Alexander Dumas
Ange Pitou. Band 1
Alexander Dumas

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Herr de Launay, Gouverneur der Bastille.

Es waren, wie Herr von Flesselles gesagt hatte, achtzig Zentner Pulver in den Gewölben des Stadthauses.

Marat und Billot traten in das erste Gewölbe mit einer Laterne ein, die sie an der Decke aufhingen.

Pitou bezog die Wache vor der Thüre. Das Pulver war in Fäßchen, von denen jedes ungefähr fünfundzwanzig Pfund enthielt. Man stellte Leute auf der Treppe auf. Diese Leute bildeten eine Kette, und man begann den Transport der Fäßchen.

Es fand einen Augenblick eine Verwirrung statt. Man wußte nicht, ob Pulver für alles Volk da war, und jeder stürzte hinzu, um seinen Teil zu nehmen. Den von Billot ernannten Chefs gelang es jedoch, sich Gehör zu verschaffen, und die Verteilung nahm ihren Fortgang mit einer gewissen Ordnung.

Jeder Bürger bekam ein halbes Pfund Pulver, ungefähr also hinreichend für dreißig bis vierzig Schüsse.

Als jeder das Pulver hatte, bemerkte man, daß die Flinten fehlten: kaum fünfhundert Mann waren bewaffnet.

Während die Austeilung fortgesetzt wurde, ging ein Haufen von dieser wütenden Bevölkerung in das Zimmer hinauf, wo die Wähler ihre Sitzungen hielten. Sie waren beschäftigt, die Nationalgarde zu organisieren, wovon der Ratsdiener ein Wort zu Billot gesagt hatte. Man hatte dekretiert, diese Miliz sollte achtundvierzigtausend Mann stark werden. Diese Miliz bestand aber bis jetzt nur im Dekret, und schon stritt man sich über die Ernennung des Generals.

Mitten unter dieser Verhandlung bestürmte das Volk das Stadthaus. Es hatte sich ganz allein organisiert. Es verlangte zu marschieren, und es fehlte ihm nur an Waffen.

In diesem Augenblick hörte man das Geräusch eines Wagens, der hereinfuhr. Es war der Stadtvogt, den man, obgleich er den Befehl des Königs, der ihn nach Versailles berief, vorgezeigt, nicht hatte wollen passieren lassen und mit Gewalt nach dem Stadthause zurückbrachte.

Waffen! Waffen! rief man von allen Seiten, als man ihn erblickte.

Waffen? sagte er; ich habe keine, doch im Arsenal muß es geben.

Nach dem Arsenal! nach dem Arsenal! rief die Menge.

Und fünf- bis sechstausend Menschen stürzten nach dem Quai de la Grève. Das Arsenal war leer. Sie kehrten um und brüllten:

Nach dem Stadthaus!

Der Stadtvogt besaß keine Waffen oder wollte vielmehr keine geben. Durch das Volk bedrängt, hatte er den Gedanken, sie zu den Chartreux zu schicken.

Die Chartreux öffneten ihre Thore; man suchte überall, fand aber keine Taschenpistole.

Während dieser Zeit machte Flesselles, als er erfuhr, Billot und Marat seien noch in den Gewölben des Stadthauses und teilten das Pulver aus, den Vorschlag, eine Deputation von Wählern an Herrn de Launay zu schicken und bei ihm darauf anzutragen, daß er seine Kanonen verschwinden lasse.

Was am Tage zuvor die Menge am wütendsten brüllen gemacht hatte, waren die Kanonen, die ihren Hals durch die Zinnen hervorstreckten. Flesselles hoffte, wenn man sie verschwinden lasse, so werde sich das Volk mit dieser Einräumung begnügen und sich zufrieden zurückziehen.

Die Deputation war eben abgegangen, als das Volk tobend zurückkehrte.

Sobald Billot und Marat die Schreie vernahmen, die es ausstieß, gingen sie in den Hof hinauf.

Flesselles suchte von einem inneren Balkon herab das Volk zu beschwichtigen. Er schlug ein Dekret vor, das die Distrikte ermächtigen sollte, fünfzigtausend Piken schmieden zu lassen.

Das Volk war bereit, dies anzunehmen.

Dieser Mensch ist offenbar ein Verräter, sagte Marat.

Dann wandte er sich gegen Billot und sprach:

Thun Sie in der Bastille, was Sie dort zu thun haben.

In einer Stunde schicke ich Ihnen dahin zwanzigtausend Mann, jeden mit einem Gewehr.

Billot hatte mit dem ersten Blick großes Zutrauen zu diesem Manne gefaßt, dessen Name schon so populär war, daß er bis zu ihm gedrungen. Er fragte ihn nicht einmal, wie er sich die Gewehre zu verschaffen gedenke. Ein Abbé war da, der die allgemeine Begeisterung teilte und wie alle Welt: Nach der Bastille! schrie. Billot liebte die Abbés nicht; doch dieser gefiel ihm. Er beauftragte ihn, die Austeilung des Pulvers fortzusetzen; der wackere Abbé willigte ein.

Da stellte sich Marat auf einen Weichstein. Es fand ein entsetzlicher Tumult statt.

Stille, sagte er, ich bin Marat und will sprechen.

Jeder schwieg wie durch einen Zauber, und aller Augen wandten sich nach dem Redner.

Wollt ihr Waffen, um die Bastille zu nehmen? sagte er.

Ja! ja! ja!

Wohl! so kommt mit mir, und ihr sollt welche haben. Im Invalidenhause sind zwanzigtausend Flinten.

Zu den Invaliden! zu den Invaliden! riefen alle Stimmen.

Nun, werden Sie nach der Bastille gehen? sagte Marat zu Billot, der Pitou gerufen hatte.

Ja.

Warten Sie. Sie können vor der Ankunft meiner Leute der Hilfe bedürfen.

In der That, das ist möglich, erwiderte Billot.

Marat riß ein Blatt aus einer kleinen Brieftasche und schrieb mit Bleistift die zwei Worte:

Von Marat.

Dann fügte er auf dem Papier ein Zeichen bei.

Nun! fragte Billot, was soll ich mit diesem Zettel machen, da weder der Name, noch die Adresse desjenigen, welchem ich ihn übergeben soll, darauf steht?

Was die Adresse betrifft, so hat der, an welchen ich Sie empfehle, keine; was seinen Namen betrifft . . . er ist wohlbekannt. Fragen Sie den ersten, den besten Arbeiter, dem Sie begegnen, nach Gonchon, dem Mirabeau des Volkes,

Gonchon, du wirst dich dieses Namens erinnern, Pitou.

Goncho, oder Gonchonius, sagte Pitou, ich werde mich erinnern.

Zu den Invaliden! zu den Invaliden! brüllten die Stimmen mit wachsender Wildheit.

Vorwärts! sprach Marat zu Billot, und der Genius der Freiheit gehe dir voran.

Zu den Invaliden! rief nun Marat selbst.

Und er zog, von mehr als zwanzigtausend Menschen gefolgt, den Quai de Sèvres hinab.

Billot nahm in seinem Gefolge fünf- bis sechshundert mit. Das waren diejenigen, welche Gewehre hatten.

In dem Augenblick, wo der eine am Fluß abwärts zog, während der andere gegen den Boulevard hinaufstieg, stellte sich der Stadtvogt an ein Fenster und sprach:

Meine Freunde, warum sehe ich an euren Hüten die grüne Kokarde?

Das war das Lindenblatt von Camille Desmoulins, das viele aufgesteckt hatten, weil sie es andere aufstecken sahen, doch ohne nur zu wissen, was sie thaten.

Hoffnung! Hoffnung! riefen einige Stimmen.

Ja; doch die Farbe der Hoffnung ist zugleich die des Grafen d'Artois. Wollt Ihr das Aussehen haben, als traget ihr die Livree eines Prinzen?

Nein, nein, riefen im Chor alle Stimmen und die von Billot über allen.

Nun denn; so wechselt diese Kokarde, und wenn ihr eine Livree tragen wollt, so sei es wenigstens die der Stadt Paris, der Mutter von uns allen – blau und rot. Freunde, blau und rot.Später machte Lafayette die Bemerkung, blau und rot seien auch die Farbe des Hauses Orleans, und fügte die weiße Farbe bei, indem er zu denen, welche sie annahmen, sagte: Ich gebe euch eine Kokarde, welche die Reise um die Welt machen wird

Ja, ja, riefen alle Stimmen, blau und rot.

Bei diesen Worten tritt jeder seine grüne Kokarde mit den Füßen, jeder verlangt Bänder; da öffnen sich wie durch einen Zauber die Fenster, und es regnet rote und blaue Bänder in Strömen.

Die Schürzen, die seidenen Kleider, die Halstücher, die Vorhänge werden zerstückt und in Fetzen zerrissen; ihre Fragmente bilden sich zu Knoten, zu Rosetten, zu Schärpen. Jeder nimmt seinen Teil davon.

Hernach setzte sich das kleine Heer von Billot wieder in Marsch.

Unterwegs rekrutierte es sich: alle Arterien des Faubourg Saint-Antoine schickten ihm, als es vorüber marschierte, zu, was sie heißestes und lebhaftestes an Volksblut hatten.

Man gelangte in ziemlich guter Ordnung zur Höhe der Rue Lesdiguières, wo schon eine Masse von Neugierigen, die von einer glühenden Sonne geschwärzten Türme der Bastille anschauten.

Die Ankunft der Trommler des Volks vom Faubourg Saint-Antoine her, die Ankunft von hundert französischen Garden vom Boulevard, die Ankunft von Billot und seinem Haufen, der nun aus tausend bis zwölfhundert Mann bestehen mochte, veränderten sogleich den Charakter und den Anblick der Menge: die Schüchternen faßten ein Herz, die Ruhigen begeisterten sich, die Übermütigen fingen an zu drohen.

Nieder mit den Kanonen! nieder mit den Kanonen! schrieen zwanzigtausend Stimmen, mit der Faust die schweren Geschütze bedrohend, die ihre ehernen Hälse durch die Schießscharten der Plattformen streckten.

Gerade in diesem Augenblick, und als ob der Gouverneur der Festung den Aufforderungen der Menge gehorchte, traten die Artilleristen zu den Kanonen, und diese wichen zurück, bis sie völlig verschwunden waren.

Die Menge klatschte in die Hände, sie war also eine Macht, da man ihren Drohungen nachgab.

Die Schildwachen gingen jedoch fortwährend auf den Plattformen auf und ab. Ein Invalide kreuzte einen Schweizer.

Nachdem man gerufen hatte: Nieder mit den Kanonen! rief man: Nieder mit den Schweizern! Das war die Fortsetzung des Rufes vom vorhergehenden Tag: Nieder mit den Deutschen!

Doch die Schweizer kreuzten nichtsdestoweniger die Invaliden.

Einer von denjenigen, welche: Nieder mit den Schweizern! riefen, wurde ungeduldig; er hatte eine Flinte in der Hand, legte auf die Schildwache an und feuerte.

Die Kugel schlug an die graue Mauer der Bastille, einen Fuß unter dem Kranze des Turmes, gerade vor der Stelle, wo die Schildwache vorüberging. Der Ort, wo die Kugel eingeschlagen hatte, erschien wie ein weißer Punkt, doch die Schildwache blieb nicht stehen, wandte nicht einmal den Kopf um.

Ein großer Tumult entstand um den Mann, der das Signal zu einem unerhörten, wahnsinnigen Angriff gegeben hatte. Es waltete mehr Schrecken als Wut bei diesem Tumulte ob.

Viele begriffen nicht, daß es nicht ein mit dem Tode zu bestrafendes Verbrechen war, einen Schuß nach der Bastille zu thun.

Billot betrachtete diese schwarzgrünliche Steinmasse, nicht unähnlich jenen fabelhaften Ungeheuern, die das Altertum uns mit Schuppen bedeckt zeigt. Er zählte die Schießscharten, wo die Kanonen jeden Augenblick wieder ihre Plätze einnehmen konnten; er zählte die Wallbüchsen, die ihr finsteres Auge aufthaten, um durch die Öffnungen hinauszuschauen. Und Billot schüttelte, sich der Worte von Flesselles erinnernd, den Kopf.

Wir werden nie dazu gelangen, murmelte er.

Und warum werden wir nie dazu gelangen? sagte eine Stimme hinter ihm.

Und er wandte sich an den Unbekannten und sprach zu ihm:

Ja, Geduld, doch nur noch eine Viertelstunde.

Billot sah einen in Lumpen gekleideten Mann mit grimmiger Miene, der seine Augen wie zwei Sterne funkeln ließ.

Weil es mir unmöglich scheint, eine solche Masse mit Gewalt zu nehmen.

Die Einnahme der Bastille ist keine Kriegsthat, es ist ein Akt des Vertrauens; glaube, und du wirst siegen.

Geduld, sagte Billot, während er seinen Einlaßschein in seiner Tasche suchte, Geduld!

Der Unbekannte täuschte sich in seiner Absicht.

Geduld! erwiderte er. Ja, ich verstehe, du bist fett; du hast das Aussehen eines Pächters.

Ich bin in der That einer.

Dann begreife ich, daß du sagst, Geduld. Du bist immer gut genährt gewesen; doch betrachte ein wenig hinter dir alle diese Gespenster, die uns umgeben; sieh ihre vertrockneten Adern; zähle ihre Knochen und die Löcher ihrer Kleider und frage sie, ob sie das Wort Geduld begreifen.

Das ist einer, der sehr gut spricht; doch er macht mir bange, sagte Pitou.

Mir macht er nicht bange, erwiderte Billot.

Ah! ah! rief der Mann lächelnd; eine Viertelstunde! das ist in der That nicht zu viel! und was wirst du bis in einer Viertelstunde thun?

Ich werde die Bastille besucht haben; ich werde die Stärke der Garnison kennen, ich werde die Absichten des Gouverneurs kennen. Ich werde endlich wissen, wo man hinein kommt.

Ja, wenn du weißt, wo man heraus kommt.

Nun! wenn ich nicht herauskomme, so wird mich ein Mann herausbringen.

Und wer ist dieser Mann?

Gonchon, der Mirabeau des Volks.

Der Unbekannte bebte; seine Augen schleuderten zwei Flammen.

Kennst du ihn? fragte er.

Nein, aber ich werde ihn kennen lernen; denn man hat mir gesagt, die erste Person, an die ich mich auf dem Platze der Bastille wende, werde mich zu ihm führen. Du bist auf dem Platze der Bastille, führe mich zu ihm.

Was willst du von ihm?

Ihm dieses Papier übergeben.

Von wem ist es?

Von Marat, dem Arzte.

Von Marat! du kennst Marat? rief der Mann.

Ich habe ihn soeben im Stadthause verlassen.

Was macht er?

Er ist nach dem Invalidenhause gezogen, um zwanzigtausend Menschen zu bewaffnen.

Dann gieb mir dieses Papier. Ich bin Gonchon.

Billot wich einen Schritt zurück.

Du bist Gonchon? fragte er.

Freunde, sprach der Mann in Lumpen, hier ist einer, der mich nicht kennt und mich fragt, ob ich wirklich Gonchon sei.

Die Menge schlug ein Gelächter auf; allen diesen Menschen dünkte es unmöglich, daß man ihren Lieblingsredner nicht kenne.

Es lebe Gonchon! riefen zwei- bis dreitausend Stimmen.

Hier, sagte Billot, indem er ihm das Papier reichte.

Nachdem Gonchon gelesen, klopfte er Billot auf die Schulter und sprach: Freunde, das ist ein Bruder; Marat empfiehlt ihn mir. Man kann also auf ihn rechnen. Wie heißest du?

Ich heiße Billot.

Und ich, sagte Gonchon, ich heiße Hache, und wir beide werden hoffentlich etwas machen.

Die Menge lächelte bei dem blutigen Wortspiel.

Nun! was werden mir machen? fragten einige Stimmen.

Ei! bei Gott, wir werden die Bastille nehmen, antwortete Gonchon.

Gut, gut! rief Billot, das heiße ich sprechen. Höre, braver Gonchon, über wieviel Leute verfügst du?

Ungefähr über dreißigtausend.

Dreißigtausend, über die du verfügst, zwanzigtausend, die vom Invalidenhause zu uns kommen werden, und zehntausend, die schon hier sind: das ist mehr, als wir brauchen, um zu siegen, oder wir siegen nie.

Ich glaube es.

Wohl denn! sammle deine dreißigtausend Mann; ich gehe zum Gouverneur hinein und fordere ihn auf, sich zu ergeben. Ergiebt er sich, desto besser, wir werden Blut ersparen; ergiebt er sich nicht, so wird das vergossene Blut auf ihn fallen, und in den gegenwärtigen Zeitläuften bringt das für eine ungerechte Sache vergossene Blut Unglück. Fragt das die Deutschen!

Wie lange wirst du beim Gouverneur bleiben?

So lange, als ich kann, bis die Bastille gänzlich eingeschlossen ist; wenn das möglich ist, so wird der Angriff beginnen, sobald ich herauskomme.

Abgemacht.

Du mißtraust mir nicht? fragte Billot Gonchon, indem er ihm die Hand reichte.

Ich? erwiderte Gonchon mit einem verächtlichen Lächeln, indem er die Hand, die ihm der robuste Pächter reichte, mit einer Stärke drückte, die man bei einem so abgezehrten, fleischlosen Körper nicht erwartet hätte. Ich dir mißtrauen? Und warum? Wenn ich will, lasse ich dich auf ein Wort, auf ein Zeichen von mir wie Glas zerstoßen, und wärest du unter dem schützenden Obdach dieser Türme, die morgen nicht mehr existieren werden. Gehe also und rechne auf Gonchon, wie er auf Billot rechnet.

Billot war überzeugt und schritt auf den Eingang der Bastille zu, während der andere unter dem tausendmal wiederholten Rufe: Es lebe Gonchon! es lebe der Mirabeau des Volks! in die Tiefe des Faubourg eilte.

Ich weiß nicht, wie der Mirabeau der Adeligen aussieht, sagte Pitou zum Vater Billot, doch den unseren finde ich sehr häßlich.

 


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