Alexander Dumas
Der Frauenkrieg
Alexander Dumas

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Einundzwanzigstes Kapitel.

Sobald sich das Tor wieder hinter der Vicomtesse geschlossen hatte, zog sich der Kreis der Offiziere enger um Canolles zusammen, und man sah zwei Menschen mit Unglück weissagenden Gesichtern erscheinen, die sich dem Herzog näherten und ihn demütig um seine Befehle fragten.

Der Herzog begnügte sich, ihnen statt jeder Antwort Canolles zu bezeichnen.

Hierauf trat er auf den Gefangenen zu, grüßte ihn mit der ihm eigentümlichen eisigen Höflichkeit und sagte: »Ihr habt Euch ohne Zweifel schon selbst gesagt, daß die Entfernung Eures Unglücksgefährten auf Euch das Schicksal zurückfallen läßt, für das er bestimmt war.«

»Ja,« antwortete Canolles, »ich vermutete es wenigstens; aber dessen bin ich gewiß, daß die Frau Prinzessin meine Person namentlich begnadigt hat. Ihr konntet soeben meinen Begnadigungsbefehl in den Händen der Frau Vicomtesse von Cambes sehen, wie ich ihn gesehen habe.«

»Es ist wahr,« sagte der Herzog; »aber die Frau Prinzessin konnte das, was vorgefallen ist, nicht ahnen.«

»Also nimmt die Frau Prinzessin ihre Unterschrift zurück?« – »Ja.«

»Eine Prinzessin von Geblüt bricht ihr Wort!«

Der Herzog blieb unempfindlich.

Canolles schaute umher und fragte dann: »Ist der Augenblick gekommen?« – »Ja, mein Herr.«

»Ich glaubte, man würde die Rückkehr der Frau Vicomtesse von Cambes abwarten; man hat ihr versprochen, es würde nichts in ihrer Abwesenheit vorgehen. Brechen denn heute alle ihr Wort?«

Und der Gefangene heftete einen vorwurfsvollen Blick nicht auf den Herzog von Larochefoucault, sondern auf Lenet.

»Ach! Herr,« rief dieser mit Tränen in den Augen, »vergebt uns. Die Frau Prinzessin hat Eure Begnadigung auf das entschiedenste verweigert; daß ich sie darum angefleht habe, dessen ist der Herr Herzog Zeuge und Gott auch. Aber es sollten Repressalien für den Tod des armen Richon genommen werden, und sie war von Stein.«

»Ich werde sie also nicht mehr sehen!« stammelte Canolles, den die Erschütterung beinahe erstickte. »Als Ihr mich sie zu küssen aufforderte, war es zum letzten Male?«

Ein Schluchzen, stärker als der Stoizismus, als die Vernunft, als der Stolz, zerriß Lenets Brust; er zog sich zurück und weinte bitterlich.

Canolles ließ seinen durchdringenden Blick auf all den Menschen umhergehen, die ihn umgaben; er traf nur auf gefühllose, rachgierige Augen, die seine Haltung beobachteten.

Einen Augenblick wollte ihn das Gefühl übermannen; er fühlte ein Prickeln in den Augen, als sich ihm der Gedanke, alles zusammenfassend, vor die Seele stellte, daß er statt der verheißenen nahen Wonne dem unentrinnbaren kalten Tode entgegengehen sollte.

Aber sofort besann er sich wieder auf sein besseres Selbst, den ihm angeborenen Mut; sein Gesicht wurde ruhig, als ob jede Erschütterung aus seinem Herzen entflohen wäre; er fuhr mit der Hand durch seine schönen schwarzen Haare, näherte sich mit festen Schritten und einem Lächeln auf den Lippen Herrn von Larochefoucault und Lenet und sagte: »Meine Herren, in dieser Welt, in welcher der Zufall herrscht, muß man sich an alles gewöhnen; es hat mich eine Minute gekostet, mich an den Tod zu gewöhnen; ist dies zu viel, so entschuldigt, daß ich Euch warten ließ.«

Ein tiefes Erstaunen durchlief die Gruppen; der Gefangene selbst fühlte, daß man vom Erstaunen zur Bewunderung überging, und dieses stolze Gefühl erhob ihn und verdoppelte seine Kräfte.

»Wenn Ihr wollt, meine Herren,« sagte er, »so erwarte ich Euch.«

Eine Minute lang von Bewunderung ergriffen, nahm der Herzog sein Phlegma wieder an und machte ein Zeichen. Hierauf öffneten sich die Tore abermals, und der Zug wollte sich in Marsch setzen.

»Einen Augenblick,« rief Lenet, um Zeit zu gewinnen, »einen Augenblick, Herr Herzog! Nicht wahr, wir führen Herrn von Canolles zum Tode?«

Der Herzog machte eine Gebärde des Erstaunens, und Canolles schaute Lenet verwundert an.

»Ja,« sagte der Herzog.

»Nun wohl,« versetzte Lenet, »wenn dem so ist, so kann dieser würdige Edelmann eines Beichtigers nicht entbehren.«

»Verzeiht, verzeiht, mein Herr,« entgegnete Canolles, »ich kann seiner wohl entbehren, und tue es sehr gern.«

»Wieso?« fragte Lenet, indem er dem Gefangenen Zeichen machte, die dieser nicht verstehen wollte.

»Weil ich Hugenott bin,« erwiderte Canolles. »Wenn Ihr mir ein letztes Vergnügen bereiten wollt, so laßt mich sterben, wie ich bin.«

»Nun vorwärts, wenn uns nichts anderes mehr zurückhält,« sagte der Herzog.

»Er soll beichten! er soll beichten!« schrien einige Wütende.

»Still dort!« rief der Herzog, sich nach den Gruppen umwendend. Dann, als die Macht seiner Stimme und seines Blickes das Stillschweigen wirklich wiederhergestellt hatte, sagte er zu Canolles: »Mein Herr, Ihr werdet tun, wie Euch beliebt.«

»Ich danke, gnädigster Herr. Und nun wollen wir aufbrechen und unsere Schritte beschleunigen, wenn es Euch gefällig ist . . .«

Lenet nahm Canolles beim Arm und sagte zu ihm: »Geht im Gegenteil langsam. Wer weiß? Ein Aufschub, eine Überlegung, ein Ereignis liegen im Bereiche der Möglichkeit. Geht langsam, ich beschwöre Euch im Namen deren, die Euch liebt, die so sehr weinen wird, wenn Ihr zu schnell geht . . .«

»Oh! sprecht mir nicht von ihr, ich bitte Euch,« erwiderte Canolles; »mein ganzer Mut scheitert an dem Gedanken, daß ich für immer von ihr getrennt werden soll: aber was sage ich? . . . Nein, im Gegenteil, Herr Lenet, sprecht mir von ihr, wiederholt mir, daß sie mich liebt, daß sie mich stets lieben wird, und besonders, daß sie mich beweinen wird.«

Canolles hob stolz das Haupt empor, und seine schönen Haare rollten bei der Bewegung voll Anmut in schwarzen Locken über seinen Hals herab. Man war in die Straße gelangt; zahlreiche Fackeln erhellten seinen Zug, so daß man sein Gesicht ruhig und lächelnd sehen konnte.

Er hörte einige Frauen weinen und andere sagen: »Armer Baron, so jung und so schön!«

Man setzte den Marsch still fort, dann sagte er plötzlich: »Oh! Herr Lenet, ich möchte sie doch noch einmal sehen!«

»Soll ich sie holen? soll ich sie Euch bringen?« fragte Lenet, der keinen Willen mehr hatte.

»Oh! ja,« murmelte Canolles.

»Wohl, ich laufe; aber Ihr werdet sie töten.«

Rasch die letzte Schwäche überwindend, hielt Canolles Lenet am Arm zurück und sagte: »Nein, nein; Ihr habt ihr versprochen, bei mir zu bleiben; bleibt.«

»Was sagt er?« fragte der Herzog den Kapitän der Garden.

Canolles hörte die Frage und erwiderte: »Herr Herzog, ich sage, ich hatte nicht geglaubt, daß es von dem Gefängnis bis zu der Esplanade so weit wäre.«

»Ach!« sagte Lenet, »beklagt Euch nicht, armer junger Mann, denn wir sind an Ort und Stelle.«

Die Fackeln, welche die Vorhut beleuchteten, die der Eskorte voranging, verschwanden wirklich in diesem Augenblick an der Wendung der Straße.

Gleich darauf befand sich Canolles ebenfalls am Eingange des Platzes; in der Ferne, das heißt am andern Ende des Platzes, sah man die gedrängte Menge und den weiten Kreis, den die glänzenden Musketenläufe bildeten; in der Mitte erhob sich etwas Schwarzes, Ungestaltes, was Canolles in der Finsternis für ein Schafott hielt. Als er aber zum Mittelpunkte des Platzes gelangt war, beleuchteten die Fackeln diesen anfangs unkenntlichen schwarzen Gegenstand und hoben den furchtbaren Umriß eines Galgens hervor.

»Ein Galgen!« rief Canolles still stehend und die Hand nach der Maschine ausstreckend. »Ist es nicht ein Galgen, was ich dort sehe, Herr Herzog?«

»In der Tat, Ihr täuscht Euch nicht,« antwortete dieser mit kaltem Tone.

Die Röte der Entrüstung färbte die Stirn des jungen Mannes, er schob die Soldaten, die an seinen Seiten gingen, zurück, befand sich mit einem Sprunge vor Herrn von Larochefoucault und rief: »Mein Herr, vergeßt Ihr, daß ich Edelmann bin? Alle Welt weiß und dem Henker selbst ist es nicht unbekannt, daß ein Edelmann darauf Anspruch zu machen hat, daß man ihn enthauptet.«

»Mein Herr, es gibt Umstände. Ihr vergeßt, daß es sich hier um Repressalien handelt, man würde Euch hängen, selbst wenn Ihr ein Prinz von Geblüt wäret.«

Mit einer unüberlegten Bewegung suchte Canolles seinen Degen an seiner Seite; als er ihn aber nicht fand, gewann das Gefühl seiner Lage wieder seine ganze Kraft, sein Zorn verschwand, und er begriff, daß sein Übergewicht gerade in seiner Schwäche lag.

»Wehe denen,« sagte er, »die Repressalien gebrauchen, und zweimal wehe denen, die dabei der Menschlichkeit kein Gehör schenken! Ich verlangte nicht Gnade, ich verlangte Gerechtigkeit. Es gibt Menschen, die mich lieben, mein Herr. In das Herz dieser Menschen werdet Ihr für immer, mit der Erinnerung an meinen Tod, das gemeine Bild des Galgens einprägen. Ich bitte Euch um einen Schwertstreich, eine Musketenkugel; gebt mir Euren Dolch, daß ich ihn mir selbst in die Brust stoße, und dann hängt meinen Leichnam, wenn es Euch Vergnügen macht.«

»Richon ist lebendig gehängt worden,« erwiderte kalt der Herzog.

»Es ist gut. Doch hört mich; eines Tags wird Euch ein furchtbares Unglück treffen; eines Tags werdet Ihr Euch erinnern, daß der Himmel dieses Unglück als Strafe über Euch, verhängt; ich meinesteils sterbe mit der Überzeugung, daß mein Tod Euer Werk ist.«

Bebend und bleich, aber voll Mut und Begeisterung, näherte sich Canolles dem Galgen und setzte stolz und mit Verachtung vor dem Volke den Fuß auf die erste Sprosse der Leiter.

»Meine Herren Henker,« sagte er, »tut nun, was Eures Amtes ist.«

»Es ist nur einer,« rief die erstaunte Menge; »der andere! Wo ist der andere? Man hat uns zwei versprochen.«

»Ah! das tröstet mich,« sagte Canolles lächelnd, »dieser vortreffliche Pöbel ist nicht einmal mit dem, was Ihr für ihn tut, zufrieden; hört Ihr es, Herr Herzog?«

»Tod! Tod! Rache für Richon!« brüllten zehntausend Stimmen.

»Wenn ich sie aufhetzte,« dachte Canolles, »sie sind imstande, mich in Stücke zu zerreißen, dann würde ich nicht gehängt. Ihr seid feige,« rief er, »ich erkenne unter Euch Menschen, die bei dem Angriffe auf das Fort Saint-George waren, und die ich habe fliehen sehen. Ihr rächt Euch heute an mir dafür, daß ich Euch geschlagen habe.«

Ein Gebrüll antwortete ihm.

»Ihr seid Feiglinge!« fuhr er fort, »Rebellen, Elende!«

Tausend Messer funkelten, und es fielen Steine vor dem Galgen nieder.

»Vortrefflich,« murmelte Canolles; dann fuhr er mit lauter Stimme fort: »Der König hat Richon hängen lassen, und daran hat er wohl getan; wird er noch viele andere hängen lassen.«

Bei diesen Worten stürzte die Menge wie ein Strom gegen die Esplanade, warf die Wachen nieder, zertrümmerte die Palisaden und drang brüllend auf den Gefangenen ein.

Inzwischen hatte einer von den Henkern, auf ein Zeichen des Herzogs, Canolles unter den Armen emporgehoben, während ihm der andere eine Schlinge um den Hals zog.

Canolles fühlte den Druck des Strickes und verdoppelte seine Schmähungen; wollte er zu rechter Zeit getötet werden, so hatte er keine Minute zu verlieren. In diesem äußersten Momente schaute er umher, aber überall sah er nur flammende Augen und drohende Waffen.

Ein Mensch allein, ein Soldat zu Pferde, zeigte ihm seine Muskete.

»Cauvignac! es ist Cauvignac!« rief Canolles, sich mit beiden Händen, die man nicht gebunden hatte, an die Leiter klammernd.

Cauvignac machte demjenigen, den er nicht hatte retten können, mit seinem Gewehre ein Zeichen und schlug auf ihn an.

Canolles verstand ihn und rief, mit einer Bewegung des Kopfes: »Ja, ja.«

Wie kam Cauvignac hierher?



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