Alexander Dumas
Der Frauenkrieg
Alexander Dumas

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Alexander Dumas

Der Frauenkrieg

Historischer Roman

 


 

I. Band.

Erstes Kapitel.

In einiger Entfernung von Libourne, der heiteren Stadt Südfrankreichs an der Dordogne, lag einst ein hübsches Dorf mit weißen Mauern und roten Dächern, halb verborgen unter Linden und Buchen, das später im Bürgerkrieg vernichtet wurde. Damals aber, zur Zeit unserer Geschichte, das heißt im Monat Mai des Jahres 1650, stand dieses Dorf, das Matifou hieß, noch in voller Blüte, und die Straße von Libourne nach Saint-André ging mitten durch die symmetrisch aneinander gereihten Häuser. Hinter einer von diesen Häuserreihen, etwa hundert Schritte entfernt, schlängelte sich der Fluß, dessen Breite und Stärke hier schon die Nähe des Meeres zu verkündigen anfängt.

Fünfhundert Schritte von dem Dorfe lag ein einzelnes Gebäude, welches das Auge des müden und erfrischungsbedürftigen Reisenden in ganz besonderem Maße erquickt hätte. Denn das goldene Kalb, das, auf rotes Blech gemalt, an einer Eisenstange ächzte, lud zum Weilen ein, und Meister Biscarros sorgte dafür, daß niemand, der dieser Einladung folgte, enttäuscht wurde.

An einem schönen Abende des erwähnten Monats stand er auf der Schwelle des Hauses, weiß gekleidet nach dem Gebrauche der Opferpriester aller Zeiten und aller Länder, und rupfte mit seinen erhabenen Händen Feldhühner und Wachteln, die er so gut zuzubereiten verstand und darum auch in allen Einzelheiten selbst besorgte.

Als das letzte Tageslicht geschwunden war, ließ sich der erste Gesang der Nachtigall in einem nahen Gesträuch vernehmen und bei den ersten Noten, die der Kehle des gefiederten Musikers entstiegen, begann Meister Biscarros ebenfalls zu singen, ohne Zweifel, um die Nachtigall zu begleiten. Infolge dieser musikalischen Nebenbuhlerschaft und der Aufmerksamkeit, die der Wirt seiner Arbeit schenkte, bemerkte er eine Truppe von sechs Reitern nicht, die am Ende des Dorfes Matifou erschien und nach seinem Gasthause vorrückte.

Aber ein Ausruf, der aus einem Fenster des ersten Stockes kam, sowie die schnelle, geräuschvolle Bewegung, mit der dieses Fenster geschlossen wurde, bewirkte, daß der würdige Gastwirt seine Nase in die Höhe reckte. Er sah nun den Reiter, der an der Spitze seiner Truppen auf ihn zukam, dabei aber stets vorsichtig um sich spähte und die Hand nicht von der Muskete ließ.

»Das ist ein vornehmer Herr, der mein Haus sucht,« sagte Biscarros; »der würdige Edelmann scheint aber kurzsichtig zu sein. Mein goldenes Kalb ist doch frisch gemalt, und das Schild springt bedeutend vor. Wir wollen uns ein wenig ins Licht stellen.«

Er pflanzte sich also mitten auf der Straße auf, wo er fortfuhr, das Geflügel mit Gebärden voll Erhabenheit und Majestät zu rupfen.

Diese Bewegung brachte die vom Wirt erwartete Wirkung hervor. Kaum erblickte ihn der Reiter, als er gerade auf ihn zuritt und mit höflicher Begrüßung zu ihm sagte: »Um Vergebung, Meister Biscarros, habt Ihr nicht auf dieser Seite eine Truppe bewaffneter Leute gesehen?«

Biscarros fühlte sich im höchsten Grade geschmeichelt, als er seinen Namen nennen hörte, und grüßte ebenfalls aufs freundlichste. Es war ihm entgangen, daß der Fremde mit einem Blicke, den er auf sein Gasthaus warf, den Namen und die Eigenschaft auf dem Schilde gelesen hatte.

»Was bewaffnete Leute betrifft, mein Herr,« antwortete er nach kurzem Nachdenken, »so habe ich nur einen Edelmann und seinen Reitknecht gesehen. Sie kehrten vor ungefähr einer Stunde bei mir ein.«

»Ah, ah!« sagte der Fremde, das Kinn eines bartlosen und dennoch bereits männlichen Gesichtes streichelnd, »ah, ah! ein Edelmann und sein Reitknecht befinden sich in Eurem Wirtshause, und beide bewaffnet, behauptet Ihr?«

»Mein Gott, ja, mein Herr. Soll ich diesem Edelmann sagen lassen, daß Ihr ihn zu sprechen wünscht?«

»Nein,« versetzte der Fremde. »Einen Unbekannten zu stören, wäre unschicklich, besonders wenn dieser Unbekannte von Stande ist. Nein, nein, Meister Biscarros, habt nur die Güte, ihn mir zu schildern oder vielmehr zu zeigen, ohne daß er mich sieht.«

»Ihn zu zeigen ist schwierig, mein Herr, da er sich selbst zu verbergen scheint; denn er schloß sein Fenster in dem Augenblick, wo Ihr und Eure Gefährten auf der Straße sichtbar wurdet; ihn zu schildern ist viel leichter. Es ist ein kleiner, blonder, zarter junger Mensch, kaum sechzehn Jahre alt und scheint gerade die nötige Kraft zu haben, um den Hofdegen zu tragen, der an seinem Wehrgehänge befestigt ist.«

Die Stirn des Fremden faltete sich unter dem Schatten einer Erinnerung.

»Sehr gut,« sagte er, »ich weiß, was Ihr sagen wollt, ein junger Mensch, blond, von weiblichem Aussehen, auf einem Berber reitend und gefolgt von einem alten Reitknecht, der so steif ist, wie der Piquebube. Die suche ich nicht.«

»Nun, in Erwartung dessen, den der Herr sucht und der hier vorbeikommen muß, weil es nur eine Straße gibt, könnte der Herr bei mir eintreten und mit seinen Gefährten eine Erfrischung einnehmen.«

»Ich danke; ich kann nicht mehr als Euch danken und Euch bitten, mir zu sagen, wieviel Uhr es sein mag.«

»Es schlägt soeben sechs Uhr im Dorfe, mein Herr; hört Ihr den schweren Klang der Glocke?«

»Wohl. Nun noch einen letzten Dienst, Herr Biscarros.«

»Mit Vergnügen.«

»Sagt mir gefälligst, wie ich mir einen Nachen und einen Schiffer verschaffen könnte.«

»Um über den Fluß zu setzen?«

»Nein, um darauf spazieren zu fahren.«

»Nichts leichter. Der Fischer, der mir meine Fische liefert, hat jetzt sein Tagewerk vollbracht und sitzt ohne Zweifel beim Essen. Ihr könnt von hier aus seine Barke an den Weiden, ganz da unten neben der Ulme, angebunden sehen. Sein Haus ist hinter jenem Weidengebüsch verborgen. Ihr findet ihn sicher bei Tische.«

»Ich danke, Meister Biscarros, ich danke,« sagte der Fremde, gab seinen Gefährten ein Zeichen ihm zu folgen, ritt rasch nach den Bäumen zu und klopfte an die bezeichnete Hütte. Die Frau des Fischers öffnete. Der Fischer saß, wie Meister Biscarros gesagt hatte, bei Tische.

»Nimm deine Ruder,« sagte der Reiter, »und folge mir. Es ist ein Taler zu verdienen.«

Der Fischer stand hastig auf.

»Wollt Ihr zum Fort Vayres hinabfahren?« fragte er.

»Nein. Ihr sollt mich nur bis mitten in den Fluß führen und einige Minuten mit mir da bleiben.«

Der Fischer machte große Augen. Da aber ein Taler zu verdienen war und er zwanzig Schritte hinter dem Reiter, der geklopft hatte, die Gesichter seiner Gefährten erblickte, so machte er keine Schwierigkeiten. Er erwiderte also schleunig, er stehe mit seiner Barke und seinen Rudern zu Diensten.

Die kleine Truppe rückte nun zum Flusse vor, und während der Fremde bis an den Rand des Wassers ritt, hielt sie auf der Höhe der Böschung still und stellte sich, ohne Zweifel aus Furcht vor einem Überfall, so auf, daß sie nach allen Seiten sehen konnte.

Der Fremde, ein großer, blonder, bleicher, junger Mann, von gescheitem Gesicht, – wenn auch ein dunkler Kreis seine blauen Augen umgab und ein zynischer Ausdruck seine Lippen umschwebte, – untersuchte sorgfältig seine Pistolen, steckte seine Muskete in das Bandelier, ließ einen langem Raufdegen in der Scheide spielen und heftete seine Blicke aufmerksam auf das entgegengesetzte Ufer.

»Nun,« sagte er dann ungeduldig zu seinen als Wachen aufgestellten Gefährten, »kommt er? Seht Ihr ihn rechts oder links, hinten oder vorn erscheinen?«

»Ich glaube,« erwiderte einer der Männer, »ich sehe eine schwarze Gruppe auf dem Wege von Isou; aber ich bin meiner Sache noch nicht ganz gewiß, denn die Sonne blendet mich. Halt! ja, ja, so ist es. Einer, zwei, drei, vier, fünf Männer; ein goldbordierter Hut und ein blauer Mantel. Es ist der Bote, den wir erwarten; er hat zu größerer Sicherheit ein Geleit mitgenommen.«

»Er hat recht gehabt,« antwortete phlegmatisch der Fremde. »Nimm mein Pferd, Ferguzon.«

Der, an den dieser Befehl in einem halb freundschaftlichen, halb gebietenden Tone gerichtet war, beeilte sich zu gehorchen und stieg an der Böschung hinab. Mittlerweile sprang der Fremde vom Pferde, warf dem andern in dem Augenblick, wo er sich ihm näherte, den Zügel zu und schickte sich an, in den Nachen zu gehen.

»Höre,« sagte Ferguzon und legte ihm seine Hand auf den Arm, »keine unnütze Verwegenheit, Cauvignac; bemerkst du die geringste verdächtige Bewegung seinerseits, so jage ihm eine Kugel durch den Kopf. Du siehst, der listige Gevatter führt eine ganze Truppe mit sich.«

»Ja, sie ist aber weniger stark als die unsrige. Außer der Überlegenheit des Mutes haben wir noch die der Anzahl, und es ist somit nichts zu befürchten. Ah! man sieht bereits ihre Köpfe.«

»Wie werden sie es machen?« sagte Ferguzon, »sie können sich keinen Nachen verschaffen. Doch wohl, dort findet sich einer wie durch ein Zauberwerk.«

»Er gehört meinem Vetter, dem Fährmanne von Ison, dem Dorfe dort drüben,« sagte der Fischer.

»Gut, der Blaumantel schifft sich ein,« sagte Ferguzon; »wahrhaftig allein, streng nach den Bedingungen des Vertrags.«

»Wir wollen ihn nicht warten lassen,« versetzte der Fremde, sprang ebenfalls in das Fahrzeug und machte dem Fischer ein Zeichen, sich an seinen Posten zu begeben.

»Wohl aufgepaßt, Roland!« rief Ferguzon, »der Fluß ist breit. Nähere dich nicht zu sehr dem entgegengesetzten Ufer, denn du könntest eine Ladung von ihren Musketen bekommen, die wir nicht zurückzugeben vermöchten. Halte dich möglichst weit diesseits.«

Der andere, den Ferguzon bald Roland, bald Cauvignac genannt hatte, machte ein Zeichen mit dem Kopf.

»Fürchte nichts,« sagte er. »Wird hier eine Unklugheit begangen, so geschieht es nicht von meiner Seite. Vorwärts!«

Der Fischer band sein Seil los, stieß seinen langen Bootshaken in die Erde, und die Barke fing an, sich vom Ufer zu entfernen; zu gleicher Zeit ging die Schaluppe des Fährmanns von Ison vom entgegengesetzten Ufer ab.

In der Mitte des Flusses war eine kleine Verpfählung, die sich drei Fuß über das Wasser erhob, und darüber wehte eine weiße Fahne, welche die langen Transportschiffe, die auf der Dordogne herankamen, vor einer gefährlichen Felsbank warnte.

Die Ruderer sagten sich, hier könne die Zusammenkunft der Parlamentäre stattfinden, und lenkten ihre Fahrzeuge deshalb in dieser Richtung. Der Fährmann von Ison kam zuerst an Ort und Stelle und band auf Befehl seines Passagiers sein Schiff an einen der Verpfählungsringe.

In diesem Augenblick wandte sich der andere Fischer seinem Reisenden zu, um dessen Befehle einzuholen; er war aber nicht wenig erstaunt, als er in seiner Barke einen verlarvten und in seinen Mantel eingewickelten Menschen fand.

Die Angst, die ihn nie verlassen hatte, verdoppelte sich jetzt und er fragte nur stammelnd die fremde Person um ihre Befehle.

»Binde deinen Kahn an dieses Holz,« sagte Cauvignac, die Hand nach einem der Pfähle ausstreckend, »so nahe als möglich dem Schiffe jenes Herrn.«

Der Ruderer gehorchte, und durch die Strömung Bord an Bord gelegt, erlaubten die Barken den zwei Bevollmächtigten, folgende Unterredung zu eröffnen.


Zweites Kapitel.

»Wie? Ihr seid verlarvt, mein Herr?« fragte zugleich erstaunt und trotzig der mit dem Fährmann von Ison Angekommene, ein dicker Mann von ungefähr fünf- bis achtundfünfzig Jahren, mit finsterem, starrem Raubvogelauge und grauwerdendem Schnurr- und Kinnbart. Er hatte zwar keine Maske vorgenommen, aber wenigstens seine Haare und sein Gesicht so gut als möglich unter einem betreßten Hute und seine Kleider und seinen Körper unter einem langen blauen Mantel verborgen.

Die Person näher betrachtend, die ihn angeredet hatte, konnte sich Cauvignac nicht enthalten, sein Erstaunen durch eine unwillkürliche Bewegung zu verraten.

»Nun, mein Herr?« fragte der alte Edelmann, »was habt Ihr?«

»Nichts, mein Herr; ich hätte beinahe das Gleichgewicht verloren. Aber ich glaube, Ihr erwieset mir die Ehre, das Wort an mich zu richten; was sagtet Ihr?« – »Ich fragte, warum Ihr verlarvt seid?«

»Die Frage ist freimütig, und ich beantworte sie mit derselben Freimütigkeit: ich habe mich verlarvt, um mein Gesicht zu verbergen.«

»Ich kenne es also?« – »Ich glaube nicht; aber hättet Ihr es einmal gesehen, so könntet Ihr es später wiedererkennen? was wenigstens meiner Meinung nach ganz unnütz ist.«

»Ihr seid offen.«

»Ja, wenn mir meine Offenheit keinen Schaden bringen kann.«

»Und diese Offenherzigkeit, geht so weit, daß Ihr die Geheimnisse anderer enthüllt?« – »Ja, wenn mir diese Enthüllung etwas einbringen kann.«

»Ihr treibt da ein sonderbares Geschäft.«

»Zum Teufel, man tut, was man kann. Ich bin nach und nach Advokat, Arzt, Soldat und Parteigänger gewesen. Ihr seht, daß es mir nicht an Gewerben fehlt.«

»Und was seid Ihr gegenwärtig?« – »Ich bin Euer Diener,« sagte der junge Mann und verbeugte sich mit geheuchelter Ehrfurcht.

»Habt Ihr den fraglichen Brief?« – »Habt Ihr das verlangte Blankett?« – »Hier ist es.«

»Wollen wir austauschen?«

»Noch einen Augenblick; Eure Rede gefällt mir, und ich wünschte dieses Vergnügen nicht so bald zu verlieren.«

»Meine Rede gehört, wie ich selbst, ganz Euch; sprechen wir also, wenn es Euch angenehm ist.«

»Wollt Ihr, daß ich in Euern Nachen hinüberkomme, oder zieht Ihr es vor, in den meinigen zu steigen, damit wir in dem frei werdenden Schiff unsere Ruderer entfernt halten können?«

»Unnötig, mein Herr, Ihr sprecht ohne Zweifel eine fremde Sprache?« – »Ich spreche Spanisch.«

»Ich auch, unterhalten wir uns also in dieser Sprache, wenn es Euch beliebt.«

»Vortrefflich! Welcher Grund bewog Euch, dem Herzog von Epernon die Untreue der fraglichen Dame zu enthüllen?« »Ich wollte diesem würdigen Herrn einen Dienst leisten und mich bei ihm in Gunst setzen.«

»Ihr grollt also Fräulein von Lartigues?« – »Ich? ganz im Gegenteil, ich habe sogar, ich muß es gestehen, einige Verbindlichkeiten gegen sie, und es würde mir sehr leid tun, wenn ihr ein Unglück widerführe.«

»Der Baron von Canolles ist also Euer Feind?« – »Ich habe ihn nie gesehen, ich kenne ihn nur dem Rufe nach, und es ist nicht zu leugnen, er gilt allgemein für einen galanten Kavalier und tapferen Edelmann.«

»Es ist also kein Haß, der Euch zu Eurer Handlungsweise antreibt?« – »Pfui doch! wenn ich einen Haß gegen den Baron von Canolles hätte, so würde ich ihn auf einen Gang Pistolen oder Degen bitten, und er ist zu sehr ein Ehrenmann, um je eine Partie dieser Art auszuschlagen.«

»Ich muß mich also an das halten, was Ihr mir gesagt habt?« – »Das wird, glaube ich, das beste sein.«

»Wohl, Ihr habt also den Brief, der die Untreue des Fräuleins von Lartigues beweist?« – »Hier ist er! Es ist das zweitemal, daß ich ihn Euch zeige.«

Der alte Edelmann warf von fern einen traurigen Blick auf das feine Papier, durch das die Buchstaben schienen.

Der junge Mann entfaltete langsam den Brief.

»Ihr erkennt wohl die Handschrift, nicht wahr?« – »Ja.«

»Dann gebt mir das Blankett, und Ihr bekommt den Brief.«

»Sogleich! Erlaubt Ihr noch eine Frage?« – »Sprecht!« – »Wie habt Ihr Euch dieses Billett verschafft?« – »Das will ich Euch wohl sagen. Es ist Euch nicht unbekannt, daß dem Herzog von Epernon seine etwas verschwenderische Regierung in Guienne große Verlegenheiten zugezogen hat?« – »Weiter.«

»Es ist Euch nicht unbekannt, daß Herrn von Mazarin seine furchtbar geizige Regierung in der Hauptstadt große Verlegenheiten zugezogen hat?« – »Was haben Herr von Mazarin und Herr von Epernon bei dieser Sache zu tun?«

»Wartet: Herr von Mazarin führt in diesem Augenblick Krieg für die Königin. Außerdem führen aber noch acht andere Parteien für andere Interessen den Krieg. So kam mir der Gedanke, keine Partei zu wählen, sondern der zu folgen, zu der ich mich im Augenblick hingezogen fühle. Alles ist daher bei mir eine Sache des Augenblicks. Was sagt Ihr zu diesem Gedanken?« – »Er ist sehr geistreich.«

»Ich sammelte demzufolge eine Armee; Ihr seht sie am Ufer der Dordogne aufgestellt.«

»Fünf Mann, beim Teufel!«

»Es ist einer mehr, als Ihr selbst habt, es wäre also sehr unrecht von Euch, sie zu verachten.«

»Äußerst schlecht gekleidet,« fuhr der alte Edelmann fort, der sehr übler Laune und folglich zur Geringschätzung geneigt war. »Kommen wir aber auf Euch zurück,« murrte er, »ich habe nichts mit Euren Leuten zu tun.«

»Nun wohl, indes wir Krieg auf meine Rechnung führten, begegneten wir dem Einnehmer des Bezirkes, der, den Beutel Seiner Majestät füllend, von Dorf zu Dorf ging. Solange nur noch eine einzige Steuer einzuziehen übrig blieb, gaben wir ihm ein treues Geleite, und als ich seinen Sack so dick werden sah, hatte ich redlich gestanden große Lust, mich zur Partei des Königs zu schlagen. Aber die Ereignisse verwickeln sich teufelmäßig; eine Regung übler Laune gegen Herrn von Mazarin, die Klagen, die wir von allen Seiten gegen den Herzog von Epernon hörten, machten, daß wir in uns gingen. Wir dachten, es spreche viel, sehr viel für die Prinzen, und wahrhaftig, wir ergriffen ihre Partei mit allem Eifer. Der Einnehmer schloß seine Runde mit dem vereinzelten Häuschen, das Ihr da unten halb unter Pappeln und Adamsfeigenbäumen verborgen seht.«

»Es ist Nanons!« murmelte der Edelmann, »ja, ich sehe es!«

»Wir lauerten auf ihn, als er herauskam, wir folgten ihm, wie wir es seit fünf Tagen taten, wir setzten etwas unterhalb Saint-Michel mit ihm über die Dordogne, und als wir mitten im Flusse waren, teilte ich ihm unsere politische Bekehrung mit und ersuchte ihn mit aller Höflichkeit, uns das Geld zuzustellen, das er bei sich hatte. Könnt Ihr wohl glauben, mein Herr, daß er sich weigerte? Meine Gefährten durchwühlten nun seine Taschen, und da er so schrie, daß ein Skandal daraus hätte entstehen können, so hielt ihn mein Leutnant, ein talentvoller Junge, einen Fuß unter dem Wasser, nicht weiter. Der Einnehmer schrie nicht mehr, oder besser gesagt, man hörte ihn wenigstens nicht mehr schreien. Wir konnten uns also im Namen des Prinzen alles Geldes bemächtigen, das er bei sich führte, und ebenso auch der Korrespondenz, die man ihm übergeben hatte. Ich gab das Geld meinen Soldaten, die, wie Ihr sehr richtig bemerktet, dessen bedurften, um sich neu zu equipieren, und behielt die Papiere, darunter auch dieses hier. Es scheint, der gute Einnehmer diente Fräulein von Lartigues als galanter Merkur.«

»In der Tat,« murmelte der alte Edelmann, »er war, wenn ich mich nicht täusche, eine Kreatur Nanons. Und was ist aus diesem Elenden geworden?«

»Ah, Ihr sollt sehen, ob wir wohlgetan haben, diesen Elenden, wie Ihr ihn nennt, in das Wasser zu tauchen; sonst hätte er sicherlich die ganze Erde in Aufruhr gebracht; denn denkt Euch, als wir ihn aus dem Flusse zogen, war er, obgleich er kaum eine Viertelstunde darin verweilt hatte, vor Wut gestorben.«

»Ja, aber dann ist ja Herr von Canolles nicht in Kenntnis gesetzt und wird daher nicht zu dem Stelldichein kommen?«

»Oh! nur Geduld, ich führe den Krieg gegen die Mächte und nicht gegen Privatleute. Herr von Canolles hat ein Duplikat von dem Briefe bekommen, der ihn einlud. Nur glaubte ich, die eigene Handschrift habe einigen Wert, und behielt sie.«

»Was wird er denken, wenn er die Handschrift nicht erkennt?«

»Die Person, die ihn zu sehen wünscht, habe sich aus größerer Vorsicht der Hilfe einer fremden Hand bedient.«

Der Fremde betrachtete Cauvignac mit einer gewissen Bewunderung, die er dieser mit Geistesgegenwart gepaarten Unverschämtheit zollte.

Er wollte sehen, ob es kein Mittel gäbe, den Verwegenen einzuschüchtern.

»Aber die Regierung, aber die Nachforschungen,« sagte er, »denkt Ihr nicht zuweilen daran?«

»Die Nachforschungen?« versetzte der junge Mann lachend, »ah, ja wohl! Herr von Epernon hat ganz anderes zu tun, als Nachforschungen anzustellen; und dann habe ich Euch ja gesagt, daß das, was ich tat, geschehen sei, um mich bei ihm in Gunst zu setzen. Er wäre also sehr undankbar, wenn er mir diese nicht bewilligte.«

»Ich verstehe nicht ganz,« erwiderte der alte Edelmann ironisch. »Euch, der nach eigenem Geständnisse die Partei des Prinzen ergriffen hat, ist der seltsame Gedanke gekommen, Herrn von Epernon einen Dienst zu leisten?«

»Das ist die einfachste Sache von der Welt; die Einsicht der Papiere, die ich bei dem Einnehmer vorfand, hat mich von der Reinheit der Absichten des Königs oder vielmehr seines Ministers, Herrn von Mazarin, und seines Statthalters, des Herzogs von Epernon, überzeugt. Hier ist also die gute Sache, und deshalb habe ich für die gute Sache Partei ergriffen.«

»Das ist ein Räuber, den ich hängen lassen werde, wenn er je in meine Hände fällt,« brummte der alte Edelmann und zog dabei an den krausen Haaren seines Schnurrbarts.

»Was werdet Ihr mit dem Blankett machen, das Ihr von mir fordert?« fuhr er laut fort.

»Der Teufel soll mich holen, wenn ich einen Entschluß hierüber gefaßt habe. Ich forderte ein Blankett, weil es das Bequemste, das Tragbarste, das Elastischste von der Welt ist. Wahrscheinlich werde ich es für irgendeinen außerordentlichen Umstand aufbewahren; Möglicherweise verschleudere ich es auch in der nächsten besten Laune, die mir in den Kopf kommt; vielleicht lege ich es Euch schon vor Ende dieser Woche vor; vielleicht gelangt es auch erst in drei bis vier Monaten mit einem Dutzend von Indossenten wie ein umgehender Wechsel zu Euch. Aber seid unbesorgt, jedenfalls werde ich es nicht zu etwas mißbrauchen, worüber wir, Ihr und ich, zu erröten hätten, so etwas kann man als Edelmann nicht tun.«

»Ihr seid Edelmann?« – »Ja, mein Herr, und zwar einer von den besten.«

»Dann lasse ich ihn rädern,« murmelte der Unbekannte; »das soll ihm sein Blankett einbringen.«

»Seid Ihr entschlossen, mir das Blankett zu geben?« – »Ich muß wohl.«

»Ich nötige Euch nicht, wohlverstanden. Es ist ein Tausch, den ich Euch vorschlage. Behaltet Euer Papier, und ich behalte das meinige.«

»Den Brief!« – »Das Blankett!«

Und er streckte mit einer Hand den Brief aus, während er mit der andern eine Pistole spannte.

»Laßt Eure Pistole in Ruhe,« sagte der Fremde und öffnete seinen Mantel, »denn ich habe auch Pistolen, und zwar ebenfalls gespannte.«

»Hier ist Euer Brief.«

Der Austausch der Papiere wurde nun vorgenommen, und jede der beiden Parteien prüfte stillschweigend, mit Muße und Aufmerksamkeit, was man ihr zugestellt habe.

Da beide nach dem entgegengesetzten Ufer als das, von dem sie gekommen waren, zu gelangen wünschten, machte der Fremde dem Fährmann ein Zeichen, seine Barke loszubinden und ihn auf das andere Ufer in der Richtung eines Gebüsches zu führen, das sich bis an die Straße ausdehnte.

Der junge Mann erwartete vielleicht irgendeinen Verrat und erhob sich halb, um ihm mit den Augen zu folgen, die Hand stets an seine Pistole gelegt und bereit, bei der geringsten verdächtigen Bewegung Feuer auf den Fremden zu geben. Aber dieser ließ sich nicht einmal herbei, das Mißtrauen, dessen Gegenstand er war, zu bemerken, sondern kehrte dem jungen Manne den Rücken zu, begann den Brief zu lesen und war bald gänzlich in die Lektüre versunken.

»Erinnert Euch wohl des Augenblicks,« rief Cauvignac, »es ist heute abend um acht Uhr.«

Der Fremde antwortete nicht und schien nicht einmal gehört zu haben.

»Ah,« sagte Cauvignac leise und mit sich selbst sprechend, während er beständig den Kolben seiner Pistole streichelte, »bedenkt man, daß ich jetzt die Erbfolge des Gouverneurs von Guienne eröffnen und dem Bürgerkrieg Einhalt tun könnte! Aber ist der Herzog von Epernon tot, wozu soll mir dann sein Blankett nützen, und ist der Bürgerkrieg geendigt, wovon soll ich leben? In der Tat, es gibt Augenblicke, wo ich glaube, daß ich ein Narr werde! Es lebe der Herzog von Epernon! Es lebe der Bürgerkrieg! Vorwärts, Schiffer, an deine Ruder, wir wollen rasch nach dem rechten Ufer steuern und diesen würdigen Herrn nicht lange auf seine Eskorte warten lassen.«


Drittes Kapitel.

Eine halbe Stunde nach der soeben von uns erzählten Szene öffnete sich dasselbe Fenster, das so rasch geschlossen worden war, vorsichtig wieder, und auf das Gesims dieses Fensters lehnte sich, nachdem er zuvor aufmerksam rechts und links geschaut hatte, mit dem Ellenbogen ein junger Mensch von sechzehn bis achtzehn Jahren in schwarzer Kleidung und mit bauschigen Manschetten. Ein feines, gesticktes Batisthemd trat stolz aus seinem Leibrocke hervor und fiel wellenförmig auf seine mit Bändern überladenen Beinkleider. Seine kleine, zierliche, fleischige Hand zerknitterte ungeduldig damlederne, auf den Nähten gestickte Handschuhe. Ein perlgrauer Filzhut, der sich an seinem Ende unter der Krümmung einer herrlichen blauen Feder bog, beschattete seine langen goldschimmernden Haare, die ein ovales Gesicht mit weißer Hautfarbe, rosigen Lippen und schwarzen Brauen umgaben. Aber dieses anmutige Ganze, das aus dem jungen Manne einen der reizendsten Kavaliere machen mußte, war für den Augenblick durch einen Ausdruck übler Laune verdüstert, die ohne Zweifel von vergeblichem Warten herrührte, denn der junge Mann befragte mit seinen weit geöffneten Augen die in der Ferne bereits in den Abendnebel getauchte Landstraße.

In seiner Ungeduld schlug er seine linke Hand mit den Handschuhen. Bei dem Lärm schaute der Wirt, der seine Feldhühner vollends gerupft hatte, empor, nahm seine Mütze ab und fragte: »Um welche Stunde werdet Ihr zu Nacht speisen, gnädiger Herr? Man erwartet nur Eure Befehle, um aufzutragen.«

»Ihr wißt wohl, daß ich nicht allein zu Nacht speise und daß ich einen Gefährten erwarte,« versetzte der Gefragte. »Wenn Ihr ihn kommen seht, könnt Ihr Euer Mahl auftragen lassen.«

Mit diesen Worten zog sich der Jüngling in sein Zimmer zurück, ließ einen Augenblick seine Stiefel auf dem Boden klingen, ging aber bei dem entfernten Geräusche von Pferdetritten, das er gehört zu haben glaubte, abermals an das Fenster.

»Endlich,« rief er, »endlich ist er da, Gott sei gelobt!«

Er sah wirklich jenseits des Gebüsches, wo die Nachtigall sang, den Kopf eines Reiters erscheinen. Zu seinem Erstaunen aber erwartete er vergebens, der Reiter würde dem Wege folgen. Der Ankömmling zog sich nach rechts, drang ins Gehölz, oder vielmehr sein Hut versank darin, ein sicherer Beweis, daß er abgestiegen war. Einen Augenblick nachher gewahrte der Beobachter durch die vorsichtig auf die Seite geschobenen Zweige eine graue Kasake und den Blitz eines der letzten Strahlen der untergehenden Sonne, der sich auf dem Lauf einer Muskete spiegelte.

Der junge Mann blieb in Gedanken versunken an seinem Fenster. Der in dem Gehölz verborgene Reiter war offenbar nicht der Gefährte, den er erwartete, und der Ausdruck von Ungeduld, der sein Gesicht zusammenzog, machte einem Ausdruck der Neugierde Platz.

Bald zeigte sich ein zweiter Hut an der Biegung der Straße; sofort zog sich der junge Mann so weit zurück, daß er nicht mehr gesehen werden konnte.

Dieselbe graue Kasake, dasselbe Manöver des Pferdes, dieselbe glänzende Muskete. Der zweite richtete an den, der zuerst gekommen war, einige Worte, die unser Beobachter der Entfernung wegen nicht hören konnte, und, zweifellos von seinem Gefährten unterrichtet, drang er in die mit dem Gehölz parallel liegende Baumgruppe, stieg ebenfalls vom Pferd, kauerte sich hinter einen Felsen und wartete.

Von seinem erhöhten Standpunkt aus sah der junge Mann den Hut über dem Felsen; neben dem Hut funkelte ein leuchtender Punkt, das Ende des Musketenlaufes.

»Oh, oh!« fragte sich der Beobachter, »ist es auf mich oder auf die tausend Louisdor, die ich bei mir trage, abgesehen? Aber nein, wenn Richon kommt und ich mich noch heute auf den Weg begebe, so gehe ich nach Libourne und nicht nach Saint-André. Folglich komme ich nicht an dem Orte vorüber, wo diese Burschen sich verborgen halten. Wenn nur mein alter Pompée da wäre, ich könnte ihn um Rat fragen. Aber wenn ich mich nicht täusche, ja, wahrhaftig, hier erscheinen noch zwei Männer, sie stoßen zu den andern. Ei, ei, das sieht ganz aus wie ein Hinterhalt.«

Der junge Mann trat einen Schritt zurück.

In diesem Augenblick erschienen wirklich zwei Menschen auf dem Wege. Aber diesmal hatte nur einer von ihnen die graue Kasake an. Der andere ritt einen mächtigen Rappen, war in einen großen Mantel gehüllt, trug einen verbrämten Filzhut mit weißer Feder, und man sah unter dem Mantel, den der Abendwind emporhob, eine reiche Stickerei glänzen, die sich über einen orangefarbenen Leibrock hinschlängelte.

Soeben verschwand die Sonne, und ihre letzten Strahlen ließen die Fensterscheiben eines hübschen Hauses erglänzen, das etwa hundert Schritte vom Flusse und zwischen den Zweigen einer dichten Baumgruppe verborgen, von dem jungen Menschen sonst nicht bemerkt worden wäre. So beobachtete er, daß die Blicke der Spione sich abwechselnd dem Eingange des Dorfes und dem kleinen Hause mit den funkelnden Fensterscheiben zuwandten. Weiter sah er, daß die grauen Kasaken die größte Achtung vor der weißen Feder zu haben schienen, mit der sie nur mit entblößtem Haupte sprachen, und endlich, daß eine Frau, als eines der erleuchteten Fenster sich öffnete, auf dem Balkon erschien, sich einen Augenblick vorbeugte, als ob sie ebenfalls jemand erwartete, und sich dann, ohne Zweifel aus Furcht, gesehen zu werden, wieder zurückzog.

Es war nicht schwer zu erkennen, daß die Bewaffneten das kleine Haus bewachten, und es war wahrscheinlich, daß sie und die Frau dieselbe Person, aber in ganz verschiedener Absicht, erwarteten.

In dem Augenblick, wo der junge Mann in seinem Innern diese Reihenfolge von Schlüssen vollendete, wurde die Tür seines Zimmers geöffnet, und Meister Biscarros trat ein.

»Mein lieber Wirt,« sagte der junge Mann, ohne dem Wirt Zeit zu lassen, das Wort zu ergreifen: »Wer bewohnt jenes kleine Haus dort?«

»Eine junge Dame, die sich für eine Witwe ausgibt und die der Schatten ihres ersten und vielleicht auch ihres zweiten Gatten von Zeit zu Zeit besucht. Nur ist zu bemerken, daß sich diese beiden Schatten ohne Zweifel verständigen, denn sie kommen nie zu gleicher Zeit.«

»Und seit wann,« fragte lächelnd der junge Mann, »bewohnt die schöne Witwe das vereinzelte, wie es scheint, so bequeme Haus?«

»Seit ungefähr zwei Monaten. Sie lebt jedoch sehr zurückgezogen, und ich glaube, es kann sich niemand rühmen, sie seit diesen zwei Monaten gesehen zu haben; denn sie geht äußerst selten aus, und wenn sie ausgeht, nur verschleiert. Ein reizendes Zöfchen kommt jeden Morgen zu mir und bestellt die Speisen für den Tag. Man bringt sie zu ihr, sie empfängt die Platten im Hausflur, bezahlt die Rechnung ohne zu knausern und schließt die Tür unmittelbar vor der Nase des Kellners. Diesen Abend zum Beispiel findet dort ein Mahl statt, und für sie bereitete ich die Wachteln und Feldhühner, die Ihr mich rupfen saht.«

»Und wen bewirtet sie?« – »Ohne Zweifel einen von den zwei Schatten, von denen ich vorhin sprach.«

»Habt Ihr diese Schatten gesehen?«

»Der eine ist der eines Mannes von sechzig bis fünfundsechzig Jahren, und dieser sieht mir aus, als wäre er der des ersten Gatten, denn er kommt wie einer, der des Vorzugs seiner Rechte sicher ist. Der andere ist der eines jungen Mannes, von sechs- bis achtundzwanzig Jahren. Dieser ist, muß ich gestehen, etwas schüchterner und hat ganz das Aussehen einer gefolterten Seele. Ich wollte auch wetten, es ist der des zweiten Gatten.«

»Um welche Zeit sollt Ihr dem Befehle gemäß das Abendessen heute liefern?« – »Um acht Uhr.«

»Es ist halb acht,« sagte der junge Mann, eine sehr schöne Uhr, die er bereits wiederholt befragt hatte, aus seiner Tasche ziehend. »Ihr habt also keine Zeit zu verlieren.«

Nachdem noch der Jüngling den Wirt wegen seiner eigenen Mahlzeit, die ihm wenig am Herzen liege, beruhigt hatte, entfernte sich Biscarros.

»Ah, nun begreife ich alles,« sagte der junge Mann zu sich selbst und nahm neugierig wieder seinen Posten am Fenster ein. »Die junge Dame erwartete irgend einen, der von Libourne kommen muß, und die Männer im Gehölz wollen mit ihn anbinden, ehe er Zeit gehabt hat, an die Tür zu klopfen.«

In derselben Minute und wie um die Worte des scharfsichtigen Beobachters zu rechtfertigen, ließ sich der Tritt eines Pferdes auf der Linken vernehmen. Rasch wie der Blitz prüfte das Auge des jungen Mannes das Gehölz, und er glaubte trotz der Dunkelheit aus der heftigen Bewegung der Zweige die Aufregung der dort Harrenden zu erkennen und den harten Klang vom Spannen einer Muskete zu vernehmen. Da wandte er sich rasch nach der Seite von Libourne und sah einen jungen Menschen mit heiterer Siegermiene, den Arm in der Hüfte, herantraben, dessen kurzer, mit weißem Atlas gefütterter Mantel anmutig die rechte Schulter freiließ. Vorn erschien dieses Gesicht voll Eleganz, voll weicher Poesie und freudigen Stolzes; in der Nähe zeigte es feine Linien, einen belebten Teint, glühende Augen, einen durch die Gewohnheit des Lächelns halb geöffneten Mund, einen zarten schwarzen Schnurrbart und kleine weiße Zähne. Ein triumphierendes Schwingen der Reitpeitsche, ein kurzes Pfeifen, wie es damals modern war, ließ in dem Ankömmling einen vollendeten Kavalier nach den am französischen Hofe bestehenden Ritterschaftsgesetzen erkennen.

Fünfzig Schritte hinter ihm kam ein anmaßender und aufgeblasener Lakai, der einen nicht minder ausgezeichneten Rang unter den Bedienten, wie sein Herr unter den Edelleuten einzunehmen schien.

Der schöne Jüngling konnte sich beim Gedanken an die vorstehende Gewalttat eines Bebens nicht erwehren und rief, einer raschen Aufwallung nachgebend, dem schönen Reisenden zu: »Hollah! mein Herr, haltet an, bitte, denn ich habe Euch etwas Wichtiges mitzuteilen.«

Bei dieser Stimme und bei diesen Worten hob der Reiter den Kopf empor und hielt, als er den jungen Mann am Fenster sah, sein Pferd mit einer Handbewegung an, die dem besten Stallmeister Ehre gemacht hätte.

»Haltet Euer Pferd nicht an, mein Herr,« fuhr der junge Mann fort, »nähert Euch mir im Gegenteil, als ob es ohne besondere Absicht geschähe und wie wenn Ihr mich kenntet.«

Der Reisende zögerte einen Augenblick; als er aber an der Miene dessen, der zu ihm sprach, wahrnahm, daß er es mit einem jungen Edelmann von guter Haltung und schönem Antlitz zu tun hatte, nahm er den Hut in die Hand und ritt lächelnd vor.

»Hier bin ich zu Euern Diensten, mein Herr,« sagte er, »was steht zu Befehl?«

Mit wenigen Worten teilte der Jüngling dem Kavalier seine Mitteilungen mit, und dieser wußte auch sofort, wer der Anführer im Gehölz war, der mit seinen Stock- und Musketenträgern seiner harrte. Er forderte seinen jungen Warner auf, ihm mit dem Degen in der Hand, gegen seine Widersacher zu Hilfe zu kommen, und ließ sich, nachdem jener die Einladung fast mit Schrecken zurückgewiesen hatte, nur durch den Hinweis, daß es sich um die Ehre einer Frau handle, abhalten, allein den Strauß zu wagen.

»Ihr habt recht,« sagte hierauf der Reiter, »obgleich es sich bei diesem Verhältnis nicht gerade um die Ehre, sondern um das Glück handelt. Castorin, mein Freund,« fuhr er, sich an seinen Lakaien wendend, fort, »wir gehen für den Augenblick nicht weiter.«

»Wie!« rief Castorin, in seinen Hoffnungen ebensosehr getäuscht, wie sein Gebieter, »was sagte der gnädige Herr?«

»Ich sage, Mademoiselle Francinette wird diesen Abend des Glücks dich zu sehen beraubt sein, weil wir die Nacht im Gasthof zum Goldenen Kalb zubringen. Gehe also hinein, bestelle ein Abendessen und laß mir ein Bett bereiten.«

Sodann stieg der Reiter ab, warf seinem Lakaien die Zügel zu und war mit zwei Sprüngen vor dem Zimmer des jungen Edelmannes, der, als er plötzlich seine Tür aufgehen sah, sich einer Mischung von Verwunderung und Furcht nicht erwehren konnte, die jedoch der Ankömmling wegen der Dunkelheit nicht wahrnahm.

»Also,« sagte der Reisende, sich heiter dem jungen Manne nähernd und herzlich seine Hand schüttelnd, die man ihm möglichst schnell entzog, »also es ist abgemacht, ich verdanke Euch das Leben.«

»Ah, Herr, Ihr übertreibt den Dienst, den ich Euch geleistet habe,« entgegnete der Jüngling und machte einen Schritt rückwärts.

»Nein, keine Bescheidenheit, es ist, wie ich Euch sage. Ich kenne den Herzog von Epernon, er ist ein verdammt roher Geselle. Ihr aber seid ein Muster von Scharfsichtigkeit, ein Ausbund christlicher Menschenliebe. Doch sagt mir, da Ihr so liebenswürdig und so mitleidig seid, habt Ihr Eure Güte so weit getrieben, auch Kunde bis in das Haus gelangen zu lassen?«

»In welches Haus?« – »In das Haus, wohin ich mich begeben wollte, wo man mich erwartet.«

»Nein,« sagte der junge Mann, »ich gestehe, ich dachte nicht daran, und hätte ich auch daran gedacht, so hätten mir doch keine Mittel zu Gebot gestanden. Ich bin selbst erst seit zwei Stunden hier und kenne niemand in jenem Hause.«

»Ah, Teufel!« rief der Reisende mit einer Regung von Unruhe. »Arme Nanon, wenn ihr nur nichts geschieht!«

»Nanon! Nanon von Lartigues!« rief der junge Mann erstaunt.

»Ah! Wißt Ihr denn alles?« sagte der Reisende. »Sehet zu, daß Euch nicht das Parlament wegen Zauberei verbrennt.«

»Diesmal werdet Ihr zugestehen,« versetzte der junge Mann, »daß nicht viel Witz dazu gehörte, um Euch auf die Fährte zu kommen. Sobald Ihr den Herzog von Epernon als Euren Nebenbuhler genannt hattet, war es offenbar, daß die Nanon, die Ihr nanntet, Nanon von Lartigues sein mußte, die Schöne, die Reiche, die durch ihren Geist Glänzende, die den Herzog behext hat und in seiner Statthalterschaft regiert, weshalb sie von der ganzen Guienne beinahe ebensosehr verflucht wird, wie er selbst. Und Ihr wart auf dem Wege zu dieser Frau?« fuhr der Jüngling im Tone des Vorwurfs fort.

»Wahrhaftig, ich gestehe es, und da ich sie einmal genannt habe, so verleugne ich sie nicht. Überdies wird Nanon verkannt und verleumdet. Sie ist eine reizende Person und ihren Versprechungen äußerst getreu, solange sie ein Vergnügen darin findet, sie zu halten, und dem, den sie liebt, treu ergeben, solange sie ihn liebt. Ich sollte diesen Abend mit ihr speisen, aber der Herzog hat den Fleischtopf umgeworfen. Wünscht Ihr, daß ich Euch morgen bei Nanon vorstelle? Zum Teufel! der Herzog wird wohl früher oder später nach Agen zurückkehren müssen.«

»Ich danke,« erwiderte der junge Edelmann mit trockenem Tone, »Ich kenne Fräulein von Lartigues nur dem Namen nach und wünsche sie nicht anders kennen zu lernen.«

»Ihr habt bei Gott unrecht. Nanon ist in jeder Beziehung ein gutes Mädchen.«

Der junge Mann faltete die Stirn.

»Ah, um Vergebung,« versetzte der Reisende erstaunt, »aber ich glaubte, in Eurem Alter . . .«

»Mein Alter ist allerdings das, in dem man dergleichen Vorschläge gewöhnlich annimmt,« versetzte der Jüngling, als er die üble Wirkung bemerkte, die sein strenges Wesen hervorbrachte, »und ich würde ihn ebenfalls gern annehmen, wäre ich nicht hier auf der Durchreise und genötigt, meinen Weg noch in dieser Nacht fortzusetzen.«

»Oh! bei Gott, Ihr werdet wenigstens nicht gehen, bevor ich weiß, wer der edle Ritter ist, der mir auf eine so zuvorkommende Weise das Leben gerettet hat.«

Der junge Mann schien zu zögern; dann, nach einem Augenblick, sagte er: »Ich bin der Vicomte von Cambes.«

»Ah, ah!« rief der andere, »ich hörte von einer reizenden Vicomtesse von Cambes sprechen, die eine bedeutende Anzahl von Gütern rings um Bordeaux besitzt und die Freundin der Frau Prinzessin ist.«

»Das ist meine Verwandte,« sagte der Jüngling lebhaft.

»Wahrhaftig, ich mache Euch mein Kompliment, Vicomte, denn man nennt sie unvergleichlich. Ich hoffe, wenn mich die Gelegenheit in dieser Hinsicht begünstigt, werdet Ihr mich bei ihr vorstellen. Ich bin der Baron von Canolles, Kapitän im Regiment Navailles, und benütze im Augenblick einen Urlaub, den mir der Herzog von Epernon auf Empfehlung des Fräulein von Lartigues bewilligt hat.«

»Der Baron von Canolles!« rief der Vicomte und schaute ihn mit der ganzen Neugierde an, die der in den galanten Abenteuern jener Zeit berühmte Name bei ihm erweckte.

»Ihr kennt mich?« – »Nur dem Rufe nach.«

»Dem schlimmen Rufe nach, nicht wahr? Was wollt Ihr? Jeder folgt seiner Natur, und ich, ich liebe das bewegte Leben.«

»Es steht Euch vollkommen frei, mein Herr, zu leben, wie es Euch zusagt. Erlaubt mir jedoch eine Bemerkung.« – »Welche?« – »Es wird hier eine Frau Euretwegen furchtbar gefährdet, und der Herzog wird sich dafür, daß er durch Euch hintergangen worden ist, rächen.«

Es bedurfte nur dieses einen Wortes, den Baron alle seine Geisteskräfte anspannen zu lassen, um seiner gefährdeten Geliebten Hilfe zu bringen, das heißt, sie zunächst von der Gefahr zu benachrichtigen. Schnell entwarf er den Plan, durch die Hintertür des Gasthofs sich zu entfernen und an die Hintertür von Nanons Hause zu pochen. Der besonnene Vicomte wies ihn aber auf das Bedenkliche und Gefährliche dieses Planes hin und schlug seinerseits vor, der Baron von Cambes solle einen Brief schreiben und diesen durch seinen Lakaien zu Nanons Hause tragen lassen.

»Ich will meinen Kopf verlieren,« rief der Baron erfreut, »wenn Castorin den Auftrag nicht vortrefflich vollzieht, um so mehr, als ich vermute, daß der Bursche ein Einverständnis im Hause hat.«

Unverzüglich ließ er sich Tinte, Feder und Papier geben und schrieb folgenden Brief an Nanon von Lartigues.

»Liebe Dame!

»Hundert Schritte von Eurer Tür könnt Ihr, wenn Euch die Natur die Fähigkeit verliehen hat, in der Nacht zu sehen, in einer Baumgruppe den Herzog von Epernon erblicken, der mich erwartet, um mich totschießen zu lassen und Euch hernach furchtbar zu kompromittieren. Aber ich wünsche ebensowenig das Leben zu verlieren, wie Euch Eure Ruhe verlieren zu lassen. Bleibt also unbesorgt. Ich meinerseits will ein wenig den Urlaub benützen, den Ihr mir neulich auswirktet, damit ich Euch besuchen könnte. Wohin ich gehe, weiß ich nicht, und ich weiß sogar nicht, ob ich überhaupt irgendwohin gehe. Wie dem sein mag, ruft Euren Flüchtling zurück, sobald der Sturm vorüber ist. Man wird Euch im Goldenen Kalbe sagen, welchen Weg ich eingeschlagen habe. Hoffentlich werdet Ihr mir für das Opfer Dank wissen, das ich mir auferlege. Eure Interessen sind mir teurer, als mein Vergnügen. Ich sage mein Vergnügen, denn es hätte mir Freude gemacht, Herrn von Epernon und seine Henkersknechte unter ihrer Verkleidung durchzuprügeln. Glaubt also, liebe Seele, daß ich Euer ergebener, und vor allem sehr treuer Diener bin.«

Canolles unterzeichnete diese gascognische Prahlerei, deren Wirkung auf die Gascognerin Nanon er kannte, rief dann seinen Bedienten und beauftragte diesen, das Billett, ohne daß es sonst jemand bemerkte, durch die Hintertür seiner Francinette zu überreichen, damit diese es ihrer Herrin übergebe.

Castorin ging wie der Blitz. Aber unten an der Treppe blieb er stillstehen und steckte das Billett gegen alle Regel oben in seinen Stiefel; dann entfernte er sich durch die Tür des Geflügelhofes, machte einen langen Umweg, klopfte an die geheime Tür auf die besondere zwischen ihm und Nanons Zofe verabredete Art, und dieses Klopfen war auch so wirksam, daß die Tür sich sogleich öffnete.

Zehn Minuten nachher kam Castorin, ohne daß ihm irgend etwas Mißliches begegnet war, zurück und meldete seinem Herrn, das Billett sei in die schönen Hände Fräulein Nanons übergeben worden.

Canolles hatte diese zehn Minuten benutzt, um seinen Mantelsack zu öffnen, seinen Schlafrock herauszunehmen und sich den Tisch decken zu lassen. Er hörte Castorins Bericht mit großer Befriedigung, machte einen Gang in die Küche, gab mit lauter Stimme seine Befehle und gähnte unmäßig, wie ein Mensch, der ungeduldig den Augenblick des Schlafengehens erwartet. Ließ der Herzog von Epernon ihn belauern, so sollte er auf den Glauben kommen, er, Canolles, habe nie die Absicht gehabt, weiter als bis zu dem Gasthause zu gehen. Dieser Plan hatte wirklich das von dem Baron gewünschte Resultat; ein Mensch, der einem Bauern glich und im dunkelsten Winkel der Wirtsstube ein Glas Wein trank, rief den Kellner, bezahlte seine Zeche, stand auf und entfernte sich, ein Lied trällernd. Canolles folgte ihm an die Tür und sah, wie er sich nach der Baumgruppe wandte. Zehn Minuten nachher hörte er den Tritt mehrerer Pferde; der Hinterhalt war aufgehoben.

Der Baron kehrte nun zurück, und da er um Nanon durchaus keine Sorgen mehr hatte, so dachte er nur daran, den Abend auf die vergnüglichste Weise zuzubringen. Er befahl demzufolge Castorin, Karten und Würfel bereit zu legen und, als hierfür gesorgt war, zu dem Vicomte von Cambes zu gehen und nachzufragen, ob er ihm wohl die Ehre erweisen würde, ihn zu empfangen.

Castorin gehorchte und fand auf der Schwelle des Zimmers einen alten Reitknecht mit weißen Haaren, der die Tür halb geöffnet hielt und auf sein Kompliment mit verdrießlicher Miene antwortete: »Unmöglich, der Herr Vicomte hat in diesem Augenblick Geschäfte.«

»Sehr gut,« sagte Canolles, »ich werde warten.«

Und als er von der Küche her ein gewaltiges Geräusch vernahm, begab er sich, um die Zeit zu vertreiben, dorthin, und sah nach, was sich in diesem wichtigen Teile des Hauses ereignete.

Es war der arme Küchenjunge, der mehr tot als lebendig zurückkehrte. An der Biegung des Weges war er von vier Männern angehalten worden, die ihn über den Zweck seines nächtlichen Spazierganges befragten und auf seine Erklärung, er habe der Dame des vereinzelten Hauses ein Nachtessen zu bringen, ihn seiner Mütze, seines weißen Wamses und seiner Schürze beraubten. Der Jüngste von den vier Männern zog sodann diese Standesabzeichen an, nahm den Korb auf seinen Kopf und setzte den Weg nach dem kleinen Hause fort. Zehn Minuten nachher kehrte er zurück und besprach sich ganz leise mit dem, welcher der Anführer der Truppe zu sein schien. Dann gab man dem Küchenjungen sein Wams, seine Mütze und seine Schürze zurück, setzte ihm seinen Korb wieder auf den Kopf und ließ ihn, der vor Schrecken halbtot war, laufen.

Dieses Abenteuer war für alle völlig unverständlich, außer für Canolles. Da dieser aber seinen Grund hatte, eine Erläuterung darüber zu geben, so ließ er Wirt, Kellner, Mägde und Küchenjungen sich in Vermutungen verlieren und ging zu dem Vicomte hinauf. Er öffnete in der Voraussetzung, daß die erste Anfrage ihn einer zweiten Einleitung entbinde, die Tür ohne weiteres und trat ein.

Eine beleuchtete und mit zwei Decken versehene Tafel stand mitten im Zimmer und erwartete, um vollständig zu sein, nur die Platten, mit denen sie geschmückt werden sollte.

Canolles bemerkte die beiden Gedecke und betrachtete sie als ein freudiges Vorzeichen.

Als ihn aber der Vicomte erblickte, stand er mit einer so ungestümen Bewegung auf, daß man leicht sehen konnte, der Besuch habe den jungen Mann überrascht und das zweite Gedeck sei nicht, wie er sich anfangs geschmeichelt hatte, für ihn bestimmt.

Dieser Zweifel wurde durch die ersten Worte bestätigt, die der Vicomte an ihn richtete.

»Darf ich wohl fragen, Herr Baron,« sagte er, stets zeremoniös gegen ihn vorschreitend, »welchem neuen Umstande ich die Ehre Eures Besuches zu verdanken habe?«

»Ei,« erwiderte Canolles, etwas verblüfft durch diesen sonderbaren Empfang, »einem ganz natürlichen Umstand. Ich bekam Hunger und dachte, Ihr müßtet ihn auch haben. Ihr seid allein, ich bin auch allein und wollte die Ehre haben, Euch den Vorschlag zu machen, mit mir zu Nacht zu speisen.«

Der Vicomte schaute Canolles mit sichtbarem Mißtrauen an und schien einigermaßen in Verlegenheit zu sein, wie er ihm antworten sollte.

»Bei meiner Ehre,« sagte Canolles lachend, »man sollte glauben, Ihr habt Angst vor mir. Seid Ihr Malteserritter? Bestimmt man Euch für die Kirche, oder hat Euch Eure Familie im Abscheu vor den Canolles aufgezogen? . . . Bei Gott, ich werde Euch nicht in einer einzigen Stunde, die wir miteinander bei Tische zubringen, zu Grunde richten!«

»Ich kann unmöglich zu Euch hinabkommen, Baron.«

»Gut, so kommt nicht herab, aber da ich zu Euch heraufgekommen bin . . .«

»Noch viel unmöglicher, mein Herr. Ich erwarte jemand.«

Diesmal wurde Canolles aus dem Sattel gehoben.

»Ah! Ihr erwartet jemand?« sagte er.

»Ja.«

»Wahrhaftig,« sagte Canolles nach kurzem Stillschweigen, »es wäre mir lieber, Ihr hättet mich auf jede Gefahr hin meinen Weg fortsetzen lassen, statt durch den Widerwillen, den Ihr gegen mich an den Tag legt, den Dienst zu verderben, den Ihr mir leistetet, und für den ich Euch nicht genug gedankt zu haben scheine.«

Der Jüngling errötete, näherte sich Canolles und sagte mit zitternder Stimme: »Um Vergebung, mein Herr, ich begreife meine ganze Unhöflichkeit, und wenn es nicht wichtige Angelegenheiten, Familienangelegenheiten, wären, die ich mit der Person zu besprechen habe, die ich erwarte, so würde ich es mir zugleich zur Ehre und zum Vergnügen schätzen, Euch als Dritten zu empfangen.«

Ungeachtet dieser Worte und trotz des Entschlusses, sich nun zu entfernen, zog sich Canolles doch nicht zurück. Irgend etwas, worüber er sich keine Rechenschaft geben konnte, fesselte ihn an den Boden. Er fühlte sich unwiderstehlich zu dem Vicomte hingezogen; aber dieser nahm eine Kerze, näherte sich Canolles, reichte ihm die Hand und sagte mit anmutsvollem Lächeln: »Mein Herr, wie es auch sein mag, und so kurz unser Zusammentreffen auch gewesen ist, so glaubt mir doch, daß es mich entzückt, wenn ich Euch zu irgendetwas nützlich gewesen bin.«

Canolles sah nur das Kompliment; er nahm die Hand, die ihm der Vicomte darreichte und die, statt den männlichen, freundschaftlichen Dank zu erwidern, sich lau und zitternd zurückzog. Er begriff, daß der Abschied, den ihm der junge Mann gab, trotz seiner Höflichkeit nichtsdestoweniger als ein Abschied betrachtet werden mußte, und entfernte sich, gänzlich in seinen Hoffnungen getäuscht und sehr in Gedanken versunken.

An der Tür begegnete er dem zahnlosen Lächeln des alten Dieners, der die Kerze aus den Händen des Vicomte nahm, Canolles untertänig bis an sein Zimmer begleitete und dann sogleich wieder zu seinem Herrn hinaufstieg, der ihn oben an der Treppe erwartete.

»Was macht er?« fragte der Vicomte mit leiser Stimme.

»Ich glaube, er entschließt sich, allein zu Nacht zu speisen,« antwortete Pompée.

»Dann wird er nicht mehr heraufkommen.«

»Ich hoffe es wenigstens.«

»Bestelle die Pferde, Pompée, es ist immerhin gewonnene Zeit. Aber,« fügte der Vicomte horchend bei, »was für ein Lärm ist das?« – »Man sollte glauben, es wäre Herrn Richons Stimme.«

»Und die des Herrn von Canolles.«

»Sie zanken sich, wie es scheint.«

»Im Gegenteil, sie erkennen sich. Hört!«

»Wenn nur Richon nicht schwatzt!«

»Oh, es ist nichts zu fürchten, er ist ein umsichtiger Mann.«

»Still . . .«

Die Horcher schwiegen, und man vernahm Canolles' Stimme.

»Zwei Gedecke, Meister Biscarros!« rief der Baron, »zwei Gedecke! Herr Richon speist mit mir.«

»Nein, wenn es Euch gefällig ist,« antwortete Richon, »Unmöglich!«

»Ah! Ihr wollt also allein zu Nacht speisen, wie der junge Edelmann?« – »Welcher Edelmann?«

»Der da oben.«

»Wie heißt er?« – »Vicomte von Cambes.«

»Kennt Ihr den Vicomte?« – »Bei Gott! er hat mir das Leben gerettet.«

»Er?« – »Ja, er.«

»Wieso?« – »Speist mit mir zu Nacht, und ich erzähle Euch die Geschichte während des Mahles.«

»Ich kann nicht; ich speise mit ihm.«

»In der Tat, er erwartet jemand.«

»Das bin ich, und da ich bereits zu spät komme, so erlaubt Ihr mit, daß ich Euch verlasse, nicht wahr, Baron?« – »Nein, Donner und Teufel! ich erlaube es nicht!« rief Canolles. »Ich habe mir in den Kopf gesetzt, in Gesellschaft zu speisen, und Ihr eßt mit mir, oder ich esse mit Euch. Meister Biscarros, zwei Gedecke!«

Aber während Canolles sich umwandte, um zu sehen, ob dieser Befehl vollzogen werde, hatte Richon die Treppe erreicht und stieg rasch die Stufen hinauf. Als er auf die letzte Stufe gelangte, begegnete seine Hand einer kleinen Hand, die ihn in das Zimmer des Vicomte von Cambes zog, dessen Tür sich hinter ihm schloß und durch zwei Riegel gesichert wurde.

»In der Tat,« murmelte Canolles, während er vergeblich mit seinen Augen den verschwundenen Richon suchte und sich an seinen einsamen Tisch setzte, »in der Tat, ich weiß nicht, was man in dieser verfluchten Gegend gegen mich hat. Die einen laufen mir nach, um mich zu töten, die andern fliehen mich, als ob ich die Pest hätte. Beim Teufel, mein Appetit stirbt dahin. Ich fühle, daß ich traurig werde, und bin fähig, mich zu betrinken wie ein Landsknecht. Hollah, Castorin, hierher, damit ich dich durchprügle! Sie schließen sich da oben ein, als ob sie sich verschwören wollten! Ah, doppelter Ochs, der ich bin, in der Tat, sie konspirieren! Ja, damit erklärt sich alles. Nun denn, Castorin, laß auftragen und schenke mir ein; ich verzeihe dir.«

Während er sich darein ergibt, sein Mahl einsam zu verzehren, wollen wir sehen, was inzwischen bei Nanon von Lartigues vorging.

Nanon war, was ihre Feinde auch gesagt und geschrieben haben mögen, zu jener Zeit ein reizendes Geschöpf von fünf- bis sechsundzwanzig Jahren, klein von Wuchs, mit brauner Haut, aber mit geschmeidigem, anmutigem Wesen, mit lebhaften, frischen Farben, mit tiefschwarzen Augen, deren durchsichtige Hornhaut in allen Regenbogenfarben, in allen Lichtern und Funken spielte, wie die der Katzen. Heiteren Angesichts, scheinbar lachend, war Nanon doch weit entfernt, ihren Geist allen Launen, allen Nichtswürdigkeiten hinzugeben, die mit tollen Arabesken den seidenen und goldenen Einschlag sticken, aus dem gewöhnlich das Leben einer Petite-Maitresse sich zusammenwebt. Reiflich und lange in ihrem eigensinnigen Kopf abgewogen, nahmen im Gegenteil die ernsthaftesten Erörterungen ein im höchsten Grad verführerisches Äußere an, wenn sie sich durch ihre vibrierende Stimme mit dem stark gascognischen Akzent vernehmbar machten. Niemand hätte unter dieser rosigen Maske mit den feinen, lachenden Zügen, unter diesem glühenden Blicke voll wollüstiger Versprechungen die unermüdliche Beharrlichkeit, die unüberwindliche Standhaftigkeit und Tiefe des Staatsmannes erraten, und dennoch waren Nanons Eigenschaften oder Fehler, je nachdem man sie von der Vorderseite oder von der Rückseite der Medaille betrachten will, dennoch war dies der berechnende Geist, das ehrgeizige Gemüt, dem ein Körper voll Eleganz als Hülle diente.

Nanon war von Agen. Der Herzog von Epernon, der Sohn des unzertrennlichen Freundes von Heinrich IV., hatte, zum Gouverneur der Guienne ernannt, wo sein hochmütiges Wesen, seine Anmaßungen und seine Erpressungen ihn allgemein verhaßt machten, dieses unbedeutende Bürgermädchen, die Tochter eines einfachen Advokaten, ausgezeichnet. Er machte ihr den Hof und siegte mit großer Mühe und nach einer Verteidigung, die mit der Geschicklichkeit eines großen Taktikers ausgehalten wurde, der seinen Sieger den Preis des Sieges fühlen lassen will. Aber als Lösegeld für ihren nun verlorenen Ruf beraubte Nanon den Herzog seiner Macht und seiner Freiheit. Nach einer sechsmonatlichen Verbindung mit dem Gouverneur der Guienne regierte sie die schöne Provinz und gab allen, die sie einst verletzt oder gedemütigt hatten, die empfangenen Beleidigungen mit Wucher heim. Königin aus Zufall, wurde sie Tyrannin aus Berechnung. Bei ihrem feinen Geist hatte sie das Vorgefühl, daß man die wahrscheinliche Kürze der Herrschaft durch die gewissenloseste Ausnutzung ersetzen müsse.

Sie bemächtigte sich demzufolge alles dessen, was in ihren Bereich kam, riß Schätze, Einfluß, Ehrenstellen an sich, Sie wurde reich, sie vergab die Ämter und empfing die Besuche von Mazarin und den ersten Herren des Hofes. Sie besaß schließlich ein Vermögen von zwei Millionen.

Sie hatte wohl gefühlt, wie der Volkshaß flutähnlich stieg und mit seinen Wellen gegen die Machtstellung des Herrn von Epernon anprallte, der, an einem Tage des Zorns von Bordeaux vertrieben, Nanon mit sich zog, wie die Barke dem Schiffe folgt. Nanon beugte sich unter dem Sturme, bereit, sich wiederzuerheben, sobald der Sturm vorübergegangen wäre. Sie nahm Herrn von Mazarin zum Muster und trieb die Politik des gewandten, geschmeidigen Italieners. Der Kardinal bemerkte diese Frau, die durch dieselben Mittel, die ihn selbst zum ersten Minister und zum Besitzer von fünfzig Millionen gemacht haben, sich hob und bereicherte. Er bewunderte die kleine Gascognerin; er tat noch mehr, er ließ sie gewähren. Man wird vielleicht später erfahren, warum.

Die Bekanntschaft zwischen Nanon und Canolles hatte sich auf die natürlichste Weise gebildet. Canolles, Leutnant im Regiment Navailles, wollte Kapitän werden. Er mußte daher an Herrn von Epernon, den kommandierenden General, schreiben. Nanon las den Brief, sie antwortete wie gewöhnlich, im Glauben, sie behandle eine Geschäftssache, und bewilligte Canolles eine Zusammenkunft in diesem Sinne. Canolles wählte unter seinen Familienjuwelen einen prachtvollen Ring, der wenigstens fünfhundert Pistolen wert war – es war dies immer noch minder teuer, als sich eine Kompanie zu kaufen – und begab sich sodann zu der Zusammenkunft. Aber der Sieger Canolles, dem sein prunkhafter Ruf von Liebesglück voranging, machte diesmal die fiskalischen Berechnungen des Fräulein von Lartigues zu Schanden. Es war das erstemal, daß er Nanon sah, es war das erstemal, daß Nanon ihn sah. Sie waren beide jung, schön und geistreich. Die Zusammenkunft ging in gegenseitigen Artigkeiten hin, von dem Geschäfte war mit keiner Silbe die Rede, und dennoch wurde das Geschäft abgemacht. Am andern Morgen erhielt Canolles sein Kapitänspatent, und als der kostbare Ring von seinem Finger an Nanons überging, war es nicht mehr der Preis des befriedigten Ehrgeizes, sondern das Pfand glücklicher Liebe.

Als Nanon mit dem Herzog aus Bordeaux weichen mußte und der Pöbel sie in ihrem vergoldeten Wagen am liebsten zerrissen hätte, wählten sie das kleine Landhaus als Aufenthaltsort für Nanon, bis man ihr ein Haus in Libourne eingerichtet hätte. Canolles erhielt einen Urlaub, scheinbar, um einige Familienangelegenheiten in der Heimat abzumachen, in Wirklichkeit aber, um sein Regiment verlassen zu können, das nach Agen zurückgekehrt war, und um sich nicht zu weit von Matifou zu entfernen, wo seine beschützende Gegenwart notwendiger wurde, als je. Die Ereignisse wurden nämlich beunruhigend ernst. Die Gefangennahme der Prinzen von Condé, von Conti und Longueville bot den vier oder fünf Parteien, die damals Frankreich zerrissen, einen vortrefflichen Vorwand zum Bürgerkriege. Der Widerwille des Volkes gegen den Herzog von Epernon, von dem man wußte, daß er ganz und gar dem Hofe angehörte, wuchs immer mehr, obgleich man hätte meinen sollen, er könnte nicht mehr zunehmen. Eine von allen Parteien gewünschte Katastrophe stand nahe bevor. Nanon verschwand wie die Vögel, die den Sturm kommen sehen, vom Horizont und kehrte in ihr Blätternest zurück, um das Ereignis abzuwarten.

Sie gab sich für eine Witwe aus, welche die Einsamkeit sucht; als solche hatte sie auch, wie man sich erinnern wird, Meister Biscarros bezeichnet.

Herr von Epernon war also am Tage vorher zu der reizenden Einsiedlerin gekommen und hatte ihr angekündigt, er würde eine achttägige Rundreise antreten. Sobald er sich entfernt hatte, schickte Nanon durch den Einnehmer, ihren Günstling, ein Wort an Canolles, der sich während seines Urlaubs in der Gegend aufhielt. Nur verschwand dieses Wort im Original, wie wir erzählt haben, unter den Händen des Boten. Der sorglose Baron beeilte sich, der Einladungsabschrift Folge zu leisten, als ihn der Vicomte von Cambes vierhundert Schritte von seinem Ziele zurückhielt.

Das übrige ist bekannt.

Als Nanon, die Canolles wie eine liebende Frau, das heißt zehnmal in der Minute ans Fenster eilend, erwartete, Canolles' Billett erhielt, war sie wie vom Blitze getroffen.

Sie liebte Canolles sehr, aber bei ihr war der Ehrgeiz ein Gefühl, das der Liebe gleich kam, und wenn sie den Herzog verlor, verlor sie nicht nur ihr zukünftiges Glück, sondern vielleicht auch alles, was das frühere Glück ihr gebracht hatte. Doch sie war eine Frau von Kopf; sie löschte zuerst die Kerze, die ihren Schatten hätte zeigen können, und lief ans Fenster. Es war die höchste Zeit. Vier Männer näherten sich dem Hause, von dem sie nur noch etwa zwanzig Schritte entfernt waren. Der Mann mit dem Mantel ging voraus, und in ihm erkannte sie ganz genau den Herzog. In diesem Augenblick trat Francinette mit einem Licht in der Hand ein. Nanon warf einen Blick der Verzweiflung auf den Tisch, auf die zwei Gedecke, auf die zwei Fauteuils, auf die zwei gestickten Kopfkissen, die ihr freches Weiß auf dem karmoisinroten Grund der Damastvorhänge ausbreiteten, endlich auf das appetitliche Nachtnegligé, das mit allen diesen Vorbereitungen so gut im Einklang stand.

»Ich bin verloren,« dachte sie.

Aber beinahe in demselben Augenblick kam diesem feinen Geiste ein Gedanke, und ein Lächeln umschwebte ihre Lippen. Rasch wie der Blitz ergriff sie das für Canolles bestimmte einfache Kristallglas und warf es in den Garten, zog aus einem Etui den goldenen Becher mit dem Wappen des Herzogs, legte neben den Teller sein Gedeck von Vermeil, lief dann, zwar kalt vor Schrecken, aber mit einem in Eile gebildeten Lächeln, die Stufen hinab und erreichte die Tür in dem Augenblick, wo ein ernster, feierlicher Schlag daran ertönte.

Francinette wollte öffnen, aber Nanon ergriff sie beim Arme, stieß sie auf die Seite und sagte mit dem raschen Blicke, der bei ertappten Frauen den Gedanken so gut ersetzt:

»Der Herzog ist es, den ich erwarte, und nicht Herr von Canolles.«

Dann zog sie selbst die Riegel zurück und warf sich dem Manne mit der Weißen Feder, der die wildeste Miene machte, die ihm zu Gebote stand, um den Hals.

»Ah!« rief Nanon, »mein Traum hat mich also nicht getäuscht. Kommt, mein lieber Herzog, Ihr sollt bedient werden, wir speisen sogleich zu Nacht.«

Epernon war ganz verblüfft; da jedoch die Liebkosungen einer hübschen Frau immer etwas Angenehmes haben, so ließ er sich küssen. Sogleich erinnerte er sich aber wieder, welche niederschmetternde Beweise er gegen sie besaß, und sagte: »Einen Augenblick, mein Fräulein, erklären wir uns gefälligst!«

Und er machte mit der Hand den Männern, die ihm folgten, ein Zeichen. Sie wichen ehrfurchtsvoll zurück, jedoch ohne sich gänzlich zu entfernen; er trat allein mit ernstem, abgemessenem Schritte in das Haus

»Was habt Ihr denn, mein lieber Herzog?« sagte Nanon mit einer so gut geheuchelten Heiterkeit, daß man sie hatte für natürlich halten sollen. »Habt Ihr vielleicht das letzte Mal, da Ihr hierher kamet, etwas vergessen, daß Ihr Euch so ängstlich nach allen Seiten umschaut?«

»Ja,« sagte der Herzog, »ich habe vergessen, Euch zu sagen, daß ich kein Dummkopf bin, und da ich vergessen habe, Euch das zu sagen, so komme ich in Person zurück, um es Euch zu beweisen.«

»Ich begreife Euch nicht, Monseigneur,« erwiderte Nanon mit der ruhigsten, offensten Miene. »Ich bitte, erklärt Euch.«

Der Blick des Herzogs heftete sich auf die zwei Fauteuils, ging von diesen auf die Gedecke und dann auf die zwei Kopfkissen über. Auf diesen verharrten seine Augen länger, und die Röte des Zornes stieg ihm ins Gesicht.

Nanon hatte dies alles vorhergesehen und erwartete den Erfolg der Prüfung mit einem Lächeln, das ihre perlenweißen Zähne enthüllte. Nur glich dieses Lächeln einem Nervenzucken, und diese Zähne würden wohl geklappert haben, hätte nicht die Furcht sie aneinander geschlossen.

Der Herzog wandte seinen zornigen Blick auf sie zurück.

»Ich warte immer noch auf Monseigneur,« sagte Nanon mit anmutiger Verbeugung.

»Monseigneurs Belieben,« antwortete er, »besteht darin, daß Ihr mir erklären sollt, was dieses Abendessen bedeuten soll.«

»Ich hatte, wie gesagt, einen Traum, der mir ankündigte, daß Ihr, obgleich Ihr mich gestern verlassen, doch heute zurückkommen würdet. Meine Träume täuschen mich nie. Ich ließ also ein Abendessen nach Eurem Geschmack bereiten.«

Der Herzog machte eine Grimasse, die ein ironisches Lächeln darstellen sollte.

»Und diese Kopfkissen?« sagte er.

»Sollte Monseigneur im Sinne haben, zum Nachtlager nach Libourne zurückzukehren? Dann hätte mein Traum gelogen, denn er kündigte mir an, Monseigneur würde bleiben.«

Der Herzog machte eine zweite Grimasse, die noch bezeichnender war, als die erste.

»Und dieses reizende Negligé Madame? Und diese ausgezeichneten Wohlgerüche?«

»Es ist eins von denen, die ich anzuziehen pflege, wenn ich Monseigneur erwarte. Diese Wohlgerüche kommen von den Säckchen Peau d'Espagne, die ich meine Schränke lege, und die Monseigneur, wie er mir oft gesagt hat, allen andern Odeurs vorzieht, weil es auch der Lieblingsgeruch der Königin ist.«

»Ihr erwartetet mich also?« fuhr der Herzog mit ironischem Lachen fort.

»Ah, Monseigneur,« sagte Nanon, ebenfalls die Stirn faltend, »Gott vergebe mir! ich glaube, Ihr habt Lust in die Schränke zu schauen. Solltet Ihr etwa eifersüchtig sein?«

Der Herzog nahm eine majestätische Miene an.

»Eifersüchtig, ich? o nein! Gott sei Dank! ich habe diese Lächerlichkeit nicht an mir. Alt und reich, weiß ich natürlich wohl, daß ich getäuscht werden muß; aber denen, die mich täuschen, will ich wenigstens beweisen, daß ich mich nicht von ihnen hintergehen lasse.«

»Und wie werdet Ihr ihnen dies beweisen?« sagte Nanon. »Ich bin begierig, es zu erfahren,«

»Oh, das wird nicht schwierig sein; ich brauche ihnen nur dieses Papier zu zeigen.«

Der Herzog zog ein Billett aus seiner Tasche.

»Ich habe keine Träume mehr,« sagte er; »in meinem Alter träumt man nicht mehr, selbst im wachen Zustande, aber ich erhalte Briefe. Lest diesen, er ist interessant.«

Nanon nahm zitternd den Brief, den ihr der Herzog reichte, und bebte, als sie die Schrift sah; aber dieses Beben war unmerklich, und sie las: »Der Herr Herzog von Epernon wird benachrichtigt, daß diesen Abend ein Mann, der sich seit sechs Monaten eines vertraulichen Umgangs mit Fräulein Nanon von Lartigues erfreut, zu ihr kommen, bei ihr soupieren und die Nacht zubringen wird.

»Da man den Herrn Herzog von Epernon nicht in Ungewißheit lassen will, so setzt man ihn in Kenntnis, daß dieser glückliche Nebenbuhler sich Baron von Canolles nennt.«

Nanon erbleichte, der Streich traf mitten ins Herz,

»Ah, Roland! Roland!« murmelte sie, »ich glaubte doch von dir befreit zu sein!«

»Bin ich unterrichtet?« sagte der Herzog triumphierend.

»Ziemlich schlecht,« antwortete Nanon, »und wenn Eure politische Polizei nicht besser ist, als Eure Liebespolizei, so beklage ich Euch.«

»Ihr beklagt mich?«

»Ja; denn dieser Herr von Canolles, dem Ihr die Ehre erweist, ihn für Euern Nebenbuhler zu halten, ist nicht hier; übrigens könnt Ihr ja warten, dann werdet Ihr sehen, ob er kommt.«

»Er ist gekommen!«

»Er!« rief Nanon, »das ist nicht wahr!«

Diesmal lag ein Ausdruck tiefer Wahrheit im Tone der Angeschuldigten.

»Ich will sagen, er ist bis auf vierhundert Schritte hierhergekommen und hat zu seinem Glücke in dem Gasthaus zum Goldenen Kalbe angehalten.«

Nanon begriff, daß der Herzog viel weniger wußte, als sie anfangs geglaubt hatte. Sie zuckte die Achseln, denn ein anderer Gedanke, den ihr ohne Zweifel der Brief eingegeben hatte, den sie in ihren Händen hin und her drehte, keimte in ihrem Innern.

»Ist es möglich,« sagte sie, »daß ein Mann von Geist, einer der gewandtesten Politiker des Königreichs, sich von anonymen Briefen fangen läßt?«

»Anonym meinetwegen, aber wie erklärt Ihr mir diesen Brief?«

»Oh! die Erklärung ist nicht schwierig, es ist eine Folge des schönen Benehmens unserer Feinde in Agen. Herr von Canolles bat Euch in Familienangelegenheiten um einen Urlaub, den Ihr ihm bewilligtet. Man wußte, daß er hier durchkam, und benutzte seine Reise zu dieser lächerlichen Anschuldigung.«

Nanon gewahrte, daß das Gesicht des Herzogs, statt sich zu entrunzeln, immer düsterer wurde.

»Die Erklärung wäre gut,« sagte er, »wenn diesem Briefe, den Ihr Euren Feinden zuschreibt, nicht eine gewisse Nachschrift beigefügt wäre, die Ihr bei Eurer Unruhe zu lesen vergessen habt.«

Ein tödlicher Schauer durchlief den ganzen Körper der jungen Frau. Sie fühlte, daß sie den Kampf, wenn ihr der Zufall nicht zu Hilfe käme, nicht länger aushalten könnte.

»Eine Nachschrift?« wiederholte sie.

»Ja, lest,« sagte der Herzog.

Nanon versuchte zu lächeln, aber sie fühlte, daß ihre Züge sich nicht mehr zu diesem Anschein der Ruhe hergaben. Sie begnügte sich also, mit dem sichersten Tone, den sie anzunehmen vermochte, zu lesen: »Ich habe in meinen Händen den Brief des Fräulein von Lartigues an Herrn von Canolles, durch den die Zusammenkunft, die ich Euch melde, auf heute abend festgesetzt ist. Ich gebe diesen Brief für ein Blankett, das mir der Herr Herzog durch einen einzigen Menschen in einem Schiff auf der Dordogne vor dem Dorfe Saint-Michel um sechs Uhr abends einhändigen läßt.«

»Und Ihr hattet diese Unklugheit!«

»Eure Handschrift ist mir so kostbar, liebe Dame, daß ich dachte, ich könnte einen Brief von Euch – nicht zu teuer bezahlen.«

»Ein solches Geheimnis der Indiskretion eines Mitwissers aussetzen!, Ah, Herr Herzog! . . .«

»Dergleichen vertrauliche Mitteilungen, Madame, nimmt man in Person in Empfang, und so habe ich es auch mit dieser gemacht. Der Mann, der sich auf die Dordogne begab, war ich selbst.«

»Ihr habt also meinen Brief?« – »Hier ist er.«

Durch eine rasche Anstrengung des Gedächtnisses suchte Nanon sich zu erinnern, was der Brief enthielt, aber es war ihr unmöglich. Ihr Gehirn fing an sich zu verwirren.

Sie war also genötigt, ihren eigenen Brief wieder zu lesen. Er enthielt kaum drei Zeilen: Nanon erfaßte sie mit einem gierigen Blicke und erkannte zu ihrer unbeschreiblichen Freude, daß dieser Brief sie nicht vollständig kompromittierte.

»Lest laut,« sagte der Herzog, »ich bin wie Ihr, ich habe den Inhalt des Briefes vergessen.«

Nanon fand das Lächeln wieder, das sie einige Sekunden vorher vergeblich gesucht hatte, und las, der Aufforderung des Herzogs gehorchend: »Ich werde um acht Uhr zu Nacht speisen. Seid Ihr frei? Ich bin es. In diesem Falle seid pünktlich, mein lieber Canolles, und fürchtet nichts für unser Geheimnis.«

»Das ist klar, wie es mir scheint!« rief der Herzog bleich vor Wut.

»Das spricht mich frei,« dachte Nanon,

»Ah! ah!« fuhr der Herzog fort, »Ihr habt ein Geheimnis mit Herrn von Canolles?«

Nanon begriff, daß ein Zögern von einer Sekunde sie ins Verderben stürzen würde, überdies hatte sie alle Muße gehabt, den ihr von dem anonymen Brief eingegebenen Plan in ihrem Gehirn reifen zu lassen.

»Nun ja,« sagte sie, den Herzog fest anschauend, »der Herr und ich haben ein Geheimnis.«

»Ihr gesteht es zu?« – »Ich muß wohl da man Euch nichts verbergen kann.«

»Oh!« schrie der Herzog.

»Ja, ich erwartete Herrn von Canolles,« fuhr Nanon ruhig fort.

»Ihr erwartetet ihn?« – »Ja, ich erwartete ihn.«

»Ihr wagt es, dies zu gestehen?« – »Wißt Ihr denn aber auch, wer Herr von Canolles ist?« – »Ein Dummkopf, den ich für seine Unklugheit schwer bestrafen werde.«

»Er ist ein hochherziger und tapferer Edelmanns den Ihr auch fortan wohlwollend behandeln werdet.«

»Oh! ich schwöre bei Gott, daß dem nicht so sein

»Keinen Schwur, Herr Herzog, wenigstens nicht, ehe ich gesprochen habe,« antwortete Nanon.

»Weil er,« fuhr sie, mit einer dramatischen Bewegung, den zitternden Herzog beim Arm ergreifend fort, »weil er mein Bruder ist.«

Der aufgehobene Arm des Herzogs fiel herab.

»Euer Bruder!« rief er.

Nanon machte ein Zeichen mit dem Kopfe, das ein triumphierendes Lächeln begleitete, und wußte den Herzog durch ein ebenso geschickt wie kühn gewobenes Lügennetz halb zu überzeugen. Sie deutete an, eine erste Liebe ihres Vaters zu Frau von Canolles, der Mutter ihres Bruders, sei nach seiner Verehelichung leidenschaftlich wieder aufgeflammt und habe zu ernsten Folgen geführt. Sie selbst habe von dem Verwandtschaftsverhältnis erst nach dem Tode ihres Vaters erfahren und dem um die Ehre seiner Mutter zart besorgten Herrn von Canolles schwören müssen, das Geheimnis streng zu wahren.

»Ja,« schloß sie pathetisch ihre Erzählung, »ich hatte ihm einen Eid geleistet, dieses Geheimnis niemals irgend jemand in der Welt zu enthüllen. Aber Euer Verdacht ließ den Becher überströmen. Wehe mir! ich habe meinen Eid vergessen; wehe mir! ich habe das Geheimnis meines Bruders verraten.«

Und Nanon zerfloß in Tränen.

Der Herzog, jetzt fast völlig getäuscht, fiel vor ihr auf die Knie und küßte ihre schönen Hände, die sie ganz niedergeschlagen hängen ließ, während ihre Augen, zum Himmel emporgerichtet, Gott um Vergebung wegen ihres Eidbruchs zu bitten schienen.

»Ihr sagt: Wehe mir!« rief der Herzog. »Sagt doch: Glück für alle! Die verlorene Zeit soll dem lieben Canolles wieder eingebracht werden. Ich kenne ihn nicht, aber ich will ihn kennen lernen. Ihr stellt mir Canolles vor, und ich werde ihn lieben wie einen Sohn. Doch da fällt mir ein, kommt denn der Junge nicht? Warum sollte ich warten, um ihn zu sehen? Ich werde ihn sogleich im Goldenen Kalbe holen lassen.«

»Ah! ja, damit er erfährt, daß ich nichts zu verbergen vermag und daß ich Euch gegen meinen Eid alles gesagt habe.«

»Ich werde diskret sein.«

»Ah! Herr Herzog, nun muß ich Euch den Krieg ankündigen,« versetzte Nanon mit jenem Lächeln, das die Teufel von den Engeln entlehnt haben.

»Und warum denn, meine teure Schöne?«

»Weil Ihr einst lüsterner nach einem Zusammensein unter vier Augen wart, als jetzt. Kommt, wir wollen zu Nacht speisen, und morgen früh ist es noch Zeit, Canolles holen zu lassen.« (Von jetzt bis morgen kann ich ihn benachrichtigen, dachte sie.)

»Es sei,« sagte der Herzog, »setzen wir uns zu Tische.«

Von einem Rest von Zweifeln gepeinigt, fügte er ganz leise hinzu: »Von jetzt bis morgen werde ich sie nicht verlassen, und wenn sie nicht eine Zauberin ist, wird sie kein Mittel finden, ihn zu unterrichten.«

Und sie setzten sich mit so lächelnden Gesichtern zu Tisch, daß selbst Francinette, so genau sie auch als vertraute Kammerfrau die Art und Weise des Herzogs und den Charakter ihrer Gebieterin kannte, glaubte, ihre Gebieterin sei vollkommen ruhig und der Herzog vollkommen beschwichtigt.


Viertes Kapitel.

Der Reiter, den Canolles mit dem Namen Richon begrüßt hatte, war, wie erzählt, in den ersten Stock des Gasthofes zum Goldenen Kalb hinaufgestiegen und speiste in Gesellschaft des Vicomte zu Nacht.

Er war es, den der Vicomte ungeduldig erwartete, als ihn der Zufall zum Zeugen der Vorkehrungen des Herrn von Epernon machte und in den Stand setzte, dem Baron von Canolles einen Dienst zu leisten.

Herr Richon hatte Paris vor acht Tagen und Bordeaux an demselben Tage verlassen und brachte also die neuesten Nachrichten über die Wirren, die von Paris bis Bordeaux das Land erfüllten und ein immer beunruhigenderes Ansehen gewannen. Während er erzählte, betrachtete der junge Mann stillschweigend sein männliches, gebräuntes Antlitz, sein sicheres, durchdringendes Auge, seine weißen, scharfen, unter dem langen schwarzen Schnurrbart schimmernden Zähne und all die verschiedenen Kennzeichen, die Richon zum Musterbild eines wahren Glücksritters in gutem Sinne machten.

»Also,« sagte der Vicomte nach einem Augenblick, »also ist die Frau Prinzessin zu dieser Stunde in Chantilly?«

Bekanntlich bezeichnete man mit diesem Titel die beiden Herzoginnen von Condé, nur fügte man bei der Gemahlin des verstorbenen Herzogs das Wort Witwe hinzu.

»Ja,« antwortete Richon, »und sie erwartet Euch dort so bald als möglich.«

»Und in welcher Lage ist sie in Chantilly?« – »In einer wahren Verbannung; man bewacht sie wie ihre Schwiegermutter mit der größten Sorgfalt, denn man vermutet bei Hofe, daß sie nicht allein beim Parlamente Klage führen wolle, sondern etwas Wirksameres zugunsten der Prinzen plane. Leider fehlt es, wie immer, an Geld . . . Aber da fällt mir ein, habt Ihr das, was man Euch schuldig war, eingezogen? Es ist dies eine Frage, die man mir ganz besonders ans Herz gelegt hat.«

»Mit großer Mühe,«, antwortete der Vicomte, »brachte ich zwanzigtausend Livres zusammen, die ich in Gold bei mir habe; das ist alles.«

»Das ist alles! Teufel, Vicomte, man sieht wohl, daß Ihr Millionär seid; so verächtlich von einer solchen Summe in einem solchen Augenblick sprechen! Zwanzigtausend Livres; wir sind minder reich als Herr von Mazarin, aber reicher als der König.«

»Ihr glaubt also, Richon, die Frau Prinzessin werde die bescheidene Gabe annehmen?« – »Mit Dank; Ihr bringt ihr genug, um ein Heer damit zu bezahlen.«

»Glaubt Ihr, daß wir dessen bedürfen werden?« – »Wessen? eines Heeres? Gewiß, und wir sind dabei, eines zu sammeln. Herr von Larochefoucault hat vierhundert Edelleute angeworben, unter dem Vorwande, sie dem Leichenbegängnisse seines Vaters beiwohnen zu lassen. Der Herzog von Bouillon geht mit derselben Anzahl, wenn nicht mit einer größeren, nach Guienne ab. Herr von Turenne verspricht einen Marsch gegen Paris zu machen, in der Absicht, Vincennes zu überfallen und die Prinzen durch einen Handstreich zu entführen; er wird dreißigtausend Mann, seine ganze Nordarmee, die er dem königlichen Dienste abspenstig macht, bei sich haben. Oh! seid unbesorgt, die Dinge sind in gutem Zuge,« fuhr Richon fort; »ich weiß nicht, ob wir große Geschäfte machen werden, sicher machen wir aber gewaltigen Lärm . . .«

»Seid Ihr dem Herzog von Epernon nicht begegnet?« unterbrach ihn der junge Mann, dessen Augen funkelten bei dieser Aufzählung von Kräften, die ihm den Triumph seiner Partei verhieß.

»Dem Herzog von Epernon?« fragte der Glücksritter ganz verwundert, »wo soll ich ihm denn begegnet sein? Ich komme nicht von Agen, sondern von Bordeaux.«

»Ihr könntet ihn einige Schritte von hier getroffen haben,« versetzte der Vicomte lächelnd.

»Ah! richtig, wohnt nicht die schöne Nanon von Lartigues in der Gegend?« – »Zwei Musketenschüsse von hier.«

»Das erklärt mir die Anwesenheit des Barons von Canolles im Gasthof zum Goldenen Kalb.«

»Kennt Ihr ihn?« – »Wen? den Baron? Ja. Ich könnte mich sogar seinen Freund nennen, wäre Herr von Canolles nicht von vortrefflichem Adel, während ich ein armer Bürgersmann bin.«

»Bürgersleute wie Ihr, Richon, sind so viel wie Prinzen, in der Lage, in der wir uns befinden. Wißt Ihr übrigens, daß ich Euren Freund, den Baron von Canolles, vor Prügeln oder vielleicht vor etwas noch Schlimmerem bewahrt habe?« – »Ja, er hat mir ein paar Worte davon gesagt, aber ich hörte ihn nicht sehr aufmerksam an, denn ich hatte Eile, zu Euch zu gelangen. Seid Ihr sicher, daß er Euch nicht erkannt hat?« – »Man erkennt die schlecht, die man nie gesehen hat.«

»Ich erriet auch nur, was ich ihm erwidern sollte.«

»In der Tat,« sagte der Vicomte, »er schaute mich sehr aufmerksam an.«

Richon versetzte lächelnd: »Ich glaube es wohl, man trifft nicht jeden Tag Edelleute Eurer Art.«

»Er scheint mir ein lustiger Kavalier zu sein,« sagte der Vicomte nach kurzem Stillschweigen.

»Lustig und gut, ein allerliebster Geist und ein großes Herz. Der Gascogner ist, wie Ihr wißt, nie mittelmäßig, entweder ist er vortrefflich, oder er taugt nichts. Dieser ist von gutem Gehalt. In der Liebe wie im Kriege ist er gleich hervorragend, es tut mir leid, daß er gegen uns hält. Ihr hättet in der Tat, da der Zufall Euch in Verbindung mit ihm brachte, diesen Umstand benutzen sollen, um ihn für unsere Sache zu gewinnen.«

Eine flüchtige Röte zog wie ein Meteor über die bleichen Wangen des Vicomte hin.

»Euer Freund kam mir unbedeutend vor,« sagte er.

»Wer ist in diesen unruhigen, wechselvollen Zeiten ein bedeutender Mann und wer unbedeutend? Wer heute eine Kompanie zusammenbringt, kann morgen schon ein wichtiger Parteiführer sein. Das ganze Land lodert empor; überall streifen kühne Glücksritter umher, und ein verwegener Handstreich jagt den andern.«

»In der Tat, Richon, Ihr macht mir bange,« sagte der Vicomte, »und wenn ich nicht wüßte, daß ich Euch zu meinem Schutz hätte, würde ich es nicht wagen, mich auf den Marsch zu begeben. Aber unter Eurem Geleite,« fügte der junge Mann, dem Parteigänger seine kleine Hand reichend, hinzu, »fürchte ich nichts«

»Unter meinem Geleite,« sagte Richon, »oh! Ihr erinnert mich daran. Ihr müßt meines Geleites entbehren, Herr Vicomte.«

»Sollt Ihr denn nicht mit mir nach Chantilly zurückkehren?«

»Das heißt, ich sollte zurückkehren, wenn ich hier nicht notwendig wäre. Aber man legte mir jetzt ohne mein Verdienst soviel Bedeutung bei, daß ich bestimmten Befehl von der Frau Prinzessin erhielt, die Gegend des Forts, auf das man eine bestimmte Absicht zu haben scheint, nicht zu verlassen.«

Der Vicomte stieß einen Ausruf des Schreckens aus.

»So reisen ohne Euch!« rief er, »mit dem würdigen Pompée, der noch tausendmal mehr Hasenfuß ist, als ich, die Hälfte von Frankreich allein oder so gut wie allein durchziehen! Oh! nein, ich reise nicht, das schwöre ich Euch, ich würde vor Angst sterben, ehe ich ankäme.«

»Oh, Herr Vicomte,« versetzte Richon, in ein schallendes Gelächter ausbrechend, »Ihr denkt also nicht mehr an den Degen, der an Eurer Seite hängt?« – »Lacht, soviel Ihr wollt, ich reise nicht. Die Frau Prinzessin hat mir versprochen, Ihr würdet mich geleiten, und nur unter dieser Bedingung machte ich mich anheischig.«

»Aber Vicomte, jedenfalls zählt man auf Euch in Chantilly, und nehmt Euch in acht, die Prinzen verlieren leicht die Geduld, besonders wenn sie Geld erwarten,«

»Und zu allem Unglück,« sagte der Vicomte, »soll ich noch in der Nacht abreisen. Noch mag es darum sein,« sagte der Jüngling, sich gewaltsam zusammenraffend, »Ihr habt recht, ich reise, Richon. Ich glaube, daß Ihre Hoheit nach dem, was Ihr sagt, des Geldes sehr bedarf.«

»Ich sage Euch, Herr Vicomte, Ihr habt das Aussehen eines Helden. Auch gibt es überall Soldaten des Königs, und wir sind noch nicht im Kriege. Traut indessen nicht zuviel und befehlt Pompée, seine Pistolen zu laden.«

»Ihr sagt mir das, um mich zu beruhigen?« – »Allerdings, wer die Gefahr kennt, läßt sich nicht überraschen. Geht also, die Nacht ist schön, und Ihr könnt vor Tag in Monlieu sein.«

»Und Ihr habt keinen Auftrag an Ihre Hoheit?« – »Ich glaube wohl, Ihr erinnert mich an den allerwichtigsten Auftrag.«

»Habt Ihr geschrieben?« – »Nein, es sind ihr nur zwei Worte zu überbringen.«

»Welche?« – »Bordeaux – ja!«

»Sie weiß, was dies bedeutet?« – »Vollkommen. Auf diese zwei Worte kann sie ganz sicher abreisen. Ich stehe für alles.«

»Vorwärts, Pompée,« sagte der Vicomte zu dem alten Diener, der in diesem Augenblick den Kopf durch die halb geöffnete Tür steckte, »vorwärts, mein Freund, wir müssen reisen.«

»Oh, oh! reisen!« rief Pompé, »das kann dem Herrn Vicomte nicht einfallen. Es kommt ein furchtbarer Sturm.«

»Was, sagt Ihr da, Pompée?« versetzte Richon, »es ist keine Wolke am Himmel.«

»Aber in der Nacht können wir uns verirren.«

»Das wäre schwierig; Ihr braucht nur der Landstraße zu folgen. Überdies ist prächtiger Mondschein.«

»Schnell, Pompée, packe diesen Sack voll Gold auf dein Pferd.«

»Sagt mir doch, Richon,« fuhr der Vicomte fort, jenen beim Arm in dem Augenblick zurückhaltend, wo er den Fuß auf die erste Stufe der Treppe setzte, »wenn dieser Canolles ein so tapferer Soldat und ein so guter Edelmann ist, wie Ihr sagt, warum macht Ihr nicht einen Versuch, ihn für unsere Partei zu gewinnen? Er könnte uns entweder in Chantilly oder schon auf der Reise einholen. Da ich ihn bereits ein wenig kenne, so würde ich ihn vorstellen.«

Richon schaute den Vicomte mit einem so seltsamen Lächeln an, daß dieser, der ohne Zweifel an den Zügen des Parteigängers erkannte, was in seinem Geiste vorging, rasch hinzufügte: »Übrigens will ich nichts gesagt haben, macht was Ihr für gut haltet. Gott befohlen!«

Und er reichte ihm die Hand und kehrte rasch in sein Zimmer zurück, sei es aus Furcht, Richon könnte die plötzliche Röte sehen, die sein Gesicht bedeckte, sei es, daß ihm bange war, von Canolles gehört zu werden, dessen schallendes Gelächter bis in den ersten Stock drang.

Er ließ also den Parteigänger die Treppe hinabsteigen, gefolgt von Pompée, der das Felleisen scheinbar nachlässig trug, um nicht erraten zu lassen, was es enthielt. Nachdem einige Minuten vorübergegangen waren, betastete er sich, um zu sehen, ob er nichts vergessen habe, löschte seine Kerzen aus, stieg ebenfalls behutsam die Treppe hinab, wagte einen schüchternen Blick durch den erleuchteten Spalt einer Tür des Erdgeschosses, hüllte sich in einen Mantel, den ihm Pompée reichte, setzte seinen kleinen Fuß auf die Hand des Reitknechts, schwang sich leicht auf sein Pferd, brummte einen Augenblick über die Langsamkeit des alten Soldaten und verschwand im Schatten.

In der Sekunde, wo Richon in Canolles' Zimmer trat, den er unterhalten sollte, während der kleine Vicomte Anstalten zu seiner Abreise traf, erscholl ein Freudengeschrei aus dem Munde des halb auf seinem Stuhl zurückgelehnten Barons, was zum Beweise diente, daß dieser nicht grollte.

»Ah!« rief der Baron, »Ihr kommt zur rechten Zeit, mein lieber Richon; ich mußte irgend jemand finden, um Meister Biscarros' Lob zu singen, und war beinahe darauf angewiesen, ihn gegen diesen Schafskopf von Castorin zu rühmen, der nicht weiß, was trinken heißt, und den ich nie essen lehren konnte. Biscarros ist, bei Gott, ein großer Meister. Setzt Euch hierher, Richon, Ihr habt zu Nacht gespeist, ich habe auch gespeist; doch gleichviel, wir fangen wieder von vorn an.«

»Ich danke, Baron,« sagte Richon lachend, »ich habe keinen Hunger mehr.«

»Streng genommen, will ich das zugeben, man kann keinen Hunger mehr haben, aber man hat stets Durst. Kostet einmal diesen Collioure.«

Richon reichte ihm sein Glas.

»Ihr habt also,« fuhr Canolles fort, »mit Eurem kleinen einfältigen Vicomte zu Nacht gespeist? Ah, ich bitte um Vergebung, Richon. Nein, ich täusche mich, es ist im Gegenteil ein reizender Junge, dem ich das Vergnügen schulde, das Leben von seiner schönen Seite zu kosten, statt die Seele durch drei bis vier Löcher von mir zu geben, die der gute Herzog von Epernon meiner Haut beizubringen gedachte. Ich bin also diesem jungen Vicomte, diesem bezaubernden Ganymed zu Dank verpflichtet. Ah, Richon, Ihr seht ganz aus, als wärt Ihr, was man von Euch sagt, das heißt, der wahre Diener des Herrn von Condé.«

»Still, Baron!« rief Richon; »habt keine solche Gedanken, ich sterbe sonst vor Lachen.«

»Vor Lachen sterben! Geht doch, nein, mein Lieber. Ich habe übrigens nichts weniger als Abscheu vor Eurem kleinen Edelmanne, der sich so um den nächsten besten vorüberziehenden Kavalier kümmert.«

Und Canolles warf sich lachend in seinen Stuhl und entwickelte, während er seinen Schnurrbart kräuselte, eine solche Heiterkeit, daß Richon notwendig daran teilnehmen mußte.

»Also ernsthaft, mein lieber Richon,« sagte Canolles, »nicht wahr, Ihr konspiriert?«

In diesem Augenblick hörte man den Galopp zweier sich entfernender Pferde.

»Oho!« sagte Canolles horchend. »Was ist das, Richon, wißt Ihr es?« – »Ich glaube es zu vermuten.«-

»So sprecht.«

»Der kleine Edelmann reist ab.«

»Ohne von mir Abschied zu nehmen?« rief Canolles, »Das ist offenbar ein armseliger Wicht.«

»Nein, mein lieber Baron, es ist ein Mensch, der Eile hat, und nichts anderes.«

Canolles faltete die Stirn und erwiderte: »Was für sonderbare Manieren! Wo ist dieser Junge erzogen worden? Richon, mein Freund, ich sage Euch, daß er unrecht tut. Unter Edelleuten benimmt man sich nicht so. Bei Gott, ich glaube, wenn ich ihn hier hätte, ich würde ihm die Ohren reiben. Der Teufel hole seinen guten Tropf von Vater, der ihm aus Knickerei ohne Zweifel keinen Lehrer gegeben hat.«

»Ärgert Euch nicht, Baron,« sagte Richon lachend, »der Vicomte ist nicht so schlecht erzogen, wie Ihr wohl glauben mögt; denn er hat mich bei seinem Abgang beauftragt, Euch sein Bedauern auszudrücken und Euch tausend schmeichelhafte Dinge zu sagen.«

»Gut, gut,« erwiderte Canolles, »Weihwasser von Hof, das aus einer großen Unverschämtheit eine kleine Unhöflichkeit macht, weiter nichts. Beim Henker, ich bin in einer sehr wilden Laune. Sucht Streit mit mir, Richon! Ihr wollt nicht? Wartet. Gottes Tod, Richon, ich finde Euch sehr häßlich.«

Richon fing an zu lachen und versetzte: »Mit dieser Laune, Baron, könntet Ihr, wenn wir spielten, mir heute abend hundert Pistolen abgewinnen. Das Spiel befördert, wie Ihr wißt, den Ärger.«

»Ah, bei Gott, das Spiel!« rief der Baron, »ja, das Spiel, Ihr habt recht! Mein Freund, das ist ein Wort, das mich mit Euch aussöhnt, Richon, ich finde Euch sehr angenehm. Ihr seid schön wie Adonis, und ich verzeihe Herrn von Cambes. Castorin, Karten!«

Castorin lief, von Biscarros begleitet, herbei. Beide richteten einen Tisch zu, und die zwei Gefährten fingen an zu spielen. In weniger als einer Stunde gewann Richon, trotz seiner Prophezeiung, seinem Gegner achtzig Pistolen ab. CanolIes, der kein Geld mehr bei sich hatte, befahl nun Castorin, aus seinem Mantelsacke zu holen.«

»Unnötig,« bemerkte Richon, dem dieser Befehl nicht entgangen war; »ich habe keine Zeit, Euch Revanche zu geben.«

»Wie, Ihr habt keine Zeit?« – »Nein, es ist elf Uhr, und um Mitternacht muß ich auf meinem Posten sein.

»Geht doch, Ihr scherzt wohl.«

»Mein Herr Baron,« erwiderte Richon mit ernstem Tone, »Ihr seid Militär und kennt folglich die Strenge des Dienstes.«

»Warum seid Ihr dann nicht abgegangen, ehe Ihr mir das Geld abgewonnen hattet?« sagte Canolles halb lachend, halb mürrisch.

»Macht Ihr es mir vielleicht zum Vorwurf, daß ich Euch einen Besuch abstattete?« – »Gott behüte! Ich habe nur nicht die geringste Lust zu schlafen und werde mich hier furchtbar langweilen.«

Hierauf füllte Canolles die Gläser, und Richon entfernte sich, nachdem er auf die Gesundheit des Barons getrunken hatte, ohne daß es diesem nur in den Kopf kam, erfahren zu wollen, auf welchem Wege er sich entfernte. Aber allein mitten unter halb abgebrannten Kerzen, leeren Flaschen und zerstreuten Karten fühlte sich der Baron in eine jener traurigen Stimmungen versetzt, die man nur versteht, wenn man sie selbst erlebt hat; denn seine ganze Heiterkeit hatte nur seinen ersten Verdruß betäuben sollen.

Er schleppte sich also nach seinem Schlafzimmer und warf durch die Scheiben des Ganges einen Blick voll Kummer und Zorn nach dem vereinzelten Hause, von dem ein Fenster von einem rötlichen Schimmer beleuchtet war, und das von Zeit zu Zeit von Schatten durchzogen wurde, woraus deutlich genug hervorging, daß Fräulein von Lartigues ihre Nacht weniger einsam zubrachte, als er.

Auf der ersten Stufe der Treppe stieß Canolles mit seinem Stiefel an etwas. Er bückte sich und hob einen der kleinen perlgrauen Handschuhe des Vicomte auf, den dieser bei seiner eiligen Entfernung aus dem Gasthause hatte fallen lassen.

Was übrigens auch Canolles in einem Augenblicke der Menschenfeindlichkeit, der einem getäuschten Liebhaber wohl zu verzeihen war, denken mochte, es herrschte in dem kleinen einsamen Hause keine größere Freude, als im Gasthause zum Goldenen Kalb.

Unruhig wälzte Nanon die ganze Nacht hindurch tausend Pläne in ihrem Gehirn umher, um Canolles in Kenntnis zu setzen; sie suchte alles, was in dem Kopfe einer klugen Frau an Geist und List enthalten ist, zusammen, um sich der mißlichen Lage zu entziehen, in der sie sich befand. Es handelte sich nur darum, dem Herzog eine Minute zu stehlen, um mit Francinette zu sprechen, oder zwei Minuten, um eine Zeile an Canolles auf ein Stück Papier zu schreiben.

Aber es war, als vermutete der Herzog alles, was in ihr vorging, als läse er die Unruhe ihres Geistes durch die heitere Maske, mit der sie ihr Gesicht bedeckt hatte, und als hätte er sich selbst geschworen, ihr nicht einen Augenblick Freiheit zu lassen.

Nanon hatte Migräne, Herr von Epernon wollte ihr nicht erlauben aufzustehen, um ihr Riechfläschchen zu holen, sondern holte es selbst.

Nanon stach sich mit einer Nadel, wodurch plötzlich ein Rubin an der Spitze ihres zarten Fingers erschien; sie wollte in ihrem Necessaire ein Stückchen Rosataffet holen. Unermüdlich in seiner Zuvorkommenheit stand Herr von Epernon auf, schnitt das Stückchen Rosataffet mit verzweiflungserregender Geschicklichkeit ab und verschloß das Necessaire wieder.

Nanon stellte sich, als wäre sie in tiefen Schlaf versunken; sogleich fing der Herzog auch an zu schnarchen; da öffnete Nanon ihre Augen wieder und versuchte es, im Schein der Nachtlampe, aus dem in der Nähe ihres Bettes und im Bereich ihrer Hand liegenden Leibrock des Herzogs dessen Schreibtafel zu ziehen; aber in dem Augenblick, wo sie bereits den Bleistift in ihren Fingern hielt und ein Blatt ausgerissen hatte, öffnete der Herzog ein Auge und sagte: »Was macht Ihr, mein Herzchen?« – »Ich suchte, ob kein Kalender in Eurer Schreibtafel wäre.«

»Wozu?« – »Um zu sehen, auf welchen Tag Euer Namensfest fällt.«

»Ich heiße Louis, und mein Namenstag fällt auf den 24. August, wie Ihr wißt; Ihr habt also gehörig Zeit, Euch darauf vorzubereiten.«

Und er nahm ihr die Schreibtafel aus der Hand und steckte sie in seinen Rock.

Verzweiflungsvoll drehte sich Nanon der Wand zu und erwartete den Tag mit begreiflicher Bangigkeit.

Sobald dieser Tag am Gipfel der Pappelbäume zu erscheinen begann, erhob sich der soldatisch gewöhnte Herzog sofort, kleidete sich selbst an, um seine kleine Nanon nicht einen Augenblick zu verlassen, hüllte sich in einen Schlafrock und läutete, um zu erfahren, ob nichts Neues vorgefallen sei.

Francinette übergab auf diese Frage ein Päckchen mit Depeschen, die in der Nacht ein Kurier gebracht hatte.

Der Herzog fing an, sie zu entsiegeln, und las mit einem Auge; das andere Auge, dem der Herzog den verliebtesten Ausdruck zu geben suchte, verließ Nanon nicht.

Nanon hätte den Herzog in Stücke zerrissen, wenn sie imstande gewesen wäre.

»Wißt Ihr,« sagte der Herzog, nachdem er einen Teil der Depeschen gelesen hatte, »wißt Ihr, was Ihr tun solltet, liebe Freundin?« – »Nein, Monseigneur, aber wenn Ihr Befehle geben wolltet, so würde man sich danach richten.«

»Ihr solltet Euren Bruder holen lassen. Ich erhalte soeben von Bordeaux einen Brief, der die von mir gewünschte Auskunft enthält; er könnte sogleich abreisen, und bei seiner Rückkehr hätte ich einen Vorwand, ihm das Kommando zu übergeben, um das Ihr mich für ihn gebeten habt.«

Das Antlitz des Herzogs drückte das unzweideutigste Wohlwollen aus.

»Auf,« sagte Nanon zu sich selbst, »Mut gefaßt! Ich darf hoffen, daß Canolles in meinen Augen lesen oder ein halbes Wort verstehen wird.«

Dann antwortete sie laut: »Schickt selbst, mein lieber Herzog!« denn sie vermutete, der Herzog würde sie nicht gewähren lassen, wenn sie die Sache besorgen wollte.

Der Herzog von Epernon rief Francinette und beauftragte sie, sich nach dem Gasthause zum Goldenen Kalbe zu begeben, ohne eine andere Instruktion, als die Worte: »Sagt dem Herrn Baron von Canolles, Fräulein von Lartigues erwarte ihn beim Frühstück.«

Mit klopfendem Herzen erwartete Nanon die Rückkehr ihrer Zofe und das Eintreffen ihres Geliebten: Krampfhaft suchte sie nach Begrüßungsworten, die für den Herzog unverfänglich klängen und den Baron sofort über die Situation aufklären könnten, als Francinette allein mit der Nachricht wiederkam, der Baron von Canolles sei nicht mehr im Goldenen Kalb.

Der Herzog machte große Augen und wurde düster. Nanon warf den Kopf zurück und atmete auf.

»Wie,« sagte der Herzog, »der Baron von Canolles ist nicht mehr im Gasthause zum Goldenen Kalb?« – »Du täuschest dich sicher, Francinette,« fügte Nanon hinzu.

»Madame,« erwiderte Francinette, »ich wiederhole, was mir Herr Biscarros selbst gesagt hat.«

»Er wird alles erraten haben, dieser liebe Canolles,« murmelte Nanon ganz leise. »Ebenso gescheit, ebenso gewandt, wie mutig und schön.«

»Holt mir sogleich den Meister Biscarros,« sagte der Herzog mit der Miene seiner schlimmen Stunden; und um jedem Betrug zuvorzukommen, sandte er lieber statt der Zofe seinen Kurier, indem er sagte: »Gehe zum Wirt zum Goldenen Kalb, sage ihm, er solle hierherkommen und den Küchenzettel zu einem Frühstück mitbringen. Gib ihm diese zehn Louisdor, damit er ein gutes Mahl bereitet. Vorwärts.«

Courtauvaux, der Kurier, empfing das Gold und entfernte sich, um den Befehl seines Gebieters zu vollziehen.

Er war ein Diener von gutem Hause, der sein Handwerk, wohl verstand. Er suchte Biscarros auf und sagte zu ihm: »Ich habe den gnädigen Herrn überredet, ein feines Frühstück bei Euch zu bestellen; er hat mir acht Louisdor gegeben, zwei behalte ich natürlich für die Kommission; hier sind sechs für Euch, kommt geschwind.«

Zitternd vor Freude band Biscarros eine weiße Schürze um seine Hüften, steckte die sechs Louisdor ein, drückte Courtauvaux die Hand und eilte dem Kurier nach, der ihn im schnellsten Laufe nach dem kleinen Hause führte.

Seine Schürze artig in den Gürtel zurückgeschlagen und die Mütze in der Hand, trat er ein.

»Ihr habt gestern einen jungen Edelmann bei Euch, gehabt,« sagte Nanon, »den Herrn Baron von Canolles, nicht wahr?«

»Was ist aus ihm geworden?« fragte der Herzog.

Sehr in Unruhe, denn der Kurier und die sechs Louisdor ließen ihn ahnen, daß eine große Person unter dem Schlafrock verborgen war, antwortete Biscarros anfangs ausweichend: »Gnädiger Herr, er ist abgereist.«

»Abgereist,« sagte der Herzog, »wirklich abgereist?« – »Wirklich abgereist.«

»Wohin ist er gegangen?« – »Das kann ich nicht sagen, denn in Wahrheit, ich weiß es nicht, Madame.«

»Ihr wißt wenigstens, welchen Weg er eingeschlagen hat?« – »Den Weg nach Paris.«

»Um wieviel Uhr hat er diesen Weg eingeschlagen?« – »Gegen Mitternacht.«

»Und ohne etwas zu sagen?« – »Ohne etwas zu sagen; er hat nur einen Brief zurückgelassen, mit dem Befehl, ihn an Fräulein Francinette zu übergeben.«

»Und warum habt Ihr den Brief nicht abgegeben, Schuft?« sagte der Herzog. »Ist das Eure Achtung vor dem Befehle eines Edelmannes?« – »Ich habe ihn übergeben, gnädiger Herr.«

»Francinette!« rief der Herzog.

Francinette, die horchte, machte nur einen Sprung aus dem Vorzimmer ins Schlafzimmer.

»Warum hast du den Brief deiner Gebieterin nicht übergeben, den Herr von Canolles für sie zurückließ?«

Ein doppelter Blitz schoß aus Nanons Augen auf den Wirt und erdolchte ihn gleichsam in seiner Ecke.

Der Unglückliche schwitzte große Tropfen und hätte gern die Louisdor gegeben, die er in seiner Tasche hatte, hätte er dafür mit dem Stiel einer Kasserolle in der Hand vor seinem Herde gestanden.

Während dieser Zeit nahm der Herzog den Brief, öffnete ihn und las. Solange er las, stand Nanon kälter und bleicher als eine Bildsäule da und fühlte kein Leben mehr in ihrem Herzen.

»Was bedeutet dieses verwirrte Geschreibsel?« sagte der Herzog.

Nanon begriff nach diesen paar Worten, daß der Brief sie nicht gefährdete, und erwiderte: »Lest laut, ich kann es Euch vielleicht erklären.«

»Teure Nanon,« las der Herzog.

Und nach diesen Worten wandte er sich nach der jungen Frau um, die sich immer mehr beruhigte und seinen Blick mit bewunderungswürdiger Keckheit aushielt.

»Teure Nanon,« fuhr der Herzog fort, »ich benutze den Urlaub, den ich Euch zu verdanken habe, und mache zu meiner Zerstreuung einen kleinen Galopp auf der Straße nach Paris. Auf Wiedersehen; ich empfehle Euch mein Glück.«

»Oh! er ist ein Narr, dieser Canolles!«

»Ein Narr! warum?« fragte Nanon.

»Reist man so ohne allen Grund um Mitternacht ab?«

»In der Tat,« sagte Nanon mit sich selbst sprechend.

»Sprecht, erklärt mir diese Abreise!«

»Ei, mein Gott! Monseigneur,« erwiderte Nanon mit einem reizenden Lächeln, »nichts ist leichter.«

»Sie nennt ihn auch Monseigneur!« murmelte Biscarros. »Offenbar ein Prinz.«

»Sprecht, sprecht!«

»Wie, Ihr könnt es Euch nicht denken?«

»Wohl, Canolles ist siebenundzwanzig Jahre alt; er ist jung, schön, leichtsinnig. Welcher Torheit glaubt Ihr, daß er den Vorzug gönnt? Der Liebe. Er hat wohl an dem Gasthause des Biscarros eine hübsche Reisende vorüberkommen gesehen, und ist ihr dann wahrscheinlich gefolgt.«

Diese Vermutung Nanons wurde vom Wirt bestätigt, der redselig von einem in seinem Gasthause eingekehrten kleinen Kavalier erzählte, der so fein und zierlich gewesen sei und abends Furcht gehabt habe, so daß er sich bald gedacht habe, der Kavalier sei eine Dame.

»Fahrt fort,« sagte Nanon mit gezwungener Miene, »das ist reizend. Ohne Zweifel erwartete der junge Edelmann Herrn von Canolles?«

»Nein, nein, er erwartete zum Abendessen einen großen Herrn mit einem Schnurrbart und schien sogar nicht gut auf Herrn von Canolles zu sprechen, als er mit ihm zu Nacht speisen wollte; aber der wackere Edelmann ließ sich durch eine solche Kleinigkeit nicht aus der Fassung bringen. Das ist ein unternehmender Kamerad, wie es scheint, und nach der Abreise des Großen, der rechts abgegangen war, eilte er dem Kleinen nach, der sich nach links gewendet hatte.«

»Aber woher wißt Ihr denn so sicher,« sagte Nanon, von Eifersucht gefoltert, »daß dieser kleine Edelmann eine Frau war, daß Herr von Canolles in sie verliebt ist, und nicht vielmehr aus Langweile und Laune auf der Landstraße umherzieht?«

»Nun,« sagte Biscarros, »ich begegnete auf der Treppe Herrn von Canolles; in der linken Hand hielt er seine Kerze, in der rechten einen kleinen Handschuh, den er leidenschaftlich betrachtete und beroch.«

»Oh! oh! oh! rief der Herzog, der bei den Worten des Wirtes um so heiterer wurde, je mehr er für sich zu fürchten aufhörte.

»Einen Handschuh!« wiederholte Nanon, indem sie sich zu erinnern suchte, ob sie nicht ein solches Pfand im Besitze ihres Ritters gelassen hätte, »einen Handschuh von dieser Art?«

Und sie zeigte dem Wirt einen von ihren Handschuhen.

»Nein,« sagte Biscairos, »einen Männerhandschuh.«

»Einen Männerhandschuh! Herr von Canolles betrachtete und beroch einen Männerhandschuh! Ihr seid ein Narr!«

»Nein, denn es war ein Handschuh von dem kleinen Edelmann, von dem hübschen, blonden Kavalier, der nicht aß, nicht trank und bei Nacht Furcht hatte; ein ganz kleiner Handschuh, in den Madames Hand kaum hineingekommen wäre, obgleich Madame gewiß eine sehr schöne Hand hat'«

Nanon stieß einen halblauten dumpfen Schrei aus, als wäre sie von einem unsichtbaren Pfeile getroffen worden.

»Ich hoffe,« sagte sie mit einer heftigen Anstrengung, »Ihr seid nun hinreichend unterrichtet, Monseigneur, und wißt alles, was Ihr zu wissen wünscht.«

Während aber der Herzog noch ein paar Worte mit Meister Biscarros wechselte und ihm zum Lohn für seine ihn so befriedigende Erzählung noch sechs Louisdor gab, hatte Nanon Zeit, alles zu überdenken.

Bei ihrer großen Liebe zu Herrn von Canolles fühlte sie sich bald geneigt, ihn vor ihren eigenen Augen zu rechtfertigen. Sie dachte daran, wie enttäuschend für ihn die Lage im Goldenen Kalb gewesen sein müsse. Sie war so verliebt, daß sie das Benehmen des Barons einem Anfalle von Eifersucht zuschrieb und sich beinahe Glück wünschte, so sehr von ihm geliebt zu werden, daß sie dadurch eine kleine Rache von seiner Seite hervorgerufen habe. Aber vor allem mußte das Übel an der Wurzel abgeschnitten werden; sie mußte den Fortschritt dieser kaum entstehenden Liebe hemmen.

Sich mit ihrer ganzen Energie bewaffnend, wandte sie sich an den Herzog und sagte: »Welch ein Unglück, Monseigneur, daß die Unbesonnenheit des närrischen Canolles ihn einer Ehre beraubt, wie Ihr sie ihm angedeihen lassen wolltet! Wenn er erschien, so war seine Zukunft gesichert; durch seine Abwesenheit verliert er sie vielleicht ganz und gar.«

»Was ist zu tun, mein Herzchen?« erwiderte Herr von Epernon. »Die Jugend ist das Alter des Vergnügens; er ist jung und belustigt sich.«

»Aber ich,« versetzte Nanon, »ich, die vernünftiger ist als er, wäre der Meinung, man sollte diese unzeitige Freude ein wenig stören.«

»Ah, die zänkische Schwester!« rief der Herzog.

»Er wird mir vielleicht im Augenblick grollen,« fuhr Nanon fort, »aber sicherlich später Dank wissen.«

»Nun, laßt hören, habt Ihr einen Plan? Mir ist es ganz lieb: Wenn Ihr einen habt, so nehme ich ihn an.«

»Wie wäre es, wenn Ihr ihn zur Königin schickt, um eine dringende Nachricht zu überbringen?«

»Wenn er aber noch nicht zurückgekommen ist?« – »Laßt ihm nachsetzen, und da er sich auf der Straße nach Paris befindet, so hat er ja schon ein Stück des Weges zurückgelegt.«

»Ihr habt bei Gott recht.«

»Beauftragt mich hiermit, und Canolles hat den Befehl schon an diesem Abend oder spätestens morgen, dafür stehe ich Euch.«

»Aber wen werdet Ihr schicken?« – »Braucht Ihr Courtauvaux?« – »Ich? Nein.«

»Gebt ihn mir, und ich schicke ihn mit meinen Instruktionen ab. Wir wollen aber keine Zeit verlieren. Schreibt Euren Befehl, Herzog, und stellt Courtauvaux zu meiner Verfügung.«

Der Herzog nahm eine Feder und schrieb auf ein Stück Papier nur die zwei Worte: »Bordeaux – nein!« und unterzeichnete.

Nanon aber schrieb vor den Augen des Herzogs dazu: »Mein lieber Baron, beifolgende Depesche ist, wie Ihr seht, für Ihre Majestät die Königin bestimmt. Bei Eurem Leben überbringt sie auf der Stelle. Es handelt sich um das Wohl des Königreiches.

Eure gute Schwester Nanon

Nanon hatte kaum dieses Billett vollendet, als man das Geräusch eiliger Schritte unten an der Treppe vernahm, und Courtauvaux öffnete, rasch heraufsteigend, die Tür mit dem freudigen Gesichte eines Menschen, der eine Nachricht bringt, von der er weiß, daß sie ungeduldig erwartet wird.

»Hier ist Herr von Canolles, den ich nur hundert Schritte von diesem Hause getroffen habe,« sagte er.

Der Herzog stieß einen Ausruf wohlgefälligen Erstaunens aus. Nanon erbleichte, murmelte: »Es steht also geschrieben, daß ich ihm nicht ausweichen kann,« und lief nach der Tür.

In diesem Augenblick erschien auf der Schwelle eine neue Person, gekleidet in ein prachtvolles Gewand, ihren Hut in der Hand haltend und auf das anmutigste lächelnd.


Fünftes Kapitel.

Hätte der Blitz zu Nanons Füßen eingeschlagen, so hätte sie nicht verblüffter sein können, als über diese unerwartete Erscheinung, und es hätte ihr keinen schmerzlicheren Ausruf entrissen, als der war, der unwillkürlich ihrem Munde entfuhr.

»Er!« rief sie.

»Allerdings, mein gutes Schwesterchen,« antwortete eine freundliche Stimme. »Doch um Vergebung,« fuhr der Eigentümer dieser Stimme fort, als er den Herzog von Epernon erblickte, »um Vergebung, ich belästige Euch vielleicht?«

Und er verbeugte sich bis auf den Boden vor dem Gouverneur von Guienne, der ihn mit einer wohlwollenden Gebärde empfing.

»Cauvignac,« murmelte Nanon, aber so leise, daß dieser Name eher mit dem Herzen, als mit den Lippen ausgesprochen wurde.

»Seid willkommen, Herr von Canolles,« sagte der Herzog mit der freundlichsten Miene. »Eure Schwester und ich haben seit gestern abend nur von Euch gesprochen, und seit gestern abend verlangen wir nach Euch.«

»Ah, Ihr verlangt nach mir, in der Tat?« sagte Cauvignac und warf auf Nanon einen Blick, in dem ein unbeschreiblicher Ausdruck von Ironie und Zweifel lag.

»Ja,« sagte Nanon, »der Herr Herzog hat die Güte gehabt, zu wünschen, daß Ihr ihm vorgestellt würdet.«

»Nur die Furcht zudringlich zu erscheinen,« versetzte Cauvignac, abermals sich verbeugend, »hat mich abgehalten, früher um diese Ehre zu bitten.«

»In der Tat, Baron,« erwiderte der Herzog, »ich habe Euer Zartgefühl bewundert, muß Euch aber einen Vorwurf darüber machen.«

»Mir, Monseigneur, einen Vorwurf über mein Zartgefühl? Ah! ah!«

»Ja, und wenn Eure gute Schwester nicht für Eure Angelegenheiten gesorgt hätte . . .«

»Ah!« sagte Cauvignac, einen Blick beredten Vorwurfes auf Nanon werfend; »ah, meine gute Schwester hat für die Angelegenheiten . . .«

»Ihres Bruders gesorgt,« versetzte Nanon lebhaft. »Was ist natürlicher?«

»Und heute noch, wem verdanke ich das Vergnügen, Euch zu sehen?«

»Ja,« sagte Cauvignac, »wem verdankt Ihr das Vergnügen, mich zu sehen, Monseigneur?« – »Wohl dem Zufall, einzig und allein dem Zufall, der Eure Rückkehr bewirkte.«

»Ah!« sagte Cauvignac zu sich selbst, »es scheint, ich war abgereist.«

»Ja, Ihr wart abgereist, schlechter Bruder, und zwar, ohne mich durch mehr als zwei Worte, die meine Unruhe noch verdoppelten, davon in Kenntnis zu setzen.«

»Was wollt Ihr, liebe Nanon? Man muß den Verliebten wohl etwas hingehen lassen,« erwiderte der Herzog lächelnd.

»Oh! oh! die Sache wird verwickelt,« sagte Cauvignac zu sich selbst. »Ich bin verliebt, wie es scheint.«

»Gesteht, daß Ihr es seid,« sagte Kanon.

»Ich werde es nicht leugnen,« versetzte Cauvignac mit einem siegreichen Lächeln und suchte aus allen Augen irgend einen kleinen Brocken Wahrheit herauszufischen, mit dessen Hilfe er eine gute, große Lüge zusammensetzen könnte.

»Ja, ja,« sagte der Herzog, »aber wir wollen frühstücken, wenn es Euch gefällig ist. Ihr erzählt uns Eure Liebschaft beim Frühstück. Francinette, ein Gedeck für Herrn von Canolles. Ihr habt hoffentlich noch nicht gefrühstückt, Kapitän?«

»Nein, Monseigneur, und ich gestehe sogar, daß die frische Morgenluft meinen Appetit wunderbar geschärft hat.«

»Sagt die Nachtluft, schlimmer Mann,« versetzte der Herzog; »denn seit gestern lauft Ihr auf der Landstraße umher.«

»Wahrhaftig,« sagte Cauvignac ganz leise, »der Schwager hat es richtig erraten. Nun, es sei, ich gestehe, die Nachtluft.«

»Was macht Ihr Gutes, Canolles?« sagte der Herzog vertraulich zu Cauvignac, als sich alle drei zu Tische gesetzt hatten. »Wohl verstanden, ich spreche nicht von der Liebe.«

»Sprecht im Gegenteil davon, Monseigneur, tut Euch keinen Zwang an,« sagte der junge Mann, dem der Médoc und der Burgunder zusammen die Zunge zu lösen anfingen.

»Oh! Monseigneur, er versteht sehr gut einen Spaß,« bemerkte Nanon.

»Wir können ihn also auf das Kapitel von dem kleinen Edelmann, bringen?« fragte der Herzog,

»Ja,« sagte Nanon, »von dem kleinen Edelmann, den Ihr gestern abend getroffen habt.«

»Ah! ja, auf meinem Wege.«

»Und dann im Gasthause von Meister Biscarros,« fügte der Herzog hinzu.

»Und dann in dem Gasthause von Meister Biscarros,« versetzte Cauvignac. »Das ist allerdings wahr!«

»Ihr seid ihm also wirklich begegnet?« fragte Nanon.

»Diesem kleinen Edelmann? Ja.«

»Wie sah er aus? Laßt hören, sagt es mir offenherzig.«

»Wahrhaftig,« versetzte Cauvignac, »es war ein reizendes Männchen, blond, schlank, zierlich.«

»So ist es,« sagte Nanon, sich in die Lippen beißend.

»Und Ihr seid verliebt in ihn?« – »In wen?« – »In den blonden, kleinen, schlanken, zierlichen Edelmann.«

»Oho! Monseigneur! Was wollt Ihr damit sagen?« rief Cauvignac, der nahe daran war aufzufahren.

»Tragt Ihr immer noch den kleinen perlgrauen Handschuh an Eurem Herzen?« fuhr der Herzog mit tückischem Lachen fort.

»Den kleinen perlgrauen Handschuh?« – »Ja, den Handschuh, den Ihr gestern abend so leidenschaftlich berocht und küßtet.«

Cauvignac verstand nichts von alledem.

»Den Handschuh, der Euch den Betrug, die Me-ta-mor-pho-se erraten ließ.«

Cauvignac begriff aus diesem einzigen Worte alles.

»Ah!« rief er, der Edelmann war also eine Frau? Bei meinem Ehrenwort! Ich vermutete es.«

»Es unterliegt keinem Zweifel mehr,« murmelte Nanon.

»Gebt mir doch zu trinken, Schwester,« sagte Cauvignac. »Ich weiß nicht, wer die Flasche geleert hat, die vor mir steht, aber es ist nichts mehr darin.«

»Nun, nun,« rief der Herzog, »da gibt es Mittel; denn seine Liebe hindert ihn nicht, zu essen und zu trinken, und die Angelegenheiten des Königs werden nicht darunter leiden.«

»Die Angelegenheiten des Königs darunter leiden? Nie! Die Angelegenheiten des Königs vor allen Dingen. Die Angelegenheiten des Königs, das ist heilig! Auf die Gesundheit Seiner Majestät, Monseigneur!«

»Man kann also auf Eure Ergebenheit zählen, Baron?« – »Auf meine Ergebenheit gegen den König? Ich glaube wohl, daß man darauf zählen kann. Ich würde mich für ihn in Stücke hauen lassen.«

»Diese Wärme gefällt mir,« sagte der Herzog. »Wendet Euch künftig stets an mich, wenn Ihr irgend welcher Hilfe bedürft. Fürs erste bleibt aber hier, während ich einen gewissen Burschen vornehmen will. Aber vielleicht, Baron, könnt Ihr mir Auskunft über diesen Banditen geben?«

»Gern,« antwortete Cauvignac, »nur muß ich wissen, von welchem Banditen Monseigneur spricht; es gibt zur Zeit viele und von jeder Art.«

»Ihr habt recht; aber dieser ist einer von den Unverschämtesten, die mir je vorgekommen sind.«

»Wirklich!« rief Cauvignac.

Der Herzog erzählte nun dem innerlich lachenden Cauvignac, wie er, von Eifersucht getrieben, sich habe ein Blankett ablisten lassen.

»Aber,« fügte der Herzog hinzu, »ich werde schon eines Tages erfahren, wer dieser Strauchdieb gewesen ist. Ich habe zu diesem Zweck meine Maßregeln getroffen. Doch es wäre mir lieber, ich wüßte es sogleich.«

»Ah!« versetzte Cauvignac, die Ohren spitzend, »ah, Ihr habt zu diesem Zweck Eure Maßregeln getroffen?« – »Ja, ja, und der Bursche müßte viel Glück haben, wenn ihn sein Blankett nicht an den Galgen brächte.«

»Und wie wollt Ihr dieses Blankett von den andern unterscheiden, Monseigneur?« – »Ich habe ein Zeichen daran gemacht.«

»Ein Zeichen?« – »Ja, unsichtbar für jeden, aber ich werde es mit Hilfe eines chemischen Verfahrens erkennen.«

»Halt, halt, halt!« sagte Cauvignac; »das ist sehr geistreich, Monseigneur. Aber man muß auf der Hut sein, daß er die Falle nicht vermutet.«

»Oh, es ist keine Gefahr. Wer soll es ihm sagen?« – »Ja, das ist wahr,« versetzte Cauvignac, »weder Nanon, noch ich . . .«

»Ich auch nicht,« sagte der Herzog.

»Ihr auch nicht! Ihr habt also recht, Monseigneur, Ihr müßt unfehlbar eines Tages erfahren, wer dieser Mensch ist, und dann . . .«

»Und dann, da ich meines Wortes quitt gegen ihn bin, denn man wird ihm für das Blankett das Gewünschte gegeben haben, lasse ich ihn hängen.«

»Amen!« sagte Cauvignac.

»Und nun,« fuhr der Herzog fort, »da Ihr mir keine Auskunft über diesen Burschen geben könnt . . .«

»Nein, in der Tat, Monseigneur, ich kann es nicht.«

»Wohl, ich lasse Euch, wie ich vorhin sagte, mit Eurer Schwester. Nanon,« fuhr der Herzog fort, »gebt diesem jungen Manne genaue Instruktionen, und er soll besonders keine Zeit verlieren.«

»Seid ruhig, Monseigneur.«

»Also Gott befohlen!«

Der Herzog grüßte Nanon anmutig mit der Hand, machte eine freundschaftliche Gebärde gegen Cauvignac und stieg mit dem Versprechen, wahrscheinlich noch an demselben Tage zurückzukehren, die Treppe hinab.

Nanon begleitete den Herzog auf den Vorplatz.

»Pest!« sagte Cauvignac, »der würdige Herr hat wohl daran getan, mich in Kenntnis zu setzen. Er ist nicht so dumm, als er aussieht! Aber was soll ich mit dem Blankett machen? Verdammt! was man mit einem Wechsel macht; ich werde es diskontieren.«

»Nun, mein Herr,« sagte Nanon zurückkehrend und die Türe schließend, »jetzt haben wir beide miteinander zu tun.«

Nanon erfuhr nun durch Fragen von ihrem Bruder, daß dieser aus dem Karmeliterkloster entwichen war, wohin er sich gemäß seinem Versprechen begeben hatte, um in den geistlichen Stand zu treten, und wohin ihm die Schwester jährlich hundert Pistolen schickte.

Sie erfuhr weiter, daß ihr Bruder sodann als wahl- und skrupelloser Parteigänger auf jede Weise durch Verrat oder Gewalt, bald diesem, bald jenem Mächtigen dienend, sich durchgeschlagen habe.

»Welch ein Gewebe von Abscheulichkeiten!« rief sie aus, als er zu Ende war.

»Nein, meine liebe Schwester, das sind die Notwendigkeiten des Bürgerkrieges.«

»Ich begreife jetzt, wie ein Mensch, der zu solchen Dingen fähig ist, wagen konnte, was Ihr gestern gewagt habt.«

»Was habe ich denn getan?« fragte Cauvignac mit der unschuldigsten Miene der Welt, »was habe ich gewagt?« – »Ihr habt es gewagt, eine so angesehene Person wie Herrn von Epernon ins Gesicht zu betrügen. Aber das habe ich, ich gestehe es, nie gedacht, daß ein Bruder, den ich mit Wohltaten überhäuft, kaltblütig den Plan entwerfen könnte, seine Schwester zugrunde zu richten!« – »Ich? Meine Schwester zugrunde richten!« – »Ja Ihr! Ich brauchte nicht Eure Erzählung abzuwarten, die mir beweist, daß Ihr zu allem fähig seid, um die Handschrift des Billetts zu erkennen. Seht! wollt Ihr leugnen, daß dieser anonyme Brief von Eurer Hand ist?«

Entrüstet legte Nanon den verräterischen Brief, den ihr der Herzog am Abend vorher zugestellt hatte, ihrem Bruder vor die Augen.

Cauvignac las ihn, ohne aus der Fassung kommen.

»Nun,« sagte er, »was habt Ihr gegen diesen Brief? Findet Ihr ihn etwa schlecht abgefaßt?«

»Es handelt sich nicht um die Abfassung, sondern um die Sache selbst. Seid Ihr es oder seid Ihr es nicht, der diesen Brief geschrieben hat?«

»Ich bin es allerdings. Hätte ich leugnen wollen, so würde ich meine Handschrift verstellt haben; aber das war unnötig. Es war nie meine Absicht, mich vor Euren Augen zu verbergen. Ich wünschte sogar, daß Ihr erkennen solltet, daß der Brief von mir kam.«

»Ihr gesteht es!« rief Nanon mit einer Gebärde des Abscheus.

»Das ist ein Rest von Demut, liebe Schwester. Ja, ich muß Euch sagen, ich wurde durch eine Art von Rache angetrieben.«

»Von Rache?« – »Ja, von einer sehr natürlichen.«

»Rache gegen mich, Unglücklicher! Bedenkt Ihr auch, was Ihr sagt? Was habe ich Euch Böses zugefügt, daß Euch der Gedanke kommt, Rache an mir zu nehmen?«

»Was Ihr mir getan habt? Ah! Nanon, versetzt Euch an meine Stelle. Ich verlasse Paris, weil ich dort zu viel Feinde hatte; das ist das Unglück aller Politiker. Ich wende mich an Euch, ich flehe Eure Hilfe an. Erinnert Ihr Euch? Ihr habt drei Briefe erhalten. Ihr werdet wohl nicht sagen, Ihr habt meine Handschrift nicht erkannt. Es war ganz die des anonymen Billetts, und überdies hatte ich die Briefe unterzeichnet. Ich schrieb drei Briefe an Euch und bat um hundert armselige Pistolen. Hundert Pistolen von Euch, die Millionen besitzt! Nun wohl, meine Schwester stößt mich zurück. Ich zeige mich bei meiner Schwester, meine Schwester läßt mich abweisen. Ich erfahre, meine Schwester sei frei, glücklich, reich, sehr reich, und ein Fremder, ein Baron von Canolles, maße sich meine Rechte an und lasse sich von ihr an meiner Stelle protegieren. Nun verdrehte mir die Eifersucht den Kopf.«

»Sagt die Habgier. Ich frage Euch, was ging es Euch an, daß ich mit Herrn von Canolles in Verbindung stand?«

»Mich? nichts, und ich hätte nicht daran gedacht, mich darüber zu beunruhigen, wenn Ihr Eure Verbindung mit mir fortgesetzt hättet.«

»Wißt Ihr wohl, daß Ihr, wenn ich ein einziges Wort zu dem Herrn Herzog von Epernon sagte, wenn ich ihm ein unumwundenes Geständnis machte, verloren wärt? Ihr habt selbst soeben und aus seinem eigenen Munde gehört, was für ein Schicksal er dem bestimmt, der ihm sein Blankett gestohlen hat.«

»Sprecht nicht mehr davon; ich schauerte bis ins Mark meiner Knochen, und ich bedurfte meiner ganzen Selbstbeherrschung, um mich nicht zu verraten.«

»Vor allem hört nun zweierlei,« sagte Nanon mit kurzem Tone.

»Was, liebe Schwester? Sprecht, ich bitte Euch.«

»Erstens werdet Ihr dem Herzog das Blankett zurückgeben, sonst hängt man Euch. Ihr habt den Spruch aus seinem eigenen Munde gehört. Sodann entfernt Ihr Euch sogleich von hier, oder ich bin verloren, was Euch zwar an sich nichts ausmacht, aber Ihr stürzt Euch mit mir ins Verderben, ein Grund, der Euch vielleicht bewegen wird, auch mich zu schonen.«

»Zwei Antworten, liebe Dame: Dieses Blankett ist mein Eigentum, und Ihr könnt mich nicht abhalten, mich hängen zu lassen, wenn es mir gefällt.«

»Meinetwegen!«

»Ich danke! Aber seid unbesorgt, es wird dem nicht so sein. Ich habe Euch soeben meinen Widerwillen gegen diese Todesart ausgedrückt. Ich behalte also das Blankett, wenn Ihr nicht etwa Lust habt, es mir abzukaufen, in welchem Fall wir miteinander handeln können.«

»Ich brauche es nicht, ich erteile selbst Blankette.«

»Glückliche Nanon!«

»Ihr behaltet es also?« – »Ja.«

»Auf die Gefahr, was auch daraus entstehen mag?« – »Seid unbesorgt, ich weiß, wo ich es anbringe. In Eurem Verlangen, Euch meiner zu entledigen, vergeßt Ihr eines.«

»Was?« – »Den wichtigen Auftrag, von dem der Herzog gesprochen hat und der mein Glück machen soll.«

Nanon erbleichte.

»Aber, Unglücklicher,« sagte sie, »Ihr wißt wohl, daß dieser Auftrag nicht für Euch bestimmt ist. Ihr wißt wohl, daß ein solcher Mißbrauch mit der Lage der Dinge ein Verbrechen wäre, das früher oder später seine Strafe nach sich ziehen müßte.«

»Ich will auch keinen Mißbrauch, sondern einen Gebrauch davon machen.«

»Überdies ist Herr von Canolles in dem Auftrag genannt.«

»Heiße ich nicht Baron von Canolles?« – »Ja, aber man kennt dort nicht bloß seinen Namen, sondern auch sein Äußeres. Herr von Canolles ist wiederholt bei Hofe gewesen.«

»Das lasse ich mir gefallen, das ist ein guter Grund, und zwar der erste, den Ihr mir angebt; Ihr seht auch, ich füge mich darein.«

»Überdies würdet Ihr dort Eure politischen Feinde finden, und Euer Gesicht ist vielleicht, obgleich Ihr unter einer andern Gestalt erscheint, nicht minder bekannt, als das des Herrn von Canolles.«

»Oh! das würde nichts zu der Sache tun, wenn es, wie der Herzog gesagt hat, Zweck der Sendung ist, Frankreich einen großen Dienst zu leisten. Die Botschaft wird dem Boten durchhelfen. Ein Dienst von dieser Wichtigkeit schließt Begnadigung in sich, und die Amnestie für das Vergangene ist stets die erste Bedingung politischer Bekehrungen. Glaubt mir also, liebe Schwester, es ist nicht an Euch, mir Bedingungen zu machen, sondern an mir, Euch die meinigen vorzuschlagen.«

»Laßt hören, worin bestehen sie?« – »Vor allem, wie ich Euch soeben sagte, die erste Bedingung jedes Vertrages, das heißt allgemeine Amnestie.«

»Ist das alles?« – »Dann die Bezahlung unserer Rechnungen.«

»Ich bin Euch etwas schuldig, wie es mir scheint?« – »Ihr seid mir die hundert Pistolen schuldig, um die ich Euch bat, und die Ihr mir verweigertet.«

»Hier sind zweihundert.«

»Gut, daran erkenne ich Euch, Nanon.«

»Aber unter einer Bedingung.«

»Unter welcher?« – »Daß Ihr das Schlimme, was Ihr angerichtet, wieder gut macht.«

»Das ist nur zu billig. Was soll ich zu diesem Zwecke tun?« – »Ihr steigt zu Pferde und jagt auf der Straße von Paris fort, bis Ihr Herrn von Canolles gefunden habt.«

»Dann verliere ich seinen Namen?« – »Ihr gebt ihn ihm zurück.«

»Und was soll ich ihm sagen?« – »Ihr stellt ihm diesen Befehl zu und versichert Euch, daß er auf der Stelle zu dessen Vollstreckung abreist.«

»Ist das alles?« – »Ja.«

»Ist es notwendig, daß er erfährt, wer ich bin?« – »Im Gegenteil, es ist von größter Wichtigkeit, daß er es nicht weiß.«

»Ah, Nanon, solltet Ihr Euch Eures Bruders schämen?«

»Aber, wie bin ich sicher,« sagte sie nach einem Augenblick, »daß Ihr meinen Auftrag getreulich erfüllen werdet? Wenn es etwas Heiliges für Euch gäbe, würde ich einen Eid von Euch verlangen.«

»Tut etwas Besseres.«

»Was?« – »Versprecht mir hundert weitere Pistolen, wenn ich Euren Auftrag vollzogen habe.«^

Nanon zuckte die Achseln und erwiderte: »Es ist abgemacht.«

»Nun, seht, ich fordere keinen Eid von Euch, und Euer Wort genügt mir. Wir sagen also hundert Pistolen für die Person, die Euch in meinem Namen den Empfangschein von Herrn von Canolles zustellt.«

»Ja; aber Ihr sprecht von einem Dritten; gedenkt Ihr nicht selbst zurückzukommen?« – »Wer weiß? ein Geschäft ruft mich selbst in die Gegend von Paris.«

Nanon entschlüpfte unwillkürlich eine Bewegung der Freude.

»Oh! das ist nicht freundlich,« sagte Cauvignac lachend. »Doch gleichviel, liebe Schwester, ohne Groll.«

»Ohne Groll; aber zu Pferde.«

»Sogleich zu Pferde, laßt mir nur Zeit zum Steigbügeltrunke.«

Cauvignac goß in sein Glas den Rest der Flasche Burgunder, begrüßte seine Schwester mit einer achtungsvollen Gebärde, sprang zu Pferde und verschwand im Nu in einer Staubwolke.


Sechstes Kapitel.

Der Mond begann sich zu erheben, als der Vicomte, gefolgt von dem treuen Pompée, das Gasthaus des Meisters Biscarros verließ und auf der Straße nach Paris forteilte.

Nach ungefähr einer Viertelstunde, während deren sich der Vicomte ganz seinen Gedanken überließ und etwa anderthalb Meilen zurücklegte, wandte er sich nach seinem Reitknecht um, der ernst drei Schritte hinter seinem Herrn einherkam.

»Pompée,« fragte der junge Mann, »hast du vielleicht meinen rechten Handschuh?« – »Nicht, daß ich wüßte, gnädiger Herr.«

»Was machst du denn an deinem Felleisen?« – »Ich sehe, ob es gut angebunden ist, und ziehe die Riemen fester, damit es nicht klingt. Der Klang des Goldes bringt Unglück, gnädiger Herr, und veranlaßt besonders bei Nacht schlimme Zusammentreffen.«

»Das ist wohlgetan, Pompée,« versetzte der Vicomte, »und ich sehe es gern, daß du so sorgfältig und klug bist.«

»Das sind ganz natürliche Eigenschaften bei einem Soldaten, Herr Vicomte, Eigenschaften, die sich vortrefflich mit dem Mut vereinigen lassen. Da der Mut jedoch nicht Verwegenheit ist, so bedauere ich, offenherzig gestanden, daß Herr Richon uns nicht begleiten konnte; denn zwanzigtausend Livres sind, besonders in so stürmischen Zeiten wie die gegenwärtigen, schwer zu bewachen.«

»Was du da sagst, ist sehr gescheit, Pompée,« antwortete der Vicomte, »und ich bin in jeder Beziehung deiner Meinung.«

»Ich wage sogar zu behaupten,« fuhr Pompée, trotz aller Furcht durch die Billigung des Vicomte kühn gemacht, fort, »daß es unklug ist, sich so preiszugeben, wie wir es tun. Reiten wir also nebeneinander, wenn es Euch gefällig ist, damit ich meine Muskete untersuchen kann.«

»Nun, Pompée?« – »Das Feuerrad ist in gutem Zustand, und wer uns anhalten wollte, könnte eine schlimme Viertelstunde durchzumachen haben. Oh! oh! was seh' ich dort?«

Pompée wies entsetzt auf etwas Weißschimmerndes in der Ferne, das sich, sobald der Mond hinter den Wolken hervorkam, als ein paar Hemden erwies, die mit ausgespannten Ärmeln hinter einer Hecke zum Trocknen hingehängt waren.

Nachdem sich die beiden Helden von diesem unnützen Schrecken erholt hatten, überlegten sie sich, daß es für sie besser sei, sich im Schatten und nicht im Mondschein zu halten.

Jedoch bewahrte auch diese Vorsicht nicht vor einem neuen Abenteuer, da sie bald einen Schatten vor sich gehen sahen, der anscheinend eine Muskete trug. Nach längerem Bangen und Hangen ermannte sich Pompée so weit, daß er rief: »Holla! Freund, wer seid Ihr?«

Der Schatten hielt mit einer Bewegung sichtbaren Schreckens an, und es stellte sich heraus, daß es ein armer Handelsmann war, der nicht weniger Angst vor den Reitern gehabt hatte, als diese vor ihm. Der mitleidige Vicomte reichte dem Zitternden, selbst noch zitternd, mit seiner kleinen, weißen Hand eine halbe Pistole, worauf sich der arme Teufel, dem Himmel für dieses glückliche Zusammentreffen dankend, entfernte.

»Ihr habt unrecht gehabt, Herr Vicomte, Ihr habt sehr unrecht gehabt,« sagte Pompée nach zwanzig Schritten.

»Unrecht! worin?« – »Darin, daß Ihr diesem Menschen eine halbe Pistole gabt. Bei Nacht muß man nie zugestehen, daß man Geld hat. War nicht der erste Ruf dieses Hasenfußes, er habe keinen Pfennig bei sich?«

»Das ist richtig,« erwiderte der Vicomte lächelnd, »aber es war ein Hasenfuß, wie Ihr sagt, während wir, wie Ihr ebenfalls sagt, Kriegsleute sind, die nichts fürchten.«

»Zwischen Fürchten und Mißtrauen, Herr Vicomte, ist ein ebenso großer Unterschied, wie zwischen Bangigkeit und Klugheit. Ich wiederhole aber, es ist nicht klug, einem Unbekannten, den man auf der Landstraße trifft, zu zeigen, daß man Geld besitzt.«

»Wenn dieser Unbekannte aber allein und ohne Waffen ist?« – »Er kann einer bewaffneten Bande angehören; er kann ein Spion sein, den man vorgeschoben hat, um das Terrain zu rekognoszieren; er kann mit Massen zurückkommen, und was sollen zwei Menschen allein, so tapfer sie auch sein mögen, gegen Massen tun?«

Dieser Weisheit hatte der Vicomte nichts entgegenzusetzen und schwieg. Da es in einer Stunde Tag sein sollte, fing er auch wirklich an, sich zu beruhigen. Da hielten plötzlich beide Reiter, die inzwischen in den Wald bei dem Ort Marsas herum gelangt waren, an; sie hatten ganz deutlich hinter sich den Galopp mehrerer Pferde gehört.

Zu gleicher Zeit hoben ihre eigenen Pferde die Köpfe in die Höhe, und eines von ihnen wieherte.

»Diesmal,« sagte Pompée mit erstickter Stimme, »Herr Vicomte, werdet Ihr hoffentlich ein wenig Gelehrigkeit zeigen und die Sache der Erfahrung eines alten Soldaten überlassen. Ich höre eine Truppe berittener Leute; man verfolgt uns. Ah! es ist die Bande Eures falschen Handelsmanns. Ich sagte es Euch wohl. Keinen falschen Mut, retten wir unser Leben und unser Geld; die Flucht ist zuweilen ein Mittel zum Siege . . .«

»Wohl, fliehen wir, Pompée,« erwiderte der Vicomte zitternd.

Pompée gab beide Sporen; sein Pferd, ein vortrefflicher Rotschimmel, sprang unter dem Stachel mit einem Eifer, der das Berberroß des Vicomte entflammte, und beide jagten wie der Blitz auf dem Pflaster fort, aus dem die Funken sprangen.

Dieses Rennen dauerte ungefähr eine halbe Stunde; aber statt Boden zu gewinnen, kam es den zwei Flüchtlingen vor, als näherten sich ihre Feinde.

Plötzlich erhob sich mitten aus der Finsternis eine den Fliehenden gräßlich klingende Stimme, die Pompées graue Haare sich sträuben ließ.

»Sie rufen: ›Halt‹!« murmelte er, »sie rufen: ›Halt!‹«

»Nun, sollen wir anhalten?« fragte der Vicomte.

»Im Gegenteil, verdoppeln wir womöglich unsere Geschwindigkeit! Vorwärts! vorwärts!«

»Ja, ja, vorwärts! vorwärts!« rief der Vicomte, diesmal ebenso erschrocken wie sein Verteidiger.

»Sie kommen näher! hört Ihr sie?« sagte Pompée.

»Ach, ja.«

»Es sind ihrer mehr als dreißig. Hört Ihr? Sie rufen abermals. Wir sind verloren!«

»Reiten wir die Pferde tot!« sagte der Vicomte, am ganzen Leibe zitternd.

»Vicomte! Vicomte!« rief die Stimme. »Halt, halt, halt! alter Schuft!«

»Das ist einer, der uns kennt. Das ist einer, der weiß, daß wir der Frau Prinzessin Geld bringen. Das ist einer, der weiß, daß wir konspirieren. Wir werden lebendig gerädert!«

»Halt! halt!« fuhr die Stimme fort.

»Sie schreien, man solle uns aufhalten,« sagte Pompée, »sie haben Leute voraus; wir sind abgeschnitten!«

»Wenn wir uns auf die Seite, in dieses Feld hier werfen und unsere Verfolger vorüberziehen lassen?«

»Das ist ein Gedanke,« sagte Pompée, »vorwärts!«

Sie ließen ihre Tiere zugleich Zügel und Knie fühlen und wandten sich links. Das Pferd des Vicomte sprang, geschickt gehoben, über den Graben; aber das plumpere Pompées nahm zu wenig Rand; die Erde sank unter seinen Füßen, und es stürzte mit seinem Herrn nieder. Der arme Reitknecht stieß einen Schrei der Verzweiflung aus.

Der Vicomte, der bereits fünfzig Schritte auf dem Felde gemacht hatte, hörte diesen Unglücksruf, wandte, obgleich selbst voll Schrecken, sein Pferd um und kehrte zu seinem Gefährten zurück.

»Gnade!« rief Pompée. »Lösegeld! ich ergebe mich! Ich gehöre zu dem Hause Cambes.«

Ein ungeheures Gelächter antwortete auf dieses klägliche Geschrei, und der Vicomte, der in diesem Augenblick anlangte, sah Pompée den Steigbügel des Siegers umfassen, der ihn mit einer vor Lachen sich schüttelnden Stimme zu beruhigen suchte.

»Der Herr Baron von Canolles!« rief der Vicomte.

»Ja, bei Gott! Aber, Vicomte, es ist nicht schön, daß Ihr die Leute, die Euch suchen, so rennen laßt.«

»Der Herr Baron von Canolles!« wiederholte Pompée, immer noch an seinem Glücke zweifelnd. »Der Herr Baron von Canolles und Herr Castorin?«

»Ja, Herr Pompée,« sagte Castorin, sich auf den Steigbügeln erhebend, um über die Schultern seines Herrn zu sehen, der lachend sich auf den Sattelknopf beugte. »Was macht Ihr denn da in dem Graben?«

»Ihr seht es,« erwiderte Pompée; »mein Pferd stürzte in dem Augenblick, wo ich mich, da ich Euch für Feinde hielt, zum Zweck einer kräftigen Verteidigung verschanzen wollte. Herr Vicomte,« fuhr Pompée, aufstehend und sich schüttelnd, fort, »es ist Herr von Canolles.«

»Wie, mein Herr, Ihr hier?« murmelte der Vicomte mit einer Art von Freude, die unwillkürlich in seinem Tone durchdrang.

»Wahrhaftig, ja, ich selbst,« antwortete Canolles und schaute den Vicomte mit einer Festigkeit an, die sich durch das Auffinden des Handschuhes erklärte. »Ich langweilte mich zum Sterben in dem Gasthause. Richon verließ mich, nachdem er mir mein Geld abgenommen hatte. Ich erfuhr, Ihr wärt auf der Straße nach Paris abgereist. Glücklicherweise hatte ich in derselben Richtung ein Geschäft und begab mich auf den Marsch, um Euch einzuholen. Ich vermutete nicht, daß ich zu diesem Zwecke mit Sturmeseile jagen mußte. Teufel, mein Herr, was für ein Reiter Ihr seid!«

Der Vicomte lächelte und stammelte einige Worte.

»Castorin,« fuhr Canolles fort, »hilf doch Herrn Pompée auf den Sattel; du siehst, daß es ihm trotz seiner Geschicklichkeit nicht gelingen will.«

Castorin stieg ab und unterstützte Pompée, der nach und nach wieder seinen Sattel erreichte.

»Nun laßt uns weiter reiten, wenn es Euch gefällig ist,« sagte der Vicomte.

»Ja,« erwiderte Canolles, »aber ich will Euch nun, um Euch vor Ähnlichem zu bewahren, als Geleite dienen. Eine Verstärkung von zwei Mann wird für Euch nicht überflüssig sein.«

»Nein, gewiß nicht,« rief Pompée, »die Anzahl bildet die Sicherheit.«

»Und Ihr, Vicomte, was denkt Ihr von meinem Anerbieten?« fragte Canolles, als er sah, daß der Vicomte seinen höflichen Vorschlag mit weniger Begeisterung aufnahm, als sein Reitknecht.

»Ich, mein Herr,« versetzte der Vicomte, »ich erkenne darin Eure gewöhnliche Artigkeit und danke Euch aufrichtig dafür. Aber wir verfolgen nicht denselben Weg, und ich müßte fürchten, Euch lästig zu werden.«

»Wie,« sagte Canolles ärgerlich, da er merkte, daß der Vicomte sein Verhalten vom Gasthaus fortsetzen wollte, »wir verfolgen nicht denselben Weg? Geht Ihr nicht nach . . .«

»Nach Chantilly,« rief eilig Pompée, der bei dem Gedanken zitterte, seine Reise ohne einen andern Gefährten als den Vicomte fortsetzen zu müssen.

Dieser machte eine sehr bezeichnende Gebärde der Ungeduld, und wenn es Tag gewesen wäre, hätte man sehen können, wie ihm die Röte des Zorns in die Wangen stieg.

»Vortrefflich!« rief Canolles, ohne daß er den wütenden Blick zu bemerken schien, mit dem der Vicomte den alten Pompée niederschmetterte. »Chantilly ist gerade mein Weg. Ich gehe nach Paris, oder vielmehr,« fügte er lachend hinzu, »seht, Vicomte, ich habe nichts zu tun und weiß nicht, wohin ich gehe. Geht Ihr nach Paris, so gehe ich nach Paris; geht Ihr nach Lyon, so gehe ich nach Lyon; geht Ihr nach Marseille, ich habe längst eine Leidenschaft, die Provence zu sehen, und gehe nach Marseille.«

»Mein Herr,« versetzte der Vicomte mit einer gewissen Festigkeit, die er ohne Zweifel dem von Pompée angeregten Zorn zu danken hatte, »muß ich es Euch sagen? Ich reise ohne Gesellschaft, wegen persönlicher Angelegenheiten vom höchsten Belang, aus sehr ernsten Gründen, und wenn Ihr auf Eurer Absicht besteht, so nötigt Ihr mich zu meinem großen Bedauern, Euch zu bemerken, daß Ihr mich in meinen Schritten belästigt.«

Nur die Erinnerung an den kleinen Handschuh, den Canolles auf seiner Brust zwischen Rock und Hemd verborgen hielt, hielt den lebhaften und aufbrausenden Gascogner ab, loszubrechen.

»Mein Herr,« versetzte er mit ernstem Tone, »ich habe nie sagen hören, die Landstraßen gehören der einen Person mehr, als der andern. Man nennt sie sogar den Weg des Königs, auf den alle das gleiche Recht haben. Auch habe ich nicht die Absicht, Euch zu belästigen. Ich bin sogar hier, um Euch Dienste zu leisten, denn Ihr seid jung, schwach und ohne große Verteidigungsmittel. Ich glaube nicht auszusehen wie ein Mensch, der die Reisenden ausplündert, unterwerfe mich aber Eurem Spruch und kann nur mein Euch widerwärtiges Aussehen verwünschen. Vergebt mir, daß ich Euch lästig war. Ich habe die Ehre, Euch mein Kompliment zu machen. Glückliche Reise!«

Und Canolles ließ sein Pferd eine leichte Wendung machen und ritt, nachdem er den Vicomte gegrüßt hatte, auf die andere Seite der Straße, wohin ihm Castorin in der Tat und Pompée in der Absicht folgte.

Canolles spielte diese Szene mit so anmutiger Höflichkeit, mit so verführerischer Gebärde, indem er mit seinem breiten Hut seine reine, von schwarzen, seidenen Haaren beschattete Stirn wieder bedeckte, daß der Vicomte mehr von seiner vornehmen Miene, als von seinem Verfahren gerührt wurde. Der junge Mann beschleunigte hierauf den Gang seines Pferdes, holte Canolles ein, der sich stellte, als sähe und hörte er ihn nicht, und flüsterte ihm mit kaum verständlicher Stimme zu: »Herr von Canolles!«

Canolles bebte und wandte sich um; ein Schauer der Lust durchlief seine Adern, und es kam ihm vor, als ob sich alle Musik der himmlischen Sphären vereinigte, um ihm ein göttliches Konzert zu geben.

»Vicomte!« entgegnete er.

»Hört, mein Herr,« antwortete dieser mit einer weichen, samtartigen Stimme, »ich fürchte in der Tat, unhöflich gegen einen Mann von Eurem Verdienste zu sein. Vergebt mir meine Schüchternheit. Ich wurde von Eltern erzogen, die sich aus Liebe zu mir fortwährend ängsteten; ich wiederhole, vergebt mir, ich habe nie die Absicht gehabt, Euch zu beleidigen, und zum Beweis unserer aufrichtigen Aussöhnung erlaubt mir, an Eurer Seite zu reiten.«

»Wie?« rief Canolles, »hundertmal, tausendmal! Ich hege keinen Groll, und zum Beweis . . .«

Und er reichte ihm eine Hand, in die ein zartes, leichtes, flüchtiges Händchen fiel oder vielmehr schlüpfte.

Der Rest der Nacht verging unter tollem Geplauder des Barons; der Vicomte hörte beständig zu und lachte zuweilen.

»Doch sagt,« unterbrach der Vicomte den Redefluß des Gascogners, als der erste Morgenschimmer anbrach, »wie habt Ihr Eure Angelegenheiten mit dem Herzog von Epernon abgemacht?«

»Die Sache war nicht schwierig,« erwiderte Canolles. »Nach dem, was Ihr mir mitteiltet, hatte er mit mir zu tun, nicht ich mit ihm. Entweder ist er müde geworden, mich zu erwarten, und hat sich zurückgezogen, oder er ist halsstarrig gewesen und wartet noch.«

»Aber Fräulein von Lartigues?« fügte der Vicomte mit leichtem Zögern hinzu.

»Fräulein von Lartigues, Vicomte, kann nicht zugleich zu Hause bei Herrn von Epernon und im Goldenen Kalbe bei mir sein. Man muß von den Frauen nicht zu viel verlangen.«

»Das ist keine Antwort, Baron; ich frage Euch, wie Ihr Euch, bei Eurer Liebe zu Fräulein von Lartigues, von ihr trennen konntet?«

Canolles hätte gern dem Vicomte, den er jetzt im Tageslicht klar sehen konnte, seiner Herzensneigung nach geantwortet, aber da er trotz des kleinen Handschuhes und der kleinen Hand seiner Sache doch nicht völlig sicher war, so zügelte er sich noch und erwiderte die Frage des Vicomte mit jenem Lächeln, womit man alles beantwortet.

Man hielt in Barbezieux an, um zu frühstücken und die Pferde ausschnaufen zu lassen. Canolles frühstückte diesmal mit dem Vicomte, und bei dem Frühstück bewunderte er diese Hand, deren nach Bisam duftende Hülle eine so große Aufregung in ihm hervorgebracht hatte. In dem Augenblick, wo man sich zu Tische setzte, war der Vicomte überdies genötigt, seinen Hut abzunehmen und seine glatten, schönen, einer so zarten Haut entsprießenden Haare zu entblößen, und jeder andere, wie ein verliebter und darum blinder Mensch, wäre von seiner Ungewißheit befreit gewesen. Aber Canolles fürchtete das Erwachen zu sehr, um nicht die Dauer seines Traumes auszudehnen. Auch fand er etwas Reizendes in diesem Inkognito des Vicomte, das ihm eine Menge kleiner Vertraulichkeiten gestattete, die ein gänzliches Erkennen oder ein volles Geständnis ihm untersagt hätte. Er sprach also kein Wort, das den Vicomte auf den Verdacht bringen konnte, sein Inkognito sei verraten.

Nach dem Frühstück begab man sich wieder auf den Weg und ritt dann bis zum Mittagessen. Von Zeit zu Zeit brachte eine Müdigkeit, die er nicht verbergen konnte, auf das Gesicht des Vicomte eine bleichere Farbe oder in seinen Körper ein leichtes Beben, nach dessen Ursache ihn Canolles freundschaftlich fragte. Herr von Cambes lächelte dann und schien nicht mehr zu leiden. Er schlug sogar vor, noch stärker zu reiten, was aber Canolles mit der Bemerkung zurückwies, man habe einen weiten Weg zu machen, und es sei folglich wesentlich, die Pferde zu schonen.

Nach dem Mittagessen fiel es dem Vicomte etwas schwer, aufzustehen. Canolles erhob sich und unterstützte ihn.

»Ihr bedürft der Ruhe, mein junger Freund,« sagte er zu ihm; »eine derartige Reise würde Euch auf der dritten Etappe töten. Wir reiten in dieser Nacht nicht, sondern schlafen im Gegenteil. Ihr sollt Euch eines guten Schlummers erfreuen, und das beste Zimmer des Gasthofs soll das Eurige sein, oder ich will sterben.«

Der Vicomte schaute Pompée mit so verblüffter Miene an, daß Canolles seine Lachlust nicht unterdrücken konnte.

»Wenn man eine große Reise unternimmt, wie wir,« sagte Pompée, »so müßte jeder sein Zelt haben.«

»Oder ein Zelt für zwei,« versetzte Canolles mit der natürlichsten Miene der Welt »das würde genügen.«

Ein Schauer durchlief sichtlich den Körper des Vicomte.

Der Schlag war getan, und seine Wirkung entging Canolles nicht; aus einem Augenwinkel sah er, daß der Vicomte dem Alten ein Zeichen machte, Pompée näherte sich seinem Herrn, dieser sagte ihm leise einige Worte, und bald ritt Pompée unter irgend einem Vorwande voraus und verschwand.

Anderthalb Stunden nach diesem Vorfall, über den Canolles nicht einmal eine Erklärung forderte, erblickten die Reisenden, als sie in einen großen Flecken einritten, den Reitknecht auf der Schwelle eines Gasthauses von ziemlich gutem Aussehen.

»Ah, ah!« sagte Canolles, »es scheint, wir werden die Nacht hier zubringen, Vicomte?« – »Ja, wenn Ihr wollt, Baron.«

»Ich will alles, was Ihr wollt, denn, wie gesagt, ich reise für mein Vergnügen, während Ihr Eurer Äußerung nach in Geschäften reist. Nur befürchte ich, es wird Euch in diesem Neste an Bequemlichkeit fehlen.«

»Oh!« erwiderte der Vicomte, »eine Nacht ist bald vorüber.«

»Rasch mein Zimmer,« fuhr er, zu Pompée fort, der ihm den Steigbügel hielt. »In der Tat, Ihr habt recht, Herr von Canolles,« fügte er, sich nach seinem Gefährten umwendend, hinzu, »ich bin wirklich sehr müde.«

»Hier, gnädiger Herr,« sagte die Wirtin und deutete auf ein ziemlich großes Zimmer; es ging nach dem Hofe, seine Fenster waren vergittert und darüber lagen die Speicher des Hauses.

»Wo ist mein Zimmer?« rief Canolles.

Und er warf seine Augen lüstern auf eine Tür, die an die des Vicomte stieß und deren schwache Wand einen sehr gebrechlichen Wall gegen eine so geschärfte Neugierde, wie die seinige, bildete.

»Das Eurige?« sagte die Wirtin, »folgt mir, gnädiger Herr, ich werde Euch führen, worauf sie ihn an das Ende eines ganz mit Türen besetzten und vom Zimmer des Vicomte durch die volle Breite des Hofes getrennten Hausflurs führte.

»Nun bin ich meiner Sache gewiß,« sagte sich Canolles; »aber ich habe wie ein Dummkopf gehandelt; wollte ich jedoch böse Miene machen, so würde ich mein Spiel unwiederbringlich verlieren; nehmen wir also unser freundlichstes Gesicht an.«

Er kehrte also zurück und rief seinem Reisegefährten zu: »Gute Nacht, lieber Vicomte, Ihr bedürft in der Tat der Ruhe; soll ich Euch morgen wecken? Nein. Nun, so werdet Ihr mich vielleicht wecken, wenn Ihr aufgestanden seid. Gute Nacht!«

»Gute Nacht, Baron,« erwiderte der Vicomte.

»Gut, gut, Vicomte,« murmelte Canolles, »morgen ist die Reihe an mir, die Wohnungen zu bestellen, und ich werde mich zu entschädigen wissen. Schön, er schließt alles bis auf die doppelten Vorhänge; er breitet ein Tuch davor aus, damit sogar sein Schatten unsichtbar wird. Beim Teufel, es ist ein sehr schamhafter Junge, dieser kleine Edelmann, aber gleichviel. Morgen!«

Und Canolles ging brummend in sein Zimmer zurück, kleidete sich in sehr übler Laune aus, legte sich verdrießlich nieder und träumte, Nanon finde in seiner Tasche den perlgrauen Handschuh des Vicomte.


Siebentes Kapitel.

Am andern Morgen war Canolles noch lustiger als am Tage vorher; auch der Vicomte von Cambes gab sich einer offenen Heiterkeit hin, und selbst Pompée wurde mutwillig, während er Castorin seine Feldzüge erzählte. Der ganze Morgen verging so auf das angenehmste.

Beim Frühstück entschuldigte sich Canolles, daß er den Vicomte verlassen müsse, er habe einen langen Brief an einen in der Gegend wohnenden Freund zu schreiben, und werde auch einen Besuch bei einem seiner Freunde machen müssen, dessen Haus unmittelbar an der Landstraße etwa drei bis vier Meilen von Poitiers liegen. Canolles erkundigte sich nach seinem Freunde bei dem Wirt, und dieser erwiderte, er werde dessen Haus, das an zwei Türmchen zu erkennen sei, etwas vor dem Dorfe Jaulnay finden. Da Castorin fortgeschickt wurde, um den Brief an seine Adresse zu überbringen, so wurde der Vicomte gebeten, zum voraus den Ort zu bezeichnen, wo man Nachtlager halten würde. Der Vicomte blickte auf eine kleine Karte, die Pompée bei sich führte, und schlug das Dorf Jaulnay vor. Canolles machte keine Einwendung und trieb die Falschheit sogar so weit, daß er ganz laut zu Pompée sagte: »Wenn man Euch wieder als Quartiermeister vorausschickt, wie gestern, so bestellt für mich womöglich ein Zimmer in der Nähe Eures Herrn, damit wir ein wenig miteinander plaudern können.«

Der mürrische Reitknecht wechselte einen Blick mit dem Vicomte und lächelte, fest entschlossen, nicht zu tun, was Canolles ihm sagte. Castorin, der schon vorher seine Instruktionen erhalten hatte, holte den Brief, und Canolles erteilte ihm Befehl, sich zum Nachtlager in Jaulnay einzufinden.

In Beziehung auf das Gasthaus war kein Irrtum möglich, denn Jaulnay besaß nur das eine zum Grand-Charles-Martel.

Man begab sich auf den Marsch. Fünfhundert Schritte von Poitiers, wo man diniert hatte, schlug Castorin einen Seitenweg rechts ein; man ritt noch zwei Stunden; da erkannte Canolles, nach den Merkmalen, die er sich hatte nennen lassen, das Haus seines Freundes, zeigte es dem Vicomte, nahm Abschied von diesem, wiederholte Pompée den Auftrag, ihm das geeignete Zimmer zu besorgen, und schlug einen Seitenweg links ein.

Man kam bei Nacht in das Dorf; der Regen stürzte in Strömen herab. Zum Glück war ein Zimmer geheizt. Dem Vicomte lag nur daran, eiligst die Kleider zu wechseln; er nahm daher dieses Zimmer und beauftragte Pompée, für Canolles' Zimmer zu sorgen.

»Es ist bereits geschehen,« sagte der selbstsüchtige Pompée, den sehnsüchtig nach seinem Bett verlangte; »die Wirtin hat versprochen, dafür besorgt zu sein.«

»Gut. Mein Necessaire?« – »Hier.«

»Meine Flacons?« – »Hier sind sie.«

»Ich danke. Wo schläfst du, Pompée?« – »Am Ende des Hausflurs.«

»Und wenn ich etwas brauche?« – »Hier ist eine Glocke; die Wirtin wird kommen.«

»Wohl. Diese Tür schließt gut, nicht wahr?« – »Der Herr Vicomte kann selbst sehen.«

»Es sind keine Riegel daran?« – »Nein, aber ein Schloß.«

»Gut. Ich werde mich von innen einschließen. Es ist kein anderer Ausgang vorhanden?« – »Nicht, daß ich wüßte.«

Pompée nahm das Licht und ging im Zimmer umher.

»Sieh nach, ob die Läden fest sind.« – »Die Haken sind eingelegt.«

»Geh, Pompée.«

Pompée entfernte sich, und der Vicomte drehte den Schlüssel um.

Eine Stunde nachher verließ Castorin, der zuerst in dem Gasthause angelangt war und neben Pompée wohnte, ohne daß dieser es vermutete, sein Zimmer auf den Fußspitzen und öffnete Canolles die Tür.

Canolles schlüpfte mit pochendem Herzen in das Haus, befahl Castorin, die Tür wieder zu verschließen, ließ sich das Zimmer des Vicomte bezeichnen und stieg hinauf.

Der Vicomte war im Begriff, sich zu Bette zu legen, als er Tritte im Hausflur hörte. Wie man weiß, war er aber äußerst furchtsam, und die Tritte ließen ihn erbeben. Sie hielten vor seiner Tür, und gleich darauf klopfte es an.

»Wer ist da?« fragte eine so zitternde Stimme, daß Canolles den Klang kaum erkannt hätte.

»Ich!« antwortete Canolles.

»Wie, Ihr?« versetzte die Stimme, von einem Schrecken zum andern übergehend.

»Ja, denkt Euch doch, Vicomte, es ist kein Platz mehr in unserem Gasthause, es ist kein einziges Zimmer mehr frei. Euer Dummkopf von Pompée hat nicht an mich gedacht. Es gibt kein anderes Wirtshaus im Dorfe und da in Eurem Zimmer zwei Betten stehen . . .«

Der Vicomte warf voll Schrecken einen Blick auf die Zwillingsbetten, die nur durch einen Tisch getrennt nebeneinander im Alkoven standen.

»Nun, Ihr begreift wohl,« fuhr Canolles fort, »ich bitte um das eine; öffnet mir rasch, ich flehe Euch an, denn ich erfriere.«

Man hörte jetzt ein Durcheinanderwerfen, ein Zerknittern von Kleidern und hastige Schritte.

»Ja, ja, Baron,« sagte der Vicomte mit einer Stimme, die immer größere Bestürzung verriet: »ja, ich komme, ich eile.«

»Ich warte, aber ich bitte, öffnet schleunigst, wenn Ihr mich nicht in Eis verwandelt finden wollt.«

»Verzeiht, aber ich schlief.«

»Mir kam es vor, als hättet Ihr Licht.«

»Ihr täuschtet Euch.«

Und das Licht wurde sogleich ausgelöscht; Canolles beklagte sich nicht darüber.

»Hier bin ich . . . Ich finde die Tür nicht,« fuhr der Vicomte fort.

»Ah! das glaube ich wohl,« erwiderte Canolles. »Ich höre Eure Stimme am andern Ende des Zimmers . . . hierher . . .«

»Ich suche die Glocke, um Pompée herbeizurufen.«

»Pompée ist am entgegengesetzten Ende des Hausflurs und wird Euch nicht hören. Ich wollte ihn wecken, um zu fragen, wie die Sache stehe; aber unmöglich, er schläft wie ein Dachs.«

»Dann werde ich die Wirtin rufen.«

»Bah! die Wirtin hat ihr Bett einem Reisenden abgetreten und ist auf den Speicher schlafen gegangen. Niemand würde kommen, mein lieber Freund. Warum wollt Ihr übrigens Leute rufen? Ich brauche niemand.«

»Aber ich.«

»Ihr, Ihr öffnet mir Eure Tür, und ich danke Euch dafür. Ich suche mein Bett, lege mich nieder, und damit ist es gut. Öffnet also, ich bitte.«

»Es müssen sich doch andere Zimmer finden, und wären sie auch ohne Betten,« sagte der Vicomte ganz in Verzweiflung. »Wir wollen rufen, suchen . . .«

»Aber, lieber Vicomte, es hat halb elf Uhr geschlagen. Ihr werdet das ganze Wirtshaus aufwecken; man wird glauben, es brenne im Hause. Das gibt eine Geschichte, daß man die ganze Nacht nicht mehr schlafen kann, und das wäre schade, denn ich sterbe vor Müdigkeit.«

Diese Worte schienen den Vicomte etwas zu beruhigen. Kleine Tritte näherten sich der Tür und diese wurde geöffnet.

Canolles trat ein und schloß die Tür wieder hinter sich. Der Vicomte hatte sich, nachdem er geöffnet, eiligst wieder entfernt.

Der Baron befand sich nun in einem fast dunkeln Zimmer, denn die letzten Kohlen des Kamins erloschen eben und gaben nur einen unzureichenden Schein. Die Atmosphäre war lau und von allen Wohlgerüchen geschwängert, welche die verfeinertste, ausgesuchteste Sorgfalt der Toilette andeuten.

»Ah! ich danke, Vicomte,« sagte Canolles, »denn hier ist's in der Tat besser, als im Hausflur.«

»Ihr habt Lust zu schlafen, Baron?«

»Ja, gewiß. Zeigt mir mein Bett, da Ihr das Zimmer kennt, oder laßt mich die Kerze wieder anzünden.«

»Nein, nein, das ist unnötig,« erwiderte lebhaft der Vicomte, »Euer Bett ist links.«

Da die Linke des Vicomte die Rechte des Barons war, so ging der Baron rechts, traf ein Fenster, in der Nähe des Fensters einen Tisch, und auf dem Tisch ein Glöckchen, das der Vicomte in seiner Bestürzung vergeblich gesucht hatte. Er steckte das Glöckchen für jeden Fall in die Tasche.

»Aber, was macht Ihr denn?« rief er. »Ich glaube, wir spielen blinde Kuh, Vicomte. Ihr solltet wenigstens Aufgepaßt! rufen. Was zum Teufel, stöbert Ihr denn im Schatten umher?«

»Ich suche das Glöckchen, um Pompée zu rufen.«

»Was wollt Ihr denn mit Pompée?« – »Ich will . . . ich will, er soll sich ein Bett neben dem meinigen machen.«

»Für wen?« – »Für sich.«

»Für sich . . . was sagt Ihr da, Vicomte? Lakaien in unserem Zimmer! Still! Ihr habt Gewohnheiten wie furchtsame junge Mädchen. Pfui! wir sind so große Burschen, daß wir uns selbst verteidigen können. Nein, gebt mir nur die Hand und geleitet mich nach meinem Bette, das ich nicht finden kann . . . oder . . . zünden wir die Kerze wieder an.«

»Nein, nein, nein!« rief der Vicomte.

»Da Ihr mir die Hand nicht reichen wollt,« versetzte Canolles, »so solltet Ihr mir wenigstens einen Faden geben, denn ich bin in einem wahren Labyrinth.«

Und er rückte mit ausgestreckten Armen in der Richtung vor, wo er die Stimme gehört hatte; aber er sah es wie einen Schatten an sich hinschlüpfen und spürte einen Wohlgeruch, der an ihm vorüberzog; er schloß die Arme, hatte aber nur die Luft umarmt.

»Dort! dort! rief der Vicomte am andern Ende des Zimmers. »Ihr seid zunächst Eurem Bette, Baron.«

»Welches von beiden gehört mir?« – »Gleichviel, ich lege mich nicht schlafen.«

»Wie, Ihr legt Euch nicht schlafen?« rief der Baron, sich bei diesen unklugen Worten umwendend; »was werdet Ihr denn tun?« – »Ich bringe die Nacht auf einem Stuhle zu.«

»Eine solche Kinderei werde ich nicht dulden; kommt, Vicomte, kommt.«

»Und von einem letzten Lichtstrahle, der vom Kaminherde ausging und dann erstarb, geleitet, erblickte Canolles den Vicomte in einer Ecke zwischen dem Fenster und der Kommode hingekauert und ganz in einen Mantel gewickelt.

Dieser Strahl war nur ein Blitz; aber er genügte, um den Baron zu leiten und dem Vicomte begreiflich zu machen, daß er verloren sei. Canolles ging mit ausgestreckten Armen gerade auf ihn zu, und obgleich das Zimmer wieder völlig in Finsternis gehüllt war, begriff doch der arme junge Mann, daß er diesmal seinem Verfolger nicht entgehen würde.

»Baron! Baron!« stammelte der Vicomte, »geht nicht weiter, ich flehe Euch an; Baron, verlaßt Euern Platz nicht, keinen Schritt mehr, wenn Ihr ein Edelmann seid.«

Canolles blieb stillstehen; Der Vicomte war so nahe bei ihm, daß er sein Herz schlagen hörte, daß er den warmen Duft seines Hauches fühlte; zu gleicher Zeit schien ihn ein köstlicher, berauschender Wohlgeruch der Jugend und Schönheit völlig zu umfangen und ihn ganz unfähig zu machen, dem Wunsch des Vicomte zu willfahren, selbst wenn er Lust dazu gehabt hätte.

Er blieb jedoch einen Augenblick, wo er war, seine Hände gegen diese Hände ausstreckend, die ihn zum voraus zurückstießen, und fühlend, daß er nur noch eine Bewegung zu machen hatte, um den reizenden Körper zu berühren, dessen Geschmeidigkeit er seit zwei Tagen so oft bewundert hatte.

»Gnade! Gnade!« flüsterte der Vicomte mit einer Stimme, worin sich ein Anfang von Wollust mit dem Schrecken vermischte. »Gnade!« Die Stimme erlosch auf den Lippen, und Canolles fühlte, wie der reizende Körper an dem Täfelwerk hinglitt und auf die Knie fiel.

Seine Brust erweiterte sich; in der Stimme, die ihn anflehte, lag ein Ausdruck, der ihm zum Beweise diente, daß sein Gegner bereits halb besiegt war.

Er machte noch einen Schritt, streckte die Hände aus und begegnete den gefalteten, bittenden Händen des jungen Mannes, der diesmal nicht mehr die Lust hatte, einen Schrei auszustoßen, und nur einen halb schmerzlichen Seufzer von sich gab.

Plötzlich vernahm man den Galopp eines Pferdes unter dem Fenster; hastige Schläge erschollen an der Tür des Wirtshauses; auf diese Schläge folgte ein gewaltiges Getöse. Man rief und pochte abwechselnd.

»Herr Baron von Canolles!« rief eine Stimme.

»Oh! Dank, mein Gott! ich bin gerettet,« murmelte der Vicomte.

»Die Pest über dieses Vieh,« sagte Canolles, »konnte es nicht morgen früh kommen?«

»Herr Baron von Canolles!« rief die Stimme, »Herr Baron von Canolles, ich muß Euch sogleich sprechen.«

»Was gibt es denn?« fragte der Baron und machte einen Schritt vorwärts.

»Gnädiger Herr, gnädiger Herr!« sagte Castorin vor der Tür, »man fragt nach Euch, man sucht Euch.«

»Wer denn, Dummkopf?« – »Ein Eilbote.«

»Von wem?« – »Von dem Herzog von Epernon.«

»Was will er von mir?« – »Dienst des Königs.«

Bei diesem magischen Worte, dem man gehorchen mußte, öffnete Canolles unter beständigem Fluchen die Tür und ging die Treppe hinab.

Der Eilbote war eingetreten und wartete in der Wirtsstube; Canolles suchte ihn auf und las erbleichend Nanons Brief, denn der Eilbote war Courtauvaux, der ungefähr zehn Stunden nach Canolles abgereist war und diesen, trotz aller Eile, erst auf der zweiten Etappe hatte einholen können.

Einige Fragen, die Canolles an Courtauvaux richtete, ließen dem Baron keinen Zweifel darüber, wie notwendig seine schleunige Abreise war. Er las den Brief zum zweiten Male und der Ausdruck: Eure teure Schwester Nanon, machte ihm begreiflich, was vorgefallen war, daß sich nämlich Fräulein von Lartigues dadurch aus der Verlegenheit gezogen hatte, daß sie ihn für ihren Bruder ausgab.

Canolles hatte wiederholt in nicht sehr schmeichelhaften Ausdrücken Nanon selbst von diesem Bruder sprechen gehört, dessen Stelle er nun eingenommen. Dies vermehrte noch den Widerwillen, womit er dem Befehle des Herzogs Folge leistete.

»Es ist gut,« sagte er zu Courtauvaux, ohne ihm einen Kredit in dem Wirtshause zu eröffnen oder ihm seine Börse in die Hände zu leeren, was er bei jeder andern Veranlassung sicher getan haben würde; »es ist gut; sagt Eurem Herrn, Ihr habet mich getroffen, und ich habe auf der Stelle gehorcht.«

»Und Fräulein von Lartigues soll ich nichts sagen?«

»Sagt ihr, ihr Bruder wisse das Gefühl zu schätzen, das sie bei ihrer Handlungsweise bestimmt habe, und sei ihr dafür verbunden. Castorin, sattle die Pferde!«

Und ohne etwas anderes zu dem Boten zu sprechen, der über diese unfreundliche Aufnahme ganz verblüfft war, ging Canolles zu dem Vicomte hinauf, den er bleich, zitternd und wieder angekleidet fand. Auf dem Kamin brannten zwei Kerzen.

Canolles warf einen Blick innigen Bedauerns auf den Alkoven und besonders auf die Zwillingsbetten, an deren einem ein leichter Eindruck sichtbar war. Der Vicomte folgte diesem Blick mit einem Gefühle der Schamhaftigkeit, das ihm die Röte ins Gesicht steigen ließ.

»Freut Euch, Vicomte,« sagte Canolles, »Ihr seid nun für den Rest der Reise von mir befreit. Ich gehe im Dienste des Königs mit der Post.«

»Wann geht Ihr?« fragte der Vicomte mit einer noch nicht ganz beruhigten Stimme.

»Auf der Stelle; ich reise nach Nantes, wo der Hof sich aufhält, wie es scheint.«

»Gott befohlen, mein Herr,« vermochte der junge Mann kaum zu antworten, und er sank auf einen Stuhl zurück, ohne daß er seine Augen nach seinem Gefährten aufzuschlagen wagte.

Canolles machte einen Schritt auf ihn zu.

»Ich werde Euch ohne Zweifel nicht mehr sehen,« sagte er mit tief bewegter Stimme.

»Wer weiß?« versetzte der Vicomte und suchte zu lächeln.

»Versprecht eines einem Manne, der ewig Euer Andenken bewahren wird,« sagte Canolles und legte seine Hand mit einem Einklange der Stimme und der Gebärde, der keinen Zweifel an seiner Aufrichtigkeit mehr übrig ließ, auf das Herz.

»Was verlangt Ihr?« – »Daß Ihr zuweilen an mich denken werdet.«

»Ich verspreche es Euch.«

»Ohne Groll . . .«

»Ja . . .«

»Eine Bekräftigung dieses Versprechens,« sagte Canolles.

Der Vicomte reichte ihm die Hand.

Canolles nahm die zitternde Hand ohne eine andere Absicht, als sie in der seinigen zu drücken, aber mit einer Bewegung, die stärker war als sein Wille, preßte er sie an seine glühenden Lippen und stürzte aus dem Zimmer, während er die Worte murmelte: »Ah! Nanon, Nanon, kannst du mich je für den Verlust entschädigen, den du mir verursacht hast?«


Achtes Kapitel.

Chantilly

Folgen wir jetzt den Prinzessinnen des Hauses Condé in die Verbannung nach Chantilly, von der Richon dem Vicomte erzählt hatte, so sehen wir unter den mit Blütenschnee überstreuten Alleen von Kastanienbäumen einen Schwarm von Spaziergängern, lachend, plaudernd und singend, beständig sich umher bewegen.

Die Dame in der Mitte ist die Frau Prinzessin-Witwe, die Mutter des Siegers von Rocroy, Nördlingen und Lens, des großen Condé, dessen Sohn Mazarin gewagt hat ins Gefängnis zu sperren, während er die Mutter, sowie die Gemahlin des edlen Gefangenen nach Chantilly verbannt hat.

Die Dame rechts ist Claire Clémence von Maillé, Prinzessin von Condé.

Die Gefangenschaft ihres Gatten gab ihrem Hochmut einen Anschein von heldenhaftem Märtyrertum; sie erschien beklagenswert als eine Witwe, und ihr fast siebenjähriger Sohn, der Herzog von Enghien, interessanter als eine Waise. Die Augen sind auf sie gerichtet, und ohne Furcht, sich lächerlich zu machen, ist sie in Trauer gekleidet. Und die Königin-Witwe sowie Mazarin hören nicht auf, Furcht zu empfinden vor diesem Themistokles im Unterrock, dem als Duenna die eigensinnige und intrigante Marquise von Tourville zur Seite stand.

Die genannten drei Frauen wandeln voll gespannter Erwartung auf und nieder und wenden ihre Blicke immer wieder dem Haupttore des Schlosses zu. Bereits hat die Prinzessin-Witwe unter wiederholtem Kopfschütteln und Seufzen gesagt: »Wir werden scheitern, meine Tochter, wir werden gedemütigt werden.«

»Großen Ruhm kann man nicht wohlfeil haben,« entgegnete Frau von Tourville, »und es gibt keinen Sieg ohne Kampf!«

»Wenn wir scheitern, wenn wir besiegt werden,« versetzte die junge Prinzessin, »so werden wir uns rächen.«

»Madame,« sagte die Prinzessin-Witwe, »wenn wir scheitern, so hat Gott den Herrn Prinzen besiegt. Wolltet Ihr Euch an Gott rächen?«

Die junge Prinzessin verbeugte sich vor der erhabenen Demut ihrer Schwiegermutter, und auf diese Art sich bekomplimentierend und gegenseitig beräuchernd, hatten die drei Personen viel Ähnlichkeit mit einem Bischof und seinen zwei Diakonen, die Gott zum Vorwand der Huldigungen nehmen, die sie einander darbringen.

»Weder Herr von Turenne, noch Herr von Larochefoucault, noch Herr von Bouillon ist zu unserm Beistand hier,« murmelte die Witwe; »alles fehlt zugleich.«

»Auch Geld!« versetzte Frau von Tourville.

»Und auf wen soll man zählen,« sagte die Prinzessin, »wenn Claire selbst uns vergißt?«

»Wer sagt Euch, meine Tochter, daß Frau von Cambes Euch vergißt?« – »Sie kommt nicht zurück!«

»Vielleicht ist sie verhindert; die Wege sind so unsicher, wie Ihr wißt.«

»Und an alledem,« sagte Frau von Tourville, »ist Herr Lenet schuld, Herr Pierre Lenet,« wiederholte sie mit Nachdruck, »dieser hartnäckige Ratgeber, den Ihr fortwährend behaltet, während er nur dazu taugt, unsern Plänen in den Weg zu treten. Hätte er meinen zweiten Plan nicht vereitelt, der, wie Ihr Euch erinnert, dahin ging, Schloß Vayres, die Insel Saint-George und die Veste Blaye durch Überrumpelung zu nehmen, so würden wir Bordeaux jetzt belagert halten, und Bordeaux müßte kapitulieren.«

»Ohne der Meinung Ihrer Hoheiten vorgreifen zu wollen, wäre es mir lieber, wenn es sich von selbst anböte,« sagte hinter Frau von Tourville eine Stimme, deren achtungsvoller Ton nicht ganz frei von ironischer Färbung war. »Eine Stadt, die kapituliert, weicht der Gewalt und macht sich zu nichts verbindlich; eine Stadt, die sich von selbst anbietet, kompromittiert sich und ist genötigt, bis zum Ende dem Glück derer zu folgen, denen sie sich angeboten hat.«

Die drei Damen wandten sich um und erblickten Pierre Lenet, der durch eine Nebentür des Schlosses auf die Terrasse getreten war und sich ihnen von hinten genähert hatte.

Was Frau von Tourville gesagt hatte, entsprach teilweise der Wahrheit. Pierre Lenet, der Ratgeber des Prinzen, ein kalter, gescheiter, ernster Mann, war von seinem Herrn beauftragt, Freunde und Feinde zu überwachen, und es machte ihm allerdings viel mehr Mühe, die Freunde des Prinzen an Gefährdung seiner Sache zu verhindern, als die schlimmen Pläne seiner Feinde zu bekämpfen. Aber geschickt und verschmitzt wie ein Advokat, an die Schikanen und Ränke des Hofes gewöhnt, siegte er gewöhnlich durch irgendeine glückliche Gegenmine oder durch seine unerschütterliche Gelassenheit. Gerade in Chantilly selbst aber lieferte er seine geistreichsten Schlachten. Die Eitelkeit der Frau von Tourville, die Ungeduld der Prinzessin, die aristokratische Unbeugsamkeit der Witwe waren schwerer zu überwinden, als die Schlauheit Mazarins, der Stolz Annas von Österreich und die Unentschlossenheit des Parlaments.

Aber trotz des Widerstandes, den sie bei ihm finden mußten, erkannten die Prinzessinnen die Ergebenheit und besonders die Nützlichkeit Pierre Lenets und nahmen daher seinen Rat mit freundschaftlicher Gebärde auf. Es zeigte sich sogar ein leichtes Lächeln auf den Lippen der Witwe.

»Nun, mein lieber Lenet, Ihr habt es gehört,« sagte sie, »Frau von Tourville beklagte sich oder beklagte vielmehr uns. Es geht immer schlechter und schlechter, lieber Lenet!«

»Madame,« erwiderte Lenet, »ich bin weit entfernt, die Dinge so schwarz zu sehen, wie Eure Hoheit. Ich hoffe viel von der Zeit und der Rückkehr des Glückes. Ihr kennt das Sprichwort: Geduld und Zeit machen alles möglich.«

»Geduld, Rückkehr des Glückes, das ist Philosophie, Herr Lenet, und nicht Politik!« rief die Prinzessin.

Lenet lächelte ebenfalls.

»Die Philosophie ist in allen Dingen nützlich, Madame, und besonders in der Politik. Sie lehrt uns beim Siege nicht stolz werden und bei einem Umschlag die Geduld nicht verlieren.«

»Gleichviel,« sagte Frau von Tourville, »ein guter Eilbote wäre mir lieber, als alle Eure Grundsätze. Nicht wahr, Frau Prinzessin?« – »Ja, ich muß es gestehen,« erwiderte Frau von Condé.

»Eure Hoheit wird befriedigt werden; denn sie wird heute drei erhalten,« versetzte Lenet mit derselben Kaltblütigkeit.

»Wie, drei?« – »Ja, Madame, den ersten hat man auf der Straße von Bordeaux gesehen, der zweite kommt von Stenay, und der dritte von Larochefoucault.«

Die beiden Prinzessinnen stießen einen Schrei freudigen Erstaunens aus. Frau von Tourville kniff sich in die Lippen.

In demselben Augenblick erblickte man zwei Reiter, die im Galopp durch das Gitter des Schlosses sprengten. Sogleich verließ ein Haufe von Neugierigen die Rasen- und Blumenbeete und drängte sich an das Geländer, um etwas von den Nachrichten zu erhaschen.

Die Reiter stiegen ab; einer von ihnen übergab dem andern, der sein Lakai zu sein schien, den Zügel seines von Schweiß triefenden Pferdes und ging oder lief vielmehr zu den Prinzessinnen, die er an einem Ende der Galerie erblickte, während er durch das andere eintrat.

»Claire!« rief die Prinzessin.

»Ja, Hoheit; empfangt meine Huldigung, Madame.«

Und ein Knie auf die Erde setzend, versuchte es der Jüngling, die Hand der Frau Prinzessin zu ergreifen, um sie ehrfurchtsvoll zu küssen.

»In meine Arme! teure Vicomtesse, in meine Arme!« rief Frau von Condé, sie aufhebend.

Und nachdem er sich mit allen Zeichen der Ehrfurcht von der Frau Prinzessin hatte umarmen lassen, wandte sich der Reiter zur Prinzessin-Witwe, vor der er sich achtungsvoll verbeugte.

»Sprecht rasch, liebe Claire!« sagte diese.

»Ja, sprich,« wiederholte Frau von Condé, »hast du Richon gesehen?«

»Ja, Hoheit, und er hat mir einen Auftrag an Euch gegeben.«

»Einen guten oder einen schlimmen?« – »Ich weiß es selbst nicht; er besteht in zwei Worten.«

»In welchen? Schnell, ich sterbe vor Ungeduld.«

Und die lebhafteste Angst war auf den Gesichtern der zwei Prinzessinnen ausgeprägt.

»Bordeaux – ja,« sagte Claire, selbst unruhig über die Wirkung, die diese zwei Worte hervorbringen würden.

Aber sie ward bald beruhigt, denn die Prinzessinnen erwiderten mit einem Triumphgeschrei, das Lenet vom Ende der Galerie herbeilockte.

»Lenet! Lenet! kommt, kommt!« rief die Prinzessin; »Ihr wißt nicht, welche Nachricht die gute Claire uns überbringt?«

»Doch, Madame,« erwiderte Lenet lächelnd, »ich weiß es, und deshalb beeilte ich mich nicht.«

»Wie! Ihr wißt es?« – »Bordeaux, ja! Nicht wahr?«

»In der Tat, mein lieber Pierre, Ihr seid ein Zauberer,« versetzte die ältere Dame.

»Aber wenn Ihr es wußtet,« sagte die Prinzessin in vorwurfsvollem Ton, »warum habt Ihr uns nicht durch ein paar Worte unserer Unruhe entzogen, die Ihr doch wahrnehmen mußtet?«

»Weil ich der Frau Vicomtesse von Cambes den Lohn für ihre Anstrengungen lassen wollte,« antwortete Lenet, indem er sich ganz bewegt vor Claire verbeugte, »und dann auch, weil ich den Freudenausbruch Eurer Hoheiten auf dieser Terrasse und vor aller Welt befürchtete.«

»Ihr habt recht, stets recht, Pierre, mein guter Pierre,« sagte die Prinzessin. »Wir wollen schweigen!«

»Und wir haben dies dem braven Richon zu verdanken,« versetzte die Prinzessin-Witwe. »Nicht wahr, Ihr seid zufrieden mit ihm, und er hat gut manövriert? Sagt, Lenet.«

»Richon ist ein Mann von Kopf und gewandter Ausführung,« sagte Lenet, »und Eure Hoheit mag glauben, wenn ich seiner nicht so sicher wie meiner selbst gewesen wäre, so hätte ich ihn Euch nicht empfohlen.«

»Was werden wir für ihn tun?« fragte die Frau Prinzessin.

»Man muß ihm einen Posten von Bedeutung geben,« erwiderte die Witwe.

»Einen Posten von Bedeutung? Was fällt Eurer Hoheit ein?« entgegnete Frau von Tourville; »sie vergißt, daß Richon kein Edelmann ist.«

»Ich auch nicht, Madame, ich auch nicht,« versetzte Lenet, »was den Herrn Prinzen, wie ich vermute, nicht abhält, einiges Vertrauen zu mir zu haben. Ich achte und bewundere gewiß den Adel Frankreichs, aber es gibt Umstände, unter denen, ich wage es zu behaupten, ein großes Herz mehr wert ist, als ein altes Wappen.«

»Und warum hat der gute Richon diese herrliche Kunde nicht selbst überbracht?« rief die Prinzessin.

»Er ist in Guienne geblieben, um eine gewisse Anzahl Leute zu sammeln; er sagt nur, er könne bereits auf etwa dreihundert Soldaten zählen; nur meint er, sie werden wegen der Kürze der Zeit zu schlecht dressiert sein, um sich im Felde zu halten, und es wäre ihm lieber, wenn man ihm das Kommando eines festen Platzes, wie Vayres oder Saint-Georges, gäbe. Da glaube er Euern Hoheiten am nützlichsten sein zu können.«

»Aber wie dies nun erlangen?« fragte die Prinzessin. »Wir stehen zur Zeit zu schlecht bei Hofe, um jemand zu empfehlen, und der, den wir empfehlen, würde sogleich verdächtig werden.«

»Madame,« sagte die Vicomtesse, »vielleicht hätte man ein Mittel, das mir Herr Richon selbst an die Hand gegeben hat.«

»Welches?« – »Herr von Epernon ist, wie es scheint,« fuhr die Vicomtesse errötend fort, »in ein gewisses Frauenzimmer verliebt.«

»Ah! ja, die schöne Nanon,« versetzte die Prinzessin verächtlich, »wir wissen das.«

»Nun, es scheint, daß der Herzog von Epernon dieser Frau nichts abzuschlagen vermag, und daß diese Frau alles bewilligt, was man ihr bezahlt. Könnte man nicht ein Patent für Herrn Richon von ihr erkaufen?« – »Das wäre gut angelegtes Geld,« sagte Lenet.

»Ja, aber die Kasse ist auf dem trockenen, Ihr wißt es wohl, Herr Rat.«

Lenet wandte sich lächelnd zu Frau von Cambes und sagte: »Das ist der Augenblick, Madame, Ihren Hoheiten zu beweisen, daß Ihr an alles gedacht habt.«

»Was wollt Ihr damit sagen, Lenet?« – »Er will damit sagen, Madame, daß ich so glücklich bin, Euch eine schwache Summe, die ich mit großer Mühe von meinen Pächtern eingezogen habe, anbieten zu können; der Betrag ist sehr gering, aber ich vermag im Augenblick nicht mehr.«

»Zwanzigtausend Livres!« fuhr die Vicomtesse, die Augen niederschlagend und zögernd fort, denn sie war ganz beschämt, daß sie Damen, die nach der Königin die ersten im Reiche waren, eine so kleine Summe anbieten sollte.

»Zwanzigtausend Livres!« riefen die Prinzessinnen.

»Das ist ein ganzes Vermögen in diesen Zeitläuften,« fügte die Witwe hinzu.

»Diese teure Claire!« rief die Prinzessin, »nie werden wir uns je unserer Schuld gegen sie entledigen!«

»Eure Hoheit mag später daran denken.«

»Und wo ist diese Summe?« fragte Frau von Tourville.

»In dem Gemach Ihrer Hoheit, wohin mein Stallmeister Pompée sie meinem Befehle gemäß getragen hat.«

»Lenet,« sagte die Prinzessin, »Ihr werdet Euch erinnern, daß wir diese Summe Frau von Cambes schuldig sind.«

»Sie ist schon in unser Passivum eingetragen,« erwiderte Lenet, zog sein Schreibebuch aus der Tasche und zeigte bei dem Datum des Tages die zwanzigtausend Livres der Vicomtesse, die bei einer Kolonne aufgerechnet waren, deren Gesamtsumme die Prinzessinnen hätte erschrecken müssen, wenn sie sich die Mühe gegeben hätten, zu addieren.

»Aber wie habt Ihr es gemacht, daß Ihr durchgekommen seid, liebe Schöne?« sagte die Prinzessin; »man sagt uns, Herr von Saint-Aignan halte die Straße besetzt und untersuche Menschen und Gegenstände gerade wie ein Steuereinnehmer.«

»Durch Pompées Klugheit, Madame, sind wir dieser Gefahr entgangen,« antwortete die Vicomtesse; »wir machten einen großen Umweg, der unsere Ankunft um anderthalb Tage verzögerte, aber unsere Reise sicherte; sonst wäre ich schon seit vorgestern bei Euer Hoheit.«

»Beruhigt Euch, Madame,« sagte Lenet, »es ist noch keine Zeit verloren, man hat nur den heutigen Tag und den morgigen gut anzuwenden. Eure Hoheit mögen sich erinnern, daß wir heute drei Kuriere erwarten; einer ist bereits eingetroffen, die zwei andern fehlen also noch.«

»Darf man den Namen der beiden andern erfahren?« fragte Frau von Tourville, immer in der Hoffnung, den Rat auf einem Versehen zu ertappen, denn sie führte gegen ihn einen Krieg, der wenn auch nicht erklärt, darum doch nicht minder ernster Natur war.

»Der erste wird, vermute ich, Gourville sein; er kommt vom Herzog von Larochefoucault.«

»Und der zweite?« fragte die Prinzessin.

»Der zweite ist Blanchefort, Kapitän der Garden des Herrn Prinzen. Er kommt aus Stenay von Herrn von Turenne.«

»Nun aber,« fügte er absichtlich die Vicomtesse bezeichnend, hinzu, »muß die Frau Vicomtesse der Ruhe bedürfen, denn die lange Reise . . .«

Die Vicomtesse begriff das Verlangen Lenets, mit den Prinzessinnen allein zu bleiben, machte, auf ein Lächeln der Witwe, das sie in diesem Gedanken bestätigte, eine ehrfurchtsvolle Verbeugung und entfernte sich.

Frau von Tourville blieb und versprach sich eine reiche Ernte geheimnisvoller Nachrichten, aber auf eine unmerkliche Gebärde der Witwe gegen ihre Schwiegertochter kündigten die beiden Prinzessinnen gleichzeitig durch eine zeremonielle Verbeugung Frau von Tourville an, das Ende der politischen Sitzung, zu der man sie berufen hatte, sei gekommen. Die Dame begriff die Aufforderung sofort, machte den Prinzessinnen eine noch viel ernstere und zeremoniösere Reverenz und entfernte sich, Gott zum Zeugen für den Undank der Fürsten nehmend.

Die Prinzessinnen gingen in ihr Kabinett, und Lenet folgte ihnen.

»Wenn nun,« sagte Lenet, nachdem er sich versichert hatte, daß die Tür geschlossen war, »Eure Hoheiten Gourville empfangen wollten, er ist angekommen und wechselt nur die Kleider, da er es nicht wagte, sich in seinem Reisegewand vor Euch zu zeigen.«

»Welche Kunde bringt er?« – »Die Kunde, daß Herr von Larochefoucault diesen Abend oder morgen mit fünfhundert Edelleuten hier sein wird.«

»Fünfhundert Edelleute!« rief die Prinzessin, »das ist eine ganze Armee.«

»Welche unsern Weg schwieriger machen wird. Mir wären fünf bis sechs Diener lieber gewesen, als dieser ganze Troß; wir hätten uns leichter Herrn von Saint-Aignan entzogen. Nun wird es beinahe unmöglich sein, den Süden zu erreichen, ohne beunruhigt zu werden.«

»Desto besser, wenn man uns beunruhigt,« rief die Prinzessin; »denn geschieht dies, so werden wir kämpfen und siegen; der Geist des Herrn von Condé wird mit uns marschieren.«

Lenet schaute die Prinzessin-Witwe an, als wollte er auch ihre Ansicht vernehmen; aber Charlotte von Montmorency hatte in ihrem Leben so viele hohe Häupter sich beugen sehen, um ins Gefängnis zu gehen oder auf das Blutgerüst zu rollen, und sie fuhr deshalb trauervoll an ihre Stirn und sagte: »Ja, das ist unsere Wahl: uns verbergen oder schlagen; ein furchtbares Ding! Wir lebten ruhig mit etwas Ruhm, den Gott unserem Hause gesandt hatte; wir wollten nur den Rang behaupten, in dem wir geboren sind, und nun treibt uns der Zufall zum Kampf gegen unsern Herrn.«

So wogte der Kampf zwischen dem kühnen Ungestüm der jungen Prinzessin und der besonnenen Erfahrenheit der Prinzessin-Witwe hin und her.

»Madame,« sagte Lenet, von der letzteren aufgefordert, seine Meinung zu sagen, »Euer Hoheit hat recht, aber wir sind zu weit gegangen, um nun zurückzuweichen; mehr noch; unter den Umständen, in denen wir uns befinden, handelt es sich darum, einen raschen Entschluß zu fassen, denn wir dürfen uns unsere Lage nicht verbergen. Wir sind nur scheinbar frei, die Königin hat ihre Augen auf uns gerichtet, und Herr von Saint-Aignan belagert uns. Wir müssen darauf bedacht sein, Chantilly trotz der Wachsamkeit der Königin und der Belagerung durch Herrn von Saint-Aignan zu verlassen.«

»Verlassen wir Chantilly, aber mit erhobenen Köpfen,« rief die Prinzessin.

»Ich bin auch dieser Ansicht,« sagte die Prinzessin-Witwe, »die Condé sind keine Spanier und verraten nicht; sie sind keine Italiener und schmieden keine Ränke; was sie tun, tun sie am lichten Tag und mit erhabener Stirn.«

»Madame,« erwiderte Lenet im Tone innerer Sicherheit, »Gott ist mein Zeuge, daß ich der erste bin, der die Befehle Eurer Hoheit vollzieht, wie sie auch lauten mögen; aber um Chantilly zu verlassen, wie Ihr dies tun wollt, müssen wir eine Schlacht liefern. Ohne Zweifel ist es nicht Eure Absicht am Tage des Kampfes Weiber zu sein, nachdem Ihr im Rate Männer gewesen seid; Ihr werdet an der Spitze Eurer Parteigänger marschieren, Ihr werdet Euren Soldaten das Kriegsgeschrei hinwerfen; aber Ihr vergeßt, daß neben Eurem kostbaren Dasein eine nicht minder kostbare Existenz zu tagen beginnt, die des Herrn Herzogs von Enghien, Eures Sohnes und Enkels; werdet Ihr Euch der Gefahr aussetzen, in demselben Grabe die Gegenwart und die Zukunft Eures Hauses zu begraben? Glaubt Ihr, Mazarin werde den Vater nicht als Geisel nehmen während der verwegenen Taten, die man im Namen des Sohnes ausführt? Kennt Ihr die Geheimnisse des Turmes von Vincennes nicht mehr, die auf eine so unselige Weise von dem Großprior von Vendôme, von dem Marschall von Ornano und von Puy-Laurent ergründet worden sind? Habt Ihr das unheilvolle Zimmer vergessen, das, nach dem Ausspruch der Frau von Rambouillet, wie Arsenik in das Gewicht fällt? Nein, meine Damen,« fuhr Lenet, die Hände faltend, fort, »nein, Ihr werdet Chantilly verlassen, wie es Frauen geziemt, die man verfolgt; erinnert Euch, daß Eure sicherste Wache die Schwäche ist. Ein Kind, das man seines Vaters, eine Frau, die man ihres Gatten beraubt, eine Mutter, der man ihren Sohn nimmt, entziehen sich, so gut sie können, der Falle, worin man sie festhielt. Wartet, um zu handeln und laut zu sprechen, bis Ihr dem Stärkeren nicht mehr als Bürgschaft dient; seid Ihr Gefangene, so werden Eure Parteigänger stumm bleiben; seid Ihr aber frei, so werden sie sich erklären, denn sie haben nicht mehr zu befürchten, daß man ihnen die Bedingungen Eurer Loskaufung diktiert. Unser Plan ist mit Gourville besprochen. Wir sind eines guten Geleites sicher, das uns erlaubt, die Beleidigungen auf dem Wege zu vermeiden, denn es stehen heute zwanzig verschiedene Parteien im Felde und erheben sich gegen Freund und Feind. Willigt ein; alles ist bereit.«

Während die junge Herzogin diesen Plan empört von sich wies, sagte die Witwe nach einem Augenblick des Zögerns: »Lieber Herr Lenet, überredet meine Tochter, denn ich meinesteils bin genötigt, hier zu bleiben. Ich habe bis jetzt gekämpft, aber endlich unterliege ich; der verzehrende Kummer, den ich umsonst zu verbergen suche, um meine Umgebung nicht zu entmutigen, wird mich an ein Schmerzenslager fesseln, das vielleicht mein Sterbebett sein wird. Doch Ihr habt recht, man muß vor allem auf Sicherung des Wohles der Condé bedacht sein. Meine Schwiegertochter und mein Enkel werden Chantilly verlassen und, wie ich hoffe, vernünftig genug sein, Eure Ratschläge, ich sage noch mehr, Eure Befehle, zu befolgen. Befehlt, Lenet, man wird vollziehen.«

»Ihr erbleicht, Madame!« rief Lenet, die Witwe unterstützend, welche die Prinzessin, von der plötzlichen Blässe beunruhigt, bereits in die Arme genommen hatte.

»Ja,« sagte die Witwe immer schwächer werdend, »ja, die guten Nachrichten von heute haben mir mehr wehegetan, als die Bangigkeiten der letzten Tage. Ich fühle, daß das Fieber mich verzehrt; aber lassen wir nichts davon laut werden, es könnte uns in einem solchen Augenblick schaden.«

»Madame,« sagte Lenet mit leiser Stimme, »die Unpäßlichkeit Eurer Hoheit wäre eine Wohltat des Himmels, wenn Eure Person nicht litte. Bleibt im Bette, verbreitet das Gerücht von dieser Krankheit. Ihr, Madame,« fuhr er, sich an die junge Prinzessin wendend, fort, »laßt Euern Arzt Bourdelot rufen, und da wir bald die Ställe und Equipagen werden in Anspruch nehmen müssen, laßt überall verlauten, es sei Eure Absicht, im Park einen Hirsch zu hetzen. Dann wird niemand überrascht sein, Menschen, Waffen und Pferde in Tätigkeit zu sehen.«

»Aber ein so vorsichtiger Mann, wie Ihr seid, Lenet, muß doch fühlen, daß man sich über diese seltsame Jagdpartie im Augenblick, wo meine Frau Mutter krank wird, wundern dürfte.«

»Es ist auch dafür vorgesehen, Madame. Wird nicht der Herr Herzog von Enghien übermorgen sieben Jahre alt und muß aus den Händen der Frauen in andere Hände übergehen?« – »Ja.«

»Wohl, wir sagen, diese Jagdpartie gelte der ersten Hose des jungen Prinzen, und Ihre Hoheit habe so sehr darauf bestanden, ihre Krankheit dürfe dieser Feier keinen Eintrag tun, daß Ihr dem Drängen habt nachgeben müssen.«

»Ein vortrefflicher Gedanke!« rief mit freudigem Lächeln die Witwe, ganz stolz auf diese erste Verkündigung der Männlichkeit ihres Enkels; »ja, der Vorwand ist gut, und in der Tat, Lenet, Ihr seid ein würdiger Rat.«

»Ihr gedenkt also zu reisen, Lenet?« sagte die Prinzessin.

»Übermorgen abend, Madame, wenn Eure Hoheit keinen Grund hat, ihre Abreise zu verzögern.«

»Oh! nein, im Gegenteil, wir wollen uns so bald als möglich aus unserem Gefängnis entfernen, Lenet.«

»Und was macht Ihr, seid Ihr einmal aus Chantilly?« fragte die Witwe.

»Wir ziehen durch das Heer des Herrn von Saint-Aignan, dem wir wohl eine Binde um die Augen zu legen imstande sein werden. Wir stoßen zu Herrn von Larochefoucault und seinem Geleite und gelangen nach Bordeaux, wo man uns erwartet. Sind wir einmal in der zweiten Stadt des Königreichs, in der Hauptstadt des Südens, so können wir unterhandeln oder Krieg führen, wie es Eueren Hoheiten beliebt. Übrigens beehre ich mich, Madame, Euch daran zu erinnern, daß wir selbst in Bordeaux keine Hoffnung haben, uns lange zu halten, wenn wir nicht in der Umgebung einige Plätze besitzen, welche die königlichen Truppen nötigen, eine Diversion zu machen. Zwei von diesen Plätzen sind besonders von großem Belang: Vayres, das die Dordogne beherrscht und das Einbringen der Lebensmittel in die Stadt gestattet, und die Insel Saint-Georges, die von den Bordolesen selbst als der Schlüssel ihrer Stadt betrachtet wird. Aber wir werden später hieran denken; für den Augenblick denken wir nur daran, von hier wegzukommen.«

»Ich glaube, es wird nichts leichter sein,« sagte die Prinzessin. »Wir sind allein und herrschen hier, was Ihr auch sagen möget, Lenet. Aber geleiten wir meine Frau Mutter in ihre Gemächer, schon heute werde ich das Gerücht von der Jagdpartie verbreiten, die wir übermorgen halten wollen. Veranlaßt die Einladungen, Lenet.«

»Verlaßt Euch auf mich, Madame.«

Die Witwe ging in ihre Wohnung zurück und legte sich zu Bette. Bourdelot, der Arzt des Hauses Condé und Lehrer des Herzogs von Enghien, wurde gerufen. Die Nachricht von der unerwarteten Unpäßlichkeit verbreitete sich alsbald in Chantilly, und in einer halben Stunde waren die Parke verlassen, und die Gäste drängten sich im Vorzimmer der Prinzessin-Witwe.

Lenet brachte den ganzen Tag mit Schreiben hin, und abends wurden mehr als fünfzig Einladungen durch zahlreiche Diener in allen Richtungen ausgetragen.


Neuntes Kapitel.

Der für die Ausführung der wichtigsten Pläne Pierre Lenets bestimmte Tag war einer von den düstersten jenes Frühjahrs. Der Regen fiel zart und dicht auf die Rasenstücke von Chantilly, einen grauen Nebel durchstreifend, der die Gebüsche des Gartens und das Gehölz des Parkes umhüllte. In den weiten Höfen warteten fünfzig gesattelte Pferde, mit hängenden Ohren und ungeduldigem Scharren; Meuten von gekoppelten Hunden ließen sich nur schwer mit der Peitsche in Ruhe halten.

Jeder Offizier im Dienste des Prinzen, jeder Klient dieses Hauses Condé war auf das Rundschreiben Pierre Lenets nach Chantilly geeilt. Die durch den Gesundheitszustand der Prinzessin-Witwe veranlaßte Unruhe war überdies durch ein günstiges Bulletin von Bourdelot zerstreut worden.

Um zehn Uhr waren alle persönlichen Gäste der Frau von Condé eingetroffen. Jeder wurde nach Überreichung seines Briefes eingeführt, und die, welche diesen zufällig vergessen hatten, erhielten, von Lenet erkannt, Einlaß auf ein Zeichen des letzteren gegen den Pförtner. Diese Eingeladenen mochten, mit den Dienern des Hauses, achtzig bis neunzig Personen ausmachen, von denen die Mehrzahl um den prachtvollen Schimmel versammelt war, der mit einem gewissen Stolze vor seinem großen französischen Sattel einen kleinen samtnen Lehnsitz für den Herzog von Enghien trug, worauf dieser seinen Platz bekommen sollte, wenn Vialas, sein Stallmeister, sich auf den Hauptsattel gesetzt haben würde.

Man sprach jedoch nicht davon, zur Jagd aufzubrechen, und schien noch andere Gäste zu erwarten.

Gegen halb elf Uhr kamen drei Edelleute mit sechs Dienern, die bis unter die Zähne bewaffnet waren und so volle Felleisen bei sich führten, daß man hätte glauben sollen, sie wollten eine Reise durch ganz Europa machen.

Sogleich erschien ein blaugekleideter Mann mit einem silbernen Wehrgehänge und nähert sich, die Hellebarde in der Hand, den Ankömmlingen, die, wie man an ihrem vom Regen durchnäßten Gepäck und an den von Kot beschmutzten Stiefeln sah, einen langen Weg zurückgelegt hatten.

»Woher kommt Ihr, meine Herren?« fragte der Schweizer, seine Hellebarde vorhaltend.

»Vom Norden,« antwortete einer der Reiter.

»Und wohin geht Ihr?« – »Zum Leichenbegängnisse.«

»Der Beweis?« – »Seht unsern Trauerflor.«

Die drei Herren hatten wirklich Trauerflore an ihren Degen.

»Entschuldigt mich, meine Herren,« sagte nun der Schweizer, »das Schloß steht zu Eurer Verfügung; es ist eine Tafel bereit, eine Halle geheizt, die Lakaien harren Eurer Befehle; Eure Leute wird man im Gesindesaal bewirten.«

Kaum saßen diese drei Edelleute bei Tische, als sechs weitere Reiter mit sechs, ebenso ausgestatteten und bewaffneten Lakaien einherkamen und wie ihre Vorgänger befragt und nach Erteilung der gleichen Antwort, in gleicher Weise aufgenommen wurden.

Nach ihnen zeigten sich vier andere, und dieselbe Szene erneuerte sich, und so ging es fort, bis mittags hundert Reiter eingeritten waren.

Als alle gespeist und miteinander Bekanntschaft gemacht hatten, während sich ihre Leute erquickten und ihre Pferde ausruhten, trat Lenet in den Saal, wo sie sich versammelt fanden, und sprach zu ihnen: »Meine Herren, die Frau Prinzessin dankt Euch durch mich, daß Ihr sie mit Eurem Besuche beehrt, während Ihr auf dem Wege zum Herrn Herzog von Larochefoucault begriffen seid, der Euch bei dem Leichenbegängnisse seines Vaters erwartet. Betrachtet diese Wohnung als die Eurige und habt die Güte, an einer Hetzjagd teilzunehmen, die der Herr Herzog von Enghien befohlen hat, der heute seine erste Hose anlegt.«

Ein schmeichelhaftes Gemurmel des Beifalls und des Dankes beantwortete diesen ersten Teil der Rede Lenets, der, als ein geschickter Redner, seine Worte bei einer Stelle von sicherer Wirkung unterbrach.

»Nach der Jagd,« fuhr er fort, »werdet Ihr an der Abendtafel der Frau Prinzessin Platz nehmen, die Euch selbst zu danken wünscht, wonach es Euch vollkommen frei steht, Eure Reise fortzusetzen.«

Die Edelleute gaben einmütig ihre bereitwillige Zustimmung kund und genossen mit Behagen die Gastfreundschaft der Prinzessin.

Nach Tisch erklang Hörnerschall in den Höfen und drang bis ins Innere der Gemächer. Jeder lief zu seinem frischen, ausgeruhten Pferde und schwang sich in den Sattel. Der Hetzmeister mit seinen Leithunden und die Piqueurs mit ihren Meuten zogen voraus. Dann stellten sich die Edelleute im Spalier auf, und der Herzog von Enghien, auf seinem Schimmel reitend, erschien, unterstützt von Vialas, seinem Stallmeister, umgeben von Ehrendamen, Stallmeistern, Edelleuten, und gefolgt von seiner Mutter, die, glänzend von Schmuck, auf einem rabenschwarzen Pferde ritt. Neben ihr auf einem Pferde, das sie mit unendlicher Anmut lenkte, war die Vicomtesse von Cambes, anbetungswürdig in ihren Frauengewändern, die sie endlich zu ihrer großen Freude wieder angelegt hatte.

Frau von Tourville suchte man vergebens, sie war seit zwei Tagen verschwunden und hatte sich wie ein grollender Achill unter ihr Zelt zurückgezogen.

Diese glänzende Kavalkade wurde mit einstimmigem Beifallsrufe aufgenommen. Man zeigte sich, auf den Steigbügeln aufstehend, die Prinzessin und den Herzog von Enghien, welche die Mehrzahl dieser Edelleute nicht kannte, denn sie hatten nie den Hof besucht und waren all diesem königlichen Gepränge fremd geblieben. Das Kind grüßte mit einem reizenden Lächeln, die Prinzessin mit holder Majestät; sie waren die Gattin und der Sohn dessen, den sogar seine Feinde den ersten Feldherrn Europas nannten. Dieser erste Feldherr Europas wurde von denselben Menschen, die er bei Lens vor dem Feinde gerettet und in Saint-Germain vor den Rebellen beschützt hatte, verfolgt und eingekerkert. Das war mehr, als es bedurfte, um die Begeisterung zu erregen, und so erreichte der Enthusiasmus den höchsten Grad.

Die Prinzessin schlürfte mit langen Zügen alle diese Beweise ihrer Volkstümlichkeit ein. Auf einige Worte, die ihr Lenet zuflüsterte, gab sie sodann Befehl zum Aufbruch, und bald zog man in den Park, dessen Tore insgesamt durch die Soldaten des Regiments Condé bewacht waren. Hinter den Jägern wurden die Gitter wieder verschlossen, und als wäre diese Vorsichtsmaßregel noch unzulänglich, blieben die Soldaten als Schildwachen hinter den Gittern, und an jedem stand ein Schweizer, gekleidet wie der des Hofes und mit einer Hellebarde bewaffnet wie er, mit dem Befehl, nur denen zu öffnen, welche die drei Fragen zu beantworten vermöchten, aus denen die Parole bestand.

Einen Augenblick, nachdem man die Gitter wieder geschlossen hatte, kündigten der Schall des Hornes und das wütende Gebell der Hunde an, daß der Hirsch aufgejagt war.

Auf der andern Seite des Parkes, auf der Rückseite der Straße, hielten indessen, auf den Hörnerklang und das Hundegebell horchend, sechs Reiter an, streichelten ihre Pferde und schienen Rat zu halten.

Sah man ihre neuen Gewänder, das glänzende Zeug ihrer Pferde, die prachtvollen Mäntel, die von ihren Schultern auf den Rücken ihrer Pferde herabfielen, den Luxus der Waffen, so wunderte man sich, daß diese funkelnden Herren nicht innerhalb des Parkes waren, wo sich der ganze Adel der Umgegend versammelt fand.

»Bei Gott,« sagte der Führer dieser kleinen Schar, der durch sein vergoldetes Wehrgehänge, seine goldenen Sporen und den kostbaren blauen Mantel die andern fünf weit überstrahlte, »wie gelangt man in einen Park, durch das Tor oder durch das Gitter? Zeigen wir uns vor dem ersten Tore oder vor dem ersten Gitter, und wir werden Eintritt finden. Reiter von unserem Ansehen läßt man nicht außen, wenn Menschen geöffnet wird, die aussehen, wie die Leute, denen wir seit diesem Morgen begegnen.«

»Ich wiederhole Euch, Cauvignac,« erwiderte einer von den fünf Reitern, »daß diese schlecht gekleideten Leute, die trotz ihrer Tracht zu dieser Stunde sich im Park befinden, einen Vorzug vor uns haben, nämlich, daß sie die Parole wissen. Wir haben sie nicht und werden nicht hineinkommen.«

»Ihr glaubt, Ferguzon?« sagte mit einer gewissen Achtung vor der Ansicht seines Leutnants der, welcher zuerst gesprochen hatte, und in dem unsere Leser den Abenteurer wiedererkennen, den sie auf den ersten Seiten dieser Geschichte kennen gelernt haben.

»Ob ich es glaube? Ich bin dessen gewiß. Meint Ihr denn, diese Leute jagen, um zu jagen? Larifari! sie konspirieren, das ist unzweifelhaft.«

»Ferguzon hat recht,« sagte ein Dritter, »sie konspirieren, und wir kommen nicht hinein.«

»Eine Hirschjagd ist indessen auch gut mitzumachen, wenn man sie auf seinem Wege trifft.«

»Ich denke doch, daß wir hinein können,« rief Ferguzon.

»Wie sollen wir hinein, da die für die andern offenstehenden Tore und Gitter deiner Ansicht nach für uns geschlossen sind?«

»Warum sollten wir nicht an dieser kleinen Mauer und für uns allein eine Bresche machen, durch die wir und unsere Pferde durch könnten, und hinter der wir gewiß niemand finden würden, um Entschädigung von uns zu verlangen?«

»Hurra!« rief Cauvignac, freudig seinen Hut schwenkend, »ich gebe dir volle Genugtuung, Ferguzon. Du bist der Mann der großen Mittel unter uns, und wenn ich den König Frankreichs von seinem Throne gestürzt habe, um den Prinzen darauf zu setzen, so verlange ich für dich die Stelle Mazarins. Ans Werk, Gefährten, ans Werk!«

In einem Augenblick war in die an sich nicht feste Mauer Bresche gelegt. Sofort stiegen die Reiter wieder auf und ritten hinter Cauvignac her in den Park.

»Nun,« sagte dieser, sich nach der Gegend wendend, wo er den Klang der Hörner hörte, »nun seid artig und benehmt Euch, wie's der Brauch ist, dann verspreche ich Euch ein Abendessen bei dem Herrn Herzog von Enghien.«


Zehntes Kapitel.

Mit ihren frischen Pferden holten die sechs Freibeuter bald das Jagdgefolge ein und mischten sich unter die Jäger. Mit seiner gewöhnlichen Bescheidenheit verhielt sich Cauvignac bald, als finde die Jagd nur seinethalben statt. Er entriß einem Piqueur das Horn, sprengte an der Spitze der Hetzmeister dahin, überholte den Jagdmeister, stieß wie ein Rasender ins Horn und gelangte auf den Hirsch in dem Augenblick, wo das Tier, nachdem es den Teich durchwatet hatte, vor Mattigkeit niedersank.

»Halali, Halali!« rief Cauvignac, »der Hirsch gehört uns! Corbleu! wir haben ihn!« als der Jagdmeister ihn mit seinem Messer auf die Seite drängte und ihm zurief: »Sacht, mein Herr, die Frau Prinzessin befehligt die Jagd. Es ist also ihre Sache, dem Hirsche den Fang zu geben oder diese Ehre dem Herrn zu überlassen, den sie dazu erwählt.«

Cauvignac wurde durch diese strenge Ermahnung zu sich selbst zurückgerufen, und als er ziemlich unwillig zurückwich, sah er sich plötzlich von der Menge der Jäger umgeben, die ihn inzwischen eingeholt hatten und nun einen Kreis um das Tier bildeten, das, von den erbitterten Hunden umzingelt, sich mit dem Rücken an eine Eiche anlehnte.

In demselben Augenblick sah man durch eine lange Allee die Prinzessin herbeisprengen, mit dem Herzog von Enghien, sowie den Edelleuten und Damen, die es sich zur Ehre geschätzt hatten, sie nicht zu verlassen. Sie war sehr aufgeregt, und man sah, daß sie diesen Scheinkrieg als Vorspiel zu einem wahren Krieg betrachtete.

»Madame,« sagte der Jagdkapitän, der Prinzessin das Messer reichend, »wem will Eure Hoheit die Ehre gönnen, dem Tiere den Fang zu geben?«

»Ich behalte sie mir selbst vor,« antwortete die Prinzessin; »eine Frau von meinem Rang muß sich daran gewöhnen, Eisen zu berühren und Blut fließen zu sehen.«

»Namur,« sagte der Jagdkapitän zum Büchsenmeister, »haltet Euch bereit.«

Der Büchsenmeister trat aus den Reihen und stellte sich, die Büchse in der Faust, zwanzig Schritte von dem Tiere auf, um den Hirsch mit einer Kugel zu töten, wenn er, zur Verzweiflung getrieben, statt die Frau Prinzessin zu erwarten, auf sie losstürzen sollte.

Die Prinzessin stieg vom Pferde, nahm das Messer und ging mit starren Augen, glühenden Wangen, die Lippen halb zurückgeworfen, auf das Tier zu, das fast gänzlich unter den Hunden begraben, von einem buntscheckigen, tausendfarbigen Teppich bedeckt zu sein schien. Es war auf die Knie gefallen, suchte eine Bewegung zu machen, hatte aber keine Zeit mehr, sich zu erheben; die Klinge des Messers, worauf ein Sonnenstrahl spielte, verschwand gänzlich in seinem Halse; der Schweiß spritzte der Prinzessin ins Gesicht, der Hirsch erhob den Kopf, schrie schmerzlich, warf einen letzten Blick des Vorwurfs auf die schöne Frau, fiel und verendete.

In demselben Augenblick verkündigten alle Hörner sein Verenden, und es erscholl der tausendfältige Ruf: »Es lebe die Frau Prinzessin!« während der junge Prinz auf seinem Sattel jauchzte und freudig in die Hände klatschte.

Die Prinzessin zog das Messer aus dem Halse des Tieres, warf einen Amazonenblick um sich her, gab die mit Schweiß überzogene Waffe dem Jagdkapitän zurück und stieg wieder zu Pferde.

Da trat Lenet zu ihr.

»Darf ich der Frau Prinzessin sagen,« sagte er mit seinem gewöhnlichen Lächeln, »an wen sie gedacht hat, als sie den Hals des armen Tieres durchbohrte?« – »Ja, Lenet, sprecht, Ihr macht mir ein Vergnügen.«

»Sie dachte an Herrn von Mazarin, und hätte es gern gesehen, wenn er an der Stelle des Hirsches gewesen wäre.«

»Ja, so ist es,« rief die Prinzessin, »und ich schwöre Euch, ich hätte ihn ohne Mitleid erstochen; aber in der Tat, Lenet, Ihr seid ein Zauberer.« Dann wandte sie sich der übrigen Gesellschaft zu und sagte: »Nun, da die Jagd vorüber ist, meine Herren, habt die Güte, mir zu folgen. Es ist jetzt zu spät, um einen andern Hirsch zu lanzieren, und überdies erwartet uns das Abendessen.«

Die Prinzessin begab sich nun in den großen Empfangssaal und setzte sich unter den Thronhimmel, neben ihr saß ihr Sohn.

Bald erhob sie sich und nahm das Wort zu einer die Anwesenden hinreißenden Rede.

»Meine Herren!« schloß sie ihre Worte, »die Mitwirkung Eurer Tapferkeit, das Anerbieten Eurer Ergebenheit ist es, was diese Waise hier von Eurem edlen Herzen fordert. Ihr seid unsere Freunde, Ihr habt Euch wenigstens als solche hier eingefunden; was könnt Ihr für uns tun?«

Dann begann nach kurzem feierlichen Stillschweigen eine höchst großartige und zugleich rührende Szene.

Einer von den Edelleuten verbeugte sich ehrfurchtsvoll vor der Prinzessin und sagte: »Ich heiße Gérard von Montalent und bringe vier Edelleute, meine Freunde, mit mir. Wir haben fünf gute Schwerter und zweitausend Pistolen, die wir dem Herrn Prinzen zur Verfügung stellen. Hier ist unser Beglaubigungsschreiben, unterzeichnet von dem Herrn Herzog von Larochefoucault.«

Die Prinzessin verneigte sich ebenfalls, nahm das Beglaubigungsschreiben aus den Händen des Gebers, reichte es Lenet und machte den Edelleuten ein Zeichen, auf ihre Seite zu gehen.

Diesem Beispiel folgten alle Edelleute. Jeder kam mit einem Beglaubigungsschreiben entweder von Herrn von Larochefoucault, oder von Herrn von Bouillon, oder von Herrn von Turenne, übergab den Brief und ging zur Rechten der Prinzessin. Als die rechte Seite voll war, hieß die Prinzessin die Edelleute sich zu ihrer Linken aufstellen.

So entleerte sich der Hintergrund des Saales allmählich. Schließlich blieben nur noch Cauvignac und seine Leute als einsame Gruppe zurück, nach der jeder mißtrauisch murmelnd einen Blick des Zornes und der Drohung richtete.

Lenet schaute nach der Tür. Die Tür war auf sein Geheiß wohl verschlossen. Er wußte, daß sich dahinter ein Kapitän mit zwölf bewaffneten Leuten hielt. Dann sein Auge wieder auf die Unbekannten lenkend, fragte er: »Und wer seid Ihr, meine Herren? Werdet Ihr uns die Ehre erweisen, Euch zu nennen und uns Eure Beglaubigungsschreiben zu zeigen?«

Bang schauten Ferguzon und die andern vier auf ihren Führer; dieser aber blieb, majestätisch in seinen Mantel drapiert, ganz unempfindlich.

Auf Lenets Aufforderung machte er zwei Schritte vorwärts, verbeugte sich anmaßend und sagte: »Madame, ich heiße Roland von Cauvignac und bringe für den Dienst Eurer Hoheit diese fünf Edelleute, die den ersten Familien der Guienne angehören, aber das Inkognito zu bewahren wünschen.«

»Ihr seid wohl nicht nach Chantilly gekommen, ohne von irgend jemand empfohlen worden zu sein, meine Herren,« sagte die Prinzessin, indem sie mit Mißbehagen an den Lärm dachte, den die Festnahme dieser sechs Verdächtigen erregen mußte. »Wo ist Euer Beglaubigungsschreiben?«

Cauvignac verbeugte sich wie ein Mensch, der die Richtigkeit einer Forderung anerkennt, durchwühlte sein Wams und zog ein viereckig gefaltetes Papier hervor, das er Lenet mit der tiefsten Verbeugung übergab.

Lenet öffnete, las, und der freudigste Ausdruck entrunzelte sein zusammengezogenes Gesicht.

»Madame,« sagte er, sich an das Ohr der Prinzessin neigend, »schaut, welch ein Glück, ein Blankett von Herrn von Epernon!«

»Mein Herr!« rief die Prinzessin mit dem anmutigsten Lächeln, »Dank, dreifachen Dank für meinen Gemahl, Dank für mich, Dank für meinen Sohn!«

Das Erstaunen machte alle Zuschauer stumm.

»Mein Herr,« sagte Lenet, »dieses Schriftstück ist zu kostbar, als daß es Eure Absicht sein kann, es uns ohne Bedingung abzutreten. Diesen Abend nach dem Essen sprechen wir darüber, wenn es Euch gefällig ist, und Ihr werdet uns sagen, wie wir Euch angenehm sein können.«

Damit steckte Lenet das Blankett ein, das Cauvignac zart genug war, nicht zurückzuverlangen.

»Zu Tische, meine Herren!« rief die Prinzessin.

Die Flügel der Seitentüren öffneten sich bei diesen Worten, und man sah ein herrliches Abendessen in der großen Galerie des Schlosses aufgetragen.

Das Mahl war ebenso lärmend als prächtig, und ein Hoch nach dem andern auf die Prinzessin, ihren Gemahl, die Prinzessin-Witwe und den Herzog von Enghien durchbrauste den Saal.

Gegen neun Uhr entfernte sich die Prinzessin mit dem Herzog von Enghien und ließ so den Gästen die Freiheit, den Schmaus bis zu einer beliebigen Stunde der Nacht zu verlängern. Lenet hatte ihr zugeflüstert: »Eure Hoheit wolle nicht vergessen, daß wir um zehn Uhr aufbrechen.«

Es war also Zeit sich vorzubereiten.

Währenddessen wechselten Lenet und Cauvignac einen Blick. Lenet stand auf, Cauvignac tat dasselbe; Lenet entfernte sich durch eine kleine Tür in der Ecke der Galerie, Cauvignac verstand ihn sofort und folgte ihm.

Nachdem sie hier Platz genommen hatten, sagte Lenet, um mit einem Schlag das Vertrauen Cauvignacs zu gewinnen, »ich gebe Euch hier vor allem Euer Blankett zurück. Es gehört wohl Euch, nicht wahr?«

»Mein Herr,« antwortete Cauvignac, »es gehört dem, der es besitzt, da, wie Ihr sehen könnt, kein anderer Name darauf steht, als der des Herzogs von Epernon.«

»Wenn ich Euch frage, ob es Euch gehört, so frage ich, ob Ihr es mit der Bewilligung des Herzogs besitzt?« – »Ich habe es von seiner eigenen Hand.«

»Es ist also weder entwendet, noch durch Gewalt erpreßt – ich sage nicht durch Euch, sondern durch irgend einen, von dem Ihr es etwa empfangen habt. Ihr habt es vielleicht nur von zweiter Hand.«

»Es ist mir, sage ich Euch, von dem Herzog gegeben worden, freiwillig und als Austausch gegen ein Papier, das ich ihm zugestellt habe.«

»Habt Ihr gegen den Herzog in bezug auf die Verwendung des Blanketts eine Verbindlichkeit übernommen?« – »Ich habe gegen den Herrn Herzog von Epernon keinerlei Verbindlichkeit übernommen.«

»Wer es besitzt, kann also in voller Sicherheit davon Gebrauch machen?« – »Er kann es.«

»Warum benutzt Ihr es dann nicht selbst?« – »Weil ich, wenn ich es behalte, nur ein Ding zu gewinnen vermag, während ich, wenn ich es abtrete, zwei dadurch gewinnen kann.«

»Worin bestehen diese zwei Dinge?« – »Einmal in Geld, sodann in einem Grade in der Armee der Prinzen.«

Schließlich wurden die beiden dahin handelseins, daß Cauvignac sofort zehntausend Livres empfing sowie das Patent, wonach er ermächtigt wurde, für die Prinzen eine Kompanie auszuheben.

In dem Augenblick, wo Lenet das für ihn so kostbare Dokument in der Kasse verschloß, trat atemlos ein Diener ein und meldete, man verlange nach ihm in einer höchst wichtigen Angelegenheit.

Lenet und Cauvignac verließen das Kabinett, Lenet um dem Diener zu folgen, Cauvignac um in den Bankettsaal zurückzukehren.

Mittlerweile traf die Prinzessin ihre Vorbereitungen zur Abreise, die darin bestanden, daß sie ihr Staatsgewand gegen ein Amazonenkleid vertauschte, das zugleich für den Wagen wie für das Pferd paßte, daß sie ihre Papiere auslas, um die unnötigen zu verbrennen und die kostbaren mitzunehmen, daß sie ihre Diamanten zusammenlegte, um bei dringender Gelegenheit Gebrauch davon zu machen.

Die Augen auf die Pendeluhr gerichtet, die fünf Minuten vor zehn Uhr zeigte, stand die Prinzessin bereits auf und ging auf den Herzog von Enghien zu, um ihn bei der Hand zu nehmen, als sich plötzlich die Tür öffnete und Lenet ins Zimmer stürzte.

Sobald die Frau Prinzessin sein bleiches Gesicht und seinen verstörten Blick wahrnahm, erbleichte sie ebenfalls.

»Oh! mein Gott,« sagte sie, ihm entgegengehend, »was habt Ihr, was gibt es?«

»Ich habe zu melden,« stammelte Lenet mit einer vor Aufregung zusammengepreßten Stimme, »daß ein Edelmann angekommen ist . . . und Euch im Auftrag des Königs zu sprechen verlangt.«

»Großer Gott!« rief die Prinzessin, »wir sind verloren! Mein lieber Lenet, was ist zu tun?« – »Nur eines.«

»Was?« – »Wir müssen den Herzog von Enghien sogleich auskleiden und seinen Milchbruder Pierrot seine Kleider anziehen lassen.«

Trotz seines Sträubens mußte sich der junge Herzog sofort dem gebietenden Worte Lenets fügen.

»Zum Glück,« sagte Lenet, »ist die Frau Prinzessin-Witwe hier, sonst wären wir von Mazarin geschlagen.«

»Wieso?«

»Weil der Bote mit einem Besuch bei der Frau Prinzessin-Witwe anfangen mußte, in deren Vorzimmer er sich in diesem Augenblick befindet.«

»Aber dieser Bote des Königs ist ohne Zweifel nur ein Aufseher, ein Spion, den uns der Hof schickt?« – »Eure Hoheit hat es gesagt.«

»Dann hat er den Befehl, uns streng zu bewachen?« – »Ja, aber was ist Euch daran gelegen, wenn er nicht Euch bewacht!«

»Ich begreife Euch nicht, Lenet.«

»Wie? Wenn man einen falschen Herzog von Enghien gefunden hat, so wird man auch eine falsche Prinzessin von Condé finden.«

»Oh, vortrefflich! jetzt begreife ich, mein guter Lenet, mein lieber Lenet; aber wer wird mich vorstellen?«

»Seid unbesorgt, Madame,« antwortete mit unzerstörbarem Gleichmut ihr Rat, »die Prinzessin von Condé, deren ich mich bedienen will, und deren Bewachung ich für den Spion des Herrn von Mazarin bestimme, hat sich soeben in aller Eile ausgekleidet und begibt sich in diesem Augenblick in Euer Bett.«

Man vernehme, wie sich dies zugetragen hatte.

Während das Festmahl im vollen Gange war, hatte sich ein Reiter mit einem Lakaien am Haupttor des Schlosses gezeigt und geläutet.

Der Portier öffnete, aber hinter dem Portier fand der Ankömmling den uns bekannten Hellebardier.

»Woher kommt Ihr?« fragte dieser.

»Von Nantes,« antwortete der Reiter.

Bis dahin ging alles gut.

»Wohin geht Ihr?« fuhr der Hellebardier fort.

»Zu der Frau Prinzessin-Witwe von Condé, sodann zu der Frau Prinzessin und endlich zu dem Herrn Herzog von Enghien.«

»Man darf nicht herein,« sagte der Hellebardier und streckte seine Hellebarde quer vor.

»Befehl des Königs!« erwiderte der Reiter und zog ein Papier aus der Tasche.

Bei diesen furchtbaren Worten senkte sich die Hellebarde, die Schildwache rief, ein Offizier des Hauses lief herbei, der Bote übergab sein Beglaubigungsschreiben und wurde ungesäumt in die fürstlichen Gemächer eingeführt.

Zum Glück war Chantilly groß und die Gemächer der Herzogin-Witwe lagen fern von der Galerie, wo der Schmaus stattfand.

Hätte der Bote zuerst die Prinzessin und ihren Sohn zu sehen verlangt, so wäre wirklich alles verloren gewesen. Aber der Etikette gemäß mußte er vorher die Prinzessin-Mutter begrüßen. Der erste Kammerdiener ließ ihn also in ein großes, an das Schlafgemach Ihrer Hoheit anstoßendes Kabinett eintreten.

»Wollt entschuldigen, mein Herr,« sagte er zu ihm, »aber Ihre Hoheit fühlte sich vorgestern plötzlich unwohl, und man hat ihr vor nicht ganz zwei Stunden zum dritten Male zur Ader gelassen. Ich will ihr Eure Ankunft melden und werde in einer Minute die Ehre haben, Euch einzuführen.«

Der Bote machte ein einwilligendes Zeichen mit dem Kopfe und blieb allein, ohne wahrzunehmen, daß durch das Schlüsselloch drei Köpfe hintereinander neugierig sein Benehmen belauerten und ihn zu erkennen suchten.

Es war zuerst Lenet, dann Vialas, der Stallmeister des Prinzen, und endlich La Roussière, der Jagdkapitän. Falls der eine oder der andere den Boten erkannt hätte, so wäre er unter dem Vorwande, ihm Gesellschaft zu leisten, eingetreten und hätte ihn angeredet, um ihn zu unterhalten und so Zeit zu gewinnen.

Aber keiner kannte den Boten. Es war ein hübscher junger Mann in Infanterie-Uniform; er betrachtete mit einer Gleichgültigkeit, die fast wie Abneigung gegen seine Sendung aussah, die Familienporträts und die Ausstattung des Kabinetts, wobei er besonders vor dem im glänzendsten Augenblick ihrer Schönheit und Jugend gemalten Porträt der Witwe stehen blieb, bei der er eingeführt werden sollte.

Seinem Versprechen getreu, suchte der Kammerdiener nach Verlauf von wenigen Minuten den Boten wieder auf, um ihn zu der Prinzessin-Witwe zu führen.

Diese empfing den Boten, in ihrem Bette liegend, in der ungnädigsten Weise.

Während der herben Worte, die sie ihm zurief, heftete sie ihren Blick fester auf den Boten, dessen Züge ihr so angenehm erschienen, daß sie den bittern Empfang etwas milderte, den sie einem solchen Befehl schuldig zu sein glaubte.

»Ich wußte,« sagte sie fortfahrend, »daß Herr von Mazarin vieler schändlichen Gewalttaten fähig ist, aber ich hielt ihn nicht für so furchtsam, daß er vor einer alten kranken Frau, vor einer armen Witwe und einem Kind angst haben könnte, denn ich setze voraus, daß der Befehl, dessen Überbringer Ihr seid, auch die Prinzessin meine Schwiegertochter und den Herzog meinen Enkel betrifft.«

»Madame,« erwiderte der junge Mann, »ich wäre in Verzweiflung, wenn mich Eure Hoheit nach der Sendung beurteilen sollte, die ich unglücklicherweise zu erfüllen genötigt bin. Ich kam in Nantes als Überbringer einer Botschaft für die Königin an. Die Nachschrift des Sendschreibens empfahl den Boten Ihrer Majestät; die Königin hatte sodann die Gnade, mich in ihrer Nähe bleiben zu heißen, da sie höchst wahrscheinlich meiner Dienste bedürfen würde. Zwei Tage nachher schickte mich die Königin hierher; aber wenn ich auch, wie es meine Pflicht war, die Sendung übernahm, mit der mich Ihre Majestät zu beauftragen geruhte, so wage ich doch zu bemerken, daß ich nicht darum nachgesucht hatte, und daß ich sie sogar ausgeschlagen hätte, wenn die Könige Widerspruch duldeten.«

Nach diesen Worten verbeugte sich der Offizier zum zweiten Male ehrfurchtsvoll.

»Eure Erklärung betrachte ich als ein gutes Vorzeichen, und ich hoffe, seitdem Ihr sie mir gegeben habt, in Ruhe krank sein zu können. Doch keine falsche Scham, mein Herr, sagt mir sogleich die Wahrheit! Wird man mich sogar in meinem Zimmer bewachen, wie man es mit meinem armen Sohne in Vincennes tat?«

»Madame,« antwortete der Offizier, »hört den Befehl, den die Königin mir selbst zu geben die Gnade gehabt hat:

»›Geht,‹ sagte Ihre Majestät, ›versichert meine Base Condé, ich werde für die Herren Prinzen alles tun, was die Sicherheit des Staates mir zu tun gestattet. Ich bitte sie durch diesen Brief, einen meiner Offiziere zu empfangen, der als Vermittler zwischen mir und ihr für die Botschaften dienen mag, die sie mir zukommen lassen will. Dieser Offizier‹, fügte die Königin hinzu, ›werdet Ihr sein.‹

»Dies, Madame,« fuhr der junge Mann stets in derselben ehrfurchtsvollen Weise fort, »sind die eigenen Worte Ihrer Majestät.«

Die Prinzessin sah in diesen Worten das bestätigt, was sie von vornherein angenommen hatte, nämlich daß es sich in der Tat um eine Späherei handle. Bitter bemerkte sie zu dem Sendling der Königin, er sei nun Herr hier, habe namens der Königin zu befehlen und sie sei seine Dienerin. Fest und bescheiden wies der junge Offizier diese Rolle von sich, ohne die Dame besänftigen zu können, die ihn ärgerlich entließ.

Der Edelmann fand im Vorzimmer den Lakaien, der ihn eingeführt hatte.

»Mein Herr,« sagte dieser, sich dem Boten nähernd, »die Frau Prinzessin von Condé, von der Ihr Euch eine Audienz im Auftrage der Königin erbeten habt, willigt ein, Euch zu empfangen. Wollt mir folgen!«

Hinter dem Kammerdiener die Gemächer durchschreitend, gelangte der Sendling zu der Tür des Schlafzimmers der Prinzessin.

Hier wandte sich der Kammerdiener um und sagte: »Die Frau Prinzessin hat sich bei ihrer Rückkehr von der Jagd zu Bette begeben, und da sie sehr müde ist, so wird sie Euch liegend empfangen. Wen soll ich Ihrer Hoheit melden?«

»Meldet den Herrn Baron von Canolles im Auftrage Ihrer Majestät der Königin-Regentin,« erwiderte der junge Edelmann.

Bei diesem Namen, den die angebliche Prinzessin von ihrem Bette aus hörte, machte sie eine Bewegung des Erstaunens, die ihre Identität leicht hätte gefährden können. Sie schlug rasch mit der rechten Hand den Spitzenbesatz ihrer Haube auf die Augen vor, während sie mit der linken die reiche Decke ihres Bettes bis an das Kinn zog, und rief mit bebender Stimme: »Laßt ihn eintreten!«

Der Offizier trat ein.


Elftes Kapitel.

Man führte Canolles in ein weites, mit einer dunklen Tapete ausgeschlagenes Gemach, das nur von einer Nachtlampe beleuchtet war, die auf einer Konsole zwischen den beiden Fenstern stand. Bei dem schwachen Lichte, das sie verbreitete, konnte man jedoch über der Lampe ein großes Gemälde erblicken, das eine Frau in Lebensgröße, ein Kind an der Hand haltend, darstellte. In der Vertiefung eines geräumigen Alkovens, in den kaum der matte, zitternde Schein drang, unterschied man unter den schweren Vorhängen eines Bettes die Frau, auf die der Name des Barons von Canolles eine so seltsame Wirkung hervorgebracht hatte.

Der Edelmann begann wieder die gewöhnlichen Förmlichkeiten, er machte gegen das Bett die drei vorgeschriebenen Schritte, verbeugte sich und machte dann drei weitere Schritte. Die zwei Kammerfrauen, die ohne Zweifel Frau von Condé beim Entkleiden geholfen hatten, entfernten sich, der Kammerdiener verschloß die Tür wieder, und Canolles befand sich mit der Prinzessin allein.

Es war nicht an Canolles, das Gespräch zu beginnen. Er wartete also, daß man das Wort an ihn richtete; da aber die Prinzessin ihrerseits ein hartnäckiges Stillschweigen beobachten zu wollen schien, so dachte der Offizier, es wäre besser, über die Schicklichkeit wegzugehen, als länger in einer so peinlichen Lage zu verharren. Er verhehlte sich jedoch nicht, daß der Sturm, der noch in diesem verachtungsvollen Schweigen zurückgehalten wurde, ohne Zweifel bei den ersten Worten losbrechen würde, und daß er von dieser jüngeren und leidenschaftlichen Prinzessin einen noch heftigeren Zorneserguß über sich werde ergehen lassen müssen.

Aber gerade das Übermaß der Schmach, die man ihm antat, machte den jungen Mann kühn, und sich zum dritten Mal nach Maßgabe der Umstände, nämlich steif und abgemessen, verbeugend, sagte er: »Madame, ich habe die Ehre gehabt, im Auftrage Ihrer Majestät der Königin-Regentin mir eine Audienz von Eurer Hoheit zu erbitten; Eure Hoheit hatte die Gnade, mir sie zu bewilligen. Will sie nun das Maß ihrer Güte vollmachen, indem sie mir durch ein Wort, durch ein Zeichen kund gibt, daß sie meine Gegenwart zu bemerken die Gnade gehabt hat und mich zu hören bereit ist?«

Eine Bewegung hinter den Vorhängen und unter der Decke verkündigte Canolles, daß man ihm antworten würde.

In der Tat ließ sich eine vor Aufregung beinahe erstickte Stimme vernehmen.

»Sprecht, mein Herr,« sagte diese Stimme, »ich höre Euch.«

Canolles nahm einen rednerischen Ton an und begann:

»Ihre Majestät die Königin schickt mich zu Euch, Madame, um Eurer Hoheit ihr Verlangen auszudrücken, ihre freundschaftliche Verbindung mit Euch fortzusetzen.«

Es ging eine sichtbare Bewegung hinter dem Bette vor. Die Prinzessin unterbrach den Redner und sagte mit bebender Stimme: »Mein Herr, sprecht nicht mehr von der Freundschaft, die zwischen Ihrer Majestät der Königin und dem Hause Condé herrscht; es finden sich Beweise vom Gegenteil in den Kerkern von Vincennes. Doch zur Sache, mein Herr, was wollt Ihr?«

»Ich will nichts, Madame,« sagte Canolles, sich hoch aufrichtend. »Ihre Majestät die Königin will, daß ich in dieses Schloß dringe, daß ich, so unwürdig ich auch dieser Ehre bin, Eurer Hoheit Gesellschaft leiste und, soviel in meinen Kräften steht, dazu beitrage, die gute Eintracht zwischen den Prinzen des königlichen Geblüts wiederherzustellen, die sich ohne Grund in einer so schmerzlichen Zeit entzweit haben.«

»Ohne Grund!« rief die Prinzessin, »Ihr behauptet, unser Bruch habe keinen Grund?«

»Vergebt, Madame,« versetzte Canolles, »ich behaupte nichts, ich bin nicht Richter, ich bin nur Dolmetscher.«

»Und mittlerweile, bis sich diese Eintracht wiederherstellt, läßt mich die Königin bespähen unter dem Vorwand . . .«

»Also bin ich ein Späher!« sagte Canolles mit bitterem Tone, »das Wort ist heraus! Ich danke Eurer Hoheit für ihre Freimütigkeit. Wohl, Madame, wollt mich behandeln, wie man solche Elende behandelt; vergeßt, daß ich der Gesandte einer Königin bin, daß diese Königin für alle meine Handlungen verantwortlich ist, daß ich nur ein ihrem Hauche gehorchendes Atom bin. Laßt mich durch Eure Lakaien fortjagen, laßt mich durch Eure Edelleute töten, stellt mir Leute gegenüber, denen ich mit dem Stock oder mit dem Degen antworten kann; wollt aber nicht so grausam einen Offizier beleidigen, der zugleich seine Pflicht als Soldat und als Untertan erfüllt.«

Diese dem Herzen entspringenden Worte, schmerzlich wie ein Seufzer, scharf wie ein Vorwurf, mußten ihre Wirkung hervorbringen und brachten sie auch hervor. Als die Prinzessin sie gehört hatte, erhob sie sich, stützte sich auf den Ellenbogen und sagte mit leuchtendem Auge, zitternder Hand und angstvoller Gebärde zu dem Boten: »Es ist bei Gott entfernt nicht meine Absicht, einen so tapferen Edelmann, wie Ihr seid, zu beleidigen. Nein, Herr von Canolles, ich hege keinen Verdacht gegen Eure Rechtschaffenheit; rügt meine Worte, sie sind verletzend, ich gebe es zu, doch ich wollte Euch nicht verletzen; nein, nein, Ihr seid ein edler Kavalier, Herr Baron, und ich lasse Euch volle Gerechtigkeit widerfahren.«

Und da die Prinzessin ohne Zweifel fortgezogen durch die edelmütige Bewegung ihres Herzens, sich bei diesen Worten aus dem Schatten des Betthimmels, den die dicken Vorhänge bildeten, vorgebeugt hatte, da man ihre weiße Stirn unter der Haube, ihre in Flechten herabhängenden blonden Haare, ihre glühend roten Lippen, ihre feuchten, sanften Augen hatte sehen können, so bebte Canolles; denn es zog ihm vor seinen Augen wie eine Vision vorüber, und er glaubte abermals einen Wohlgeruch einzuatmen, der ihn schon in der Erinnerung berauschte. Es kam ihm vor, als öffnete sich eines jener goldenen Tore, durch die die Träume einziehen, um ihm den beflügelten Schwarm lachender Gedanken und lauterer Liebesfreuden zuzuführen. Sein Blick fiel sicherer und klarer auf das Bett der Prinzessin, und in dem kurzen Raum einer Sekunde, während des raschen Schimmers eines Blitzes, der die ganze Vergangenheit beleuchtete, erkannte er in der vor ihm liegenden Prinzessin den Vicomte von Cambes.

Seine Aufregung war seit einigen Augenblicken so groß, daß die falsche Prinzessin sie auf Rechnung des ärgerlichen Vorwurfes setzen konnte, der ihm so wehe getan hatte. Und da ihre Bewegung, wie gesagt, nur einen Moment gedauert hatte, da sie bemüht gewesen war, sogleich wieder in den Halbschatten zurückzukehren, ihre Augen abermals zu verschleiern, ihre weiße und zarte Hand rasch zu verbergen, so versuchte sie, nicht ohne eine gewisse innere Erschütterung, aber wenigstens ohne äußere Unruhe, das Gespräch wieder anzuknüpfen, wo sie es verlassen hatte.

»Ihr sagtet also, mein Herr?« sagte sie.

Doch Canolles war geblendet, bezaubert; die Visionen zogen vor seinen Augen hin und her; seine Gedanken wirbelten, er verlor das Gedächtnis, den Verstand; er war im Begriff, zu fragen. Ein einziger Instinkt, den Gott in das Herz der Liebenden gelegt hat, den die Frauen Schüchternheit nennen und der nur Geiz ist, riet Canolles, noch Verstellung zu üben, zu warten, seinen Traum nicht zu verlieren, nicht durch ein unkluges, zu schnell entfahrenes Wort das Glück seines ganzen Lebens zu gefährden.

Großer Gott! was sollte aus ihm werden, wenn diese erhabene Prinzessin ihn erkennen, in ihrem Schlosse Chantilly einen Abscheu gegen ihn fassen sollte, wie sie Mißtrauen in dem Gasthause des Meisters Biscarros gegen ihn gefaßt hatte; wenn sie glauben sollte, er wolle, mit einem offiziellen Titel, mit einem königlichen Titel ausgerüstet, Verfolgungen fortsetzen, die gegen den Vicomte oder die Vicomtesse von Cambes verzeihlich, aber frech und fast verbrecherisch erschienen, wenn es sich um eine Prinzessin von Geblüt handelte.

»Aber,« dachte er plötzlich, »ist es möglich, daß eine Prinzessin von diesem Namen, von diesem Range allein mit einem einzigen Diener reiste?«

Und wie es immer bei einer solchen Gelegenheit geschieht, wo sich der schwankende, gestörte Geist auf etwas zu stützen sucht, so schaute Canolles verwirrt um sich her, und seine Augen hefteten sich auf das Porträt der ihren Sohn an der Hand haltenden Frau.

Bei diesem Anblick durchzuckte plötzlich ein Licht seinen Geist, und unwillkürlich machte er einen Schritt, um sich dem Gemälde zu nähern.

Die falsche Prinzessin konnte sich ihrerseits eines leichten Schreies nicht enthalten, und als sich Canolles bei diesem Schrei umwandte, sah er, daß ihr bereits verschleiertes Gesicht nunmehr völlig maskiert war.

»Oh, oh!« fragte Canolles zu sich selbst, »was soll das bedeuten? Entweder ist es die Prinzessin, die ich auf dem Wege von Bordeaux getroffen habe, oder man betört mich durch eine List, und es liegt keine Prinzessin in diesem Bett. In jedem Fall werden wir sehen.«

»Madame,« sagte er plötzlich, »ich weiß nun, was ich von Eurem Stillschweigen denken muß, und ich habe erkannt . . .«

»Was habt Ihr erkannt?« rief lebhaft die Dame im Bett.

»Ich habe erkannt,« erwiderte Canolles, »daß ich so unglücklich war, Euch dieselbe Meinung einzuflößen, die ich bereits der Frau Prinzessin-Witwe einflößte.«

»Ah,« machte unwillkürlich die Stimme mit einem Seufzer der Erleichterung.

Canolles' Satz war keineswegs logisch; aber der Schlag war getan. Canolles hatte die ängstliche Bewegung bemerkt, die ihn früher unterbrach, und die freudige Bewegung, die seinen letzten Worten folgte.

»Nur,« fuhr der Offizier fort, »nur bin ich darum nicht minder genötigt, Eurer Hoheit zu sagen, so unangenehm mir auch die Sache sein mag, daß ich im Schlosse bleiben und Eure Hoheit überall, wohin sie zu gehen belieben wird, begleiten muß.«

»Also kann ich nicht einmal in meinem Zimmer allein sein?« rief die Prinzessin. »Oh, mein Herr, das ist mehr als unwürdig!«

»Ich habe Eurer Hoheit bereits bemerkt, daß meine Instruktionen so lauten; aber Eure Hoheit mag sich beruhigen,« fügte Canolles, einen durchdringenden Blick auf die Dame des Bettes heftend und jedes Wort besonders betonend, hinzu, »sie muß besser als irgend jemand wissen, daß ich der Bitte einer Frau Folge zu leisten verstehe.«

»Ich!« rief die Prinzessin mit einem Tone, in dem mehr Verlegenheit als Erstaunen lag. »In der Tat, mein Herr, ich weiß nicht, was Ihr damit sagen wollt. Ich kenne die Umstände nicht, auf die Ihr anspielt.«

»Madame,« fuhr der Offizier, sich verbeugend fort, »ich glaubte, der Kammerdiener, der mich einführte, hätte Eurer Hoheit meinen Namen genannt. Ich bin der Baron von Canolles.«

»Wohl!« sagte die Prinzessin mit ziemlich fester Stimme, »was ist mir daran gelegen, mein Herr?« – »Ich glaubte bereits die Ehre gehabt zu haben, Eurer Hoheit angenehm zu sein.«

»Mir, ich bitte, wie das?« fragte die Stimme mit einer Unruhe, die Canolles an einen gewissen sehr zornigen, aber zugleich sehr furchtsamen Ton erinnerte, der in seinem Gedächtnis geblieben war.

Canolles dachte, er sei weit genug gegangen; überdies war er seiner Sache so gut wie sicher.

»Indem ich meine Instruktionen nicht nach dem Buchstaben erfüllte,«, erwiderte er mit der Miene der tiefsten Achtung.

Die Prinzessin schien beruhigt und sagte: »Mein Herr, ich will Euch nicht zu einem Vergehen veranlassen. Erfüllt Eure Instruktionen, wie sie auch lauten mögen.«

»Madame,« versetzte Canolles, »ich weiß zum Glücke noch nicht, wie man eine Frau verfolgt, also noch viel weniger, wie man eine Prinzessin beleidigt. Ich habe daher die Ehre, Eurer Hoheit zu wiederholen, was ich bereits der Frau Prinzessin-Witwe sagte, daß ich ihr untertänigster Diener sei . . . . Habt die Gnade, mir Euer Wort zu geben, daß Ihr das Schloß nicht ohne meine Gesellschaft verlassen werdet, und ich befreie Euch von meiner Gegenwart, die, wie ich wohl begreife, Eurer Hoheit verhaßt sein muß.«

»Aber, mein Herr, dann vollzieht Ihr Eure Befehle nicht.«

»Ich werde tun, was mich mein Gewissen tun heißt.«

»Herr von Canolles,« sagte die Stimme, »ich schwöre Euch, Chantilly nicht zu verlassen, ohne Euch zuvor davon in Kenntnis zu setzen.«

»Dann, Madame,« sagte Canolles, sich bis zur Erde verbeugend, »dann verzeiht mir, daß ich die unwillkürliche Ursache Eures Zornes gewesen bin. Eure Hoheit wird mich nur wiedersehen, wenn sie mich rufen läßt.«

»Ich danke Euch, Baron,« sagte die Stimme mit einem freudigen Ausdrucke, der sein Echo in dem Bettgange zu haben schien. »Geht, geht, ich danke Euch; morgen werde ich das Vergnügen haben, Euch wiederzusehen.«

Diesmal erkannte der Baron die Stimme, die Augen und das unbeschreibliche wollüstige Lächeln des reizenden Wesens, das ihm an dem Abend, wo der unbekannte Reiter ihm den Befehl des Herzogs von Epernon überbracht hatte, gleichsam durch die Hände geschlüpft war.

Canolles wußte alles, was er wissen wollte; er verbeugte sich daher mit derselben Ehrfurcht, als glaubte er sich von einer Prinzessin zu verabschieden, und begab sich in sein Gemach.


Zwölftes Kapitel.

Canolles hatte keinen festen Entschluß gefaßt. Als er in die für ihn bestimmte Wohnung zurückkehrte, begann er, nach der Gewohnheit unentschiedener Leute, rasch auf und ab zu gehen und die Lage zu überdenken. Er konnte aber zu keinem klaren Entschlusse kommen, bis ihn der Anblick seines Dieners blitzähnlich auf einen Gedanken brachte. Castorin war gekommen, seinem Herrn mitzuteilen, er werde nicht länger in seinem Dienst bleiben, sondern, von Herrn Pompée angeworben, in den der Prinzessin treten, sobald der Baron von Canolles ihn frei gebe. Dieser erklärte sich völlig einverstanden, und sagte: »Wohl, ich gebe dir die Freiheit morgen früh.«

»Und von jetzt bis morgen früh?« – »Bist du immer noch mein Lakai und mußt mir gehorchen.«

»Gern! Und was befiehlt der gnädige Herr?« – »Ich befehle dir, daß du dich auskleidest und dich in mein Bett legst.«

»Wie? was sagt der gnädige Herr? Ich begreife nicht.«

»Du brauchst nicht zu begreifen, sondern nur zu gehorchen. Kleide dich aus, ich will dir helfen,«

»Wie? der gnädige Herr will mir helfen?« – »Allerdings, da du die Rolle des Chevalier von Canolles spielen sollst, muß ich wohl die von Castorin spielen.«

Und ohne die Erlaubnis seines Lakaien abzuwarten, nahm ihm der Baron seinen Rock ab, den er anzog, seinen Hut, den er auf den Kopf setzte, schloß ihn, ehe jener von seinem Erstaunen sich erholt hatte, doppelt ein und ging rasch die Treppe hinab.

Canolles begann endlich klar in diesem ganzen Geheimnis zu sehen, obgleich ein Teil der Ereignisse für ihn noch in eine Wolke gehüllt blieb. Die Verbindung zwischen Pompée und dem Vicomte von Cambes erhellte viele Zweifel. Was von diesen bei Canolles noch übrig blieb, zerstreute sich vollends, als er, kaum in den Hof getreten, trotz der tiefen Finsternis der Nacht vier Männer einherschreiten und durch dieselbe Tür, durch die er hinausgegangen war, eben treten sah; diesen vier Männern ging derselbe Kammerdiener voran, der ihn bei den Prinzessinnen eingeführt hatte. Ein anderer Mann folgte, in seinen Mantel gehüllt.

Auf der Türschwelle blieben die Leute, die Befehle des Mannes im Mantel erwartend, still stehen.

»Ihr wißt, wo er wohnt,« sagte dieser mit gebieterischem Tone, sich an den Kammerdiener wendend; »Ihr kennt ihn, da Ihr ihn geführt habt. Überwacht ihn so, daß er nicht hinaus kann. Stellt Eure Leute auf der Treppe, im Gange, gleichviel wo Ihr wollt, auf, wenn er nur, ohne etwas zu vermuten, selbst bewacht ist, statt Ihre Hoheiten zu bewachen.«

Canolles machte sich unbemerkbar wie eine Vision in eine Ecke, wohin die Nacht ihren dichtesten Schatten warf; von hier aus sah er, ohne bemerkt zu werden, die vier Männer, die man ihm zu Wächtern gab, unter dem Gewölbe verschwinden, während der Mann im Mantel, nachdem er sich versichert hatte, daß seine Befehle ausgeführt wurden, den Weg wieder einschlug, auf dem er gekommen war.

»Das gibt noch keine Klarheit,« sagte Canolles, ihm mit den Augen folgend, »denn der Ärger kann sie veranlassen, mir gleiches mit gleichem zu vergelten; wenn nur dieser Castorin nicht ruft, schreit oder irgend eine Dummheit begeht! . . . Ich habe unrecht gehabt, ihn nicht zu knebeln. Leider ist es jetzt zu spät. Vorwärts, wir wollen unsere Runde beginnen.«

Nachdem Canolles seinen forschenden Blick hatte umher laufen lassen, durchschritt er den Hof und gelangte zu dem Flügel des Gebäudes, hinter dem die Ställe lagen.

Alles Leben des Schlosses schien sich in diesen Teil der Gebäude geflüchtet zu haben. Man hörte Pferde mit den Füßen scharren und eilige Leute umher laufen. Die Sattelkammer scholl vom Geklirr der Gebisse und Geschirre. Man zog Wagen aus den Schuppen, und Stimmen, durch die Furcht gedämpft, aber doch für ein aufmerksam lauschendes Ohr vernehmbar, riefen sich an und antworteten sich.

Canolles horchte einen Augenblick. Es unterlag keinem Zweifel, man schickte sich zu einer Abreise an. Er durchschritt den ganzen Raum zwischen dem einen Flügel und dem andern, ging unter ein Gewölbe und gelangte bis zur Fassade des Schlosses, wo er stehen blieb.

Die Fenster des Erdgeschosses glänzten in der Tat von einem so hellen Lichte, daß man sich sagte, es müsse eine Anzahl Kerzen im Innern brennen und diese Kerzen mußten hin und her getragen werden, so daß sie große Schatten und breite Lichtstrahlen auf den Rasen des Gartens warfen.

Canolles zögerte anfangs, in das Geheimnis einzudringen, das man ihm zu verbergen suchte. Aber bald bedachte er, daß sein Titel als Gesandter der Königin und die Verantwortlichkeit, die ihm diese Sendung auflegte, vieles, selbst bei dem ängstlichen Gewissen, entschuldigten.

Vorsichtig an der Mauer hinschreitend, an deren unterem Teil um so größere Dunkelheit herrschte, je stärker die sechs bis sieben Fuß über dem Boden liegenden Fenster glänzten, stieg er auf einen Weichstein, ging von dem Weichstein auf einen Marmorvorsprung über, hielt sich mit einer Hand an einem Ring, mit der andern am Rande eines Fensterkreuzes, und sandte seine scharfen Blicke in das Zimmer.

Und was sah er? Neben einer Frau, welche die letzte Nadel befestigte, die auf ihrem Kopf einen Reisehut festhalten sollte, kleideten einige Dienstmädchen ein Kind vollends in ein Jagdgewand; das Kind wandte Canolles den Rücken zu, und dieser konnte nur sein blondes Haar unterscheiden.

Aber die Dame, deren ganzes Gesicht vom Glanze zweier sechsarmiger Leuchter übergossen war, bot Canolles das genaue Original des Porträts, das er kurz zuvor im Halbschatten des Gemachs der Prinzessin erblickt hatte; es war wirklich das längliche Gesicht, der strenge Mund, die gebieterisch gebogene Nase der Frau, deren lebendes Bild Canolles erkannte.

Mehrere Hausbeamte, unter denen Canolles den Kammerdiener erkannte, packten in Felleisen, in Koffer und Mantelsäcke, teils Juwelen, teils Geld, teils das Arsenal der Frauen, das man Toilette nennt. Der kleine Prinz spielte und lief während dieser Zeit unter den eiligen Bedienten hin und her; aber unglücklicherweise vermochte Canolles sein Gesicht nicht zu sehen.

»Ich hatte es vermutet,« murmelte er; »man hintergeht mich; diese Leute treffen Vorkehrungen zur Abreise. Ja, aber mit einer Gebärde kann ich diese Possenszene in eine Szene der Trauer verwandeln. Ich brauche nur auf die Terrasse zu laufen und dreimal in dieses silberne Pfeifchen zu stoßen, und bei dem schrillen Tone, den es von sich geben wird, dringen zweihundert Mann in das Schloß, verhaften die Prinzessin und knebeln alle die Diener, die jetzt ein unterdrücktes Lachen zeigen. – Ja,« fuhr Canolles fort, nur sprach er jetzt mit dem Herzen und nicht mit den Lippen, »ja, aber sie, die dort schläft oder sich stellt, als schlafe sie! Ich werde sie unwiederbringlich verlieren; sie wird einen Haß gegen mich fassen, und zwar diesmal einen wohlverdienten Haß. Mehr noch, sie wird mich verachten und sagen, ich habe mein Spionenamt völlig ausgeübt; und dennoch, warum sollte ich nicht der Königin gehorchen, da sie der Prinzessin gehorcht?«

In diesem Augenblick, als wollte der Zufall sein Schwanken bekämpfen, öffnete sich die Tür des Gemaches und zwei Personen, ein Mann von fünfzig Jahren und eine Frau von zwanzig, traten hastig und freudig ein. Bei diesem Anblick ging das Herz unseres Canolles gänzlich in seine Augen über. Er erkannte die schönen Haare, die frischen Lippen, das geistreiche Auge des Vicomte von Cambes, der lächelnd und voll Ehrfurcht der Prinzessin von Condé die Hand küßte. Nur trug jetzt der Vicomte die Kleidung seines wahren Geschlechts und zeigte die reizendste Vicomtesse der Erde.

Canolles hätte zehn Jahre seines Lebens gegeben, um ihr Gespräch hören zu können; aber vergebens hielt er seinen Kopf fest an die Scheibe; es drang nur ein unverständliches Gesumme zu seinem Ohr. Er sah, wie die Prinzessin der jungen Frau eine Abschiedsgebärde machte, sie auf die Stirn küßte und ihr etwas empfahl, worüber alle Anwesenden lachten; hierauf kehrte die letztere in die Zeremonienzimmer mit einigen niedrigen Offizianten zurück, die Uniformen von höheren Offizieren anlegten. Dann begann links durch eine entgegengesetzte Türe geräuschlos das Gefolge der Prinzessin zu schreiten, die als erste mit der Haltung, nicht einer Flüchtigen, sondern einer Königin einherschritt. Hierauf kam der Stallmeister Vialas, der in seinen Armen den kleinen Herzog von Enghien, in einen Mantel eingewickelt, hielt. Lenet trug ein ziseliertes Kistchen und Papierstöße, und der Schloßhauptmann schloß den Zug, der durch zwei mit entblößten Degen einherschreitende Diener eröffnet wurde.

Alle entfernten sich durch einen geheimen Gang; sogleich sprang Canolles von seinem Beobachtungsposten herab und lief nach dem Gewölbe, dessen Lichter mittlerweile ausgelöscht worden waren. Da sah er den ganzen Zug nach den Ställen sich bewegen; man wollte abreisen.

In diesem Augenblick trat ihm der Gedanke an die Verpflichtungen, die ihm durch die Sendung der Königin auferlegt waren, wieder vor die Seele. Die Frau, die sich entfernen wollte, war der gepanzerte und bewaffnete Bürgerkrieg, der, wenn er sie entschlüpfen ließ, abermals Frankreich verwüstete. Er lief nach der den Park beherrschenden Terrasse und führte das silberne Pfeifchen an seine Lippen. Mit einem Schlage hätte er den kühnen Plan mit allen seinen Folgen vereitelt.

Aber der junge Edelmann schlug dabei die Augen nach dem Gemache auf, wo unter roten Samtvorhängen sanft und schwermütig der Schimmer der Nachtlampe sichtbar war, die bei der falschen Prinzessin brannte, deren geliebten Schatten er unbestimmt zu erblicken glaubte.

Alle Entschlüsse der Überlegung, alle Berechnungen der Selbstsucht verschwanden bei diesem sanften Lichtstrahl, wie bei dem ersten Schimmer des Tages alle Träume und alle Gespenster der Nacht verschwinden.

»Mazarin,« sagte er voll Leidenschaft zu sich selbst, »Mazarin ist reich genug, daß er alle diese Prinzen und Prinzessinnen verlieren kann, aber ich bin nicht reich genug, daß ich den Schatz verlieren dürfte, der von nun an mir gehört, und den ich, eifersüchtig wie ein Drache, bewachen werde. Jetzt ist sie allein, in meiner Macht, von mir abhängig; zu jeder Stunde des Tags und der Nacht kann ich in ihr Gemach eintreten; sie wird nicht fliehen, ohne es mir zu sagen, denn ich habe ihr Wort erhalten. Was liegt mir daran, daß die Königin hintergangen ist und daß Mazarin wütend wird? Man hat mich beauftragt, die Prinzessin von Condé zu bewachen; ich bewache sie. Man hätte mir nur ihr Signalement geben oder einen geschickteren Spion als ich bin schicken sollen.«

Canolles steckte sein Pfeifchen wieder in die Tasche und hörte, wie die Riegel klirrten, wie der entfernte Donner der Karossen über die Brücken des Parkes rollte und das abnehmende Geräusch eines Reiterzuges sich nach und nach verlor. Als alles, Vision und Lärm, verschwunden war, schlich er, ohne zu bedenken, daß er sein Leben gegen die Liebe einer Frau, das heißt gegen den Schatten des Glückes, eingesetzt hatte, in den zweiten öden Hof und stieg vorsichtig seine Treppe hinauf, die wie das Gewölbe in die tiefste Dunkelheit versenkt war.

Aber wie behutsam er auch zu Werke ging, er konnte es nicht verhindern, daß er, als er in den Gang kam, an eine Person stieß, die an seiner Tür zu lauschen schien und einen dumpfen Angstschrei ausstieß.

»Wer seid Ihr? wer seid Ihr?« fragte die Person mit ängstlichem Tone.

»Ei, wer seid Ihr, der wie ein Spion an dieser Treppe umherschleicht?« entgegnete Canolles.

»Ich bin Pompée.«

»Der Intendant der Frau Prinzessin?« – »Ja, ja! der Intendant der Frau Prinzessin.«

»Ah! das kommt vortrefflich!« sagte Canolles, »ich bin Castorin.«

»Castorin, der Diener des Herrn Barons von Canolles?« – »Er selbst.«

»Ah! mein lieber Castorin, ich wette, daß ich Euch große Angst eingejagt habe.«

»Mir?« – »Ja, verdammt! wenn man nicht Soldat gewesen ist. Kann ich etwas für Euch tun?« fuhr Pompée, seine wichtige Miene wieder annehmend, fort.

»Ja. Ihr könnt sogleich der Frau Prinzessin melden, daß mein Herr sie zu sprechen wünsche.«

»Um diese Stunde?« – »Allerdings.«

»Unmöglich!«

»Ihr glaubt?« – »Ich weiß es gewiß.«

»Sie wird also meinen Herrn nicht empfangen?« – »Nein!«

»Befehl des Königs, Herr Pompée; sagt ihr dies.«

»Befehl des Königs!« rief Pompée, »ich gehe.«

Und Pompée entfernte sich in aller Eile, zugleich durch die Achtung und die Furcht angetrieben, diese zwei Hebel, die sogar eine Schildkröte zum Laufen bringen können.

Canolles setzte seinen Weg fort, kehrte in seine Wohnung zurück, fand Castorin, der wie ein Bürgermeister in einem großen Lehnstuhl ausgestreckt schnarchte, zog seine Offizierskleider wieder an und erwartete das Kommende.

»Wahrhaftig,« sagte er zu sich selbst, »wenn ich auch die Angelegenheiten des Herrn von Mazarin nicht so gut betreibe, so denke ich doch, ich besorge die meinigen nicht so schlecht.«

Canolles erwartete vergebens Pompées Rückkehr, und beschloß nach Verlauf von zehn Minuten selbst vorzugehen.

Er weckte daher Castorin, schärfte ihm mit einem Ton, der keinen Widerspruch zuließ, ein, sich für alles, was da kommen sollte, bereit zu halten, und schlug den Weg nach den Gemächern der Prinzessin ein.

An der Tür fand der Baron einen Bedienten, der ihn nach seinem Begehr fragte und den auch nur der »Befehl des Königs« dazu brachte, einen Kammerherrn zu wecken, damit dieser der Prinzessin das Verlangen des königlichen Boten, sie sofort zu sprechen, mitteilen könnte.

»Haben denn,« fragte Canolles, »die Kammerherrn im Schlosse Chantilly die Gewohnheit, sich um elf Uhr schlafen zu legen?«

»Man hat den ganzen Tag gejagt,« stammelte der Lakai.

»Das ist richtig,« murmelte Canolles; »sie brauchen Zeit, um irgend jemand als Kammerherrn zu kleiden«

Dann fügte er laut hinzu: »Es ist gut, tut es. Ich werde warten.« Der Lakai lief spornstreichs weg, um im Schlosse Lärm zu schlagen, wo Pompée bereits durch seinen Bericht Aufregung und Angst verbreitet hatte.

Canolles horchte. Er hörte in den Gängen und Zimmern umherlaufen; er sah beim Schimmer erlöschender Lichter mit Musketen bewaffnete Leute in den Winkeln der Treppen sich aufstellen; er beobachtete, daß überall ein drohendes Murren an die Stelle der stummen Furcht trat, die einen Augenblick vorher im ganzen Schlosse geherrscht hatte.

Canolles legte die Hand an seine Pfeife und näherte sich einem Fenster, durch dessen Scheiben er wie eine wolkige Masse die Gipfel der großen Bäume hervortreten sah, an deren Fuß er die zweihundert Mann, die er mitgebracht, in Hinterhalt gelegt hatte.

»Nein,« sagte er, »das würde uns geradezu zur Schlacht führen, und dabei fände ich nicht meine Rechnung. Ich will lieber warten. Das Schlimmste, was mir hierbei widerfahren kann, ist, daß ich ermordet werde, während ich, wenn ich eile, sie verlieren kann.«

Canolles hatte kaum die Betrachtung für sich angestellt, als er eine Tür sich öffnen und eine neue Person erscheinen sah.

»Die Frau Prinzessin ist nicht sichtbar,« sagte diese Person hastig, »sie liegt im Bette und hat verboten, irgend jemand, wer es auch sein möchte, zu sich zu lassen.«

Canolles erkannte unschwer, daß der dickbäuchige Bursche mit dem er sprach, irgend ein Aufwärter war, den man als Kapitän der Garden ausstaffiert hatte. Dieser weigerte sich, um die späte Stunde jemand bei Ihrer Hoheit anzumelden; als Canolles kraft seiner Sendung mit Gewalt drohte, sagte er: »Mein Herr, versucht keine Gewalt. Ich habe fünfzig bewaffnete Leute, die bereit sind, die Ehre Ihrer Hoheit zu rächen.«

Canolles erwiderte: »Habt Ihr fünfzig bewaffnete Leute, mein Herr Kapitän, so habe ich zweihundert Soldaten, welche die Vorhut eines königlichen Heeres bilden. Gedenkt Ihr Euch in offenen Aufruhr gegen Seine Majestät zu setzen?«

»Nein, mein Herr, nein,« antwortete rasch und, wie es schien, sehr herabgestimmt der dicke Mann. »Gott behüte mich; aber ich bitte Euch mir zu bezeugen, daß ich nur der Gewalt weiche.«

»Das ist das geringste, was ich Euch als einem Amtsgenossen schuldig bin.«

»Wohl, ich werde Euch also zu der Frau Prinzessin-Witwe führen, die noch nicht eingeschlafen ist.«

»Ich habe keinen Befehl, die Frau Prinzessin-Witwe zu besuchen,« antwortete Canolles, »wohl aber Ihre Hoheit die junge Frau Prinzessin.«

Der Kapitän der Garden senkte abermals seinen Kopf, verlieh seinen dicken Beinen eine rückschreitende Bewegung, schleppte seinen langen Degen auf dem Boden und schritt majestätisch über die Türschwelle zwischen zwei Schildwachen durch, die während dieser Szene zitterten und bei der Verkündigung der Ankunft von zweihundert Mann ihren Posten beinahe verlassen hätten; so wenig waren sie geneigt, Märtyrer der Treue zu werden.

Nach zehn Minuten kehrte der Kapitän, gefolgt von zwei Wachen, unter unzähligen Bücklingen zurück, um Canolles abzuholen und zu der Prinzessin zu geleiten, in deren Gemach er eingeführt wurde, ohne eine neue Zögerung erleiden zu müssen.

Canolles erkannte das Zimmer, die verschiedenen Gerätschaften und sogar den süßen Duft, der ihn berauscht hatte. Aber vergebens suchte er zwei Dinge: das Porträt der wahren und das Gesicht der falschen Prinzessin. Das Porträt hatte man weggenommen, und infolge einer etwas verspäteten Vorsichtsmaßregel war das Gesicht der im Bette liegenden Person mit einer echt hochgeborenen Ungezogenheit dem Bettgang zugewendet, in dem zwei Frauen standen.

Canolles wäre gern über diesen Mangel an Rücksicht hinweggegangen; aber die Befürchtung, eine neue Stellvertreterin gestattete der Frau von Cambes zu fliehen, wie die Prinzessin geflohen war, ließ seine Haare sich vor Schrecken sträuben; er wollte sich daher sogleich der Identität der Person versichern, die im Bett lag, wobei er die Gewalt zu Hilfe rief, die ihm seine Sendung verlieh.

»Madame,« sagte er mit einer tiefen Verbeugung, »ich bitte Eure Hoheit um Verzeihung, daß ich so vor sie trete, besonders nachdem ich mein Wort gegeben habe, daß ich ihre Befehle erwarten wolle; aber ich habe soeben einen gewaltigen Lärm im Schlosse gehört.«

Die im Bett liegende Person bebte, antwortete aber nicht. Canolles forschte nach irgend einem Zeichen, an dem er zu erkennen vermöchte, ob er wirklich die, welche er suchte, vor Augen hätte. Aber inmitten der Wogen von Spitzen, und in der schwellenden, weichen Umgebung von Eiderdaunen und Vorhängen war es ihm unmöglich, etwas anderes zu erkennen, als die Form einer liegenden Person.

»Und,« fuhr Canolles fort, »ich bin es mir selbst schuldig, mich zu versichern, ob dieses Bett wirklich immer noch dieselbe Person enthält, mit der ich vor einer halben Stunde zu sprechen die Ehre gehabt habe.«

Diesmal war es nicht mehr ein einfaches Beben, sondern eine wahre Bewegung des Schreckens, eine Bewegung, die Canolles nicht entging und über die er selbst erschrak.

»Wenn sie mich getäuscht hat,« dachte er, »wenn sie, trotz ihres feierlichen Wortes, geflohen ist, so verlasse ich das Schloß und steige zu Pferde; ich setze mich an die Spitze meiner zweihundert Mann und hole meine Flüchtlinge ein, und sollte ich dreißig Dörfer anzünden müssen, um meinen Weg zu beleuchten.«

Canolles wartete einen Augenblick, aber die liegende Person antwortete nicht und drehte sich auch nicht um.

»Madame,« sagte Canolles endlich mit einer Ungeduld, die er nicht mehr zu verbergen vermochte, »ich bitte Eure Hoheit, sich zu erinnern, daß ich der Gesandte des Königs bin und daß ich im Namen des Königs die Ehre verlange, Ihr Gesicht zu sehen.«

»Oh! das ist eine unerträgliche Inquisition!« sagte nun eine zitternde Stimme, deren Klang den jungen Offizier vor Freude beben ließ, denn er erkannte eine Stimme, die niemand nachzuahmen imstande war. »Ist es, wie Ihr sagt, mein Herr, der König, der Euch zu diesem Verfahren nötigt, so kann dies nur der Fall sein, weil der König als ein Kind noch nichts von den Pflichten eines Edelmannes weiß; eine Frau zwingen, ihr Gesicht zu zeigen, heißt ihr dieselbe Beleidigung antun, als ob man ihr die Maske abreißen würde.«

»Madame, es gibt ein Wort, vor dem sich die Menschen beugen, wenn es von Königen kommt, und die Könige, wenn es vom Schicksal kommt: es muß sein.«

»Wohl, da es sein muß,« sagte die junge Frau, »da ich allein und ohne Schutz gegen den Befehl des Königs und die Forderungen seines Boten bin, so gehorche ich, mein Herr, schaut mich an.«

Damit entfernte eine ungestüme Bewegung den Wall von Kopfkissen, Decken und Spitzen, der die schöne Belagerte verbarg, und in der Bresche erschien, mehr von Scham als von Entrüstung gerötet, der blonde Kopf, den die Stimme vorher schon verraten hatte. Mit dem raschen Blicke des Liebenden versicherte sich Canolles, daß es nicht der Zorn war, der diese durch samtene Wimpern verschleierten Augen niedergeschlagen hielt und die Hand zittern ließ, die an den schneeweißen Hals die Wogen eines flüchtigen Haares und den Batist duftender Tücher preßte.

Die falsche Prinzessin blieb einen Augenblick in dieser Lage, der sie gern etwas Trotzendes verliehen hätte, während Canolles, die Wohlgerüche einschlürfend und mit beiden Händen die Schläge seines vor Freude springenden Herzens zurückdrängend, sie anschaute.

»Nun, mein Herr,« sagte nach einigen Sekunden die schöne Verfolgte, »ist die Demütigung groß genug? Habt Ihr mich nach Muße betrachtet? Ja, nicht wahr? Euer Triumph ist vollständig! Wohl, so seid ein edelmütiger Sieger und entfernt Euch.«

»Ich würde dies gern tun, Madame, aber ich muß meinen Instruktionen vollständig Genüge leisten. Ich habe bis jetzt nur den Teil meiner Sendung erfüllt, der Eure Hoheit betrifft; doch ist es nicht hinreichend, Euch gesehen zu haben, ich muß nun auch den Herzog von Enghien sehen.«

Auf diese Worte, die mit dem Tone eines Mannes ausgesprochen wurden, der das Recht hat zu befehlen und Gehorsam heischt, folgte ein furchtbares Stillschweigen. Die falsche Prinzessin erhob sich, stützte sich auf eine Hand und heftete auf Canolles einen der seltsamen Blicke, die nur ihr anzugehören schienen, so viele Dinge enthielten sie zumal. Dieser Blick wollte sagen: »Habt Ihr mich erkannt, wißt Ihr, wer ich in der Tat bin? Wenn Ihr es wißt, so verschont mich, verzeiht mir, Ihr seid der Stärkere, habt Mitleid mit mir!«

Canolles begriff alles, was dieser Blick sprach, aber er stählte sich gegen seine verführerische Beredsamkeit und antwortete: »Unmöglich, Madame, der Befehl ist unzweideutig.«

»Es geschehe also in allem, wie Ihr es wünscht, mein Herr, da Ihr weder auf meine Lage, noch auf meinen Rang Rücksicht nehmt; geht, diese Damen werden Euch zu dem Prinzen, meinem Sohne, führen.«

»Könnten diese Damen, statt mich zu Eurem Sohne zu führen, nicht Euren Sohn zu Euch führen?« entgegnete Canolles; »das wäre meiner Ansicht nach viel besser.«

»Und warum, mein Herr?« fragte die falsche Prinzessin, offenbar unruhiger über diese neue Forderung, als sie es über irgend eine andere gewesen war.

»Weil ich mittlerweile Eurer Hoheit einen Punkt meiner Sendung mitteilen werde, der nur ihr allein eröffnet werden kann.«

»Mir allein?« – »Euch allein,« antwortete Canolles mit einer Verbeugung tiefer als jede, die er bis dahin gemacht hatte.

Der Blick der Prinzessin, die stufenweise von der Würde zur Bitte, von der Bitte zur Unruhe übergegangen war, heftete sich diesmal mit der Starrheit des Schreckens auf Canolles.

»Was kann Euch an diesem Alleinsein mit mir so sehr ängstigen, Madame?« sagte Canolles. »Seid Ihr nicht Prinzessin und bin ich nicht Edelmann?«

»Ja, Ihr habt recht, mein Herr, und ich habe unrecht, daß ich fürchte. Ja, obgleich es das erste Mal ist, daß mir das Vergnügen zuteil wird, Euch zu sehen, so ist doch das Gerücht von Eurer Höflichkeit und Rechtschaffenheit bis zu mir gedrungen. Geht, meine Damen, holt den Herrn Herzog von Enghien und kommt mit ihm zurück.«

Die Frauen verließen den Bettgang, schritten nach der Tür, wandten sich noch einmal um, um zu sehen, ob der Befehl ernstlich gemeint sei, und entfernten sich auf ein Zeichen ihrer Gebieterin, oder vielmehr der, die ihren Platz einnahm, aus dem Zimmer.

Canolles folgte ihnen mit dem Blicke, bis sie die Tür zugemacht hatten. Dann wandte er seine von Freude funkelnden Augen auf die falsche Prinzessin zurück.

»Sprecht,« sagte diese, sich aufsetzend und ihre Hände kreuzend, »sprecht, Herr von Canolles, warum verfolgt Ihr mich auf eine solche Weise?«

Und bei diesen Worten schaute sie den jungen Offizier an, nicht mit dem hochmütigen Prinzessinnenblick, den sie versucht hatte, und der ihr nicht gelungen war, sondern im Gegenteil mit einem so rührenden und bezeichnenden Ausdruck, daß all die reizenden Einzelheiten ihres ersten Zusammentreffens, all die berauschenden Episoden ihrer Reise, all die Erinnerungen dieser jungen Liebe mit überwältigender Gewalt im Herzen des Barons auftauchten und es wie mit balsamischen Düften umhüllten.

»Madame,« sagte er, einen Schritt gegen das Bett machend, »ich verfolge die Frau Prinzessin von Condé und nicht Euch.«

Die, an die diese Worte gerichtet waren, stieß einen kurzen Schrei aus, wurde sehr bleich und drückte eine ihrer Hände an ihr Herz.

»Was wollt Ihr damit sagen, mein Herr und für wen haltet Ihr mich?«

»Ah! was das betrifft . . . ich wäre sehr verlegen, wenn ich es Euch erklären müßte; denn ich möchte schwören, daß Ihr der reizendste Vicomte seid, wenn Ihr nicht etwa die anbetungswürdigste Vicomtesse seid.«

»Mein Herr,« sagte die falsche Prinzessin, die durch Zusammenraffung ihrer Würde einen Eindruck auf Canolles zu machen hoffte, »ich begreife von allem, was Ihr mir sagt, nur das eine, daß Ihr Euch gegen die Achtung verfehlt, daß Ihr mich beleidigt.«

»Madame, man verfehlt sich nicht gegen die Achtung vor Gott, weil man ihn anbetet, man beleidigt die Engel nicht, weil man sich vor ihnen auf die Knie wirft.«

Und bei diesen Worten bückte sich Canolles, als wollte er niederknien.

»Mein Herr,« sagte rasch die Vicomtesse, Canolles zurückhaltend, »die Prinzessin von Condé kann nicht dulden . . .«

»Madame, die Prinzessin von Condé reitet in diesem Augenblick auf einem guten Pferde, zwischen ihrem Stallmeister Vialas und ihrem Rat Lenet, mit ihren Edelleuten, ihren Kapitänen und Haustruppen auf der Straße nach Bordeaux und hat nichts mit dem zu schaffen, was in dieser Minute zwischen dem Baron von Canolles und dem Vicomte oder der Vicomtesse von Cambes vorgeht.«

»Was sprecht Ihr da, mein Herr? Seid Ihr verrückt?«

»Nein Madame, ich sage nur, was ich gesehen, ich erzähle nur, was ich gehört habe.«

»Wenn Ihr gesehen, wenn Ihr gehört habt, was Ihr sagt, so muß Eure Sendung zu Ende sein.«

»Ihr glaubt, Madame? Ich soll also nach Paris zurückkehren und der Königin gestehen, daß ich, um einer Frau nicht zu mißfallen, die ich liebte, ihre Befehle verletzt, die Flucht ihrer Feindin gestattet, das Geschehene unbeachtet gelassen, die Sache meines Königs verraten habe?«

Die Vicomtesse schien bewegt und schaute den Baron mit beinahe zärtlichem Mitleid an.

»Habt Ihr nicht die allerbeste Entschuldigung,« sagte sie. »Die Unmöglichkeit? Konntet Ihr allein die starke Eskorte der Frau Prinzessin festnehmen? Hatte man Euch den Befehl gegeben, allein fünfzig Edelleute zu bekämpfen?«

»Ich war nicht allein, Madame,« sagte Canolles, den Kopf schüttelnd; »ich hatte und habe noch dort im Gehölz, fünfhundert Schritte von uns, zweihundert Soldaten, die ich mit einem einzigen Tone dieser Pfeife zu mir rufen kann; es wäre mir also leicht gewesen, die Frau Prinzessin festzunehmen. Und dann, wäre mein Geleite auch schwächer gewesen als das ihrige, während es viermal stärker ist, so hätte ich immerhin kämpfen, immerhin kämpfend fallen können; es wäre mir dies so leicht gewesen,« fügte der junge Mann mit einer tiefen Verbeugung hinzu, »als es mir süß sein würde, diese Hand zu küssen, wenn ich es wagte.«

Diese Hand, auf die der Baron glühende Blicke heftete, diese feine, fleischige, weiße Hand war in der Tat aus dem Bette gefallen und zitterte bei jedem Worte des jungen Mannes. Die Vicomtesse, selbst geblendet durch die Elektrizität der Liebe, deren Wirkungen sie in dem kleinen Wirtshause von Jaulnay empfunden hatte, dachte nicht daran, daß sie diese kleine Hand zurückziehen sollte; und der junge Offizier sank auf ein Knie und drückte seinen Mund mit wollüstiger Schüchternheit auf die Hand, die bei der Berührung seiner Lippen sich zurückzog, als ob ein glühendes Eisen sie gebrannt hätte.

»Ich danke, Herr von Canolles,« sagte die junge Frau, »ich danke aus dem Grunde meines Herzens für das, was Ihr für mich getan habt; glaubt, daß ich es nie vergessen werde. Aber verdoppelt den Wert des Dienstes, den Ihr mir leistet, dadurch, daß Ihr meine Lage in Betracht zieht und Euch entfernt. Müssen wir uns nicht verlassen, da Eure Aufgabe vollbracht ist?«

Dieses uns, mit einem so zarten Tone ausgesprochen, daß darin gleichsam ein Anklang von Bedauern zu liegen schien, ließ im Herzen des Barons beinahe schmerzhaft die geheimsten Fasern erbeben. Das Gefühl des Schmerzes findet sich fast immer im Grunde großer Freuden.

»Ich werde gehorchen,« sagte Canolles. »Nur bemerke ich Euch, nicht um ungehorsam zu sein, sondern um Euch vielleicht einen Gewissensbiß zu ersparen, daß ich mich durch diesen Gehorsam zu Grunde richte. Im Augenblick, wo ich meinen Fehler gestehe und nicht mehr das Ansehen habe, als ob ich mich durch Eure List betören ließe, werde ich das Opfer meiner Gefälligkeit. Man erklärt mich als Verräter, man kerkert mich ein . . . erschießt mich vielleicht, und das ist ganz einfach; denn ich habe verraten.«

Claire stieß einen Schrei aus und ergriff selbst Canolles Hand, die sie mit einer reizenden Verwirrung sogleich wieder fallen ließ.

»Was wollen wir denn tun?« fragte sie.

Das Herz des jungen Mannes dehnte sich aus, dieses selige wir wurde entschieden das Lieblingswort der Frau von Cambes.

»Euch zu Grunde richten, Euch, der so edelmütig handelt!« fuhr sie fort. »Ich Euch ins Verderben stürzen . . . oh! nie. Um welchen Preis kann ich Euch retten? sprecht, sprecht!«

»Ihr müßt mir erlauben, Madame, meine Rolle bis zum Ende zu spielen. Ich sollte, wie ich sagte, als Opfer Eurer List erscheinen, und Herrn von Mazarin von dem, was ich sehe, und nicht von dem, was ich weiß, Meldung machen.«

»Ja, aber wenn man wüßte, daß Ihr alles dies für mich tut, wenn man erführe, daß wir uns bereits begegnet haben, daß Ihr mich bereits gesehen habt, wäre ich ebenfalls verloren; bedenkt das!«

»Madame,« sagte Canolles mit vortrefflich gespielter Schwermut, »bei Eurer kalten Miene, bei Eurer Würde, die Ihr so mühelos in meiner Gegenwart behauptet, glaube ich nicht, daß Ihr Euch ein Geheimnis entschlüpfen lassen würdet, das überdies, in Eurem Herzen wenigstens, gar nicht besteht.«

Claire schwieg, aber ein flüchtiger Blick und ein unmerkliches Lächeln, das unwillkürlich die Lippen der schönen Gefangenen umspielte, antworteten Canolles auf eine Weise, die ihn zum glücklichsten Sterblichen machte.

»Ich werde also bleiben?« sagte er mit unaussprechlicher Freude.

»Da es sein muß!« erwiderte die Vicomtesse.

»Dann schreibe ich Herrn von Mazarin.«

»Ja, geht.«

»Wie denn?«

»Ich sage, Ihr sollt gehen und schreiben.«

»Nein, ich muß ihm von hier, von Eurem Zimmer aus schreiben, ich muß meinen Brief vom Fuße Eures Bettes datieren.«

»Aber das ist nicht schicklich.«

»Hier sind meine Instruktionen, Madame. Lest sie selbst!«

Canolles reichte der Vicomtesse ein Papier, und sie las: »Der Herr Baron von Canolles wird die Frau Prinzessin von Condé und den Herrn Herzog von Enghien, ihren Sohn, nie aus den Augen lassen.«

»Nie aus den Augen,« sagte Canolles.

»Nie aus den Augen, so ist es.«

Claire begriff nun den Vorteil, den ein Verliebter wie Canolles aus solchen Instruktionen ziehen konnte, aber sie begriff auch, welchen Dienst sie der Prinzessin leistete, indem sie in Beziehung auf ihre Person den Irrtum des Hofes verlängerte.

»Schreibt also,« sagte sie wie eine Frau, die sich in das Unvermeidliche fügt.

Canolles fragte mit dem Blick, und sie zeigte ihm ebenfalls mit dem Blick ein Necessaire, das alles enthielt, was man zum Schreiben braucht; der junge Mann öffnete es, nahm Papier, Feder und ein Tintenfaß daraus, legte alles auf einen Tisch, zog diesen Tisch so nahe wie möglich zu dem Bett, bat, als ob Claire die kranke Prinzessin wäre, um Erlaubnis sich zu setzen, was ihm bewilligt wurde, und schrieb an Herrn von Mazarin folgende Meldung:

»Monseigneur,

»Ich bin im Schlosse Chantilly um neun Uhr abends angekommen, Ihr erseht hieraus meine Eile, denn ich habe die Ehre gehabt, um halb sieben Uhr von Eurer Eminenz Abschied zu nehmen.

»Ich fand die Prinzessinnen im Bette, die Frau Witwe sehr krank, die Frau Prinzessin ermüdet von einer Jagd, die sie am Tage veranstaltet hatte.

»Nach den Instruktionen Eurer Eminenz habe ich mich zu Ihren Hoheiten verfügt, die in demselben Augenblick alle ihre Gäste verabschiedeten, und ich bewache zu dieser Stunde die Frau Prinzessin und ihren Sohn unter meinen Augen.«

»Und ihren Sohn,« wiederolte Canolles sich gegen die Vicomtesse umwendend. »Teufel! ich glaube, ich lüge, und doch möchte ich nicht gern lügen.«

»Beruhigt Euch,« versetzte Claire lachend, »wenn Ihr meinen Sohn nicht gesehen habt, so werdet Ihr ihn noch sehen.«

»Und ihren Sohn unter meinen Augen,« fuhr Canolles lachend fort.

Dann schrieb er weiter:

»Ich habe die Ehre aus dem Zimmer der Frau Prinzessin und an ihrem Kopfkissen sitzend diesen Brief an Eure Eminenz zu schreiben.«

Er unterzeichnete, ließ mit Claires Bewilligung Castorin holen und beauftragte diesen, das Schreiben dem Offizier, der die zweihundert Mann kommandierte, zu übergeben, damit dieser es durch einen eigenen Boten nach Paris schicke.

Nachdem Castorin mit dem Schreiben abgegangen war, sagte Claire, indem sie ihre beiden Hände gefaltet und flehend gegen Canolles ausstreute, »nun entfernt Ihr Euch, nicht wahr?«

»Verzeiht . . . Euer Sohn, Madame?«

»Das ist richtig,« erwiderte Claire lächelnd, »Ihr sollt ihn sehen.«

Gleich darauf trat auch der vermeintliche Herzog von Enghien mit einem ganzen Gefolge von Frauen und Kammerherren herein und Claire gönnte sich die kleine Bosheit, ihm zu sagen, er solle dem Baron von Canolles seine Hand zum Kusse reichen. Schnell besonnen benutzte der junge Mann diese Gelegenheit, indem er sagte: »Ehe ich mich Eurer Hoheit empfehle, wage ich noch, eine hohe Gunst zu erbitten.«

»Welche?« fragte Frau von Cambes unruhig; denn sie erkannte an dem Ton, daß sich der Baron eine Genugtuung verschaffen wollte.

»Daß Ihr mir dieselbe Gnade bewilliget, die mir der Prinz, Euer Sohn, gewährt hat.«

Diesmal war die Vicomtesse gefangen. Es gab keine Möglichkeit, einem Offizier des Königs die zeremonielle Gunst zu verweigern, die er auf diese Art im Angesicht aller forderte. Frau von Cambes streckte daher ihre zitternde Hand gegen Canolles aus.

Dieser schritt auf das Bett zu, als sei es der Thron einer Königin, faßte mit der Spitze seiner Finger die Hand, die man ihm reichte, setzte ein Knie auf die Erde und drückte auf die feine, weiße, zitternde Haut einen langen Kuß, den jeder der Ehrfurcht zuschrieb, während er für die Vicomtesse allein ein glühendes Pressen der Liebe war.

»Ihr habt mir versprochen, Ihr habt mir sogar geschworen, das Schloß nicht zu verlassen, ohne mich davon in Kenntnis zu setzen,« sagte Canolles aufstehend mit halber Stimme. »Ich rechne auf Euer Versprechen und auf Euern Schwur.«

»Rechnet darauf, mein Herr,« sagte Frau von Cambes und fiel, einer Ohnmacht nahe, auf ihr Kopfkissen zurück.

Canolles, den der Ausdruck der Stimme zittern ließ, suchte in den Augen der schönen Gefangenen die Bestätigung der Hoffnung, die ihm ihr Ton verlieh; aber die Augen der Vicomtesse waren hermetisch geschlossen.

Canolles dachte, die geschlossenen Kisten enthalten die kostbarsten Schätze, und zog sich mit einem Paradies im Herzen zurück, das ihm die kühnsten Pläne durchs Gehirn jagte und die seligsten Träume herbeizauberte.

Nach kurzem Schlafe, wenn man das fieberhafte Delirium, das auf sein Wachen folgte, Schlaf nennen darf, sprang er aus dem Bette, kleidete sich hastig an und ging in den Garten hinab. Sein erster Besuch galt dem Flügel, den die Prinzessin bewohnte, sein erster Blick dem Fenster ihres Gemaches. War die Gefangene noch nicht eingeschlafen, war sie bereits erwacht? . . . Ein Licht, zu stark, um einer Nachtlampe anzugehören, rötete die hermetisch geschlossenen Damastvorhänge. Canolles blieb still stehen bei diesem Anblick, der ohne Zweifel sogleich in seinem Geiste eine große Anzahl unsinniger Gedanken rege machte, und verbarg sich, seinen Spaziergang unterbrechend, hinter einer Bildsäule, wo er immer von neuem den ewigen Dialog verliebter Herzen begann, die den geliebten Gegenstand in allen poetischen Ausströmungen der Natur finden.

Der Baron war seit ungefähr einer halben Stunde auf seinem Beobachtungsposten und betrachtete mit unaussprechlicher Wonne diese Vorhänge, vor denen jeder andere als er gleichgültig vorübergegangen wäre, als er ein Fenster der Galerie sich öffnen und eben dieses Fenster beinahe in demselben Augenblick das ehrliche Gesicht Pompées umrahmen sah. Alles, was auf die Vicomtesse Bezug hatte, flößte Canolles ein mächtiges Interesse ein; er wandte daher seinen Blick von den Vorhängen ab und glaubte zu bemerken, daß Pompée eine Korrespondenz durch Zeichen mit ihm einzuleiten trachtete. Bald bemerkte er auch etwas Weißes in Pompées Hand, das er als ein zusammengerolltes Papier erkannte.

»Ein Billett!« dachte Canolles, »sie schreibt mir; was bedeutet das?«

Er näherte sich zitternd vor Freude; Pompée ließ das Papier fallen, und Canolles fing es geschickt auf. Indem der Edelmann in seinem Herzen schnell alle Stufen vom Entzücken bis zu bangem Zweifel durchlief, erbrach er das Siegel und las:

»Mein Herr, länger in der Lage zu verharren, in der wir uns befinden, ist rein unmöglich. Ich hoffe, Ihr werdet in dieser Hinsicht denken, wie ich. Ihr müßt darunter leiden, daß Ihr in den Augen aller Leute des Hauses für einen lästigen Aufseher geltet; andrerseits, wenn ich Euch besser empfange, als die Frau Prinzessin an meiner Stelle tun würde, muß ich befürchten, man werde erraten, daß wir eine doppelte Komödie spielen, die mir sicher den Verlust meines Rufes brächte.«

Canolles trocknete sich die Stirn ab, seine Ahnungen hatten ihn nicht getäuscht. Mit dem Tage, dem großen Verscheucher der Phantome, verschwanden all seine goldenen Träume; er schüttelte den Kopf, stieß einen Seufzer aus und fuhr fort:

»Stellt Euch, als entdecktet Ihr die List, deren wir uns bedient haben; es gibt, um zu dieser Entdeckung zu gelangen, ein ganz einfaches Mittel, das ich Euch selbst an die Hand geben werde, wenn Ihr versprechen wollt, Euch meiner Bitte zu fügen. Ihr seht, ich verberge Euch nicht, wie sehr ich von Euch abhänge. Fügt Ihr Euch meiner Bitte, so lasse ich Euch mein Porträt zukommen, worauf unter dem Bilde selbst mein Name und mein Wappen angebracht sind. Ihr sagt, Ihr habt dieses Porträt bei einer Eurer nächtlichen Runden gefunden und daraus erkannt, daß ich nicht die Frau Prinzessin sei.

»Brauche ich Euch zu bemerken, daß ich Euch zum steten Zeichen der Dankbarkeit, die ich im Herzen bewahren werde, wenn Ihr noch diesen Morgen abreist, ermächtige, dieses Miniaturbild zu behalten, vorausgesetzt, daß Ihr irgendeinen Wert darauf legt?

»Verlaßt uns also, wenn es möglich ist, ohne mich wiederzusehen, und Ihr werdet meine ganze Dankbarkeit mit Euch nehmen, während ich meinerseits Euer Andenken als das eines der edelsten, rechtschaffensten Männer, die ich in meinem Leben kennen gelernt habe, bewahren will.«

Canolles las das Billett zum zweitenmal und blieb wie versteinert. Trotz des Tropfens Honig spürte er nur die Bitterkeit der Trennung. So süß ihm auch das Porträt schien, die Ursache, aus der es geboten wurde, benahm ihm einen großen Teil seines Wertes. Wozu überdies das Porträt, wenn das Original da ist, wenn man es unter den Händen hat, und nur nicht freizugeben braucht? – Ja, aber Canolles, der nicht vor dem Zorne der Königin und Mazarins zurückgewichen war, zitterte vor einem Stirnrunzeln der Frau von Cambes.

Wenn er jedoch daran dachte, wie oft ihn diese Frau schon irregeführt hatte, so glaubte er statt der verdienten Dankbarkeit nur Grausamkeit, ja Verhöhnung geerntet zu haben, und der heftigste Zorn ergriff ihn.

»Ja, ja,« dachte er, seine Gedanken mit Gebärden begleitend, die mit dem Gefühl in Einklang standen, das ihn beschäftigte, »ja, das ist ein förmlicher Abschied, eine poetische Hoffnung in eine rohe Täuschung verwandelt. Aber ich werde die Lächerlichkeit, die man mir bereiten will, nicht so hinnehmen. Ich ziehe ihren Haß der angeblichen Dankbarkeit vor, die sie mir verspricht. Ah, ja, ich soll nur ihrem Versprechen trauen! . . . Es wäre geradesogut, wenn man der Beständigkeit des Windes oder der Ruhe des Meeres trauen würde. Ah! Madame, Madame!« fügte er, sich gegen das Fenster wendend hinzu, »Ihr entgeht mir zweimal; aber ich schwöre, ich finde eine ähnliche Gelegenheit, und Ihr werdet mir nicht zum drittenmal entgehen.«

Hierauf ging Canolles in seine Wohnung zurück, um sich anzukleiden und nötigenfalls mit Gewalt zu der Vicomtesse zu dringen. Sobald es die frühe Stunde nur erlaubte, ließ er sich aufs neue bei der Prinzessin anmelden, die ihn endlich, nach langem Zögern, empfing.

Diesmal war jedes Zeremoniell verbannt, die Vicomtesse erwartete ihn ganz angekleidet und stehend in einem kleinen Salon. Spuren von Schlaflosigkeit, die man vergebens zu verwischen gesucht hatte, waren auf ihrem reizenden Antlitz sichtbar; ein leichter, blauer Kreis um ihre Augen deutete insbesondere an, daß sich diese kaum oder gar nicht geschlossen hatten.

»Ihr seht, mein Herr,« sagte sie, ohne daß sie ihm Zeit ließ, zuerst zu sprechen, »ich füge mich Eurem Wunsche, doch ich gestehe es, in der Hoffnung, daß diese Zusammenkunft die letzte ist, und daß Ihr Euch ebenfalls dem meinigen füget.«

»Verzeiht, Madame, aber nach unserer Unterredung gestern abend hoffte ich auf weniger Strenge in Euren Forderungen, und ich zählte darauf, als Ersatz für das, was ich für Euch, für Euch allein getan habe, würdet Ihr die Gnade haben, mich länger in Chantilly zu dulden.«

»Ja, mein Herr, ich gestehe, die in meiner Lage erklärliche Unruhe . . . die Größe des Opfers, das Ihr mir brachtet, das Interesse der Frau Prinzessin, für die ich Zeit gewinnen sollte, vermochten meinem Munde einige Worte zu entreißen, die nicht im Einklang mit meinem Innern standen; aber während dieser Nacht habe ich nachgedacht; ein längerer Aufenthalt unser beider in diesem Schlosse wird unmöglich.«

»Unmöglich, Madame!« rief Canolles. »Ihr vergeßt, daß alles für einen Mann möglich ist, der im Namen des Königs spricht?«

»Herr von Canolles, ich hoffe, daß Ihr vor allem Edelmann seid und die Lage nicht mißbrauchen werdet, in die mich meine Ergebenheit gegen die Frau Prinzessin versetzt hat.«

»Madame, vor allem bin ich verrückt. Mein Gott! Ihr habt es wohl gesehen, denn nur ein Verrückter konnte tun, was ich getan habe. Übt also Mitleid mit meiner Verrücktheit, Madame, schickt mich nicht fort, ich flehe Euch an!«

»Dann werde ich den Platz verlassen, mein Herr. Ich werde Euch wider Euern Willen zu Euern Pflichten zurückbringen. Wir wollen sehen, ob Ihr mich mit Gewalt zurückhaltet, ob Ihr uns dem üblen Gerede der Welt preisgeben wollt. Nein, nein, mein Herr!« fuhr die Vicomtesse mit einem Tone fort, den Canolles zum ersten Male hörte, »nein, Ihr werdet bedenken, daß Ihr nicht ewig in Chantilly bleiben könnt; Ihr werdet bedenken, daß man Euch anderswo erwartet.«

Dieses Wort, das wie ein Blitz die Augen Canolles' erleuchtete, erinnerte ihn an die Szene im Wirtshause von Biscarros, an die Kenntnis, die Frau von Cambes von der Liebschaft des jungen Mannes hatte, und alles war ihm klar. Ihre Schlaflosigkeit war nicht durch die Angst vor der Gegenwart, sondern durch die Erinnerung an die Vergangenheit veranlaßt worden. Der Entschluß am Morgen, Canolles zu meiden, war nicht das Resultat der Überlegung, sondern der Ausdruck der Eifersucht.

Es trat nun zwischen beiden ein kurzes Stillschweigen ein; jedes horchte auf das Wort seines eigenen Geistes, der in seiner Brust mit den Schlägen seines Herzens sprach.

»Eifersüchtig!« sagte Canolles zu sich selbst, »eifersüchtig! Oh! nun begreife ich alles. Ja, ja! sie will sich versichern, daß ich sie hinreichend liebe, um ihr jede andere Liebe zu opfern! Es ist eine Probe!«

Frau von Cambes aber sprach zu sich selbst: »Ich bin für Herrn von Canolles eine Zerstreuung; er hat mich auf seinem Wege in dem Augenblick getroffen, wo er die Guienne zu verlassen genötigt war, und folgte mir, wie der Reisende einem Irrlichte folgt: aber sein Herz ist in dem kleinen von Bäumen umgebenen Hause geblieben, in das er sich an dem Abend begeben wollte, wo ich ihn traf. Ich kann also unmöglich einen Mann bei mir behalten, der eine andere liebt, und den ich, wenn ich ihn länger sehen würde, vielleicht schwach genug wäre zu lieben. Oh! ich würde nicht nur meine Ehre, sondern auch die Interessen der Frau Prinzessin verraten, wenn ich so niederträchtig wäre, den Agenten ihrer Verfolger zu lieben!«

Plötzlich rief sie, ihren eigenen Gedanken beantwortend: »Oh! nein, nein, Ihr müßt abreisen, mein Herr; geht oder ich gehe.«

»Ihr vergeßt, Madame,« sagte Canolles, »ich habe Euer Wort, daß Ihr nicht abreist, ohne mich zuvor in Kenntnis gesetzt zu haben.«

»Wohl, mein Herr, ich benachrichtige Euch, daß ich Chantilly in diesem Augenblick verlasse.«

»Und Ihr glaubt, ich werde es gestatten?« – »Wie!« rief die Vicomtesse, »Ihr wollt mir Gewalt antun!«

»Madame, ich weiß nicht, was ich tun werde, aber das weiß ich, daß es mir unmöglich ist, Euch zu verlassen.«

»Also bin ich Eure Gefangene?« – »Ihr seid eine Frau, die ich bereits zweimal verloren habe und nicht zum dritten Male verlieren will.«

»Gewalt also?« – »Ja, Madame, Gewalt,« antwortete Canolles, »wenn es das einzige Mittel ist, Euch zu behalten.«

»Ah!« rief Frau von Cambes, »welch ein Glück, eine Frau zu halten, die seufzt, nach Freiheit ruft, uns nicht liebt, uns haßt!«

Canolles bebte und suchte rasch voneinander zu trennen, was in dem Worte und was in dem Geiste lag.

Er begriff, daß der Augenblick gekommen war, alles gegen alles einzusetzen.

»Madame,« sagte er, »die Worte, die Ihr mit einem so wahren Ausdruck gesprochen habt, daß ich mich über ihre Bedeutung nicht täuschen kann, haben jede Ungewißheit in mir gelöst. Ihr seufzend, Ihr eine Sklavin! ich eine Frau zurückhalten, die mich nicht liebt, die mich haßt! Nein, Madame, nein, seid unbesorgt, es wird nicht so sein. Ich glaubte nach dem Glücke, das Euer Anblick mir gewährte, Ihr würdet meine Gegenwart ertragen; ich hoffte, nachdem ich Achtung, Ruhe des Gewissens, Zukunft, vielleicht die Ehre verloren habe, Ihr würdet mich für dieses Opfer durch das Geschenk einiger Stunden entschädigen, die ich wohl nie wieder finden werde. Alles dies wäre möglich gewesen, wenn Ihr mich geliebt hättet, sogar wenn ich Euch gleichgültig gewesen wäre; denn Ihr seid gut und hättet aus Mitleid getan, was eine andere aus Liebe getan haben würde. Aber ich habe es nicht mehr mit der Gleichgültigkeit, sondern mit dem Hasse zu tun. Dann ist es etwas anderes; Ihr habt recht. Vergebt mir nur, Madame, daß ich nicht begriff, wie man gehaßt werden kann, wenn man wahnsinnig liebt. Es ist an Euch, Königin, Gebieterin und frei in diesem Schlosse wie überall zu bleiben; es ist an mir, mich zu entfernen, und ich entferne mich. In zehn Minuten habt Ihr Eure Freiheit wiedererlangt. Lebt wohl, Madame, lebt wohl auf ewig.«

Und in einer Verwirrung, die am Anfang gespielt, am Ende seiner Rede aber wahrhaft und schmerzlich war, verbeugte sich Canolles vor Frau von Cambes, drehte sich um, suchte die Tür, die er nicht fand, und wiederholte dabei die Worte: »Lebt wohl! Lebt wohl!« mit einem tief gefühlten Ausdrucke, der, vom Herzen kommend, auch zum Herzen ging. Wahre Betrübnis hat ihre Stimme wie der Sturm.

Frau von Cambes hatte diesen Gehorsam Canolles' nicht erwartet; sie hatte Kräfte für einen Kampf und nicht für einen Sieg gesammelt und wurde ihrerseits durch seine Ergebenheit, die so voll Liebe war, überwältigt; als daher der junge Mann, die Arme ausstreckend und fast schluchzend, bereits zwei Schritte gegen die Tür gemacht hatte, fühlte er plötzlich, wie sich eine Hand mit dem bezeichnendsten Drucke auf seine Schulter legte; man berührte ihn nicht nur, man hielt ihn zurück.

Er wandte sich um. Sie stand immer noch vor ihm. Anmutig ausgestreckt, berührte ihr Arm immer noch seine Schulter, und der Ausdruck von Würde, den er einen Augenblick vorher auf ihrem Antlitz wahrgenommen hatte, war in ein liebreizendes Lächeln zerschmolzen.

»Schön, mein Herr!« sagte sie, »so gehorcht Ihr der Königin! Ihr würdet abreisen, während Ihr Befehl habt, hier zu bleiben, Verräter, der Ihr seid!«

Canolles stieß einen Schrei aus, fiel auf die Knie und rief, seine Stirn auf die Hände drückend, die sie ihm reichte: »Oh! ich könnte vor Freude sterben!«

»Ach! freut Euch noch nicht,« entgegnete die Vicomtesse; »denn wenn ich Euch zurückhalte, so geschieht es, damit wir uns nicht so verlassen, damit Ihr nicht die Meinung von mir fortnehmt, ich sei eine Undankbare, damit Ihr mir freiwillig mein Wort zurückgebt, damit Ihr in mir wenigstens eine Freundin seht, da die Feindschaft der Parteien, denen wir folgen, mich hindert, je etwas anderes für Euch zu sein.«

»Oh, mein Gott!« sagte Canolles, »ich habe mich also abermals getäuscht, Ihr liebt mich nicht?« – »Sprechen wir nicht von unsern Gefühlen, Baron, sondern von der Gefahr, der wir uns aussetzen, wenn wir beide hier bleiben; geht oder laßt mich gehen; es muß sein.«

»Was sagt Ihr da?« – »Die Wahrheit. Laßt mich hier; kehrt nach Paris zurück; sagt Mazarin, sagt der Königin, was Euch begegnet ist. Ich werde Euch unterstützen, soviel ich vermag; aber geht, geht.«

»Muß ich Euch denn wiederholen,« rief Canolles, »Euch verlassen ist sterben!«

»Nein, nein, Ihr werdet nicht sterben, denn Ihr dürft die Hoffnung bewahren, daß wir uns in glücklicheren Zeiten wiederfinden.«

»Der Zufall hat mich auf Eure Straße geworfen, Madame, oder vielmehr Euch bereits zweimal auf die meinige gebracht. Der Zufall wird müde werden, und wenn ich Euch verlasse, finde ich Euch nicht wieder.«

»Wohl, ich werde Euch suchen!«

»Oh, verlangt von mir, daß ich für Euch sterbe; der Tod ist ein schmerzhafter Augenblick, und nicht mehr. Aber verlangt noch nicht, daß ich Euch verlasse. Schon bei diesem Gedanken bricht mein Herz. Bedenkt doch, ich habe Euch kaum gesehen, kaum mit Euch gesprochen.«

»Gut . . . wenn ich Euch erlaube, heute noch zu bleiben, wenn Ihr mich den ganzen Tag sehen und sprechen könnt, werdet Ihr zufrieden sein?« – »Ich verspreche nichts.«

»Dann ich auch nicht. Ich habe nur die Verbindlichkeit gegen Euch übernommen, Euch von dem Augenblick in Kenntnis zu setzen, wo ich abreisen würde. Wohl, in einer Stunde reise ich.«

»Man muß also alles tun, was Ihr wollt? Man muß Euch in jedem Punkte gehorchen? Ich muß also Selbstverleugnung üben, um blindlings Euren Willen zu befolgen? Nun denn, wenn es sein muß, seid unbesorgt. Ihr habt nur noch einen Sklaven vor Euch, der bereit ist, Euch zu gehorchen. Befehlt, Madame, befehlt!«

Claire reichte dem Baron die Hand und sagte mit ihrem sanftesten, einschmeichelndsten Tone: »Ein neuer Vertrag gegen mein Wort; wenn ich Euch von diesem Augenblick bis heute abend um neun Uhr nicht verlasse, werdet Ihr um neun Uhr abreisen?« – »Ich schwöre es Euch.«

»Kommt also; der Himmel ist blau, er verheißt uns einen herrlichen Tag; der Tau benetzt den Rasen, Wohlgeruch durchströmt die Luft, balsamisch duftet der Wald. Holla, Pompée!«

Der würdige Intendant, der ohne Zweifel Befehl erhalten hatte, vor der Tür zu warten, trat ein.

»Meine Lustrosse,« sagte Frau von Cambes mit ihrer fürstlichen Miene; »ich reite diesen Morgen nach den Teichen und komme durch den Pachthof zurück, wo ich frühstücken werde . . . Ihr begleitet mich, Herr Baron,« fuhr sie fort; »dies gehört zu Euren Amtspflichten, da Ihr von Ihrer Majestät der Königin den Befehl erhalten habt, mich nicht aus dem Auge zu lassen.«

Eine Wolke erstickender Freude blendete den jungen Mann und umhüllte ihn; er ließ sich ohne Widerstand, beinahe ohne Willen führen; er atmete heftig, er war berauscht, er war verrückt. Inmitten eines reizenden Gehölzes, unter geheimnisvollen Baumgängen, deren schwankende Zweige auf seine entblößte Stirn fielen, öffnete er bald seine Augen wieder für die materiellen Dinge; zu Fuß, stumm, das Herz gepreßt durch eine Freude beinahe so brennend als der Schmerz, schritt er einher, seine Hand mit der von Frau von Cambes verschlingend, die so bleich, so stumm und wohl auch so glücklich war wie er.

Pompée ging hinter ihnen, nahe genug, um alles zu sehen, fern genug, um nichts zu hören.


Dreizehntes Kapitel.

Das Ende dieses berauschenden Tages kam, wie das Ende eines Traumes immer kommt; die Stunden waren wie Sekunden für den seligen Edelmann vorübergegangen, und dennoch kam es ihm vor, als hätte er an diesem einzigen Tage Erinnerungen genug gesammelt, um dreimal ein ganzes Leben füllen zu können.

Canolles sollte die Vicomtesse den Tag hindurch nicht verlassen; beim Frühstück lud sie ihn zum Mittagessen, beim Mittagessen zum Abendbrot ein.

Mitten unter allem Glanze, den die falsche Prinzessin entwickeln mußte, um den Gesandten des Königs zu empfangen, empfand Canolles die süßen Aufmerksamkeiten der verliebten Frau. Er vergaß sogar sein Versprechen, sich zu entfernen, und wähnte sich für die Ewigkeit in dieses irdische Paradies verpflanzt, dessen Adam er wäre, während Frau von Cambes die Eva sein sollte.

Als aber die Nacht gekommen war, als man das Abendessen beendet hatte, als beim Nachtisch eine Ehrendame den falschen Herzog von Enghien einführte und die Glocke der Pendeluhr zu schlagen anfing, sagte Frau von Cambes, nachdem sie sich versichert hatte, daß es zehnmal schlagen wollte: »Nun ist die Stunde eingetreten.«

»Welche Stunde?« fragte Canolles, der zu lächeln und einem großen Unglück durch einen Scherz zu begegnen suchte.

»Die Stunde, das Wort zu halten, das Ihr mir gegeben habt.«

»Ei, Madame,« versetzte Canolles traurig, »Ihr vergeßt also nichts?« – »Vielleicht hätte ich vergessen wie Ihr, aber das hier stärkt mir das Gedächtnis.«

Und sie zog aus ihrer Tasche einen Brief, den sie in dem Augenblick, wo sie sich zu Tische setzte, empfangen hatte.

»Von wem ist dieser Brief?« – »Von der Frau Prinzessin, die mich ruft.«

»Das ist wenigstens ein Vorwand! Ich danke Euch, daß Ihr diese Schonung für mich gehabt habt.«

»Täuscht Euch nicht, Herr von Canolles,« erwiderte die Vicomtesse mit einer Traurigkeit, die sie nicht zu verbergen suchte. »Selbst wenn ich diesen Brief nicht empfangen hätte, würde ich Euch zur verabredeten Stunde an Eure Abreise erinnert haben. Glaubt Ihr, die Leute, von denen wir umgeben sind, müßten nicht früher oder später unser Einverständnis wahrnehmen? Unsere Beziehungen sind, Ihr müßt es gestehen, nicht die einer verfolgten Prinzessin zu ihrem Verfolger. Nun aber, wenn Euch diese Trennung so schmerzlich ist, wie Ihr vorgebt, laßt Euch sagen, Herr Baron, daß es nur von Euch abhängt, wenn wir uns nicht trennen sollen.«

»Sprecht! oh sprecht!« rief Canolles.

»Erratet Ihr nicht?«

»Oh gewiß, Madame! ich errate und zwar vollkommen. Ihr wollt davon sprechen, daß ich der Frau Prinzessin folgen solle? . . .«

»Sie selbst spricht hiervon in diesem Briefe,« sagte lebhaft Frau von Cambes.

»Ich freue mich, daß dieser Gedanke nicht von Euch kommt, ich freue mich über die Verlegenheit, mit der Ihr mir diesen Vorschlag macht; nicht als ob sich mein Gewissen über die Idee empörte, dieser oder jener Partei zu dienen; nein, ich habe keine Überzeugung. Wer hat die denn bei diesem Kriege? Ich kenne weder den Hof noch die Prinzen; unabhängig durch mein Vermögen, ohne Ehrgeiz, erwarte ich weder hier noch dort etwas. Ich bin Offizier, sonst nichts.«

»Ihr willigt also ein, mir zu folgen?« – »Nein.«

»Warum nicht, wenn die Dinge sind, wie Ihr sagt?« – »Weil Ihr mich weniger schätzen würdet.«

»Ist dies das einzige Hindernis, das Euch zurückhält?« – »Ich schwöre es Euch.«

»Oh, dann fürchtet nichts.«

»Ihr glaubt selbst nicht an das, was Ihr in diesem Augenblick sagt,« versetzte Canolles lächelnd und den Finger aufhebend; »ein Überläufer ist ein Verräter. Das erste Wort klingt besser, aber beides ist gleichbedeutend.«

»Wohl, Ihr habt recht,« sagte Frau von Cambes, »und ich werde nicht weiter darauf bestehen. Wärt Ihr in einer gewöhnlichen Lage, so hätte ich Euch für die Sache der Prinzen zu gewinnen gesucht. Aber abgesandt vom König, beauftragt mit einer Vertrauenssendung von Ihrer Majestät der Königin Regentin und dem ersten Minister, geehrt durch das Wohlwollen des Herzogs von Epernon, der trotz des Verdachts, den ich anfangs geschöpft hatte, Euch, wie man mir versichert, auf eine ganz besondere Weise begünstigt . . .«

Canolles errötete.

»Werde ich mit der größten Diskretion zu Werke gehen. Doch hört mich, Baron; seid versichert, wir verlassen uns nicht auf immer; wir sehen uns wieder, das sagen mir meine Ahnungen.«

»Wo dies?« – »Ich weiß es nicht, aber wir sehen uns gewiß wieder.«

Canolles schüttelte traurig den Kopf und erwiderte: »Ich zähle nicht darauf; es besteht Krieg unter uns, das ist zu viel, besonders wenn nicht zugleich Liebe obwaltet.«

»Und dieser Tag?« fragte mit einer bezaubernden Betonung die Vicomtesse, »rechnet Ihr ihn für nichts?« – »Es ist der einzige, an dem ich gelebt zu haben glaube, seitdem ich auf der Welt bin.«

»Ihr seht also, daß Ihr undankbar seid?« – »Gewährt mir einen zweiten Tag, wie diesen.«

»Ich kann nicht, ich muß heute abend reisen.«

»Ich verlange ihn nicht für morgen, nicht für übermorgen; ich bitte darum in der Zukunft. Nehmt die Zeit, die Ihr wollt, wählt den Ort, der Euch beliebt, aber laßt mich mit einer Gewißheit leben; ich würde zu sehr leiden, hätte ich nicht eine Hoffnung.«

»Wohin geht Ihr, wenn Ihr mich verlaßt?« – »Nach Paris, um von meiner Sendung Rechenschaft abzulegen.«

»Und sodann?« – »In die Bastille vielleicht.«

»Aber vorausgesetzt, Ihr geht nicht dahin?« – »Dann kehre ich nach Libourne zurück, wo mein Regiment sein muß.«

»Und ich nach Bordeaux, wo ohne Zweifel die Prinzessin verweilt. Kennt Ihr ein einsam liegendes Dorf auf der Straße von Bordeaux nach Libourne?« – »Ich kenne eines, dessen Andenken mir beinahe so teuer ist als Chantilly.«

»Jaulnay,« sagte lächelnd die Vicomtesse.

»Jaulnay,« wiederholte Canolles.

»Wohl, man braucht vier Tage, um nach Jaulnay zu gelangen; wir haben heute Dienstag; ich werde mich den ganzen Sonntag dort aufhalten.«

»Oh Dank! Dank!« rief Canolles, eine Hand an seine Lippen drückend, die ihm zu entziehen Frau von Cambes nicht den Mut hatte.

Doch nach einem Augenblick sagte sie: »Nun bleibt uns noch übrig, unsere kleine Komödie zu Ende zu spielen.«

»Ah! ja, das ist wahr, Madame. Die Komödie, die mich in den Augen von ganz Frankreich vollkommen lächerlich machen muß. Aber ich habe nichts dagegen zu sagen, ich wollte es so, ich habe die Rolle, die ich spiele, nicht gewählt, aber die Entwickelung veranlaßt, die sie krönt.«

Frau von Cambes schlug die Augen nieder.

»Nun lehrt mich, was ich noch zu tun habe,« sagte Canolles gelassen. »Ich erwarte Eure Befehle und bin zu allem bereit.«

Claire war so bewegt, daß Canolles sehen konnte, wie der Samt ihres Kleides unter den ungleichen, hastigen Schlägen ihres Busens sich hob.

»Ihr bringt mir ein ungeheures Opfer, ich weiß es; aber beim Himmel, glaubt mir, ich bewahre Euch eine ewige Dankbarkeit. Ja, Ihr setzt Euch für mich der Ungnade des Hofes aus; ja, man wird Euch streng beurteilen. Ich bitte Euch, achtet das alles für nichts, wenn Euch der Gedanke, Ihr habt mich glücklich gemacht, ein gewisses Vergnügen bereitet.«

»Ich werde danach trachten, Madame.«

»Glaubt mir, Baron,« fuhr Frau von Cambes fort, »der kalte Schmerz, dem ich Euch preisgegeben sehe, ist eine furchtbare Gewissenspein für mich. Andere würden Euch vielleicht reicher belohnen, als ich es tue; aber, mein Herr, eine Belohnung, die man so leicht bewilligte, würde Euer Opfer nicht würdig bezahlen.«

Bei diesen Worten schlug Claire die Augen mit einem Seufzer schamhafter Betrübnis nieder.

»Ist das alles, was Ihr mir zu sagen habt?« fragte Canolles.

»Nehmt,« sagte die Vicomtesse, aus ihrer Brust ein Porträt ziehend, das sie Canolles überreichte; »nehmt dieses Porträt, und bei jedem Schmerz, der für Euch aus dieser unglücklichen Angelegenheit hervorgehen wird, schaut es an, sagt Euch, daß Ihr für die leidet, deren Bildnis Ihr vor Euch habt, und daß sie für jedes von Euren Leiden Bedauern empfindet.«

»Ist dies alles, was sie empfindet?« – »Achtung.«

»Ist das alles?« – »Sympathie.«

»Oh, Madame, noch ein Wort!« rief Canolles, »was kostet es Euch, mich vollkommen glücklich zu machen?«

Claire machte eine rasche Bewegung auf den jungen Mann zu, reichte ihm die Hand und öffnete den Mund, um hinzuzufügen: »Liebe.«

Aber im selben Augenblick öffneten sich die Türen, und der vorgebliche Kapitän der Garden erschien, begleitet von Pompée.

»In Faulnay werde ich vollenden,« sagte die Vicomtesse.

»Euren Satz oder Euren Gedanken?« – »Beides; der eine drückt immer den andern aus.«

»Madame,« sagte der Kapitän der Garden, »die Pferde Eurer Hoheit sind angespannt.«

Damit begann die Schlußszene der Komödie von Chantilly, die Canolles kaum zu Ende zu spielen vermochte, so hatten die letzten Worte der Frau von Cambes seine tiefsten Gefühle erregt; er beeilte sich nach Paris zurückzukehren.


Vierzehntes Kapitel.

Es ist nun Zeit, uns wieder einer der wichtigsten Personen dieser Geschichte zuzuwenden, die mit ihren fünf Gefährten und einem Sack von Goldtalern munter der Straße von Bordeaux nach Paris folgt.

Es war Cauvignac, der seinen Genossen von seinem Vertrag mit Lenet erzählte.

»Herr Lenet,« schloß er, »hat mir zehntausend Livres bezahlt, um eine Kompanie zu errichten; ich errichte sie, oder der Teufel soll mich holen. An dem Tage, wo ich sie errichtet habe, ist er mir vierzigtausend weitere schuldig; bezahlt er diese vierzigtausend Livre nicht, so werden wir sehen . . .«

»Mit zehntausend Livres!« riefen im Chor vier ironische Stimmen; denn Ferguzon schien, voll Vertrauen zu den Mitteln des Führers, von der ganzen Truppe allein überzeugt zu sein, daß Cauvignac zu dem versprochenen Resultate gelangen würde. »Mit zehntausend Livres wollt Ihr eine Kompanie errichten?«

»Ja,« sagte Cauvignac, »wenn man auch etwas hinzufügen müßte.«

»Und wer wird etwas beifügen?« fragte eine Stimme.

»Ich nicht,« versetzte Ferguzon.

»Wer denn?« fragte ein anderer von den Genossen, namens Barrabas.

»Bei Gott! der erste beste. Halt, ich bemerke gerade einen Menschen, dort auf der Landstraße. Ihr werdet sehen . . .«

Der Ankommende war ein Bürger, der im Begriff stand, viertausend Livres, die er in einem Prozeß gegen den unsern Lesern bekannten Wirt Biscarros, diese Zierde seines Standes, verloren hatte, seinem Anwalt in Orleans zu überbringen. Cauvignac wußte nicht nur den Bürger und seinen Anwalt durch die kühnsten und blendendsten Vorspiegelungen um die viertausend Livres zu prellen, sondern er brachte es auch fertig, beide zu weiteren Geldopfern zu bewegen, indem er junge Leute, deren Fürsorge ihnen anvertraut war und deren sie sich zu entledigen wünschten, in seine Kompanie einreihte.

Sein Marsch glich einem Triumphzug. Der erfinderische Parteigänger fand Mittel, die hartnäckigsten Anhänger des Friedens in den Krieg zu führen. Die einen ließ er der Sache des Königs, die andern der Sache der Prinzen sich anschließen. Einige glaubten dem Parlamente zu dienen, andere dem vertriebenen, in Frankreich weilenden König von England, der eine Landung in Schottland plante.

Vier Tage, nachdem er Chantilly verlassen, hatte Cauvignac fünfundzwanzig Mann beisammen, was ein recht achtungswerter Anfang war.

Cauvignac suchte einen Mittelpunkt und gelangte in ein kleines Dorf, welches zwischen Chatellerault und Poitiers lag, und glaubte hier gefunden zu haben, was er suchte. Es war Jaulnay; Cauvignac erkannte das Dorf, in das er bei seiner Landstreicherei schon früher gekommen war, und schlug sein Hauptquartier in dem den Lesern bekannten einzigen Wirtshause des Ortes auf.

So auf der Hauptstraße von Bordeaux nach Paris Posten fassend, hatte Cauvignac hinter sich die Truppen des Herrn von Larochefoucault, der Saumur belagerte, und vor sich die des Königs, die sich in der Guienne zusammengezogen. Vorsichtig hütete er sich, irgend eine Farbe zu bekennen, ehe die geeignete Gelegenheit gekommen wäre, und war darauf bedacht, einen Kern von etwa hundert Mann zu bilden, um dann seinen größten Vorteil wahrzunehmen. Das Rekrutierungsgeschäft nahm seinen raschen Fortgang und Cauvignac hatte bald seine Arbeit zur Hälfte vollendet.

Als er nun, nachdem er den ganzen Morgen mit der Menschenjagd zugebracht hatte, seiner Gewohnheit gemäß vor der Tür des Wirtshauses auf der Lauer stand und mit seinem Leutnant und seinem Unterleutnant plauderte, sah er am Ende der Straße eine junge Dame zu Pferde erscheinen, der ein Stallmeister ebenfalls zu Pferde und zwei mit Gepäck beladene Maultiere folgten.

Das leichte Wesen, mit dem die schöne Amazone ihr Roß regierte, sowie die steife, stolze Haltung ihres Stallmeisters riefen eine Erinnerung in Cauvignacs Kopf wach.

Er legte seine Hand auf Ferguzons Arm und sagte, auf die Reisende deutend, zu ihm: »Hier kommt der fünfzigste Soldat des Regiments von Cauvignac, oder ich will des Todes sein.«

»Wie? diese Dame?« – »Allerdings.«

»Ah! wir haben bereits einen Neffen, der Advokat, einen Paten, der Pfarrer werden sollte, zwei Schreiber, zwei Apotheker, einen Arzt, drei Bäcker und zwei Gänsehirten; mir scheint, das sind genug schlechte Soldaten, ohne daß wir noch eine Frau dazuzunehmen brauchen, denn eines Tags werden wir uns doch schlagen müssen.«

»Ja, aber unser Schatz beläuft sich erst auf fünfundzwanzigtausend Livres und ich denke, es wäre nicht übel, wenn man eine runde Summe, etwa dreißigtausend Livres, vollmachen könnte.«

»Ah! wenn du die Dinge aus diesem Gesichtspunkte betrachtest, habe ich nichts einzuwenden, und pflichte dir vollkommen bei.«

»Still! Du wirst sehen.«

Cauvignac näherte sich der jungen Dame, die vor einem der Fenster des Wirtshauses angehalten hatte und die Wirtin befragte, die ihr vom Zimmer aus Antwort gab.

»Euer Diener, mein edler Herr,« sagte er mit schlauer Miene, die Hand höflich an den Hut legend.

»Mein edler Herr! ich!« erwiderte die Dame lächelnd.

»Ihr selbst, schöner Vicomte.«

Die Dame errötete.

»Ich weiß nicht, was Ihr damit sagen wollt?« entgegnete sie.

»Oh! doch wohl, und zum Belege dient, daß Ihr bereits einen halben Fuß Rot auf den Wangen habt.«

»Ihr täuscht Euch offenbar, mein Herr.«

»Nein, nein, ich weiß im Gegenteil sehr gut, was ich sage.«

»Genug des Scherzes, mein Herr.«

»Ich scherze nicht, und wenn Ihr den Beweis haben wollt, so werde ich ihn Euch geben. Ich habe die Ehre gehabt, Euch vor ungefähr drei Wochen in Tracht Eures Geschlechts an dem Ufer der Dordogne zu begegnen; es folgte Euch damals Euer treuer Stallmeister, Herr Pompée. Habt Ihr noch Herrn Pompée? Ah! ja, da ist er! Der liebe Herr Pompée, werdet Ihr auch sagen, ich kenne ihn nicht?«

Der Stallmeister und die junge Dame schauten sich verwundert an.

»Ja, ja,« fuhr Cauvignac fort, »Ihr staunt, mein schöner Vicomte; aber wagt es zu behaupten, ich sei Euch nicht begegnet, dort auf der Straße, eine Viertelmeile von dem Wirtshause des Meisters Biscarros.«

»Ich leugne dieses Zusammentreffen nicht, mein Herr.«

»Ah! Ihr seht wohl.«

»Nur war ich an jenem Tage verkleidet.«

»Nein, nein, heute seid Ihr es. Übrigens, da das Signalement des Vicomte von Cambes in ganz Guienne verbreitet worden ist, begreife ich wohl, daß Ihr, um jeden Verdacht abzuwenden, es für klüger hieltet, für den Augenblick dieses Kostüm zu wählen, das Euch, um Euch Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, mein edler Herr, vortrefflich steht.«

»Mein Herr,« sagte die Vicomtesse mit einer Unruhe, die sie vergebens zu verbergen suchte, »wenn Ihr Eure Rede nicht mit gescheiten Worten vermischtet, würde ich Euch in der Tat für einen Narren halten.«

»Ich werde Euch nicht dasselbe Kompliment machen, und finde es sehr vernünftig, sich zu verkleiden, wenn man konspiriert.«

Die junge Frau heftete einen immer ängstlicheren Blick auf Cauvignac und erwiderte: »In der Tat, es scheint mir, ich habe Euch irgendwo gesehen, aber ich erinnere mich nicht mehr wo.«

»Das erstemal, wie ich Euch sagte, an dem Ufer der Dordogne.«

»Und das zweitemal?« – »Das zweitemal in Chantilly.«

»An dem Jagdtage?« – »Ganz richtig.«

»Dann habe ich nichts zu befürchten, Ihr seid einer der Unsern.«

»Warum?«

»Weil Ihr bei der Frau Prinzessin gewesen seid.«

»Erlaubt mir, Euch zu bemerken, daß dies kein Grund ist.«

»Es scheint mir jedoch . . .«

»Es waren dort zu viele Menschen, als daß man von allen hätte überzeugt sein können, es seien Freunde.«

»Nehmt Euch in acht, mein Herr, Ihr würdet mir einen sonderbaren Begriff von Euch geben.«

»Oh! denkt von mir, wie Ihr wollt, ich bin nicht sehr empfindlich.«

»Aber was wünscht Ihr denn?« – »Ich wünschte Euch, wenn Ihr gestattet, die Honneurs dieses Gasthofes zu machen.«

»Ich danke, mein Herr, und bedarf Euer nicht. Ich erwarte jemand.«

»Es ist gut, steigt ab, und in Erwartung dieses Jemand wollen wir plaudern.«

»Was soll ich tun, gnädige Frau?« fragte Pompée.

»Absteigen, ein Zimmer verlangen und Abendessen bestellen,« sagte Cauvignac.

»Mein Herr,« versetzte die Vicomtesse, »mir scheint, es ist meine Sache, Befehle zu geben.«

»Es kommt darauf an, Vicomte, insofern ich in Jaulnay kommandiere und fünfzig Mann zu meiner Verfügung habe. Pompée, tut, was ich Euch gesagt habe.«

Pompée ließ den Kopf sinken und trat in das Wirtshaus.

»Aber, mein Herr, Ihr nehmt mich in Haft?« – »Vielleicht.«

»Wie vielleicht?« – »Ja, das hängt von der Unterredung ab, die wir miteinander pflegen werden; aber habt doch die Güte, abzusteigen, Vicomte; gut, nehmt meinen Arm; die Leute vom Hause werden Euer Pferd in den Stall führen.«

»Ich gehorche, mein Herr, denn Ihr seid nach Euren Worten der Stärkere; ich habe kein Mittel, Widerstand zu leisten; ich mache Euch jedoch auf eines aufmerksam; die Person, die ich erwarte, wird kommen, und diese Person ist ein Offizier des Königs.«

»Wohl, Vicomte, Ihr erweist mir die Ehre, mich ihm vorzustellen, und ich werde entzückt sein, seine Bekanntschaft zu machen.«

Die Vicomtesse begriff, daß kein Widerstreben möglich war, und ging voraus, wobei sie Cauvignac durch ein Zeichen andeutete, es stehe ihm frei, ihr zu folgen.

Cauvignac begleitete sie bis an die Tür des Zimmers, das Pompée hatte bereit machen lassen, und war im Begriff, die Schwelle hinter ihr zu überschreiten, als Ferguzon, rasch die Treppe heraufsteigend, sich seinem Ohre näherte und ihm zuflüsterte: »Kapitän, ein Wagen mit drei Pferden, ein verlarvter junger Mann in dem Wagen, zwei Lakaien an den Schlägen.«

»Gut,« sagte Cauvignac. »Das ist ohne Zweifel der erwartete Herr.«

»Ah! man erwartet einen Herrn?« – »Ja, und ich gehe ihm entgegen. Du, bleibe im Gange, verliere die Tür nicht aus dem Auge, laß jeden hinein, aber niemand heraus.«

»Genug, Kapitän.«

Ein Reisewagen hielt in der Tat vor der Tür des Wirtshauses, begleitet von vier Mann von Cauvignacs Kompanie, die ihm eine Viertelmeile von der Stadt begegnet waren und von diesem Augenblicke als Eskorte gedient hatten.

Ein Herr, in blauen Samt gekleidet und in einen Pelzmantel gehüllt, lag in dem Wagen. Eine schwarze Samtmaske verbarg eine Hälfte seines Gesichtes. Was aber die Maske nicht verhüllte, der Oberteil der Stirn und der Unterteil des Gesichtes, deutete Jugend, Schönheit und Geist an; die Zähne waren klein und weiß, und durch die Larve funkelten feurige Augen.

Bei dem Anblick Cauvignacs, der, wie gesagt, an der Tür erschien, stieß der junge Mann einen halb unterdrückten Schrei des Erstaunens aus und fuhr rasch an sein Gesicht, als wollte er sich versichern, daß seine Maske immer noch daran wäre. Die Gewißheit hierüber schien ihn ruhiger zu machen.

So rasch auch die Bewegung gewesen war, so war sie Cauvignac doch nicht entgangen; er schaute den Reisenden an wie ein Mann, der die Signalements selbst unter der größten Verstellung zu buchstabieren gewohnt ist; dann bebte er infolge eines Erstaunens, das beinahe dem gleichkam, das der in blauen Samt gekleidete Kavalier gezeigt hatte; aber er faßte sich bald wieder, nahm den Hut mit ganz besonderer Artigkeit in die Hand und sagte: »Seid willkommen, schöne Dame.«

Die Augen des Reisenden glänzten vor Erstaunen durch die Öffnungen seiner Maske.

»Wohin geht Ihr?« fuhr Cauvignac fort.

»Wohin ich gehe?« erwiderte der Reisende, ohne den Gruß Cauvignacs zu beachten und nur seine Frage beantwortend; »wohin ich gehe? Ihr müßt es besser wissen, als ich, da es mir nicht frei steht, meine Reise fortzusetzen. Ich gehe dahin, wohin Ihr mich führt.«

»Erlaubt mir, Euch zu bemerken,« entgegnete Cauvignac mit zunehmender Höflichkeit, »daß dies nicht antworten heißt, schöne Dame. Ihr seid nur für den Augenblick in Verhaft genommen. Haben wir eine Minute mit offenem Herzen und offenem Gesichte über unsere kleinen Angelegenheiten gesprochen, so werdet Ihr Eure Reise ohne irgend ein Hindernis fortsetzen.«

»Verzeiht,« sagte der junge Mann, »aber ehe wir weiter gehen, wollen wir vor allem einen Irrtum berichtigen. Ihr gebt Euch den Anschein, als hieltet Ihr mich für eine Frau, während Ihr im Gegenteil an meinen Kleidern gut sehen könnt, daß ich ein Mann bin.«

»Ihr kennt das Sprichwort: Trau, schau, wem? Der Weise urteilt nicht nach dem Scheine. Ich maße mir nun an, ein Weiser zu sein, und so erkannte ich unter dieser lügenhaften Tracht . . .«

»Was?« fragte der Reisende ungeduldig.

»Wie ich Euch sagte: eine Frau.«

»Aber wenn ich für Euch eine Frau bin, warum verhaftet Ihr mich dann?« – »Teufel! weil in diesen Zeitläuften die Frauen gefährlicher sind, als die Männer; man könnte darum sogar unsern Krieg den Frauenkrieg nennen.«

»Ihr seid ein Narr, mein Herr,« sagte der junge Reisende, die Achseln zuckend.

»Ich werde Euch ebensowenig glauben, schöne Dame, als ich vorhin dem jungen Mann glaubte, der mir dasselbe Kompliment machte.«

»Ihr behauptet vielleicht gegen sie, sie sei ein Mann?«

»Allerdings. Ich erkannte meinen kleinen Edelmann, den ich an einem gewissen Abend anfangs Mai um das Gasthaus des Meisters Biscarros hatte herumstreichen sehen, und ließ mich durch seinen Weiberrock, seinen Kopfputz und seine kleine Flötenstimme nicht täuschen; sowenig wie ich mich durch Euer blaues Wams, Euren grauen Filzhut und Eure Spitzenstiefel täuschen lasse. Ich sagte ihm: ›Nehmt einen Namen an, den Ihr wollt, Ihr seid darum nichtsdestoweniger der Vicomte von Cambes.‹«

»Der Vicomte von Cambes!« rief der junge Reisende.

»Ah! der Name fällt Euch auf, wie es scheint. Solltet Ihr ihn zufällig auch kennen?«

»Er ist hier? Ihr sagt; er . . .«

»Als Frau verkleidet, der schlimme Mensch, wie Ihr als Mann, Böse.«

»Und was macht er hier?« rief der junge Mann mit immer zunehmender Heftigkeit.

»Er behauptet, ein Stelldichein mit einem seiner Freunde zu haben,« antwortete Cauvignac, auf jedes seiner Worte einen besonderen Nachdruck legend. »Den Namen weiß ich nicht mehr genau, doch darauf besinne ich mich, er endigt mit olles

»Herr von Canolles!« rief der junge Reisende, dessen Lippen sich mit einer Todesblässe bedeckten, wodurch seine schwarze Maske furchtbar von der Weiße seiner Haut abstach.

»So ist es, Herr von Canolles,« versetzte Cauvignac ganz richtig. »Ihr kennt Herrn von Canolles ebenfalls! Ihr kennt, scheint es, die ganze Welt?«

»Scherz beiseite,« stammelte der junge Mann, der an allen Gliedern zitterte und einer Ohnmacht nahe zu sein schien. »Wo ist diese Dame?«

»In jenem Zimmer; seht, dort das dritte Fenster, jenes mit den gelben Vorhängen.«

»Ich will sie sehen!« rief der Reisende.

»Oho! sollte ich mich getäuscht haben,« sagte Cauvignac, »und Ihr wärt der Herr von Canolles, den sie erwartet? Oder vielmehr wäre Herr von Canolles nicht der hübsche Kavalier, der dort mit seinem Lakaien im Trabe einherreitet?«

Der junge Reisende warf sich mit solcher Eile gegen die vordere Glasscheibe des Wagens, daß er sie mit der Stirn zerbrach.

»Er ist es! er ist es!« rief er, ohne nur wahrzunehmen, daß einige Tropfen Blut aus seiner leichten Wunde flossen. »Oh, ich Unglückliche! Er kommt, findet sie wieder, ich bin verloren! . . .«

»Ah, Ihr seht wohl, daß Ihr eine Frau seid?«

»Sie hatten sich verabredet,« fuhr der junge Mann, die Hände ringend fort; »oh! ich werde mich rächen.«

Cauvignac wollte einen neuen Scherz versuchen, aber der junge Mann machte ihm ein gebieterisches Zeichen mit der Hand, während er mit der andern seine Maske abriß, und nun erschien Nanons bleiches, furchtbar drohendes Antlitz vor den ruhigen Blicken Cauvignacs.


Fünfzehntes Kapitel.

»Guten Morgen, Schwesterchen,« sagte Cauvignac zu Nanon, der jungen Frau mit unstörbarem Phlegma die Hand reichend.

»Ihr sagt also, die Vicomtesse von Cambes sei hier?« – »In Person.«

»Und Herr von Canolles trete in diesem Augenblick in das Wirtshaus?« – »Noch nicht. Er steigt vom Pferde und wirft seinem Lakaien die Zügel zu. Ah, er ist von jener Seite auch bemerkt worden. Seht, das Fenster mit den gelben Vorhängen öffnet sich, und der Kopf der Vicomtesse kommt hervor. Ah! sie stößt einen Freudenschrei aus, Herr von Canolles stürzt in das Haus; verbergt Euch, Schwesterchen, oder es ist alles verloren.«

Nanon warf sich zurück und drückte krampfhaft Cauvignacs Hand, der sie mit einer Miene väterlichen Mitleids anschaute.

»Und ich, die ich soeben nach Paris reisen wollte,« rief Nanon, »ich, die alles wagte, um ihn wiederzusehen!«

»Ah! Opfer, Schwesterchen, und zwar für einen Undankbaren. Bei meiner Seele, Ihr hättet Eure Wohltaten besser anbringen können!«

»Was werden sie nun sagen, da sie vereinigt sind? Was werden sie tun?«

»In der Tat, teure Nanon, Ihr bringt mich sehr in Verlegenheit, daß Ihr eine solche Frage an mich richtet,« sagte Cauvignac; »bei Gott, sie werden sich ungemein lieben, wie ich vermute.«

»Oh, das wird nicht sein!« rief Nanon und biß sich wütend in die elfenbeinglatten Nägel.

»Ich glaube im Gegenteil, es wird sein. Aller Wahrscheinlichkeit nach tauschen in diesem Augenblicke die Vicomtesse und Canolles alle Arten von Liebkosungen aus, von denen die einen immer reizender sind, als die andern. Teufel! meine liebe Nanon, Ihr habt Euch zu spät auf den Weg gemacht.«

»Ihr glaubt,« versetzte die junge Frau mit einem unbeschreiblichen Ausdrucke tiefer Ironie und gehässiger Schlauheit. »Ihr glaubt! Wohl, steigt zu mir ein!«

Cauvignac gehorchte.

»He, Bertrand,« fuhr Nanon, sich an einen von den Musketenträgern wendend, fort, »sagt dem Kutscher, er solle ohne Geräusch umkehren und sich unter der Baumgruppe aufstellen, die wir beim Eingange des Dorfes rechts gelassen haben. Können wir dort ungestört miteinander verhandeln?« fuhr sie zu Cauvignac fort.

Auf Cauvignacs Zustimmung trug der Wagen, von vier Leuten begleitet, die Geschwister zurück.

Mittlerweile war Canolles, angezogen durch den Freudenschrei, den Frau von Cambes bei seinem Anblick ausgestoßen hatte, in das Wirtshaus geeilt und hatte das Zimmer der Vicomtesse erreicht.

»Ah, Herr!« rief Frau von Cambes, als sie ihn gewahrte, »kommt geschwind, denn ich erwarte Euch mit der größten Ungeduld.«

»Diese Worte würden mich zum glücklichsten Menschen der Welt machen, Madame, wenn Eure Blässe und Eure Unruhe mir nicht deutlich sagten, daß Ihr mich nicht meinetwegen allein erwartet.«

»Ja, Herr, Ihr habt recht,« versetzte Claire mit ihrem reizenden Lächeln, »ich will eine Verbindlichkeit mehr gegen Euch haben.«

In fliegender Eile erzählte Frau von Cambes, was ihr soeben zugestoßen sei.

»Ich, ich fürchte sehr, Euch nichts anderes zu Schutz und Verteidigung bieten zu können, als meinen Degen,« rief Canolles, als sie geendet hatte.

»Wieso?«

»Von diesem Augenblick an, Madame, bin ich nicht mehr im Dienste des Königs.«

»Sprecht Ihr wahr?« rief Claire voll Freude.

»Ich habe mir gelobt, meine Entlassung von dem Orte aus einzugeben, wo ich Euch treffen würde. Ich habe Euch getroffen, meine Entlassung wird von Jaulnay datiert sein.«

»Oh, frei! frei! Ihr seid frei; Ihr könnt Euch der Partei der Gerechtigkeit, der Redlichkeit anschließen; Ihr könnt der Sache der Herren Prinzen, das heißt, der des ganzen Adels, dienen. Oh, ich wußte wohl, daß Ihr ein zu würdiger Edelmann wäret, um nicht auf diese Seite zu treten.«

Und sie reichte Canolles ihre Hand, die er mit Entzücken küßte.

»Wie hat sich das gemacht?« rief Claire, »wie ist das gegangen? Erzählt mir die Sache in allen ihren Einzelheiten.«

»Oh, das ist in zwei Worten gesagt. Herr von Mazarin schalt mich einen Tölpel, weil ich mich in Chantilly hatte überlisten lassen, und beschenkte mich mit seiner allerhöchsten Ungnade.«

»Ihr habt also für mich Euren Grad verloren, Ihr seid für mich in Ungnade gefallen, für mich zu Grunde gerichtet! Lieber Herr von Canolles, wie soll ich je meine Schuld gegen Euch abtragen, wie soll ich Euch je meine Dankbarkeit beweisen?«

Und mit einem Lächeln und einer Träne, die ihm hundertmal ersetzten, was er verloren hatte, bewirkte Frau von Cambes, daß Canolles zu ihren Füßen niedersank.

»Ah, Madame,« sagte er, »von diesem Augenblick an bin ich im Gegenteil reich und glücklich, denn ich werde Euch folgen, ich werde Euch nicht mehr verlassen; denn ich werde glücklich sein durch Euern Anblick, reich durch Eure Liebe.«

»Es hält Euch also nichts zurück?« – »Nein!«

»Ihr gehört ganz mir, und indem ich Euer Herz behalte, kann ich Euern Arm der Frau Prinzessin anbieten?« – »Ihr könnt es.«

»Ihr habt also Eure Entlassung abgeschickt?« – »Noch nicht; ich wollte Euch zuvor wiedersehen; aber wie gesagt, nun, da ich Euch gesehen habe, werde ich sie sogleich hier schreiben. Ich hatte mir das Glück, Euch zu gehorchen, vorbehalten.«

»So schreibt denn, schreibt vor allem! Wenn Ihr nicht schreibt, wird man Euch als Überläufer betrachten. Ihr müßt sogar, ehe Ihr einen entscheidenden Schritt tut, warten, bis diese Entlassung angenommen ist.«

»Lieber kleiner Diplomat, fürchtet nichts, sie werden sie mir bewilligen und zwar gern. Meine Ungeschicklichkeit in Chantilly läßt sie meinen Verlust nicht sehr bedauern. Haben sie nicht gesagt, ich sei ein armseliges Gehirn?« fügte Canolles lachend hinzu.

In diesem Augenblick erschollen drei Schläge mit feierlichem Nachdruck an der Tür.

Canolles und die Vicomtesse schwiegen und schauten einander unruhig und fragend an.

»Im Namen des Königs,« rief eine Stimme, »öffnet!«

Und plötzlich flog die zerbrechliche Tür in Stücke. Canolles wollte nach seinem Degen eilen, aber bereits hatte sich ein Mann zwischen diesen und ihn geworfen.

»Was soll das bedeuten?« fragte der Baron.

»Ihr seid Herr von Canolles, nicht wahr?« – »Allerdings.« – Kapitän im Regiment Navailles?« – »Ja.«

»Abgesandter im Auftrage des Herrn Herzogs von Epernon?«

Canolles machte ein Zeichen mit dem Kopfe.

»So verhafte ich Euch im Namen des Königs und Ihrer Majestät der Königin Regentin.«

»Euer Befehl?« – »Hier ist er.«

Claire erbleichte und fiel weinend auf einen Stuhl.

»Herr von Mazarin rächt sich,« murmelte Canolles.

»Vorwärts, mein Herr, vorwärts,« sagte Cauvignac.

Claire rührte sich nicht. Canolles schien nahe daran, verrückt zu werden. Sein Unglück war so groß, so schwer, so unerwartet, daß er unter seinem Gewichte niedersank; er beugte das Haupt und fügte sich.

Überdies hatten zu jener Zeit die Worte: Im Namen des Königs! noch ihren ganzen Zauber, und niemand wagte es, zu widerstehen.

»Wohin führt Ihr mich, mein Herr?« sagte er; »oder ist es Euch vielleicht verboten, mir den Trost zu geben, daß ich weiß, wohin ich gehe?« – »Nein, mein Herr, ich will es Euch sagen. Wir führen Euch nach der Festung der Insel Saint-George.«

»Gott befohlen, Madame,« sagte Canolles, sich ehrfurchtsvoll vor Frau von Cambes verbeugend, »Gott befohlen.«

»Sieh, sieh,« sagte Cauvignac zu sich selbst, »die Sache hat sich weniger schnell entwickelt, als ich glaubte. Ich will es Nanon sagen, und das wird ihr Vergnügen machen.«

Dann auf die Türschwelle tretend, rief er: »Vier Mann, um den Kapitän zu geleiten, und vier Mann voraus.«

»Und ich!« rief Frau von Cambes, die Arme gegen den Gefangenen ausstreckend, »wohin führt man mich? Denn wenn der Baron schuldig ist, oh! so bin ich es noch viel mehr.«

»Ihr Madame,« antwortete Cauvignac, »Ihr könnt Euch entfernen, Ihr seid frei.«

Und er ging, den Baron mit sich nehmend, hinaus.

Frau von Cambes erhob sich, belebt durch einen Hoffnungsstrahl, und traf Vorkehrungen zu ihrer schleunigen Abreise, damit nicht entgegengesetzte Befehle dem guten Stande der Dinge für sie in den Weg treten möchten.

»Frei,« sagte sie, »ich kann also über ihm wachen. Vorwärts!«

Und an das Fenster eilend, erblickte sie den Reiterzug, der Canolles fortschleppte, tauschte mit ihm ein letztes Lebewohl mit der Hand, rief Pompée, der sich in der Hoffnung eines Aufenthaltes von zwei bis drei Tagen bereits in dem besten Zimmer, das er gefunden, eingerichtet hatte, und gab ihm Befehl, alles für ihre Abreise vorzubereiten.


Sechzehntes Kapitel.

Der Weg, den Canolles in Barrabas' und eines zweiten Mannes Begleitung – die andern waren wieder umgekehrt – zurückzulegen hatte, war qualvoll. Es peinigte ihn nicht nur der Gedanke an das eigene Schicksal und den grausigen Aufenthalt in den Verließen des Felsennestes, sondern es tauchte auch anklagend die Erinnerung an ein lange Zeit vergessenes Frauenbild auf.

Nanons reizvolle Züge richteten sich vorwurfsvoll auf den Undankbaren, den sie mit Wohltaten überhäuft hatte und dessen Herz von zwiespältiger Neigung zerrissen wurde. Die ganze Nacht hindurch folterten so den Baron die Gedanken an das Kommende wie an das Vergangene.

Bald nachdem der neue Tag begonnen hatte zu grauen, machte der Wagen halt.

»Halten wir an, um zu frühstücken?« fragte Canolles.

»Wir halten hier ganz an, mein Herr, denn wir sind an Ort und Stelle. Dort ist die Insel Saint-George, und wir haben nur noch über den Fluß zu setzen.«

»Es ist wahr,« murmelte Canolles. »So nahe und so fern!« indem er daran dachte, daß nur eine Viertelstunde von hier entfernt die Besitzung der Frau von Cambes lag, deren kleines weißes Schloß ihm der Kutscher in der Ferne zeigte – war doch die Insel Saint-George seit alter Zeit Eigentum der Herren von Cambes gewesen, und erst der Gemahl der Frau von Cambes hatte sie dem König geschenkt.«

»Mein Herr, man kommt uns entgegen,« sagte Barrabas, »wollt Euch zum Aussteigen bereit halten.«

Der zweite Wächter Canolles', der auf dem Bocke neben dem Kutscher saß, stieg ab und öffnete den verschlossenen Schlag, wozu er den Schlüssel hatte.

Canolles wandte, seine Blicke nach der Festung, die sein Wohnort werden sollte. Er gewahrte zuerst jenseits eines ziemlich stark fließenden Flußarmes eine Fähre und bei der Fähre einen Posten von acht Mann.

Hinter dem Posten erhoben sich die Werke der Zitadelle.

»Gut,« sagte Canolles zu sich selbst, »man hat mich erwartet und die gewöhnlichen Maßregeln getroffen. Das sind meine neuen Wächter?« fragte er laut seinen Begleiter Barrabas.

»Gern würde ich dem Herrn Bescheid geben,« erwiderte Barrabas, »aber in der Tat, ich weiß es nicht.«

In diesem Augenblick, nachdem sie ein Signal gegeben hatten, das von der Schildwache am Tore des Forts wiederholt wurde, stiegen die acht Soldaten und der Sergeant in das Schiff, fuhren über die Garonne und landeten in der Sekunde, wo Canolles den Fußtritt des Wagens verließ.

Als der Sergeant den Offizier erblickte, näherte er sich sogleich, grüßte militärisch und fragte: »Habe ich die Ehre, mit dem Herrn Baron von Canolles, Kapitän im Regimente Navailles, zu sprechen?«

»Mit ihm selbst,« antwortete Canolles, erstaunt über die Höflichkeit dieses Menschen.

Der Sergeant wandte sich zu seinen Leuten, kommandierte: Gewehr auf Schulter, und bezeichnete sodann Canolles mit dem Ende seiner Pike das Schiff. Canolles nahm seinen Platz zwischen den Wächtern; die acht Soldaten und der Sergeant stiegen nach ihm ein, und das Fahrzeug entfernte sich vom Ufer, während Canolles einen letzten Blick auf das Schloß Cambes warf, das allmählich hinter einem Hügel verschwand.

Beinahe die ganze Insel war bedeckt mit äußeren und inneren Böschungen, mit Glacis und Basteien; ein kleines Fort in ziemlich gutem Zustande beherrschte die Gesamtheit dieser Werke. Man gelangte in das Innere durch ein gewölbtes Tor, vor dem eine Schildwache auf und ab ging.

»Wer da?« rief diese.

Die kleine Truppe machte Halt, der Sergeant entfernte sich, rückte auf die Schildwache vor und sagte ihr einige Worte.

»Ins Gewehr!« rief die Schildwache.

Sogleich kamen etwa zwanzig Mann, aus denen der Posten bestand, aus der Wachtstube hervor und stellten sich in aller Eile vor dem Tore in Reih und Glied auf.

»Kommt, mein Herr!« sagte der Sergeant zu Canolles.

Der Trommler schlug den Marsch.

»Was soll das bedeuten?« fragte sich der junge Mann.

Und er marschierte vorwärts, ohne zu begreifen, was hier vorging, denn alle diese Vorbereitungen glichen mehr Ehrenerweisungen einem hohen Offizier gegenüber, als Vorsichtsmaßregeln gegen einen Gefangenen.

Das war noch nicht alles, Canolles hatte nicht wahrgenommen, daß sich in dem Augenblick, wo er aus dem Wagen stieg, ein Fenster in der Wohnung des Gouverneurs öffnete, und daß ein Offizier aufmerksam die Bewegungen des Schiffes und die Aufnahme beobachtete, die dem Gefangenen und seinen zwei Wächtern bereitet wurde.

Als dieser Offizier sah, daß Canolles den Fuß auf die Insel setzte, stieg er rasch herab und kam ihm entgegen.

»Ah! ah!« sagte Canolles zu sich selbst, »das ist der Kommandant des Platzes, der seinen Gefangenen in Augenschein nehmen will.«

Als der Offizier nahe bei dem Baron war, zog er den Hut und fragte: »Habe ich die Ehre, mit dem Herrn Baron von Canolles zu sprechen?«

»Mein Herr,« antwortete Canolles, »Eure Artigkeit macht mich in der Tat verwirrt. Ja, ich bin der Baron von Canolles; ich bitte Euch, behandelt mich mit der Höflichkeit, die ein Offizier dem andern schuldet, und weist mir ein Quartier so wenig schlecht als möglich an.«

»Mein Herr,« sagte der Offizier, »der Aufenthalt hier ist eigener Art: um jedoch Euren Wünschen zuvorzukommen, hat man alle möglichen Verbesserungen vorgenommen.«

»Und wem habe ich diese ungewöhnlichen Maßregeln zu verdanken?« fragte Canolles lächelnd.

»Dem König, der alles, was er tut, gut tut.«

»Ganz gewiß, ganz gewiß, mein Herr. Gott soll mich behüten, daß ich den König verleumde, besonders bei dieser Gelegenheit; es wäre mir jedoch nicht unangenehm, einige Auskunft zu erhalten.«

»Befehlt, mein Herr, ich stehe zu Eurer Verfügung; aber ich nehme mir die Freiheit, Euch zu bemerken, daß die Garnison Euch erwartet, um Euch zu empfangen.«

»Pest!« murmelte Canolles, »eine ganze Garnison, um einen Gefangenen zu empfangen, den man einsperrt; mir scheint, das sind gar zu viele Umstände.« Dann fügte er laut hinzu: »Ich stehe zu Euren Befehlen, mein Herr, und bin bereit, Euch zu folgen, wohin Ihr mich führen wollt.«

»Erlaubt mir also, Euch voranzugehen, um Euch die Honneurs zu machen.«

Canolles folgte ihm, sich im stillen Glück wünschend, daß er in die Hände eines so höflichen Mannes gefallen war.

Als er in den Hof der Zitadelle kam, fand er einen Teil der Garnison unter Waffen. Der Offizier, der ihn führte, zog nun den Degen und verbeugte sich vor ihm.

»Mein Gott, was für Umstände!« murmelte Canolles.

In demselben Augenblick ertönte die Trommel unter dem Gewölbe; Canolles wandte sich um, und eine zweite Reihe von Soldaten, die aus dem Gewölbe hervormarschierte, stellte sich hinter der ersten auf.

Zugleich überreichte der Offizier Canolles zwei Schlüssel.

»Was ist das?« fragte der Baron, »was macht Ihr denn?«

»Wir erfüllen das gewöhnliche Zeremoniell nach den strengsten Regeln der Etikette.«

»Für wen haltet Ihr mich denn?« fragte der Baron im höchsten Maße erstaunt.

»Für den, der Ihr seid, wie mir scheint, für den Herrn Baron von Canolles, den neuen Gouverneur der Insel Saint-George.«

Canolles war so geblendet, daß er beinahe zu Boden sank.

Der Offizier fuhr fort: »Ich werde sogleich die Ehre haben, dem Herrn Gouverneur die Ernennung zu übergeben, die mir diesen Morgen in Begleitung eines Briefes zugekommen ist, welcher mir seine Ankunft auf heute ankündigte.«

Ganz verblüfft über ein Ereignis, das so himmelweit von dem verschieden war, das er erwartet hatte, setzte sich Canolles in Marsch und folgte, ohne ein Wort zu sagen, dem Offizier, der ihm den Weg zeigte, mitten durch die Trommeln, die man nun wieder rührte, durch die Soldaten, die ihre Gewehre präsentierten, und durch alle Bewohner der Festung, die ihn mit freudigem Zuruf empfingen.

Als er in einem hübschen Zimmer angelangt war, von dessen Fenstern man, wie er sogleich wahrnahm, das Schloß Cambes erschaute, las er sein Patent, das in gehöriger Form abgefaßt, von der Königin unterzeichnet und von dem Herzog von Epernon gegengezeichnet war.

Bei diesem Anblick brach Canolles überwältigt zusammen und sank in einen Lehnstuhl.

Wie sollte er sich nur diese wunderbare Wendung der Dinge erklären? Da niemand weiter zugegen war, befragte er seinen Begleiter und Exwächter Barrabas, der aber, ebenso erstaunt wie der Baron selbst, das Rätsel nicht zu lösen wußte.

»Mein Herr Gouverneur,« sagte er, »ich kann nichts weiter als Euch meine untertänige Reverenz machen. Ihr könnt auf der Insel Saint-George glücklich sein wie ein König. Vortrefflicher Wein, Wildbret, das die Ebene liefert, Fische, die bei jeder Flut die Barken von Bordeaux und die Weiber von Saint-George bringen; gnädiger Herr, oh! das ist wundervoll.«

»Sehr gut, ich werde Euren Rat zu befolgen suchen; nehmt diese Anweisung und geht zu dem Zahlmeister, der Euch zehn Pistolen dagegen einhändigen wird. Ich würde sie Euch selbst geben, da Ihr mir aber aus Klugheit wie Ihr sagt, damit ich Euch nicht bestechen könne, mein Geld genommen habt . . .«

»Und daran habe ich wohl getan,« rief Barrabas; »denn hättet Ihr mich bestochen, so wärt Ihr geflohen, und wärt Ihr geflohen, so hättet Ihr ganz natürlich die hohe Stellung verloren, zu der Ihr nun gelangt seid, was mich für immer untröstlich gemacht haben würde. Gnädiger Herr, dürfte ich es übrigens wagen, Euch zu bemerken, daß ich es für unnötig halte, zu dem Zahlmeister zu gehen . . .«

»Wie, Ihr schlagt es aus?« rief Canolles erstaunt.

»Nein, Gott soll mich bewahren! Dem Himmel sei gedankt, ich habe keinen falschen Stolz. Aber ich bemerkte, daß aus einem Kistchen auf Eurem Kamin gewisse Schnüre hervorsehen, die ganz den Eindruck von Börsenschnüren auf mich machen.«

»Ihr versteht Euch auf Schnüre, Meister Barrabas,« sagte Canolles ganz erstaunt; denn es stand wirklich auf dem Kamin ein kostbares Schmuckkästchen. »Wir wollen sehen, ob Eure Ahnungen richtig sind.«

Canolles hob den Deckel des Kistchens auf und fand in der Tat eine Börse und in der Börse tausend Pistolen mit folgendem Billett:

»Für die Privatkasse des Herrn Gouverneurs der Insel Saint-George.«

»Bei Gott,« sagte Canolles errötend, »die Königin macht ihre Sachen gut.«

Und unwillkürlich kam ihm die Erinnerung an Buckingham, dem die Königin ihre Liebe geschenkt hatte, in den Kopf; vielleicht hatte die Königin hinter irgend einem Vorhange das glorreiche Antlitz des schönen Kapitäns erschaut, vielleicht begünstigte sie ihn mit einer zärtlichen Teilnahme; vielleicht . . . man erinnert sich, daß Canolles ein Gascogner war.

Leider zählte die Königin damals zwanzig Jahre mehr, als zur Zeit Buckinghams.

Wie dem auch sein mochte und von welcher Seite ihm das Geschenk auch zukam, Canolles tauchte seine Hand in die Börse, nahm zehn Pistolen heraus und übergab sie Barrabas, der sich hierauf unter wiederholten ehrfurchtsvollen Bücklingen entfernte.

Ende des ersten Bandes.

 


 

II. Band.

Erstes Kapitel.

Als Barrabas weggegangen war, rief Canolles den Offizier und bat diesen, ihn zu der Revue zu führen, die er mit seinen Truppen vornehmen wolle.

Der Offizier unterzog sich sogleich seinen Befehlen. Vor der Tür fand Canolles eine Art von Generalstab, bestehend aus den übrigen Hauptpersonen der Zitadelle; er sprach mit ihnen, ließ sich die Mittel und Quellen erklären, welche der Platz bot und beschaute unter ihrer Führung die Basteien, die Glacis, die Halbmonde, die Keller und Speicher. Um elf Uhr kehrte er, nachdem er alles gesehen hatte, wieder zurück. Sein Gefolge zerstreute sich, und er blieb allein mit dem ersten Offizier, den er anfangs getroffen hatte.

»Nun,« sagte dieser, sich ihm geheimnisvoll nähernd, »nun hat der Herr Gouverneur nur noch ein Zimmer und eine Person zu sehen.«

»Was beliebt?«

»Das Zimmer dieser Person ist dort,« erwiderte der Offizier, den Finger nach einer Türe ausstreckend, die Canolles wirklich noch nicht geöffnet hatte.

»Ah! es ist dort?« – »Ja.«

»Und die Person auch?« – »Ja.«

»Sehr gut. Doch verzeiht; ich bin sehr müde, da ich Tag und Nacht reisen mußte, und mein Kopf ist diesen Morgen nicht ganz in Ordnung; ich bitte daher, erklärt Euch ein wenig deutlicher.«

»Wohl,« fuhr der Offizier mit seinem feinsten Lächeln fort, »das Zimmer . . .«

»Die Person . . .« versetzte Canolles.

»Die Euch erwartet, ist dort. Ihr begreift nun, nicht wahr?«

»Ja, ja, sehr gut; und ich kann dort eintreten?« – »Allerdings, denn man erwartet Euch.«

»Vorwärts.«

Canolles' Herz pochte, um die Brust zu zersprengen; er sah nicht mehr, er fühlte nur, wie sich seine Befürchtung und sein Verlangen in einem Grade vermischten, daß er ein Narr zu werden fürchtete, stieß in diesem Zustande eine zweite Tür auf und erblickte hinter einem Vorhange die lachende, mutwillige Nanon, die einen gewaltigen Schrei ausstieß, als wollte sie ihm Angst machen, und dann rasch ihre Arme um seinen Hals schlang.

Canolles blieb unbeweglich, mit hängenden Armen und blicklosem Auge.

»Ihr!« stammelte er.

»Ich!« sagte sie, ihr Lachen und ihre Küsse verdoppelnd.

Die Erinnerung an sein Unrecht durchzuckte ihn, und er war, da er sogleich die neue Wohltat seiner treuen Freundin erriet, von dem Gewicht der Reue und der Dankbarkeit niedergeschmettert.

»Ah!« sagte er: »Ihr habt mich also gerettet, während ich mich wie ein Wahnsinniger zu Grunde richtete; Ihr wacht über mir, Ihr seid mein Schutzengel.«

»Nennt mich nicht Euern Engel, denn ich bin ein Teufel; doch erscheine ich nur im geeigneten Augenblick, das müßt Ihr gestehen.«

»Ihr habt recht, teure Freundin, denn in der Tat, ich glaube, Ihr errettet mich vom Schafott.«

»Ich glaube es auch. Ah! Baron, wie kam es, daß Ihr, der Scharfsichtige, der Schlaue, Euch durch die Zieraffen von Prinzessinnen betören ließet.«

Canolles errötete bis unter das Weiße der Augen, aber Nanon war entschlossen, nichts von dieser Verlegenheit zu bemerken.

»In der Tat,« sagte er, »ich begreife es selbst nicht.«

»Oh! sie sind sehr verschmitzt. Ah! meine Herren, Ihr wollt mit den Frauen Krieg führen. Was hat man mir doch erzählt? Man zeigte Euch statt der jungen Prinzessin ein Ehrenfräulein, eine Kammerfrau, irgendein unbedeutendes Geschöpf . . . was?«

Canolles fühlte, wie das Fieber aus seinen zitternden Fingern in sein ausgetrocknetes Gehirn stieg.

»Ich glaubte, die Prinzessin zu sehen,« sagte er, »denn ich kannte sie nicht.«

»Und wer war es denn?« – »Ich denke, eine Ehrendame.«

»Armer Junge, daran ist dieser Verräter Mazarin schuld. Der Teufel! wenn man den Leuten eine so schwierige Sendung überträgt, gibt man ihnen auch ein Porträt. Hättet Ihr nur ein Porträt der Frau Prinzessin gehabt oder gesehen, so würdet Ihr sie sicher erkannt haben. Doch lassen wir das. Wißt Ihr, daß Euch dieser abscheuliche Mazarin, unter dem Vorwande, Ihr hättet den König verraten, zu den Kröten werfen wollte?« – »Ich vermute es.«

»Ich aber sagte: ›Wir wollen ihn zu den Nanons werfen lassen.‹ Sprecht, habe ich wohl daran getan?«

Obgleich ganz eingenommen von der Erinnerung an die Vicomtesse, obgleich er ihr Porträt auf seinem Herzen trug, könnte Canolles doch nicht gegen die außerordentliche Güte, gegen diesen aus den schönsten Augen der Welt ihm entgegenstrahlenden Geist standhalten, er neigte das Haupt und drückte seine Lippen auf die hübsche Hand, die man ihm reichte.

»Und Ihr seid hierher gekommen, um mich zu erwarten?«

»Ich war im Begriff, Euch in Paris aufzusuchen, um Euch hierher zu führen. Ich brachte Euch Euer Patent; diese Abwesenheit währte mir zu lange; Herr von Epernon fiel allein mit seinem ganzen Gewicht auf mein einförmiges Leben. Da erfuhr ich Euer Mißgeschick . . . Doch ich vergaß, Euch zu sagen; Ihr wißt, Ihr seid mein Bruder?« – »Ich vermutete es, als ich Euern Brief las.«

»Man hatte Euch ohne Zweifel verraten. Der Brief den ich Euch schrieb, war in schlechte Hände gefallen. Der Herzog kam wütend an. Ich ernannte Euch zu meinem Bruder, armer Canolles, und wir werden durch die legitimste Verbindung beschützt. Ihr seid nun beinahe verheiratet, mein armer Freund.«

Canolles ließ sich durch die blendende Gewalt dieser Frau hinreißen. Nachdem er ihre weißen Hände geküßt hatte, küßte er ihre schwarzen Augen. Der Schatten der Frau von Cambes mußte, traurig das Haupt verhüllend, entfliehen.

»Von da an,« fuhr Nanon fort, »habe ich für alles gesorgt, alles geordnet; ich machte aus Herrn von Epernon Euern Beschützer oder vielmehr Euern Freund; ich beschwichtigte Mazarins Zorn. Dann wählte ich als Zufluchtsort Saint-George, denn Ihr wißt, lieber Freund, man will mich immer noch steinigen. Nur Ihr allein in der Welt liebt mich ein wenig, teurer Canolles. Sprecht, sagt mir, daß Ihr mich liebt.«

Und die reizende Nanon schlang ihre Arme abermals um Canolles' Hals und tauchte ihren glühenden Blick in die Augen des jungen Mannes, als wollte sie seinen Gedanken in der tiefsten Tiefe seines Herzens suchen.

Canolles fühlte in diesem Herzen, worin Nanon zu lesen suchte, daß er gegen so große Ergebenheit nicht unempfindlich bleiben konnte. Eine geheime Ahnung sagte ihm, es liege noch mehr als Liebe in Nanon, es liege auch Großmut in ihr, sie liebe nicht nur, sondern sie vergebe auch.

Der junge Mann machte ein Zeichen mit dem Kopfe, um Nanons Frage zu beantworten, denn er hätte es nicht gewagt, ihr mit dem Munde zu sagen, daß er sie liebe, obgleich im Grunde seiner Brust alle Erinnerungen zu ihren Gunsten sprachen.

»Ich wählte also die Insel Saint-George,« fuhr sie fort, »um mein Geld, meine Juwelen und meine Person in Sicherheit zu bringen. Welcher andere, sagte ich mir, als der Mann, der mich liebt, kann mein Leben verteidigen? Welcher andere, als mein Geliebter, kann mir meine Schätze bewahren? Alles ist in Euren Händen, Leben und Reichtum, teurer Freund! Werdet Ihr sorgfältig über allem wachen, werdet Ihr ein treuer Freund und treuer Wächter sein?«

In diesem Augenblick erklang eine Trompete im Hofe, und ihr Klang schwang im Herzen Canolles' nach; er hatte vor sich die Liebe beredter, als sie je gewesen war, er hatte hundert Schritte von sich den drohenden Krieg, den entflammenden, berauschenden Krieg.

»O! ja, Nanon,« rief er, »Eure Person und Eure Habe sollen bei mir in Sicherheit sein, und ich schwöre Euch ich werde sterben, um Euch vor der geringsten Gefahr zu retten.«

»Ich danke Euch, mein wackerer Ritter, ich bin von Eurer Tapferkeit ebensosehr, wie von Eurem Edelmut überzeugt. Ach!« fügte sie lächelnd hinzu, »wäre ich auch Eurer Liebe so gewiß!«

»O!« murmelte Canolles, »seid versichert . . .«

»Gut, gut!« sagte Nanon, »die Liebe beweist sich nicht durch Schwüre, sondern durch Handlungen; nach dem, was Ihr tun werdet, mein Freund, wollen wir Eure Liebe beurteilen.«

Und die schönsten Arme der Welt um Canolles' Hals schlingend, neigte sie ihr Haupt auf die pochende Brust des jungen Mannes.

»Nun muß er vergessen,« sagte sie zu sich selbst, »und er wird vergessen.«


Zweites Kapitel.

An demselben Tag, an dem Canolles in Jaulnay unter den Augen der Frau von Cambes verhaftet worden war, reiste diese ab, um sich wieder zu der Prinzessin zu begeben, die sich vor Coutras befand.

Frau von Cambes reiste also traurig und zitternd ab. Pompée vermochte sie, trotz seiner Prahlereien, durchaus nicht zu beruhigen, und nicht ohne große Furcht sah sie gegen Abend an demselben Tag, an dem sie wieder von Jaulnay aufgebrochen war, einem Querwege folgend, eine beträchtliche Truppe von Reitern erscheinen.

Es waren Edelleute, die von dem bekannten Leichenbegängnisse des Herzogs von Larochefoucault zurückkehrten, das unter dem scheinbaren Grunde, seinem Vater die letzte Ehre zu erweisen, dem Prinzen von Marsillac als Vorwand gedient hatte, um aus Frankreich und der Picardie den ganzen Adel zusammenzuziehen, der Mazarin noch mehr haßte, als er dem Prinzen zugetan war. Ihr Führer, der neue Herzog von Larochefoucault, war selbst unter diesen Edelleuten, und von ihm erfuhr Frau von Cambes, was sich ereignet hatte. Der Herzog hatte mit seinen Scharen die wichtige Stadt Saumur entsetzen wollen; er war aber zu spät gekommen, denn der Kommandant hatte kurz zuvor den Platz an die Königlichen übergeben. Dagegen war es zum ersten Treffen zwischen den beiden Parteien gekommen, da der Herzog auf eine königliche Heeresabteilung gestoßen war und einen Kampf mit ihnen siegreich bestanden hatte. Der Herzog, der mit seinen dicken schwarzen Haaren, seiner beweglichen eingekniffenen Lippe, mit seiner galligen Blässe und seiner verdrießlichen Stirn einen melancholischen Eindruck machte, schaute beständig Claire mit seinen kleinen Fuchsaugen scharf musternd an. Aus seinen schonungslosen Fragen ersah sie, daß er, von dem sie wußte, daß er ihr früher eine lebhafte Zuneigung geschenkt habe, alle ihre geheimsten Schritte ausgekundschaftet hatte. Er wußte von ihrem ersten Zusammensein mit Herrn von Canolles in Jaulnay, er wußte auch, daß der junge Offizier sich willig in Chantilly hatte täuschen lassen, und als er nun hörte, der junge Offizier sei auf Mazarins Befehl verhaftet, zeigte er hierüber trotz Claires Klagen nicht nur kein Mitleid, sondern lebhafte Genugtuung und Freude.

Der Herzog gab ihr zum Schutze eine Abteilung seiner Reiter mit, und zwei Tage nachher befand sich Frau von Cambes wieder bei der Prinzessin.

Um den üblen Folgen, die das Ausspionieren des Herzogs von Larochefoucault haben konnte, vorzubeugen, sagte sie in Erwiderung der Komplimente, die ihr die Prinzessin machte: »Madame, beglückwünscht mich nicht zu sehr wegen der Gewandtheit, die ich entwickelt haben soll, denn es gibt Leute, die behaupten, der Offizier, den wir zu betören meinten, sei sich völlig klar darüber gewesen, was er von der wahren und von der falschen Prinzessin von Condé zu halten habe.«

Da diese Ansicht der Prinzessin zum Teil ihr Verdienst genommen hätte, das sie sich bei Ausführung der List erworben zu haben glaubte, so erwiderte sie: »Ja, ja, meine liebe Claire, ja, ich begreife; jetzt, wo unser Mann sieht, daß wir ihn getäuscht haben, möchte er sich gern das Ansehen geben, als habe er uns begünstigt; leider greift er etwas spät nach diesem Mittel, da er gewartet hat, bis er in Ungnade gefallen ist. Jedoch wir haben uns zur Zeit mit wichtigeren Angelegenheiten zu befassen,« fuhr sie fort, sich ihren anwesenden beiden Räten, der Frau von Tourville und Herrn Lenet, zuwendend. Es stand zunächst die Frage zur Beratung, wer eine von Frau von Tourville entworfene und von Lenet umredigierte Proklamation an die Bordolesen an erster Stelle unterzeichnen sollte. Die Dame stimmte für den Herzog von Larochefoucault, während Herr Lenet für den jungen Herzog von Enghien eintrat.

»Aber Ihr gefährdet den jungen Prinzen,« fiel ihm seine alte Widersacherin ins Wort.

»Es ist nur zu billig, daß er gefährdet wird. Madame, da man sich für ihn schlägt.«

»Aber die Bordolesen lieben den Herzog von Bouillon, sie beten den Herzog von Larochefoucault an, während sie den Herzog von Enghien nicht einmal kennen.«,

»Ihr seid im Irrtum,« antwortete Lenet, ein Papier aus seiner Tasche ziehend, welche die Prinzessin stets durch ihren Inhalt in Erstaunen setzte, »denn hier ist ein Brief von dem Herrn Präsidenten von Bordeaux, worin er mich bittet, die Proklamation durch den jungen Herzog unterzeichnen zu lassen.«

»Ei! kümmert Euch nichts um die Parlamente, Lenet,« rief die Prinzessin, »es lohnt sich nicht der Mühe, der Gewalt der Königin und des Herrn von Mazarin zu entgehen, wenn wir in die der Parlamente fallen.«

»Will Eure Hoheit nach Bordeaux hinein?« – »Allerdings.«

»Wohl, ohne dies geht es nicht, sie werden kein Zündkraut für einen andern als den Herzog von Enghien abbrennen.«

Frau von Tourville biß sich in die Lippen.

»Ihr habt uns also von Chantilly fliehen, Ihr habt uns hundertundfünfzig Meilen machen lassen,« sagte die Prinzessin, »damit wir eine Schmach von den Bordolesen hinnehmen?«

»Was Ihr für eine Schmach haltet, Madame, ist eine Ehre. Was kann für die Prinzessin von Condé schmeichelhafter sein, als zu sehen, daß man sie aufnimmt und nicht die anderen?«

»Also werden die Bordolesen selbst die zwei Herzoge nicht aufnehmen?« – »Sie nehmen nur Eure Hoheit auf.«

»Was kann ich allein tun?« – »Bei Gott, zieht nur ein, laßt bei Eurem Einzug die Tore offen, und die andern ziehen hinter Euch ein.«

»Wir können ihrer nicht entbehren.«

»Das ist meine Meinung und in vierzehn Tagen wird es auch die Meinung des Parlaments sein. Bordeaux stößt Eure Armee zurück, vor der es sich ängstet, und in vierzehn Tagen wird es sie zur Verteidigung rufen. Ihr könnt dann das doppelte Verdienst ansprechen, zweimal getan zu haben, was die Bordolesen von Euch verlangen, und dann, seid unbesorgt, lassen sie sich vom ersten bis zum letzten Mann für Euch töten.«

»Bordeaux ist also bedroht?« fragte Frau von Tourville.

»Sehr bedroht,« antwortete Lenet, »deshalb ist es dringend, dort eine bestimmte Stellung einzunehmen. Solange wir nicht drin sind, kann Bordeaux, ohne daß sein Glück dadurch gefährdet wird, sich weigern, uns seine Tore zu öffnen; sind wir einmal dort, so kann uns Bordeaux nicht, ohne sich zu entehren, aus seinen Mauern jagen.«

»Und wer bedroht Bordeaux, wenn ich fragen darf?«

»Der König, die Königin, Herr von Mazarin. Die königlichen Streitkräfte sammeln sich; unsere Feinde fassen festen Fuß; die Insel Saint-George, die nur drei Meilen von der Stadt entfernt liegt, hat soeben Verstärkung, eine Zufuhr an Munition und einen neuen Gouverneur erhalten. Die Bordolesen werden versuchen, die Insel zu nehmen, und sich natürlich schlagen lassen, da sie es mit den besten Truppen des Königs zu tun haben. Gehörig gestriegelt werden sie dann mit lauter Stimme die Herzöge von Bouillon und Larochefoucault herbeirufen. Dann haltet Ihr diese beiden Herzöge in Euren Händen, dann schreibt Ihr den Parlamenten die Bedingungen vor.«

»Aber wäre es nicht besser, einen Versuch zu machen, diesen neuen Gouverneur für uns zu gewinnen, ehe die Bordolesen eine Niederlage erlitten haben, die sie entmutigen dürfte?«

»Seid Ihr in Bordeaux, wenn diese Niederlage stattfindet, so habt Ihr nichts zu befürchten; den Gouverneur zu gewinnen, ist nicht möglich.«

»Nicht möglich! warum?« – »Weil der Gouverneur ein persönlicher Feind Eurer Hoheit ist.«

»Ein persönlicher Feind von mir?« – »Ja.«

»Woher rührt diese Feindschaft?« – »Davon, daß er Eurer Hoheit die Täuschung, deren Opfer er in Chantilly gewesen ist, nie verzeihen wird. Oh! Herr von Mazarin ist kein Dummkopf, wie Ihr glaubt, obgleich ich mich beständig abmühe, um Euch das Gegenteil zu beweisen; es mag zum Belege dienen, daß er auf die Insel Saint-George, das heißt an die wichtigste Stelle den Offizier geschickt hat, über den Ihr so viel lachtet, und der durch seine unbegreifliche Ungeschicklichkeit Euch entfliehen ließ.«

»Herrn von Canolles!« rief Claire.

»Ja.«

»Herr von Canolles Gouverneur der Insel Saint-George?«

»In Person.«

»Unmöglich! ich habe ihn in meiner Gegenwart, vor meinen eigenen Augen verhaften sehen.«

»Ganz richtig, aber er erfreut sich ohne Zweifel eines mächtigen Schutzes, und seine Ungnade hat sich in Gunst verwandelt.«

»Und Ihr hieltet ihn bereits für tot, meine arme Claire!« rief lachend die Prinzessin.

»Seid Ihr Eurer Sache ganz sicher?« fragte Claire, im höchsten Maße erstaunt.

Lenet steckte die Hand seiner Gewohnheit gemäß in die bekannte Tasche, zog ein Papier heraus und erwiderte: »Hier ist ein Brief von Richon, der mir alle Umstände der Bestallung des neuen Gouverneurs meldet und nur sein Bedauern darüber ausdrückt, daß Eure Hoheit nicht ihn selbst vermittels jenes Blanketts des Herzogs von Epernon auf die Insel Saint-George gesetzt hat.«

»Und Ihr seid sicher,« unterbrach Claire, die für nichts anderes Gedanken hatte, »daß derselbe Herr von Canolles, den man in Jaulnay verhaftet hat, nunmehr Gouverneur der Insel Saint-George ist?« – »Ich habe die vollkommene Gewißheit.«

»Herr von Mazarin hat eine eigene Art, seine Gouverneure in ihre Gouvernements zu führen,« sagte Frau von Cambes.

»Ja,« meinte die Prinzessin, »dahinter steckt sicher etwas.«

»Allerdings,« erwiderte Lenet, »Fräulein Nanon von Lartigues.«

»Nanon von Lartigues,« rief die Vicomtesse von Cambes, der eine furchtbare Erinnerung das Herz zerriß.

»Diese Dirne!« sagte die Prinzessin verächtlich.

»Ja, Madame.« antwortete Lenet. »Das Mädchen, das Eure Hoheit zu sehen sich weigerte, als es sich um die Gunst, vorgestellt zu werden, bewarb, und das die Königin, in den Gesetzen der Etikette weniger streng als Ihr, empfangen hatte, weshalb das Mädchen Eurem Kammerherrn antwortete, die Frau Prinzessin von Condé sei vielleicht eine größere Dame als Anna von Österreich, aber Anna von Österreich besitze sicher mehr Klugheit, als die Prinzessin von Condé.«

»Ihr hättet sie vielleicht an der Stelle Ihrer Hoheit ehrfurchtsvoll empfangen?« sagte Frau von Tourville mit spitzigem Tone.

»Nein, Madame,« erwiderte dieser, »ich hätte sie lachend empfangen und würde sie erkauft haben.«

»Wenn es sich nur darum handelt, sie zu erkaufen, so ist es immer noch Zeit.«

»Es ist allerdings immer noch Zeit; nur wird es zu dieser Stunde für unsere Börse zu teuer sein.«

»Wieviel kostet sie?« fragte die Prinzessin.

»Fünfmalhunderttausend Livres vor dem Kriege.«

»Aber jetzt?« – »Eine Million.«

»Um diesen Preis würde ich Herrn von Mazarin erkaufen.«

»Wohl möglich,« sagte Lenet; »die Waren sinken manchmal im Laufe der Dinge im Preise.«

»Aber, wenn man sie nicht erkaufen kann, so muß man sie festnehmen,« sagte Frau von Tourville, die stets für die gewaltsamen Mittel war.

»Madame, Ihr würdet damit Ihrer Hoheit einen wahren Dienst erweisen, aber es wird schwer zu erreichen sein, da man gar nicht weiß, wo sie ist. Doch, wir wollen zuerst in Bordeaux einziehen, später werden wir auch nach der Insel Saint-George gelangen.«

»Nein, nein,« rief Claire, »ziehen wir zuerst nach der Insel Saint-George.«

Dieser aus der Tiefe des Herzens quellende Ausruf ließ die Frauen sich nach ihr umwenden, während Lenet Claire so aufmerksam, wie vorher Herr von Larochefoucault, aber mit mehr Wohlwollen anschaute.

»Bist du denn toll?« rief die Prinzessin, »du hörst doch, daß Lenet sagt, der Platz sei uneinnehmbar.«

»Das ist möglich,« entgegnete Claire, »aber ich glaube doch, daß wir ihn nehmen werden. Laßt mich nur das Abenteuer versuchen. Scheitere ich, so versucht es auf Eure Weise.«

»Wie!« rief die Prinzessin erstaunt, »du willst nach der Insel Saint-George gehen?« – »Ich gehe.«

»Allein?« – »In Begleitung von Pompée.«

»Und du fürchtest dich nicht?« – »Ich gehe als Parlamentär, wenn Eure Hoheit die Gnade haben will, mir ihre Instruktionen zu übergeben.«

»Oh! das ist neu,« rief Frau von Tourville; ich wußte nicht, daß man sich so schnell zum Diplomaten modeln kann.«

»Wie unzulänglich ich auch sein mag, Madame,« antwortete Claire, »so werde ich es doch versuchen, wenn es mir die Frau Prinzessin erlauben will.«

»Sicher wird es Euch die Frau Prinzessin erlauben,« sagte Lenet, der Prinzessin einen Blick zuwerfend, »und ich bin sogar überzeugt, daß, wenn es auf der Welt eine Person gibt, die bei einer solchen Unterhandlung durchzudringen vermag, Ihr dies seid . . .«

»Und was wird denn die Frau Vicomtesse tun, was ein anderer nicht zu tun vermöchte?« – »Sie wird mit Herrn von Canolles verhandeln, was ein Mann nicht tun würde, ohne zum Fenster hinausgeworfen zu werden.«

»Ein Mann, das mag sein,« versetzte Frau von Tourville, »aber eine Frau . . .«

»Geht eine Frau nach der Insel Saint-George,« sagte Lenet, »so ist es besser, wenn es die Frau Vicomtesse unternimmt, da sie zuerst den Gedanken gehabt hat.«

In diesem Augenblick trat ein Bote bei der Frau Prinzessin ein, der einen Brief vom Parlament von Bordeaux überbrachte.

»Ah!« rief die Prinzessin, »ohne Zweifel die Antwort auf meine Frage.«

Die beiden Frauen näherten sich, neugierig und teilnahmsvoll. Lenet aber blieb mit seinem gewöhnlichen Phlegma an seinem Platze; ohne Zweifel wußte er bereits, was der Brief enthielt.

Die Prinzessin las mit gierigen Blicken.

»Sie fordern mich, sie rufen mich, sie erwarten mich!« rief sie.

»Ah!« rief Frau von Tourville mit triumphierendem Tone.

»Aber die Herzöge,« entgegnete Lenet, »aber das Heer?«

»Sie sprechen nicht davon.«

»Dann sind wir entblößt,« versetzte Frau von Tourville.

»Nein,« entgegnete die Prinzessin, »denn durch das Blankett des Herzogs von Epernon werde ich Vayres haben, das die Dordogne beherrscht.«

»Und ich,« sagte Claire, »ich werde Saint-George, den Schlüssel der Garonne, haben.«

»Und ich,« fügte Lenet hinzu, »werde die Herzöge und das Heer haben, wenn Ihr mir Zeit dazu gönnt.«


Drittes Kapitel.

Um zweiten Tage kam man vor Bordeaux an, und man mußte sich nun endlich darüber entscheiden, wie man in die Stadt gelangen sollte. Die Herzöge waren mit ihrem Heer nur noch etwa zehn Meilen entfernt; man könnte daher ebensowohl deinen friedlichen Einzug, wie ein gewaltsames Eindringen versuchen.

Es kostete Lenet noch einen schweren Kampf gegen Frau von Tourville, die begeistert ein Gemälde entwarf, wie die Prinzessin unter Glockengeläute und im Kugelregen in der Stadt einzöge, während Frau von Condés kriegerische Instinkte ebenfalls zu einem gewaltsamen Vorgehen neigten.

Doch drang schließlich Lenet durch; den Ausschlag gab sein Hinweis darauf, daß Mazarin Sendboten in der Stadt halte, deren Kugeln bei kriegerischem Eindringen der Herzogin und ihres Sohnes leicht ein unerwünschtes Ziel wählen und finden könnten. So wurde denn das Programm über die Art und Weise, wie man in Bordeaux erscheinen wollte, nach Lenets Vorschlag festgestellt. Die Damen der Eskorte erhielten Befehl, entsprechende Vorkehrungen zu treffen. Der junge Prinz bekam ein mit silbernen und weißen Schnüren besetztes Kleid von gewässertem Taft, nebst einem mit weißen und schwarzen Federn bedeckten Hut. Die Prinzessin kleidete sich in Schwarz ohne irgendein Geschmeide.

Lenet vervielfältigte sich, damit die festliche Veranstaltung möglichst prächtig und zweckentsprechend stattfinde. Das Haus, das er in einer kleinen Stadt, zwei Meilen von Bordeaux, bewohnte, wurde nicht leer von Parteigängern der Prinzessin, die bei ihm Rat und Anweisung haben wollten.

Am 31. Mai setzte sich die Prinzessin auf Einladung des Parlaments in Marsch. Wohl hatte ein gewisser Lavie, Generaladvokat beim Parlament und wütender Parteigänger Mazarins, zwei Tage vorher die Tore schließen lassen, um zu verhindern, daß die Prinzessin Aufnahme finde, aber Condés Parteigänger waren anderseits tätig gewesen, und das Volk hatte sich, von ihnen aufgewiegelt, an demselben Morgen unter dem Geschrei: »Es lebe die Frau Prinzessin! Es lebe der Herzog von Enghien!« zusammengerottet und die Tore mit der Axt erbrochen, so daß sich nichts dem Einzuge widersetzte, der in der Tat den Charakter eines Triumphes annahm. Wer hinter die Kulissen schaute, konnte in diesen beiden Ereignissen die Hand der eigentlichen Leiter erkennen; denn Lavie empfing unmittelbar die Anweisungen des Herzogs von Epernon, und die anderen handelten ganz nach den Ratschlägen und Aufträgen Lenets.

Kaum hatte die Prinzessin das Tor hinter sich, als die seit geraumer Zeit vorbereitete Szene in riesigen Verhältnissen vor sich ging. Die militärische Begrüßung wurde von den im Hafen liegenden Schiffen ausgeführt und die Kanonen der Stadt antworteten darauf. Blumen fielen auf die Straßen oder durchzogen die Stadt in Gewinden, so daß das Pflaster bedeckt und die Luft mit Wohlgerüchen geschwängert war; Beifallsgeschrei ertönte von dreißigtausend Eifrigen jedes Alters und jedes Geschlechtes, deren Begeisterung sich mit dem Maße des Interesses, das die Frau Prinzessin und ihr Sohn einflößten, und des Hasses, den sie gegen Mazarin hegten, steigerte.

Der kleine Herzog von Enghien war übrigens der geschickteste Schauspieler bei der ganzen Szene. Die Prinzessin hatte gegen ihre ursprüngliche Absicht darauf Verzicht geleistet, ihn an der Hand zu führen, aus Furcht, ihn zu sehr zu ermüden; er wurde deshalb von seinem Kammerherrn getragen, bekam dadurch die Hände frei, warf nach rechts und links Kußhände zu und nahm auf das anmutigste seinen Federhut ab.

Das Volk von Bordeaux berauscht sich leicht; die Frauen begeisterten sich für dieses so anmutsvoll weinende Kind, die alten Magistrate wurden erschüttert durch die Worte des kleinen Redners, der sagte: »Meine Herren, seiet Ihr meine Väter, da der Herr Kardinal mir den meinigen genommen hat.«

Vergebens versuchten es die Anhänger des Ministers einigermaßen Widerstand zu leisten; die Fäuste, die Steine und selbst die Hellebarden schärften ihnen Klugheit ein, und man mußte sich darein fügen, das Feld den Triumphatoren freizulassen.

Auch Frau von Cambes, die ihren Platz hinter der Prinzessin hatte, zog vieler Menschen Blicke auf sich. Sie konnte nicht an so viel Glorie denken, ohne sich innerlich darüber zu betrüben, daß der rauschende Erfolg dieses Tages vielleicht den Beschluß des vorhergehenden vergessen lassen würde. Sie befand sich also auf dem Wege, von Bewunderern vergöttert, vom Volk umdrängt, von Blumen und ehrfurchtsvollen Liebeserweisungen überströmt, und zitterte davor, daß man sie im Triumphe forttragen könnte. Da erblickte sie Lenet, der ihr, als er ihre Verlegenheit wahrnahm, die Hand bot, damit sie mit seiner Unterstützung einen Wagen erreichen könnte. Ihren eigenen Gedanken beantwortend, sagte sie zu ihm:

»Ah! Ihr seid sehr glücklich, Herr Lenet, Eure Ansicht dringt stets durch und erweist sich auch immer als die beste.«

»Mir scheint, Ihr habt Euch auch nicht zu beklagen, Madame,« erwiderte Lenet, »die einzige Meinung, die Ihr ausgesprochen habt, ist angenommen worden.«

»Wieso?« – »Ist nicht beschlossen worden daß Ihr versuchen sollt, die Insel Saint-George für uns zu bekommen?«

»Ja, aber wann wird man mir erlauben, mich ins Feld zu begeben?« – »Schon morgen, wenn Ihr mir versprechen wollt, dabei zu scheitern.«

»Seid unbesorgt, ich fürchte nur zu sehr, daß ich Euren Absichten entsprechen werde.«

»Desto besser.«

»Ich begreife Euch nicht.«

»Wir brauchen den Widerstand der Insel Saint-George, damit uns die Bordolesen unser Heer und unsere beiden Herzöge hereinlassen, die uns unter den Umständen höchst notwendig sind.«

»Ich darf also als Parlamentär nach St. Georges gehen?«

»So ist beschlossen.«

»Aber eines müßt Ihr mir noch versprechen; niemand darf den Namen und die Eigenschaft des Parlamentärs erfahren, außer wenn der Plan gelungen ist.

»Einverstanden,« sagte Lenet, Frau von Cambes die Hand reichend.

»Und wann werde ich abgehen?« – »Wann Ihr wollt« – »Morgen?« – »Morgen, ja.«

»Gut. Seht, die Frau Prinzessin steigt nun auf die Terrasse des Herrn Präsidenten von Lalasne. Ich trete Frau von Tourville meinen Teil am Triumphe ab. Ihr entschuldigt mich bei Ihrer Hoheit mit einer Unpäßlichkeit. Laßt mich nach der Wohnung führen, die man für mich zubereitet hat; ich will meine Vorkehrungen treffen und über meine Sendung nachdenken, die mich unablässig beunruhigt, weil es die erste dieser Art ist, die ich vollziehe, und alles in dieser Welt, wie man sagt, vom ersten Auftreten abhängt.«

»Teufel!« rief Lenet, »ich wundere mich nicht, daß Herr von Larochefoucault auf dem Punkte war, für Euch eine Untreue an Frau von Longueville zu begehen; Ihr seid in gewissen Dingen ebensoviel und in manchen mehr wert als sie.«

»Das ist möglich,« sagte Claire, »ich weise das Kompliment nicht ganz von mir; aber wenn Ihr einigen Einfluß auf Herrn von Larochefoucault ausübt, mein lieber Herr Lenet, so befestigt ihn in seiner ersten Liebe, denn die zweite macht mir bange.«

»Wir werden uns bemühen,« erwiderte Lenet lächelnd; »diesen Abend gebe ich Euch Eure Anweisung.«

»Ihr willigt also ein, daß ich Saint-George für Euch nehme?« – »Ich muß wohl, da Ihr es wünscht.«

»Und die zwei Herzöge und das Heer?« – »Ich habe in meiner Tasche noch ein anderes Mittel, um sie kommen zu lassen.«


Viertes Kapitel.

Am Tage nach der Ankunft der Frau Prinzessin in Bordeaux fand ein großes Mittagsmahl auf der Insel Saint-George statt, wozu Canolles die vornehmsten Offiziere der Garnison und die anderen Festungs-Gouverneure der Provinz eingeladen hatte.

Um zwei Uhr nachmittags, zu der für das Mahl festgesetzten Stunde, war Canolles von einem Dutzend Herren umgeben, die er der Mehrzahl nach zum ersten Male sah; sie erzählten von dem großen Ereignis des vorhergehenden Tages, belustigten sich auf Rechnung der Damen, welche die Prinzessin begleiteten, und glichen nur sehr wenig Leuten, die im Begriff sind, ins Feld zu rücken, und die wichtigsten Interessen des Königreichs in ihren Händen haben.

Ganz strahlend und prachtvoll in seiner mit Gold überzogenen Uniform belebte Canolles noch diese Heiterkeit durch sein Beispiel. Man sollte auftragen, aber Canolles bat, noch eine halbe Stunde zu verzichten, da er noch einen Gast, den neuen ihm bisher unbekannten Gouverneur von Vayres, erwarte.

Mit unterhaltendem Geplauder über den beginnenden Frauenkrieg, in dem man doch ohne Damen zu Mittag speisen sollte, und mit Andeutungen über die gütige Fee, die über dem Wohl ihres Gouverneurs wache, verging die halbe Stunde schnell.

Schon öffnete sich die Tür des Speisesaales, und Canolles lud seine Gäste ein, ihm zu folgen, als im Vorzimmer die Meldung erscholl: »Der Herr Gouverneur von Vayres.«

»Ah! ah!« sagte Canolles, »das ist sehr liebenswürdig von ihm.«

Und er machte einen Schritt, um dem ihm unbekannten Kollegen entgegenzugehen; plötzlich aber wich er voll Erstaunen zurück und rief: »Richon! Richon, Gouverneur von Vayres!«

»Ich selbst, mein lieber Baron,« antwortete Richon, trotz seiner Leutseligkeit die ihm eigentümliche ernste Miene beibehaltend.

»Ah! desto besser, tausendmal besser!« sagte Canolles, ihm herzlich die Hand drückend. »Meine Herren,« fügte er hinzu, »Ihr kennt diesen Ehrenmann nicht, aber ich kenne ihn und sage laut, man konnte ein so wichtiges Amt keinem rechtschaffeneren Manne anvertrauen.«

Richon ließ einen Blick so stolz wie der eines Adlers umhergehen, und als er in allen Augen nur ein leichtes mit Wohlwollen gemischtes Erstaunen wahrnahm, sagte er: »Mein lieber Baron, nun, da Ihr so offen für mich gebürgt habt, wollt mich gütigst den Herren vorstellen, denen ich bekannt zu sein nicht die Ehre habe.«

Nach einer Viertelstunde war Richon bereits der Freund aller dieser jungen Offiziere und hätte von jedem seinen Degen oder seine Börse verlangen können. Seine Gewährschaft waren sein wohlbekannter Mut, sein fleckenloser Ruf und sein in seine Augen geschriebener Adel.

»Bei Gott! Meine Herren,« sagte der Kommandant von Brannes, »man muß zugeben, daß Herr von Mazarin, obgleich ein Mann der Kirche, sich auf die Kriegsleute versteht und seit einiger Zeit die Sachen gut macht. Er wittert den Krieg und wählt seine Gouverneure: Canolles hier, Richon in Vayres.«

»Wird man sich schlagen?« fragte Richon leichthin.

»Ob man sich schlagen wird?« antwortete ein junger Mann, der unmittelbar vom Hof kam. »Ihr fragt, ob man sich schlagen werde, Herr Richon?« – »Ja.«

»Wohl, ich frage Euch, in welchem Zustand sind Euere Basteien?« – »Sie sind beinahe neu, denn seit den drei Tagen, die ich auf diesem Platze bin, habe ich mehr Ausbesserungen vornehmen lassen, als man seit drei Jahren gemacht hat.«

»Nun, sie werden bald eingeweiht werden.«

»Desto besser; was können Kriegsleute besseres verlangen als den Krieg?«

»Gut,« rief Canolles, »der König mag jetzt auf beiden Ohren schlafen, denn er hält die Bordolesen mit seinen zwei Flüssen wie an beiden Ohren.«

»Der mich auf meinen Posten gesetzt hat, kann allerdings auf mich zählen,« sagte Richon.

»Seit wann seid Ihr in Vayres, mein Herr?« – »Seit drei Tagen; und Ihr, Canolles, seit wann seid Ihr auf Saint-George?«

»Seit acht; hat man Euch auch einen Einzug bereitet, wie mir, Richon? Mein Einzug war glänzend, und ich habe diesen Herren in der Tat noch nicht genug gedankt; ich hatte Glocken, Trommeln, Vivats; es fehlte nur die Kanone, aber man verspricht sie mir in wenigen Tagen, und das tröstet mich.«

»Wohl, das ist der Unterschied, der zwischen uns stattfand,« erwiderte Richon; »mein Einzug ist ebenso bescheiden gewesen, wie der Eurige glänzend; ich hatte Befehl, hundert Mann in die Festung zu führen, hundert Mann vom Regiment Turenne, und ich wußte nicht, wie ich sie einführen sollte, als mir in Saint-Pierre, wo ich mich aufhielt, mein Patent, unterzeichnet von Herrn von Epernon, zukam. Ich brach sogleich auf, übergab meinen Brief dem Leutnant und nahm ohne Trommeln und Trompeten Besitz vom Platz. Nun bin ich aber dort.«

Canolles, der anfangs lachte, fühlte, wie sich bei dem Tone, mit dem die letzten Worte gesprochen wurden, sein Herz unter dem Drucke einer düsteren Ahnung zusammenschnürte.

»Und Ihr seid zu Hause?« fragte er Richon.

»Ich niste mich ein,« sagte Richon ruhig.

»Wieviel Mann habt Ihr?« fragte Canolles.

»Zuerst die hundert Mann vom Regiment Turenne, alte Soldaten von Rocroy, auf die man zählen kann; sodann eine Kompanie, die ich in der Stadt bilde, und die ich einübe, sobald die Angeworbenen mir zukommen, Bürger, junge Leute, Arbeiter, ungefähr zweihundert Mann; endlich erwarte ich eine letzte Verstärkung von hundert bis hundertundfünfzig Mann, die ein Kapitän auf dem Lande anwirbt.«

»Der Kapitän Ramblay?« fragte einer von den Gästen.

»Nein, der Kapitän Cauvignac,« antwortete Richon.

»Ich kenne ihn nicht,« riefen mehrere Stimmen.

»Ich kenne ihn,« sagte Canolles.

»Ist er ein erprobter Königstreuer?«

»Ich kann es nicht bestimmt sagen; doch habe ich alle Ursache zu glauben, daß der Kapitän Cauvignac ein Geschöpf des Herrn von Epernon und dem Herzog sehr ergeben ist.«

»Das entscheidet die Frage; wer dem Herzog ergeben ist, ist es auch Seiner Majestät.«

»Er gehört zur Vorhut des Königs,« sagte ein alter Offizier. »So habe ich wenigstens sagen hören.«

»Ist Seine Majestät unterwegs?« fragte Richon mit seiner gewöhnlichen Ruhe.

»Zu dieser Stunde muß der König mindestens in Blois sein,« antwortete der junge Mann, der vom Hof kam.

»Wißt Ihr das gewiß?«

»Ganz gewiß. Das Heer wird vom Marschall de La Meilleraye befehligt, der sich hier in der Gegend mit dem Herzog von Epernon in Verbindung setzen soll.«

»Vielleicht in Saint-George?« sagte Canolles.

»Oder vielmehr in Vayres,« sagte Richon. »Der Marschall de La Meilleraye kommt von der Bretagne, und Vayres liegt auf seinem Wege.«

»Wer das Zusammenstoßen der beiden Armeen auszuhalten hat, riskiert viel für seine Basteien,« sagte der Gouverneur von Brannes. »Herr de La Meilleraye hat dreißig Kanonen bei sich und Herr von Epernon fünfundzwanzig.«

»Das wird ein schönes Feuer geben,« sagte Canolles; »leider werden wir es nicht sehen.«

»Oh!« versetzte Richon, »wenn sich nicht einer von uns für die Herren Prinzen erklärt.«

»Ja, aber Canolles ist stets sicher, irgend ein Feuer zu sehen. Erklärt er sich für die Prinzen, so sieht er das Feuer von Herrn de La Meilleraye und Herrn von Epernon; bleibt er Seiner Majestät anhänglich, so sieht er das Feuer der Bordolesen.«

»Oh! was die letzteren betrifft,« versetzte Canolles, »ich halte sie nicht für sehr furchtbar und schäme mich gewissermaßen, daß ich es nur mit ihnen zu tun habe. Leider gehöre ich mit Leib und Seele Seiner Majestät und muß mich am Ende mit einem Kampf mit Bürgern begnügen.«

»Den sie mit Euch anfangen werden, seid unbesorgt,« sagte Richon.

»Habt Ihr einige Wahrscheinlichkeit in dieser Beziehung?« fragte Canolles.

»Ich habe mehr, ich habe Gewißheit,« antwortete Richon. »Der Rat der Bürger hat beschlossen, vor allem die Insel Saint-George zu nehmen.«

»Gut,« rief Canolles, »sie mögen kommen, ich erwarte sie.«

So weit war man in der Unterhaltung, und man machte sich eben an den Nachtisch, als man plötzlich vor den Toren der Festung die Trommel rasseln hörte.

»Was soll das bedeuten?« fragte Canolles.

Da trat ein Offizier mit entblößtem Degen ein und meldete: »Herr Gouverneur, ein Parlamentär.«

»Ein Parlamentär?« fragte Canolles, »und von wem?« – »Von den Prinzen.«

»Woher kommt er?« – »Von Bordeaux.«

»Von Bordeaux!«

»Von Bordeaux!« wiederholten alle Gäste, Richon ausgenommen.

»Ah! der Krieg ist also im Ernste erklärt, da man Parlamentäre schickt?« sagte der alte Offizier.

Canolles entließ sofort seine Gäste, die sich eilends nach allen Richtungen zerstreuten. Richon blieb bis zuletzt.

»Baron,« sagte er zu Canolles, »ich wollte Euch nicht ganz wie die anderen verlassen, da wir uns länger kennen, als Ihr die andern kennt. Nun aber lebt wohl; gebt mir die Hand und gut Glück.«

Canolles reichte Richon die Hand und erwiderte, ihn fest anschauend: »Richon, ich kenne Euch, es geht etwas in Euch vor; Ihr sagt es mir nicht, denn wahrscheinlich ist es nicht Euer Geheimnis. Ihr seid jedoch bewegt, und ist ein Mann Eures Schlags bewegt, so rührt dies nicht von einer Kleinigkeit her.«

»Sind wir nicht im Begriff uns zu verlassen?« – »Wir schickten uns auch zur Trennung an, als wir im Gasthause von Biscarros voneinander Abschied, nahmen, und dennoch wart Ihr ruhig.«

Richon lächelte traurig und sagte: »Baron, ich habe das Vorgefühl, daß wir uns nicht mehr sehen werden.«

Canolles schauerte, so viel tiefe Schwermut lag in der gewöhnlich so festen Stimme des kühnen Parteigängers.

»Wohl,« sagte er, »sehen wir uns nicht wieder, wenn schon, so ist dies der Fall, weil einer von uns gestorben ist . . . den Tod der Tapfern gestorben, und in diesem Fall ist der, den es trifft, wenigstens sterbend sicher, daß er in dem Herzen eines Freundes fortlebt. Umarmen wir uns, Richon! Ihr habt mir gesagt: Viel Glück! ich sage Euch: Guten Mut!«

Sie umarmten einander und hielten sich eine Weile umfangen.

Als sie sich trennten, trocknete Richon eine Träne, vielleicht die einzige, die je seinen stolzen Blick verdunkelt hatte; dann stürzte er, als befürchtete er, Canolles könnte diese Träne wahrnehmen, aus dem Zimmer, denn er schämte sich ohne Zweifel, einem Manne, dessen Mut er kannte, ein solches Zeichen von Schwäche gegeben zu haben.


Fünftes Kapitel.

Außer Canolles und dem Offizier, der den Parlamentär gemeldet hatte und nun in einem Winkel neben der Türe stand, war niemand mehr im Speisesaal.

»Was befiehlt der Herr Gouverneur?« fragte der Offizier nach kurzem Stillschweigen.

Canolles, der anfangs in Gedanken vertieft geblieben war, bebte bei dieser Stimme, erhob das Haupt und fragte: »Wo ist der Parlamentär?« – »Im Waffensaal.«

»Wer begleitet ihn? – »Zwei Wachen von der Bürgermiliz von Bordeaux.«

»Wer ist es?« – »Ein junger Mensch, so viel sich beurteilen läßt, denn er trägt einen breitkrempigen Filzhut und ist in einen weiten Mantel gehüllt.«

»Und wie hat er sich angekündigt?« – »Als der Überbringer von Briefen der Frau Prinzessin und des Parlaments von Bordeaux.«

»Bittet ihn, einen Augenblick zu warten,« sagte Canolles. »Ich stehe zu Dienst.«

Der Offizier entfernte sich, um seinen Auftrag zu vollziehen, und Canolles schickte sich an, ihm zu folgen, als Nanon, ganz bleich und zitternd, aber mit ihrem liebevollen Lächeln erschien und, ihn bei der Hand fassend, zu dem jungen Manne sagte: »Ein Parlamentär, mein Freund, was soll das bedeuten?« – »Das soll bedeuten, liebe Nanon, daß die Herren von Bordeaux mich erschrecken oder verführen wollen.«

»Und was habt Ihr beschlossen?« – »Ihn zu empfangen.«

»Könnt Ihr Euch das nicht sparen?« – »Unmöglich. Es ist ein Gebrauch, dem man sich nicht entziehen darf.«

»Ah! mein Gott!«

»Was habt Ihr, Nanon?« – »Mir ist angst.«

»Wovor?« – »Sagtet Ihr nicht, dieser Parlamentär komme, um Euch zu erschrecken oder zu verführen?«

»Allerdings; ein Parlamentär taugt nur zu dem einen oder dem andern. Fürchtet Ihr, er könnte mich erschrecken?« – »Oh! nein; aber er wird Euch vielleicht verführen.«

»Ihr beleidigt mich, Nanon.«

»Ach! mein Freund, ich sage, was ich befürchte.«

»Ihr zweifelt an mir? Wofür haltet Ihr mich denn?« – »Für das, was Ihr seid, Canolles, für ein edles, aber zärtliches Herz.«

»Ah!« sagte Canolles lachend, »was für einen Parlamentär schickt man mir? Sollte es Cupido in Person sein?« – »Vielleicht.«

»Ihr habt ihn also gesehen?« – »Ich habe ihn nicht gesehen, aber seine Stimme gehört; sie ist sehr zart für die Stimme eines Parlamentärs.«

»Nanon, Ihr seid toll, laßt mich meinen Dienst vollziehen; Ihr habt mich zum Gouverneur gemacht . . .« – »Um mich zu verteidigen, Freund.«

»Haltet Ihr mich für so feig, daß ich Euch verraten könnte? In der Tat, Ihr beleidigt mich, wenn Ihr so an mir zweifelt.«

»Ihr seid also entschlossen, diesen jungen Mann zu sehen?« – »Ich muß und wüßte Euch wahrlich wenig Dank, wenn Ihr Euch noch ferner der Erfüllung meiner Pflicht widersetzen würdet.«

»Handelt nach Eurem Belieben, mein Freund,« erwiderte Nanon traurig. »Nur noch ein Wort . . .«

»Sprecht.«

»Wo werdet Ihr ihn empfangen?« – »In meinem Kabinett.«

»Canolles, gewährt mir eine Bitte. Empfangt ihn, statt in Eurem Kabinett, in Eurem Schlafzimmer.«

»Was für ein Gedanke!«

»Begreift Ihr nicht?« – »Nein.«

»Mein Zimmer geht in Euren Alkoven.«

»Und Ihr werdet horchen?« – »Hinter den Vorhängen, wenn Ihr es erlaubt.«

»Nanon!«

»Laßt mich in Eurer Nähe bleiben, Freund; ich habe Vertrauen auf mein Gestirn und bringe Euch Glück.«

»Aber, Nanon, wenn dieser Parlamentär . . .«

»Nun?« – »Käme, um mir ein Staatsgeheimnis anzuvertrauen?« – »Könnt Ihr der, die Euch ihr Leben und ihr Glück anvertraut hat, nicht ein Staatsgeheimnis anvertrauen?« – »Wohl, so hört uns, Nanon, da Ihr es durchaus wollt, aber haltet mich nicht länger zurück, denn der Parlamentär erwartet mich.«

»Geht, Canolles, geht, und seid gesegnet für das Gute, das Ihr mir erweist.«

Die junge Frau wollte die Hand ihres Geliebten küssen.

»Tolle,« sagte Canolles, zog sie an seine Brust und küßte sie auf die Stirn. »Ihr werdet also . . .« – »Hinter den Vorhängen Eures Bettes sein. Von dort aus kann ich sehen und hören.«

»Lacht wenigstens nicht, Nanon, denn es sind ernste Dinge.«

»Seid unbesorgt,« erwiderte die junge Frau, »ich werde nicht lachen.«

Canolles gab Befehl, den Boten einzuführen, und ging in sein Zimmer, ein weites Gemach von ernstem Ansehen; zwei Kandelaber brannten auf dem Kamin, warfen aber nur einen schwachen Schein in den ungeheuren Raum; der anstoßende Alkoven lag völlig im Schatten.

»Seid Ihr da, Nanon?« fragte Canolles.

Ein ersticktes, keuchendes Ja gelangte zu ihm.

In diesem Augenblick erschollen Tritte; die Schildwache präsentierte das Gewehr. Der Bote trat ein und folgte mit den Augen dem, der ihn eingeführt hatte, bis er mit Canolles allein zu sein glaubte; dann lüpfte er seinen Hut und warf seinen Mantel zurück. Alsbald fielen blonde Haare auf reizende Schultern herab; die feine, geschmeidige Gestalt einer Frau erschien unter dem Wehrgehänge und Canolles erkannte an ihrem sanften, traurigen Blick die Vicomtesse von Cambes.

»Ich habe Euch gesagt, ich würde Euch wiederfinden, und halte mein Wort,« sagte sie. »Hier bin ich«

Canolles schlug mit einer Bewegung des Staunens und der Furcht die Hände aneinander, sank auf einen Stuhl und murmelte: »Ihr! Ihr! . . . Oh! mein Gott, was habt Ihr gemacht, was wollt Ihr hier?« – »Ich will Euch fragen, ob Ihr Euch meiner noch erinnert.«

Canolles stieß einen Seufzer aus und hielt seine Hände vor die Augen, um diese bezaubernde und zugleich unselige Erscheinung zu beschwören.

Nun war ihm alles klar; Nanons Furcht, ihre Blässe, ihr Zittern und besonders ihr Verlangen, der Zusammenkunft beizuwohnen. Nanon hatte mit den Augen der Eifersucht in dem Parlamentär eine Frau erkannt.

»Ich will Euch fragen,« fuhr Claire fort, »ob Ihr bereit seid, die Verpflichtung, die Ihr gegen mich in dem kleinen Zimmer in Jaulnay übernommen habt, zu erfüllen, von der Königin Eure Entlassung zu nehmen und in den Dienst der Prinzen zu treten?«

»Oh, still, still! Madame,« rief Canolles.

Claire schauerte bei dem Ausdrucke des Schreckens, der sich in dem Zittern der Stimme des jungen Mannes offenbarte, schaute unruhig umher und fragte: »Sind wir nicht allein hier?«

»Oh ja, doch! Madame,« erwiderte Canolles; »kann uns aber nicht jemand durch diese Wände hören?«

»Ich hielt die Mauern des Forts Saint-George für stärker,« sagte Claire lächelnd.

Canolles antwortete nicht.

»Ich bin also gekommen, um Euch zu fragen,« fuhr Claire fort, »warum ich in den acht bis zehn Tagen, die Ihr hier seid, nicht von Euch habe sprechen hören, so daß ich gar nicht wüßte, wer auf der Insel Saint-George kommandiert, wenn ich nicht zufällig gehört hätte, es sei der Mann, der mir vor kaum zwölf Tagen geschworen hat, die Ungnade, die er sich zugezogen, sei ein Glück, denn sie gestatte ihm, seinen Arm, seinen Mut, sein Leben der Partei zu widmen, der ich angehöre.«

Nanon konnte sich einer Bewegung nicht erwehren, die Canolles beben und Frau von Cambes sich umdrehen ließ.

»Was ist das?« fragte sie.

»Nichts,« antwortete Canolles, »ein gewöhnliches Geräusch in diesem alten Zimmer voll unheimlichen Krachens.«

»Wenn es anders liegt,« sagte Claire, ihre Hand auf Canolles' Arm legend, »so verbergt es mir nicht, Baron, denn Ihr begreift, von welcher Bedeutung von dem Augenblick an, wo ich mich entschloß, Euch selbst aufzusuchen, unsere Unterredung für mich ist.«

Canolles trocknete den Schweiß, der von seiner Stirn lief, suchte zu lächeln und sagte: »Sprecht; ich bitte Euch.«

»Ich wollte Euch also an dieses Versprechen erinnern und Euch fragen, ob Ihr bereit seid, es zu halten?«

»Ach! Madame, es ist unmöglich geworden.«

»Warum?« – »Weil seit jener Zeit viele unerwartete Ereignisse eingetreten sind, viele Bande, die ich für zerrissen hielt, sich wieder geknüpft haben; an die Stelle der Strafe, die ich zu verdienen glaubte, hat die Königin eine Belohnung gesetzt, deren ich nicht würdig war. Heute bin ich an die Partei Ihrer Majestät durch die . . . Dankbarkeit gebunden.«

Ein Seufzer durchdrang die Luft, die arme Nanon erwartete ohne Zweifel ein anderes Wort, als das, welches ausgesprochen wurde.

»Sagt durch den Ehrgeiz, Herr von Canolles, und ich werde das begreifen; Ihr seid von adligem Geblüt; man hat Euch mit achtundzwanzig Jahren zum Oberstleutnant und Gouverneur einer Festung gemacht; das ist schön, ich weiß es wohl; aber es ist nur die natürliche Belohnung für Euer Verdienst; dieses Verdienst schätzt jedoch nicht allein Herr von Mazarin . . .«

»Madame, kein Wort mehr, ich bitte Euch.«

»Entschuldigt, mein Herr, diesmal ist es nicht mehr die Vicomtesse von Cambes, die mit Euch spricht, es ist die Abgesandte der Frau Prinzessin, die einen Auftrag an Euch übernommen hat und ihre Botschaft erfüllen muß.«

»Sprecht, Madame,« erwiderte Canolles mit einem Seufzer, der einem Stöhnen glich.

»Die Frau Prinzessin, die von den Gefühlen weiß, die Ihr mir zuerst in Chantilly und dann in Jaulnay kundgegeben habt, die sehnlich zu wissen verlangt, welcher Partei Ihr wirklich angehört, beschloß, Euch einen Parlamentär schicken und sich dadurch Gewißheit zu verschaffen, und diese Botschaft übernahm ich, weil ich sie, in Eure geheimsten Gedanken eingeweiht, besser als jemand anders glaubte ausführen zu können«

»Ich danke, Madame,« sagte Canolles, seine Brust mit der Hand zerfleischend, denn während der kurzen Zwischenräume des Gesprächs vernahm er Nanons keuchenden Atem.

»Hört also, was ich Euch im Namen der Frau Prinzessin vorschlage, denn geschähe es in meinem eigenen,« fuhr Claire mit ihrem bezaubernden Lächeln fort, »so würde ich die Ordnung der Vorschläge umkehren.«

»Ich höre,« sagte Canolles mit dumpfem Tone.

»Ihr übergebt die Insel Saint-George gegen eine von den drei Bedingungen, die ich Eurer Wahl anheimstelle. Die erste ist . . . erinnert Euch wohl, nicht ich spreche so: eine Summe, von zweimalhunderttausend Livres.«

»Oh! Madame, geht nicht weiter,« sagte Canolles, bemüht, das Gespräch abzubrechen. »Die Königin hat mich mit einem Kommando beauftragt; dieses Kommando ist die Insel Saint-George, und ich werde sie bis zum Tod verteidigen.«

»Erinnert Euch der Vergangenheit,« rief Claire traurig, »das sagtet Ihr mir nicht bei unserer letzten Zusammenkunft, als Ihr mir den Antrag machtet, alles zu verlassen, um mir zu folgen, als Ihr bereits die Feder in der Hand hieltet, um denen, denen Ihr heute Euer Leben opfern wollt, Eure Entlassung anzubieten.«

»Ich konnte das anbieten, Madame, als es mir noch freistand, meinen Weg zu wählen; heute bin ich nicht mehr frei . . .«

»Ihr seid nicht mehr frei!« rief Claire erbleichend, »wie versteht Ihr das? Was wollt Ihr damit sagen?« – »Ich will damit sagen, daß ich durch die Ehre gebunden bin.«

»Wohl, so hört meinen zweiten Vorschlag.«

»Wozu? Habe ich Euch nicht bereits wiederholt, ich sei unerschütterlich in meinem Entschluß? Versucht mich also nicht ferner.«

»Verzeiht, mein Herr,« entgegnete Claire, »ich habe auch eine Sendung und muß sie bis zum Ende erfüllen.«

»Tut es,« murmelte Canolles, »aber in der Tat, Ihr seid sehr grausam.«

»Fordert Eure Entlassung, und wir werden sodann nachdrücklicher auf Euren Nachfolger einwirken, als auf Euch. In einem, in zwei Jahren nehmt Ihr wieder Dienst unter dem Herrn Prinzen mit dem Grade eines Brigadiers.«

Canolles schüttelte traurig den Kopf und erwiderte: »Ach! Madame, warum verlangt Ihr nur Unmögliches von mir?«

»Mir antwortet Ihr das? In der Tat, ich verstehe, Euch nicht, mein Herr. Wart Ihr nicht im Begriff, Eure Entlassung zu unterzeichnen? Sagtet Ihr nicht zu der, die damals bei Euch war und Euch mit so viel Freude zuhörte, Ihr nehmet sie freiwillig und aus dem Grunde Eures Herzens? Warum sollet Ihr also nicht hier tun, wenn ich es von Euch fordere, wenn ich Euch um etwas bitte, was Ihr in Jaulnay selbst vorgeschlagen habt?«

Alle diese Worte drangen wie Dolchstiche in das Herz der armen Nanon, und Canolles fühlte, wie sie eindrangen.

»Was damals eine erlaubte Handlung war, wäre heute ein Verrat, ein schändlicher Verrat!« sagte Canolles mit dumpfer Stimme. »Nie werde ich die Insel Saint-George übergeben! Nie werde ich meine Entlassung nehmen!«

»Wartet, wartet,« sagte Claire mit ihrem sanftesten Tone, wahrend sie jedoch unruhig umherschaute, denn dieser Widerstand Canolles' und besonders der Zwang, der ihn zu drücken schien, kamen ihr seltsam vor. »Hört noch den letzten Vorschlag, mit dem ich anfangen wollte, denn ich wußte und habe zum voraus gesagt, Ihr würdet die beiden ersten zurückweisen; die materiellen Vorteile, ich bin glücklich, daß ich es erraten habe können, welche ein Herz wie das Eurige nicht in Versuchung führen; Ihr braucht andere Hoffnungen, als die des Ehrgeizes und des Vermögens; edle Instinkte bedürfen edler Belohnungen. Hört also . . .«

»In des Himmels Namen, Madame, habt Mitleid mit mir!« sagte Canolles und machte eine Bewegung, um sich zurückzuziehen.

Claire glaubte, er sei erschüttert, und in der Überzeugung, ihr weiterer Vorschlag müßte ihren Sieg vollenden, hielt sie ihn zurück und fuhr fort: »Wenn man Euch statt eines gemeinen Interesses ein höheres, ehrenvolleres Interesse böte; wenn man Euch für Eure Entlassung, die Ihr ohne Schmach nehmen könnt, und die, da die Feindseligkeiten noch nicht begonnen haben, weder ein Abfall, noch eine Treulosigkeit ist, mit einer Verbindung belohnte; wenn eine Frau, der Ihr gesagt habt, Ihr liebtet sie, und die trotz dieser Schwüre Eure Leidenschaft nie offen erwiderte, zu Euch spräche: ›Herr von Canolles, ich bin frei, ich bin reich, ich liebe Euch, werdet mein Gatte . . . gehen wir miteinander, gehen wir, wohin Ihr wollt, fernab von allen bürgerlichen Zwistigkeiten, an irgend einen Ort außerhalb Frankreichs . . .‹ nun, Herr von Canolles, würdet Ihr dann auch nicht einwilligen?«

Trotz der Röte, trotz des reizenden Zögerns von Claire, trotz der Erinnerung an das hübsche kleine Schloß Cambes, blieb Canolles fest und unerschütterlich in seinem Entschluß, denn er sah von fern, bleich im Schatten, den Kopf der vor Angst zitternden Nanon aus den Vorhängen hervorkommen.

»Antwortet mir doch in des Himmels Namen!« fuhr die Vicomtesse fort; »ich kann Euer Stillschweigen gar nicht begreifen. Seid Ihr nicht der Herr Baron von Canolles? Seid Ihr nicht derselbe, der mir in Chantilly gesagt hat, er liebe mich, der es mir in Jaulnay wiederholte, der mir schwur, er liebe nur mich auf der ganzen Welt und sei bereit, mir jede andere Liebe zu opfern? Sprecht! sprecht! antwortet in des Himmels Namen. Antwortet doch!«

Es ließ sich ein Seufzer hören, der diesmal so deutlich war, daß Frau von Cambes nicht zweifeln konnte, es wohne eine dritte Person der Unterredung bei; ihre erschrockenen Augen folgten der Richtung des Seufzers und bemerkten den bleichen, unbeweglichen Kopf, die geisterartige Form, die allen Phasen des Gespräches folgte.

Die beiden Frauen wechselten durch die Dunkelheit einen Flammenblick und stießen einen Schrei aus.

Nanon verschwand, Frau von Cambes aber ergriff hastig ihren Hut und Mantel, wandte sich gegen Canolles und sagte: »Mein Herr, ich begreife nun das, was Ihr Pflicht und Dankbarkeit nennt; ich begreife, welche Pflicht Ihr nicht verraten wollt; ich begreife, daß es für jede Verführung unzugängliche Neigungen gibt, und überlasse Euch ganz diesen Neigungen, dieser Macht, dieser Dankbarkeit. Lebt wohl, mein Herr; lebt wohl.«

Sie machte eine Bewegung, um sich zu entfernen, ohne daß Canolles sie aufzuhalten suchte; aber eine schmerzliche Erinnerung hielt sie zurück.

»Noch einmal, mein Herr,« sagte sie, »im Namen einer Freundschaft, die ich Euch für den Dienst schuldig bin, den Ihr mir zu leisten die Güte gehabt habt, im Namen der Freundschaft, die Ihr mir für den Dienst, den ich Euch leistete, schuldig seid, im Namen aller derer, die Euch lieben und die Ihr liebt, ich nehme niemand aus, laßt es nicht zum Kampfe kommen, denn morgen oder übermorgen wird man Euch in Saint-George angreifen; bereitet mir nicht den Schmerz, Euch besiegt oder tot zu wissen.«

Canolles bebte und erwiderte, aus seiner Verwirrung erwachend: »Madame, ich danke Euch auf den Knien für die Versicherung Eurer Freundschaft, die mir kostbarer ist, als ich Euch sagen kann. Oh! mein Gott, man komme, man greife mich an! Oh! ich rufe den Feind mit heißerem Eifer herbei, als er je an den Tag legen wird, mit mir zusammenzutreffen. Ich bedarf des Kampfes, ich bedarf der Gefahr, um mich in meinen eigenen Augen zu erheben; es komme der Kampf, es komme die Gefahr, es komme auch der Tod; der Tod wird mir willkommen sein, da ich weiß, daß ich reich durch Eure Freundschaft, stark durch Euer Mitleid und geehrt durch Eure Achtung sterben werde.«

»Lebt wohl, mein Herr,« sagte Claire und wandte sich der Tür zu.

Canolles folgte ihr. Mitten in dem düsteren Gange ergriff er ihre Hand und flüsterte so leise, daß er selbst Mühe hatte, seine Worte zu hören: »Claire, ich liebe Euch mehr, als ich Euch je geliebt habe, aber das Unglück will, daß ich Euch diese Liebe nur beweisen kann, indem ich fern von Euch sterbe.«

Ein kurzes, ironisches Lachen war die einzige Antwort von Frau von Cambes; aber kaum befand sie sich außerhalb des Schlosses, als ein schmerzliches Schluchzen sich aus ihrer zerrissenen Brust hervordrängte, und sie die Hände ringend rief: »Ach! er liebt mich nicht, mein Gott! Er liebt mich nicht. Und ich, ich Unglückliche liebe ihn!«


Sechstes Kapitel.

Als Canolles Frau von Cambes verließ, kehrte er in seine Wohnung zurück. Nanon stand bleich und unbeweglich mitten im Zimmer. Canolles ging mit einem traurigen Lächeln auf sie zu; je näher er zu ihr kam, desto mehr bog Nanon das Knie; er reichte ihr die Hand, sie fiel ihm zu Füßen.

»Verzeiht mir,« sagte sie, »verzeiht mir, Canolles! Ich habe Euch hierher gebracht, ich habe Euch diesen schwierigen und gefährlichen Posten übergeben lassen; werdet Ihr getötet, so bin ich die Ursache Eures Todes. Ich bin eine Selbstsüchtige und dachte nur an mein Glück. Verlaßt mich, geht!«

Canolles hob sie sacht auf und erwiderte: »Ich Euch verlassen! Nie, Nanon, nie, Ihr seid mir heilig; ich habe geschworen, Euch zu beschützen, zu verteidigen, zu retten; und ich werde Euch verteidigen, oder ich sterbe.«

»Sprichst du dies aus dem Grunde deines Herzens, Canolles, ohne Zögern, ohne Bedauern?«

»Ja,« antwortete Canolles lächelnd.

»Ich danke, mein würdiger, mein edler Freund, ich danke. Siehst du, dieses Leben, an das ich mich anklammerte, ich würde es dir heute ohne eine Klage opfern; denn seit heute erst weiß ich, was du für mich getan hast. Man bot dir Geld; gehören meine Schätze nicht dir? Man bot dir Liebe; kann es in der Welt eine Frau geben, die dich lieben wird, wie ich dich liebe? Sie werden dich also angreifen. Gut, wir wollen Soldaten anwerben, Waffen und Munition aufhäufen, unsere Kräfte verdoppeln, uns verteidigen. Ich werde für meine Liebe kämpfen, du kämpfst für dein Glück. Du wirst sie schlagen, mein tapferer Canolles; du wirst dafür sorgen, daß die Königin sagt, sie habe keinen tapfereren Kapitän, als du bist; deine Beförderung übernehme ich, und wenn du reich, mit Ruhm und Ehre beladen bist, magst du mich verlassen; ich werde meine Erinnerungen zum Troste haben.«

Dabei schaute Nanon Canolles an und erwartete die Antwort, welche die Frauen immer auf überspannte Reden erwarten, das heißt, eine Antwort so toll und überspannt wie diese Reden. Aber Canolles senkte traurig den Kopf und erwiderte: »Nanon, nie werdet Ihr einen Schaden erleiden, nie werdet Ihr eine Schmach erdulden, solange ich auf der Insel Saint-George lebe. Beruhigt Euch also, denn Ihr habt nichts zu befürchten.«

»Ich danke,« sagte Nanon, »obgleich dies nicht alles ist, was ich fordere.«

Ganz leise fügte sie hinzu: »Ach! ich bin verloren, er liebt mich nicht mehr.«

Canolles erhaschte jenen Flammenblick, der wie ein Blitz schimmert, jene furchtbare Blässe einer Sekunde, die so viel Schmerz enthüllt.

»Wir wollen ganz und gar edelmütig sein,« sagte er zu sich selbst, »sonst wären wir ehrlos! Komm, Nanon,« fuhr er fort, »komm, meine Freundin; wirf deinen Mantel über deine Schultern, nimm deinen Männerhut, die Nachtluft wird dir wohltun. Ich kann jeden Augenblick angegriffen werden und will meine Runde machen.«

Zitternd vor Freude kleidete sich Nanon, wie ihr Geliebter es ihr sagte, und folgte ihm.

Canolles war ein wahrer Kapitän, wie er ein wahrer Soldat war, und erfüllte durch seine sachverständige, eifrige und teilnehmende Art der Pflichterfüllung und Kontrolle alle mit gleicher Hingebung und Begeisterung.

Während aber seine Augen mechanisch prüften, verweilte sein Geist nicht allein bei den Ereignissen des Tages, sondern bei all den seltsamen Abenteuern, deren Held er seit dem Tage gewesen war, wo er Frau von Cambes zum ersten Male gesehen hatte. Doch seltsamerweise ging sein Geist nicht darüber hinaus; es kam ihm vor, als hätte er erst von dieser Stunde zu leben angefangen; als hätte er bis dahin in einer andern Welt mit niedrigeren Instinkten, mit unvollständigen Empfindungen gelebt. Von dieser Stunde war in seinem Leben ein Licht, das allem einen neuen Schein verlieh, und von diesem neuen Tage an wurde Nanon, die arme Nanon unbarmherzig einer andern Liebe geopfert, einer Liebe, die von ihrem Anfang an übermächtig sein ganzes Leben beherrschte.

Nach schmerzhaften Betrachtungen, in die sich himmlisches Entzücken mischte, bei dem Gedanken, daß er von Frau von Cambes geliebt sei, gestand sich Canolles, nur die Pflicht allein schreibe ihm vor, ein Mann von Ehre zu sein, und die Freundschaft, die er für Nanon hege, lege kein Gewicht in die Wagschale bei seiner Entschließung.

Arme Nanon! Canolles nannte sein Gefühl für sie Freundschaft. Die Freundschaft kommt aber in der Liebe der Gleichgültigkeit sehr nahe.

Der Tag brach an; Canolles kehrte jetzt erst in sein Zimmer zurück; Nanon war wieder in das ihrige gegangen, und er wußte also nicht, daß sie die Nacht hindurch gewacht hatte; er kleidete sich nun sorgfältig an, versammelte abermals die Garnison, besuchte bei Tage die verschiedenen Batterien und besonders die, welche das linke Ufer der Garonne beherrschte, ließ den kleinen Hafen durch Ketten schließen, richtete mit Falkonetten beladene Schaluppen her, ließ seine Mannschaft Revue passieren, belebte sie mit seinen bilderreichen hochherzigen Worten und kehrte erst gegen zehn Uhr zurück.

Nanon erwartete ihn, ein Lächeln auf den Lippen; es war nicht mehr die stolze, gebieterische Nanon, deren Launen selbst Herrn von Epernon zittern ließen, es war eine schüchtern Liebende, eine furchtsame Sklavin, die nicht einmal mehr darauf Anspruch machte, daß man sie liebe, sondern nur verlangte, daß man ihr zu lieben erlaube.

Der Tag verging ohne ein anderes Ereignis, als die Entwicklung des innern Dramas, das im Herzen jedes der beiden jungen Leute spielte. Die von Canolles abgesandten Läufer kamen einer nach dem andern zurück. Keiner brachte eine bestimmte Nachricht; es herrschte nur große Aufregung in Bordeaux, und offenbar bereitete sich daselbst irgend etwas vor.

Frau von Cambes hatte bei ihrer Rückkehr in die Stadt, während sie die einzelnen Umstände ihrer Unterredung in den geheimsten Falten ihres Herzens verbarg, Lenet den Erfolg ihrer Sendung mitgeteilt. Die Bordolesen verlangten mit lauter Stimme, man sollte sich der Insel Saint-George bemächtigen. Das Volk erbot sich in Masse, an der Expedition teilzunehmen. Die Häupter hielten es nur unter dem Vorwande zurück, es fehle noch an einem Kriegsmanne, um die Expedition zu leiten, und an regelmäßigen Soldaten, die sie unterstützen könnten. Lenet benutzte diesen Augenblick, um den Namen der Herzöge laut werden zu lassen und ihr Heer anzubieten: diese Eröffnung wurde mit der größten Begeisterung aufgenommen, und selbst die, welche am Tage zuvor dafür gestimmt hatten, daß man ihnen die Tore verschließe, riefen sie nun mit gewaltigem Geschrei herbei.

Lenet überbrachte eiligst die gute Nachricht der Prinzessin, die sogleich ihren Rat versammelte.

Claire schützte Müdigkeit vor, weil sie an keiner Entschließung gegen Canolles teilnehmen wollte, und zog sich in ihr Zimmer zurück, um nach Belieben weinen zu können.

Von diesem Zimmer aus hörte sie das Geschrei und die Drohungen des Volkes. All dieses Geschrei, all diese Drohungen waren gegen Canolles gerichtet.

Bald erscholl die Trommel; die Kompanien versammelten sich, die Schöffen ließen das Volk bewaffnen; man zog die Kanonen aus dem Arsenal, man teilte Pulver aus, und zweihundert Schiffe hielten sich bereit, mit Hilfe der Nachtflut die Garonne hinaufzufahren, während dreitausend Mann, am linken Ufer marschierend, zu Land angreifen sollten.

Die Seearmee sollte von d'Espagnet, Rat im Parlament, einem tapferen und verständigen Mann, und die Landarmee von Herrn Larochefoucault befehligt werden, der soeben mit beinahe zweitausend Edelleuten in die Stadt eingezogen war. Der Herzog von Bouillon sollte erst zwei Tage nachher mit zweitausend weiteren Streitern eintreffen. Der Herzog von Larochefoucault betrieb den Angriff, so sehr als er konnte, damit der Schlag ohne Mitwirkung seines Kollegen erfolge.


Siebentes Kapitel.

Zwei Tage, nachdem Frau von Cambes im Gewande eines Parlamentärs auf der Insel Saint-George erschienen war, meldete man Canolles, der auf den Wällen seine Runde machte, ein Bote mit einem Briefe verlange ihn zu sprechen.

Der Bote wurde sogleich eingeführt und übergab Canolles seine Depesche.

Diese Depesche hatte sichtbar nichts Offizielles; es war ein kleiner Brief, mehr lang als breit, geschrieben mit einer feinen, leichten, zitternden Handschrift auf bläuliches, glattes, wohlriechendes Papier.

Canolles fühlte schon beim Anblick des Papiers sein Herz unwillkürlich schlagen.

»Wer hat dir diesen Brief gegeben?« fragte er.

»Ein Mann von fünfundfünfzig bis sechzig Jahren.«

»Mit grauem Schnurrbart und Knebelbart?« – »Ja.«

»Militärische Haltung?« – »So ist es.«

Canolles gab dem Mann einen Louisdor und machte ihm ein Zeichen, sich sogleich zu entfernen.

Dann zog er sich mit bebendem Herzen in einen Winkel der Bastei zurück, um den Brief, den er empfangen hatte, zu lesen.

Er enthielt nur folgende Worte: »Man wird Euch angreifen. Seid Ihr meiner nicht mehr würdig, so zeigt Euch wenigstens Euer würdig.«

Der Brief war nicht unterzeichnet; aber Canolles erkannte Frau von Cambes, wie er Pompée erkannt hatte; er schaute umher, ob ihn niemand beobachtete, und drückte errötend, wie ein Kind bei seiner ersten Liebe, das Papier an seine Lippen, bedeckte es mit glühenden Küssen und verbarg es sodann an seinem Herzen.

Hierauf stieg er auf den Kranz der Bastei, von wo aus er den Lauf der Garonne auf ungefähr eine Meile und die umliegende Ebene in ihrer ganzen Ausdehnung überschauen konnte.

Er vermochte weder auf dem Fluß, noch auf dem Lande irgend etwas wahrzunehmen.

»So wird der Morgen vorübergehen,« murmelte er, »sie werden nicht am hellen Tage kommen; ohne Zweifel rasten sie unterwegs und beginnen den Angriff am Abend.«

Canolles hörte ein leichtes Geräusch hinter sich, und erblickte sich umwendend seinen Leutnant.

»Nun, Herr von Bibrac,« fragte Canolles, »was sagt man?« – »Mein Kommandant, man sagt, die Fahne der Prinzen werde morgen auf der Insel Saint-George flattern.«

»Wer sagt dies?« – »Zwei von unseren zurückkehrenden Läufern; sie haben die Vorkehrungen gesehen, welche die Bürger der Stadt gegen uns treffen.«

»Und was habt Ihr denen geantwortet, die Euch sagten, die Fahne der Herren Prinzen würde morgen auf dem Fort Saint-George flattern?« – »Mein Kommandant, ich antwortete, das sei nur gleichgültig, da ich es nicht sehen würde.«

»So habt Ihr mir meine Antwort gestohlen.«

»Bravo, Kommandant! Wir verlangten nichts anderes, und die Soldaten werden kämpfen, wie die Löwen, wenn sie Eure Antwort erfahren.«

»Sie mögen sich schlagen wie Männer, mehr fordere ich nicht . . . Und was sagt man von der Angriffsweise?« – »General, es ist eine Überraschung, die man uns bereitet,« antwortete Bibrac lachend.

»Teufel, was für eine Überraschung!« rief Canolles; »das ist bereits die zweite Warnung, die ich erhalte . . . Und wer befehligt die Angreifenden?« – »Herr von Larochefoucault die Landtruppen, d'Espagnet, Rat im Parlament, die Seetruppen. Der letztere hat sich mit Eurem ehemaligen Regiment Navailles unter dem Baron von Ravailly, das zu den Prinzen übergegangen ist, in Verbindung gesetzt.«

»Leutnant, da gibt es gute Unterhaltung für uns; Ravailly ist ein trefflicher Bursche und tapfer wie mein Schwert.«

Canolles gab darauf Befehl, daß die Hälfte der Garnison mit geladenem Gewehr zur Hand wachen solle, während die andere Hälfte ruhe; äußerlich aber solle der Anschein der Sorglosigkeit erweckt werden, indem nach seinem Befehl die schlechtesten Soldaten am Abend in der Garonne Angeln auswerfen und im Gelände Wildfallen auslegen sollten.

Es dürfe aber bei Todesstrafe kein Schuß eher auf die Angreifer gelöst werden, als bis er selbst das Signal dazu gegeben hätte.

Der Leutnant entfernte sich und überbrachte die Befehle den anderen Offizieren, die einander erstaunt anschauten. Es lebten zwei Menschen im Gouverneur, der höfliche Edelmann und der unbeugsame Kommandant.

Canolles kehrte zum Abendessen zu Nanon zurück; nur war dieses Abendessen um zwei Stunden vorgerückt, denn Canolles hatte beschlossen, den Wall von Sonnenuntergang bis zur Morgendämmerung nicht zu verlassen. Er fand Nanon, in einer umfangreichen Korrespondenz blätternd.

»Ihr könnt Euch kühn verteidigen, lieber Canolles,« sagte sie zu ihm; »denn Ihr werdet nicht lange auf Unterstützung zu warten haben, der König kommt. Herr de La Meilleraye bringt eine Armee, und Herr von Epernon erscheint mit fünfzehntausend Mann.«

»Mittlerweile vergehen aber acht Tage, zehn Tage, Nanon,« entgegnete Canolles lächelnd; »die Insel Saint-George ist nicht uneinnehmbar.«

»Oh! solange Ihr kommandiert, stehe ich für alles.«

»Ja; aber gerade weil ich kommandiere, kann ich getötet werden. Nanon, was würdet Ihr in diesem Falle tun? Habt Ihr Euch wenigstens vorgesehen?«

»Ja,« antwortete Nanon ebenfalls lächelnd.

»Wohl, haltet Euer Gepäck bereit. Ein Bootsmann wird an einem bezeichneten Posten sein, müßt Ihr ins Wasser springen, so habt Ihr vier von meinen Leuten, gute Schwimmer, denen Befehl gegeben ist, Euch nicht zu verlassen, und die Euch an das andere Ufer bringen werden.«

»Alle diese Vorsichtsmaßregeln sind unnötig, Canolles; werdet Ihr getötet, so brauche ich nichts mehr.«

Man meldete, daß aufgetragen sei. Zehnmal während des Abendessens stand Canolles auf und ging ans Fenster, von dem aus man nach dem Flusse sehen konnte; vor dem Ende des Mahles verließ er die Tafel . . . Die Nacht brach eben ein.

Nanon wollte ihm folgen.

»Nanon,« sagte Canolles, »kehrt zurück und schwört mir, nicht auszugehen. Wenn ich Euch außen wüßte . . . irgend einer Gefahr preisgegeben, könnte ich nicht mehr für mich stehen. Nanon, es handelt sich um meine Ehre, spielt nicht mit meiner Ehre.«

Nanon reichte Canolles ihre Lippen, deren Rot sich noch mehr durch die Blässe ihrer Wangen hervorhob, und kehrte dann mit den Worten zurück: »Ich gehorche Euch, Canolles; Freunde und Feinde sollen den Mann kennen lernen, den ich liebe; geht!«

Canolles entfernte sich; er konnte nicht umhin, diesen Geist zu bewundern, der sich unter alle seine Wünsche beugte und in allen Stücken seinem Willen gehorchte. Kaum war er an seinem Posten, als die Nacht furchtbar und drohend eintrat, wie sie stets erscheint, wenn sie in ihren schwarzen Falten ein blutiges Geheimnis verbirgt.

Canolles hatte sich am Ende der Esplanade aufgestellt; er beherrschte den Lauf des Flusses und seine Ufer. Kein Mond schien, ein Wolkenschleier zog schwerfällig am Himmel hin. Wie man nicht gesehen werden konnte, konnte man auch selbst so gut wie nichts sehen.

Um Mitternacht kam es Canolles vor, als gewahre er, wie dunkle Massen auf dem linken Ufer sich bewegten und riesige Formen auf dem Flusse hinglitten, übrigens war kein Geräusch zu vernehmen, als das des Windes, der durch die Blätter der Bäume wehklagte.

Die Massen hielten an, die Formen blieben in der Entfernung stillstehen. Canolles glaubte, er habe sich getäuscht, verdoppelte jedoch seine Wachsamkeit; seine glühenden Augen durchdrangen die Finsternis, sein unablässig gespanntes Ohr faßte das geringste Geräusch auf.

Die Glocke der Festung schlug drei Uhr, und der Schall verlor sich langsam und düster in der Nacht. Canolles fing an zu glauben, er habe eine falsche Nachricht erhalten, und war im Begriff, sich zurückzuziehen, als plötzlich der Leutnant Vibrac, der sich in seiner Nähe befand, eine Hand auf seine Schulter legte und mit der andern nach dem Flusse deutete.

»Ja, ja!« sagte Canolles, »sie sind es; vorwärts, wir werden durch das Warten nichts verloren haben. Weckt die Leute, welche schlafen; sie sollen ihren Posten hinter der Mauer nehmen. Nicht wahr, Ihr habt ihnen gesagt, daß ich den Ersten, welcher Feuer gibt, erschießen lasse?« – »Ja.«

»Wohl, so sagt es Ihnen zum zweiten Male.«

Man sah wirklich beim ersten Schimmer des Tages lange Barken, beladen mit Menschen, die lachten und leise plauderten, herannahen, während man in der Ebene eine Art von Erhöhung wahrnahm, die am Tage vorher noch nicht bestanden hatte. Es war eine Batterie von sechs Kanonen, die Herr von Larochefoucault in der Nacht hatte errichten lassen.

Die Barken kamen immer näher, und bei der ersten Tageshelle unterschied Canolles das Lederwerk und den eigentümlichen Hut der Kompanie Navailles; auf dem Vorderteile einer der ersten Barken stand der Baron von Ravailly, und auf dem Hinterteil der Leutnant, sein Milchbruder, den seine Kameraden wegen seiner heiteren Laune und seiner nie versiegenden Scherze ungemein liebten.

»Ihr werdet sehen,« sagte dieser, »sie rühren sich nicht, und Herr von Larochefoucault muß sie am Ende mit der Kanone aufwecken. Teufel! wie gut und fest schläft man in Saint-George; wäre ich krank, so ließe ich mich dahin bringen.«

»Dieser gute Canolles,« versetzte Ravailly, »er spielt seine Gouverneursrolle als Familienvater; er befürchtet, seine Soldaten könnten den Schnupfen bekommen, wenn sie bei Nacht die Wache beziehen müßten.«

»In der Tat,« sagte ein anderer, »man sieht nicht einmal eine Schildwache.«

»Oho,« rief der Leutnant, an das Land springend, »wacht doch auf da oben und gebt uns die Hand, daß wir hinaufsteigen können.«

Bei diesem letzten Scherz durchlief ein Gelächter die ganze Linie der Belagernden, und während drei bis vier Barken in der Richtung des Hafens vorrückten, schiffte sich der Rest der Landtruppen aus.

»Vorwärts!« rief Ravailly, »ich begreife, Canolles will das Ansehen haben, als würde er überrumpelt, um sich mit dem Hofe nicht zu entzweien. Meine Herren, wir wollen seine Höflichkeit erwidern und niemand töten. Sind wir einmal in der Festung . . . Gnade für alle, mit Ausnahme der Frauen, die gar keine verlangen werden! Meine Kinder, vergessen wir nicht, daß dies ja ein Frauenkrieg ist; ich lasse auch den ersten, der vom Leder zieht, über die Klinge springen.«

Bei diesen mit echt gallischer Heiterkeit gegebenen Mahnungen begann das Gelächter abermals, und die Soldaten teilten die muntere Laune der Offiziere.

»Ah! meine Freunde,« sagte der Leutnant, »es ist etwas Schönes um das Lachen, aber man darf darüber das Geschäft nicht vergessen. Zu den Leitern und geklettert!«

Die Soldaten zogen lange Leitern aus den Barken und rückten gegen die Mauern vor.

Nun stand Canolles auf und näherte sich, den Stock in der Hand, den Hut auf dem Kopf, wie ein Mensch, der am Morgen zu seinem Vergnügen frische Luft schöpft, der Brustwehr, die er bis zum Gürtel überragte.

Es war hell genug, daß man ihn erkennen konnte.

»Ei! guten Morgen, Navailles,« rief er dem ganzen Regimente zu; »guten Morgen, Ravailly; guten Morgen, Remonenq.«

»Halt, das ist Canolles,« riefen die jungen Leute. »Bist du endlich erwacht, Baron?«

»Oh ja, was wollt Ihr? Man führt hier ein Leben wie der König von Schlaraffenland, man legt sich früh nieder und steht spät auf; aber was zum Teufel macht Ihr so frühzeitig?«

»Bei Gott,« erwiderte Ravailly, »du siehst es wohl, wie mir scheint, wir wollen dich belagern, sonst nichts.«

»Und warum wollt Ihr mich belagern?« – »Um dein Fort zu nehmen.«

Canolles brach in Gelächter aus.

»Nicht wahr, du kapitulierst?« rief Ravailly.

»Zuvor muß ich wissen, wem ich mich ergebe. Wie kommt es, daß Navailles gegen den König dient?«

»Wahrhaftig, Freund, weil wir Rebellen sind. Bei genauer Überlegung faßten wir die Ansicht, Mazarin sei offenbar ein Knauser, unwürdig der Dienste braver Edelleute, und demzufolge gingen wir zu den Prinzen über. Und du?« – »Ich, mein Lieber, bin ein wütender Epernonist. Aber kommt herauf zum Frühstück; ich habe einen vorzüglichen Koch.«

Ravailly lachte und ermutigte seine Leute mit dem Blick. Inzwischen schickte sich eine andere Kompagnie an, aus den Schiffen zu steigen.

Canolles sah, daß der entscheidende Augenblick gekommen war, nahm die feste Haltung und die ernste Miene an, wie es einem mit so schwerer Verantwortlichkeit belasteten Mann geziemte, und rief: »Halt, Ravailly; genug des Scherzes, Ranonenq; kein Wort mehr, keinen Schritt mehr, oder ich lasse schießen, so wahr, als dies hier die Fahne des Königs ist und Ihr gegen die Lilien von Frankreich marschiert.«

Und die Tat mit der Drohung verbindend, warf er mit kräftigem Arme die erste Leiter um, die ihren Kopf über den Steinen des Walles zeigte.

Fünf oder sechs der Eifrigsten fingen gerade an hinaufzusteigen; der Stoß schleuderte sie nieder. Sie fielen, und ihr Sturz veranlaßte ein ungeheures Gelächter unter den Angreifenden und unter den Belagerten; man hätte glauben sollen, es handle sich um Bubenstreiche.

In diesem Augenblick verkündigte ein Signal, daß die Belagerer die Ketten gesprengt hatten, die den Hafen schlossen.

Sogleich nahmen Ravailly und Remonenq eine Leiter, schickten sich ebenfalls an, in die Gräben hinabzusteigen, und riefen: »Herbei, Navailles! Zu den Sturmleitern! Aufgestiegen!«

»Mein armer Ravailly,« rief Canolles, »halt ein, ich bitte dich!«

Aber in demselben Augenblick brach die Landbatterie, die bis jetzt geschwiegen hatte, lärmend und leuchtend los, und eine Kugel riß die Erde rings um Canolles auf.

»Vorwärts, da sie es durchaus haben, wollen,« sagte Canolles, seinen Stock ausstreckend; »Feuer, meine Freunde; Feuer auf der ganzen Linie.«

Nun sah man, ohne daß man einen einzigen Mann erblickte, eine Reihe von Musketen sich gegen die Brustwehr senken, ein Flammengürtel umhüllte den Kranz der Mauer, während der Donner von zwei ungeheuren Kanonen der Batterie des Herzogs von Larochefoucault antwortete.

Es fielen etwa zehn Mann, aber ihr Sturz verlieh ihren Gefährten, statt sie zu entmutigen, neuen Eifer; die Landbatterie antwortete ihrerseits der Batterie vom Wall, eine Kugel schlug die königliche Fahne nieder, eine zweite Kugel zerschmetterte einen Leutnant.

Canolles schaute abermals um sich her, sah, daß seine Leute ihre Gewehre wieder geladen hatten, und rief: »Feuer allenthalben!«

Dieser Befehl wurde mit derselben Pünktlichkeit ausgeführt, wie sein erster.

Zehn Minuten nachher war keine Scheibe mehr auf der ganzen Insel Saint-George übrig; die Steine zitterten und zersprangen in Stücke; das schwere Geschütz durchlöcherte die Mauern, die Kugeln prallten von den großen Platten ab, und ein dichter Rauch verdunkelte die von Geschrei, Drohungen und Seufzern erfüllte Luft.

Canolles sah, daß die Batterie des Herrn von Larochefoucault seinem Fort am meisten Schaden zufügte, und sagte: »Vibrac, beschäftigt Euch mit Ravailly und laßt ihn in meiner Abwesenheit keinen Zoll Boden gewinnen. Ich laufe zu unseren Batterien.«

Canolles eilte wirklich zu den zwei Kanonen, die das Feuer des Herrn von Larochefoucault erwiderten, leitete selbst den Dienst, machte sich zum Lader, Richter und Kommandanten, brachte in einem Augenblick drei Kanonen von sechs zum Schweigen und streckte gegen fünfzig Mann auf das Blachfeld nieder. Die anderen, die diesen scharfen Widerstand nicht erwartet hatten, fingen an auseinanderzulaufen und zu fliehen. Herr von Larochefoucault, der sie wieder zu sammeln suchte, wurde von einem Kieselsplitter getroffen, der ihm den Degen aus der Hand riß.

Als Canolles diesen Erfolg wahrnahm, überließ er den Rest der Arbeit dem Anführer der Artillerie und lief an die Stelle zurück, wo die Kompanie Navailles, von d'Espagnets Leuten unterstützt, den Sturm fortsetzte.

Vibrac hielt fest, aber er hatte eine Kugel in die Schulter bekommen.

Canolles' Erscheinen wurde mit Freudengeschrei empfangen und verdoppelte den Mut der Truppen.

»Vergib,« rief er Ravailly zu, »vergib, wenn ich genötigt war, dich einen Augenblick zu verlassen, lieber Freund, aber es geschah, wie du sehen kannst, um die Kanonen des Herzogs von Larochefoucault zum Schweigen zu bringen; sei nur ruhig, ich bin wieder hier.«

Und da der Kapitän in diesem Augenblick seine Leute zum dritten Male zum Sturm führte, zog Canolles eine Pistole aus seinem Gürtel und drückte, die Hand gegen seinen alten Kameraden ausstreckend, rasch los. Die Kugel zerschmetterte Ravaillys Arm.

»Ich danke,« rief der Kapitän, der gesehen hatte, woher die Kugel kam; »ich danke und werde mich revanchieren.«

Aber trotz seiner Selbstbeherrschung war er genötigt still zu stehen, und sein Degen entfiel seinen Händen. Remonenq lief hinzu und faßte ihn in seine Arme.

»Willst du dich bei mir verbinden lassen, Ravailly?« lief Canolles, »ich habe einen Wundarzt.

»Nein, ich kehre nach Bordeaux zurück; aber erwarte mich jeden Augenblick, ich verspreche dir zurückzukommen. Nur werde ich diesmal meine Stunde besser auswählen.«

»Zum Rückzug,« rief Remonenq, »zum Rückzug! Man flieht dort. Auf Wiedersehen, Canolles, Ihr habt die erste Partie gewonnen.«

Remonenq sprach die Wahrheit, die Artillerie hatte furchtbare Verheerungen unter den Landtruppen angerichtet, die wenigstens hundert Mann verloren; der Verlust der Seetruppen war nicht geringer. Den stärksten Verlust hatte jedoch die Kompanie Navailles erlitten, die, um die Ehre der Uniform aufrecht zu erhalten, stets an der Spitze marschieren wollte.

Canolles hob seine entladene Pistole in die Höhe und rief: »Stellt das Feuer ein, laßt sie ruhig sich zurückziehen; wir haben keine Munition zu verlieren.«

Die Angreifenden zogen sich in Eile zurück, ließen ihre Toten auf dem Platze und nahmen nur ihre Verwundeten mit. Canolles zählte die Seinigen; er hatte sechzehn Verwundete und vier Tote. Er selbst hatte keine Schramme bekommen.


Achtes Kapitel.

Die Rückkehr der Belagerer nach Bordeaux bot ein trauriges Schauspiel. Die Bürger waren triumphierend ausgezogen, denn sie rechneten auf ihre Anzahl und auf die Geschicklichkeit ihrer bewährten Führer.

Ein allgemeines Murren der Trauer und Bestürzung erfüllte nun die große Stadt. Die Soldaten kehrten nach Hause, um das Unglück jeder auf seine Weise zu erzählen. Die Anführer begaben sich zu der Prinzessin, die bei dem Präsidenten Wohnung genommen hatte.

Die stolze Frau von Condé, die einem ruhmreichen kriegerischen Geschlecht entstammte, vernahm zähneknirschend und mit dem Fuße stampfend den Bericht von dem völligen Fehlschlag der Überrumpelung und von der unerschrockenen Verteidigung des Platzes, während Frau von Cambes die Schläge ihres Herzens nicht zu mäßigen vermochte, als sie so laut das Lob des ihr so teuren Gouverneurs verkünden hörte.

Als aber die Abgesandten der Bordolesen, an ihrer Spitze d'Espagnet, erschienen und sich zu jedem Opfer bereit erklärten, um die Insel durch einen neuen heftigeren, mit der doppelten oder dreifachen Truppenmacht unternommenen Sturm zu erobern, faßte Frau von Condé neuen Mut. Claire aber sagte: »Ich zweifle, ob Ihr Saint-George nehmen werdet, solange Herr von Canolles am Leben ist.«

»Wohl,« erwiderte d'Espagnet, »wir töten ihn oder lassen ihn töten und erobern dann Saint-George.«

Frau von Cambes drängte einen Angstschrei zurück, der aus ihrer Brust hervorbrechen wollte.

»Will man Saint-George nehmen?« rief sie.

»Wie! ob man es will?« rief die Prinzessin. »Ich glaube wohl, denn man will nichts weiter als dies.«

»Wohl,« sagte Frau von Cambes, »man lasse mich handeln, und ich überliefere den Platz.«

»Bah!« entgegnete die Prinzessin, »du hast mir dies bereits einmal versprochen und bist gescheitert.«

»Ich hatte Eurer Hoheit versprochen, einen Versuch bei Herrn von Canolles zu machen. Dieser Versuch ist gescheitert, ich fand Herrn von Canolles unbeugsam.«

»Hoffst du ihn nach seinem Siege zugänglicher zu finden?« – »Nein. Diesmal sagte ich Euch auch nicht, ich würde den Gouverneur, sondern ich würde den Platz überliefern.«

»Wie soll das geschehen?« – »Indem ich Eure Soldaten bis in den Hof der Festung führe.«

»Seid Ihr eine Fee, Madame, daß Ihr eine solche Arbeit übernehmt?« fragte Larochefoucault. – »Nein, mein Herr, ich bin Grundherrin.«

»Ihr scherzt?« – »Nein, nein,« sagte Lenet, »in den drei Worten, die Frau von Cambes soeben ausgesprochen hat, scheint mir viel zu liegen.«

»Das genügt mir,« sagte die Vicomtesse, »die Ansicht Herrn Lenets ist alles für mich. Ich wiederhole also, daß Saint-George genommen ist, wenn man mich ein paar Worte mit Herrn Lenet allein sprechen lassen will.«

»Madame,« versetzte Frau von Tourville, die Vicomtesse unterbrechend, »ich nehme Saint-George ebenfalls, wenn man mich gewähren läßt.«

»Laßt zuerst Frau von Tourville ihren Plan laut auseinandersetzen,« sagte Lenet, Frau von Cambes zurückhaltend, die ihn in einen Winkel ziehen wollte, »dann werdet Ihr mir den Eurigen leise mitteilen.«

»Sprecht, Madame,« sagte die Prinzessin.

»Ich breche in der Nacht mit fünfundzwanzig Barken auf, die zweihundert Musketiere führen; eine andere Truppe von derselben Zahl schleicht längs dem rechten Ufer hin; vier- bis fünfhundert andere marschieren am linken Ufer hinauf; während dieser Zeit machen tausend bis zwölfhundert Bordolesen . . .«

»Gebt wohl acht, Madame,« sagte Larochefoucault, »es sind bereits tausend bis zwölfhundert Mann in Anspruch genommen.«

»Ich nehme Saint-George mit einer einzigen Kompanie,« rief Claire; »gebt mir Navailles, und ich stehe für alles.«

»Das ist in Betracht zu ziehen,« sagte die Prinzessin, während Larochefoucault verächtlich lächelnd und mitleidig die Frauen anschaute, die über Kriegsangelegenheiten, welche die kühnsten und unternehmendsten Männer in Verlegenheit setzten, so leicht urteilten.

»Ich höre,« sagte Lenet. »Kommt, Madame.« Und er führte die Vicomtesse in eine Fenstervertiefung.

Claire flüsterte ihm ihr Geheimnis in das Ohr, und es entschlüpfte Lenet ein Freudengeschrei.

»In der Tat,« sagte er, sich zur Prinzessin wendend, »wenn Ihr diesmal Frau von Cambes unumschränkte Vollmacht geben wollt, so ist Saint-George genommen.«

»Und wann dies?« – »Wann man will.«

»Die Frau Vicomtesse ist ein großer Kapitän,« sagte Larochefoucault ironisch.

»Ihr werdet darüber urteilen, Herr Herzog,« erwiderte Lenet, »wenn Ihr im Triumph in Saint-George einzieht, ohne einen Flintenschuß getan zu haben.«

»Dann werde ich meine Billigung nicht verweigern.«

»Wenn die Sache so sicher ist, wie Ihr sagt,« sagte die Prinzessin, »so bereite man alles für morgen.«

»An dem Tage und in der Stunde, wie es Ihrer Hoheit belieben wird,« antwortete Frau von Cambes; »ich werde ihre Befehle in meinem Gemache erwarten.«

Nach diesen Worten verbeugte sie sich und ging in ihre Wohnung; die Prinzessin, die in einem Augenblick vom Zorn zur Hoffnung übergegangen war, tat dasselbe; Frau von Tourville folgte ihr. D'Espagnet entfernte sich ebenfalls, nachdem er seine Beteuerungen wiederholt hatte, und der Herzog befand sich allein mit Lenet.

»Mein lieber Lenet,« sagte der Herzog, »da sich die Frauen des Krieges bemächtigt haben, so wäre es, glaube ich für die Männer gut, ein wenig zu intrigieren. Ich habe von einem gewissen Cauvignac sprechen hören, der beauftragt ist, für Euch eine Kompanie zu rekrutieren; man hat ihn mir als einen gewandten Burschen geschildert und ich verlangte nach ihm; kann man ihn wohl sehen?« – »Monseigneur, er wartet.«

»Er mag kommen.«

Lenet zog an einer Klingelschnur; ein Diener erschien.

»Führt den Kapitän Cauvignac ein,« sagte Lenet.

Einen Augenblick nachher zeigte sich unser alter Bekannter auf der Schwelle. Aber stets klug, blieb er hier stehen.

»Nähert Euch, Kapitän,« sagte der Herzog, »ich bin der Herzog von Larochefoucault.«

»Monseigneur,« antwortete Cauvignac, »ich kenne Euch sehr wohl.«

»Ah! desto besser. Ihr habt den Auftrag erhalten, eine Kompanie anzuwerben?« – »Sie ist geworben.«

»Wieviel Mann habt Ihr zu Eurer Verfügung?« – »Hundertundfünfzig.«

»Gut equipiert, gut bewaffnet?« – »Gut bewaffnet, schlecht equipiert. Die Waffen waren für mich die Hauptsache. Was die Equipierung betrifft, so fehlte es an Geld, da ich ein sehr uneigennütziger Mensch bin, einzig und allein von meiner Liebe für die Herren Prinzen angetrieben wurde und von Herrn Lenet nur zehntausend Livres erhalten hatte.«

»Und mit zehntausend Livres habt Ihr hundertundfünfzig Soldaten angeworben?« – »Ja, Monseigneur,«

»Das ist wunderbar.«

»Monseigneur, ich habe nur mir allein bekannte Mittel, mit deren Hilfe ich zu Werke gehe.«

»Und wo sind diese Leute?« – »Sie sind hier, Monseigneur; Ihr sollt sehen, wie schön die Kompanie ist, besonders in moralischer Beziehung; lauter Leute von Stand; nicht ein einziger Schlucker aus dem Bauernvolk.«

Der Herzog von Larochefoucault trat ans Fenster und sah wirklich auf der Straße hundertundfünfzig Menschen von jedem Alter, von jedem Stand, durch Ferguzon, Barrabas und ihre drei Gefährten in zwei Reihen gehalten. Sie sahen weit mehr wie Banditen, als wie eine Kompanie Soldaten aus.

»Habt Ihr einen Befehl in Beziehung auf Eure Leute erhalten?« – »Ich habe den Befehl erhalten, sie nach Vayres zu führen, und erwarte nur die Bestätigung dieses Befehls durch den Herrn Herzog, um meine ganze Kompanie an Richon zu übergeben.«

»Aber Ihr bleibt nicht bei ihnen in Vayres?« – »Nein, Monseigneur, es ist mein Grundsatz, nie die Dummheit zu begehen, mich zwischen vier Mauern einzuschließen, wenn ich im freien Felde umherstreifen kann.

»Wohl, so verweilt, wo es Euch beliebt, aber bringt Eure Leute nach Vayres.«

»Dann sollen sie also einen Teil der Garnison unter dem Befehle von Herrn Richon bilden?« – »Ja.«

»Aber, Monseigneur, wie steht es mit der Bezahlung?«

»Sagtet Ihr nicht, Ihr hättet zehntausend Livres empfangen?« – »Ja, auf Abschlag. Fragt Herrn Lenet, der ein zuverlässiger Mann ist und sich gewiß unserer Übereinkunft erinnert.«

Der Herzog wandte sich an Lenet.

»Er spricht die Wahrheit,«, sagte der tadellose Rat; »wir haben Herrn Cauvignac zehntausend Livres bares Geld für die ersten Auslagen gegeben; ihm aber, abgesehen von dem Verbrauch dieser zehntausend Livres, noch hundert Taler für den Mann versprochen.«

»Dann sind wir dem Kapitän fünfunddreißigtausend Livres schuldig?« – »Ganz richtig, Monseigneur.«

»Man wird sie Euch geben und zwar innerhalb acht Tagen.

»Wenn wir aber in acht Tagen nicht bezahlt haben?« sagte Lenet.

»Dann werde ich wieder Herr meiner Kompanie,« antwortete Cauvignac.

»Das ist nur zu billig,« sprach der Herzog.

»Und ich mache damit, was ich will.«

»Da sie Euch gehört.«

»Jedoch . . .« bemerkte Lenet.

»Bah!« sagte der Herzog, »wir werden sie in Vayres eingeschlossen halten.«

»Ich liebe solchen Handel nicht,« erwiderte Lenet, den Kopf schüttelnd.

Der Kapitän ging darauf hinab, sagte Ferguzon zwei Worte in das Ohr, und die Kompanie Cauvignac marschierte, von vielen Neugierigen begleitet, die ihr seltsamer Anblick versammelt hatte, nach dem Hafen, wo die drei Schiffe ihrer harrten, auf denen sie die Dordogne hinauf nach Vayres fahren sollte, während ihr Führer, getreu den einen Augenblick vorher gegen den Herzog von Larochefoucault ausgedrückten Freiheitsgrundsätzen, ihr mit verliebten Blicken nachschaute.

Inzwischen schluchzte und betete die Vicomtesse, die sich in ihre Gemächer zurückgezogen hatte.

»Ach!« sagte sie, »ich konnte ihm die Ehre nicht ganz retten, aber ich werde ihm wenigstens den Schein wahren. Er soll nicht durch die Gewalt besiegt werden; denn ich kenne ihn, er wird sich verteidigend sterben; er muß durch den Verrat zu unterliegen scheinen. Wenn er dann erfährt, was ich für ihn getan und besonders in welcher Absicht ich es getan habe, wird er mich, obgleich besiegt, noch segnen.«

Und durch diese Hoffnung beruhigt, erhob sie sich, schrieb einige Worte, die sie an ihrer Brust verbarg, und ging zu der Prinzessin, die sie hatte rufen lassen, um mit ihr den Verwundeten Hilfe, den Witwen und Waisen Trost und Geld zu bringen.

Die Prinzessin versammelte alle, die an dem Zuge teilgenommen hatten; sie erhob in ihrem Namen und in dem des Herrn Herzogs von Enghien die Taten der Männer, die sich ausgezeichnet hatten, sprach lange mit Ravailly, der, den Arm in der Binde, ihr schwor, er sei bereit, am andern Tage wieder anzufangen, legte ihre Hand auf die Schulter d'Espagnets und sagte ihm, sie betrachte ihn und seine braven Bordolesen als die festesten Stützen ihrer Partei; erregte endlich die Phantasie aller so gut, daß die Entmutigsten feierlich gelobten, sie würden sich rächen, und auf der Stelle nach der Insel Saint-George zurückkehren wollten.

»Nicht auf der Stelle,« sagte die Prinzessin, »benutzt den Tag und die Nacht zur Ruhe, und übermorgen werdet Ihr die Insel auf immer gewinnen.«

Diese Versicherung, mit fester Stimme ausgesprochen, wurde mit lauten Rufen kriegerischen Eifers aufgenommen. Aber alle diese Rufe trafen tief das Herz der Vicomtesse, denn sie erschienen ihr wie ebensoviele das Leben ihres Geliebten bedrohende Dolche.

»Du siehst, wozu ich mich anheischig gemacht habe, Claire,« sagte die Prinzessin; »es ist deine Sache, meine Schuld gegen diese Tapferen abzutragen.«

»Seid unbesorgt, Madame,« antwortete die Vicomtesse, »ich werde halten, was ich versprochen habe.«

An demselben Abend ging ein Eilbote nach Saint-George ab.


Neuntes Kapitel.

Während Canolles am andern Tage seine Morgenrunde machte, näherte sich ihm Vibrac und übergab ihm ein Billett nebst einem Schlüssel; beides hatte in der Nacht ein Unbekannter gebracht und dem Leutnant von der Wache mit der Bemerkung, es bedürfe keiner Antwort, eingehändigt.

Canolles bebte, als er die Handschrift der Frau von Cambes erkannte, und vermochte nur zitternd das Billett zu öffnen.

Es enthielt folgende Worte: »In meinem letzten Schreiben benachrichtigte ich Euch, daß das Fort Saint-George in der Nacht angegriffen werden würde; in diesem sage ich Euch, daß das Fort Saint-George morgen genommen sein wird; als Mann, als Soldat des Königs seid Ihr keiner andern Gefahr preisgegeben, als der, Gefangener zu werden: Fräulein von Lartigues aber befindet sich in einer ganz andern Lage; der Haß, den man gegen sie hegt, ist so groß, daß ich nicht für ihr Leben stehen würde, wenn sie in die Hände der Bordolesen fiele. Bestimmt sie, zu fliehen, ich gebe Euch die Mittel dazu.

»Oben an Eurem Bette, hinter einer Tapete mit dem Wappen der Herren von Cambes, denen einst die Insel Saint-George gehörte, findet Ihr eine Tür, zu der ich Euch hiermit den Schlüssel schicke. Diese Tür ist eine von den Öffnungen eines unterirdischen Ganges, der sich unter dem Flusse durchzieht und in dem Herrenhause von Cambes ausmündet. Laßt Fräulein Nanon von Lartigues durch diesen Gang fliehen, und wenn Ihr sie liebt . . . flieht mit ihr.

»Ich stehe mit meiner Ehre für ihr Leben.

»Gott befohlen. Wir sind quitt.

Vicomtesse von Cambes

Canolles las dieses Billett wieder und wieder, schauerte vor Schrecken bei jeder Zeile, erbleichte bei jedesmaligem Lesen; er fühlte, ohne dieses Geheimnis ergründen zu können, daß eine fremde Macht ihn umhüllte und über ihn verfügte. Der unterirdische Gang, der von seinem Bette aus mit dem Schlosse Cambes zusammenhing, hätte er nicht dazu dienen können, Saint-George in die Hände des Feindes zu liefern?

Vibrac folgte auf dem Gesichte des Gouverneurs den letzten Bewegungen, die sich darauf abspiegelten, und fragte: »Schlimme Nachrichten, Kommandant?« – »Ja, es scheint, man wird uns in der nächsten Nacht angreifen.«

»Die Starrköpfe!« rief Vibrac; »ich hätte geglaubt, sie könnten sich für gehörig gestriegelt halten, und wir würden auf mindestens acht Tage nicht mehr von ihnen sprechen hören.«

»Ich brauche Euch nicht die strengste Wachsamkeit zu empfehlen,« sagte Canolles.

»Seid unbesorgt, Kommandant. Ohne Zweifel werden sie uns zu überrumpeln suchen, wie das letzte Mal.«

Canolles kehrte in seine Wohnung zurück und ging mit aller möglichen Behutsamkeit zu Werk, um von Nanon nicht gesehen zu werden; nachdem er sich versichert hatte, daß er allein war, schloß er sich ein.

Oben an seinem Bette erblickte er das Wappen der Herren von Cambes auf einem von einem goldenen Band umgebenen Stück Tapete.

Canolles hob das Band auf, das, sich von der Tapete losmachend, den Rand einer Tür zeigte.

Diese Tür öffnete sich mit dem Schlüssel, den die Vicomtesse dem jungen Mann zugleich mit dem Billett hatte zustellen lassen, und die Mündung eines unterirdischen Ganges bot sich, gähnend und in der Richtung des Schlosses Cambes verlaufend, Canolles' Augen. Einen Augenblick blieb er stumm, und der Schweiß lief von seiner Stirn. Dieser geheimnisvolle Gang, der nicht der einzige sein konnte, erschreckte ihn unwillkürlich. Er zündete eine Kerze an, um ihn zu untersuchen.

Zuerst stieg er zwanzig steile Stufen hinab, dann drang er mit geringerer Neigung in die Tiefe der Erde ein. Bald hörte er ein dumpfes Geräusch, das ihm Anfangs Besorgnis erregte, das er aber bald als das Tosen der Gewässer des Flusses erkannte.

Beinahe zehn Minuten lang hörte Canolles das Rollen des Wassers über seinem Kopfe; dann verminderte sich das Geräusch allmählich und bald war es nur noch ein Gemurmel. Endlich gelangte er zu einer Treppe, der ähnlich, auf der er herabgestiegen war; diese Treppe schloß auf ihrer letzten Stufe eine massive, durch eine eiserne Platte feuerfeste Tür, die zehn Mann mit vereinigten Kräften nicht zu erschüttern imstande gewesen wären.

»Nun begreife ich,« sagte Canolles; »man wird Nanon an dieser Tür erwarten und sie retten.«

Canolles kehrte um, ging unter dem Wasser durch, fand seine Treppe wieder, stieg in sein Zimmer hinauf, befestigte das Band und begab sich äußerst nachdenklich zu Nanon.

Nanon war, wie gewöhnlich, umgeben von Karten, Briefen und Büchern, denn sie führte auf ihre Weise den Bürgerkrieg für den König. Sobald sie Canolles gewahrte, reichte sie ihm entzückt die Hand und sagte: »Der König kommt, und in acht Tagen sind wir außer Gefahr.«

»Er kommt immer,« erwiderte Canolles, »doch leider trifft er nie ein.«

»Oh! diesmal bin ich gut unterrichtet, lieber Baron, und er wird vor acht Tagen hier sein.«

»So sehr er sich auch beeilen mag, Nanon, so wird er doch für uns zu spät kommen.«

»Was sagt Ihr?« – »Ich sage, daß Ihr, statt Euch mit diesen Karten und Papieren beschäftigen, besser tun würdet, an Mittel zur Flucht zu denken.«

»Fliehen! und warum?« – »Weil ich schlimme Kunde habe, Nanon. Eine neue Expedition bereitet sich vor; diesmal kann ich unterliegen.«

»Wohl, mein Freund, ist es nicht abgemacht, daß Euer Geschick das meinige, daß Euer Glück das meine ist?« – »Nein, das kann nicht sein; ich wäre zu schwach, wenn ich für Euch zu fürchten hätte. Wollten sie Euch nicht in Agen im Feuer sterben lassen? Wollten sie Euch nicht in den Fluß stürzen? Hört, Nanon, aus Mitleid für mich besteht nicht darauf, hier zu bleiben, Eure Gegenwart würde mich irgend eine Feigheit begehen lassen.«

»Mein Gott, Canolles, Ihr erschreckt mich.«

»Nanon, ich flehe Euch an, schwört mir, wenn man mich angreift, das zu tun, was ich befehlen werde.«

»Oh! mein Gott, wozu soll dieser Eid nützen?« – »Um mir die Kraft zum Leben zu geben. Nanon, wenn Ihr mir nicht blindlings zu gehorchen gelobt, so schwöre ich Euch, daß ich mich bei der nächsten Gelegenheit töten lasse.«

»Ah! ich schwöre Euch bei unserer Liebe, ich werde alles tun, was Ihr wollt.«

»Gott sei Dank! teure Nanon, nun bin ich ruhig. Packt Eure kostbarsten Juwelen zusammen. Wo ist Euer Gold?« – »In einem in Eisen gebundenen Faß.«

»Haltet alles bereit, damit man es mit Euch fortnehmen kann.«

»Oh! Canolles, Ihr wißt wohl, daß der wahre Schatz meines Herzens weder in meinem Gold, noch in meinen Juwelen besteht. Canolles soll dies alles nicht dazu dienen, mich von Euch zu entfernen?« – »Nanon, nicht wahr, Ihr haltet mich für einen Mann von Ehre? Wohl, bei meiner Ehre, was ich tue, wird mir einzig und allein von der Furcht vor der Gefahr, der Ihr preisgegeben seid, eingegeben.«

»Und Ihr glaubt im Ernste an diese Gefahr?« – »Ich glaube, daß die Insel Saint-George morgen genommen sein wird.«

»Aber wie?« – »Ich weiß nicht, aber ich glaube es.«

»Und wenn ich in die Flucht willige?« – »So werde ich alles tun, um zu leben, Nanon, das schwöre ich Euch.«

»Ihr befehlt, Freund, und ich gehorche,« sagte Nanon, ihm die Hand reichend, und sie vergaß in ihrem Eifer, ihn anzuschauen, die zwei schweren Tränen, die an ihren Wangen herabliefen.

Canolles drückte Nanon die Hand und ging hinaus. Wäre er noch einen Augenblick geblieben, so würde er diese zwei Perlen mit seinen Lippen aufgefaßt haben, aber er legte die Hand auf den Brief der Vicomtesse, und dieser Brief verlieh ihm, einem Talisman ähnlich, die Kraft, sich zu entfernen.

Der Tag war grausam. Die so bestimmte Drohung: »Morgen wird die Insel Saint-George genommen sein,« toste unablässig in Canolles' Ohren. Wie? Durch welches Mittel? Welche Gewißheit hatte die Vicomtesse, um so zu ihm zu sprechen? Würde er zu Wasser, würde er zu Lande angegriffen werden? Von welchem Punkte aus sollte dieses unsichtbare und doch gewisse Unglück über ihn hereinbrechen? Es war, um verrückt zu werden.

Den ganzen Tag spähte er nach allen Richtungen, konnte aber nichts entdecken; und als es völlig Nacht geworden war, erleuchtete sich ein Flügel des Schlosses Cambes; es war das erste Mal, daß Canolles daselbst Licht erblickte, seitdem er sich auf der Insel Saint-George befand.

»Ah!« sagte er, »Nanons Retter sind an ihrem Posten.«

Und ein tiefer Seufzer entstieg seiner Brust.

Welch ein seltsames, geheimnisvolles Rätsel umschließt das menschliche Herz! Canolles liebte Nanon nicht mehr, Canolles betete Frau von Cambes an, und dennoch fühlte er seine Seele in dem Augenblick brechen, wo er sich von der, die er nicht mehr liebte, trennen sollte; nur fern von ihr und wenn er sie zu verlassen im Begriffe war, fühlte er die wahre Kraft der sonderbaren Zuneigung, die er für dieses reizende Geschöpf hegte.

Die ganze Garnison war auf den Wällen, um zu wachen. Des Spähens müde, befragte Canolles die nächtliche Stille. Nie war eine Finsternis stummer gewesen, kein Geräusch störte diese Ruhe, welche die einer Wüste zu sein schien.

Plötzlich kam Canolles der Gedanke, der Feind dringe vielleicht durch den von ihm durchforschten unterirdischen Gang in das Fort. Es war dies nicht sehr wahrscheinlich, denn in diesem Falle würde man ihn nicht zum voraus darauf aufmerksam gemacht haben; nichtsdestoweniger beschloß er, diesen Gang zu bewachen. Er ließ ein Pulverfaß mit einer Lunte bereithalten, wählte den Tapfersten von seinen Sergeanten, wälzte das Faß auf die letzte Stufe des unterirdischen Gewölbes, zündete eine Fackel an und gab sie dem Sergeanten in die Hand. Zwei Soldaten standen in seiner Nähe.

»Wenn sich mehr als sechs Menschen in diesem Gange zeigen,« sagte er zu dem Sergeanten, »so fordere sie zuerst auf, sich zurückzuziehen; weigern sie sich, so zünde die Lunte an und wälze das Faß fort; da der Gang abhängig ist, so wird es mitten unter ihnen zerspringen,«

Der Sergeant nahm die Fackel; die beiden Soldaten blieben, von dem rötlichen Schimmer beleuchtet, hinter ihm stehen, während zu ihren Füßen das Pulverfaß lag.

Canolles stieg, wenigstens von dieser Seite beruhigt, wieder hinauf; aber als er in sein Zimmer zurückkehren wollte, erblickte er Nanon, die ihm, da sie ihn hatte vom Walle herabsteigen und in seine Wohnung gehen sehen, gefolgt war. Erschrocken schaute sie die gähnende Öffnung an.

»Ah! mein Gott,« fragte sie, »was bedeutet diese Tür?« – »Es ist die des Ganges, durch den du fliehen sollst, teure Nanon.«

»Du hast mir versprochen, ich würde dich, nur im Falle eines Angriffs zu verlassen haben.«

»Und ich verspreche es dir abermals.«

»Alles scheint ruhig um die Insel her, mein Freund.«

»Auch innerhalb des Forts scheint alles ruhig, nicht wahr? Dennoch sind zwanzig Schritte von uns ein Pulverfaß, ein Mann und eine Fackel. Nähert der Mann die Fackel dem Pulverfaß, so bleibt in einer Sekunde in diesem ganzen Schloß kein Stein mehr auf dem andern. So ist alles ruhig, Nanon!«

Die junge Frau erbleichte.

»Ah! Ihr macht mich beben,« rief sie.

»Nanon,« sagte Canolles, »ruft Eure Frauen, und Euern Kammerdiener, daß sie Eueren Schmuck und Euer Gold hierher bringen. Vielleicht habe ich mich getäuscht, vielleicht wird diese Nacht nichts vorfallen; aber gleichviel, wir wollen uns bereit halten.«

»Wer da?« rief die Stimme des Sergeanten in dem unterirdischen Gewölbe.

Eine andere Stimme antwortete, aber ohne einen feindlichen Ton.

»Hört,« sagte Canolles, »man kommt, um Euch zu holen.«

»Man greift noch nicht an, mein Freund, alles ist ruhig; laßt mich bei Euch bleiben, sie werden nicht kommen.«

Als Nanon diese Worte vollendete, erscholl der Ruf: »Wer da?« dreimal in dem innern Hof, und das dritte Mal folgte darauf der Knall einer Muskete.

Canolles eilte an das Fenster und öffnete es.

»Zu den Waffen!« rief die Schildwache, »zu den Waffen!«

Canolles sah in einer Ecke eine schwarze, bewegliche Masse; es war ein Feind, der aus einer niedrigen, gewölbten Pforte hervorströmte, die sich nach einem Keller öffnete, der als Holzkammer benützt wurde; ohne Zweifel war in diesem Keller eine geheime Öffnung, wie oben an Canolles' Bette.

»Hier sind sie!« rief Canolles: »beeilt Euch, hier sind sie.«

In demselben Augenblick erwiderte das Feuer von etwa zwanzig Musketen den Schuß der Schildwache. Ein paar Kugeln zerschmetterten die Scheiben des Fensters, das Canolles rasch wieder schloß.

Er wandte sich um, Nanon lag auf den Knien. Durch die innere Tür liefen die Frauen und ihr Lakai herbei,

»Es ist kein Augenblick zu verlieren, Nanon,« rief Canolles; »kommt! kommt!«

Und er zog die junge Frau in seine Arme empor, wie er es mit einer Feder getan hätte, drang in den unterirdischen Gang und rief Nanons Leuten zu, sie sollten ihm folgen.

Der Sergeant war, die Fackel in der Hand, an seinem Posten; die zwei Soldaten hielten sich, mit angezündeter Lunte bereit, Feuer auf eine Gruppe zu geben, in deren Mitte bleich und mit vielen Freundschaftsversicherungen unser alter Bekannter, Meister Pompée, erschien.

»Oh! Herr von Canolles,« rief er, »sagt ihnen doch, wir seien die Leute, die Ihr erwartet; zum Teufel, man macht keine solche Späße mit Freunden.«

»Pompée,« sagte Canolles, »ich empfehle Euch diese Dame; es hat mir jemand, den Ihr kennt, bei seiner Ehre für sie gebürgt. Ihr haftet mir für sie mit Eurem Kopfe.

»Ja, ja, ich hafte für alles,« erwiderte Pompée.

»Canolles, Canolles,« ich verlasse Euch nicht,« rief Nanon, sich an den Hals des jungen Mannes anklammernd: »Canolles, Ihr habt mir versprochen, mir zu folgen.«

»Ich habe gelobt, das Fort Saint-George zu verteidigen, solange ein Stein auf dem andern steht, und ich werde mein Versprechen halten.«

Und trotz des Geschreis, des Flehens, der Bitten Nanons übergab er sie Pompée, der sie, von zwei oder drei Lakaien unterstützt, in die Tiefe des unterirdischen Ganges fortzog.

Canolles folgte mit den Augen einige Sekunden dem zarten, weißen Phantome, das sich, die Arme nach ihm ausstreckend, entfernte. Plötzlich aber erinnerte er sich, daß er anderswo erwartet wurde, und eilte mit dem Sergeanten und den zwei Soldaten nach der Treppe.

Vibrac war in seinem Zimmer, ohne Hut, bleich und den Degen in der Hand.

»Kommandant,« rief er, als er Canolles erblickte, »der Feind . . . der Feind!«

»Ich weiß es.«

»Was ist zu tun?« – »Bei Gott! eine schöne Frage; wir müssen uns töten lassen.«

Canolles eilte nach dem Hofe. Unterwegs bemerkte er eine Schanzgräberaxt und ergriff sie.

Der Hof war voll von Feinden; sechzig Soldaten der Garnison versuchten, in eine Gruppe vereinigt, die Tür von Canolles' Wohnung zu verteidigen. Geschrei und Flintenschüsse von der Seite des Walles verkündigten, daß man überall handgemein war.

»Wer Kommandant! der Kommandant!« riefen die Soldaten, sobald sie Canolles gewahr wurden.

»Ja! ja!« antwortete dieser, »der Kommandant kommt, um mit Euch zu sterben. Mut! Freunde! Mut! Man hat Euch durch Verrat gefaßt da man Euch nicht besiegen konnte.«

»Alles ist gut im Kriege,« sagte die spöttische Stimme Ravaillys, der, den Arm in der Binde, seine Leute anfeuerte, Canolles zu ergreifen. »Ergib dich, Canolles, ergib dich, und du sollst eine gute Kapitulation bekommen.«

»Ah, du bist es, Ravailly,« rief Canolles. »Ich glaubte doch die Schuld der Freundschaft an dich abgetragen zu haben? Du bist nicht zufrieden, warte . . .«

Und Canolles sprang fünf bis sechs Schritte vor, und schleuderte die Axt, die er in der Hand hielt, mit solcher Gewalt nach Ravailly, daß sie neben dem Kapitän den Helm eines Bürgeroffiziers spaltete, der tot niederstürzte.

»Pest!« sagte Ravailly, »so erwiderst du die Höflichkeiten, die man dir erzeigt? Ich sollte übrigens an deine Manieren gewöhnt sein. Freunde, er ist rasend, Feuer auf ihn! Feuer!«

Auf diesen Befehl brach ein kräftiges Gewehrfeuer aus den feindlichen Reihen hervor, und fünf bis sechs Mann fielen neben Canolles.

»Feuer!« rief dieser ebenfalls, »Feuer!«

Aber es antworteten kaum ein paar Musketenschüsse. In dem Augenblick überrumpelt, wo sie es am wenigsten erwarteten, halte die Garnison den Mut verloren.

Canolles sah, daß nichts mehr zu tun war.

»Geht herein,« sagte er zu Vibrac, »geht herein und laßt Eure Leute ebenfalls hereingehen; wir verrammeln uns und ergeben uns nur, wenn sie unsere Stellung im Sturme erobert haben.«

»Zurück!« rief Vibrac, »zurück!«

»Frisch auf!« schrie Ravailly: »vorwärts! Freunde, vorwärts!«

Die Feinde rückten vor; Canolles hielt mit höchstens zehn Mann den Angriff aus; er hatte die Flinte eines toten Soldaten aufgehoben und bediente sich ihrer als Keule.

Seine Gefährten zogen sich in das Innere zurück, und er selbst folgte zuletzt mit Vibrac.

Beide stemmten sich nun gegen die Tür; es gelang ihnen, sie, trotz der Anstrengungen des Feindes, zuzudrücken und mittels einer ungeheuren eisernen Stange zu befestigen. Die Fenster waren vergittert.

»Äxte, Hebeisen, Kanonen, wenn es sein muß!« rief die Stimme des Herzogs von Larochefoucault; »wir müssen sie alle haben, tot oder lebendig.«

Ein furchtbares Feuer folgte auf diese Worte; mehrere Kugeln durchlöcherten die Tür, eine zerschmetterte Vibrac den Schenkel.

»Wahrhaftig, Kommandant,« sagte dieser, »ich habe meine Rechnung, sucht nun die Eure in Ordnung zu bringen; das geht mich nichts mehr an.«

Und er sank an der Mauer hin, da er sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte.

Canolles schaute umher; ein Dutzend Soldaten war noch im Verteidigungsstande; der Sergeant, den er in dem unterirdischen Gewölbe als Wache aufgestellt hatte, befand sich unter ihnen.

»Die Fackel,« sagte er zu ihm, »was hast du mit der Fackel gemacht?«

»Bei Gott, Kommandant, ich habe sie neben das Faß geworfen.«

»Brennt sie noch?« – »Wahrscheinlich.«

»Gut. Laß alle diese Leute durch die Türen, durch die hinteren Fenster hinaus. Erlange für sie und für dich die beste Kapitulation, die du zu erzielen vermagst; das übrige geht mich an.«

»Aber mein Kommandant . . .«

»Gehorche.«

Der Sergeant beugte das Haupt und machte seinen Soldaten ein Zeichen, ihm zu folgen. Sogleich verschwanden alle durch die inneren Gemächer; sie hatten Canolles' Absicht begriffen und verspürten keine große Lust, mit ihm in die Luft gesprengt zu werden.

Canolles horchte einen Augenblick; man bearbeitete die Tür mit Axtstreichen, ohne daß das Gewehrfeuer deshalb aufhörte; plötzlich verkündigte ein gewaltiges Geräusch, daß die Türe nachgegeben hatte und Canolles hörte, wie die Menge mit Freudengeschrei in das Schloß stürzte.

»Gut, gut,« murmelte er, »in fünf Minuten wird dieses Freudengeschrei in ein Geheul der Verzweiflung verwandelt sein.« Und er eilte in den unterirdischen Gang. Aber auf dem Fasse saß ein junger Mann, die Fackel zu seinen Füßen, den Kopf auf seine beiden Hände gestützt. Bei dem Geräusche erhob er das Haupt, und Canolles erkannte Frau von Cambes.

»Ah!« rief sie aufstehend, »da ist er endlich!«

»Claire,« murmelte Canolles, »was wollt Ihr hier?« – »Mit Euch sterben, wenn Ihr sterben wollt.«

»Ich bin entehrt, verloren, ich muß wohl sterben.«

»Ihr seid gerettet und glorreich, gerettet durch mich!«

»Verloren durch Euch! Hört Ihr sie? Sie kommen, hier sind sie! Flieht, Claire, flieht durch diesen unterirdischen Gang; Ihr habt fünf Minuten, das ist mehr, als Ihr braucht.«

»Ich fliehe nicht, ich bleibe.«

»Aber wißt Ihr, warum ich hier herabgestiegen bin? Wißt Ihr, was ich tun will?«

Frau von Cambes hob die Fackel auf, näherte sich dem Pulverfaß und erwiderte: »Ich vermute es.«

»Claire,« rief Canolles erschrocken, »Claire!«

»Wiederholt noch einmal, daß Ihr sterben wollt, und wir sterben miteinander.«

Das bleiche Antlitz der Vicomtesse deutete eine solche Entschlossenheit an, daß Canolles begriff, sie würde tun, was sie sagte; er hielt inne.

»Aber, was wollt Ihr denn?« – »Daß Ihr Euch ergebet.«

»Nie!« rief Canolles.

»Die Zeit ist kostbar,« sagte die Vicomtesse, »ergebt Euch. Ich biete Euch das Leben, ich biete Euch die Ehre an, indem ich Euch die Entschuldigung des Verrates gebe.«

»So laßt mich fliehen, ich lege mein Schwert vor die Füße des Königs und verlange Gelegenheit, mir Genugtuung zu verschaffen.«

»Ihr werdet nicht fliehen.« – »Warum?« – »Weil ich nicht so leben kann; weil ich nicht von Euch getrennt leben kann; weil ich Euch liebe.«

»Ich ergebe mich, ich ergebe mich,« rief Canolles, vor Frau von Cambes auf die Knie stürzend und die Fackel, die er in der Hand hielt, weit von sich schleudernd.

»Ah!« murmelte die Vicomtesse, »diesmal halte ich ihn, und man wird ihn mir nicht mehr nehmen.«

Es war seltsam und doch erklärlich; die Liebe wirkte so ganz entgegengesetzt auf diese zwei Frauen.

Sacht zurückhaltend, sanft, schüchtern, war Frau von Cambes entschieden, kühn und stark geworden.

Launenhaft, eigensinnig, glühend, war Nanon dagegen schüchtern, sanft und zurückhaltend geworden.

Der Grund war, daß Frau von Cambes sich immer mehr von Canolles geliebt fühlte, Nanon aber empfand, daß Canolles' Liebe jeden Tag mehr abnahm.


Zehntes Kapitel.

Die zweite Rückkehr der Armee der Prinzen war sehr verschieden von der ersten. Diesmal gab es Lorbeeren für alle, selbst für die Besiegten. Das Zartgefühl der Frau von Cambes hatte einen guten Teil für Canolles vorbehalten, der, sobald er an der Seite seines Freundes Ravailly durch die Barriere einzog, wie ein hervorragender Führer angesehen und wie ein tapferer Soldat beglückwünscht wurde.

Man wies ihm eine Wohnung in der großen Festung der Stadt, im Schlosse Trompette an. Am Tage hatte er vollkommene Freiheit, in der Stadt herumzugehen, und erst beim Zapfenstreiche kehrte er nach Hause. Man hatte nur sein Ehrenwort verlangt, daß er nicht fliehen und nicht mit den Freunden draußen korrespondieren wolle.

Ehe Canolles diesen letzten Schwur leistete, hatte er um Erlaubnis gebeten, vier Zeilen schreiben zu dürfen; worauf er an Nanon schrieb:

»Gefangen, aber frei in Bordeaux, durch mein Ehrenwort verpflichtet, keine Korrespondenz nach außen zu unterhalten, schreibe ich Euch diese paar Worte, teure Nanon, um Euch meiner Freundschaft zu versichern, an der Ihr meines Stillschweigens wegen zweifeln könntet. Ich verlasse mich auf Euch, daß Ihr meine Ehre bei dem König und der Königin verteidigen werdet.

Baron von Canolles.«

In diesen sehr sanften Bedingungen ließ sich der Einfluß der Frau von Cambes erkennen. Sie selbst aber sah er in den ersten Tagen nur wenig und sprach kaum ein paar Worte mit ihr; es schien der Vicomtesse zu genügen, daß er nicht mehr bei Nanon war, und sie fühlte sich glücklich, daß sie ihn, wie sie es gesagt hatte, bei sich behalten konnte.

Nach einiger Zeit genügte aber dieses seltene Zusammentreffen dem Gefangenen nicht mehr. Da er aber das Zartgefühl der Frau von Cambes begriff, die noch mehr für Canolles' Ehre, als für die ihrige fürchtete, so suchte er den Kreis seiner Zerstreuungen auszudehnen. Zuerst schlug er sich mit einem Offizier der Garnison und mit zwei Bürgern, was immerhin für ein paar Stunden Unterhaltung verschaffte. Da er aber einen von seinen Gegnern entwaffnete und die andern zwei verwundete, so hörte dieser Zeitvertreib in Ermangelung von Partnern bald auf.

Dann hatte er einigemal Glück bei Frauen. Als er eines Tages Frau von Cambes in der Kirche zu sehen hoffte, und diese, vielleicht aus Furcht, ihn dort zu treffen, nicht gekommen war, bot er, der auf seinem Posten, Claires harrend, stand, einer reizenden Frau, die er noch nicht gesehen hatte, Weihwasser.

An demselben Tage erhielt er ein Einladungsschreiben, um den Abend bei dem Generalanwalt Lavie zuzubringen, der als Stütze der königlichen Herrschaft beinahe ebensosehr verhaßt war, wie Herr von Epernon. Canolles, der immer mehr das Bedürfnis fühlte, sich zu zerstreuen, nahm die Einladung dankbar an und begab sich um sechs Uhr zu dem Generalanwalt.

Als er in den Salon trat, stieß er einen Freudenschrei aus; Frau Lavie war niemand anderes, als die reizende Brünette, der er am Morgen so artig Weihwasser gereicht hatte.

Er wurde im Salon des Generalanwalts als erprobter Royalist empfangen und gefeiert.

»Mein lieber Herr von Canolles,« sagte der Generalanwalt, »ich weiß von guter Hand, daß bei Hofe von Euch und der schönen Verteidigung, die Euch mit Ruhm bedeckt hat, viel die Rede gewesen ist; die Königin hat auch geschworen, Euch, sobald sie könnte, auszuwechseln und Euch am Tage Eurer Rückkehr in ihren Dienst zum Range eines Regimentschefs oder eines Brigadiers zu erheben; wollt Ihr nun ausgetauscht sein?«

»Wahrhaftig,« antwortete Canolles, Madame Lavie einen verliebten Blick zuwerfend, »ich schwöre Euch, es ist mein größter Wunsch, die Königin möchte nicht zu sehr eilen; sie müßte mich gegen Geld oder gegen einen guten Militär austauschen. Ich bin diese Ausgabe nicht wert und verdiene diese Ehre nicht. Ich werde warten, bis Ihre Majestät Bordeaux genommen hat, wo ich mich vortrefflich befinde; dann kann sie mich umsonst haben.«

Frau Lavie lächelte bei diesen Worten anmutvoll.

Bald bildeten sich die Partien, Canolles setzte sich zum Spiele. Frau Lavie spielte mit ihm gegen ihren Gatten, der fünfhundert Pistolen verlor.

Am andern Tage kam es aus irgend einem Grunde zu einem Volksaufstand, der sich auch gegen den Generalanwalt richtete. Als die Scheiben zerschmettert waren, fing der Pöbel an, Feuer an das Haus zu legen. Man lief nach Bränden, als Canolles mit einer Abteilung des Regiments Navailles anlangte, Frau Lavie in Sicherheit brachte und ihren Gatten einem Dutzend Wütender entriß.

Hierauf kehrte er, da eben der Zapfenstreich erklang, nach dem Schlosse Trompette zurück, wo er einen Brief vorfand, dessen Handschrift ihn erbeben ließ. Es war die Handschrift der Frau von Cambes.

Er öffnete den Brief und las: »Seid morgen gegen sechs Uhr nachmittags allein in der Karmeliterkirche und setzt Euch in den ersten Beichtstuhl rechts beim Eingange. Ihr werdet die Tür offen finden.«

»Halt!« rief Canolles, »das ist ein origineller Gedanke.«

Es war noch eine Nachschrift dabei:

»Macht kein Rühmens,« sagte diese, »daß Ihr dahin geht, wo Ihr gestern und heute gewesen seid; bedenkt wohl, Bordeaux ist keine royalistische Stadt; das Schicksal, das der Herr Generalanwalt ohne Euch erlitten haben dürfte, zeigt Euch die Gefahr.«

»Gut,« dachte Canolles, »sie ist eifersüchtig. Ich habe also, was sie auch sagen mag, recht gehabt, heute und gestern zu Herrn Lavie zu gehen.«


Elftes Kapitel.

Canolles brachte eine von den fieberhaften Nächten hin, die zugleich brennen und beruhigen, indem die Glückseligkeit das Gegengewicht der Schlaflosigkeit bildet. Obgleich er die ganze Nacht kaum ein Auge geschlossen hatte, stand er doch schon am frühen Morgen auf.

Genau zur bestimmten Stunde ging er auf den Beichtstuhl zu, den er offen fand. Durch die düstern Glasscheiben drangen die Strahlen der untergehenden Sonne; das ganze Innere des Gebäudes war durch jenes geheimnisvolle Licht erleuchtet, das so sanft ist für die Betenden und für die Liebenden. Canolles hätte ein Jahr seines Lebens gegeben, um nicht in diesem Augenblick eine Hoffnung zu verlieren.

Er schaute umher, um sich zu versichern, daß die Kirche verlassen war, durchforschte mit den Augen jede Nische; als er sich überzeugt hatte, daß ihn niemand sehen konnte, trat er in den Beichtstuhl, den er wieder hinter sich schloß.

Einen Augenblick nachher erschien Claire, selbst in einen dicken Mantel gehüllt, an der Tür, vor der sie Pompée als Wache zurückließ; nachdem sie sich ebenfalls versichert hatte, daß sie nicht Gefahr lief, man könnte sie sehen, kniete sie auf einen Fußschemel des Beichtstuhls nieder.

»Endlich,« sagte Canolles, »endlich seid Ihr hier, Madame! Endlich habt Ihr Gnade mit mir gehabt!«

»Ich mußte wohl, da Ihr Euch in das Verderben stürztet,« erwiderte Claire, äußerst unruhig darüber, daß sie an dieser der Wahrheit geweihten Stätte eine zwar sehr unschuldige Lüge sagte, die darum aber doch eine Lüge war.

»Madame, also nur einem Gefühle des Erbarmens habe ich die Wohltat Eurer Gegenwart zu verdanken? Oh! Ihr müßt zugeben, ich hatte das Recht, etwas Besseres als dies von Euch zu erwarten.«

»Sprechen wir ernsthaft und wie es sich an einem heiligen Orte geziemt,« sagte Claire, vergebens bemüht, ihre bewegte Stimme fest klingen zu machen; »ich wiederhole, Ihr stürztet Euch ins Verderben, indem Ihr zu Herrn Lavie, dem geschworenen Feinde der Prinzessin, gingt. Gestern erfuhr es Frau von Condé von Herrn von Larochefoucault, der alles weiß, und sie sprach folgende Worte, die mich mit Schrecken erfüllten: »Wenn wir auch die Komplotte unserer Gefangenen zu befürchten haben, so müssen wir da Strenge anwenden, wo wir nachsichtig gewesen sind; in schwierigen Lagen bedarf es kräftiger Entschließungen; wir sind nicht nur bereit, solche zu fassen, sondern auch entschieden, sie auszuführen.«

Die Vicomtesse sprach diese Worte mit festerer Stimme; es schien ihr, Gott würde der guten Absicht halber die Handlung entschuldigen. Sie legte eine Art von Dämpfer auf ihr Gewissen.

»Ich bin nicht der Ritter Ihrer Hoheit, Madame, erwiderte Canolles, »ich bin der Eurige; Euch habe ich mich ergeben, Euch ganz allein; Ihr wißt unter welchen Umständen, und unter welcher Bedingung.«

»Ich glaubte nicht, es wären Bedingungen gemacht worden.«

»Nicht mit dem Munde vielleicht, aber mit dem Herzen. Ah! Madame, nach dem, was Ihr mir gesagt hattet, nach dem Glücke, das Ihr mich hattet erschauen lassen, nach den Hoffnungen, die Ihr mir gegeben! . . . Ah! Madame, gesteht offen, daß Ihr sehr grausam gewesen seid.«

»Freund,« entgegnete Claire, »ist es an Euch, mir einen Vorwurf darüber zu machen, daß ich auf Eure Ehre wie auf die meinige bedacht war? Begreift Ihr nicht, ahnt Ihr nicht, daß ich ebensoviel gelitten habe, wie Ihr, mehr als Ihr, weil ich nicht die Kraft besaß, dieses Leiden zu ertragen? Hört mich, und mögen die Worte, die aus der tiefsten Tiefe meines Herzens hervorkommen, in die Tiefe des Eurigen dringen. Freund, ich habe Euch gesagt, ich litt mehr als Ihr, denn eine Furcht quälte mich, die Ihr nicht haben konntet, denn Ihr wißt wohl, daß ich nur Euch liebe. Fühlt Ihr, wenn Ihr hier verweilt, ein Bedauern wegen deren, die nicht hier ist, und hegt Ihr in den Träumen über Eure Zukunft eine Hoffnung, die nicht mich betrifft?«

»Madame, Ihr habt an meine Offenherzigkeit appelliert, und ich will offenherzig sprechen; ja, wenn Ihr mich meinen schmerzlichen Betrachtungen überlaßt, wenn Ihr mich der Vergangenheit gegenüber allein laßt, wenn Ihr mich durch Eure Abwesenheit dazu verdammt, mit den schalen Tröpfen, die den Bürgermädchen den Hof machen, in den Spielhäusern umherzuschweifen, wenn Ihr mich mit den Augen meidet, oder mich ein Wort, eine Gebärde, einen Blick, dessen ich vielleicht unwürdig bin, so teuer erkaufen laßt, ja, dann grolle ich mir, daß ich nicht kämpfend gestorben bin, ich mache es mir zum Vorwurf, daß ich mich ergeben habe, ich fühle Gewissensbisse.«

»Gewissensbisse?« – »Ja, Madame, Gewissensbisse, denn so wahr Gott auf diesem heiligen Altar ist, vor dem ich Euch sage, daß ich Euch liebe, weint, seufzt zu dieser Stunde eine Frau, die ihr Leben für mich geben würde, und dennoch sagt sie sich, ich sei entweder ein Feiger oder ein Verräter.«

»Oh! mein Herr!«

»Allerdings, Madame; hatte sie mich nicht zu dem gemacht, was ich bin? Hatte ich ihr nicht geschworen, sie zu retten?« – »Ihr habt sie auch gerettet, wie mir scheint.«

»Ja, von den Feinden, die ihr Leben hätten martern können, aber nicht von der Verzweiflung, die ihr Herz zerreißt, wenn diese Frau erfährt, daß Ihr es seid, der ich mich ergeben habe.«

Claire neigte das Haupt und seufzte.

»Ah! Ihr liebt mich nicht,« sagte sie.

Canolles seufzte ebenfalls,

»Ich will Euch nicht in Versuchung führen,« fuhr sie fort, »ich will nicht schuld sein, daß Ihr eine Freundin verliert, der ich nicht an Wert gleich komme; doch Ihr wißt, ich liebe Euch ebenfalls; ich habe eine völlig ergebene, eine ausschließliche Liebe von Euch verlangt; ich sprach zu Euch: Ich bin frei, hier ist meine Hand; ich biete sie Euch, denn ich habe Euch niemand entgegenzusetzen, ich kenne niemand, der für mich über Euch stände.«

»Ah! Madame,« rief Canolles, »Ihr entzückt mich, Ihr macht mich zum Glücklichsten der Sterblichen!«

»Oh!« entgegnete Claire traurig, »Ihr liebt mich nicht.«

»Ich liebe Euch, ich bete Euch an, nur läßt sich nicht ausdrücken, was ich durch Euer Stillschweigen, durch Eure Zurückhaltung gelitten habe.«

»Mein Gott! Ihr Männer erratet also nichts?« erwiderte Claire, ihre schönen Augen zum Himmel aufschlagend. »Ihr habt nicht begriffen, Canolles, daß ich Euch nicht wollte eine lächerliche Rolle spielen lassen, daß man nicht etwa glauben sollte, die Übergabe der Insel Saint-George sei eine unter uns abgemachte Sache? Nein, Ihr solltet, ausgewechselt von der Königin oder von mir losgekauft, ganz mir gehören. Ach! Ihr wolltet nicht warten.«

»Oh! Madame, nun werde ich warten. Eine Stunde wie diese, ein Versprechen Eurer sanften Stimme, die mir sagt, Ihr liebt mich, und ich werde Stunden, Tage, Jahre warten . . .«

»Ihr liebt noch Fräulein von Lartigues?« versetzte Frau von Cambes, den Kopf schüttelnd.

»Madame,« antwortete Canolles, »wenn ich Euch sagte, ich hege für sie nicht eine dankbare Freundschaft, so würde ich lügen; aber glaubt mir, nehmt mich hin mit diesem Gefühle. Ich gebe Euch alles, was ich Euch an Liebe geben kann, und das ist viel.«

»Ach! ich weiß nicht, ob ich es annehmen soll, denn Ihr legt zwar ein sehr edles, aber auch ein sehr leicht der Liebe geneigtes Herz an den Tag.«

»Hört,« sagte Canolles, »ich würde sterben, um Euch eine Träne zu ersparen, und ich bringe, ohne bewegt zu werden, die zum Weinen, die Ihr ›arme Frau‹ nennt; sie hat Feinde, und die Menschen, die sie nicht kennen, verfluchen sie. Ihr habt nur Freunde, die Menschen, die Euch nicht kennen, achten Euch; die Euch kennen, lieben Euch; seht also den Unterschied dieser beiden Gefühle, von denen das eine mein Gewissen, das andere mein Herz fordert.

»Ich danke, mein Freund. Aber vielleicht folgt Ihr einer Euch fortreißenden, durch meine Gegenwart veranlaßten Bewegung, die Ihr einst bereut? Legt Eure Worte auf die Wagschale. Ich gebe Euch bis morgen Zeit, mir zu antworten. Wenn Ihr Fräulein von Lartigues etwas sagen wollt, wenn Ihr zu ihr gehen wollt . . . Ihr seid frei, Canolles, ich nehme Euch bei der Hand und führe Euch selbst aus den Toren von Bordeaux.«

»Madame,« antwortete Canolles, »es ist nicht nötig, bis morgen zu warten; ich sage Euch mit glühendem Herzen, aber mit kaltem Kopfe: Ich liebe Euch, ich liebe nur Euch, ich werde immer nur Euch lieben.«

»Ah! Dank, Dank, mein Freund,« rief Claire, indem sie das Gitter auf die Seite gleiten ließ und ihre Hand durchschob. »Euch meine Hand, Euch mein Herz.«

Canolles ergriff diese Hand und bedeckte sie mit Küssen.

»Pompée macht mir ein Zeichen, daß es Zeit sei, zu gehen,« sagte Claire; »ohne Zweifel wird man die Kirche schließen. Lebt wohl, mein Freund, oder vielmehr auf Wiedersehen. Morgen werdet Ihr erfahren, was ich für Euch, das heißt, für uns zu tun gedenke. Morgen seid Ihr glücklich, denn ich werde glücklich sein.«

Und unfähig, das Gefühl zu bemeistern, das sie zu dem jungen Manne hinriß, zog sie ebenfalls seine Hand an sich, küßte die Spitze seiner Finger, entfloh mit leichten Schritten und ließ Canolles zurück, freudig wie die Engel, deren himmlische Konzerte ein Echo in seinem Herzen zu haben schienen.


Zwölftes Kapitel.

Indessen setzten sich, wie es Nanon gesagt hatte, der König, die Königin, der Kardinal und Herr de La Meilleraye in Bewegung, um die rebellische Stadt zu bestrafen, die es gewagt hatte, offen für die Prinzen Partei zu ergreifen; sie näherten sich langsam, aber sie näherten sich.

Es wurde beschlossen, in Vayres, dessen neuen durch den Herzog von Epernon eingesetzten Gouverneurs man ganz sicher zu sein glaubte, mit kriegerischem Pomp einzuziehen.

Die Königin befahl Guitaut, dem Kapitän der königlichen Garde, die Garden, die Musketiere und die Chevauxlegers zu versammeln. Der König stieg zu Pferde und stellte sich an ihre Spitze. Mazarins Nichte und die Ehrendamen stiegen in einen Wagen.

Man brach sogleich nach Vayres auf. Die Armee folgte, und da man nur noch zehn Meilen zurückzulegen hatte, so sollte sie drei bis vier Stunden nach dem König eintreffen und sich auf dem linken Ufer der Dordogne lagern.

Der König zählte kaum zwölf Jahre und war dennoch bereits ein schmucker Reiter, der sein Pferd mit aller Anmut führte und in seiner ganzen Person jenen Rassestolz offenbarte, der in der Folge aus ihm den in Dingen der Etikette anspruchsvollsten König Europas machte.

»Eines setzt mich in Erstaunen, Herr Marschall,« sagte Mazarin, als man der Festung näher kam, zu de La Meilleraye.

»Was, Monseigneur?« – »Mir scheint, die guten Gouverneure wissen in der Regel, was um ihre Festung her vorgeht, und sie sind einem König, wenn er die Gnade hat, nach dieser Festung zu marschieren, wenigstens eine Deputation schuldig.«

»Ah! bah!« sagte die Königin, in ein schallendes, aber gezwungenes Lachen ausbrechend, »Zeremonien! Geht, das ist unnötig, die Treue ist mir lieber.«

Herr de La Meilleraye bedeckte sich das Gesicht mit seinem Taschentuche, um, wenn nicht eine Grimasse, doch wenigstens seine Lust zu verbergen, eine solche zu machen.

»Aber es rührt sich in der Tat kein Mensch,« sagte der junge König, unzufrieden über ein solches Vergessen der Regeln der Etikette.

»Sire,« erwiderte Anna von Österreich, »hier sind die Herren de La Meilleraye und Guitaut, die Euch sagen werden, daß es die erste Pflicht eines Gouverneurs, besonders in einem feindlichen Lande ist, sich aus Furcht vor einem Überfall ruhig und gedeckt hinter seinen Mauern zu halten. Seht Ihr nicht Eure Fahne auf der Zitadelle flattern?«

Und sie deutete mit Stolz auf dieses bezeichnende Emblem, das bewies, wie sehr sie in ihrer Hoffnung recht hatte.

Der Zug setzte seinen Marsch fort und entdeckte ein vorgeschobenes Werk, das erst seit einigen Tagen errichtet zu sein schien.

»Ah! ah!« sagte der Marschall, »der Gouverneur scheint in der Tat ein Mann vom Handwerk zu sein. Dieser Vorposten ist gut gewählt und die Verschanzung geschickt angelegt.«

Die Königin schaute aus dem Kutschenschlage hervor, und der König erhob sich in seinen Steigbügeln.

Eine einzige Schildwache ging auf dem Halbmonde auf und ab; sonst schien die Verschanzung so öde und stumm, wie die Zitadelle.

»Gleichviel,« sagte Mazarin, »obschon ich die militärischen Pflichten eines Gouverneurs nicht kenne, obschon ich kein Soldat bin, finde ich doch diese Art, sich gegen eine Majestät zu benehmen, sehr seltsam.«

»Rücken wir vor,« sprach der Marschall, »wir werden sehen.«

Als die kleine Truppe nur noch hundert Schritte von der Verschanzung entfernt war, blieb die Schildwache, die bis jetzt auf und ab gegangen war, still stehen. Nachdem sie einen Augenblick geschaut hatte, rief sie: »Wer da?«

»Der König!« antwortete Herr de La Meilleraye.

Bei diesem einzigen Worte erwartete Anna von Österreich, die Soldaten würden laufen, die Offiziere sich beeilen, die Brücken niederfallen, die Tore sich öffnen, die Schwerter hoch in der Luft schwingen. Aber nichts von alledem fand statt.

Die Schildwache zog ihr rechtes Bein gegen das linke zurück, kreuzte die Muskete vor den Ankommenden, und beschränkte sich darauf, mit lauter, fester Stimme »Halt!« zu rufen.

Der König erbleichte vor Zorn; Anna von Österreich biß sich die Lippen blutig; Mazarin murmelte einen in Frankreich durchaus nicht anständigen italienischen Fluch; der Marschall de La Meilleraye hatte nur einen Blick für Ihre Majestäten, aber dieser war beredt.

»Ich liebe die Vorsichtsmaßregeln für meinen Dienst,« sagte die Königin, bemüht, sich selbst zu belügen; denn trotz der scheinbaren Sicherheit ihres Gesichtes fing sie an, in ihrem Innern unruhig zu werden.

»Ich liebe die Achtung vor meiner Person,« murmelte der König, seinen verdrießlichen Blick auf die unempfindliche Schildwache heftend.

Jetzt sah man oben auf dem Walle einen Mann erscheinen, an den sich die ganze Garnison anschloß.

Dieser Mann hob seinen Kommandostab in die Höhe; sogleich schlugen die Trommler den Marsch, die Soldaten des Forts präsentierten die Gewehre, und ein Kanonenschuß erscholl ernst und feierlich.

»Seht Ihr!« sagte die Königin, »sie entsprechen ihrer Schuldigkeit; besser spät, als gar nicht. Vorwärts!«

»Verzeiht, Madame,« entgegnete der Marschall de La Meilleraye, »aber ich sehe durchaus nicht, daß sie die Tore öffnen, und wir können nur hinein, wenn die Tore offen sind.«

»Sie vergessen dies zu tun, in dem Erstaunen und der Begeisterung, worein sie dieser erhabene Besuch, den sie nicht erwarteten, versetzt hat,« erlaubte sich ein Höfling zu bemerken.

»So etwas vergißt man nicht, mein Herr,« erwiderte der Marschall.

Dann sich gegen den König und die Königin umwendend, fügte er hinzu: »Erlauben mir Ihre Majestäten, Ihnen einen Rat zu geben?« – »Sprecht, Marschall.«

»Ihre Majestäten sollten sich auf fünfhundert Schritte von hier mit Guitaut und seinen Garden zurückziehen, während ich mit den Musketieren und den Chevauxlegers den Platz rekognosziere.«

Die Königin antwortete nur: »Vorwärts! und wir werden sehen, ob man uns den Durchgang zu verweigern wagt.«

Der junge König gab entzückt seinem Pferde die Sporen und befand sich zwanzig Schritte voraus. Der Marschall und Guitaut sprengten ihm nach und holten ihn ein.

»Man kommt hier nicht durch,« sagte die Schildwache, die ihre Stellung nicht verlassen hatte.

»Es ist der König!« riefen die Pagen.

»Zurück!« schrie die Schildwache mit einer drohenden Gebärde.

Zugleich sah man über der Brustwehr die Hüte und Musketen der Soldaten erscheinen, welche die erste Verschanzung bewachten.

Ein lang anhaltendes Gemurmel empfing diese Worte und diese Erscheinung. Herr de La Meilleraye ergriff das Pferd des Königs am Zaume, ließ es umwenden und befahl zugleich dem Kutscher der Königin, zurückzufahren. Die beleidigten Majestäten zogen sich ungefähr tausend Schritte von den ersten Schanzen zurück, während sich ihr Gefolge wie eine Schar Vögel nach dem Flintenschusse des Jägers zerstreute.

Der Marschall de La Meilleraye ließ etwa fünfzig Mann zur Bewachung des Königs und der Königin zurück, sammelte den Rest der Truppe und wandte sich wieder nach den Verschanzungen. Nachdem Guitaut ein weißes Tuch geschwenkt und als Parlamentär den Gouverneur zu sprechen verlangt hatte, sagte ein bleicher, aber ruhiger und höflicher Mann: »Hier bin ich.«

»Ihr seid der Gouverneur von Vayres?« – »Ja, mein Herr.«

»Und Ihr weigert Euch, das Tor Eurer Festung Seiner Majestät dem König und der Königin-Regentin zu öffnen?« – »Zu meinem Schmerze.«

»Und was verlangt Ihr?« – »Die Freiheit der Herren Prinzen, deren Gefangenschaft das Land verheert und zu Grunde richtet.«

»Seine Majestät unterhandelt nicht mit ihren Untertanen.«

»Das wissen wir wohl; wir sind auch bereit zu sterben, im Bewußtsein, daß wir für den Dienst des Königs den Tod empfangen, obgleich es den Anschein hat, als führten wir Krieg gegen ihn.«

»Es ist gut,« sagte Guitaut, »mehr wollten wir nicht wissen.« Er kehrte darauf zum Marschall zurück und meldete den Erfolg seiner Sendung.

Der Marschall ließ sofort aus den nächsten Dörfern alle Leitern holen, einen Teil seiner Reiter absitzen und zum Sturme vorrücken. Da demaskierten sich plötzlich sechs Batterien, und eine volle Salve strich unter die Angreifer. Vier Mann sanken nieder, und zum Entsetzen der Höflinge wurde einem Pferde vor dem Wagen der Königin der Bauch aufgerissen. Der Marschall erkannte, daß er mit seinen ungenügenden Kräften die kleine wohl verteidigte Feste nicht nehmen konnte. Es wurde daher beschlossen, daß die Majestäten sich in dem kleinen weißen Hause des Herzogs von Epernon, wo früher Nanon gewohnt hatte, einquartieren und hier die Erstürmung von Vayres abwarten sollten.

Der junge König konnte seine Aufregung nicht bemeistern und die Tränen nicht unterdrücken.

»Was habt Ihr denn, Sire?« fragte die Königin.

»Oh! nichts, Madame,« antwortete das Kind; »ich werde hoffentlich eines Tags König sein . . . und dann wehe denen, die mich beleidigt haben.«

»Wie heißt der Gouverneur?« fragte die Königin.

Niemand konnte ihr antworten, niemand wußte es.

Man erkundigte sich nun bei dem Fährmann, und dieser nannte Richon.

»Es ist gut,« sagte die Königin, »ich werde mich dieses Namens erinnern.«

»Und ich auch,« rief der junge König.


Dreizehntes Kapitel.

Ungefähr hundert Mann von den königlichen Haustruppen setzten mit Ihren Majestäten über die Dordogne; der Rest blieb bei dem Marschall de La Meilleraye, der, fest entschlossen, Vayres zu belagern, die Armee, erwartete.

Kaum war die Königin in dem kleinen Hause einquartiert, das sie weit über ihre Hoffnung wohnlich fand, als Guitaut erschien, um ihr zu sagen, ein Kapitän namens Cauvignac, der behaupte, eine wichtige Angelegenheit führe ihn her, erbitte sich die Ehre einer Audienz.

Die Königin wollte den Kapitän, als sie hörte, daß er nicht ihrer Armee angehöre, nicht empfangen, erklärte sich aber auf Mazarins Rat, der meinte, gerade den Fremden, der möglicherweise ein Verräter sei, habe man jetzt am nötigsten, dazu bereit.

»Laßt ihn also eintreten, da dies die Ansicht des Herrn Kardinals ist,« sagte sie.

Der Kapitän wurde sogleich eingeführt und erschien mit so viel Ungezwungenheit und Leichtigkeit, daß die Königin, gewohnt, einen entgegengesetzten Eindruck auf die ihr Nahenden hervorzubringen, sehr darüber erstaunte.

Sie maß Cauvignac vom Kopf bis zu den Füßen; aber dieser hielt den königlichen Blick vortrefflich aus.

»Wer seid Ihr, mein Herr?« fragte die Königin.

»Der Kapitän Cauvignac,« antwortete der Eintretende.

»In wessen Dienst seid Ihr?« – »Im Dienste Eurer Majestät, wenn Sie gnädigst will.«

»Ob ich will? Allerdings. Gibt es überhaupt einen andern Dienst im Königreich? Gibt es zwei Königinnen in Frankreich?«

»Gewiß nicht, es gibt nur eine Königin in Frankreich und das ist die, der ich in diesem Augenblick meine tiefste Ehrfurcht zu Füßen zu legen das Glück habe; aber es gibt zwei Meinungen, wie es mir wenigstens vorkam.«

»Was wollt Ihr damit sagen?« fragte die Königin, die Stirn runzelnd.

»Ich will damit sagen, Madame, daß ich vor kurzem noch wahrzunehmen glaubte, daß Herr Richon Eure Majestät nicht mit aller ihr schuldigen Achtung empfing; dies zeigte mir, daß es in Frankreich zwei Meinungen gibt: die royalistische und eine andere, und daß Herr Richon zu dieser andern gehört.«

Annas Gesicht verdüsterte sich immer mehr.

»So? Ihr glaubtet dies zu sehen?« sagte sie.

»Ja, Madame,« antwortete Cauvignac mit vollkommen naivem Tone. »Ich glaube sogar zu sehen, daß ein Kanonenschuß mit einer Kugel aus der Festung abgefeuert wurde, und daß diese Kugel die Karosse Eurer Majestät verletzte.«

»Genug, mein Herr . . . Habt Ihr Euch nur von mir Audienz erbeten, um Eure albernen Bemerkungen zu machen?«

»Ah! du bist unhöflich,« sagte Cauvignac in seinem Innern; »dann sollst du teurer bezahlen.«

»Nein, Madame, ich habe mir Audienz erbeten, um Euch zu sagen, daß Ihr eine sehr große Königin seid, und daß meine Bewunderung für Euch ohnegleichen ist.«

»Ah! wirklich?« versetzte die Königin mit trockenem Tone.

»Infolgedessen habe ich beschlossen, mich ganz und gar dem Dienste Eurer Majestät zu weihen.«

»Ich danke,« sagte die Königin mit Ironie; dann wandte sie sich zu ihrem Kapitän der Garde mit den Worten: »Guitaut, man jage diesen Schwätzer hinaus!«

»Um Vergebung, Madame,« sagte Cauvignac, »ich werde gehen, ohne daß man mich hinausjagt, aber wenn ich gehe, bekommt Ihr Vayres nicht.«

Und Cauvignac verbeugte sich anmutig vor Ihrer Majestät.

»Madame,« sagte Mazarin leise, »ich glaube, Ihr habt unrecht, daß Ihr diesen Menschen fortschickt.«

»Kehrt um,« rief die Königin, »und sprecht; Ihr seid ein seltsamer Mensch und scheint mir belustigend.«

»Eure Majestät ist sehr gut,« erwiderte Cauvignac sich verbeugend.

»Was spracht Ihr vorhin von Vayres?«

Cauvignac erklärte, er habe hundertfünfzig Mann in der Festung, und diese hundertfünfzig trete er der Königin ab, worauf es ein leichtes sein werde, die Tore der Festung für die Belagerer zu öffnen. Als Preis verlange er für jeden Mann 500 Livres und dazu für sich die Stelle eines Gouverneurs von Branne. Die Königin war bereit, diese Bedingungen zu bewilligen, als Cauvignacs Forderung, sie solle sofort eine von ihm bereits entworfene Erklärung unterzeichnen, ihren Zorn aufs neue erweckte. Diese Erklärung lautete: »An dem Tage, an dem ich ohne Schwertstreich in Vayres einziehe, bezahle ich an den Herrn Cauvignac die Summe von fünfundsiebenzigtausend Livres und mache ihn zum Gouverneur von Branne.«

Sie wies dem Unverschämten die Tür, und ihr Zorn war diesmal so groß, daß sie ihn auch trotz Mazarins Mahnung nicht wieder zurückrufen ließ.

Auf Befehl der Königin sollte auch dem Heere, das soeben, vom langen Marsche ermüdet, angelangt war, nicht bis zum nächsten Tage Ruhe gegönnt, sondern der Sturm sofort begonnen werden.

So trafen der Marschall und Guitaut schleunig alle Anordnungen, die vor den Augen der Königin, des Königs und ihres ganzen Gefolges pünktlich, wenn auch naturgemäß unter vielem Lärm, vollzogen wurden. Dann trat einen Augenblick Grabesstille ein, da auch hinter den Verschanzungen, nachdem eine einzige Trommel sich gerührt hatte, alles schwieg.

Dann erscholl ein Kommando, klar, bestimmt und fest. Die Königin konnte in der Entfernung, in der sie stand, die Worte nicht hören, aber sie sah auf der Stelle die Truppen sich in Reihen formieren; sie zog ihr Taschentuch und schwang es in der Luft, während der junge König mit dem Fuße stampfte und mit fieberhafter Stimme: »Vorwärts! vorwärts!« rief.

Das Heer antwortete durch einen einzigen Schrei: »Es lebe der König!« Dann brach die Artillerie im Galopp auf, stellte sich auf eine kleine Anhöhe, und beim Klange der Trommeln, die das Zeichen zum Angriff gaben, setzten sich die Reihen in Bewegung.

Es war keine regelmäßige Belagerung, sondern eine Erstürmung. Die in der Eile von Richon errichteten Verschanzungen waren Erdwälle, so daß man keine Laufgräben zu eröffnen brauchte, sondern sogleich zum Sturm schreiten konnte. Es waren jedoch vom Kommandanten von Vayres alle Vorsichtsmaßregeln getroffen worden, und man sah, daß er mit ungewöhnlicher Geschicklichkeit alle Mittel, die ihm das Terrain bot, benutzt hatte.

Ohne Zweifel hatte es sich Richon zum Gesetz gemacht, nicht zuerst zu schießen, denn auch diesmal erwartete er die Aufforderung des königlichen Heeres; nur sah man wie beim ersten Angriff die furchtbare Reihe der Musketen sich senken, deren Feuer eine so große Verheerung unter den Haustruppen angerichtet hatte.

Zu gleicher Zeit donnerten die sechs in Batterie aufgestellten Stücke, und die Erde der Brustwehren und die Palisaden, womit diese bekränzt waren, flogen auf.

Die Antwort ließ nicht auf sich warten; die Artillerie der Verschanzungen donnerte ebenfalls und grub tiefe Lücken in die Reihen der königlichen Armee; aber auf den Ruf der Führer verschwanden diese blutigen Furchen; die Lefzen der geöffneten Wunde schlossen sich wieder, die einen Moment erschütterte Hauptkolonne setzte sich abermals in Marsch.

Nun war die Reihe an den Musketen, zu krachen und zu prasseln, während die Kanonen wieder geladen wurden.

Fünf Minuten nachher antworteten sich die beiden entgegengesetzten Geschützsalven mit einem Schusse, zwei Stürmen ähnlich, die miteinander kämpfen, zwei Donnern ähnlich, die zu gleicher Zeit hallen.

Da das Wetter ruhig war, da kein Hauch die Luft bewegte und der Rauch sich über dem Schlachtfelde aufhäufte, so verschwanden bald die Belagerten und die Belagerer in einer Wolke, die in Zwischenräumen mit einem flammenden Blitze das Artilleriefeuer zerriß.

Von Zeit zu Zeit sah man aus dieser Wolke an den hintersten Teilen des königlichen Heeres Menschen hervorkommen, die sich mühsam fortschleppten und, eine Blutspur zurücklassend, in verschiedenen Entfernungen niederstürzten.

Bald vermehrte sich die Zahl der Verwundeten, der Lärm der Kanonen und des Kleingewehrfeuers währte fort; die königliche Artillerie schoß jedoch nur noch auf den Zufall und zögernd, denn unter dem dichten Rauche konnte sie die Freunde nicht mehr von den Feinden unterscheiden.

Die Artillerie der Festung aber ließ, da sie nur Feinde vor sich hatte, ihre Schüsse furchtbarer und eiliger erschallen, als je.

Endlich stellte die königliche Artillerie ihr Feuer ganz ein; offenbar lief man Sturm und kämpfte Leib an Leib.

Es trat auf seiten der Zuschauer ein Augenblick der Bangigkeit ein, während dessen der Rauch langsam aufstieg. Man sah nun, wie die königliche Armee in Unordnung zurückgetrieben wurde und den Fuß der Wälle, mit Toten bestreut, verließ. Eine Art von Bresche war gemacht; einige ausgerissene Palisaden ließen eine Öffnung erscheinen, aber diese Öffnung war mit Männern, Piken und Musketen besetzt; und mitten aus diesen Männern ragte, mit Blut bedeckt, und dennoch ruhig und kalt, als ob er als Zuschauer der Tragödie beiwohnte, in der er soeben eine so furchtbare Rolle gespielt hatte, Richon hervor, eine Axt in der Hand haltend, die durch die Streiche, die er geführt hatte, abgestumpft war.

Ein Zauber schien diesen Mann zu beschützen, der beständig mitten im Feuer, immer in der ersten Reihe, unablässig hochaufgerichtet und entblößt stand; keine Kugel hatte ihn erreicht, keine Pike hatte ihn berührt; er war ebenso unverwundbar wie unempfindlich.

Dreimal führte der Marschall de La Meilleraye die königlichen Truppen in Person zum Sturme zurück; dreimal wurden sie unter den Augen des Königs und der Königin zurückgeschlagen.

Stille Tränen flossen über die bleichen Wangen des Königs. Anna von Österreich ballte die Fäuste und murmelte: »Oh! dieser Mensch, dieser Mensch! Wenn er je in meine Hände fällt, werde ich an ihm ein furchtbares Beispiel geben.«

Zum Glück brach die Nacht rasch und düster herein; es war wie ein Schleier, der sich über die königliche Schamröte legte. Der Marschall ließ zum Rückzug blasen.

Jetzt verließ auch Cauvignac, der von einer nahen Höhe, den Majestäten sichtbar, dem blutigen Schauspiel gefolgt war, seinen Posten und wandelte, die Hände in seinen Hosentaschen, über den Wiesengrund nach dem Hause des Meisters Biscarros.

»Madame,« sagte Mazarin, mit dem Finger auf Cauvignac deutend, »dort ist ein Mann, der Euch um ein wenig Gold alles Blut erspart hätte, das wir vergossen haben.«

»Bah!« erwiderte die Königin, »ist dies der Rat eines sparsamen Mannes, wie Ihr seid?« – »Madame, es ist wahr, ich kenne den Wert des Goldes, aber ich kenne auch den Wert des Blutes, und in diesem Augenblick ist das Blut für uns teurer, als das Gold.«

»Seid unbesorgt, das vergossene Blut wird gerächt werden. Comminges,« fügte die Königin, sich an den Leutnant ihrer Garden wendend, hinzu, »sucht Herrn de La Meilleraye auf und bringt ihn mir.«

»Und Ihr, Bernouin,« sagte der Kardinal, indem er seinem Kammerdiener Cauvignac zeigte, der nur noch ein paar Schritte vom Gasthause zum Goldenen Kalb entfernt war, »seht Ihr wohl jenen Menschen?« – »Ja, Monseigneur.«

»Wohl, holt ihn in meinem Auftrage und führt ihn in dieser Nacht insgeheim in mein Zimmer.«

* * *

Am Tage nach ihrer Zusammenkunft mit ihrem Geliebten in der Karmeliterkirche begab sich Frau von Cambes zu der Prinzessin, in der Absicht, das Versprechen zu erfüllen, das sie Canolles geleistet hatte.

Die ganze Stadt war in Bewegung; man hatte die Ankunft des Königs vor Vayres und zugleich mit dieser Ankunft die wunderbare Verteidigung Richons gemeldet, dem es gelungen war, mit fünfhundert Mann dreimal die zwölftausend Mann starke königliche Armee zurückzuschlagen. Die Frau Prinzessin hatte die Kunde unter den ersten vernommen und in ihrem Entzücken mit den Händen klatschend ausgerufen: »Oh! daß ich nicht hundert Kapitäne wie meinen tapfern Richon habe!«

Eifrig betrieb sie auf Lenets Rat die Entsendung eines Entsatzes, und es blieb Claire nichts übrig, als ihre Mitteilung und Bitte an die Prinzessin um einen Tag zu verschieben.

Ein sehr kurzes, aber sehr zärtliches Wort meldete dem teuren Gefangenen diese Zögerung. Noch schien ihm die neue Frist minder grausam, als man glauben sollte; es liegen in der Erwartung eines glücklichen Ereignisses beinahe ebensoviel süße Empfindungen, wie in dem Ereignis selbst.

Der nächste Morgen ging für die Prinzessin in Überwachung der Vorkehrungen und Einzelheiten beim Einschiffen des unter Ravaillys Führung aufbrechenden Entsatzes hin. Der Nachmittag sollte einem großen Rate gewidmet werden, der zum Zwecke hatte, womöglich die Verbindung des Herzogs von Epernon und des Marschalls de La Meilleraye zu hindern, oder wenigstens bis zu dem Augenblick zu verzögern, wo der Entsatz in Vayres wäre.

Am Abend erbat sich jedoch Claire, die Canolles nicht länger vergebens wollte harren lassen, auf den andern Tag eine Privataudienz von Frau von Condé, die ihr, wie sich denken läßt, ohne Widerstand bewilligt wurde.

Zur bestimmten Stunde erschien Claire bei der Prinzessin, von der sie mit ihrem reizendsten Lächeln empfangen wurde.

»Nun, Kleine,« sagte sie, »was gibt es denn so Ernstes, daß du dir eine geheime Privataudienz von mir erbittest, während du weißt, daß ich meinen Freunden zu jeder Stunde des Tages zur Verfügung stehe?«

»Madame,« antwortete die Vicomtesse, »inmitten des Eurer Hoheit gebührenden Glückes bitte ich Euch, ganz besonders die Augen auf Eure getreue Dienerin zu werfen, die auch ein wenig Glück nötig hat.«

»Mit dem größten Vergnügen, meine gute Claire, nie wird das Glück, das Gott dir schickt, dem gleich kommen, das ich dir wünsche. Sprich also, welche Gnade wünscht du? Liegt sie in meiner Macht, so zähle im voraus darauf, daß sie bewilligt wird.«

»Witwe, frei, und zu frei, denn diese Freiheit ist mir drückender, als mir die Sklaverei wäre,« antwortete Claire, »wünschte ich meine Vereinzelung mit einer bessern Lage zu vertauschen.«

»Das heißt, du willst dich verheiraten, nicht wahr, Kleine?« fragte die Prinzessin lachend.

»Ich glaube, ja, Madame,« antwortete Claire errötend.

»Wohl, wir wollen dir schon einen Herzog oder dergleichen aussuchen; doch, nicht wahr, du wirst das Ende dieses Krieges abwarten?« – »Ich will so wenig wie möglich warten.«

»Du sprichst, als ob deine Wahl bereits getroffen wäre.«

»Es ist in der Tat so, wie Eure Hoheit sagt.«

»Und wer ist der glückliche Sterbliche? Sprich, fürchte dich nicht.«

»Oh! Madame, entschuldigt mich, ich weiß nicht warum, aber ich zittere am ganzen Leibe.«

Die Prinzessin lächelte, nahm Claire bei der Hand, zog sie an sich und sagte: »Gutes Kind!« Dann schaute sie die Vicomtesse mit einem Ausdruck an, der ihre Verlegenheit verdoppelte, und fragte: »Kenne ich ihn?« – »Ich glaube. Eure Hoheit hat ihn mehrere Male gesehen.«

»Es bedarf nicht der Frage, ob er jung ist?« – »Achtundzwanzig Jahre.«

»Ob er von Adel ist?« – »Er ist ein guter Edelmann.«

»Ob er tapfer ist?« – »Sein Ruf ist gegründet.«

»Ob er reich ist?« – »Ich bin es.«

»Gut. Wir wollen ihn zum Obersten machen, wenn er nur Kapitän, zum Brigadier, wenn er Oberst ist. Nun brauche ich nur noch eines zu wissen,« fügte die Prinzessin hinzu.

»Was, Madame?« – »Den Namen des Glücklichen, der bereits dein Herz besitzt und bald auch die Person der schönsten Streiterin meines Heeres besitzen wird.«

So gedrängt, faßte Claire ihren ganzen Mut zusammen, um den Namen des Barons von Canolles auszusprechen, als plötzlich der Galopp eines Pferdes im Hofe erscholl, worauf man ein verworrenes Geräusch hörte, wie es beim Eintreffen wichtiger Nachrichten einzutreten pflegt. Die Prinzessin eilte an das Fenster. Ein Bote sprang, mit Schweiß und Staub bedeckt, vom Pferde und schien seiner Umgebung einzelne Umstände mitzuteilen, welche die Zuhörer immer mehr in Bestürzung versetzten. Die Prinzessin vermochte ihre Neugierde nicht mehr länger zu bewältigen, öffnete das Fenster und rief: »Laßt ihn heraufkommen!«

Der Bote – es war Ravailly selbst – schaute empor, erkannte die Prinzessin und stürzte nach der Treppe. Fünf Minuten nachher trat er, ganz mit Kot bedeckt, in das Zimmer und sprach mit zusammengeschnürter Stimme: »Verzeiht, Hoheit, daß ich in diesem Zustand vor Euch erscheine! Aber ich bringe eine furchtbare Nachricht: Vayres hat kapituliert.«

Die Prinzessin machte einen Sprung rückwärts, Claire ließ entmutigt die Arme sinken; Lenet, der hinter dem Boten eingetreten war, erbleichte.

Fünf bis sechs Personen waren, die der Prinzessin schuldige Achtung vergessend, in das Zimmer eingedrungen . . . sie blieben stumm vor Erstaunen.

»Kapituliert!« rief die Prinzessin; »und der Entsatz, den Ihr brachtet?« – »Ist zu spät gekommen, Madame. Richon ergab sich in dem Augenblick, wo wir ankamen.«

»Richon ergab sich,« rief die Prinzessin, »der Feige!«

»Madame,« sagte Lenet mit strengem Tone und ohne Schonung für den Stolz der Frau von Condé, »vergeßt nicht, daß die Ehre der Menschen in dem Worte der Fürsten liegt, wie ihr Leben in der Hand Gottes. Nennt den Tapfersten Eurer Diener nicht feig; es werden Euch sonst morgen die Treusten verlassen, wenn sie sehen, wie Ihr ihresgleichen behandelt, und Ihr werdet allein, verflucht und verloren bleiben.«

Die Prinzessin hätte am liebsten den mutigen Sprecher niedergeschmettert, aber der Ausdruck in den Gesichtern der andern hielt sie in Schranken. So nahm sie ihre Zuflucht zu dem gewöhnlichen Hilfsmittel der Schwäche; sie brach in die Klagen aus: »Ich unglückliche Fürstin, alles verläßt mich, Glück und Menschen! Ah, mein Kind, mein armes Kind, du bist verloren, wie dein Vater!«

Inzwischen ließ sich Lenet alles mitteilen, was Ravailly über die Kapitulation von Vayres hatte in Erfahrung bringen können.

»Ah! ich wußte es wohl, daß Richon kein Feiger war, Madame,« rief er.

»Und wie wißt Ihr das?« – »Weil er zwei Tage und zwei Nächte ausgehalten hat; weil er sich unter den Trümmern seines von Kugeln durchlöcherten Forts begraben haben würde, hätte sich nicht, wie es scheint, eine Kompanie von Rekruten empört und ihn zur Kapitulation gezwungen.«

»Mein Herr, er mußte eher sterben, als sich ergeben,« sagte die Prinzessin.

»Ei, Madame, stirbt man, wenn man will?« entgegnete Lenet. »Aber es ist ihm doch wenigstens das Leben zugesichert?« fügte er, sich an Ravailly wendend, hinzu.

»Ich fürchte, nein,« antwortete Ravailly. »Man sagte mir, ein Leutnant der Garnison habe unterhandelt, und so wird wohl Verrat dahinter stecken, und Richon ist bedingungslos ausgeliefert worden.«

»Ja, ja,« rief Lenet, »verraten, ausgeliefert, so ist es; ich kenne Richon und weiß, daß er nicht nur keiner Feigheit, sondern nicht einmal einer Schwäche fähig ist. Oh! Madame,« fuhr Lenet, sich an die Prinzessin wendend, fort, »ein großes Unglück schwebt über dem Haupte des armen Richon. Oh! Madame, im Namen des Himmels, schreibt an Herrn de La Meilleraye; schickt einen Boten, einen Parlamentär ab.«

»Und welchen Auftrag soll ich diesem Boten, diesem Parlamentär geben?« – »Den Auftrag, um jeden Preis den Tod eines tapferen Kapitäns zu verhindern; denn wenn Ihr Euch nicht beeilt . . . oh! ich kenne die Königin, Madame, vielleicht kommt Euer Bote schon zu spät.«

»Zu spät!« entgegnete die Prinzessin. »Haben wir keine Geiseln? Haben wir nicht in Chantilly, in Montron und sogar hier gefangene Offiziere des Königs?«

Claire stand erschrocken auf und rief: »Ah! Madame! Madame! tut, was Herr Lenet sagt; die Repressalien werden Herrn Richon nicht die Freiheit geben.«

»Es handelt sich nicht um die Freiheit, es handelt sich um das Leben,« sagte Lenet mit düsterer Hartnäckigkeit.

»Wohl,« sagte die Prinzessin, »was sie tun werden, wird man ebenfalls tun; das Gefängnis für das Gefängnis, das Schafott für das Schafott.«

Claire stieß einen Schrei aus, fiel auf die Knie und rief: »Ach! Madame, Herr Richon ist einer meiner Freunde. Ich kam, um Euch um Gnade zu bitten, und Ihr habt mir sie zu bewilligen versprochen. Wohl, ich flehe Euch an, Euer ganzes Ansehen zu gebrauchen, um Herrn Richon zu retten.«

Die Prinzessin ging an einen Tisch, nahm eine Feder und schrieb an Herrn de La Meilleraye, um sich von ihm die Auswechslung Richons gegen einen von den Offizieren, die sie gefangen hielt, nach der Wahl der Königin zu erbitten. Diesen Brief so schnell wie möglich zu überbringen, übernahm Ravailly, obwohl er vor Müdigkeit fast umzusinken glaubte.


Vierzehntes Kapitel.

Kaum war Ravailly auf einem frischen Pferde davongejagt, als ein neuer Lärm aus der Ferne ertönte und sich immer näher zog.

Frau von Condé und Lenet, die auf den Balkon getreten waren, sahen nun am Ende der Straße eine eifrige, gedrängte Menge, die Arme in die Luft werfend und mit flatternden Taschentüchern erscheinen. Jetzt verstanden sie auch deutlich die Worte: »Branne! Der Gouverneur von Branne! Der Gouverneur gefangen!«

»Ah! ah!« sagte Lenet, »der Gouverneur von Branne gefangen? Das ist gar nicht so schlimm. Es gibt uns eine Geisel, die für Richon haftet.«

»Haben wir nicht bereits den Gouverneur der Insel Saint-George?« entgegnete die Prinzessin.

Mittlerweile war die Menge immer mehr angewachsen, und der kleine etwa dreißig Mann starke Trupp, der den Gefangenen umgab, schien ihn kaum gegen die Wut der Menge schützen zu können.

»Tod! Tod!« schrie das Volk, »Tod dem Gouverneur von Branne!«

Da die Prinzessin trotz Lenets Aufforderung zögerte, etwas zur Rettung des Gefangenen zu tun, und die Soldaten dem Ansturm der Menge zu erliegen drohten, forderte Lenet selbst eine in der Nähe stehende Abteilung der Bürgergarde auf, den Soldaten beizustehen.

»Wenn dem Gefangenen ein Haar auf dem Haupte gekrümmt wird, so seid ihr mir mit euren Köpfen dafür verantwortlich,« rief er.

Bei diesen Worten stürzten zwanzig Musketiere, den besten Familien von Bordeaux angehörend, vor, durchbrachen die Menge mit Kolbenstößen und verbanden sich mit der Eskorte; es war die höchste Zeit, einige Klauen, länger und schärfer als die andern, hatten bereits Fetzen von dem blauen Rocke des Gefangenen gerissen.

»Ich danke, meine Herren,« sagte der Gefangene, »denn Ihr habt es verhindert, daß mich diese Kannibalen verschlangen; das ist sehr wohlgetan. Teufel! wenn sie die Leute nur so fressen, so werden sie eines Tages die königliche Armee, sobald sie Eure Stadt stürmt, mit Haut und Haar aufspeisen.«

Und er zuckte die Achseln und lachte.

»Ah! das ist ein Tapferer,« rief die Menge, als sie die vielleicht nur geheuchelte Ruhe des Gefangenen wahrnahm, und wiederholte dabei den Scherz, der ihrer Eitelkeit schmeichelte: »Es ist ein wahrhaft Mutiger! Er hat keine Furcht. Es lebe der Gouverneur von Branne!«

»Bei Gott, ja,« rief der Gefangene, »es lebe der Gouverneur von Branne. Es wäre mit sehr angenehm, wenn er leben könnte.«

Die Wut des Volkes verwandelte sich nun in Bewunderung, und diese Bewunderung drückte sich alsbald in kräftigen Worten aus. Es fand eine wahre Huldigung für den Gouverneur von Branne, das heißt für unsern Freund Cauvignac, statt.

Denn es war, wie unsere Leser wohl schon erraten haben, Cauvignac, der unter dem prunkhaften Namen eines Gouverneurs von Branne auf eine so traurige Weise in die Hauptstadt der Guienne einzog.

So beschützt durch seine Wachen und durch seine Geistesgegenwart, wurde der Kriegsgefangene in das Haus des Präsidenten Lalasne gebracht, und sodann vor die Prinzessin geführt.

Durch seine Geistesgegenwart und seine Redefertigkeit gelang es ihm, der Prinzessin die Meinung beizubringen, er habe trotz des gegenteiligen Anscheins nicht Verrat begangen, sondern sei nur vom Unglück verfolgt gewesen. Er habe gar nicht in der Festung geweilt und könne schon darum gar nicht seine Leute beeinflußt haben; er habe sie nur, weil er für sie von der prinzlichen Partei keine Bezahlung erhalten habe, freigeben müssen und sie nicht hindern können, sich zu verkaufen. Lenet durchschaute den gewissenlosen Glücksritter wohl, achtete aber die Tatkraft und Geschicklichkeit, mit der Cauvignac seinen Hals aus der Schlinge zog, und ließ die Prinzessin gewähren.

Diese erklärte Cauvignac wohl als Gefangenen, gab ihm aber Erlaubnis, sich gegen sein Ehrenwort ganz frei in der Stadt zu bewegen.

»Nun entfernt Euch,« sagte sie schließlich, »wir verlassen uns auf Eure Redlichkeit als Edelmann und auf Eure Ehre als Soldat.«

Cauvignac ließ sich das nicht zweimal sagen; er verbeugte sich und ging ab; aber während er, das Kinn in der Hand, die Treppe hinabstieg, sagte er bei sich: »Nun handelt es sich darum, meine hundertundfünfzig Mann für etwa hunderttausend Livres abermals an sie zu verkaufen, was gar wohl möglich ist, da der gescheite und ehrenwerte Ferguzon vollkommene Freiheit für sich und die Seinigen erhalten hat. Ich werde sicher früher oder später Gelegenheit dazu finden. Schön, schön,« fuhr er ganz getröstet fort, »ich sehe, daß ich dadurch, daß ich mich fangen ließ, kein so schlechtes Geschäft gemacht habe, wie ich anfangs glaubte.«

Nach der mannhaftesten und geschicktesten Verteidigung, wobei der Marschall bei der Erstürmung einer einzigen Schanze fünf- bis sechshundert Mann hatte opfern müssen, fiel Richon in der Tat dem Verrat zum Opfer. De La Meilleraye hatte sich entschlossen, da die kleine Festung sonst für ihn uneinnehmbar schien, eine regelmäßige Belagerung mit Laufgräben einzuleiten, als der Herzog von Epernon mit seinem Heere zu ihm stieß, wodurch die königliche Armee von zwölftausend Mann auf das doppelte anwuchs. Unter diesen Umständen wurde für den nächsten Tag ein allgemeiner Sturm festgesetzt. Als aber Richon an diesem Morgen seine Leute hinter den Schanzen aufstellte, bemerkte er zu seinem Erstaunen eine meuterische Haltung. Er rief einen der Murrenden an sich heran, und als dieser den Gehorsam verweigerte, ergriff ihn der starke, mutvolle Mann und schleuderte ihn über die Brustwehr. Da er aber bemerkte, daß weit mehr als die Hälfte seiner Soldaten, von Ferguzon durch den Hinweis auf die Größe der drohenden Gefahr unschwer aufgewiegelt, meuterisch gesinnt war, sah er, daß er verloren sei.

»Ich kann mich nicht allein verteidigen,« sagte er, »will mich aber auch nicht ergeben. Da mich meine Soldaten verlassen, so mag einer für sie unterhandeln, wie es ihm beliebt und wie es ihnen beliebt, aber dieser eine werde ich nicht sein. Wenn nur die paar Tapferen, die mir treu geblieben sind, mit dem Leben davon kommen . . . mehr verlange ich nicht. Sprecht, wer wird der Unterhändler sein?« – »Ich, mein Kommandant, wenn Ihr wollt, und wenn mich meine Gefährten mit ihrem Vertrauen beehren,« sagte Ferguzon vortretend.

»Ja, ja, der Leutnant Ferguzon! Der Leutnant Ferguzon!« riefen fünfhundert Stimmen.

»Ihr also?« sagten Richon. »Ihr könnt frei in Vayres aus und ein gehen.«

»Und Ihr habt mir keine besonderen Bedingungen zu geben, mein Kommandant?« – »Die Freiheit für meine Leute.«

»Und für Euch?« – »Nichts.«

Eine solche Verleugnung hätte verirrte Menschen zurückgebracht; aber nicht diese, die nicht nur verirrt, sondern verkauft waren.

»Ja! ja! die Freiheit für uns!« riefen sie.

»Seid unbesorgt, Kommandant,« sagte Ferguzon, »ich werde Euch in der Kapitulation nicht vergessen.«

Richon lächelte traurig, zuckte die Achseln, ging in seine Wohnung zurück und schloß sich in seinem Zimmer ein.

Ferguzon begab sich sogleich zu den Royalisten. Herr de La Meilleraye wollte jedoch nichts ohne Genehmigung der Königin tun, die Königin aber hatte, um, wie sie sagte, nicht mehr der Schmach des Heeres beizuwohnen, das kleine Haus Nanons verlassen und ihr Quartier in dem Stadthause von Libourne genommen.

Der Marschall gab deshalb Ferguzon zwei Soldaten zur Bewachung, stieg zu Pferde und eilte nach Libourne. Er fand Herrn von Mazarin, dem er eine große Neuigkeit mitzuteilen glaubte; aber bei den ersten Worten des Marschalls trat ihm der Minister mit seinem gewöhnlichen Lächeln entgegen und sagte: »Wir wissen alles, Herr Marschall, die Sache ist gestern abend in Ordnung gebracht worden. Unterhandelt mit dem Leutnant Ferguzon, aber macht Euch für Herrn Richon nur mit Eurem Worte verbindlich.«

»Wie, nur mit meinem Worte?« entgegnete der Marschall, »ist mein Wort verpfändet, so gilt es hoffentlich soviel wie eine Handschrift.«

»Tut es nur, Herr Marschall; ich habe von Seiner Heiligkeit besondere Indulgenzen, die mir gestatten, die Leute ihres Eides zu entbinden.«

»Es ist möglich,« sagte der Marschall; »aber diese Indulgenzen gehen die Marschälle von Frankreich nichts an.«

Mazarin lächelte und bedeutete dem Marschall durch ein Zeichen, er könne nach dem Lager zurückkehren.

Der Marschall kam murrend zurück, gab Ferguzon einen geschriebenen Schirmbrief für sich und seine Leute, und verpfändete sein Wort in Beziehung auf Richon. Zwei Stunden nachher, als Richon bereits von seinen Fenstern aus die Verstärkung erblickte, die ihm von Ravailly zugeführt wurde, trat man in sein Zimmer und verhaftete ihn im Namen der Königin.

Im ersten Augenblick prägte sich eine große Zufriedenheit auf dem Antlitz des tapferen Kommandanten aus: blieb er frei, so konnte ihn Frau von Condé im Verdacht des Verrats haben; war er gefangen, so bürgte diese Gefangenschaft für ihn.

In dieser Hoffnung blieb er zurück, statt sich mit den andern zu entfernen. Er wurde nach Libourne gebracht und vor die Königin geführt, die ihn hochmütig vom Scheitel bis zur Zehe maß, vor den König, der ihn mit einem wütenden Blick niederschmetterte, vor Herrn von Mazarin, der zu ihm sagte: »Ihr habt ein hohes Spiel gespielt, Herr Richon.«

»Und ich habe verloren, nicht wahr, Monseigneur? Nun fragt es sich nur noch, um was wir spielen.«

»Ich fürchte, Ihr habt um Euren Kopf gespielt,« erwiderte Mazarin.

»Man melde Herrn von Epernon, daß ihn der König sehen will,« sagte Anna von Österreich. »Dieser Mensch aber hat hier sein Urteil zu erwarten.«

Und mit stolzer Verachtung sich zurückziehend, verließ sie das Zimmer, dem König die Hand reichend und gefolgt von Mazarin und den Höflingen.

Herr von Epernon war wirklich vor einer Stunde eingetroffen, aber der verliebte Greis konnte sich nicht enthalten, vor allen andern Nanon aufzusuchen, der er aufrichtige Komplimente über das mutige Verhalten ihres vermeintlichen Bruders machte.

Nanon aber dachte nur an die Befreiung ihres Geliebten. Sie war so rasend in Canolles verliebt, daß sie den Gedanken an eine Untreue seinerseits stets ungläubig zurückwies, so oft er sich auch in ihrem Innern regte. In seiner Sorge, sie zu entfernen, hatte sie nur eine zärtliche Teilnahme erblickt; sie hielt ihn für gewaltsam gefangen, sie beweinte ihn, und sie sehnte sich nach dem Augenblick, wo sie ihn mit Hilfe des Herrn von Epernon befreien könnte. Sie war es auch, die durch zehn Briefe, die sie an den Herzog schrieb, mit aller Gewalt seine Rückkehr beschleunigt hatte, und nun bat sie ihn mit aufgehobenen Händen, ihren Bruder von der Gefangenschaft zu befreien.

»Das kommt vortrefflich,« erwiderte der Herzog, »ich habe soeben erfahren, daß der Gouverneur von Vayres sich hat gefangen nehmen lassen. Ich schicke den Gouverneur von Vayres an Frau von Condé zurück, die uns dafür Canolles gibt; das kommt im Krieg jeden Tag vor.«

»Ja, aber wird Frau von Condé Herrn von Canolles nicht höher schätzen, als einen einfachen Offizier?« – »Wohl, dann schickt man ihr statt eines Offiziers zwei, drei; kurz man ordnet die Sache so, daß Ihr zufrieden seid, meine Schönste, und wenn unser tapferer Kommandant von Saint-George nach Libourne kommt, bereiten wir ihm einen Triumph.«

Nanon war außer sich vor Freude. Wieder in den Besitz Canolles' zu gelangen, das war der glühende Traum aller ihrer Stunden. Was Herr von Epernon sagen würde, wenn er erführe, wer dieser Canolles wäre, darum kümmerte sie sich wenig. War Canolles einmal gerettet, so wollte sie ihm offen sagen, es sei ihr Geliebter, sie wollte es ganz laut aussprechen, sie wollte es aller Welt sagen!

So standen die Dinge, als der Bote der Königin eintrat.

»Seht,« sagte der Herzog, »das geht ganz erwünscht; ich begebe mich zur Königin und bringe die Auswechslungsurkunde zurück.«

»Somit kann mein Bruder hier sein? . . .« – »Vielleicht morgen.«

»Geht,« rief Nanon, »und verliert keine Minute. Oh! morgen, morgen,« fügte sie, ihre Arme mit einem bewunderungswürdigen Ausdruck des Gebetes zum Himmel erhebend, hinzu. »Morgen, Gott wolle es!«

»Ah! welch ein Herz!« murmelte Herr von Epernon, während er sich entfernte.

Als der Herzog von Epernon in das Zimmer der Königin trat, biß sich Anna von Österreich, rot vor Zorn, in ihre dicken Lippen, welche die Bewunderung ihrer Höflinge bildeten, gerade weil sie der mangelhafte Punkt ihres Gesichtes waren.

Der Herzog schaute die Königin erstaunt an; sie hatte seinen Gruß nicht erwidert und betrachtete ihn mit gerunzelter Stirn von der Höhe ihrer königlichen Majestät herab.

»Ah! ah, Ihr seid es,« sagte sie endlich, nachdem sie eine Zeit lang geschwiegen hatte; »kommt hierher, daß ich Euch mein Kompliment über die Art und Weise mache, wie Ihr die Ämter in Eurem Gouvernement besetzt.«

»Was habe ich denn getan, Madame,« fragte der Herzog voll Verwunderung, »und was ist denn geschehen?« – »Es ist zum Gouverneur von Vayres ein Mann ernannt worden, der mit seinen Kanonen nach dem König geschossen hat; . . . mehr nicht.«

»Von mir, Madame?« rief der Herzog; »Eure Majestät irrt sich offenbar. Ich habe den Gouverneur von Vayres nicht ernannt, wenigstens nicht, daß, ich wüßte. Die Ernennung Richons muß von den Ministern Eurer Majestät herrühren.«

»Dann unterzeichnen meine Minister Epernon,« erwiderte die Königin mit scharfem Tone.

»Wieso?« – »Allerdings, da sich diese Unterschrift auf dem Patente des Herrn Richon findet.«

»Unmöglich, Madame,« entgegnete der Herzog.

Die Königin zuckte die Achseln. – »Unmöglich!« sagte sie. »Wohl, so lest.«

Und sie nahm ein auf dem Tische liegendes Patent und gab es dem Herzog.

Herr von Epernon ergriff das Patent, durchlief es mit gierigen Blicken, untersuchte jede Falte des Papiers, jedes Wort, jeden Buchstaben und war ganz bestürzt; eine furchtbare Erinnerung durchzuckte seinen Geist.

»Kann ich diesen Herrn Richon sehen?« fragte er.

»Nichts leichter,« antwortete die Königin; »ich habe ihn in dem Zimmer nebenan warten lassen, um Euch dieses Vergnügen zu bereiten.«

»Man führe den Elenden herein,« rief sie den Wachen zu.

Die Wachen gingen hinaus, und einen Augenblick nachher wurde Richon mit gebundenen Händen eingeführt. Der Herzog schritt auf ihn zu und heftete auf den Gefangenen einen Blick, den dieser mit seiner gewöhnlichen Würde aushielt.

»Legt ihm einen Mantel auf die Schultern, bindet ihm eine Maske vor das Gesicht,« sagte der Herzog, »und gebt mir eine angezündete Kerze.«

Sofort vollzog man die zwei ersten Befehle und brachte die Kerze. Der Herzog näherte das Patent dem Lichte, und bei der Wärme der Flamme erschien ein mit sympathetischer Tinte unter die Unterschrift gezeichnetes doppeltes Kreuz auf dem Papier.

Bei diesem Anblick erheiterte sich die Stirn des Herzogs, und er rief: »Madame, dieses Patent ist allerdings von mir unterzeichnet, aber es war weder für Herrn Richon, noch für einen andern bestimmt, sondern ist mir von diesem Menschen betrügerisch abgerungen worden; doch ehe ich dieses Blankett aus den Händen gab, hatte ich auf das Papier ein Zeichen gemacht, das Eure Majestät darauf sehen kann, und dieses Zeichen dient als schlagender Beweis gegen den Schuldigen. Schaut!«

Die Königin nahm gierig das Papier und beschaute es, während ihr der Herzog die Marke mit dem Ende des Fingers zeigte.

»Ich verstehe kein Wort von der Anschuldigung, die Ihr gegen mich vorbringt,« sagte Richon ganz einfach.

»Wie,« rief der Herzog, »Ihr wart nicht der verlarvte Mann, dem ich dieses Papier auf der Dordogne zugestellt habe?« – »Ich habe vor diesem Tage nie mit Eurer Herrlichkeit gesprochen,« antwortete Richon mit kaltem Tone.

»Wart Ihr es nicht, so war es ein von Euch abgesandter Mann, der an Eurer Stelle erschien.«

»Es würde mir nichts nützen, wollte ich die Wahrheit verbergen,« sagte Richon stets mit derselben Ruhe; »dieses Patent, Herr Herzog, habe ich von der Frau Prinzessin von Condé aus den Händen des Herrn Herzogs von Larochefoucault erhalten; es war mit meinem Namen und Vornamen von Herrn Lenet, dessen Handschrift Ihr vielleicht kennt, ausgefüllt. Wie das Patent in die Hände der Frau Prinzessin gelangte, ist mir völlig unbekannt, kümmert mich sehr wenig und geht mich nichts an.«

»Ah! Ihr glaubt?« versetzte der Herzog mit höhnischem Tone.

Darauf näherte er sich der Königin und erzählte ihr eine ziemlich lange Geschichte, der Anna von Österreich ihre ganze Aufmerksamkeit schenkte; es war die Mitteilung von Cauvignacs Angeberei und das Abenteuer auf der Dordogne; als Frau begriff die Königin vollkommen die Regung der Eifersucht des Herzogs.

Sobald er geendigt hatte, sagte sie: »Das ist nur eine Schändlichkeit, die noch zum Hochverrat hinzukommt; wer kein Bedenken trug, auf seinen König zu schießen, konnte auch das Geheimnis einer Frau verkaufen.«

»Man muß ihm sein Urteil fällen,« sagte die Königin. »Versammelt den Kriegsrat, wobei Ihr den Vorsitz führt, Herr Herzog von Epernon. Wählt Eure Beisitzer und dann rasch zu Werke gegangen.«

»Madame,« sagte Richon, »es ist kein Kriegsrat zu versammeln, kein Urteil zu fällen. Ich bin Gefangener auf das Wort des Herrn Marschalls de La Meilleraye; ich bin freiwilliger Gefangener, denn ich konnte Vayres mit meinen Soldaten verlassen, ich konnte vor- oder nachher fliehen und habe es nicht getan.«

»Ich verstehe mich nicht auf solche Angelegenheiten,« sagte die Königin, »habt Ihr gute Gründe, so macht sie vor den Richten geltend. Könnt Ihr hier nicht bequem Sitzung halten, Herr Herzog?«

»Ja, Madame,« antwortete dieser; und er wählte zwölf Offiziere im Vorzimmer und bildete auf der Stelle das Tribunal.

Der Prozeß wurde mit größter Beschleunigung durchgeführt, um so mehr, als Richon, der bald die Nutzlosigkeit alles Argumentierens einsah, sich in verächtliches Schweigen hüllte. Innerhalb einer Stunde war alles getan, der Referent beantragte die Todesstrafe und sämtliche Richter stimmten ihm bei.

Richon hörte das Urteil, als sei er nur Zuschauer gewesen, und wurde, immer unempfindlich und stumm, noch während der Sitzung dem Generalprofoß übergeben.

Der Herzog von Epernon begab sich zur Königin; er fand sie in vortrefflicher Laune und wurde von ihr zur Tafel geladen. Der Herzog, der sich in Ungnade glaubte, nahm die Einladung an und ging zu Nanon, um ihr von dem guten Stande der Dinge Mitteilung zu machen.

Er erzählte ihr, daß die Ernennung zum Kommandanten von Vayres mittels des ihm damals von dem Angeber erpreßten Blanketts erfolgt sei, daß man aber den Schuldigen nun in Händen habe.

»Und dieser Mensch,« fragte die erschreckte Nanon mit zitternder Stimme, »was habt Ihr mit ihm gemacht?«

»Ah! wahrhaftig,« antwortete der Herzog, »Ihr sollt selbst sehen, was wir mit ihm gemacht haben; ja,« fügte er aufstehend hinzu, »das macht sich vortrefflich, hebt diesen Vorhang auf, oder öffnet nur das Fenster; es ist ein Feind des Königs, und den kann man wohl hängen sehen.«

»Hängen!« rief Nanon, »was sagt Ihr, Herr Herzog? hängen will man ihn?«

»Ja, meine Schöne. Seht Ihr unter der Halle an jenem Balken den baumelnden Strick, seht Ihr das Volk herbeilaufen? Bemerkt Ihr die Füsiliere, die den Mann bringen, dort unten, links? Seht, der König stellt sich an sein Fenster.«

Nanons Herz hob sich in ihrer Brust und schien bis in ihre Kehle emporzusteigen; sie hatte jedoch mit einem raschen Blicke gesehen, daß der Mann, den man herbeiführte, nicht, wie sie bisher gefürchtet hatte, Cauvignac war.

»Gut, gut,« sagte der Herzog, »Herr Richon wird kurzweg gehängt, das wird den Burschen die Frauen verleumden lehren.«

»Aber,« rief Nanon, den Herzog bei der Hand ergreifend und alle ihre Kräfte zusammenraffend, »aber dieser Unglückliche ist nicht schuldig; er ist vielleicht ein tapferer Soldat; er ist am Ende ein ehrlicher Mann; Ihr laßt einen Unschuldigen ermorden.«

»Nein, nein, Ihr täuscht Euch sehr, meine, Liebe; er ist Fälscher und Verleumder. Überdies, wäre er auch rechtmäßig Gouverneur von Vayres, so bliebe er immerhin Hochverräter: und das genügte, ihm den Hals zu kosten.«

»Ah, mein Gott! mein Gott! Irgend etwas sagt mir, daß dieser Mann unschuldig ist,« rief Nanon, »und daß sein Tod allen Unglück bringen wird. Oh! Herr, in des Himmels Namen, gewährt mir die Begnadigung dieses Mannes.«

»Unmöglich, meine Teure, die Königin selbst hat ihn verurteilt, und da habe ich keine Gewalt mehr.«

Nanon stieß einen Seufzer aus, der einem Ächzen glich.

In diesem Augenblick war Richon unter der Halle angelangt; man führte ihn, der immer ruhig und schweigsam blieb, bis zu dem Balken, von dem der Strick herabhing; eine Leiter war zum voraus aufgerichtet und harrte seiner. Richon stieg diese Leiter mit festem Tritte hinauf und beherrschte mit seinem majestätischen Haupte die Menge, auf die sich sein mit kalter Verachtung bewaffneter Blick heftete. Der Profoß schlang ihm nun den Knoten um den Hals, und der Ausrufer erklärte mit lauter Stimme, der König lasse dem Sieur Etienne Richon, Fälscher, Verräter und Bauern, sein Recht widerfahren.

»Wir leben in einer Zeit,« sagte Richon, »wo es besser ist, ein Bauer zu sein, wie ich, als Marschall von Frankreich zu heißen.«

Kaum hatte er diese Worte gesprochen, als die Leiter unter ihm weggezogen wurde und sein Körper an dem unseligen Balken hin und her schwankte.

Eine allgemeine Bewegung des Schreckens zerstreute die Menge, ohne daß ein einziger Ruf: »Es lebe der König!« sich hörbar machte, obgleich jeder die Majestäten noch an ihrem Fenster sehen konnte.

»Nun,« sagte der Herzog, »ich glaube, diese Hinrichtung wird als gutes Beispiel dienen, und ich bin neugierig, was die Bordolesen tun werden, wenn sie erfahren, daß man ihre Gouverneure hängt.«

Bei diesen Worten brach Nanon bei dem Gedanken an das, was die Bordolesen tun könnten, ohnmächtig zusammen.


Fünfzehntes Kapitel.

In dem Augenblick, wo in Libourne das soeben von uns erzählte furchtbare Drama stattfand, schrieb Frau von Cambes an Canolles:

»Abermals eine Verzögerung, mein Freund. In der Minute, wo ich Euern Namen der Frau Prinzessin nennen und sie um ihre Einwilligung zu unserer Verbindung bitten wollte, kam die Nachricht von der Einnahme von Vayres, welche die Worte auf meinen Lippen in Eis verwandelte; aber ich weiß, was Ihr leiden müßt, und besitze nicht die Kraft, zugleich Euren Schmerz und den meinigen zu ertragen. Wir dürfen unser Schicksal nicht länger von den zufälligen Ereignissen dieses Krieges abhängen lassen . . . Morgen, mein Freund, morgen abend um sieben Uhr werde ich Eure Frau sein.

»Vernehmt meinen Plan; es ist höchst wesentlich, daß Ihr Euch in allen Stücken danach richtet.

»Ihr bringt den Nachmittag bei Frau von Lalasne zu. Man wird spielen; spielt wie die andern, nehmt jedoch keine Einladung zum Abendessen an; mehr, noch, wenn der Abend gekommen ist, entfernt Eure Freunde, die etwa zugegen sind. Wenn Ihr dann allein seid, werdet Ihr einen Boten eintreten sehen, der Euch bei Eurem Namen rufen wird; wer es auch sein mag, folgt ihm mit Vertrauen, denn er kommt in meinem Auftrag, und seine Sendung besteht darin, daß er Euch in die Kapelle zu führen hat, in der ich Euer harre.

»Ich wollte, es wäre in der Karmeliterkirche, mit der bereits so süße Erinnerungen für mich verknüpft sind; aber ich wage es doch nicht, dies zu hoffen; es wird übrigens doch der Fall sein, wenn man die Kirche für uns schließen will.

»In Erwartung dieser Stunde tut mit meinem Briefe, was Ihr mit meiner Hand tut, wenn ich sie Euch zu entziehen vergesse. Heute sage ich Euch auf morgen, morgen sage ich Euch auf immer.«

Canolles befand sich gerade in einem von seinen menschenfeindlichen Augenblicken, als er diesen Brief erhielt; den ganzen vorhergehenden Tag, den ganzen Morgen hatte er nichts von Frau von Cambes gesehen, obgleich er im Verlauf von vierundzwanzig Stunden vielleicht zehnmal vor ihren Fenstern vorübergegangen war. Da trat in seinem Innern die gewöhnliche Gegenwirkung des Verliebten ein. Er beschuldigte die Vicomtesse der Koketterie, er zweifelte an ihrer Liebe; er klammerte sich in Gedanken unwillkürlich wieder an Nanon, die Gute, die Ergebene, die Glühende, die sich fast eine Ehre aus dieser Liebe machte, aus der sich Claire eine Schande zu machen schien, und er seufzte, der Arme, zwischen der befriedigten Liebe, die nicht erlöschen konnte, und der begehrlichen Liebe, die sich nicht befriedigen ließ, aber der Brief der Vicomtesse entschied alles zu ihren Gunsten.

Sie lieben, von ihr geliebt sein, sie in Herz und Seele und Person besitzen, sie in voller Unabhängigkeit besitzen, denn Frau von Cambes verlangte nicht einmal von ihm, daß er seine Gesinnung der Partei, der Frau Prinzessin opfere . . . sie forderte nur Liebe von ihm, der glücklichste, der reichste Offizier der Armee des Königs werden – denn warum den Reichtum vergessen, der nichts verdirbt? – war dies nicht eine größere, wenn man so sagen darf, stolzere Seligkeit, als er sich je in seinen süßesten Träumen zu ersehnen gewagt hatte?

Canolles war so sehr mit seinem Glücke beschäftigt, daß er, als er um zwei Uhr nach dem Hause der Präsidentin über den Kai schritt, seinen Freund Ravailly nicht gewahrte, der ihm von einem Schiff auf der Garonne tausend Zeichen machte. Die glücklichen Verliebten wandern so leichten Schrittes, daß sie die Erde nicht zu berühren scheinen. Canolles war also bereits fern, als Ravailly landete.

Kaum am Ufer, gab der letztere mit kurzem Tone den Leuten im Kahne einige Befehle, und eilte nach der Wohnung der Frau von Condé.

Die Prinzessin saß bei der Tafel und ließ Ravailly auf die Meldung sofort eintreten; aber er war so bleich, sein Gesicht war so verstört, daß sie schon bei seinem Anblick vermutete, daß er ein Unglücksbote sei.

»Was gibt es, Kapitän?« sagte sie, »was ist Neues vorgefallen?« – »Entschuldigt, Madame, daß ich so vor Eurer Hoheit erscheine, aber ich dachte, die Kunde, die ich zu überbringen hätte, dürfte keinen Aufschub dulden.«

Mit bebender Stimme berichtete Ravailly von der Anklage gegen Richon, von der Einsetzung seines Kriegsgerichts und seinem schimpflichen Tode.

Als die Prinzessin diese Kunde vernahm, sprang sie von ihrem Sitze auf, als ob sie von einer unsichtbaren Feder bewegt worden wäre. Lenet stieß einen Schmerzensschrei aus. Frau von Cambes, die sich erhoben hatte, fiel auf ihren Stuhl zurück und fuhr nach ihrem Herzen, wie man es macht, wenn man eine tiefe Wunde erhalten hat; sie war ohnmächtig.

»Bringt die Vicomtesse weg,« sagte der Herzog von Larochefoucault, »wir haben in diesem Augenblick keine Zeit, uns um ohnmächtige Damen zu kümmern.«

Zwei Frauen trugen die Vicomtesse hinaus.

»Das ist eine scharfe Kriegserklärung,« sagte der Herzog unempfindlich.

»Das ist schändlich!« sagte die Prinzessin.

»Das ist grausam!« rief Lenet.

»Das ist unpolitisch!« sagte der Herzog.

»Aber ich hoffe, wir werden uns rächen und zwar auf eine nachdrückliche Weise!« rief die Prinzessin.

»Ich habe meinen Plan,« sagte Frau von Tourville, die noch nichts gesagt hatte; »Repressalien, Hoheit, Repressalien!«

»Wartet einen Augenblick, Madame,« erwiderte Lenet. »Teufel, wie rasch Ihr zu Werke geht. Die Sache ist so ernst, daß man wohl überlegen muß.«

»Nein, mein Herr, im Gegenteil, auf der Stelle,« sagte Frau von Tourville; »je schneller der König geschlagen hat, desto mehr müssen wir uns beeilen, mit demselben Schlage zu antworten.«

»Ei! Madame,« rief Lenet, »Ihr sprecht in der Tat vom Blutvergießen, als ob Ihr Königin von Frankreich wärt. Sagt Eure Meinung wenigstens erst, wenn Ihre Hoheit Euch darum fragt.«

»Madame hat recht,« rief der Kapitän der Garden, »Repressalien, so lautet das Kriegsgesetz.«

»Hört,« versetzte der Herzog von Larochefoucault, stets ruhig und unempfindlich, »wir wollen die Zeit nicht mit Worten verlieren. Die Nachricht wird die Stadt durchlaufen, und in einer Stunde vermögen wir weder mehr die Ereignisse, noch die Leidenschaften, noch die Menschen zu beherrschen. Die erste Sorge Eurer Hoheit muß es sein, eine so feste Stellung zu nehmen, daß man sie für unerschütterlich hält.«

»Wohl,« erwiderte die Prinzessin, »ich übertrage Euch diese Sorge, Herr Herzog, und verlasse mich ganz und gar darauf, daß Ihr meine Ehre und Eure Zuneigung rächen werdet, denn ehe Richon in meinen Dienst trat, war er in dem Eurigen; ich erhielt ihn von Euch, und Ihr übergabt ihn mir mehr als einen Eurer Freunde, denn als einen Eurer Diener.«

»Seid unbesorgt,« sagte der Herzog, »ich werde mich dessen, was ich Euch, mir und diesem armen Toten schuldig bin, wohl erinnern.«

Er näherte sich dem Kapitän der Garden und sprach lange ganz leise mit ihm, während sich die Prinzessin, Frau von Tourville und Lenet, der sich voll Schmerz an die Brust schlug, entfernten.

Die Vicomtesse war an der Tür. Als sie wieder zu sich kam, war ihr erster Gedanke, zu Frau von Condé zurückzukehren; Claire traf sie auf dem Wege, aber mit einem so strengen Gesicht, daß sie sie nicht persönlich zu fragen wagte.

»Mein Gott! mein Gott! was wird man machen?« lief die Vicomtesse schüchtern und wie zum Gebete die Hände faltend.

»Man wird sich rächen,« antwortete Frau von Tourville mit Majestät.

»Sich rächen! und wie?« fragte Claire.

Frau von Tourville ging weiter, ohne sich zu einer Antwort herbeizulassen.

»Sich rächen!« wiederholte Claire. »Oh! Herr Lenet, was will sie damit sagen?«

»Madame,« antwortete Lenet, »wenn Ihr einigen Einfluß auf die Prinzessin habt, gebraucht ihn, daß sie nicht unter dem Namen von Repressalien einen furchtbaren Mord begeht.«

Und er ging ebenfalls vorüber und ließ Claire ganz erschrocken zurück.

In diesem Augenblick ergriff Frau von Cambes die Erinnerung an den geliebten Mann so stark, daß sie nicht widerstehen konnte; sie hörte in ihrem Herzen gleichsam eine traurige Stimme von dem abwesenden Freunde sprechen; sie stieg mit voller Hast in ihre Wohnung hinauf, begann rasch sich anzukleiden, um zu dem Stelldichein zu gehen, als sie wahrnahm, daß es erst in drei bis vier Stunden statthaben sollte.

Canolles hatte sich inzwischen der ihm von der Vicomtesse gegebenen Vorschrift gemäß bei Frau von Lalasne eingefunden. Es war der Geburtstag des Präsidenten, und man gab ihm eine Art von Fest. Da man gerade in der schönsten Jahreszeit war, versammelte sich die ganze Gesellschaft im Garten, wo man auf einem großen Rasen ein Ringspiel eingerichtet hatte. Canolles, der eine außerordentliche Gewandtheit und sehr viel Anmut besaß, nahm sogleich am Spiele teil und fesselte mit seiner Geschicklichkeit den Sieg beständig an seine Seite.

Die Damen lachten über die Ungeschicklichkeit seiner Nebenbuhler und bewunderten seine Gewandtheit; bei jedem neuen Schlag, den er tat, erschollen lange, anhaltende Bravos, die Taschentücher flatterten in der Luft.

Doch das befriedigte Canolles nur wenig. Je näher die erwartete Stunde kam, desto häufiger wandten sich seine Blicke nach dem Gitter, durch das die Gäste aus und ein gingen, und durch das natürlich auch der verheißene Bote kommen mußte.

Plötzlich bemerkte er, daß sich da und dort unter den Versammelten Gruppen bildeten, leise miteinander sprachen und ihn mit einer seltsamen, wie es schien, schmerzlichen Teilnahme anschauten. Anfangs schrieb er diese Teilnahme seiner Person und seiner Geschicklichkeit zu, bald aber nahm er wahr, daß etwas Schmerzliches in dieser Aufmerksamkeit lag. Lächelnd näherte er sich einer von den Gruppen; die Personen, aus denen sie bestand, suchten ebenfalls zu lächeln, aber ihr Wesen verriet eine gewisse Verlegenheit, und die, welche nicht mit Canolles sprachen, entfernten sich.

Canolles wandte sich um; er sah, daß nach und nach alle Gäste verschwanden. Es war, als hätte sich plötzlich eine unselige Kunde in der Versammlung verbreitet und alles mit Schrecken und Schauder erfüllt. Der Präsident Lalasne ging, eine Hand am Kinn, die andere auf der Brust, mit finsterer Miene hinter ihm hin und her. Die Präsidentin, die ihre Schwester am Arm hielt, benutzte einen Augenblick, wo sie niemand sehen konnte, machte einen Schritt auf Canolles zu und sagte, ohne das Wort an irgend jemand zu richten, mit einem Tone, der die Seele des jungen Mannes im höchsten Grade in Unruhe versetzte: »Wäre ich Kriegsgefangener, selbst auf Ehrenwort, so würde ich aus Furcht, man könnte mir gegenüber das gegebene Wort nicht halten, auf ein gutes Pferd springen und nach dem Flusse jagen; ich gäbe einem Schiffer zehn, zwanzig, hundert Louisdor, wenn es sein müßte, aber ich würde mich davonmachen.«

Canolles schaute die Frauen erstaunt an, und diese machten gleichzeitig ein Zeichen des Schreckens, das für ihn unbegreiflich blieb. Er wollte sich die Erklärung der Worte erbitten, aber sie entflohen, wie Gespenster, wobei die eine den Finger auf den Mund legte, um ihm anzudeuten, er möge schweigen, während die andere den Arm emporhob, um ihm zu bezeichnen, er möge fliehen.

Zn diesem Augenblick erscholl der Name Canolles am Gitter.

Der junge Mann bebte am ganzen Leibe. Dieser Name sollte von dem Boten von Frau von Cambes ausgesprochen werden. Er stürzte nach dem Gitter.

»Ist der Herr Baron von Canolles hier?« fragte eine rauhe Stimme.

»Ja,« rief Canolles, nur an Claire denkend, »ja, hier bin ich!«

»Ihr seid Herr von Canolles?« sagte nun ein Sergeant, die Schwelle des Gitters überschreitend, hinter dem er gestanden hatte.

»Ja, mein Herr.«

»Der Gouverneur der Insel Saint-George?« – »Ja.«

»Der Exkapitän vom Regiment Navailles?« – »Ja.«

Der Sergeant wandte sich um, machte ein Zeichen, und vier hinter einem Wagen verborgene Soldaten rückten sogleich vor. Der Wagen selbst fuhr so nahe heran, daß sein Fußtritt die Schwelle des Gitters berührte; der Sergeant forderte Canolles auf, einzusteigen. Der junge Mann schaute umher, er war ganz allein und sah nur in der Ferne unter den Bäumen, wie zwei Schatten, Frau von Lalasne und ihre Schwester, die ihn, aneinander angelehnt, voll Mitleid zu betrachten schienen.

»Bei Gott!« sagte Canolles zu sich selbst, denn er begriff durchaus nicht, was vorging, »bei Gott! Frau von Cambes hat da ein seltsames Geleit gewählt. Aber,« fügte er, über seine eigenen Gedanken lächelnd, hinzu, »wir wollen in Beziehung auf die Wahl der Mittel nicht heikel sein.«

»Wir warten auf Euch, Kommandant,« sagte der Sergeant.

»Verzeiht, meine Herren, hier bin ich,« erwiderte Canolles und stieg in den Wagen. Der Sergeant und zwei Soldaten stiegen mit ihm ein; die anderen setzten sich, der eine neben den Kutscher, der andere hinten auf, und die plumpe Maschine entfernte sich so schnell, als zwei kräftige Pferde sie fortziehen konnten.

Das alles war sonderbar und fing an Canolles zu denken zu geben; er wandte sich auch an den Sergeanten und fragte: »Nun, da wir allein sind, mein Herr, könnt Ihr mir wohl sagen, wohin Ihr mich führt?«

»Zuerst ins Gefängnis,« antwortete der Mann, an den die Frage gerichtet war.

Canolles schaute den Mann äußerst erstaunt an und entgegnete: »Wie, ins Gefängnis? Kommt Ihr nicht im Auftrage einer Frau?« – »Allerdings.«

»Und diese Frau ist nicht die Vicomtesse von Cambes?« – »Nein, mein Herr, die Frau Prinzessin von Condé.«

»Die Frau Prinzessin von Condé!« rief Canolles.

»Armer junger Mann!« murmelte eine Frau, die eben vorüberging, und machte das Zeichen des Kreuzes.

Canolles fühlte, wie ein jäher Schauer seine Adern durchlief.

Etwas entfernter blieb ein Mann, der mit einer Pike in der Hand auf der Straße einherschritt, plötzlich still stehen, als er den Wagen und die Soldaten erblickte. Canolles neigte sich heraus; ohne Zweifel erkannte ihn dieser Mann, denn er zeigte ihm die Faust mit einem drohenden, wütenden Ausdruck.

»Oh! sie sind wahre Narren in Eurer Stadt,« sagte Canolles, indem er noch zu lächeln versuchte; »bin ich denn seit einer Stunde ein Gegenstand des Mitleids oder des Hasses geworden, daß mich die einen beklagen und die andern bedrohen?«

»Oh, mein Herr,« antwortete der Sergeant, »die, welche Euch beklagen, haben nicht unrecht, und die, welche Euch bedrohen, könnten wohl recht haben.«

»Wenn ich nur wenigstens verstände . . .«

»Ihr werdet sogleich verstehen,« erwiderte der Sergeant.

Man langte vor dem Tore des Gefängnisses an und ließ Canolles mitten unter dem Volke, das sich zu versammeln anfing, aussteigen. Nur hieß man ihn, statt ihn in sein gewöhnliches Zimmer zu führen, in einen mit Wachen gefüllten Kerker hinabgehen.

»Ich muß doch am Ende erfahren, woran ich mich zu halten habe,« sagte Canolles zu sich selbst.

Er zog daher zwei Louisdor aus der Tasche, näherte sich einem Soldaten und drückte sie ihm in die Hand.

»Nimm, mein Freund,« sagte Canolles, als er nichts annehmen wollte, zu ihm, »denn die Frage, die ich an dich richten will, kann dich in keiner Beziehung gefährden.«

»So sprecht, Kommandant,« erwiderte der Soldat und steckte vorläufig die zwei Louisdor in die Tasche.

»Nun, ich möchte gern die Ursache meiner plötzlichen Verhaftung erfahren.«

»Wißt Ihr denn nichts von dem Tode des armen Herrn Richon?«

»Richon ist tot!« rief Canolles und stieß einen Schrei des tiefsten Schmerzes aus, denn man erinnert sich, daß sie eine innige Freundschaft verband. »Mein Gott! Ist er erschossen worden?«

»Nein, mein Kommandant, man hat ihn gehängt.«

»Gehängt!« murmelte Canolles erbleichend und die Hände faltend; und er schaute seine düstere Umgebung und die wilde Miene seiner Wächter an und fügte hinzu: »Gehängt! Teufel! das könnte wohl meine Heirat auf unbestimmte Zeit vertagen!«


Sechzehntes Kapitel.

Frau von Cambes hatte ihre Toilette, eine einfache, reizende Toilette, beendigt; sie warf eine Art von Mantel über ihre Schultern und machte Pompée ein Zeichen, ihr voranzugehen; es war beinahe Nacht, und da sie zu Fuße weniger bemerkt zu werden glaubte, als in einer Karosse, hatte sie Befehl gegeben, ihren Wagen am Ausgang der Karmeliterkirche in der Nähe einer Kapelle warten zu lassen, in der sie getraut werden sollte. Pompée stieg die Treppe hinab, und die Vicomtesse folgte ihm.

Unten an der Treppe, als die Vicomtesse an dem Saale hinschritt, in dem ein gewaltiger Lärm herrschte, begegnete sie Frau von Tourville, die den Herzog von Larochefoucault, sich eifrig mit ihm besprechend, nach dem Kabinett der Prinzessin fortzog.

»Oh! ich bitte, Madame, nur ein Wort,« sagte sie: »was hat man beschlossen?«

»Mein Plan ist angenommen,« rief Frau von Tourville triumphierend.

»Und worin bestand Euer Plan, Madame? ich kenne ihn nicht.«

»Die Repressalien, meine Liebe, die Repressalien!«

»Verzeiht, Madame, aber ich bin unglücklicherweise nicht so mit den Kriegsausdrücken vertraut, wie Ihr; was versteht Ihr unter Repressalien?« – »Das ist ganz einfach, liebes Kind.«

»So erklärt Euch doch.«

»Nicht wahr, sie haben einen Offizier der Herren Prinzen gehängt?« – »Ja; nun?«

»Nun, wir wollen in Bordeaux einen Offizier der königlichen Armee suchen und ihn ebenfalls aufhängen.«

»Großer Gott!« rief Frau von Cambes erschrocken, »was sagt Ihr da, Madame?«

»Herr Herzog,« fuhr die Witwe fort, ohne daß es schien, als bemerkte sie Claires Schrecken, »hat man nicht bereits den Gouverneur verhaftet, der auf Saint-George kommandierte?«

»Ja, Madame,« antwortete der Herzog.

»Herr von Canolles ist verhaftet?« rief Claire.

»Ja, Madame,« erwiderte der Herzog mit kaltem Tone; »Canolles ist verhaftet oder wird es werden; der Befehl ist in meiner Gegenwart gegeben worden, und ich habe die mit der Ausführung beauftragten Leute abgehen sehen.«

»Man wußte also, wo er war?« fragte Claire mit einer letzten Hoffnung.

»Er war in dem kleinen Hause unseres Wirtes, des Herrn Präsidenten Lalasne, wo er, wie man mir sagt, mit großem Erfolg das Ringspiel betrieb.«

Claire stieß einen Schrei aus; Frau von Tourville wandte sich erstaunt um; der Herzog schaute die junge Frau mit unmerklichem Lächeln an.

»Herr von Canolles ist verhaftet!« sagte die Vicomtesse; »mein Gott, was hat er denn getan, was hat er mit dem furchtbaren Ereignis zu tun, das uns trostlos macht?«

»Was er damit zu tun hat? Alles, meine Liebe. Ist er nicht ein Gouverneur wie Richon?«

Claire wollte sprechen, aber ihr Herz schnürte sich dergestalt zusammen, daß das Wort auf ihren Lippen zu Eis würde. Den Herzog beim Arm fassend und ihn voll Schrecken anschauend, gelang es ihr jedoch zu murmeln: »Oh! nicht wahr, Herr Herzog, das ist nur eine Finte, nur ein Schein, und weiter nichts? Man kann doch einem Gefangenen auf Ehrenwort nichts tun?«

»Madame, Richon war ebenfalls Gefangener auf Ehrenwort.«

»Herr Herzog, ich flehe Euch an . . .«

»Erspart Euch die Bitten, Madame, sie sind fruchtlos. Ich vermag nichts in dieser Angelegenheit, der Rat allein wird entscheiden.«

Claire ließ Herrn von Larochefoucaults Arm los und lief geradenweges in das Kabinett der Frau von Condé, Lenet ging bleich und bewegt mit großen Schritten auf und ab; Frau von Condé sprach mit dem Herzog von Bouillon.

Frau von Cambes schlich sich, leicht und bleich wie ein Schatten, zu der Prinzessin.

»Oh! Madame, im Namen des Himmels, eine Unterredung von einer Sekunde, ich flehe Euch an.«

»Ah, du bist es, Kleine; ich habe in diesem Augenblick keine Muße dazu,« antwortete die Prinzessin; »aber nach dem Rate gehöre ich ganz dir.«

»Madame, Madame, gerade vor dem Rate muß ich Euch sprechen.«

Die Prinzessin war auf dem Punkte, nachzugeben, als eine Tür, der gegenüber, durch welche die Vicomtesse eingetreten war, sich öffnete und Herr von Larochefoucault erschien.

»Madame,« sagte er, »der Rat ist versammelt und erwartet ungeduldig Eure Hoheit.«

»Du siehst, Kleine,« sagte Frau von Condé, »es ist mir in diesem Augenblick unmöglich, dich zu hören; aber komm mit uns in den Rat, und wenn er beendigt ist, gehen wir miteinander und plaudern.«

Es gab für Claire kein Mittel, auf ihrer Bitte zu beharren. Durch die furchtbare Geschwindigkeit, mit der die Ereignisse sich entwickelten, fing die arme Frau an, von einem Schwindel befallen zu werden; sie befragte alle Blicke, sie deutete sich alle Gebärden, ohne etwas zu sehen, ohne zu begreifen, worum es sich handele, ohne daß ihre Tatkraft sie diesem furchtbaren Traume zu entziehen vermochte.

Die Prinzessin begab sich in den Saal. Claire folgte ihr mechanisch, ohne zu bemerken, daß Lenet ihre eisige Hand gefaßt hatte, die sie wie ein Leichnam herabhängen ließ.

Man trat in das Ratszimmer; es mochte ungefähr acht Uhr abends sein.

Der Versammlungsort war ein weiter düsterer Saal. Eine Art von Estrade war zwischen den beiden Türen errichtet worden, die den zwei Fenstern gegenüber lagen, durch die der letzte Schimmer des verscheidenden Tages eindrang. Auf dieser Estrade standen zwei Lehnstühle, der eine für Frau von Condé, der andere für den Herzog von Enghien. Von jeder Seite dieser Lehnstühle ging eine Reihe von Tabourets aus, welche für die Frauen bestimmt waren, die den Geheimrat Ihrer Hoheit bildeten. Alle anderen Richter mußten sich auf die zu diesem Zwecke aufgestellten Bänke setzen. Der Herzog von Bouillon stützte sich auf den Lehnstuhl der Frau Prinzessin, der Herzog von Larochefoucault auf den des kleinen Prinzen.

Lenet setzte sich dem Gerichtsschreiber gegenüber; neben ihm stand, zitternd und völlig verwirrt, Frau von Cambes.

Es traten sechs Offiziere der Armee Condés, sechs Offiziere vom städtischen Heere, und sechs Schöffen ein und nahmen ihre Plätze auf den Bänken.

Zwei Kandelaber, jeder drei Kerzen tragend, beleuchteten allein diese improvisierte Versammlung; sie standen auf einem Tische vor der Frau Prinzessin und setzten die Hauptgruppe ins Licht, während die übrigen Anwesenden allmählich sich mit dem Schatten vermischten, je mehr sie sich von dem schwachen Mittelpunkte der Helle entfernten.

Soldaten des prinzlichen Heeres bewachten, die Hellebarde in der Hand, die Eingänge.

Man hörte außen den Lärm der brüllenden Menge. Der Schreiber rief die Namen auf, jeder erhob sich, sobald die Reihe an ihn kam, und antwortete.

Dann setzte der Berichterstatter die Angelegenheit auseinander; er erzählte die Einnahme von Vayres, den Wortbruch von Herrn de La Meilleraye, den entehrenden Tod Richons.

Ein besonders dazu aufgestellter Offizier, der zum voraus hierzu Befehl erhalten hatte, öffnete in diesem Augenblick ein Fenster, und es drang ein wahrer Strom von Stimmen ein, welche riefen: »Rache für den tapferen Richon! Tod den Mazarinern!«

So bezeichnete man die Royalisten.

»Ihr hört, was die Stimme des Volkes verlangt,« sagte Herr von Larochefoucault. »In zwei Stunden wird sich dieses Volk selbst Gerechtigkeit verschafft haben. Urteilen wir also, meine Herren, und zwar ohne Verzug.«

Die Prinzessin stand auf und rief: »Und warum urteilen? Wozu ein Urteil? Ihr habt das Urteil soeben vernommen, das Volk von Bordeaux hat es gesprochen.«

»In der Tat,« sagte Frau von Tourville, »nichts ist einfacher, als die Lage der Dinge. Es ist die Strafe der Wiedervergeltung, und nichts anderes. Das müßte sich ohne weiteres von Profoß zu Profoß abmachen.«

Lenet konnte nicht länger zuhören; er sprang von seinem Platze aus mitten in den Kreis und rief:

»Ah! kein Wort mehr, ich bitte Euch, Madame, denn eine solche Ansicht wäre zu unheilvoll. Ihr vergeßt, daß selbst die königliche Gewalt, als sie auf eine schändliche Weise strafte, die Achtung vor den gesetzlichen Formen wahrte und die Strafe durch einen Spruch von Richtern bestätigen ließ.«

»Ah! ich darf nur ein Wort aussprechen, und Herr Lenet ist sicher der entgegengesetzten Meinung,« erwiderte Frau von Tourville. »Leider steht diesmal meine Meinung im Einklang mit der Ihrer Hoheit.«

»Ja, leider,« sagte Lenet.

»Mein Herr! . . .« rief die Prinzessin.

»Ei! Madame, wahrt wenigstens den Schein,« entgegnete Lenet; »wird es Euch nicht immer freistehen, zu verurteilen?«

»Herr Lenet hat recht,« sagte der Herzog von Larochefoucault; »der Tod eines Menschen ist eine zu ernste Sache, besonders unter solchen Umständen, als daß wir die Verantwortlichkeit auf einem Haupte lasten lassen dürften, und wäre es auch ein fürstliches Haupt.«

Dann sich an das Ohr der Prinzessin neigend, sagte er so, daß es nur die Gruppe der Vertrauten allein hören konnte: »Madame, vernehmt die Meinung aller, und behaltet zur Urteilsprechung nur die, deren Ihr sicher seid. Auf diese Art haben wir nicht zu befürchten, unsere Rache könnte uns entgehen.«

»Einen Augenblick,« sagte Herr von Bouillon, sich auf seinen Stock stützend und sein gichtisches Bein aufhebend, »Ihr habt davon gesprochen, man solle die Verantwortlichkeit von dem Haupte der Prinzessin entfernen; ich weise sie nicht zurück, aber ich verlange, daß die übrigen sie mit mir teilen. Ich will nichts anderes, als fortwährend Rebell sein, doch in Gesellschaft, mit der Frau Prinzessin einerseits und dem Volke andererseits. Teufel! man soll mich nicht vereinzeln. Ich habe meine Souveränität in Sedan über einem Spaße dieser Art verloren. Damals hatte ich eine Stadt und einen Kopf. Der Kardinal von Richelieu nahm meine Stadt; heute habe ich nur noch einen Kopf, und es gelüstet mich nicht, mir diesen vom Kardinal Mazarin nehmen zu lassen. Ich verlange daher die Herren Notabeln von Bordeaux als Beisitzer.«

»Solche Unterschriften neben den unsern!« murmelte die Prinzessin, »Pfui!«

»Der Pflock hält den Balken, Madame,« erwiderte der Herzog von Bouillon.

»Ist das Eure Ansicht, meine Herren?«

»Ja,« antwortete der Herzog von Larochefoucault.

»Und Ihr, Lenet?«

»Madame,« sagte Lenet, »ich bin glücklicherweise weder Prinz, noch Herzog, noch Offizier, noch Schöffe. Ich habe also das Recht, mich jeden Ausspruchs zu enthalten, und enthalte mich.«

Da erhob sich die Prinzessin und ermahnte die Versammlung, die sie berufen hatte, die königliche Aufforderung durch einen kräftigen Akt zu erwidern. Kaum hatte sie ihre Rede geendigt, als sich das Fenster abermals öffnete und man zum zweiten Male tausend Stimmen wie mit einem Munde schreien hörte: »Es lebe die Frau Prinzessin! Rache für Richon! Tod den Epernonisten und Mazarinern!«

Frau von Cambes faßte Lenet beim Arm und sagte: »Herr Lenet, ich sterbe.«

»Die Frau Vicomtesse von Cambes bittet Ihre Hoheit um Erlaubnis, sich entfernen zu dürfen,« sprach Lenet.

»Nein, nein,« versetzte Claire, »ich will . . .«

»Euer Platz ist nicht hier, Madame,« unterbrach sie Lenet, »Ihr vermögt nichts für ihn, ich werde Euch alles mitteilen, und wir werden ihn zu retten suchen.«

»Die Vicomtesse mag sich entfernen,« sagte die Prinzessin. »Den Damen, die der Sitzung nicht beiwohnen wollen, steht es frei, ihr zu folgen. Wir wollen nur Männer hier.«

Keine von den Frauen rührte sich, nur Frau von Cambes entfernte sich, unterstützt von Lenet. Auf der Treppe begegnete sie Pompée, den sie auf Erkundigung ausgeschickt hatte.

»Nun?« fragte sie.

»Nun!« antwortete er, »er ist verhaftet.«

»Herr Lenet,« sagte Claire, »ich habe nur noch Vertrauen zu Euch und hoffe nur noch auf Gott!«.

Und sie kehrte völlig niedergeschmettert in ihr Zimmer zurück.

Inzwischen gab die Prinzessin Befehl, die beiden Gefangenen, die im Range Richon gleichständen, dem Kriegsgericht vorzuführen und zwar zuerst den Gouverneur von Saint-George und sodann den von Branne.

Während in dem Saale, wo das Gericht tagte, ein erwartungs- und schreckensvolles Schweigen herrschte, machte Lenet einen letzten vergeblichen Versuch, die Prinzessin durch den Hinweis auf die möglichen Folgen für die Zukunft ihres Hauses zur Milde zu bewegen. Dann wandte er sich an den Herzog von Larochefoucault mit den Worten: »Herr Herzog, Ihr, der auf so hoher philosophischer Warte über den gewöhnlichen menschlichen Leidenschaften steht, werdet doch zur Mäßigung raten?«

»Oh,« antwortete der Herzog heuchlerisch, »ich diskutiere die Sache in diesem Augenblick mit meiner Vernunft.«

»Beratet sie mit Eurem Gewissen, Herr Herzog, das wird besser sein!« entgegnete Lenet.

In dieser Sekunde vernahm man ein dumpfes Geräusch. Bald erschollen Tritte auf der Treppe, die Hellebarden klirrten auf den Steinplatten, die Tür wurde geöffnet, und Canolles erschien.

Nie hatte er so zierlich ausgesehen, nie war er so hübsch gewesen; sein heiteres Antlitz hatte die purpurne Blüte der Freude und der Unwissenheit beibehalten. Mit leichtem, ungezwungenem Gange trat er vor und begrüßte ehrfurchtsvoll die Prinzessin und die Herzöge.

Kurze Zeit schwieg die Prinzessin, von diesem Bilde frischer Schönheit und ritterlichen Anstands betroffen. Dann sagte sie: »Nähert Euch, mein Herr!«

Canolles gehorchte und verbeugte sich zum zweiten Male.

»Wer seid Ihr?« – »Ich bin der Baron Louis von Canolles.«

»Welchen Grad hattet Ihr im königlichen Heere?« – »Ich war Oberstleutnant.«

»Wart Ihr nicht Gouverneur der Insel Saint-George?« – »Ich hatte die Ehre.«

»Ihr habt die Wahrheit gesprochen?« – »In jeder Hinsicht, Madame.«

»So unterschreibt, mein Herr,« sagte die Prinzessin und ließ ihm das Protokoll dieser Fragen und Antworten vorlegen.

Canolles nahm die Feder und unterschrieb lächelnd.

»Es ist gut, mein Herr,« sagte die Prinzessin. »Ihr könnt Euch nun zurückziehen.«

Canolles grüßte abermals seine edlen Richter und entfernte sich mit derselben Ungezwungenheit und Anmut.

Kaum hatte sich die Tür wieder hinter ihm geschlossen, als die Prinzessin aufstand und rasch fragte: »Nun, meine Herren?«

»Nun, Madame, stimmen wir ab,« sagte der Herzog von Larochefoucault.

»Stimmen wir ab,« wiederholte der Herzog von Bouillon.

Da erscholl mit Festigkeit und Nachdruck eine laute Stimme:

»Im Namen des Königs und besonders im Namen der Menschheit verlange ich, André Lavie, königlicher Anwalt und Parlamentsrat, für die in Bordeaux auf Ehrenwort zurückgehaltenen Gefangenen Privilegium und Sicherheit. Demzufolge spreche ich meine Meinung dahin aus . . .«

»Oh! oh! Herr Advokat,« entgegnete die Prinzessin, die Stirn faltend, »ich bitte, keinen Prozeßstil in meiner Gegenwart, den verstehe ich nicht. Die Sache, die uns beschäftigt, ist kein schmutziger, ärgerlicher Rechtsstreit; das wird wohl jedes Mitglied dieses Tribunals begreifen.«

»Ja, ja,« wiederholten im Chor die Schöffen und die Offiziere, »stimmen wir ab, meine Herren, stimmen wir ab!«

»Ich wiederhole,« rief Lavie, ohne, sich aus der Fassung bringen zu lassen, »ich verlange Privilegium und Sicherheit für die auf Ehrenwort zurückgehaltenen Gefangenen. Das ist kein Prozeßstil, es ist der Stil des Völkerrechts.«

»Und ich füge hinzu,« sagte Lenet, »man hat auch Richon gehört, ehe man ihn tötete, und die Gerechtigkeit fordert, daß wir die Angeklagten ebenfalls hören.«

»Und ich,« sagte d'Espagnet, der Bürgerführer, »ich erkläre, daß die Stadt sich morgen empört, wenn man mit dieser Milde zu Werke geht.«

Ein Murren vor dem Hause schien die Erklärung zu bestätigen.

»Beeilen wir uns,« sagte die Prinzessin. »Wozu verurteilen wir den Gefangenen?«

»Die Gefangenen, Madame,« sagten einige Stimmen, »es sind ihrer zwei.«

»Einer genügt Euch also nicht?« sagte Lenet, verächtlich über diese blutige Kriecherei lächelnd.

Da erhob sich Lavie, empört über das rechtswidrige Verfahren und in der Erkenntnis, daß er durch sein Verbleiben den Gefangenen nur schaden könne, und verließ mit zorniger Gebärde und erhobener Stirn das Zimmer, indem er rief: »Im Namen Gottes protestiere ich gegen das, was Ihr tun wollt; im Namen des Königs verbiete ich es.«

»Frecher!« murmelte die Prinzessin.

»Gut, gut! lassen wir ihn gewähren,« sagten einige Stimmen; »an Lavie wird auch die Reihe kommen.«

»Stimmen wir ab!« riefen fast einstimmig die Richter.

»Aber warum abstimmen,« sagte Lenet, »ohne erst beide Angeschuldigte gehört zu haben?«

»Wohl, es sei,« sagte die Prinzessin, »hören wir auch den andern und wir stimmen über beide zugleich ab.«

Das Tribunal hatte sich bereits stürmisch erhoben, setzte sich aber wieder, und man vernahm wie vorher, als Canolles erschien, den Lärm von Tritten, das Klirren der Hellebarden, die Tür öffnete sich, und Cauvignac trat ein.

Der Eintretende bildete einen schlagenden Gegensatz zu Canolles; so sehr er sich auch Mühe gegeben hatte, seine vom Pöbel stark beschädigten Kleider wieder instandzubringen, so waren doch die Spuren noch recht sichtbar. Seine Augen flogen lebhaft auf die Schöffen, auf die Offiziere, die Herzogin und die Prinzessin, und umfaßten wie mit einem Kreisblick den ganzen Gerichtshof; dann rückte er mit der Miene eines Fuchses, der den Jäger von der Fährte abbringen will, als prüfe er bei jedem Schritte mit dem Fuße den Boden, mit lauerndem Ohr, bleich und sichtbar unruhig vor, und sagte, ohne abzuwarten, daß man ihn befragte:»Eure Hoheit hat mir die Ehre erzeigt, mich vor sich rufen zu lassen?«

»Ja, mein Herr,« antwortete die Prinzessin; »ich wollte durch Euch selbst Gewißheit über einige Punkte erlangen, die Euch betreffen und uns in Verlegenheit setzen.«

»Madame,« erwiderte Cauvignac, sich verbeugend, »ich bin ganz bereit, der Gunst zu entsprechen, die mir Eure Hoheit, erweist.«

Und er verbeugte sich abermals mit der artigsten Miene, die er anzunehmen vermochte, doch fehlte ihm dabei weit die Leichtigkeit des Anstands und die Natürlichkeit, die Canolles gezeigt hatte.

»Das wird bald geschehen sein,« sagte die Prinzessin, »besonders wenn Ihr ebenso bestimmt antwortet, wie wir fragen.«

»Ich erlaube mir Eurer Hoheit zu bemerken,« erwiderte Cauvignac, »da die Frage stets vorbereitet wird, was bei der Antwort nie der Fall sein kann, so ist es viel schwieriger, zu antworten, als zu fragen.«

»Oh! unsere Fragen werden so klar und deutlich sein,« versetzte die Prinzessin, »daß wir Euch jedes Nachdenken ersparen. Euer Name?«

»Madame, das ist gerade von Anfang an eine Frage, die zu einer Verlegenheit Anlaß gibt.«

»Wieso?«

»Ja, es kommt oft vor, daß man zwei Namen besitzt, den, welchen man von seiner Familie empfangen, und den, welchen man sich selbst gegeben hat. Ich zum Beispiel glaubte einigen Grund zu haben, meinen ersten Namen aufzugeben, um einen andern minder bekannten anzunehmen. Welchen von diesen Namen soll ich Euch nun nennen?«

»Den, unter dem Ihr in Chantilly erschienen seid, den, unter dem Ihr Euch verbindlich gemacht habt, mir eine Kompanie anzuwerben, den, unter dem Ihr sie geworben, den endlich, unter dem Ihr Euch an Herrn Mazarin verkauft habt.«

»Verzeiht, Madame, aber es scheint mir, ich habe bereits die Ehre gehabt, siegreich alle diese Fragen bei der Audienz zu beantworten, die Eure Hoheit mir diesen Morgen zu bewilligen die Gnade hatte.«

»Schreibt, der Baron von Cauvignac,« sagte endlich die Prinzessin.

In gleicher Weitschweifigkeit und ausweichenden Redegewandtheit beantwortete Cauvignac die andern Fragen, und als er schließlich das Verhör unterzeichnen sollte, sagte er: »Es würde dies mit dem größten Vergnügen geschehen, und ich wäre entzückt, etwas zu tun, was Eurer Hoheit angenehm sein dürfte; aber bei dem Streite, den ich diesen Morgen mit dem Pöbel von Bordeaux auszuhalten hatte, bei diesem Streite, aus dem mich Eure Hoheit so edelmütig durch das Dazwischentreten ihrer Musketiere zog, verstauchte ich mir unglücklicherweise die rechte Hand, und es ist mir mein ganzes Leben hindurch unmöglich gewesen, mit der linken zu schreiben.«

»Zeichnet die Weigerung des Beklagten auf, mein Herr,« sagte die Prinzessin zu dem Schreiber.

»Die Unmöglichkeit, Herr, schreibt die Unmöglichkeit,« rief Cauvignac; »Gott soll mich behüten, daß ich einer so großen Fürstin, wie Ihr seid, irgend etwas verweigerte, wenn es in meiner Macht läge.«

Und sich mit der tiefsten Ehrfurcht verbeugend, ging Cauvignac in Begleitung seiner Wachen hinaus.

»Ich glaube, Ihr habt recht, Herr Lenet,« sagte der Herzog von Larochefoucault, »und wir haben unrecht gehabt, uns diesen Mann nicht zu sichern.«

Lenet war in seinem Geiste zu sehr in Anspruch genommen, um zu antworten. Diesmal hatte ihm sein gewöhnlicher Scharfsinn übel gedient; er hoffte, Cauvignac würde den Zorn des Tribunals sich allein zuziehen; aber Cauvignac hatte mit seinen ewigen Ausflüchten mehr belustigt, als geärgert. Sein Verhör hatte nun die ganze Wirkung zerstört, die durch das von Canolles hervorgebracht worden war, und der Adel, die Freimütigkeit, die Ehrlichkeit des ersten Gefangenen waren, sozusagen, unter dem listigen Benehmen Cauvignacs verschwunden.

Als man zur Abstimmung schritt, wurde auch einhellig auf den Tod erkannt.

Die Prinzessin ließ die Stimmen zusammentragen und verkündigte feierlich das Urteil.

Dann unterzeichnete jeder das Protokoll der Verhandlung, worauf die Prinzessin das Fenster öffnete und mit lauter Stimme rief: »Meine Herren Bordolesen, Richon wird gerächt, würdig gerächt werden, verlaßt Euch auf uns.«

Ein donnerähnliches Hurra empfing diese Erklärung, und das Volk zerstreute sich in den Straßen, zum voraus glücklich über das Schauspiel, welches ihm das Wort der Prinzessin verhieß.

Aber kaum war Frau von Condé in ihr Zimmer mit Lenet zurückgekehrt, der ihr traurig folgte, immer noch in der Hoffnung, sie zu einer Änderung ihres Entschlusses zu bewegen, als die Tür sich öffnete, Frau von Cambes, bleich, schluchzend zu ihren Füßen stürzte und ausrief: »Oh! Madame, im Namen des Himmels, hört mich! Im Namen des Himmels, stoßt mich nicht zurück!«

»Was gibt es denn, mein Kind?« fragte die Prinzessin, »und warum weinst du so?«

»Ich weine, Madame, weil ich gehört habe, daß auf Todesstrafe erkannt ist, und daß Ihr diese Abstimmung bestätigt habt; und dennoch könnt Ihr Herrn von Canolles nicht töten lassen.«

»Und warum nicht, meine Liebe? Sie haben doch auch Richon umgebracht.«

»Madame, weil es derselbe Herr von Canolles ist, der Eure Hoheit in Chantilly gerettet hat.«

»Soll ich ihm dafür Dank wissen, daß er sich durch unsere List betören ließ?« – »Wohl, Hoheit, darin liegt gerade der Irrtum. Herr von Canolles wurde nicht eine Minute durch die Unterschiebung betört. Mit dem ersten Blicke hat er mich erkannt.«

»Dich, Claire?« – »Ja, Madame? Wir hatten einen Teil des Weges miteinander zurückgelegt, Herr von Canolles kannte mich, Herr von Canolles verliebte sich in mich, und unter diesen Umständen . . . nun, Madame, er hatte vielleicht unrecht, doch es kommt Euch nicht zu, ihm darüber Vorwürfe zu machen . . . unter diesen Umständen brachte er seine Pflicht der Liebe zum Opfer.«

»Also der, den du liebst . . .?« – »Ja, Madame:«

»Also der, den du heiraten zu dürfen mich um Erlaubnis gebeten hast . . .?« – »Ja.«

»War . . .?« – »Herr von Canolles,« rief die Vicomtesse. »Herr von Canolles, der sich mir in Saint-George ergeben hat, und der ohne mich sich selbst und Eure Soldaten in die Luft zu sprengen, im Begriffe war . . . Herr von Canolles endlich, der fliehen konnte und mir seinen Degen übergab, um nicht von mir getrennt zu werden. Ihr begreift also, Madame, daß ich, wenn er stirbt, auch sterben muß, denn ich habe ihn dann ins Verderben gestürzt.«

»Mein liebes Kind,« erwiderte die Prinzessin bewegt, »bedenke doch, daß du, etwas Unmögliches von mir verlangst. Richon ist tot, Richon muß gerächt werden! Es hat eine Beratung stattgefunden, sie muß vollzogen werden; selbst wenn mein Gemahl von mir forderte, was du forderst, müßte ich es ihm verweigern.«

»Oh! ich Unglückliche!« rief Frau von Cambes, sich zurückwerfend und in ein gewaltiges Schluchzen ausbrechend; »ich habe meinen Geliebten in das Verderben gestürzt.«

Lenet, der noch nicht gesprochen hatte, näherte sich nun der Prinzessin und sagte: »Madame, habt Ihr nicht genug mit einem Opfer, braucht Ihr zwei Köpfe, um Richons zu bezahlen?«

»Ah! ah! gestrenger Herr,« erwiderte die Prinzessin, »das heißt, Ihr fordert von mir das Leben des einen und den Tod des andern? Sprecht, ist das gerecht?«

»Madame, wenn zwei Menschen sterben sollen, so ist es einmal gerecht, daß, womöglich, nur einer stirbt. Sodann ist es gerecht, daß, wenn man zu wählen hat, der ehrliche Mann vor dem Bösewicht am Leben bleibt.«

»Oh! Herr Lenet, Herr Lenet, sprecht für mich, ich beschwöre Euch,« rief Claire; »denn Ihr seid ein Mann, und man wird Euch vielleicht Gehör schenken; und Ihr, Madame,« fuhr sie, sich an die Prinzessin wendend, fort, »erinnert Euch daran, daß ich mein Leben im Dienste Eures Hauses zugebracht habe.«

»Und ich auch,« sagte Lenet. »Und dennoch habe ich für dreißig Jahre der Treue nichts von Eurer Hoheit verlangt: aber bei dieser Gelegenheit werde ich, wenn Eure Hoheit unbarmherzig ist, für diese dreißig Jahre der Treue mir eine Gnade von Ihr erbitten.«

»Welche?« – »Mir meinen Abschied zu geben, Madame, damit ich mich zu den Füßen des Königs werfen kann, dem ich sodann den Rest meines Daseins, den ich der Ehre Eures Hauses geweiht hätte, widmen werde.«

»Nun wohl,« rief die Prinzessin, besiegt durch die gemeinschaftlichen Bitten, »drohe nicht, mein alter Freund, weine nicht, meine sanfte Claire, beruhigt Euch beide; ein einziger wird sterben, da Ihr es so haben wollt; aber man bitte mich nicht mehr um die Begnadigung dessen, der zum Tode bestimmt sein wird.«

Claire ergriff die Hand der Prinzessin, bedeckte sie mit Küssen und rief: »Oh! Dank, Dank, Madame; von diesem Augenblick an gehört mein Leben und das seinige Euch allein.«

»Und indem Ihr so handelt, Madame,« sagte Lenet, »seid Ihr zugleich gerecht und barmherzig.«

»Oh! darf ich ihn nun sehen, darf ich ihn befreien?« rief Claire ungeduldig.

»Das ist in diesem Augenblick unmöglich,« sagte die Prinzessin; »es würde uns zum Verderben gereichen. Die Gefangenen mögen noch im Kerker bleiben; man läßt sie dann zugleich heraus, den einen zur Freiheit, den andern zum Tod.«

»Aber kann ich ihn nicht wenigstens sehen, beruhigen, trösten?« fragte Claire.

»Ihn beruhigen, liebe Freundin? Ich glaube nicht, daß dies klug wäre: man würde die Entscheidung erfahren, man würde die Gunst deuten; nein, unmöglich, begnügt Euch, daß Ihr ihn gerettet wißt. Ich werde den beiden Herzögen meinen Entschluß ankündigen.«

»Gut, ich füge mich. Dank, Dank, Madame,« rief Claire.


Siebzehntes Kapitel.

Frau von Cambes brachte trotz der zugesicherten Begnadigung ihres Geliebten bange Stunden in ihrem Zimmer zu. Sie hörte, wie die Menge sich am Richtplatz, der unweit ihrer Wohnung lag, sammelte und ihrer Roheit und ihrem Blutdurst immer lauteren Ausdruck gab. Ungeachtet des Verbotes der Prinzessin drängte es sie, zu Canolles zu dringen und ihm, der sicher unter den Qualen des drohenden schimpflichen Todes furchtbar leiden mußte, die Freiheit anzukündigen. Dann bezwang sie sich wieder und beschloß zu warten. Schließlich jagten ihr der Lärm und die immer steigende wilde Begeisterung der Menge eine solche Angst ein, daß sie sich die Ohren mit den Händen verstopfte und ihre geschlossenen Augen auf das Kissen ihres Betpultes drückte.

Da öffnete sich die Tür, und, ohne daß sie ihn hörte, trat ein Mann ein, der einen Augenblick auf der Schwelle stehen blieb, einen Blick liebevollen Mitleids auf sie heftete, und als er sah, daß sich ihre Schultern vom Schluchzen schmerzlich hoben, sich ihr mit einem Seufzer näherte und seine Hand auf ihre Schulter legte.

Claire schaute erschrocken auf und rief: »Herr Lenet! . . . Herr Lenet, oh! Ihr habt mich also nicht verlassen?« – »Nein, ich dachte, Ihr wäret noch nicht hinreichend beruhigt, und erdreistete mich, zu Euch zu gehen, um zu fragen, ob ich Euch in irgend einer Beziehung nützlich sein könnte.«

»Oh, lieber Herr Lenet,« rief die Vicomtesse, »wie gut seid Ihr, und wie danke ich Euch!«

»Es scheint, ich täuschte mich nicht,« sagte Lenet. »Oh! mein Gott, man täuscht sich selten, wenn man denkt, deine Geschöpfe leiden,« fügte er mit einem schwermütigen Lächeln hinzu.

»Oh! ja, Herr, ja. Ihr sagt die Wahrheit, ich leide!«

»Habt Ihr nicht alles, was Ihr wünschtet, erlangt, Madame? Ja, ich gestehe, sogar mehr noch, als ich zu hoffen wagte?«

»Allerdings; aber . . .«

»Aber . . . ich begreife. Nicht wahr, es macht Euch bange, die Freude dieses blutgierigen Pöbels zu sehen, und das Schicksal des andern Unglücklichen, der statt Eures Geliebten sterben soll, erregt Euer Mitleid?«

Claire erhob sich auf ihre Knie und blieb eine Minute unbeweglich, die Augen starr auf Lenet geheftet; dann drückte sie ihre eisige Hand an ihre mit Schweiß bedeckte Stirn und sagte: »Oh! vergebt mir! oder vielmehr verflucht mich! denn in meiner Selbstsucht dachte ich nicht einmal hieran. Nein, Lenet, nein, ich gestehe Euch in aller Demut meines Herzens, diese Befürchtungen, diese Tränen, diese Gebete gehören dem, der leben wird; denn ganz aufgelöst in meiner Liebe, hatte ich den Armen, der sterben soll, vergessen!«

Lenet lächelte traurig und erwiderte: »Ja, es muß so sein, denn es liegt in der menschlichen Natur; vielleicht bildet die Selbstsucht der einzelnen das Heil der Massen. Jeder zieht um sich selbst und um die Seinigen einen Kreis mit dem Schwerte. Sprecht, Madame, legt Euer Geständnis bis zum Ende ab. Bekennt offenherzig, daß Ihr es kaum erwarten könnt, bis der Unglückliche seinem Schicksal unterlegen ist, denn durch seinen Tod sichert dieser Unglückliche Eurem Verlobten das Leben.«

»Oh! Lenet, ich schwöre Euch, daran habe ich noch nicht gedacht. Aber nötigt meinen Geist nicht, dabei zu verweilen, denn ich liebe ihn so sehr, daß ich nicht weiß, was ich im Wahnsinn meines Herzens zu wünschen imstande bin.«

»Armes Kind!« sagte Lenet mit einem Tone tiefen Mitleids, »warum habt Ihr dies alles nicht früher gesagt?« – »Oh! mein Gott, Ihr erschreckt mich. Ist es denn zu spät, ist er noch nicht ganz gerettet?«

»Er ist es, da die Frau Prinzessin ihr Wort gegeben hat; aber . . .«

»Was aber?« – »Aber, ach! ist man irgend einer Sache sicher auf dieser Welt, und Ihr, die ihn, wie ich, für gerettet hält, weint Ihr nicht, statt Euch zu freuen?«

»Ich weine, weil ich ihn nicht besuchen kann, Freund,« entgegnete Claire. »Bedenkt, daß er diesen abscheulichen Lärm hören und an eine ihm nahe bevorstehende Gefahr glauben muß; bedenkt, daß er mich der Lauheit, des Verrates anklagen kann! Oh! Lenet, Lenet, welche Pein! In der Tat, wenn die Prinzessin wüßte, was ich leide, sie hätte Erbarmen mit mir.«

»Wohl, Vicomtesse, Ihr müßt ihn sehen . . .«

»Ist das nicht etwas Unmögliches?«

»Gibt es etwas Unmögliches für die Frau, die Saint-George erobert hat?« versetzte Lenet lächelnd.

»Ach!« sagte Claire, »seit zwei Stunden suche ich ein Mittel, in die Festung zu dringen, und habe bis jetzt noch keines gefunden.«

»Und was gebt Ihr mir, wenn ich es Euch biete?«

»Ich gebe Euch . . . Oh! ich gebe Euch die Hand an dem Tage, wo ich mit ihm vor den Altar trete.«

»Ich danke, mein Kind, Ihr habt recht; in der Tat, ich liebe Euch wie ein Vater; ich danke.«

»Das Mittel! Das Mittel!«

»Hier ist es. Ich hatte die Prinzessin um einen Passierschein gebeten, in der Absicht, mich mit den Gefangenen zu besprechen; denn wäre es möglich gewesen, den Kapitän Cauvignac zu retten, so hätte ich diesen Menschen gern wieder für unsere Partei gewonnen; nun aber ist dieser Passierschein unnütz, da Ihr ihn durch Eure Gebete für Herrn von Canolles zum Tode verurteilt habt.«

Claire schauerte unwillkürlich.

»Nehmt also dieses Papier,« fuhr Lenet fort; »es ist, wie Ihr seht, kein Name darin genannt.«

Claire nahm das Papier und las:

»Der Kerkermeister der Festung wird dem Inhaber dieses mit demjenigen von den zwei Kriegsgefangenen, mit dem er sich zu unterreden wünscht, eine Besprechung von einer halben Stunde gewähren.

Claire Clémence von Condé

»Ihr habt ein Männergewand?« sagte Lenet, »zieht es an. Ihr habt den Passierschein, benutzt ihn.«

Claire faßte Lenet bei der Hand, zog ihn an sich und küßte ihn auf die Stirn, wie sie es nur mit dem zärtlichsten Vater getan haben könnte.

»Geht, geht,« sagte Lenet, indem er sie sanft fortschob, »verliert keine Zeit; wer wahrhaft liebt, kennt kein Zaudern.«

Als er sie dann in ein anderes Zimmer gehen sah, wo Pompée, von ihr gerufen, auf sie wartete, um ihr beim Wechseln der Kleider zu helfen, murmelte er: »Ach! wer weiß?«


Achtzehntes Kapitel.

Das Geschrei, das Gebrüll, die Drohungen, die wilde Aufregung der Menge waren Canolles, der ein Zimmer im Erdgeschoß eines Festungswerkes neben dem Cauvignacs innehatte, durchaus nicht entgangen.

»Bei Gott,« sagte er, »es ist ein sehr bedauerlicher Vorfall . . . Richons Tod . . . Armer Richon! er war ein Tapferer; sein Tod wird unsere Gefangenschaft schlimmer machen . . . Warum, zum Teufel, ist die Nachricht nicht morgen statt heute, das heißt nach meiner Verbindung mit Claire, eingelaufen?«

Dann näherte er sich dem Fenster, um hinauszuschauen, und fuhr fort:

»Welche Bewachung! Zwei Soldaten vor der Tür. Und wenn ich bedenke, daß ich hier acht Tage, vielleicht vierzehn Tage eingeschlossen bleiben soll, bis irgend ein Ereignis vorfällt, das den Tod Richons in Vergessenheit bringt! Arme Claire! sie muß in Verzweiflung sein; glücklicherweise weiß sie, daß ich verhaftet bin. Aber wohin laufen denn all diese Leute? Man sollte glauben, nach der Esplanade. Jedoch da gibt es zu dieser Stunde weder eine Parade, noch eine Hinrichtung zu sehen; sie laufen alle in derselben Richtung. Es ist, als ob sie wüßten, daß ich hier wie ein Bär hinter meinem Gitter eingesperrt bin . . .«

In diesem Augenblick trat ein Offizier ein und unterbrach Canolles Selbstgespräch.

»Wollt Ihr zu Abend essen?« fragte der Offizier. »Befehlt nur, der Kerkermeister ist angewiesen, Euch ein Mahl ganz nach Euren Wünschen bereiten zu lassen.«

»Ja, mein Herr,« erwiderte Canolles, der sich über dieses Entgegenkommen wunderte, »ich werde zu Nacht speisen, denn ich habe starken Hunger; aber ich pflege sehr mäßig zu sein, und ein Soldatenmahl genügt mir.«

»Sodann,« versetzte der Offizier, indem er sich ihm voll Teilnahme näherte, »habt Ihr keinen Auftrag . . . in der Stadt zu besorgen . . . erwartet Ihr nichts? Ihr sagtet, Ihr wäret Soldat, ich bin es auch; handelt also gegen mich, wie gegen einen Kameraden.«

Canolles schaute den Offizier erstaunt an und erwiderte: »Nein, nein, ich habe keinen Auftrag in der Stadt! nein, ich erwarte nichts, wenn nicht eine Person, die ich nicht nennen kann. Was den Punkt betrifft, daß ich gegen Euch handeln soll, wie gegen einen Kameraden, so danke ich Euch; hier ist meine Hand, und wenn ich später etwas brauche, so werde ich mich dessen erinnern, mein Herr.«

Diesmal war es der Offizier, der Canolles erstaunt anschaute.

»Gut, mein Herr,« sagte er. »Ihr sollt sogleich bedient werden.« Und er entfernte sich.

Einen Augenblick nachher traten zwei Soldaten ein und brachten ein vollständiges Abendessen, bestehend aus viel ausgesuchteren Gerichten, als Canolles verlangt hatte. Er setzte sich an den Tisch und speiste mit gutem Appetit.

Die Soldaten schauten ihn ebenfalls erstaunt an. Canolles hielt dieses Erstaunen für Lüsternheit, und da der Wein vortrefflich war, so sagte er: »Meine Freunde, laßt Euch zwei Gläser geben!«

Einer von den Soldaten ging hinaus und kehrte bald mit den verlangten Gläsern zurück.

Canolles füllte sie, goß ein paar Tropfen Wein in sein Glas und sagte: »Auf Eure Gesundheit, meine Freunde!«

Die Soldaten nahmen ihre Gläser, stießen mit Canolles an, und tranken, ohne seinen Toast, zu erwidern.

»Sie sind nicht höflich,« dachte Canolles, »aber sie trinken gut; man kann nicht alles zugleich haben.«

Als er mit Essen fertig war, stand er auf, und die Soldaten trugen die Tafel weg.

Der Offizier kehrte zurück.

»Ah! bei Gott!« sagte Canolles zu ihm, »Ihr hättet mit mir speisen sollen; das Abendessen war vortrefflich.«

»Ich hätte nicht die Ehre haben können, mein Herr, denn ich komme selbst diesen Augenblick vom Tische. Und ich kehre zurück . . .«

»Um mir Gesellschaft zu leisten? Wenn es sich so verhält, empfangt mein Kompliment; denn das ist sehr liebenswürdig von Euch.«

»Nein, mein Herr, mein Auftrag ist minder angenehm. Ich komme, um Euch zu benachrichtigen, daß es keinen protestantischen Geistlichen im Gefängnis gibt, und daß der Kaplan ein Katholik ist. Ich weiß aber, daß Ihr Protestant seid, und die Verschiedenheit des Kultus wird Euch vielleicht unangenehm sein.«

»Mir, mein Herr; warum?« fragte, Canolles,

»Um Euer Gebet zu verrichten . . .« erwiderte der Offizier verlegen.

»Mein Gebet!« sagte Canolles lachend, »ich werde morgen daran denken; ich bete nur morgens.«

Der Offizier schaute Canolles mit einem Erstaunen an, das sich allmählich in tiefes Mitleid verwandelte. Er verbeugte sich und trat ab.

»Ah! die Welt ist also verrückt?« sagte Canolles. »Seit dem Tode des armen Richon scheinen alle Leute, die mir begegnen, Dummköpfe oder Narren geworden zu sein. Teufel! werde ich denn nicht irgend ein vernünftiges Gesicht sehen?«

Kaum hatte er diese Worte vollendet, als die Tür seines Gefängnisses sich abermals öffnete, und ehe er die eintretende Person erkennen konnte, warf sich jemand in seine Arme, schlang beide Hände um seinen Hals und übergoß sein Antlitz mit Tränen.

»Holla!« rief der Gefangene, sich von der Umarmung losmachend; »abermals ein Narr. In der Tat, ich bin im Narrenhause!«

Aber bei der Bewegung, die er machte, warf er den Hut des Unbekannten zu Boden, und die schönen blonden Haare der Frau von Cambes wellten sich über ihre Schultern.

»Ihr hier?« rief Canolles auf sie zueilend, um sie in seine Arme zu fassen; »Ihr! ah, verzeiht, daß ich Euch nicht erkannt oder vielmehr nicht erraten habe.«

»Still!« sagte Claire, ihren Hut aufhebend und rasch wieder auf den Kopf setzend. »Still, denn wenn man wüßte, daß ich es bin, so würde man mir vielleicht mein Glück entziehen. Endlich ist es mir also gestattet, Euch noch zu sehen. Oh! mein Gott, mein Gott, wie glücklich bin ich.«

Und sie fühlte, wie ihre Brust sich erweiterte, und brach in ein heftiges Schluchzen aus.

»Noch!« sagte Canolles, »es ist Euch gestattet, mich noch zu sehen, sagt Ihr? Und Ihr sagt mir das unter Tränen. Ah! Ihr solltet mich also nicht mehr sehen?« fuhr er lachend fort.

»Oh! lacht nicht, mein Freund,« versetzte Claire; »Eure Heiterkeit tut mir weh. Lacht nicht, ich bitte Euch. Wenn Ihr wüßtet, wieviel Mühe ich gehabt habe, um zu Euch zu gelangen . . . und es fehlte nicht viel, daß ich nicht gekommen wäre! . . . Ohne Lenet, ohne diesen vortrefflichen Mann . . . Doch sprechen wir von Euch, armer Freund! Mein Gott! Ihr seid also hier? Euch finde ich wieder! Euch kann ich abermals an mein Herz drücken.«

»Ja, ich, ich bin es,« erwiderte Canolles lächelnd.

»Oh! laßt das, es ist unnötig, stellt Euch nicht lustig, es ist mir alles bekannt. Man wußte nicht, daß ich Euch liebte, und verheimlichte mir nichts.«

»Aber was wißt Ihr denn?« fragte Canolles.

»Nicht wahr!« fuhr die Vicomtesse fort, »nicht wahr, Ihr erwartet mich, nicht wahr? Ihr wart unzufrieden über mein Stillschweigen? Ihr klagtet mich an?«

»Ich, unzufrieden! allerdings, aber ich klagte Euch nicht an! Ich vermutete, daß irgend ein Umstand, stärker als Euer Wille, Euch von mir entfernt hielt; und bei alledem ist mein größtes Unglück, daß unsere Heirat verschoben, vielleicht auf acht, auf vierzehn Tage verschoben ist.«

Claire schaute Canolles mit demselben Erstaunen an, das der Offizier einen Augenblick vorher gezeigt hatte.

»Wie,« sagte sie, »sprecht Ihr im Ernste, oder seid Ihr in der Tat nicht mehr erschrocken?«

»Ich, erschrocken! worüber? Sollte ich etwa einer unbekannten Gefahr preisgegeben sein?« fragte er lachend.

»Oh! der Unglückliche!« rief Claire; »er wußte nichts.«

»Nein, ich weiß nichts,« sagte Canolles mit ernstem Tone. »Aber nicht wahr, Ihr werdet mir alles sagen? Ich bin ein Mann; sprecht, Claire, sprecht!«

»Ihr wißt, daß Richon tot ist?« – »Ja, ich weiß es.«

»Ihr wißt, wie er gestorben ist?« – »Nein, aber ich vermute es. Nicht wahr, er ist auf seinem Posten, auf der Bresche von Vayres getötet worden?«

Claire schwieg einen Augenblick; dann erwiderte sie ernst wie das Erz, das ein Totengeläute erschallen läßt: »Er ist in der Halle von Libourne gehängt worden.«

Canolles machte einen Sprung rückwärts und rief: »Gehängt! Richon, ein Soldat, gehängt!«

Dann erbleichte er plötzlich, fuhr mit zitternder Hand über seine Stirn und fügte bei: »Ah! jetzt begreife ich alles; meine Verhaftung, mein Verhör, die Worte des Offiziers, das Stillschweigen der Soldaten; ich begreife Euer Kommen und Eure Tränen, als Ihr mich so heiter saht; ich begreife endlich das Gedränge, das Geschrei, die Drohungen. Richon ist ermordet worden, und an mir wird man Richon rächen! . . .«

»Nein, nein, mein Vielgeliebter! nein, armer Freund meines Herzens!« rief Claire, ergriff strahlend vor Freude Canolles' Hände und tauchte ihre Augen in die seinigen; »nein, nicht dich werden sie opfern, teurer Gefangener! Ja, du täuschtest dich nicht, du warst bezeichnet! ja, du warst verurteilt; ja, du hast den Tod von nahem gesehen, mein schöner Bräutigam. Aber sei unbesorgt, du kannst jetzt lachen, du kannst von Glück und Zukunft sprechen. Diejenige, die dir ihr ganzes Leben widmen wird, hat das deinige gerettet! Sei freudig! . . . aber ganz leise, denn du wirst vielleicht deinen unglücklichen Gefährten erwecken, den, auf welchen der Sturm fallen soll, denjenigen, der statt deiner sterben muß.«

»Oh! schweigt, schweigt teure Freundin! Ihr macht mich zu Eis,« erwiderte Canolles, der sich trotz der glühenden Liebkosungen Claires nur langsam von dem furchtbaren Schlage erholte, den er erhalten hatte.

»Ah! nun seid Ihr düster und träumerisch.«

»Oh!« rief Canolles, »ich fürchte mich nicht vor dem Tode; aber der Tod trennt mich von Euch.«

»Wärt Ihr gestorben, mein Vielgeliebter, so wäre ich auch gestorben. Aber statt Euch so zu betrüben, freut Euch mit mir. In dieser Nacht, in einer Stunde vielleicht werdet Ihr das Gefängnis verlassen. Wohl! entweder hole ich Euch selbst, oder ich erwarte Euch am Ausgang. Dann fliehen wir, ohne eine Minute, ohne eine Sekunde zu verlieren. Ja, auf der Stelle; ich will nicht warten. Diese verfluchte Stadt erfüllt mich mit Schrecken. Heute ist es mir noch gelungen, Euch zu retten; aber morgen würde Euch vielleicht irgend ein unerwartetes Mißgeschick mir abermals entreißen.«

In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und der Offizier, der bereits bei Canolles gewesen war, verkündigte, die in dem Passierscheine bewilligte halbe Stunde sei abgelaufen.

»Lebe wohl,« flüsterte Canolles, »oder verbirg mich in einer Falte deines Mantels und nimm mich mit.«

»Armer Freund,« versetzte Claire mit leiser Stimme, »schweige doch, denn du brichst mir das Herz. Siehst du nicht, daß ich vor Verlangen sterbe dich fortzuführen? Habe Geduld für dich, habe Geduld für mich; in einigen Stunden sind wir wiedervereinigt, um uns nie mehr zu verlassen.«

»Ich habe Geduld,« erwiderte Canolles, durch dieses Versprechen völlig beruhigt; »doch wir müssen uns trennen; auf, Mut gefaßt! Sprechen wir das Abschiedswort: Gott befohlen, Claire!«

»Gott befohlen,« sagte sie, bemüht zu lächeln, »Gott be . . .«

Aber sie konnte das Abschiedswort nicht vollenden; zum dritten Male erstickte das Schluchzen ihre Stimme.

»Gott befohlen!« rief Canolles, die Vicomtesse abermals in die Arme fassend und ihre Stirn mit Küssen bedeckend, »Gott befohlen.«

»Teufel!« murmelte der Offizier, »zum Glück weiß ich, daß der arme Junge nicht mehr viel zu befürchten hat, sonst würde mir diese Szene das Herz brechen.«

Der Offizier begleitete Claire bis an die Tür, kam dann zurück und sagte zu Canolles, der noch voll Aufregung auf einen Stuhl gesunken war: »Es genügt nun nicht, glücklich zu sein, man muß auch Mitleid haben. Euer Nachbar, Euer unglücklicher Gefährte, derjenige, der sterben soll, ist allein; niemand beschützt ihn, niemand tröstet ihn; er wünscht Euch zu sehen; ich habe es auf mich genommen, ihm diese Bitte zu gewähren; aber Ihr müßt ebenfalls einwilligen.«

»Ob ich einwillige!« rief Canolles, »der Unglückliche! Ich erwarte ihn, ich öffne ihm die Arme! Ich kenne ihn nicht, aber gleichviel.«

»Doch er scheint Euch zu kennen.«

»Weiß er, welches Schicksal ihm bevorsteht?« – »Nein, ich glaube nicht. Ihr begreift, daß man ihn in Unwissenheit lassen muß . . .«

»Oh! seid unbesorgt.«

»Holt ihn, mein Herr, und glaubt mir, daß ich Euch für ihn und für mich dankbar bin.«

Der Offizier ging hinaus, öffnete die Tür des anstoßenden Kerkers, und Cauvignac trat, zwar etwas bleich, aber mit ungezwungener Haltung und erhobener Stirn in das Zimmer Canolles', der ihm einige Schritte entgegenging.

Cauvignac war nicht niedergeschlagen, weil in ihm ein unerschütterliches Vertrauen auf sich selbst, eine unerschöpfliche Hoffnung auf die Zukunft lebte. Aber unter einem ruhigen Anschein und unter einer beinahe heiteren Maske hatte sich ein tiefer Schmerz eingeschlichen, und dieser biß wie eine Schlange in sein Herz. Die skeptische Seele, die stets an allem gezweifelt hatte, zweifelte endlich auch an sich selbst . . .

Seit dem Tode Richons aß Cauvignac nicht mehr, schlief er nicht mehr.

Als er in Canolles' Zimmer trat, wartete er mit seiner gewöhnlichen Klugheit, bis der Offizier, der ihn eingeführt, sich entfernt hatte; sobald er sodann die Tür wohl verschlossen sah, ging er auf Canolles zu, der ihm wie gesagt, einige Schritte entgegen getan hatte, und drückte ihm liebevoll die Hand.

Trotz der ernsten Lage konnte sich Cauvignac eines Lächelns nicht enthalten, als er den jungen Mann mit dem abenteuerlichen Geiste und der heiteren Laune erkannte, den er bereits zweimal unter Umständen, die von seinen jetzigen sehr verschieden waren, getroffen hatte; er begrüßte ihn mit zuvorkommendem Wohlwollen.

»Nun, Baron,« sagte Cauvignac, »was sagt Ihr zu der Lage, in der wir uns befinden? Es scheint mir, sie ist ziemlich heikel.«

»Ja, wir sind hier als Gefangene, und Gott weiß, wann wir diesen Ort verlassen werden,« antwortete Canolles, bemüht ruhig und gefaßt zu erscheinen, um die Todesstunde seines Gefährten wenigstens durch die Hoffnung zu versüßen.

»Wann wir diesen Ort verlassen werden!« versetzte Cauvignac; »Gott, den Ihr anruft, möge in seiner Barmherzigkeit beschließen, daß es so spät als möglich geschehe; aber ich glaube nicht, daß er geneigt sein wird, uns eine lange Frist zu gewähren. Von meinem Kerker aus sah ich, wie Ihr es von dem Eurigen aus sehen konntet, eine gierige Menge nach einem gewissen Orte laufen, der, wenn ich mich nicht täusche, die Esplanade sein muß. Ihr kennt die Esplanade, mein lieber Baron, und wißt, wozu sie dient?«

»Ah, bah! ich glaube, Ihr übertreibt unsere Lage. Ja, das Volk lief nach der Esplanade, aber ohne Zweifel nur, um einer militärischen Züchtigung beizuwohnen. Uns den Tod Richons entgelten zu lassen, das wäre abscheulich, denn wir sind beide völlig unschuldig an diesem Tode.«

Cauvignac bebte und heftete einen Blick auf Canolles, der allmählich in einen Ausdruck des Mitleids überging.

»Sieh da,« sagte er zu sich selbst, »abermals einer, der sich über seine Lage täuscht. Ich muß ihm jedoch sagen, wie sich die Sache verhält – denn wozu ihm schöne Aussichten gewähren . . . damit der Schlag nachher noch schmerzlicher wird?«

Nachdem er Canolles eine Zeit lang stillschweigend und prüfend betrachtet hatte, faßte er ihn bei den Händen und sagte: »Mein lieber Herr, wir wollen ein Paar Flaschen von dem guten Weine von Branne fordern, den Ihr wohl kennt. Ach! ich hätte nach Wohlgefallen davon getrunken, wenn ich länger Gouverneur gewesen wäre, und ich gestehe sogar, daß meine Vorliebe für diesen Wein mich veranlaßte, mir gerade dieses Gouvernement zu erbitten. Gott straft mich für meine Leckerei.«

»Es ist mir ganz genehm,« erwiderte Canolles, und er klopfte an die Tür, aber man antwortete ihm nicht; er verdoppelte den Lärm, und nach einem Augenblick näherte sich ein Kind, das im Gange spielte, dem Gefangenen.

»Was wollt Ihr?« fragte das Kind.

»Wein,« sagte Canolles; »dein Vater soll zwei Flaschen bringen.«

Das Kind entfernte sich, kam bald wieder zurück und sagte: »Papa hat in diesem Augenblick mit einem Herrn zu sprechen, wird aber sogleich kommen.«

»Guter Freund,« sagte Cauvignac, »Ihr wißt übrigens gar nicht, wie nahe ich Euch stehe; auch ich nannte mich einmal Baron von Canolles, und mein eigentlicher Name ist Roland von Larlignes, so daß ich beinahe so etwas wie Euer Schwager bin.«

Der Glücksritter erzählte darauf dem erstaunten Baron einiges aus seiner bewegten Vergangenheit und zeigte sich auch der Gefahr seiner augenblicklichen Lage und dessen, was ihm bevorstand, wohl bewußt; insbesondere fürchtete er das Schlimmste, weil Lenet und der Herzog von Larochefoucault von seinen Taten wußten. Canolles, der ihm als Nanons Bruder ein noch wärmeres Gefühl als vorher schenkte, rief ihm zu: »Auf, auf, Mut gefaßt!«

»Glaubt Ihr etwa, es fehle mir daran? Ihr werdet mich in dem großen Augenblick sehen, wenn wir einen Gang nach der Esplanade machen . . . Eines plagt mich aber: werden wir erschossen, geköpft oder gehängt?«

»Gehängt?« rief Canolles. »Bei Gott! wir sind Edelleute und man würde dem Adel keine solche Schmach antun.«

»Wohl, Ihr werdet sehen, sie sind am Ende imstande, mich noch mit einer Genealogie zu peinigen . . . und dann . . .«

»Was?«

»Wer wird zuerst hinübergehen, Ihr oder ich?«

»Mein lieber Freund, setzt Euch um Gottes willen nichts dergleichen in den Kopf. Nichts ist minder sicher, als der Tod, mit dem Ihr Euch zum voraus beschäftigt; man richtet, verurteilt und vollstreckt nicht so in einer Nacht.«

»Hört,« entgegnete Cauvignac, »ich war dabei, als man dem armen Richon den Prozeß machte; Gott sei seiner Seele gnädig! Nun wohl, Prozeß, Urteil, Aufhängen, alles dauerte höchstens drei bis vier Stunden; geht es hier ebenso schnell, so bleiben uns noch eine oder zwei Stunden zu leben, und das ist nicht viel.«

»In jedem Fall wird man doch den Tag abwarten, uns hinzurichten.«

»Ah! das ist durchaus nicht sicher; eine Hinrichtung mit Fackeln ist etwas sehr Schönes; es kostet allerdings mehr, da aber die Frau Prinzessin der Bordolesen in diesem Augenblick sehr bedarf, so könnte sie sich wohl entschließen, diese Ausgabe zu machen.«

»Still!« sagte Canolles, »ich höre Tritte.«

»Teufel!« murmelte Cauvignac, ein wenig erbleichend.

»Ohne Zweifel bringt man uns den Wein herauf.«

»Ah! ja,« sagte Cauvignac, einen mehr als aufmerksamen Blick auf die Tür heftend; »kommt der Kerkermeister mit Flaschen herein, so ist es gut; wenn er dagegen . . .«

Die Tür öffnete sich, und der Kerkermeister erschien ohne Flaschen.

Cauvignac und Canolles wechselten einen ausdrucksvollen Blick; aber der Kerkermeister achtete nicht darauf. Er schien so eilig, die Zeit war so kurz, es war so finster im Kerker . . .

Er trat ein und schloß die Türe wieder.

Dann näherte er sich den Gefangenen, zog ein Papier aus der Tasche und fragte: »Welcher von Euch beiden ist der Baron von Canolles?«

»Ah! Teufel!« murmelten gleichzeitig beide, einen neuen Blick austauschend.

Canolles ermannte sich bald und sagte: »Ich bin es.«

Der Kerkermeister näherte sich ihm.

»Ihr wart Festungs-Gouverneur?« – »Ja.«

»Aber ich war auch Festungs-Gouverneur; ich nannte mich auch Canolles,« sagte Cauvignac. »Wir wollen uns deutlich erklären, damit keine Täuschung obwalten kann. Was mir mit dem armen Richon begegnete, ist genug, und ich will nicht noch den Tod eines andern verursachen«.

»Ihr nennt Euch also gegenwärtig Canolles?« fragte der Kerkermeister.

»Ja,« antwortete Canolles.

»Und Ihr nanntet Euch früher Canolles?« sagte der Kerkermeister zu Cauvignac.

»Ja,« antwortete dieser; »ja, früher, nur einen Tag, und ich fange an zu glauben, daß ich an diesem Tage einen albernen Gedanken gehabt habe.«

»Und Ihr seid beide Festungs-Gouverneure?« – »Ja.«

»Nun, eine letzte Frage, die alles aufklären wird. Welcher von Euch ist Madame Nanon von Lartigues' Bruder?«

Hier machte Cauvignac eine Grimasse, die in einem minder feierlichen Augenblick komisch gewesen wäre und sagte: »Und wenn ich ihr Bruder wäre, was dann, mein Freund?«

»Ich würde Euch sagen, Ihr solltet mir auf der Stelle folgen.«

»Pest!« murmelte Cauvignac.

»Aber sie hat mich auch ihren Bruder genannt,« sagte Canolles, der versuchen wollte, etwas von dem Sturme abzuwenden, der sich sichtbar auf dem Haupte seines unglücklichen Gefährten sammelte.

»Einen Augenblick,« versetzte Cauvignac, ging an dem Kerkermeister vorüber und nahm Canolles beiseite; »einen Augenblick, mein edler Herr, es ist nicht billig, daß Ihr unter solchen Umständen Nanons Bruder sein sollt. Ich habe bis jetzt andere Menschen genug für mich bezahlen lassen, und die Gerechtigkeit fordert, daß ich nun ebenfalls bezahle.«

»Was wollt Ihr damit sagen?« fragte Canolles.

»Oh! das wäre zu lang,« antwortete Cauvignac; »überdies wird unser Kerkermeister schon ungeduldig. Gut, gut, mein Freund, seid ruhig, ich komme. Gott befohlen, teurer Gefährte,« fuhr Cauvignac fort; »es sind wenigstens alle Zweifel in der Hinsicht gelöst, daß ich zuerst hinübergehe. Gott gebe, daß Ihr mir nicht zu bald folgt. Nun fragt es sich nur noch, welche Todesart beschlossen worden ist. Teufel, nur nicht der Strang! Doch, ich gehe, Ihr seid sehr eilig, mein Lieber! Auf, mein teurer Bruder, mein teurer Schwager, mein teurer Gefährte, mein teurer Freund, ein letztes Fahrewohl!«

Er reichte Canolles seine Hand, der sie liebevoll drückte; dann wandte er sich an den Kerkermeister mit den Worten: »Ich bin der Madame Nanon von Lartigues Bruder; kommt, mein Freund!«

Der Kerkermeister ließ sich das nicht zweimal sagen und führte Cauvignac fort, der von der Türschwelle aus Canolles ein letztes Zeichen machte.

Dann schloß sich die Tür, die Tritte entfernten sich im Gange, und alles versank in eine Stille, die dem Schweigen des Todes glich.

Während Canolles in einer mit Schrecken gemischten Traurigkeit sich verlor, denn diese Art, einen Menschen nächtlicherweise ohne Geräusch, ohne Vorbereitungen, ohne Wachen fortzuführen, war gräßlicher, als alle Vorkehrungen zu einer Hinrichtung beim hellen Sonnenscheine, folgte Cauvignac dem Kerkermeister in dem düsteren Gange, in ernste Gedanken vertieft und ohne ein Wort zu sprechen.

Am Ende des Ganges schloß der Kerkermeister die Tür ebenso sorgfältig, wie er dies bei Canolles' Kerker getan hatte, und nachdem er eine Zeitlang auf ein dumpfes Geräusch gehorcht, das vom untern Stockwerk heraufstieg, sagte er, sich jäh zu Cauvignac wendend: »Auf, vorwärts, mein edler Herr.«

»Ich bin bereit,« antwortete Cauvignac mit möglichster Würde.

»Schreit nicht so laut,« versetzte der Kerkermeister, »und geht schneller.«

Und er eilte auf eine Treppe zu, die in die unterirdischen Kerker führte.

»Oh! oh!« sagte Cauvignac zu sich selbst, »sollte man mich zwischen vier Wänden erdrosseln oder in eine Versenkung stoßen wollen? Dieser Kerkermeister ist klein, ich bin groß; er ist schwach, ich bin stark; er ist vor, ich bin hinten; ich habe ihn bald erwürgt, wenn ich will, und kann mit den Schlüsseln mir die Freiheit verschaffen.«

Cauvignac streckte schon seine knochigen Hände aus, um sein Vorhaben auszuführen, als der Kerkermeister, voll Schrecken sich umwendend, ihm zuflüsterte: »Still! Hört Ihr nichts?«

Cauvignac aber fuhr mit sich selbst sprechend fort: Noch weiß ich nicht, was diese Geschichte bedeuten soll.

Plötzlich blieb er stehen und fragte: »He da! wohin führt Ihr mich?«

»Seht Ihr es nicht?« entgegnete der Kerkermeister, »in den Keller.«

»Oh weh!« murmelte Cauvignac, »wollen Sie mich lebendig begraben?«

Der Kerkermeister zuckte die Achseln, drang in ein Gewirr von Gängen, gelangte zu einer niedrigen, bogenförmigen Tür, hinter der ein seltsames Geräusch laut wurde, und öffnete.

»Der Fluß!« rief Cauvignac erschrocken, als er das Wasser, düster und schwarz hinrollen sah.

»Ja, der Fluß; könnt Ihr schwimmen?«

»Ja . . . nein . . . ja . . .; das heißt, warum, zum Teufel, fragt Ihr mich?«

»Weil wir sonst ein Schiff abwarten müßten, das da unten liegt, und dadurch verlieren wir eine Viertelstunde, abgesehen davon, daß man das Signal, das ich machen muß, hören und uns wieder erwischen kann.«

»Uns wieder erwischen?« rief Cauvignac. »Ah! teurer Freund, wir fliehen also?« – »Allerdings fliehen wir.«

»Wohin?« – »Wohin wir wollen.«

»Ich bin also frei?« – »Frei wie die Luft.«

»Oh! mein Gott!« rief Cauvignac.

Und ohne ein Wort diesem beredten Ausrufe hinzuzufügen, ohne sich umzuschauen, ohne zu sehen, ob ihm sein Gefährte folgte, stürzte er sich in den Fluß und tauchte rascher unter als eine verfolgte Fischotter. Der Kerkermeister ahmte sein Beispiel nach, und nach einer Viertelstunde lautloser Anstrengungen, um den Strom zu durchschwimmen, befanden sich beide im Angesicht des Schiffes. Der Kerkermeister pfiff nun dreimal, während er beständig schwamm; die Schiffer erkannten das verabredete Signal, kamen ihnen entgegen, zogen sie rasch in die Barke, begannen, ohne ein Wort zu sprechen, kräftig zu rudern, und brachten beide in weniger als fünf Minuten an das entgegengesetzte Ufer.

»Ah!« rief Cauvignac, der seit dem Augenblick, wo er sich so mutig in das Wasser gestürzt, keine Silbe von sich gegeben hatte, »ah! nun bin ich gerettet. Teurer Kerkermeister meines Herzens, Gott wird Euch belohnen!«

»In Erwartung des Lohnes, den mir Gott gewähren mag,« erwiderte der Kerkermeister, »habe ich vorläufig vierzigtausend Livres erhalten, mit denen ich mich in Geduld fassen kann.«

»Vierzigtausend Livres!« rief Cauvignac voll Erstaunen, »wer zum Teufel kann vierzigtausend Livres für mich ausgegeben haben?«


Neunzehntes Kapitel.

Es ist nun Zeit, zu Nanon von Lartigues zurückzukehren, die beim Anblick des unter der Halle des Marktplatzes von Libourne verscheidenden, unglücklichen Richon einen Schrei ausgestoßen hatte und in Ohnmacht gefallen war. Sie besaß jedoch trotz ihres zarten Körpers durchaus keine schwächliche Natur. Der Herzog von Epernon, der sie kannte oder vielmehr zu kennen glaubte, staunte daher nicht wenig, sie, die in Todesgefahr beim Brande des Schlosses kalt und ruhig geblieben war, jetzt so völlig niedergeschmettert zu sehen.

Ihre Ohnmacht dauerte beinahe zwei Stunden und endigte mit furchtbaren Nervenanfällen, während deren sie nicht sprechen, sondern nur unartikulierte Schreie ausstoßen konnte.

Erst spät in der Nacht kam sie wieder zum Bewußtsein und brauchte noch einige Zeit, um ihre Gedanken zu sammeln; dann aber preßte sie ihren Kopf zwischen beide Hände und rief mit herzzerreißendem Tone: »Ich bin verloren! Sie haben ihn mir getötet!«

Zum Glück waren diese Worte so seltsam, daß die Anwesenden sie auf Rechnung des Deliriums setzten; man erzählte jedoch dem Herzog, der am Morgen von einer Expedition zurückkehrte, davon, und dieser sagte zu ihr im ersten Augenblicke ihres Alleinseins: »Teure Freundin, es ist mir mitgeteilt worden, was Ihr alles infolge des Todes von Richon, den man so unklug unter Euern Fenstern gehängt hat, gelitten habt . . .«

»Ja, ja,« rief Nanon, »das ist schändlich! das ist abscheulich!«

»Seid unbesorgt, nun, da ich weiß, welche Wirkung es auf Euch hervorbringt, werde ich in Zukunft die Rebellen auf dem Promenadeplatz und nicht mehr auf dem Marktplatz hängen lassen. Aber von wem spracht Ihr denn, als Ihr sagtet, man habe ihn Euch getötet? Das kann doch nicht Richon sein, den Ihr ja gar nicht kanntet.«

»Ah! Ihr seid es, Herr Herzog?« sagte Nanon, indem sie sich auf ihren Ellenbogen erhob und den Herzog beim Arme faßte.

»Ja, ich bin es, und es freut mich, daß Ihr mich wiedererkennt, denn das beweist, daß es Euch besser geht. Aber von wem spracht Ihr denn?«

»Von ihm! Herr Herzog, von ihm!« sagte Nanon mit einem Reste von Delirium, »Ihr habt ihn getötet! Oh! der Unglückliche!«

»Teure Freundin, Ihr erschreckt mich. Was sagt Ihr denn?«

»Ich sage, daß Ihr ihn getötet habt. Begreift Ihr nicht, Herr Herzog? Wißt Ihr nicht, daß er Kriegsgefangener ist, daß er Kapitän, daß er Gouverneur war, daß er dieselben Titel und denselben Grad hatte, wie der arme Richon, und daß die Bordolesen an ihm den Tod dessen rächen werden, den Ihr habt ermorden lassen; denn sagt, was Ihr wollt, es ist doch ein reiner Mord.«

Durch diese Worte, durch das Feuer ihrer funkelnden Blicke, durch die fieberhafte energische Gebärde ganz aus der Fassung gebracht, wich der Herzog erbleichend zurück und rief: »Oh! das ist wahr! das ist wahr; der arme Canolles, ich hatte es ganz vergessen.«

»Mein armer Bruder,« rief Nanon, glücklich, ihren Gefühlen freien Lauf lassen zu können, indem sie ihrem Geliebten den Titel gab, unter dem Herr von Epernon ihn kannte.

»Bei Gott, Ihr habt recht, und ich bin ein Mann ohne Gehirn. Wie zum Teufel konnte ich unsern armen Freund vergessen! Aber noch ist keine Zeit verloren; zu dieser Stunde kann die Nachricht kaum nach Bordeaux gelangt sein; bis man sich dann versammelt, Gericht gehalten hat . . . Verlaßt Euch auf mich.«

»Oh!« rief Nanon, indem sie sich zu erheben suchte, »er wird nicht sterben, und wenn ich selbst nach Bordeaux gehen und mich statt seiner ausliefern müßte.«

»Seid ruhig, meine liebe Nanon, das ist meine Sache. Ich habe das Schlimme getan, und werde es gut machen, so wahr ich ein Edelmann bin. Die Königin hat noch einige Freunde in der Stadt; seid also unbesorgt.«

Der Herzog leistete dieses Versprechen aus dem Grunde seines Herzens.

Nanon las in seinen Augen den Entschluß, die Offenherzigkeit und besonders den Willen; sie wurde von einer solchen Freude erfaßt, daß sie, die Hände des Herzogs ergreifend und ihre feurigen Lippen darauf drückend, ausrief: »Oh! Monseigneur, wie werde ich Euch lieben, wenn Euch das gelingt!«

Der Herzog fühlte sich bis zu Tränen gerührt; es. war das erstemal, daß Nanon so liebevoll und so verheißungsvoll zu ihm sprach.

Er versicherte Nanon abermals, daß sie nichts zu befürchten habe, entfernte sich sodann aus ihrem Zimmer, ließ einen von seinen Dienern kommen, dessen Geschicklichkeit und Treue ihm bekannt waren, befahl ihm, sich nach Bordeaux zu begeben, in die Stadt zu dringen, und müßte er die Wälle mit Sturmleitern ersteigen, und dem Advokaten Lavie folgende eigenhändig von ihm geschriebene Note zu übergeben:

»Verhindern, daß Herrn von Canolles, Kapitän, Platzkommandanten im Dienste Seiner Majestät, irgend etwas Mißliches widerfährt.

»Wenn dieser Offizier verhaftet ist, wie man annehmen muß, ihn durch alle erdenklichen Mittel befreien; die Wächter durch alles Gold, das sie verlangen mögen, bestechen, bis auf hunderttausend Taler, bis auf eine Million gehen, wenn es sein muß, und das Wort des Herzogs von Epernon für die Oberaufsicht eines königlichen Schlosses verpfänden.

»Scheitert die Bestechung, Gewalt versuchen; vor nichts zurückweichen: Brand, Mord, alles wird entschuldigt.

»Signalement:

»Wuchs hoch, Augen braun, Nase gekrümmt. Im Falle eines Zweifels, fragen: ›Seid Ihr Nanons Bruder?

»Schnell handeln; es ist keine Minute zu verlieren.«

Der Bote ging ab. Drei Stunden nachher war er in Bordeaux. Er trat in einen Pachthof, vertauschte seine Kleider mit einem leinenen Bauernkittel und drang, einen Wagen voll Mehl führend, in die Stadt.

Lavie erhielt den Brief eine Stunde nach der Entscheidung des Kriegsrates. Er ließ sich das Tor des befestigten Schlosses öffnen, sprach mit dem Kerkermeister, bot ihm zwanzigtausend Livres, die dieser ausschlug, dann dreißigtausend Livres, die er abermals ausschlug, und endlich vierzigtausend Livres, die er annahm.

Man weiß, wie Cauvignac vielleicht in der einzigen Regung des Edelmutes, die er in seinem ganzen Leben gehabt hatte, sich als Nanons Bruder bekannte und zu seinem großen Erstaunen die Freiheit erlangte. Er wurde auf einem raschen Rosse nach dem Dorfe Saint-Loubès fortgetragen, das den Epernonisten gehörte. Hier fand man einen Boten des Herzogs, der dem Flüchtling entgegengeritten war.

»Ist er gerettet?« rief er, sich an den Anführer der Eskorte wendend, die Cauvignac geleitete.

»Ja,« rief dieser, »wir bringen ihn.«

Mehr verlangte der Bote nicht; er wandte sein Pferd um und jagte schnell wie ein Meteor in der Richtung von Libourne fort. Anderthalb Stunden nachher stürzte das Roß an dem Tore der Stadt nieder und wälzte seinen Reiter zu den Füßen des Herrn von Epernon, der, das Wort: »Ja,« erwartend, vor Ungeduld zitterte. Obgleich halb gerädert, hatte der Bote doch noch die Kraft, dieses kostspielige: »Ja« auszusprechen, und der Herzog eilte in die Wohnung Nanons, die immer noch auf dem Bette ausgestreckt, ihren starren Blick auf die von einer Schar von Dienern besetzte Tür heftete.

»Ja,« rief der Herzog von Epernon, »ja, er ist gerettet, teure Freundin, er folgt mir, und Ihr sollt ihn sehen.«

Nanon hüpfte fast vor Freude auf in ihrem Bette; diese Worte nahmen von ihrer Brust die Last, die sie erstickte; sie hob ihre Hände zum Himmel empor und rief, das Antlitz in Tränen gebadet, die dieses unerwartete Glück ihren Augen entriß, welche die Verzweiflung trocken gemacht hatte, mit einem unbeschreiblichen Ausdruck: »Oh! mein Gott, mein Gott, ich danke Dir!«

Gleich darauf öffnete sich die Reihe der Diener, ein Mann stürzte in das Zimmer und rief: »Meine Schwester! meine gute Schwester!«

Nanon richtete sich in ihrem Bett auf, öffnete erschrocken die Augen, wurde weißer, als das gestickte Kissen hinter ihrem Kopfe, fiel wie vom Blitze getroffen wieder zurück und schrie: »Cauviagnac! mein Gott, Cauvignac!«

»Cauvignac!« wiederholte der Herzog und ließ einen Blick umherlaufen, der offenbar den suchte, an den dieser Ausruf gerichtet war. »Cauvignac,« sagte er, »wer heißt denn Cauvignac?«

Cauvignac hütete sich wohl, zu antworten; er war noch zu wenig gerettet, um sich eine Offenherzigkeit zu erlauben, die so wie so keine Eigenschaft seines Charakters war; er begriff, daß er seine Schwester verlor, wenn er antwortete, und unfehlbar sich selbst zu Grunde richtete, wenn er seine Schwester verlor; so überließ er es Nanon, zu sprechen, mit dem Vorsatze, ihre Worte nötigenfalls zu verbessern.

»Und Herr von Canolles?« rief diese, auf Cauvignac den doppelten Blitz ihrer Augen schleudernd, in einem Tone wütenden Vorwurfs.

Der Herzog faltete die Stirn und fing an, auf seinen Schnurrbart zu beißen. Die Anwesenden wußten nicht, was dieser unerwartete Zorn bedeuten sollte, und schauten sich erstaunt an.

»Arme Schwester,« flüsterte Cauvignac dem Herzog ins Ohr, »sie hat solche Angst ausgestanden, daß sie deliriert und mich nicht wiedererkennt.«

»Mir hast du zu antworten, Elender,« rief Nanon, »mir. Wo ist Herr von Canolles? Was ist aus ihm geworden? Antworte doch!«

Cauvignac faßte einen verzweifelten Entschluß; er näherte sich dem Herzog von Epernon und sagte mit Tränen in den Augen: »Oh! gnädiger Herr, das ist nicht mehr Delirium, das ist Wahnsinn; der Schmerz hat ihr, wie Ihr seht, den Geist so verwirrt, daß sie ihre nächsten Verwandten nicht mehr erkennt. Kann ihr jemand die verlorene Vernunft zurückgeben, so bin ich es; laßt also, ich bitte Euch, alle Diener abtreten, denn, Ihr werdet nicht gern andere auf Kosten dieser armen Schwester lachen sehen.«

Vielleicht hätte der mißtrauisch gewordene Herzog nicht nachgegeben, wäre er nicht soeben zu einem außerordentlichen Rate zur Königin berufen worden. Er wandte sich also an Nanon, der inzwischen Cauvignac durch ein leises Wort einen schwachen Schimmer von Hoffnung gegeben hatte, und sagte, ihr die Hand küssend: »Auf, teure Freundin, die Krise ist hoffentlich vorüber; sammelt Eure Sinne, ich lasse Euch mit diesem Bruder, den Ihr so sehr liebt, zurück, denn die Königin ruft mich. Das allein kann mich bewegen, Euch in einem solchen Augenblick zu verlassen.«

Nanon fühlte, daß ihr das Herz beinahe brach. Sie hatte nicht die Kraft, dem Herzog zu antworten, schaute nur Cauvignac an und drückte ihm die Hand, als wollte sie sagen: »Hast du mich nicht getäuscht, mein Bruder, darf ich wirklich hoffen?«

Als der Herzog gegangen war, empfahl ihr Cauvignac mit einem Zeichen der Hand Stillschweigen; dann hielt er sein Ohr an die Tür, um sich zu überzeugen, daß sich der Herzog wirklich entfernte.

»Oh! was ist nur daran gelegen!« rief Nanon, »er mag hören oder nicht hören; Ihr habt mir zwei Worte zugeflüstert, um mich zu beruhigen, sprecht, was denkt Ihr? Was hofft Ihr?«

»Meine Schwester,« erwiderte Cauvignac, eine ernste Miene annehmend, die bei ihm durchaus nicht Gewohnheit war, »ich will Euch nicht versichern, daß ich des Erfolges gewiß bin, aber ich wiederhole, was ich bereits gesagt habe, ich werde alles in der Welt zu diesem Zwecke tun.«

»Des Erfolges, wobei?« fragte Nanon; »verstehen wir uns diesmal auch richtig und findet nicht ein neues furchtbares Mißverständnis statt?«

»Bei der Rettung des armen Canolles.«

Nanon schaute ihn mit einer furchtbaren Starrheit an und rief: »Nicht wahr, er ist verloren?«

»Ach! wenn ich Euch meine Meinung offen sagen soll, so muß ich gestehen, daß ich seine Lage für sehr schlimm halte.«

»Wie kalt er das sagt!« rief Nanon. »Weißt du, Unglücklicher, was dieser Mann für mich ist?«

»Ich weiß, daß es ein Mann ist, den Ihr Eurem Bruder vorzieht, da Ihr eher ihn als mich rettetet, und mich, als Ihr mich erblicktet, mit einem Fluch empfingt.«

Nanon machte ein Zeichen der Ungeduld.

»Ei, bei Gott! Ihr habt recht,« fuhr Cauvignac fort, »und ich spreche das nicht aus als Vorwurf, sondern als einfache Bemerkung; denn hört, die Hand auf dem Herzen, wären wir noch beide im Kerker des Schlosses Trompette und ich wüßte, was ich jetzt weiß, so würde ich zu Herrn von Canolles sagen: ›Ihr seid von Nanon ihr Bruder genannt worden, Euch verlangt man und nicht mich;‹ und er wäre an meiner Stelle gekommen, und ich wäre an der seinigen gestorben.«

»Er wird also sterben?« rief Nanon mit einem furchtbaren Ausbruche des Schmerzes; »er wird sterben?« – »Meine Schwester, alles, was ich Euch sagen kann, ist folgendes: Es sind zwei Stunden seit meiner Entweichung verflossen; in diesen kann viel geschehen sein, vielleicht auch nichts. Nun habe ich eine Meile von Bordeaux hundert Mann und meinen Leutnant, und ich glaube, ich werde mit hundert Mann, von denen ich die Hälfte opfere, zu Herrn von Canolles gelangen.«

»Ah! Ihr täuscht Euch, mein Bruder, Ihr gelangt nicht zu ihm!«

»Mord und Tod! ich dringe zu ihm, oder ich lasse mich niederhauen.«

»Ah! Euer Tod wird mir Euern guten Willen dartun, aber ihn nicht retten. Er ist verloren! er ist verloren!«

»Und ich sage Euch, nein, und müßte ich mich statt seiner ausliefern,« rief Cauvignac, mit einem Überwallen von Edelmut, das ihn selbst in Erstaunen setzte.

»Euch ausliefern!«

»Ja, allerdings, mich; denn es hat am Ende niemand Ursache, diesen guten Herrn von Canolles zu hassen; es liebt ihn im Gegenteil jedermann, während man mich verabscheut.«

»Euch! und warum verabscheut man Euch?«

»Das ist ganz einfach, weil ich die Ehre habe, Euch durch die engsten Bande des Blutes anzugehören. Verzeiht, meine Schwester, aber was ich Euch da sage, ist äußerst schmeichelhaft für eine gute Royalistin.«

»Wartet einen Augenblick,« sagte langsam Nanon, ihren Finger auf ihre Lippen legend.

»Ich höre.«

»Ihr sagt, ich werde von den Bordolesen verabscheut?«

»Das heißt, sie verfluchen Euch.«

»Ah! wirklich!« rief Nanon mit einem halb nachdenklichen, halb freudigen Lächeln.

»Ich glaubte nicht, Euch damit etwas zu sagen, was Euch so angenehm wäre.«

»Doch, doch,« rief Nanon; »es ist, wenn auch nicht gerade angenehm, doch mindestens sehr gescheit. Ja, Ihr habt recht,« fuhr sie mehr mit sich selbst, als mit ihrem Bruder sprechend fort; »nicht Herrn von Canolles haßt man, Euch auch nicht. Wartet, wartet.«

Und sie stand auf, legte um ihren geschmeidigen, glühenden Hals einen langen seidenen Mantel, setzte sich an einen Tisch und schrieb in aller Eile einige Zeilen, die Cauvignac nach der Röte auf ihrer Stirn und dem Wogen ihres Busens für sehr wichtig halten mußte.

»Nehmt dies,« sagte sie, den Brief versiegelnd; »eilt allein, ohne Soldaten und ohne Eskorte, nach Bordeaux; es ist in meinem Stalle ein Berberroß, das den Weg in einer Stunde zurücklegt. Erreicht die Stadt so schnell, als menschliche Mittel es gestatten, übergebt diesen Brief der Frau Prinzessin, und Canolles ist gerettet.«

Cauvignac schaute seine Schwester erstaunt an; da er aber die Schärfe ihres kraftvollen Geistes kannte, verlor er keine Zeit. Er stürzte in den Stall, sprang auf das bezeichnete Roß und hatte nach einer halben Stunde bereits die Hälfte des Weges zurückgelegt; Nanon aber kniete, sobald sie ihn von ihrem Fenster aus hatte fortreiten sehen, – sie, die Gottlose – nieder, verrichtete ein kurzes Gebet, schloß sodann ihr Gold, ihre Juwelen und Diamanten in eine Kiste, bestellte eine Karosse und ließ sich von ihrem Kammermädchen Finette anziehen.


Zwanzigstes Kapitel.

Die Nacht lagerte sich über Bordeaux, und abgesehen von der Gegend der Esplanade, wohin sich alles drängte, schien die Stadt verlassen. Dort aber, auf der Esplanade, im Nachtnebel, hörte man einen dumpfen, fortwährenden Lärm, ähnlich dem Tosen der Fluten, wenn sie ins Meer zurückstürzen.

Die Prinzessin hatte ihre Korrespondenz beendigt und ließ dem Herzog von Larochefoucault sagen, sie könnte ihn empfangen.

Zu ihren Füßen, demütig auf einen Teppich gekauert, mit der lebhaftesten Angst ihr Gesicht studierend, schien Frau von Cambes den Augenblick zu erwarten, wo sie, ohne lästig zu sein, sprechen könnte; aber diese erzwungene Geduld, diese geflissentliche Sanftmut wurden durch das krampfhafte Zucken ihrer Hände, die ein Taschentuch zerknitterten, Lügen gestraft.

»Siebenundsiebenzig Unterschriften,« rief die Prinzessin, »Ihr seht, daß nicht alles Vergnügen ist, wenn man die Rolle einer Königin zu spielen hat.«

»Oh! wohl, Madame,« erwiderte die Vicomtesse; »denn indem Ihr die Stelle der Königin einnahmt, verlieht Ihr Euch zugleich ihr schönstes Vorrecht, das, Gnade zu üben.«

»Und das, zu strafen, Claire,« versetzte stolz die Prinzessin von Condé.

»Und die achtundsiebenzigste kommt unter einen Begnadigungsbrief, nicht wahr, Madame?« sagte Claire.

»Was sagst du, Kleine?« – »Ich sage, meines Erachtens sei es für mich Zeit, hinzugehen und meinen Gefangenen zu befreien; soll ich ihn nicht mit dem furchtbaren Schauspiel, seinen Gefährten zum Tode führen zu sehen, verschonen? Ah! Madame, da Ihr Gnade üben wollt, so laßt sie vollständig angedeihen.«

»Wahrhaftig, du hast recht, Kleine; aber ich vergaß in der Tat mein Versprechen unter diesen ernsten Geschäften, und du hast wohlgetan, daß du mich daran erinnertest.«

»Also?« rief Claire ganz freudig.

»Also tue, was du willst.«

»Noch eine Unterschrift, Hoheit,« sagte Claire mit einem Lächeln, welches das härteste Herz erweicht hätte, mit einem Lächeln, das kein Maler wiederzugeben vermöchte, weil es nur der Frau, die liebt, das heißt dem gottähnlichsten Wesen, eigen ist.

Sie schob ein Papier auf den Tisch der Prinzessin und bezeichnete mit der Fingerspitze die Stelle, worauf sich ihre Hand legen sollte.

Frau von Condé schrieb:

»Befehl an den Herrn Gouverneur des Schlosses Trompette, die Frau Vicomtesse von Cambes zu Herrn Baron von Canolles, dem wir hiermit die volle Freiheit geben, einzulassen.«

»Ist es so gut?« fragte die Prinzessin,

»Oh! ja, Madame!« rief Frau von Cambes.

»Und ich soll unterzeichnen?« – »Ganz gewiß.«

»Liebe Kleine, man muß alles tun, was du willst,« sagte die Prinzessin mit ihrem freundlichsten Lächeln und unterzeichnete.

Claire fiel über das Papier her, wie ein Adler über seine Beute. Sie nahm sich kaum Zeit, der Prinzessin zu danken, drückte die Schrift an ihr Herz und stürzte aus dem Gemache.

Auf der Treppe begegnete sie Herrn von Larochefoucault, dem sie einen kurzen, freudigen Gruß zurief. Der Herzog blieb einen Moment auf dem Ruheplatz der Treppe stehen und folgte ihr, ehe er bei Frau von Condé eintrat, mit den Augen bis zu den untersten Stufen.

Als er zu Ihrer Hoheit kam, sagte er: »Madame, alles ist bereit.«

»Wo?« – »Dort unten auf der Esplanade.«

»Ah! sehr gut,« erwiderte die Prinzessin, große Ruhe heuchelnd, weil sie fühlte, daß man sie beobachtete, und weil sie um keinen Preis sich schwach zeigen wollte. »Wohl, wenn alles bereit ist, so geht, Herr Herzog.«

Der Herzog zögerte.

»Haltet Ihr es für angemessen, daß ich dem Akte beiwohne?« sagte die Prinzessin mit einem Zittern der Stimme, das sie trotz ihrer Selbstbeherrschung nicht völlig zu bewältigen vermochte.

»Ganz wie es Euch beliebt, Madame,« erwiderte der Herzog.

»Wir werden sehen, Herzog, wir werden sehen; Ihr wißt, daß ich viele Verurteilte begnadigt habe?« – »Ja, Madame.«

»Und was sagt Ihr zu dieser Maßregel?« – »Ich sage, daß alles, was Eure Hoheit tut, wohlgetan ist.«

»Ja,« sagte die Prinzessin, »ich ziehe das vor. Es ist würdiger von uns, den Epernonisten zu zeigen, daß wir uns nicht fürchten, Repressalien zu gebrauchen und als Macht gegen Macht mit Ihrer Majestät zu unterhandeln, daß wir aber, auf unsere Kraft vertrauend, das Böse ohne Wut, ohne Übertreibung vergelten.«

»Das ist sehr politisch.«

»Nicht wahr?« sagte die Prinzessin, die aus dem Ton Larochefoucaults seine wahre Ansicht zu erkennen suchte.

»Doch,« fuhr der Herzog fort, »es ist immer noch Eure Meinung, daß einer von beiden den Tod Richons sühnen soll; denn bliebe dieser Tod ungerächt, so könnte man glauben, Eure Hoheit schätze die Tapferen, die sich ihrem Dienste widmen, gering.«

»Oh! gewiß; einer von beiden wird sterben, bei meinem Fürstenworte.«

»Darf ich wissen, wem Eure Hoheit Gnade bewilligt hat?« – »Herrn von Canolles.«

»Ah!«

Dieses Ah! wurde auf eine seltsame Weise ausgesprochen.

»Nun wohl,« fuhr der Herzog fort, »wenn mir Eure Hoheit nichts anderes zu befehlen hat, so verabschiede ich mich von Eurer Hoheit.«

»Also noch diese Nacht?« fragte Frau von Condé.

»In einer Viertelstunde.«

Lenet schickte sich an, dem Herzog zu folgen.

»Ihr wollt das Schauspiel mit ansehen, Lenet?« fragte die Prinzessin.

»Oh! nein, Madame,« antwortete Lenet; »Ihr wißt, ich bin nicht für die heftigen Gemütsbewegungen, und werde mich begnügen, halbwegs, das heißt bis zum Gefängnis zu gehen, um das rührende Schauspiel der Befreiung des armen Canolles durch die von ihm geliebte Frau zu sehen.«

Der Herzog machte eine Philosophenmiene; Lenet zuckte die Achseln, und der Leichenzug verließ den Palast, um sich nach dem Gefängnis zu begeben.

Frau von Cambes hatte nicht fünf Minuten gebraucht, um diesen Raum zurückzulegen; sie kam an, zeigte den Befehl der Schildwache bei der Zugbrücke, dann dem Schließer und ließ endlich den Gouverneur rufen.

Dieser prüfte den Befehl mit dem trockenen Auge eines Gefängnisgouverneurs, das sich weder bei Todesurteilen, noch bei Begnadigungen belebt, erkannte das Siegel und die Unterschrift der Frau von Condé, verbeugte sich vor der Vicomtesse, ließ den Leutnant rufen, gab ihm den Begnadigungsbefehl und hieß ihn, Herrn von Canolles in Freiheit setzen zu lassen.

Schnell begaben sich der Leutnant – es war derselbe, der mit Canolles und Cauvignac gesprochen hatte – und Frau von Cambes, welche die Erlaubnis erhielt, ihn zu begleiten, in den Gefängnishof.

»Der Oberschließer!« rief der Leutnant.

Dann sich zu Frau von Cambes umwendend, sagte er: »Seid unbesorgt, Madame, er wird sogleich hier sein.«

Der zweite Gefangenwärter erschien und meldete: »Herr Leutnant, der Oberschließer ist verschwunden; man hat ihn vergebens gerufen.«

»Oh!« rief Frau von Cambes, »wird dies abermals einen Verzug veranlassen?«

»Ihr habt doppelte Schlüssel von allen Kerkern?« fragte der Offizier.

»Ja,« antwortete der Gefangenenwärter.

»Öffnet das Zimmer von Herrn von Canolles.«

»Herr von Canolles, Nr. 2?«

»Allerdings, Nr. 2, öffnet rasch.«

»Ich glaube, es sind beide beisammen,« versetzte der Gefangenenwärter: »man wird den Besten aussuchen.«

Gefangenenwärter sind immer spaßige Leute.

Endlich öffnete sich die Tür. Canolles, der Tritte im Gange gehört, der die Stimme der Vicomtesse erkannt hatte, wirft sich in ihre Arme, und sie, über jede Rücksicht erhaben, preßt ihn mit aller Gewalt an ihre pochende Brust.

Die Gefahr, der er preisgegeben war, die ewige Trennung, an der sie so nahe wie an einem Abgrunde gestanden haben, gleichen alles aus.

»Nun, mein Freund,« sagte sie, strahlend vor Freude und Stolz, »Ihr seht, daß ich Wort halte; ich habe Eure Begnadigung erlangt, wie ich es Euch versprach, und komme, Euch zu holen.«

Und während sie sprach, zog sie Canolles nach dem Gange fort.

»Mein Herr,« sagte der Leutnant, »Ihr mögt Euer ganzes Leben dieser Dame widmen, denn ihr habt Ihr es offenbar zu verdanken.«

Canolles antwortete nicht, aber sein Auge schaute zärtlich den Befreiungsengel an, und seine Hand drückte die Hand der Frau . . .

»Oh! eilt nicht so sehr,« sagte der Leutnant lächelnd, »es ist vorbei, und Ihr seid frei; nehmt Euch also Zeit, Eure Fittiche zu schwingen.«

Aber Frau von Cambes zog Canolles, der ihr lächelnd nachgab, mit fieberhafter Eile fort. Endlich befanden sie sich wieder im Hofe; noch eine Tür und das Gefängnis liegt hinter ihnen.

Nun öffnete sich auch diese letzte Schranke. Aber auf der andern Seite der Tür versperrte eine Schar von Edelleuten, Leibwachen und Bogenschützen die Zugbrücke; es ist Herr von Larochefoucault mit seinen Trabanten.

Frau von Cambes schauderte, ohne zu wissen warum. Es war ihr immer ein Unglück widerfahren, so oft sie diesem Mann begegnete.

Ging in Canolles irgend eine Bewegung vor, so blieb sie im Grunde seines Herzens und stieg nicht auf sein Gesicht empor.

Der Herzog grüßte Frau von Cambes und Canolles und blieb sogar stehen, um ihnen einige Artigkeiten zu sagen. Dann machte er dem Haufen von Edelleuten und Leibwachen, die ihm folgten, ein Zeichen, und ihre Reihen öffneten sich.

Plötzlich vernahm man eine Stimme aus dem Hintergrunde des Hofes: »He! Nr. 1 ist leer, der andere Gefangene ist nicht mehr in seinem Zimmer; ich suche ihn vergebens und kann ihn nirgends finden.«

Bei diesen Worten durchlief alle ein Schauer, der Herzog von Larochefoucault bebte, und unfähig, eine erste Bewegung zu unterdrücken, streckte er seine Hand aus, als wollte er Canolles festnehmen.

Claire sah die Bewegung und erbleichte.

»Kommt, kommt,« sagte sie zu dem jungen Manne, »laßt uns eilen.«

»Verzeiht, Madame,« sagte der Herzog; »ich bitte Euch um einen Augenblick Geduld: wir wollen diesen Irrtum aufklären, ich stehe Euch dafür, es ist in einer Minute abgemacht.«

Und auf ein zweites Zeichen des Herzogs schloß sich der Haufen wieder, der sich geöffnet hatte.

»Aber, mein Herr,« fragte Claire, »wozu soll ich warten? Frau von Condé hat die Freilassung des Herrn von Canolles unterzeichnet; hier ist der Befehl, er enthält seinen Namen; nehmt, seht.«

»Ja wohl, Madame, und es ist auch nicht meine Absicht, die Gültigkeit dieses Befehles in Abrede zu ziehen, er wird in einem Augenblick ebensogut sein, wie jetzt; faßt also Geduld, ich habe jemand abgeschickt, der ungesäumt zurückkommen muß.«

»Aber was geht das uns an?« fragte Claire, »und was hat Herr von Canolles mit dem Gefangenen in Nr. 1 gemein?«

»Herr Herzog,« sagte der Kapitän der Garden, den Herr von Larochefoucault abgeschickt hatte, »wir haben vergebens gesucht; der andere Gefangene ist nirgends zu finden; der Oberschließer ist ebenfalls verschwunden, und das Kind des letzteren, das man befragt hat, sagt, sein Vater und der Gefangene haben sich durch die geheime Pforte, die nach dem Flusse führt, entfernt.«

»Ho! ho!« rief der Herzog, »wißt Ihr etwas davon, Herr von Canolles? Eine Entweichung!«

Bei diesen Worten begreift und errät Canolles alles. Er begreift, daß es Nanon ist, die über ihm wachte; er begreift, daß er es ist, den man holen wollte, daß er es ist, den man als Bruder des Fräulein von Lartigues bezeichnet hatte; daß Cauvignac, ohne es zu wissen, seinen Platz eingenommen und die Freiheit da gefunden hat, wo er den Tod zu finden glaubte. Er fährt mit den Händen an die Stirn, erbleicht und wankt ebenfalls und erholt sich erst wieder, als er die Vicomtesse an seinem Arme zittern und erbleichen sieht; keines von diesen Zeichen eines unwillkürlichen Schreckens ist dem Herzog entgangen.«

»Schließt die Tore,« rief dieser. »Herr von Canolles, habt die Güte, zu verweilen; Ihr begreift, es muß sich alles aufklären.«

»Aber, Herr Herzog,« rief die junge Frau, »es ist hoffentlich nicht Euer Wille, Euch dem Befehle der Prinzessin zu widersetzen?«

»Nein, Madame,« erwiderte der Herzog, »doch ich halte es für wichtig, sie von dem, was vorgeht, in Kenntnis zu setzen. Ich sage Euch nicht: ›Ich werde selbst dahin gehen;‹ Ihr könntet glauben, es sei meine Absicht, einen Einfluß auf unsere erhabene Gebieterin auszuüben, sondern ich sage Euch: ›Geht Ihr, Madame, denn besser als irgend jemand, werdet Ihr von Frau von Condé Gnade zu erflehen wissen.‹«

Lenet machte Claire ein unmerkliches Zeichen.

»Oh! ich verlasse ihn nicht,« rief Frau von Cambes, krampfhaft den Arm des jungen Mannes pressend.

»Und ich,« sagte Lenet, »ich laufe zu Ihrer Hoheit; kommt mit mir, Herr Kapitän, oder Ihr selbst, Herr Herzog.«

»Wohl, ich begleite Euch; der Herr Kapitän wird hier bleiben und die Nachforschungen in meiner Abwesenheit fortsetzen; vielleicht findet er den andern Gefangenen.«

Und als wollte er dem letzten Teile seiner Rede noch einen besondern Nachdruck geben, sagte der Herzog von Larochefoucault dem Offizier einige Worte ins Ohr, worauf er sich mit Lenet entfernte. In demselben Augenblick werden die zwei jungen Leute durch die Woge von Reitern, die Herrn von Larochefoucault folgt, und hinter denen sich das Tor wieder schließt, in den Hof zurückgedrängt.

Seit zehn Minuten hat die Szene einen so ernsten, so düsteren Charakter angenommen, daß die Anwesenden einander stumm anschauen, und in den Augen Claires und Canolles' zu lesen suchen, wer von beiden am meisten leide. Canolles begreift, daß alle Kraft von ihm kommen muß; er ist liebevoll gegen seine Freundin, die mit geröteten Augen und zitternden Knien an seinen Armen hängt, ihn drückt, an sich zieht, ihm mit einer Miene erschreckender Zärtlichkeit zulächelt, und irre Blicke auf all den Menschen umherlaufen läßt, unter denen sie vergebens einen Freund sucht.

Der Kapitän, der seinerseits Befehle vom Herzog von Larochefoucault erhalten hat, spricht ebenfalls leise mit seinen Offizieren. Canolles, dessen Auge sicher ist, dessen Ohr auf die geringsten Worte horcht, die seinen Zweifel in Gewißheit verwandeln können, hört ihn, obgleich er die Vorsicht gebraucht, so leise als möglich zu reden, die Worte sprechen: »Man müßte jedoch ein Mittel finden, die arme Frau zu entfernen.«

Er trachtet nur danach, seinen Arm von dem liebevollen Drucke zu befreien, der ihn zurückhält, Claire bemerkt seine Absicht und klammert sich mit ihrer ganzen Kraft an ihn an.

»Man muß noch mehr suchen,« ruft sie; »man hat vielleicht schlecht gesucht und wird diesen Menschen wiederfinden. Suchen wir, suchen wir alle, er kann unmöglich entwichen sein. Warum wäre Herr von Canolles sonst nicht ebensogut wie er entwichen? Auf! Herr Kapitän, ich flehe Euch an, gebt Befehle, daß man sucht.«

»Man hat gesucht, Madame,« antwortete er, »und sucht noch in diesem Augenblick. Der Kerkermeister weiß wohl, daß die Todesstrafe seiner harrt, wenn er seinen Gefangenen nicht zum Vorschein bringt; Ihr begreift also wohl, daß er ein Interesse dabei hat, aufs eifrigste zu suchen,«

»Mein Gott!« murmelte Claire, »und Herr Lenet kommt nicht zurück!«

»Geduld, teure Freundin, Geduld,« sagte Canolles, mit jenem weichen Tone, in dem man mit Kindern spricht, »Herr Lenet ist soeben erst weggegangen und hat kaum die Wohnung der Frau Prinzessin erreichen können; laßt ihm wenigstens Zeit, das Vorgefallene auseinanderzusetzen und sodann mit der Antwort zu uns zurückzukehren.«

Und während er diese Worte sprach, drückte er sanft die Hand der Vicomtesse.

Als er sodann den starren Blick und die Ungeduld des Offiziers wahrnahm, sagte er: »Kapitän, wollt Ihr mit mir sprechen?«

»Allerdings, mein Herr,« antwortete der Kapitän, dem die Überwachung der Vicomtesse höchst peinlich wurde.

»Mein Herr,« rief Frau von Cambes, »führt uns zu der Frau Prinzessin, ich bitte Euch inständig. Was tut das Euch? Es ist besser, Ihr führt uns zu ihr, als daß wir hier in Ungewißheit bleiben; sie wird ihn sehen, mein Herr, sie wird mich sehen, ich rede mit ihr, und sie wiederholt ihr Versprechen.«

»Madame,« sagte der Offizier eifrig, »das ist eine vortreffliche Idee; geht selbst, geht, Ihr habt alle Hoffnung auf einen günstigen Erfolg!«

»Was sagt Ihr, Baron?« erwiderte die Vicomtesse, »glaubt Ihr, daß es gut sein wird? Wollt Ihr mich nicht täuschen? Was soll ich tun?«

»Geht, Madame,« sagte Canolles mit einer äußersten Anstrengung gegen sich selbst.

Die Vicomtesse ließ seinen Arm los, versuchte es, einige Schritte zu machen, kehrte aber dann wieder zu ihrem Geliebten zurück und rief: »Oh! nein, nein, ich werde ihn nicht verlassen.«

»Gott sei gelobt, Herr Lenet und der Herr Herzog kommen zurück,« fügte sie hinzu, als sie das Tor öffnen hörte.

Hinter dem Herzog, der mit seiner unempfindlichen Miene eintrat, erschien wirklich Lenet mit verstörtem Blick und zitternden Händen. Beim ersten Blick begriff Canolles, daß er nichts mehr zu hoffen hatte und daß er wirklich verurteilt war.

»Nun?« fragte die junge Frau, während sie eine so heftige Bewegung auf Lenet zu machte, daß sie Canolles mit sich fortzog.

»Nun,« stammelte Lenet, »die Frau Prinzessin ist in Verlegenheit.«

»In Verlegenheit?« rief Claire, »was soll das bedeuten?« – »Das bedeutet, daß sie nach Euch verlangt,« sagte der Herzog, daß sie Euch sprechen will.«

»Ist das wahr, Herr Lenet?« rief Claire, ohne sich darum zu bekümmern, was in dieser Frage Beleidigendes für den Herzog lag.

»Ja, Madame,« stammelte Lenet.

»Aber er?« – »Nun, Herr von Canolles kehrt in sein Gefängnis zurück, und Ihr bringt ihm die Antwort der Prinzessin,« erwiderte der Herzog.

»Werdet Ihr bei ihm bleiben, Herr Lenet?« fragte Claire.

»Madame, ich verlasse ihn nicht.«

»Ihr verlaßt ihn nicht, Ihr schwört es mir?«

»Mein Gott!« murmelte Lenet, den jungen Mann anschauend, der sein Urteil erwartete, und die junge Frau, die ein Wort von ihm töten sollte.

»Ihr schwöret nicht, Herr Lenet?«

»Ich schwöre es Euch,« antwortete der Rat und legte mit der größten Anstrengung seine Hand an sein Herz, das unter dieser Marter beinahe brach.

»Ich danke, mein Herr,« sagte ganz leise Canolles, »ich begreife.«

Dann sich zur Vicomtesse umwendend, sagte er: »Geht, Madame, Ihr seht wohl, daß ich zwischen Lenet und dem Herrn Herzog keine Gefahr laufe.«

»Laßt sie nicht gehen, ohne sie zu küssen,« flüsterte Lenet.

Kalter Schweiß brach aus Canolles' Stirn; er fühlte es wie einen Nebel vor seinen Augen hinziehen; er hielt Claire zurück, stellte sich, als hätte er ihr einige Worte leise zu sagen, näherte sie seiner Brust und sagte, sich an ihr Ohr bückend: »Bittet ohne Erniedrigung; ich will für Euch leben, aber es muß Euer Wille sein, daß ich geehrt lebe.«

»Ich werde so bitten, daß ich dich rette,« erwiderte sie; »bist du nicht mein Gatte vor Gott?«

Und indem er sich zurückzog, fand Canolles ein Mittel, ihren Hals mit seinen Lippen zu berühren, aber mit soviel Vorsicht, daß sie es nicht fühlte, und daß die arme Wahnsinnige sich entfernte, ohne ihm seinen letzten Kuß zurückzugeben. In dem Augenblick, wo sie den Hof verließ, wandte sie sich um; aber es hatte sich zwischen ihr und dem Gefangenen eine Hecke von Menschen gebildet.

»Freund,« sagte sie, »wo bist du? Ich kann dich nicht mehr sehen; ein Wort, noch ein Wort, daß ich den Ton deiner Stimme höre.«

»Geht, Claire,« rief Canolles, »ich erwarte Euch.«

»Herr Lenet, lieber Herr Lenet,« rief Claires Stimme in der Ferne, »ich baue auf Euch, Ihr seid mir verantwortlich!«

Und das Tor schloß sich hinter ihr.

»Gut,« murmelte der Herzog, »es geht nicht ohne Mühe; aber wir haben doch eine Möglichkeit vor uns.«


Einundzwanzigstes Kapitel.

Sobald sich das Tor wieder hinter der Vicomtesse geschlossen hatte, zog sich der Kreis der Offiziere enger um Canolles zusammen, und man sah zwei Menschen mit Unglück weissagenden Gesichtern erscheinen, die sich dem Herzog näherten und ihn demütig um seine Befehle fragten.

Der Herzog begnügte sich, ihnen statt jeder Antwort Canolles zu bezeichnen.

Hierauf trat er auf den Gefangenen zu, grüßte ihn mit der ihm eigentümlichen eisigen Höflichkeit und sagte: »Ihr habt Euch ohne Zweifel schon selbst gesagt, daß die Entfernung Eures Unglücksgefährten auf Euch das Schicksal zurückfallen läßt, für das er bestimmt war.«

»Ja,« antwortete Canolles, »ich vermutete es wenigstens; aber dessen bin ich gewiß, daß die Frau Prinzessin meine Person namentlich begnadigt hat. Ihr konntet soeben meinen Begnadigungsbefehl in den Händen der Frau Vicomtesse von Cambes sehen, wie ich ihn gesehen habe.«

»Es ist wahr,« sagte der Herzog; »aber die Frau Prinzessin konnte das, was vorgefallen ist, nicht ahnen.«

»Also nimmt die Frau Prinzessin ihre Unterschrift zurück?« – »Ja.«

»Eine Prinzessin von Geblüt bricht ihr Wort!«

Der Herzog blieb unempfindlich.

Canolles schaute umher und fragte dann: »Ist der Augenblick gekommen?« – »Ja, mein Herr.«

»Ich glaubte, man würde die Rückkehr der Frau Vicomtesse von Cambes abwarten; man hat ihr versprochen, es würde nichts in ihrer Abwesenheit vorgehen. Brechen denn heute alle ihr Wort?«

Und der Gefangene heftete einen vorwurfsvollen Blick nicht auf den Herzog von Larochefoucault, sondern auf Lenet.

»Ach! Herr,« rief dieser mit Tränen in den Augen, »vergebt uns. Die Frau Prinzessin hat Eure Begnadigung auf das entschiedenste verweigert; daß ich sie darum angefleht habe, dessen ist der Herr Herzog Zeuge und Gott auch. Aber es sollten Repressalien für den Tod des armen Richon genommen werden, und sie war von Stein.«

»Ich werde sie also nicht mehr sehen!« stammelte Canolles, den die Erschütterung beinahe erstickte. »Als Ihr mich sie zu küssen aufforderte, war es zum letzten Male?«

Ein Schluchzen, stärker als der Stoizismus, als die Vernunft, als der Stolz, zerriß Lenets Brust; er zog sich zurück und weinte bitterlich.

Canolles ließ seinen durchdringenden Blick auf all den Menschen umhergehen, die ihn umgaben; er traf nur auf gefühllose, rachgierige Augen, die seine Haltung beobachteten.

Einen Augenblick wollte ihn das Gefühl übermannen; er fühlte ein Prickeln in den Augen, als sich ihm der Gedanke, alles zusammenfassend, vor die Seele stellte, daß er statt der verheißenen nahen Wonne dem unentrinnbaren kalten Tode entgegengehen sollte.

Aber sofort besann er sich wieder auf sein besseres Selbst, den ihm angeborenen Mut; sein Gesicht wurde ruhig, als ob jede Erschütterung aus seinem Herzen entflohen wäre; er fuhr mit der Hand durch seine schönen schwarzen Haare, näherte sich mit festen Schritten und einem Lächeln auf den Lippen Herrn von Larochefoucault und Lenet und sagte: »Meine Herren, in dieser Welt, in welcher der Zufall herrscht, muß man sich an alles gewöhnen; es hat mich eine Minute gekostet, mich an den Tod zu gewöhnen; ist dies zu viel, so entschuldigt, daß ich Euch warten ließ.«

Ein tiefes Erstaunen durchlief die Gruppen; der Gefangene selbst fühlte, daß man vom Erstaunen zur Bewunderung überging, und dieses stolze Gefühl erhob ihn und verdoppelte seine Kräfte.

»Wenn Ihr wollt, meine Herren,« sagte er, »so erwarte ich Euch.«

Eine Minute lang von Bewunderung ergriffen, nahm der Herzog sein Phlegma wieder an und machte ein Zeichen. Hierauf öffneten sich die Tore abermals, und der Zug wollte sich in Marsch setzen.

»Einen Augenblick,« rief Lenet, um Zeit zu gewinnen, »einen Augenblick, Herr Herzog! Nicht wahr, wir führen Herrn von Canolles zum Tode?«

Der Herzog machte eine Gebärde des Erstaunens, und Canolles schaute Lenet verwundert an.

»Ja,« sagte der Herzog.

»Nun wohl,« versetzte Lenet, »wenn dem so ist, so kann dieser würdige Edelmann eines Beichtigers nicht entbehren.«

»Verzeiht, verzeiht, mein Herr,« entgegnete Canolles, »ich kann seiner wohl entbehren, und tue es sehr gern.«

»Wieso?« fragte Lenet, indem er dem Gefangenen Zeichen machte, die dieser nicht verstehen wollte.

»Weil ich Hugenott bin,« erwiderte Canolles. »Wenn Ihr mir ein letztes Vergnügen bereiten wollt, so laßt mich sterben, wie ich bin.«

»Nun vorwärts, wenn uns nichts anderes mehr zurückhält,« sagte der Herzog.

»Er soll beichten! er soll beichten!« schrien einige Wütende.

»Still dort!« rief der Herzog, sich nach den Gruppen umwendend. Dann, als die Macht seiner Stimme und seines Blickes das Stillschweigen wirklich wiederhergestellt hatte, sagte er zu Canolles: »Mein Herr, Ihr werdet tun, wie Euch beliebt.«

»Ich danke, gnädigster Herr. Und nun wollen wir aufbrechen und unsere Schritte beschleunigen, wenn es Euch gefällig ist . . .«

Lenet nahm Canolles beim Arm und sagte zu ihm: »Geht im Gegenteil langsam. Wer weiß? Ein Aufschub, eine Überlegung, ein Ereignis liegen im Bereiche der Möglichkeit. Geht langsam, ich beschwöre Euch im Namen deren, die Euch liebt, die so sehr weinen wird, wenn Ihr zu schnell geht . . .«

»Oh! sprecht mir nicht von ihr, ich bitte Euch,« erwiderte Canolles; »mein ganzer Mut scheitert an dem Gedanken, daß ich für immer von ihr getrennt werden soll: aber was sage ich? . . . Nein, im Gegenteil, Herr Lenet, sprecht mir von ihr, wiederholt mir, daß sie mich liebt, daß sie mich stets lieben wird, und besonders, daß sie mich beweinen wird.«

Canolles hob stolz das Haupt empor, und seine schönen Haare rollten bei der Bewegung voll Anmut in schwarzen Locken über seinen Hals herab. Man war in die Straße gelangt; zahlreiche Fackeln erhellten seinen Zug, so daß man sein Gesicht ruhig und lächelnd sehen konnte.

Er hörte einige Frauen weinen und andere sagen: »Armer Baron, so jung und so schön!«

Man setzte den Marsch still fort, dann sagte er plötzlich: »Oh! Herr Lenet, ich möchte sie doch noch einmal sehen!«

»Soll ich sie holen? soll ich sie Euch bringen?« fragte Lenet, der keinen Willen mehr hatte.

»Oh! ja,« murmelte Canolles.

»Wohl, ich laufe; aber Ihr werdet sie töten.«

Rasch die letzte Schwäche überwindend, hielt Canolles Lenet am Arm zurück und sagte: »Nein, nein; Ihr habt ihr versprochen, bei mir zu bleiben; bleibt.«

»Was sagt er?« fragte der Herzog den Kapitän der Garden.

Canolles hörte die Frage und erwiderte: »Herr Herzog, ich sage, ich hatte nicht geglaubt, daß es von dem Gefängnis bis zu der Esplanade so weit wäre.«

»Ach!« sagte Lenet, »beklagt Euch nicht, armer junger Mann, denn wir sind an Ort und Stelle.«

Die Fackeln, welche die Vorhut beleuchteten, die der Eskorte voranging, verschwanden wirklich in diesem Augenblick an der Wendung der Straße.

Gleich darauf befand sich Canolles ebenfalls am Eingange des Platzes; in der Ferne, das heißt am andern Ende des Platzes, sah man die gedrängte Menge und den weiten Kreis, den die glänzenden Musketenläufe bildeten; in der Mitte erhob sich etwas Schwarzes, Ungestaltes, was Canolles in der Finsternis für ein Schafott hielt. Als er aber zum Mittelpunkte des Platzes gelangt war, beleuchteten die Fackeln diesen anfangs unkenntlichen schwarzen Gegenstand und hoben den furchtbaren Umriß eines Galgens hervor.

»Ein Galgen!« rief Canolles still stehend und die Hand nach der Maschine ausstreckend. »Ist es nicht ein Galgen, was ich dort sehe, Herr Herzog?«

»In der Tat, Ihr täuscht Euch nicht,« antwortete dieser mit kaltem Tone.

Die Röte der Entrüstung färbte die Stirn des jungen Mannes, er schob die Soldaten, die an seinen Seiten gingen, zurück, befand sich mit einem Sprunge vor Herrn von Larochefoucault und rief: »Mein Herr, vergeßt Ihr, daß ich Edelmann bin? Alle Welt weiß und dem Henker selbst ist es nicht unbekannt, daß ein Edelmann darauf Anspruch zu machen hat, daß man ihn enthauptet.«

»Mein Herr, es gibt Umstände. Ihr vergeßt, daß es sich hier um Repressalien handelt, man würde Euch hängen, selbst wenn Ihr ein Prinz von Geblüt wäret.«

Mit einer unüberlegten Bewegung suchte Canolles seinen Degen an seiner Seite; als er ihn aber nicht fand, gewann das Gefühl seiner Lage wieder seine ganze Kraft, sein Zorn verschwand, und er begriff, daß sein Übergewicht gerade in seiner Schwäche lag.

»Wehe denen,« sagte er, »die Repressalien gebrauchen, und zweimal wehe denen, die dabei der Menschlichkeit kein Gehör schenken! Ich verlangte nicht Gnade, ich verlangte Gerechtigkeit. Es gibt Menschen, die mich lieben, mein Herr. In das Herz dieser Menschen werdet Ihr für immer, mit der Erinnerung an meinen Tod, das gemeine Bild des Galgens einprägen. Ich bitte Euch um einen Schwertstreich, eine Musketenkugel; gebt mir Euren Dolch, daß ich ihn mir selbst in die Brust stoße, und dann hängt meinen Leichnam, wenn es Euch Vergnügen macht.«

»Richon ist lebendig gehängt worden,« erwiderte kalt der Herzog.

»Es ist gut. Doch hört mich; eines Tags wird Euch ein furchtbares Unglück treffen; eines Tags werdet Ihr Euch erinnern, daß der Himmel dieses Unglück als Strafe über Euch, verhängt; ich meinesteils sterbe mit der Überzeugung, daß mein Tod Euer Werk ist.«

Bebend und bleich, aber voll Mut und Begeisterung, näherte sich Canolles dem Galgen und setzte stolz und mit Verachtung vor dem Volke den Fuß auf die erste Sprosse der Leiter.

»Meine Herren Henker,« sagte er, »tut nun, was Eures Amtes ist.«

»Es ist nur einer,« rief die erstaunte Menge; »der andere! Wo ist der andere? Man hat uns zwei versprochen.«

»Ah! das tröstet mich,« sagte Canolles lächelnd, »dieser vortreffliche Pöbel ist nicht einmal mit dem, was Ihr für ihn tut, zufrieden; hört Ihr es, Herr Herzog?«

»Tod! Tod! Rache für Richon!« brüllten zehntausend Stimmen.

»Wenn ich sie aufhetzte,« dachte Canolles, »sie sind imstande, mich in Stücke zu zerreißen, dann würde ich nicht gehängt. Ihr seid feige,« rief er, »ich erkenne unter Euch Menschen, die bei dem Angriffe auf das Fort Saint-George waren, und die ich habe fliehen sehen. Ihr rächt Euch heute an mir dafür, daß ich Euch geschlagen habe.«

Ein Gebrüll antwortete ihm.

»Ihr seid Feiglinge!« fuhr er fort, »Rebellen, Elende!«

Tausend Messer funkelten, und es fielen Steine vor dem Galgen nieder.

»Vortrefflich,« murmelte Canolles; dann fuhr er mit lauter Stimme fort: »Der König hat Richon hängen lassen, und daran hat er wohl getan; wird er noch viele andere hängen lassen.«

Bei diesen Worten stürzte die Menge wie ein Strom gegen die Esplanade, warf die Wachen nieder, zertrümmerte die Palisaden und drang brüllend auf den Gefangenen ein.

Inzwischen hatte einer von den Henkern, auf ein Zeichen des Herzogs, Canolles unter den Armen emporgehoben, während ihm der andere eine Schlinge um den Hals zog.

Canolles fühlte den Druck des Strickes und verdoppelte seine Schmähungen; wollte er zu rechter Zeit getötet werden, so hatte er keine Minute zu verlieren. In diesem äußersten Momente schaute er umher, aber überall sah er nur flammende Augen und drohende Waffen.

Ein Mensch allein, ein Soldat zu Pferde, zeigte ihm seine Muskete.

»Cauvignac! es ist Cauvignac!« rief Canolles, sich mit beiden Händen, die man nicht gebunden hatte, an die Leiter klammernd.

Cauvignac machte demjenigen, den er nicht hatte retten können, mit seinem Gewehre ein Zeichen und schlug auf ihn an.

Canolles verstand ihn und rief, mit einer Bewegung des Kopfes: »Ja, ja.«

Wie kam Cauvignac hierher?


Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Als Cauvignac auf seinem Ritte nach Bordeaux zu seinen von Ferguzon befehligten Soldaten gelangte, hielt er einen Augenblick an, nicht um Atem zu schöpfen, sondern um den Plan auszuführen, den sein erfindungsreicher Geist unterwegs entworfen hatte. Zuerst beeilte er sich, mit einem von seinen Soldaten die Kleider zu wechseln, ließ Barrabas, welcher der Frau Prinzessin weniger bekannt war, als er, sein schönstes Gewand anziehen, nahm ihn mit sich und jagte auf der Straße nach Bordeaux fort. Sodann beschloß er, sich von dem Inhalt des Briefes, der Canolles unfehlbar die Freiheit verschaffen sollte, zu überzeugen.

Er öffnete das mit einem Wachssiegel verschlossene Schreiben und wurde von einem seltsamen, schmerzlichen Eindrucke ergriffen, als er las:

»Frau Prinzessin, es bedarf eines Sühnopfers für den unglücklichen Richon; nehmt keinen Unschuldigen, nehmt die wahre Schuldige; Herr von Canolles soll nicht sterben, denn Herrn von Canolles töten, hieße einen Mord durch einen andern Mord rächen. In dem Augenblick, wo Ihr diesen Brief lest, habe ich nur noch eine Meile zurückzulegen, um mit allem, was ich besitze, nach Bordeaux zu gelangen; Ihr liefert mich dem Volke aus, das mich haßt, denn es wollte mich bereits zweimal erwürgen, und behaltet meine Reichtümer, die sich auf zwei Millionen belaufen. Oh! Madame, auf den Knien flehe ich Euch um diese Gnade an; ich trage zum Teil die Schuld an diesem Kriege; bin ich tot, so ist der Friede in der Provinz hergestellt, und Eure Hoheit triumphiert. Madame, eine Viertelstunde Frist! Ihr laßt Canolles nicht eher frei, als bis Ihr mich in Händen habt; aber dann, bei Eurer Seele, nicht wahr, dann laßt Ihr ihn frei?

»Und ich bin Eure ehrerbietige und dankbare

Nanon von Lartigues

Cauvignac war, nachdem er diese Zeilen gelesen hatte, ganz erstaunt, als er sein Herz übervoll und seine Augen feucht fühlte. Er blieb einen Augenblick unbeweglich und stumm, als könnte er nicht an diese Worte glauben. Plötzlich aber rief er: »Es ist also wahr, es gibt auf dieser Welt edle Herzen, nur aus Vergnügen, so zu sein! Mord und Tod! man wird sehen, daß ich so gut wie jeder andere imstande bin, Edelmut zu üben, wenn es sein muß:« Und da er sich am Tore der Stadt befand, übergab er seinen Brief Barrabas mit der Weisung: »Auf alles, was man dir sagen wird, antworte nur: ›Befehl des Königs!‹ und händige diesen Brief keiner andern Person als Frau von Condé selbst ein.«

Als Barrabas, dieser Weisung folgend, das prinzliche Gemach erreichte, blieb er still stehen, denn er befand sich einer Dame gegenüber, in der er die Frau Prinzessin erkannte und zu deren Füßen eine andere Frau lag.

»Oh! Gnade, Hoheit, Gnade im Namen des Himmels!« rief diese.

»Claire,« erwiderte die Prinzessin, »laß mich, sei vernünftig, bedenke, daß wir unserer Eigenschaft als Frauen entsagt haben, wie wir unsern Kleidern entsagten; wir sind die Statthalter des Herrn Prinzen, und die Staatsräson befiehlt.«

»Oh! Madame, es gibt keine Staatsräson mehr für mich,« rief Claire, »es gibt keine politische Partei, keine Meinung für mich, er nur allein ist für mich in dieser Welt vorhanden, die er verlassen soll, und wenn er sie verlassen hat, gibt es für mich nur noch den Tod.«

»Claire, mein Kind, ich habe dir bereits gesagt, es sei unmöglich,« versetzte die Prinzessin; »sie haben uns Richon getötet, wenn wir ihnen nicht gleiches mit gleichem vergelten, sind wir entehrt.«

»Oh! Madame, man hat sich nie dadurch entehrt, daß man Gnade übte; man hat sich nie dadurch entehrt; ein Wort, Madame, ein einziges Wort, der Unglückliche erwartet es.«

»Claire, du bist toll, ich sage dir, es ist unmöglich. Es ist auch schon zu spät, um elf Uhr sollte alles vorüber sein.«

Die Vicomtesse stieß einen Schrei aus und erhob sich; als sie sich umwandte, stand sie Barrabas gegenüber.

»Wer seid Ihr? Was wollt Ihr?« rief sie; »kommt Ihr schon, um seinen Tod zu verkündigen?« – »Nein, Madame,« antwortete Barrabas mit seiner freundlichsten Miene, »ich komme im Gegenteil, ihn zu retten.«

»Wie dies, mein Gott?« – »Indem ich diesen Brief der Frau Prinzessin übergebe.«

Frau von Cambes streckte den Arm aus, entriß den Brief den Händen des Boten, überreichte ihn der Prinzessin und rief: »Ich weiß nicht, was dieser Brief enthält, aber im Namen des Himmels lest.«

Die Prinzessin öffnete den Brief und las ganz laut, während Frau von Cambes, bei jeder Zeile erbleichend, die Worte verschlang, wie sie von den Lippen der Prinzessin fielen.

»Von Nanon!« rief die Prinzessin, nachdem sie gelesen hatte. »Nanon ist hier! Nanon liefert sich aus. Wo ist Lenet? Wo ist der Herzog? Ist niemand da?« – »Ich bin da, bereit zu laufen, wohin Eure Hoheit will.«

»Lauft auf die Esplanade, lauft nach dem Richtplatz, sagt, man solle die Vollziehung des Urteils verschieben; doch nein, man würde Euch keinen Glauben schenken.«

Und die Prinzessin sprang nach einer Feder und schrieb unten an das Billett: »Verschiebt,« und übergab den Brief offen Barrabas, der aus dem Zimmer eilte.

»Oh!« murmelte die Vicomtesse »sie liebt ihn mehr als ich; und, ich Unglückliche! Ihr wird er das Leben zu verdanken haben.«

Und dieser Gedanke wirft sie wie vom Blitze getroffen auf einen Stuhl nieder, sie, die alle Schläge dieses furchtbaren Tages, aufrecht stehend, ertragen hatte.

Barrabas verlor indessen keine Sekunde; er eilte die Treppe hinab, als ob er Flügel hätte, sprang wieder auf sein Pferd und ritt im Galopp nach der Esplanade fort.

Inzwischen war Cauvignac geradenwegs nach dem Schlosse Trompette geritten. Durch den breitkrempigen, über die Augen herabgeschlagenen Hut und durch die Dunkelheit unkenntlich gemacht, fragte er hier und erfuhr, was sich nach seiner Entweichung zugetragen hatte. Da jagte er sein Pferd mit aller Gewalt spornend, alles niederwerfend, was sich ihm in den Weg stellte, nach der Esplanade; hier angelangt, erblickt er den Galgen und stößt einen Schrei aus.

In diesem Augenblick gewahrt ihn Canolles; er errät seine Absicht und bedeutet ihm mit einem Zeichen des Kopfes, er sei willkommen.

Cauvignac erhebt sich auf den Steigbügeln, schaut umher, ob er nicht Barrabas oder einen Boten der Prinzessin kommen sehe, horcht, ob er nicht das Wort »Gnade!« erschallen höre; aber er sieht nichts, er hört nichts, als Canolles, den der Henker von der Leiter loszumachen und in die Luft zu schleudern im Begriffe ist, während er mit einer Hand auf sein Herz deutet.

Da senkt Cauvignac seine Muskete in der Richtung dieses Herzens, schlägt an, zielt und gibt Feuer.

»Ich danke,« sagte Canolles, die Arme öffnend; »ich sterbe wenigstens den Tod eines Soldaten.«

Die Kugel hatte ihm die Brust durchbohrt. Der Henker stieß den Körper ab, und dieser blieb am Ende des entehrenden Stranges hängen . . . aber es war nur noch eine Leiche.

Der Knall wirkte wie ein Signal, tausend andere Musketenschüsse donnern gleichzeitig. Eine Stimme ruft: »Haltet ein! haltet ein! schneidet den Strick ab!«

Aber diese Stimme verliert sich im Gebrüll der Menge; überdies wird der Strick von einer Kugel abgeschnitten; vergebens leistet die Wache Widerstand, sie wird von den Volkswogen zurückgeworfen; der Galgen wird zertrümmert, niedergerissen, vernichtet; die Henker fliehen, die Menge breitet sich wie ein Schatten aus, bemächtigt sich des Leichnams, zerfleischt ihn und schleppt ihn in Fetzen durch die Stadt.

Währenddessen erreichte Barrabas den Herzog, und obgleich er selbst einsah, daß er zu spät kam, übergab er ihm doch seine Depesche.

Der Herzog entsiegelte den Brief und las seinen Inhalt.

»Das ist schade,« sagte er, sich zu seinen Offizieren umwendend, »was diese Nanon vorschlug, wäre vielleicht mehr wert gewesen; aber was geschehen ist, ist geschehen.«

Nach kurzer Überlegung fügte er hinzu: »Doch, wenn ich bedenke . . . da sie unsere Antwort jenseit des Flusses erwartet, so könnte man die Angelegenheit vielleicht doch noch ins reine bringen.«

Und ohne sich weiter um den Boten zu bekümmern, gab er seinem Pferde die Sporen und kehrte mit seiner Eskorte zu der Prinzessin zurück.

In demselben Augenblick brach der seit einiger Zeit drohende Sturm über Bordeaux los, und von Blitzen begleitet fiel ein gewaltiger Regen auf den Platz der Esplanade, als wollte er das unschuldige Blut abwaschen.


Dreiundzwanzigstes Kapitel.

Während dies in Bordeaux vorfiel, während der Pöbel den Leichnam des unglücklichen Canolles durch die Straßen schleppte, und der Herzog von Larochefoucault zurückkehrte und dem Stolze der Prinzessin schmeichelte, während Cauvignac mit Barrabas die Tore der Stadt wieder erreichte, hielt eine Karosse, von vier atemlosen, mit Schaum bedeckten Pferden gezogen, auf dem Bordeaux entgegengesetzten Ufer der Gironde an.

Es hatte soeben elf Uhr geschlagen.

Ein Läufer, der zu Pferd folgte, sprang hastig zu Boden, sobald er den Wagen unbeweglich sah, und öffnete den Kutschenschlag.

Eine Dame stieg rasch aus, befragte den von blutigem Schein geröteten Himmel und horchte auf den entfernten Lärm.

»Ihr wißt gewiß, daß uns niemand gefolgt ist?« sagte sie zu ihrer Kammerfrau, die nach ihr ausstieg.

»Nein, Madame,« antwortete diese; »die Piqueurs, die auf Euern Befehl zurückgeblieben sind, haben den Wagen eingeholt und sagen, sie hätten nichts gesehen und nichts gehört.«

»Und Ihr, hört Ihr nichts in der Richtung der Stadt?« – »Es kommt mir vor, als hörte ich entferntes Geschrei.«

»Seht Ihr nichts?« – »Ich sehe etwas wie den Schimmer einer Feuersbrunst.«

»Das sind Fackeln.«

»Ja, Madame, ja, denn sie bewegen sich, sie laufen wie Irrlichter. Hört Ihr, Madame? der Lärm verdoppelt sich, und das Geschrei wird ganz deutlich.«

»Mein Gott!« rief die junge Frau und sank auf dem feuchten Boden auf die Knie; »mein Gott! mein Gott!«

Die Kammerfrau hatte sich nicht getäuscht; es bewegten sich in der Tat Fackeln, das Geschrei schien näher zu kommen; man hörte einen Flintenschuß, dem fünfzig andere folgten, dann ein gewaltiges Geräusch, dann erloschen die Fackeln, und das Geschrei entfernte sich; der Regen fing an herabzustürzen, ein Sturm brauste am Himmel; aber was kümmerte sich die junge Frau darum? Sie fürchtete sich nicht vor Blitzen.

Ihre Augen waren beständig auf die Stelle geheftet, wo sie so viele Fackeln gesehen, wo sie einen so gewaltigen Lärm gehört hatte. Sie sah nichts mehr, sie hörte nichts mehr, und bei dem Schimmer der Blitze kam es ihr vor, als wäre der Platz leer.

»Oh! ich habe nicht die Kraft, länger zu warten,« rief sie. »Nach Bordeaux! Man führe mich nach Bordeaux!«

Plötzlich hörte man ein Geräusch von Pferden, das sich rasch näherte.

»Ah!« rief sie, »endlich kommen sie. Hier sind sie. Lebe wohl, Finette, ziehe dich zurück, Finette, ich muß allein gehen; nehmt sie zu Euch auf Euer Pferd, Lombard, und laßt alles, was ich mitgebracht habe, im Wagen.«

»Aber was wollt Ihr denn machen, Madame!« rief die Kammerfrau ganz erschrocken.

»Gott befohlen, Finette, lebe wohl!«

»Warum Lebewohl, Madame? Wohin geht Ihr denn?« – »Ich gehe nach Bordeaux.«

»Oh! im Namen des Himmels, tut das nicht, Madame, sie werden Euch töten.«

»Nun, warum glaubst du denn, daß ich dahin gehen will?«

»Oh! Madame! Lombard zu Hilfe! herbei, wir müssen sie verhindern . . .«

Ein Reiter, in einiger Entfernung von einem andern Reiter gefolgt, jagte wirklich herbei; man hörte sein Pferd mehr brausen als schnauben.

»Meine Schwester! meine Schwester!« schrie er. »Oh! ich komme noch zu rechter Zeit.«

»Cauvignac!« rief Nanon. »Nun, ist es abgemacht? Erwartet er mich? Brechen wir auf?«

Aber statt zu antworten, springt Cauvignac vom Pferde und faßt Nanon, die ihn mit der unbeweglichen Starrheit der Wahnsinnigen gewähren laßt, in seine Arme. Er legt sie in den Wagen, läßt Finette und Lombard zu ihr einsteigen, schließt den Kutschenschlag und schwingt sich auf sein Roß. Wieder zu sich gekommen, schreit und zermartert sich die arme Nanon vergebens.

»Laßt sie nicht los,« ruft Cauvignac, »laßt sie um alles in der Welt nicht los. Barrabas, bewache den andern Schlag, und dir, Kutscher, zerschmettere ich die Hirnschale, wenn deine Pferde aus dem Galopp fallen.«

Diese Befehle werden so rasch gegeben, daß ein Augenblick des Zögerns eintritt; der Wagen setzt sich sehr langsam in Bewegung; die Bedienten zittern, die Pferde wollen nicht vorwärts.

»Aber beeilt Euch doch, tausend Teufel!« schrie Cauvignac; »sie kommen, sie kommen!«

Man vernahm wirklich in der Ferne den Hufschlag von Pferden, dem Rollen eines Donners ähnlich, der rasch und drohend näher kommt.

Die Furcht ist ansteckend. Bei Cauvignacs Worten begreift der Kutscher, daß irgend eine große Gefahr droht, und faßt die Zügel seiner Pferde.

»Wohin fahren wir?« stammelte er . . .

»Nach Bordeaux! nach Bordeaux!« ruft Nanon aus dem Innern des Wagens.

»Tausend Donner, nach Libourne!« schreit Cauvignac,

»Herr, die Pferde werden fallen, ehe sie zwei Meilen gemacht haben.«

»Ich verlange nicht, daß sie so viel machen! ruft Cauvignac und peitscht sie mit seinem Degen. »Wenn sie nur bis Ferguzons Posten kommen, mehr fordere ich nicht.«

Und die plumpe Maschine setzt sich in Bewegung und rollt mit einer furchtbaren Geschwindigkeit fort. Menschen und Pferde beleben sich gegenseitig; die einen durch Geschrei, die andern durch Wiehern.

Nanon, von nutzlosem Ringen erschöpft, fällt kalt in die Arme ihrer Kammerfrau.

Cauvignac ist am Kutschenschlage vorbeigeritten und hat die Köpfe der Pferde erreicht. Sein Roß läßt einen Feuerstreifen auf dem Pflaster der Straße zurück.

»Herbei! Ferguzon, herbei!« ruft er.

Und er hört etwas wie ein Hurrah in der Ferne.

»Hölle!« schreit Cauvignac, »du spielst gegen mich, doch ich glaube, du wirst heute abermals verlieren,«

Es fallen mehrere Flintenschüsse von hinten, aber vorn antwortet man durch ein allgemeines Feuer.

Der Wagen hält an, zwei Pferde sind vor Anstrengung gestürzt, ein drittes hat eine Kugel niedergeschmettert.

Ferguzon und seine Leute fallen über die Truppen des Herrn von Larochefoucault her; da sie ihnen der Anzahl nach dreifach überlegen find, so vermögen die Bordolesen keinen Widerstand zu leisten, wenden ihre Pferde, und Sieger und Besiegte, Verfolger und Flüchtige, verschwinden wie eine Wolke, die der Wind fortträgt, in der Finsternis der Nacht.

Cauvignac bleibt mit den Dienern allein, und Finette sucht die jedes Gefühles beraubte Nanon wiederzubeleben.

Zum Glück war man nur hundert Schritte von dem Dorfe Carbonblanc entfernt. Cauvignac trug Nanon in seinen Armen bis zum ersten Hause des Dorfes, hier legte er, nachdem er Befehl gegeben hatte, den Wagen nachzubringen, seine Schwester auf ein Bett, zog sodann aus seiner Brust einen Gegenstand hervor, den Finette nicht erkennen konnte, und steckte ihn in die krampfhaft zusammengepreßte Hand der armen Frau.

Als Nanon am andern Tage aus dem, was sie für einen furchtbaren Traum hielt, erwachte, griff sie mit dieser Hand in ihr Gesicht und etwas Seidenes, Duftendes streifte ihre bleichen Lippen.

Es war eine Haarlocke von Canolles, die Cauvignac heldenmütig mit Gefahr seines Lebens von den bordolesischen Tigern erobert hatte.


Vierundzwanzigstes Kapitel.

Frau von Cambes blieb acht Tage und acht Nächte hindurch, nachdem sie die furchtbare Kunde vernommen, wie im Wahnsinn in dem Bett, in das man sie ohnmächtig gebracht hatte.

Am neunten Tage kehrte in dem Augenblick, wo man es am wenigsten erwartete und bereits zu verzweifeln anfing, die Vernunft wie durch einen Zauber bei ihr zurück: ihre Tränen versiegten, ihre Augen schauten umher und hefteten sich mit einem traurigen Lächeln auf ihre Frauen, die ihr so eifrig beigestanden hatten, und auf Pompée; dann blieb sie einige Stunden stumm und auf ihren Ellenbogen gelehnt und verfolgte mit starrem Blicke einen und denselben Gedanken.

Plötzlich sagte sie, ohne sich darum zu bekümmern,, ob ihre Kräfte ihrem Entschlusse entsprächen: »Man kleide mich an.«

Dann ließ sie sich wachsbleich und mager wie eine Sterbende zur Prinzessin fahren, ersuchte um eine Audienz und wurde von der Prinzessin inmitten ihres ganzen Hofstaats empfangen, hier fragte sie steif und würdig die Prinzessin, ob sie ihr je Anlaß gegeben habe, mit ihr unzufrieden zu sein.

Die Prinzessin antwortete: »Teure Vicomtesse, ich bin bei jeder Gelegenheit vollkommen mit Euch zufrieden gewesen und habe Euch meine Dankbarkeit mehr als einmal ausgedrückt.«

»Dieses Zeugnis ist kostbar für mich,« erwiderte die Vicomtesse, »denn es berechtigt mich, Eure Hoheit zu bitten, mir gnädigst meinen Abschied gewähren zu wollen.«

»Wie!« rief die Prinzessin, »Ihr verlaßt mich, Claire?«

Claire verbeugte sich ehrfurchtsvoll und schwieg.

Man sah auf allen Gesichtern Scham, Reue und Schmerz. Eine Todesstille schwebte über der Versammlung.

»Aber warum verlaßt Ihr mich?« fragte die Prinzessin.

»Ich habe nur noch wenige Tage zu leben, Madame,« antwortete die Vicomtesse, »und diese wenigen Tage möchte ich gern zum Werke meines Heils anwenden.«

»Claire, liebe Claire,« rief die Prinzessin, »bedenkt doch . . .«

»Madame,« unterbrach sie die Vicomtesse, »ich wage es, mir zwei Gnaden von Euch zu erbitten; darf ich hoffen, daß Ihr sie mir gewähren werdet?«

»Ah! sprecht, sprecht, denn ich bin glücklich, etwas für Euch tun zu können.«

»Ihr könnt es.«

»Dann nennt diese Gnaden.«

»Die erste ist die Bewilligung der seit dem Tode von Frau von Montivy erledigten Sankt-Radegunds-Abtei.«

»Euch eine Abtei, liebes Kind! Ihr denkt nicht daran.«

»Die zweite, Madame,« fuhr Claire mit einem leichten Zittern der Stimme fort, »die zweite besteht darin, daß es mir erlaubt sein möge, auf meinem Gute Cambes den Leib meines von den Einwohnern von Bordeaux ermordeten Bräutigams, des Herrn Baron Raoul von Canolles, bestatten zu lassen.«

Die Prinzessin wandte sich, ihre kraftlosen Hände an ihr Herz pressend, ab. Der Herzog von Larochefoucault erbleichte und geriet in sichtbare Verwirrung. Lenet öffnete die Tür des Saales und entfloh.

»Eure Hoheit antwortet nicht?« sagte Claire, »schlägt Sie mir meine Bitten ab? Ich habe vielleicht zu viel verlangt?«

Frau von Condé hatte nur noch Kraft genug, um mit dem Kopfe ein Zeichen der Einwilligung zu machen; dann fiel sie ohnmächtig in ihren Lehnstuhl.

Claire wandte sich wie eine Bildsäule um; man öffnete ihr einen breiten Weg, sie schritt kalt und aufrecht an all den gebeugten Stirnen vorüber, und erst nachdem sie den Saal verlassen hatte, bemerkte man, daß niemand daran gedacht hatte, Frau von Condé Hilfe zu leisten.

Nach fünf Minuten rollte ein Wagen langsam durch den Hof, es war die Vicomtesse, die Bordeaux verließ.

»Was beschließt Eure Hoheit?« fragte die Marquise von Tourville Frau von Condé, als diese wieder zu sich kam.

»Man willfahre der Frau Vicomtesse in Betreff der beiden von ihr soeben vorgebrachten Wünsche, und bitte sie, uns zu verzeihen.«

 

Ende.

 


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