ordensverfassung sogar verboten, und wenn sie, in solcher Stellung, die wichtigsten Angelegenheiten zustande brachten, so versteckten sie sich immer hinter den Monarchen, sodaß es schien, als ob diese aus freien Stücken gehandelt hätten; dadurch vermieden sie klug alle Gehässigkeit und luden diese den Monarchen selbst auf. Übrigens mußten sie, gemäß ihrer Ordensverfassung, stets dahin arbeiten, daß die Monarchen dem Orden gewogen blieben und dessen Bestes beförderten. Ebenso mußten sich die jesuitischen Beichtväter der Monarchen, wenn sich diese in zweifelhaften Fällen bei ihnen Rat holen wollten, stets an die Ordensobern wenden und deren Gutachten einziehen. Endlich – und das war von größter Wichtigkeit – teilten sie die Beichten der Monarchen dem Ordensgeneral mit. Das war freilich eine frevelhafte Verletzung des Beichtgeheimnisses; aber sie entschuldigten dieses Verbrechen wieder durch den guten Zweck, zu welchem es begangen werde, nämlich durch den Vorteil des Ordens. So wußte demnach der Ordensgeneral in Rom die geheimsten Gedanken und Vorsätze aller katholischen Monarchen, und konnte sie durch seine Kreaturen, die Beichtväter, wie Puppen an Drähten, ganz nach seinem Gefallen lenken, und durch sie wieder die Völker; so hatte er jeden Feind des Ordens, jeden Freund der Wahrheit und Freiheit durch die Könige, wie durch seine Sklaven, ja wie durch seine Schergen, in seiner Gewalt, und die Majestät, von welcher die Völker Schutz, Heil und Segen erwarteten, mußte ihm zur Vollstreckung seines Despotismus dienen. – Anders war es in protestantischen Staaten. Da richtete sich die Politik des Jesuitenordens nach den verschiedenen Umständen und Zeitverhältnissen. War z. B. der Monarch katholisch und das Volk protestantisch, so schlichen sie sich in das Vertrauen des ersteren ein und trieben ihn durch alle erdenklichen Einflüsterungen, geistliche Verheißungen, Drohungen und Zuspruch so weit, daß er selbst auf die Gefahr hin, Thron und Land zu verlieren, sein Volk zu bekehren suchte. War hingegen der Monarch protestantisch und auch nur ein Teil des Volkes katholisch, so wiegelten sie das Volk wider jenen auf, schilderten ihm denselben als einen von Gott verfluchten Tyrannen und lehrten frech, daß man ihn ungestraft ermorden dürfe, ja daß dies Verbrechen, weil es zur größeren Ehre Gottes begangen würde, sogar ein vor Gott höchst verdienstvolles Werk sei, ja sie verführten einzelne Schwärmer zum Königsmord, und wenn solche Verbrecher ergriffen und gerichtet wurden, so priesen sie dieselben noch gar als Märtyrer für den heiligen Glauben. – Waren Fürst und Volk protestantisch, so schlichen sie sich in weltlichen Kleidern, als Kaufleute, Botschafter oder dergleichen ins Land, gaben sich sogar für Protestanten aus, fingen dann im Stillen an zu wirken, und ließen alle Minen springen. Kurz: sie benahmen sich als offene Feinde, obwohl sie nie den Schein davon haben wollten, stifteten Empörung, Meuterei, Revolution und Bürgerkrieg und heiligten die scheußlichsten Verbrechen.
Das war ein kurzer Überblick der jesuitischen Sittenlehre. Wer dieselbe ausführlich kennen lernen, den ganzen Abgrund scheußlicher Verworfenheit aufgedeckt sehen will, der lese das Buch: »die Moral und Politik der Jesuiten«, von Ellendorf, worin dieser treffliche, leider zu früh verstorbene Kämpfer für Wahrheit und Recht aus den Schriften der prominentesten theologischen Autoren dieses Ordens selbst jene verworfene Moral und Politik der Jesuiten geschildert hat, und die ewige Gegenrede, daß man die schlechten Grundsätze und Verbrechen von etwa nur 200 Schriftstellern des Ordens nicht dem ganzen Orden zur Last legen dürfe, ganz einfach dadurch widerlegt, daß alles, was die Moraltheologen und Politiker des Ordens Schlechtes und Greulhaftes geschrieben und haben drucken lassen, mit der förmlichen Approbation des Ordens erschienen ist.
Der oberste Grundsatz der jesuitischen Sittenlehre hieß, wie gesagt:
»Der Zweck heiligt das Mittel!«
Ein Grundsatz, welcher, wenn er von Jedermann befolgt würde, bald die Treue aus der menschlichen Gesellschaft verjagen, und jedes noch so scheußliche Verbrechen in eine Tugend verwandeln würde, ein Grundsatz, welcher die Bande der Familien und des Staates zerreißen würde. Es ist der frechste Hohn des Egoismus gegen das erhabene Sittengesetz des Heilands, welcher sich aus höchster aufopfernder Liebe für alle Menschen in den Tod begab, desselben Heilands, dessen Namen sich der Orden anmaßte und noch führt.
Die nächsten Folgerungen, welche die Jesuiten aus jenem verbrecherischen Hauptgrundsatz ableiteten, waren folgende. Sie behaupteten: »Gott, als höchster Richter, beurteile nicht die äußere Tat, sondern bloß die geheime Absicht des Täters. Daher sei keine Tat, ob sie auch nach menschlicher Beurteilung noch so unmoralisch und verbrecherisch scheine, es auch wirklich, wenn nicht auch die Absicht böse sei. Wenn daher der Täter seiner bösen Tat eine gute Absicht unterschiebe, oder eine solche auch nur an die Stelle der schlechten setze, so sei er gerechtfertigt.« Was folgte daraus? daß sich jedes Verbrechen nicht bloß nachträglich rechtfertigen, sondern, daß es sich überhaupt ohne Gewissensskrupel begehen ließ. Diese furchtbare Theorie haben die Jesuiten völlig zu einer eigenen Wissenschaft ausgearbeitet.
Und so teilten sie die verschiedenen Berechtigungen zu sündigen ein: »Man darf sündigen, wenn man irgend eine billigende Meinung eines Schriftstellers als Autorität für seine Handlung auffinden kann.« Und warum? Weil dabei die böse Absicht nicht auf dem Täter haftet, sondern auf einem Dritten (nämlich auf jener Autorität). Dann heißt die böse Tat probabel. Dieses System nannten die Jesuiten den »Probabilismus«. – »Man darf ferner sündigen« (behaupteten sie) »wenn man sich einen erlaubten Gegenstand als Zweck der Handlungsweise einbildet.« Das nannten sie »die Leitung der Absicht«. – »Man darf sündigen, mit innerem Vorbehalt (reservatio mentalis), wenn man bei einer Äußerung eine andere Absicht denkt, als sie ausdrückt«. Warum? Weil man sich dann eine Beschränkung seiner Absicht hinzudenkt; dadurch ist die Äußerung für das Gewissen etwas wesentlich anderes, als was sie scheint. – Man darf sündigen durch Zweideutigkeit, wenn man einen Ausdruck gebraucht, der mehrere Bedeutungen hat, und in Gedanken eine andre Bedeutung des Wortes als Absicht annimmt, als jene, welche der Hörende glaubt und annimmt.« So rechtfertigten sie Lüge, Betrug und Meineid, Mord und Unzucht. Außerdem gab es auch noch viele andere solcher jesuitischen Trugschlüsse; aber das Schamgefühl verbietet, sie wieder zu erzählen.
Dies ist das System der jesuitischen Sittenlehre, und der Orden hat dasselbe auch praktisch angewendet. Am furchtbarsten aber in Bezug auf seine Politik. In den Schriften der berühmtesten Ordensmitglieder ist die Idee einer ursprünglichen Volkssouveränität mit aller Kunst in Trugschlüssen aus jeder geschichtlichen Entwicklung herausgerissen, jede rechtliche Grundlage des Verhältnisses zwischen Fürsten und Volk aufgelöst und der Grundsatz aufgestellt, daß das Letztere das Recht habe den Ersteren abzusetzen, oder das Königtum abzuschaffen und die bestehende Form der Staatsverfassung in eine andere zu verwandeln. Doch damit nicht genug! In grauenhafter Folgerichtigkeit leiteten sie daraus auch die Erlaubnis, ja die Rechtmäßigkeit des Fürstenmordes ab; freilich nannten sie das bloß Tyrannenmord, aber ein Tyrann war und ist nach jesuitischer Deutung jeder Fürst, welcher den Jesuiten als ein Ketzer oder Beschützer von Ketzern, als ein Feind ihres Ordens und der römischen Hierarchie oder wenigstens als ein solcher erscheint, der sich von beiden nicht abhängig machen und auch sein Volk vor einer solchen Abhängigkeit schützen will. Und einen solchen Fürsten als Tyrannen zu ermorden, erklärten sie für ein Werk, welches »zur größeren Ehre Gottes gereiche!«
Dies, o deutsches Volk, ist der Gipfel der jesuitischen Moral und Politik. Kannst du, ein Volk, welches die Treue ebenso hoch hält als die gesetzliche Freiheit, du, dem der Eid etwas Heiliges ist, das du die Person des Fürsten als unantastbar achtest und lieber dein Herzblut freudig hinströmen läßt, als daß es einem Frevler gelänge, sie zu verletzen, kannst du, edles, sittliches deutsches Volk, einen Orden für unschädlich achten, dessen Mitglieder solche Grundsätze, mit Billigung ihrer Oberen gedruckt, öffentlich kundgeben und noch keineswegs öffentlich widerrufen haben? Wohl darf man sagen, daß es unter den Jesuiten zu allen Zeiten auch wahrhaft edle und tugendhafte Männer gegeben hat, welche solche scheußliche Grundsätze im Stillen verabscheuten und keineswegs befolgten, sondern vielmehr als echte Priester unserer erhabenen und heiligen Christusreligion nur Liebe und Versöhnung predigten, für Liebe und Versöhnung lebten und starben. Aber diese Beispiele von einzelnen Ehrenmännern heben die Grundsätze des Ordens nicht auf, der heute noch derselbe ist wie früher, der heute wie früher noch Ketzerhaß und Verfolgung aller derjenigen predigt, welche dem Orden widerstreben. O deutsches Volk, dessen schöner Ruhm die Treue ist, sei mannhaft auf der Hut, und wahre deine Schwelle, daß die Pest dieser königsmörderischen Moral nicht Eingang in deine Häuser und Hütten finde, und dein Name vor Gott und allen Völkern der Erde rein bleibe!