Georg Ebers
Per aspera
Georg Ebers

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Achtes Kapitel.

Die Sonne hatte die Mittagshöhe überschritten, als Melissa mit Andreas wieder ins Freie trat. Beide gingen anfänglich schweigend durch die stille Straße, und das Mädchen blickte dabei traurig zu Boden; denn eine innere Stimme sagte ihr, daß das Leben des Geliebten bedroht sei. Sie weinte nicht, aber mehr als einmal erhob sie das Tuch, um eine schwere Thräne von der Wange zu trocknen.

Auch Andreas ging den eigenen Gedanken nach. Eine Seele dem Heiland zu gewinnen, war sicherlich ein gutes Werk. Der Freigelassene kannte das stille, gedankenvolle Wesen Melissas, sowie das zurückgezogene, unerfreuliche Leben, das sie an der Seite des mürrischen Vaters führte. So war er, der die Menschen kannte, auf den Gedanken gekommen, daß sie, wenn eine, leicht für den Glauben zu gewinnen sei, in dem er selbst das höchste Glück fand.

Die Taufe hatte seinem Leben solche Weihe verliehen, daß er auch die Tochter des einzigen Weibes, für das sein Herz je schneller geschlagen, zu ihr hinzuführen wünschte.

Das Weib des Heron, die Mutter des Mädchens, war in der heißeren Sommerzeit oft wochenlang bei der verstorbenen Gemahlin des Polybius zu Gast gewesen. Ein eigenes Häuschen hatte sie dann mit den Kindern aufgenommen, und nachdem die Gattin des Polybius gestorben war, hatte der einsame Witwer sich nichts Lieberes gewußt, als sie weiter auf seinem Gute zu empfangen und sie, so lange Heron, der sich immer nur auf kurze Zeit von seinem Arbeitstischchen trennte, es gestattete, bei sich zu behalten.

Andreas war auch der Freund der Steinschneiderkinder geworden, und da sie nur Gutes und Wissenswertes von ihm lernten, hatte Frau Olympias sie gern in seiner Gesellschaft gesehen und in dem Freigelassenen selbst einen Lehrer und Vertrauten gefunden. Es war ihr bekannt geworden, daß Andreas sich zu den Christen halte. Sie hatte sich mancherlei von seinem Glauben erzählen lassen; doch als Tochter und Weib eines Künstlers hing sie so fest an den alten Göttern, daß sie im Christentum nur eine neue philosophische Lehre sah, in der mancherlei ihr gefiel und anderes sie abstieß.

Damals hatte die Leidenschaft zu der Mutter Melissas den Andreas so tief erfaßt, daß sein Leben zu einem schmerzlichen Ringen gegen das Verlangen geworden war, eines Nächsten Weib zu begehren. Doch er hatte die Selbstbeherrschung bewahrt und für jeden Blick, der ihr in Augenblicken der Schwäche verriet, was er für sie fühlte, sich schweren Bußen unterzogen. Sie war eine Freundin der Blumen gewesen, und er kannte die Pflanzenwelt so gut und verfügte so frei über alles, was in den weiten Gärten, denen er vorstand, grünte und blühte, daß er es seinen stummen Pfleglingen oft überlassen konnte, ihr Dinge anzuvertrauen, die Mund und Auge verschweigen mußten.

Nun war sie nicht mehr, und die Zucht der Pflanzen hatte, seitdem ihr Auge nicht mehr ihrem Gedeihen folgte, den besten Reiz für ihn verloren. Er überließ die Gärten seitdem den Gehilfen, während er sich selbst anderen Geschäften mit doppeltem Eifer widmete und sich einer strengeren Glaubensrichtung hingab.

Aber wie so mancher die Kinder der Frau ins Herz schließt, deren Besitz ihm selbst versagt blieb, so wurde dem Freigelassenen der Maler Alexander und Melissa immer teurer. Wie ein Vater war der Fünfziger für ihr Wohl besorgt, und er, der selbst wenig bedurfte, aber seine reichen Jahreseinkünfte streng zusammenhielt, um damit die Sache der Christen zu fördern und gute Werke zu üben, hatte am Ende der Lehrzeit des Alexander seine Schulden willig bezahlt, die so beträchtlich gewesen waren, daß der leichtfertige Jüngling es nicht gewagt hatte, sie dem harten Vater zu bekennen.

Schon wenige Jahre später gehörte der Sohn des Heron zu den beliebtesten Künstlern, und als er dem Freunde die ihm geliehene Summe zurückzuzahlen kam, nahm Andreas sie an, doch fügte er sie zu einem Kapital, dessen Bestimmung sein Geheimnis blieb, das aber, wenn sein Gebet erhört ward, dem Alexander wieder zu gute kommen konnte.

Auch Diodor war dem Andreas lieb wie ein eigener Sohn, obgleich auch er sich seinem Glauben abgeneigt zeigte. In der Ringschule, der Rennbahn, bei der Uebung der Mysterien, überall war die Saat zertreten worden, die er in die Brust des Knaben gesäet, und dazu war der Vater desselben, Polybius, ein echter Heide, der sich sogar – das erheischte sein Sitz im Senate der Stadt und sein Reichtum – zu den Priestern des Dionysos und der Demeter zählen ließ.

Nun hatte Diodor ihm, dem Andreas, zuerst vertraut, daß er Melissa zum Weibe begehre, und diese Absicht war dem Entschluß des Freigelassenen entgegengetreten, das Mädchen für seinen Glauben zu gewinnen; denn die Erfahrung lehrte ihn, wie leicht das Glück einer Ehe zu Grunde gehe, in der Mann und Weib verschiedenen Göttern dienen.

Wie der Freigelassene aber vorhin wieder Zeuge der Härte des Steinschneiders und der töchterlichen Geduld des Mädchens geworden war, hatte ihm eine innere Stimme zugerufen, dies stille, reichbegabte Kind gehöre zu den Bevorzugten, aus denen der Herr die Märtyrerinnen erliest, und es sei seine Pflicht, sie zu der Herde des Erlösers zu führen. Wie alles, was er ergriff, hatte er auch den ersten Bekehrungsversuch mit Feuereifer begonnen. Doch neue Bedenken waren auf der Schwelle des Krankenzimmers in ihm lebendig geworden, nachdem er dem seinem Herzen teuren Jüngling in die Augen geschaut, die ihm so vertrauensvoll und dazu so schmerzlich entgegengeblickt hatten.

War es recht, zwischen ihn und die künftige Gattin etwas ihren Bund Störendes zu säen? Durfte er dem Polybius, seinem Wohlthäter und früheren Herrn, wenn es durch Melissa gelang, auch den Diodor zu bekehren, den Sohn und Erben entfremden?

Dabei kam ihm in den Sinn, zu welcher Stellung er durch das Vertrauen dieses Mannes gelangt war. – Von den Geschäften seines Hauses sah Polybius nichts als die Abschlüsse, die Andreas ihm vorlegte; denn der Freigelassene verwaltete nicht nur den Grundbesitz, sondern auch das Vermögen des Hauses und stand dazu seit Jahren der Bank vor, deren Errichtung er auf sich genommen, um die großen Einkünfte des Mannes zu erhöhen, dem er die Freiheit verdankte. Dafür bewilligte Polybius dem umsichtigen Verwalter einen reichlichen Anteil an dem Gewinn jeden Jahres und hatte in der witzelnden Weise der Alexandriner einmal beim Gastmahl gesagt, sein Freigelassener Andreas diene seinen Interessen, was die Zuverlässigkeit angehe, wie ein Mann, wie er selbst es nur thun könne nämlich, was aber die Arbeit betreffe wie zehn.

Dankbar empfand der Christ dies Vertrauen, und während er neben Melissa hinschritt, wiederholte er sich, daß es unedel sein würde, es zu täuschen.

Mochte das teure Kind den eigenen Weg suchen! War es ihr bestimmt, den des Heiles zu finden, so würde der Herr sie selber führen und leiten.

Aber hatte der Höchste ihr nicht schon gewinkt, als er ihr das Wort: »Da aber die Zeit sich erfüllet,« ins Herz prägte?

Dies in ihr wach zu halten, war er berechtigt, und eben wollte er sie noch einmal daran erinnern, als sie sein stummes Sinnen unterbrach, indem sie die großen Augen bittend zu ihm aufschlug und ihn fragte: »Schwebt Diodor in ernster Gefahr? Sage die Wahrheit! Das Schrecklichste will ich lieber ertragen als dies furchtbare Bangen.«

Da bekannte ihr Andreas, daß es nicht gut um den Verwundeten stehe, doch daß der geschickte Ptolemäus ihn heilen zu können hoffe, wenn sein großer Berufsgenosse Galenus ihm helfe.

»Und um sich den Beistand dieses Mannes zu sichern,« frug das Mädchen weiter, »läßt der Arzt ihn ins Serapeum schaffen?«

»Ja, Kind; denn er ist im Gefolge des Kaisers, und wir würden vergeblich versuchen, heute oder morgen zu ihm zu dringen.«

»Aber der Weg durch die Stadt wird dem Fiebernden schaden.«

»Man trägt ihn in einer Sänfte.«

»Auch das ist nicht gut. Ruhe, sagt der Arzt, sei für ihn die beste Arznei.«

»Dem Galenus stehen noch bessere Heilmittel zu Gebote,« versetzte der Christ.

Dieser Versicherung schien Melissa zu glauben; denn sie ging eine Weile schweigend neben ihm her. Als aber das Geräusch der Menge, die das Serapeum umdrängte, ihnen lauter an das Ohr zu schallen begann, blieb sie plötzlich stehen und sagte: »Mag kommen, was da will, ich dringe vor zu dem großen Arzt und bitte um seinen Beistand.«

»Du?« fragte der Freigelassene, und wie sie das entschlossen bejahte, erbleichte der feste Mann und rief in aufrichtiger Besorgnis: »Du weißt nicht, was Du im Sinn führst! Die dem Caracalla am nächsten stehen sind ruchlose Wüstlinge, ohne Zucht und Gewissen. Aber verlaß Dich darauf, Du gelangst nicht einmal bis in den Vorhof.«

»Vielleicht dennoch. Es ist meine Pflicht, und ich versuch' es.«

Wie fest und entschieden das klang!

Und welche Thatkraft dem bescheidenen, stillen Kinde aus den großen Augen strahlte. Dazu gaben die fest geschlossenen Lippen, die sonst, leicht geöffnet, zwei perlenweiße Zähne nicht ganz bedeckten, dem Angesicht des Mädchens ein so entschlossenes Ansehen, daß Andreas sich sagen mußte, es werde sich durch kein Hindernis zurückschrecken lassen.

Aber Liebe und Pflicht geboten ihm, sie von solchem Schritte mit allen Mitteln zurückzuhalten.

Was er an Beredsamkeit besaß, bot er ungesäumt auf; doch mit zäher Beharrlichkeit bestand sie auf ihrem Entschluß, und von allen Gründen, die er für die Unausführbarkeit ihres Vorhabens vorbrachte, überzeugte sie keiner. Nur die Bemerkung des Andreas, daß der große Arzt ein Greis sei, dem das Gehen schwer falle, und daß Galenus, der Heide und Aristoteliker, nie und nimmer sich bestimmen lassen werde, ein Christenhaus zu betreten, machte sie stutzig.

Beides konnte ihrem Vorhaben allerdings hinderlich werden, doch zum Nachdenken ließ sich jetzt nicht kommen; denn sie hatten eben die große Straße des Hermes wieder erreicht, die vom Tempel dieses Gottes aus zum Serapeum führte, und die sie überschreiten mußten, um zu ihrem Ziele, dem See, zu gelangen.

Wie in allen Hauptstraßen Alexandrias liefen auch in dieser bedeckte Säulengänge neben den Häusern her und besäumten den Fahrdamm, der sich offen und breit zwischen ihnen hinzog.

Unter diesen Arkaden drängten sich die Fußgänger zusammen, die hier den Kaiser erwarteten. Er mußte bald erscheinen; denn der Empfang am kanopischen Thor und dem der Sonne war längst vorüber, und wenn er auch sein Vorhaben ausgeführt und sich am Grabe des großen Alexander aufgehalten hatte, konnte er doch nicht mehr lange ausbleiben. Der Weg dorthin durch die breite kanopische Straße war nicht allzu weit, und mit schnellen Rossen konnte er bald durch die Aspendiastraße in die des Hermes gelangen, welche ihn in gerader Linie in das Serapeum führte. Das Gefolge sollte ihn nicht zum Sema, dem Mausoleum des Begründers der Stadt, begleiten, sondern schon vor dem Paneum nach Süden abschwenken und endlich den Weg durch die Straße des Hermes nehmen.

Noch waren nur die Prätorianer, die germanische Leibwache des Kaisers, seine makedonische Phalanx und einige Vexillen Panzerreiter unter lautem Jubel der Menge bis zu der Stelle vorgedrungen, wo Melissa an der Hand des Andreas und zugleich mit ihnen ein Zug von Sklaven die Hermesstraße zu betreten hatte.

Lictoren begleiteten diese Leute, die Körbe voller Palmenwedel oder frisch geschnittener Epheuranken, Myrten, Pappel- und Pinienzweige aus den Gärten des Paneums in das Serapeum bringen sollten, und suchten den Trägern, indem sie das mit Ruten umwundene Beil hochhoben, Bahn durch die lebende Mauer zu brechen, die sie von der Straße trennte.

Mit Hilfe der Panzerreiter, die den Damm freihielten, wurde ihnen auch Raum geschafft, und Andreas, der einen Aufseher der Gartensklaven kannte, bat ihn um die Gunst, ihn und Melissa unter seine Leute treten zu lassen. Das ward dem angesehenen Manne willig gestattet, und der Damm war gerade leer, weil dem Zuge der Soldaten, der eben sein Ende erreicht hatte, der Reisetroß des Caracalla nicht unmittelbar folgte. So gelangten die beiden mit den Korbträgern in die Mitte der Straße, und während die Sklaven weiter nach dem Serapeum hinzogen, suchte der Freigelassene den Damm mit dem Mädchen zu überschreiten und zu der an den See führenden Fortsetzung der Gasse zu gelangen, der sie bisher gefolgt waren.

Doch dies Vorhaben wurde vereitelt; denn römische Lictoren, eben hier angelangte, strenge Männer, traten ihnen in den Weg und drängten sie zu den aus der Südseite der Hermesstraße unter den Säulengängen aufgestellten Gaffern.

Natürlich wurden sie von diesen, vor deren erste Reihe sie dadurch zu stehen kamen, nichts weniger als freundlich empfangen; doch die kraftvolle Gestalt und das strenge Männerantlitz des Andreas, sowie die seltene Schönheit seiner Begleiterin, über deren anmutiges Köpfchen die meisten ohnehin leicht fortsehen konnten, beschützten sie vor roher Zurückweisung.

Als der Freigelassene den Nächststehenden auch einige entschuldigende Worte zugerufen hatte, trat ein junger Mosaïkarbeiter sogar höflich zurück, um Melissa, die sich hinter die nächste Säule gestellt hatte, einen besseren Platz zu verschaffen.

Wenige Augenblicke später gab es denn auch Dinge zu sehen, welche die Eindringlinge schnell vergessen ließen; denn während sich Wagen und Vorläufer in Menge, von Maultieren getragene Sänften und ganze Züge von kaiserlichen Dienern in goldgestickten roten Kleidern, Weidmänner mit großen Koppeln von edlen Hunden, Gepäckkarren und schwer belastete Elefanten auf das Serapeum zu bewegten, jagten plötzlich von der Mündung der Aspendia in die Hermesstraße her numidische Reiter, denen berittene Lictoren folgten, die Straße hinauf und riefen dem kaiserlichen Gefolge auf lateinisch und griechisch mit lauter Stimme Befehle zu, aus denen Melissa nichts verstand als: »Der Kaiser!« und »Bahn frei zur Rechten.«

Diesem Gebot folgte ungesäumt die Erfüllung; denn Wagen, Fußgänger und Rosse hielten sich von nun an, so weit es anging, auf der südlichen, linken Seite des Dammes, und die dort aufgestellte, vielköpfige Menschenreihe, zu der auch Andreas und Melissa gehörten, zog sich, so tief es anging, unter den Säulengang zurück; denn wer noch auf dem Damme stand, lief Gefahr, von einem Pferde getreten oder von einem Rade gequetscht zu werden.

Besonders die hinteren Reihen der unter den Arkaden zusammengeströmten Leute hatten schwer unter dem neuen Gedränge zu leiden, und so ließen sich hier laute Rufe des Unwillens, der Angst und des Schmerzes vernehmen, während von der andern Seite der Straße her die unbehelligte Menge in Hochrufe und Jubelgeschrei ausbrach, oder, hatte sich etwas Ungewöhnliches gezeigt, die Witze und den Hohn der Lustigmacher belachte. Dazu kamen Hufschlag, Rädergerassel, Pferdegewieher, Kommandorufe, Trommelschlag, Trompetengeschmetter und der schrille Pfiff der Flöten nicht zum Schweigen. Es war ein wüstes, das Ohr verletzendes Getöse, und doch that das alles der Jungfrau weder weh noch wohl; denn der Gedanke, zu dem großen Arzte zu müssen, ließ sie alles andere vergessen.

Da erhob sich plötzlich von Osten, vom Aufgang der Sonne her, deren Lauf der Kaiser gefolgt war, ein so wildes Lärmen, daß das Mädchen die Hand des Begleiters erfaßte.

Und von Augenblick zu Augenblick nehmen die Schallwellen zu an unwiderstehlicher Kraft, das brausende Getöse, das an das Ohr schlägt, scheint von Schritt zu Schritt neue Nahrung zu empfangen und sich erfrischt zu verstärken, bis es, aus der Ferne schnell anwachsend, in die nächste Nähe gerückt, jeden wie mit magischer Kraft zwingt, den eigenen Willen dem der Tausende rings umher unterzuordnen und die Stimme zu erheben.

Auch Melissa schreit mit. Sie ist zum Tropfen im Strome, zum Blatt auf der krausen Fläche des rauschenden Gießbachs geworden, und das Herz schlägt ihr nicht weniger stürmisch, ihr Jubel schallt nicht leiser als der, sie weiß selbst nicht wovon berauschten Menge unter den Säulengängen zur Seite des Fahrdammes, an den Fenstern und auf den Dächern, der Menge, die Tücher schwenkt, Blumen auf den Weg wirft und sich die Thränen trocknet, welche die unerhörte Erregung ihr in die Augen treibt.

Jetzt erschüttert auf einmal das Jubelgeschrei die Luft so gewaltig, daß es sich kaum mehr zu steigern vermöchte. Es ist, als sei es nicht der frische Seewind, sondern die Vereinigung von unzähligen Stimmen, was die Fahnen und Wimpel an den Häusern, die Ehrenpforten und Guirlanden, die über die Straße gespannt sind, so kräftig bewegt, und Melissa sieht nur gerötete Gesichter, feucht schimmernde Augen, weit geöffnete Lippen, leidenschaftlich bewegte Arme und Hände.

Aber plötzlich scheint eine geheimnisvolle Gewalt die laut erhobenen Stimmen rings um sie her zu dämpfen, und sie vernimmt nur hier und dort den Ruf: »Der Kaiser!« »Er kommt!« »Er ist da!« Und wie der Hammerschlag eines Eisenwerkes beim Tosen des Donners, wird rascher Hufschlag und scharfes Rädergerassel mitten unter dem Zuruf der Zehntausende vernehmbar. Unaufhaltsam schnell kommt es näher und näher, und ihm folgt, wie eine Dohlenschar der durch die Dämmerung sich dahinschwingenden Eule, neues lautes Geschrei, das zu maßlos tollem Jubel anwächst, nun der Erwartete an Melissa und ihren Nachbarn vorbeijagt.

Ihr und den anderen zeigt sich der Cäsar nur wie eine Gestalt, deren Umrisse es dem Auge zu erfassen gelingt, während ein heller Blitz das nächtige Dunkel lichtet.

Vier breit gespannte, gelbliche, schwarz getigerte Rosse von mäßiger Größe reißen wie gehetzte Füchse den leichten gallischen Wagen durch die für ihn geöffnete Bahn. Die Räder berühren kaum die glatten Steinplatten des alexandrinischen Pflasters. Der Lenker der Rosse trägt die rotgeränderte Toga der höchsten römischen Staatsbeamten. Man hat viel von ihm gehört und ihm manches spöttische Witzwort gewidmet; denn es ist Pandion, der frühere Stallknecht, der jetzt zu den »Freunden des Kaisers« und als Prätor zu den Größten im Reiche gehört. Aber der Mann versteht seine Sache, und was kümmert sich Caracalla um Gebrauch und Herkommen, das Murren und die Unzufriedenheit der Mächtigen und Kleinen?

Wie Pandion die Zügel in ruhig vornehmer Haltung führt und die Rosse mit leisen Zischlauten zum wildesten Jagen antreibt, ohne die Geißel zu brauchen!

Warum entführt er den Gewaltigen, der die halbe Welt beherrscht und vor dessen blutiger Allmacht die ganze erzittert, so überschnell den spähenden Augen?

Tief in das Kissen an der Seitenlehne gedrückt, liegt Bassianus Antoninus mehr, als er sitzt, in dem rasch dahinsausenden, vierrädrigen, offenen gallischen Wagen.

Keinen Blick gönnt er der jubelnden Menge, sondern schaut mit düsteren Falten in der wohlgebildeten Stirn so finster, als brüte er Unheil, auf die glatte Bahn des Dammes.

Daß er kaum von mittlerer Größe, daß er einen Schnurr- und Backenbart trägt, daß sein Kinn rasirt ist und sein gewelltes Haar sich schon lichtet, obgleich er die Dreißig erst in zwei Jahren erreicht, daß die Farbe seines Antlitzes fahl und gelblich, läßt sich flüchtig erspähen, – doch man kennt ja sein Aussehen durch die Statuen und Münzen, unter denen er so viele falsche schlug.

Wie die gesamte Erscheinung dieses Mannes, der die Geschicke der einzelnen, an denen er vorbeijagt wie die des Weltreichs in der Hand hält, auf sie gewirkt, fragen sich später unwillkürlich die meisten, und Caracalla hätte sich an der Antwort vieler ergötzt; denn er will nicht schön und liebenswert, sondern nur furchtbar erscheinen.

Und es gibt auch längst nichts Schreckliches mehr, das man nicht berechtigt wäre, von ihm zu erwarten, und nun man ihn gesehen, findet man, daß sein Aussehen seinen Thaten entspreche. Einen düsterer und bedrohlicher dreinschauenden Mann als diesen mit hochmütiger Verachtung über Welt und Menschen hinwegblickenden Herrscher kann man sich kaum denken, und doch war etwas an ihm, das sich nicht wohl ernst nehmen ließ, wenigstens nicht für einen Alexandriner. Wie sonderbar stand doch das mantelartige gallische Gewand mit der roten Kapuze dem düster blickenden Menschenverächter! Es hieß »die Caracalla«, und der Kaiser Bassianus Antoninus hatte nach ihm den Spitznamen »Caracalla« empfangen.

Zügel- und gewissenlos war der Tyrann im bunten Mantel gewiß, aber für einen Philosophen, der die Nichtigkeit der irdischen Dinge erkennt und der Welt feindlich den Rücken kehrt, dafür mochten andere ihn halten! Ein Schauspieler war er, der die Rolle des Timon nicht übel spielte, und der Zuschauer brauchte, um auf sie zu wirken und sich über die Angst zu erfreuen, die er in ihnen erweckte. Es fehlte ihm etwas zu einem jener echten, wahrhaft menschenfeindlichen Tyrannen, deren bloßer Anblick die Kniee zwingt, sich zu beugen.

Die Erscheinung dieses falschen Weltverächters war nicht angethan, den Alexandrinern die rasche Zunge zu lähmen.

Das sagten sich viele, doch die Zeit, auch Erwägungen anzustellen, sollte erst erscheinen, nachdem der Staub den Cäsar, der so schnell verschwunden war wie er gekommen, den Blicken entzogen hatte, das Jubelgeschrei verstummt war und das Gefolge wieder den ganzen Fahrdamm einnahm.

Jetzt begann man sich zu fragen, warum man mitgerufen habe und in eine so wilde Erregung geraten sei; wie es gekommen, daß man diesem kleinen, bösen Herrn zu Gefallen die Selbstbeherrschung und kühle Ueberlegung so schnell eingebüßt habe.

Vielleicht war es die unbeschränkte Macht über das Wohl und Wehe der Welt, über Leben und Tod von Millionen, die diesen durch nichts Großes ausgezeichneten Sterblichen über das Menschliche hinaushob und ihn der Gottheit ähnlich machte. Vielleicht hatte der Drang, an der großen, hinreißenden Willensäußerung vieler Tausende teil zu haben, den einzelnen mit fortgerissen. Unleugbar war es eine geheimnisvolle Gewalt gewesen, die jedermann beim Erscheinen des Cäsar genötigt hatte, es denen gleich zu thun, die ihn umgaben.

Melissa war es wie den anderen ergangen. Sie hatte gerufen, das Tuch mit der Rechten geschwenkt und nicht einmal wahrgenommen, wie Andreas ihr die Rechte drückte und ihr zurief, zu bedenken, was der Mann verschuldet, den sie so freudig begrüße.

Erst als das Geschrei verstummte, besann sie sich auf sich selbst, und mit doppelter Lebendigkeit wurde das Vorhaben wieder in ihr wach, den großen Arzt zu dem kranken Geliebten zu rufen.

Entschlossen, das äußerste zu wagen und mit neu erwachtem Selbstgefühl schaute sie sich um und sann auf Mittel und Wege, ihren Entschluß auch ohne den Beistand des Andreas zur Ausführung zu bringen.

Eine große Ungeduld bemächtigte sich ihrer, und am liebsten wäre sie gleich in das Serapeum gedrungen. Doch das war unmöglich; denn kein Zuschauer rührte sich von der Stelle; gab es doch noch genug Merkwürdiges zu sehen.

Die Stimmung der Menge hatte freilich einen großen Umschlag erfahren. An Stelle der Erwartung war ihr sieches Stiefkind, die Enttäuschung, getreten. Man jubelte nicht mehr, man strengte die Lungen nicht mehr an, desto mehr aber bekam die Zunge zu thun. Des Kaisers wurde gewöhnlich nur noch bei dem Schmähnamen »Tarantas« mit jenem bitteren Verdruß gedacht, den die Enttäuschung der Erwartung als Enkelkind schenkt. Tarantas aber hieß ursprünglich ein besonders blutdürstiger Gladiator von kleinem Wuchs, in dem böser Wille einige Aehnlichkeit mit dem Cäsar zu finden vermochte.

Neugierig schaute man auf die bemerkenswertesten Erscheinungen im Gefolge und erklärte sie einander.

Der Mosaïkarbeiter neben Melissa, der beim Bau der Bäder des Caracalla zu Rom thätig gewesen war, wußte besonders gut Bescheid und kannte sogar die Namen vieler Senatoren und Höflinge im Gefolge des Kaisers.

Bei alledem behielt man Zeit genug, dem Grolle Genüge zu thun.

Was hatte die Stadt nicht alles aufgeboten, um sich für den Einzug des Kaisers zu schmücken. Statuen seiner eigenen Person, seines Vaters, seiner Mutter, ja seiner Lieblingsheroen und allem voran die des großen Alexander, sowie Ehrenpforten ohne Zahl waren zu seinem Empfange hergestellt worden. Das Serapeum, in dessen weiten Räumen er abzusteigen gedachte, hatte man aufs herrlichste ausgeschmückt, und vor dem neuen Tempel für die Gottheit seines den Olympiern beigesellten Vaters hinter dem kanopischen Thore waren die Spitzen der Stadt, die ihm huldigten und ihm die Geschenke Alexandrias überbrachten, von ihm empfangen worden.

Das alles hatte Talente über Talente, einen Haufen Goldes gekostet, aber man war ja reich und wäre zu noch größeren Opfern bereit gewesen, hätte man dafür Dank und Herablassung geerntet. Aber ein junger Schauspieler, der Zeuge der Begrüßung am kanopischen Thore gewesen war und sich sodann schnellfüßig hierher begeben hatte, versicherte mit pathetischer Entrüstung, der Cäsar habe die Begrüßung des Senates der Stadt nur mit wenigen mürrischen Worten beantwortet und schon beim Empfang dreingeschaut, als hätte man ihn beleidigt. Die Spitzen der Behörden seien abgezogen, als habe man ihnen das Urteil gesprochen. Nur dem Theophilus, dem Oberpriester des Serapis, sei er herablassender begegnet.

Andere ergänzten den Bericht der Männer, und dazwischen gab man der Unzufriedenheit hier durch leise Schmähungen, dort durch spöttische Bemerkungen und gallige Witzeleien Ausdruck.

»Warum er nur so schnell dahingejagt ist?« fragte das Weib eines Schneiders; und die Antwort lautete: »Weil die Eumeniden, die den Brudermörder verfolgen, die Schlangengeißel hinter ihm schwangen.« Ein Gewürzkrämer, der nicht weniger erzürnt, aber vorsichtiger war, rief, als sein Nachbar zu wissen begehrte, warum der Tarantas sich getiegerter Pferde bediene, die blutdürstigsten Raubtiere hätten gestreiftes Fell, und jeder pflege seines gleichen zu lieben. Ein cynischer Philosoph, der sich durch den zerrissenen Rock, das struppige Haar und die derbe Redeweise als solcher zu erkennen gab, versicherte, der Kaiser lasse seine Rosse von einem Senator lenken, weil es ihm ja längst geglückt sei, den Senat in einen Stall zu verwandeln.

Das alles fand indes bei Melissa taube Ohren; denn immer mächtiger beherrschte sie der Gedanke an den großen römischen Arzt. Aufmerksam lieh sie dem Mosaïcisten das Ohr, der sich an ihre Seite gedrängt hatte und ihr gesprächig die Namen der Vornehmsten nannte, die an ihnen vorüberzogen. Das Gefolge des Kaisers war unübersehbar. Es mischten sich in dasselbe nicht nur Soldaten zu Fuß und zu Roß, sondern auch zahllose Lastwagen, Karren und Elefanten, die Caracalla besonders schätzte, weil der große Alexander diese Tiere geliebt, Lastpferde, Maultiere und Esel, welche Ballen, Kisten, Zelte, Lager und Küchengeräte trugen. Dazwischen zogen Troßknechte, Aufwärter, Pagen, Herolde, Musikanten und Sklaven des Kaisers und seines Gefolges gruppenweise und in großer Menge daher und schauten sich frech unter den Zuschauern um. Wo sie jüngere und schönere Weiber am Saume der Straße bemerkten, winkten sie ihnen zu und gaben auch der anmutigen Melissa oft genug in unverschämter Weise ihren Beifall zu erkennen. Wollköpfige Neger und bräunliche Nordafrikaner mit schwarzen Locken mischten sich unter hellere Mittelmeerbewohner und blonde oder rothaarige Söhne des nördlicheren Europa. Römische Lictoren, scythische, thrakische und keltische Sicherheitswächter hielten alles, was nicht zum Troß des Kaisers gehörte, mit roher Entschiedenheit von dem Zuge fern. Nur den Magiern, Zauberern und feilen Dirnen wehrte niemand, sich unter die Menschen, Rosse, Esel, Elefanten, Hunde, Fuhrwerke und Reiter zu drängen.

Sobald einer der unförmig großen, mit vielen Pferden bespannten Reisewagen erschien, in denen reiche Senatoren auf weiten Fahrten die meisten Bequemlichkeiten fanden, an die sie zu Hause gewöhnt waren, oder eine besonders kostbar geschmückte Sänfte vorübergetragen wurde, suchte Melissa Auskunft bei dem Mosaïcisten.

Auch Andreas konnte ihre Wißbegier in einzelnen Fällen befriedigen; denn zu Antiochia, wohin er sich vor wenigen Monaten in Geschäften begeben, hatte man ihm die vornehmsten Begleiter des Kaisers gezeigt.

Der große Galenus war damals noch nicht unter ihnen gewesen; denn der leidende Caracalla hatte ihn jetzt erst zu sich berufen. In einem kaiserlichen Schiffe war der berühmte Heilkünstler trotz seines hohen Alters nach Pelusium gesegelt und hatte sich erst dort zu dem Gefolge des Herrschers gesellt.

Dem Mosaïcisten war wenigstens der Wagen des alten Arztes am kanopischen Thore gezeigt worden, und er versicherte, daß derselbe sich mit keinem andern verwechseln lasse, denn er gehöre zu den allergrößten und schönsten. Die Mittelthüren seien mit einem silbernen Aesculapstabe und der Schale der Hygiêa geschmückt, auf seinem Dache aber stünden kleine in Holz geschnitzte Bildsäulen der Minerva und des Gottes der Heilkunst.

Bei diesen Mitteilungen gewannen die Züge Melissas den Ausdruck froher und hoffnungsreicher Spannung.

Mit der Hand auf dem hochwogenden Busen sah sie jedem neu erscheinenden Fuhrwerke so erwartungsvoll entgegen, daß sie die Mahnung des Andreas überhörte, nun zu versuchen, sich den Weg durch die Menge zu bahnen.

Jetzt – der Freigelassene hatte sie eben wieder angerufen – erschien ein neues Wagenungetüm, das dem früheren Konsul Julius Paulinus gehörte, dessen kluger Kopf mit den scharfen, fröhlich blitzenden Augen neben dem ernsten und herben des Senators und Geschichtsschreibers Cassius Dio aus den seidenen Vorhängen des Fuhrwerks hervorschaute.

Der Konsul, erzählte der Mosaïcist, und Andreas bestätigte es, habe den Severus, den Vater des Caracalla, durch bissige Spöttereien erzürnt und diesen, als er ihn mit dem Tode bedroht, durch die Antwort entwaffnet: »Den Kopf kannst Du mir abschlagen lassen, aber weder Du noch ich sind im stande, ihn in Ordnung zu halten.«

Die dem Erzähler benachbarten Zuschauer, die diese Geschichte mitangehört hatten, brachen nun in laute Hochrufe aus, und andere stimmten mit ein, obgleich sie nicht wußten, wem das neue Jubelgeschrei gelte.

Dem Wagen des Konsuls folgte eine Schar von Clienten, Hausbeamten und Sklaven in Sänften, zu Pferde und auf Maultieren oder zu Fuße; hinter ihr aber rollte ein anderes Fuhrwerk daher, das der Staub lange den Blicken entzog. Als jedoch die zehn stattlichen Rosse, die ihn vorwärts bewegten, endlich an Melissa vorüberschritten und sein Dach sichtbar wurde, stieg ihr eine heiße Blutwelle ins Antlitz; denn auf den beiden Ecken seines vorderen Teiles erkannte sie den Aeskulap und die Minerva, die, wenn der Mosaïcist recht gesehen hatte, das Fuhrwerk des Galenus schmückten.

Atemlos lauschte sie auf das Rollen der Räder des blau gefärbten Wagens und gewahrte nun auch den silbernen Aeskulapstab und eine Schale auf der breiten mittleren Thür des beweglichen Hauses. An einem offenen Fenster neben derselben zeigte sich ein freundliches, von weißen Locken umwalltes Greisengesicht, und erschreckt fuhr sie zusammen; denn von weitem, vom Serapeum her scholl es »Halt« und wieder »Halt«. Der Zug geriet ins Stocken, die Pferdeknechte fielen den Rossen in die Zügel, die blauen Räder hörten auf, sich zu drehen, und wenige Schritte vor ihr hielt der Wagen, und ihr Blick begegnete dem des alten Herrn.

Da flog es ihr durch den Sinn, daß das Schicksal selbst es sei, das dies Fuhrwerk gerade hier zum Stillstand bringe, und wie sie den Ruf des Mosaïcisten: »Der große römische Arzt« vernahm, verschwammen die Rosse, der Wagen und alles um sie her vor ihren Augen in eins, und rasch entschlossen riß sie die Hand aus der des Freigelassenen und trat auf die Straße.

Wenige Augenblicke später stand sie dem würdigen Greise gegenüber.

Wohl hatte sie den warnenden Ruf des Andreas gehört, wohl sah sie die Menge derer, die auf sie schauten, wohl galt es, einen schnellen Kampf gegen die jungfräuliche Scheu zu bestehen, doch sie führte durch, was sie begonnen. Der Gedanke, die Götter selbst stünden ihr bei, den einzigen anzurufen, der den Geliebten retten konnte, half ihr jedes Hindernis besiegen.

Schon stand sie neben dem Wagen, und kaum hatte das liebliche, von Scham gerötete, reine Antlitz Melissas dem weißlockigen Römer mit rührend ängstlicher Bitte entgegengeschaut und der Blick ihrer großen, thränenfeuchten Augen die seinen getroffen, als er ihr winkte und mit wohlklingender, teilnahmsvoller Stimme zu wissen wünschte, was sie begehre.

Da wagte sie die Frage, ob er der große römische Arzt sei, und geschmeichelt versetzte er mit einem freundlichen Lächeln, daß man ihn bisweilen so nenne.

Der dankbare Blick, den sie gen Himmel richtete, bewies, wie wohl diese Worte ihr thaten, und nun begannen sich auch ihre roten Lippen zu regen, und schnell und mit wachsendem Mute that sie ihm zu wissen, daß ihr Bräutigam, der Sohn eines angesehenen Alexandriners und römischen Bürgers, von einem Steine schwer am Kopfe verletzt, darnieder liege, und daß der Arzt, der ihn behandelte, meine, nur unter seinem, des großen Heilkünstlers, Beistand, den Leidenden retten zu können.

Sie bekannte nun auch, daß Ptolemäus den Diodor, der doch nichts nötiger gebrauche als Ruhe, ins Serapeum bringen lassen wolle, um ihn dort seiner, des größeren Kunstgenossen Fürsorge, zu empfehlen, daß sie aber von dem Transport die schlimmsten Folgen für den Bräutigam fürchte.

Dann schaute sie dem Römer recht warm in die Augen und sagte, er sehe so freundlich aus, daß sie hoffe, er werde den Leidenden, der zufällig in ein Christenhaus nicht allzu weit vom Serapeum gebracht worden sei und dort guter Pflege genieße, selbst aufsuchen und ihn – das bedeute ja dasselbe – vom Tode erretten.

Der alte Herr hatte sie nur mit wenigen schalkhaft heiteren Fragen unterbrochen, die sich auf ihre Liebe und ihre Religion bezogen; denn es war ihm bei ihrer Mitteilung, daß der Kranke sich unter der Pflege von Christen befinde, der Gedanke gekommen, dies schlicht und doch ansprechend gekleidete Mädchen mit dem sittsamen Wesen und dem stillen, schönen Gesicht sei eine Christin.

Es wunderte ihn beinahe, als sie das Gegenteil versicherte, und doch schien er es gern zu hören und versprach auch, ihr den Willen zu thun. – In ein Haus zu dringen, das der Kaiser mit seinem Gefolge bewohne, tauge nichts für ein Kind in ihrem Alter; er werde sie aber hier erwarten, und damit wies er auf das kleine runde Heiligtum der Aphrodite an der linken Seite einer Erweiterung der Hermesstraße, bis wohin der Wagen sich zuletzt fortbewegt hatte.

Morgen früh, drei Stunden nach Aufgang der heißen afrikanischen Sonne, deren Mittagsstrahlen ihm weh thäten, werde er sich in seinem Wagen bei dem Tempelchen einstellen. »Und daß Du zu rechter Zeit da bist!« schloß er, und drohte ihr dabei mit dem Finger.

»Und wenn Du auch eine Stunde zu früh kämest, Du würdest mich finden!« lautete die Antwort.

Da kicherte er munter auf: »Welches schöne Mädchen hätte sich wohl schon bei einem Stelldichein unter den Augen der Liebesgöttin verspätet?«

Hieraus rief er ihr ein fröhliches »Auf Wiedersehen!« zu und zog sich in den Wagen zurück.

Strahlend vor Glückseligkeit blieb Melissa stehen, und suchte dann die Stelle, wo sie mit dem Begleiter gestanden, Andreas aber war ihr trotz des Einspruchs der Lictoren gefolgt, zog ihren Arm durch den seinen und führte sie durch die sich lichtende Menge in eine Gasse, die, vom See ausgehend, dem Aphroditetempel gegenüber in die Hermesstraße mündete.

Melissa folgte ihm beflügelten Schrittes. Die Freude, so schnell und leicht zum Ziele gelangt zu sein, beherrschte sie ganz, und noch mitten im Gedränge versuchte sie dem Freigelassenen mitzuteilen, welch herrliche Zusage sie von dem großen Arzte erhalten.

Doch das Geschrei des Volkes übertönte ihre Rede; denn eben ward der zahme Löwe des Kaisers, den er sein »Perserschwert« nannte, von numidischen Sklaven durch die Straße geführt.

Alles schaute auf das prächtige Raubtier, und wie auch sie nach ihm hinsah, traf ihr Blick das feurige Auge eines großen, bärtigen Mannes, der an einem Fenster des Hauses stand, das sich hinter dem runden Tempelchen der Liebesgöttin erhob.

Sogleich erkannte sie den Magier Serapion und flüsterte dem Freigelassenen zu, wen sie da wiedergesehen; er aber zog sie, ohne sich auch nur umzuschauen, schneller mit sich fort und atmete erst erleichtert auf, als die stille, menschenleere Gasse ihn und das Mädchen aufnahm.

Der Magier hatte sie schon bemerkt, während sie neben dem Wagen des Römers herging, und das Gespräch, das er mit seinem Gefährten, einem Syrer in mittleren Jahren, führte, galt ihr.

So vornehm und gebieterisch die Gestalt des Serapion war, so unscheinbar schien die seines Genossen. Nur die Schlauheit, die aus den scharf geschnittenen Zügen des Syrers sprach, unterschied ihn von seinesgleichen, aber der große Magier schien ihn doch wert der Beachtung zuhalten; denn er beantwortete willig die Einwürfe und Fragen des Kleinen.

Jetzt schwenkte dieser mit einer Geberde, die seinem Volke eigen, wenn es auf dem eigenen überlegenen Wissen besteht, die nach oben geöffnete Hand und sagte: »Wofür wär' ich zehn Jahre in Rom gewesen, wenn ich den Serenus Sammonicus nicht kennte? 's ist der größte Büchernarr im Reiche. Er hält sich dabei für einen zweiten Aeskulap und hat auch selbst ein medizinisches Buch in Versen geschrieben, das Geta, der gemordete Bruder des Cäsar, immer wieder vornahm, während es die hiesigen Aerzte für ein unnützes Machwerk erklären. Reich ist er wie der Alabarch, und seines Wagens bedient sich auch der große Galenus, den der Kaiser hieher rief. Was das Mädchen nur von ihm will?«

»Hm,« machte der andere und strich sich würdevoll und nachdenklich den Bart. »Die Jungfrau ist sittsam, und es kann nur etwas Dringliches, Wichtiges sein, das sie zu dem Römer geführt hat.«

»Dein Kastor wird auch das zu erhorchen wissen,« entgegnete der Syrer Annianus. »Dieser Allerweltsbursch findet den Weg durch die Schlüssellöcher, und morgen schon ist er gut Freund mit den Leuten des Römers, wenn Dir daran liegt.«

»Wollen sehen!« erwiderte der Magier. »Heute Abend verrät ihr Bruder vielleicht, was da vorgeht.«

»Der Philosoph?« fragte der Kleine mit einer wegwerfenden Geberde. »Du bist, wie die Leute es nennen, ein großer Weiser, Serapion; aber manchmal nähst Du mit Nadeln, die mir zu fein sind. Warum Du jetzt, wo der Kaiser hier ist, und für Deinesgleichen Gold und Ehre auf der Straße liegen, kostbare Stunden an den Grübler vom Museum verschwendest, das mag ein anderer begreifen.«

Da flog um die Lippen des Magiers ein überlegenes Lächeln, und während er in das leere Zimmer zurücktrat und Annianus ihm folgte, begann er: »Du weißt, wie viele, die sich Magier nennen, sich an den Cäsar herandrängen werden, und der Ruf des Sosibius, Hananja und Kaimis steht meinem nur um weniges nach. Jeder treibt seine Kunst nach eigenen Rezepten, wenn er sich auch einen Pythagoräer oder sonstwie nennt. Zu einer anerkannten Schule darf keiner sich zählen, ja die Gelehrten von der Zunft brüsten sich damit, die Wunderthäter zu verachten. Caracalla aber ist in der Jugend durch die Schule der Philosophen gegangen. Er verabscheut den Aristoteles und hat sich mit Plato und den Pythagoräern beschäftigt. Daß Philostratus auf seinen Anlaß eine Lebensbeschreibung des Apollonius von Tyana schreibt, weiß ich von Dir selbst, und rümpft Caracalla die Nase über die Silbenstecher und Zeitverderber vom Museum; liegt es ihm doch im Blute, von den privilegirten Gelehrten etwas Besonderes zu erwarten. Seine Mutter hat sie wieder hoffähig gemacht, und er, der von geheimen Künsten alles erwartet, ist noch keinem Magier, der zu ihnen gehört hätte, begegnet.«

Hier klatschte der Kleine in die Hände und rief: »Und nun denkst Du den Philipp zu Deinem Aushängeschild zu machen und dem Kaiser von einem Wunderthäter reden zu lassen, der Hand in Hand geht mit der Gelehrsamkeit des Museums. Ein verwünscht kluger Gedanke! Aber der Steinschneidersohn sieht nicht aus wie ein Gimpel. Ein Skeptiker ist er dazu, der an nichts glaubt. Wenn Du ihn fängst, so will ich ernstlich und unbedingt an Deine Wunderkraft glauben.«

»Es gibt Schwereres, als diesen Mann zu gewinnen,« versicherte der Magier.

»Du willst ihm,« fragte der Syrer, und sein Auge suchte verlegen den Boden, »mit Blicken und Handauflegen den Willen brechen, wie dem Triphis und mir vor zwei Jahren?«

»Das hat schon das erste Band zwischen uns geschlungen,« versetzte Serapion. »Jetzt bedarf ich nur noch Deiner Bauchrednerkunst. Die Hauptsache bringt Philipp mir selbst entgegen.«

»Das wäre?«

»Du nanntest ihn einen Skeptiker, und er rühmt sich in der That, noch weiter zu gehen als die alten Meister der Schule. Eifriges Nachdenken hat ihn dahin geführt, nichts für gewiß zu halten, und also auch umgekehrt alles für möglich. Das letzte Resultat, wozu er gelangte, ist die Wahrscheinlichkeit – denn Gewisses gibt es für ihn überhaupt nicht – daß es unmöglich sei, etwas, wie es auch heiße, sicher zu wissen. Den Beweisen für die Fähigkeit der Seele eines Verstorbenen, sich den Lebenden in ihrer irdischen Erscheinungsform zu zeigen und mit ihnen zu verkehren, wird er immer teilnahmvoll folgen; denn es würde für ihn ein Vergehen sein, was es auch sei, unmöglich zu nennen; meine Argumente aber sind greifbarer Natur. Die verstorbene Korinna wird ihm – ihr Ebenbild hat Kastor ja schon entdeckt – in Fleisch und Bein erscheinen, Deine Kunst wird ihn zu der Ueberzeugung zwingen, ihre Stimme, die er nicht einmal kannte, rede zu ihm, und das alles muß ja notwendig den Wunsch in ihm erwecken, sie öfter wiederzusehen. So wird denn der Skeptiker der eigenen Lehre zum Trotz sichere Zuversicht gewinnen. Hier wie anderwärts ist es dann das leidenschaftliche Verlangen, dem die Ueberzeugung das Leben verdankt.«

»Und hast Du ihn glücklich da, wohin Du ihn zu bringen trachtest?« fragte der Syrer gespannt.

»Dann,« entgegnete der Magier, »wird er mir mit den Waffen seiner siegreichen Dialektik beistehen, den Cäsar für die eigene Ueberzeugung zu gewinnen, dann können wir – und dabei rechne ich mit auf Deine Kunst, aus jedem beliebigen Körper eine Stimme erschallen zu lassen – die Sehnsucht des Herrschers befriedigen, mit den Geistern der Abgeschiedenen zu verkehren.«

Hier schwieg der Magier, der Kleine aber schaute beifällig zu ihm empor und sagte bescheiden: »Du bist klug, Serapion, und ich fahre fort, Dir zu helfen. Es wird nun wohl zunächst gelten, für die Erscheinung des großen Alexander, des Apollonius von Tyana und des Bruders, des Schwiegervaters und der Gattin des Kaisers zu sorgen.«

»Den Papinian, den würdigsten der Ermordeten, nicht zu vergessen,« fügte der Magier hinzu. »Da bist Du ja, Kastor.«

Diese Worte galten einem hochgewachsenen, scheinbar älteren Manne in einem langen weißen Gewande, der geräuschlos eingetreten war. Seine Haltung war dabei so ernst und würdig, daß er durchaus einem christlichen Priester glich, der sich der Heiligkeit seines Amtes bewußt ist; kaum aber hatte er die Mitte des Zimmers erreicht und den Magier salbungsvoll begrüßt, als er mit einem lauten »Uff!« das weiße Gewand über den Kopf zog, die Farbenstriche, die ihn um zwanzig Jahre älter gemacht hatten, von den Wangen rieb, die gelenkigen Glieder reckte und bog und dann fröhlich ausrief: »Ich habe sie. Die alte Dorothea bringt sie in Dein Theater.«

Dabei strahlte das bewegliche Antlitz des Burschen im fröhlichen Glanze des Gelingens.

Es war, als woge gärender Most statt des Blutes in den Adern dieses jungen Mannes; denn sobald er dem Magier Bericht erstattet, und dieser ihn mit einer Handvoll Goldstücke belohnt hatte, warf er sie in die Luft, fing sie wie Fliegen mit der hohlen Hand und durchmaß dann mit einigen geschickt ausgeführten Radschlägen das Zimmer.

Als er wieder auf den Füßen stand, rief er mit so gleichmäßigen Atemzügen wie vorher: »Vergebt mir, ihr Herren! Die Natur fordert ihr Recht! Drei Stunden lang den Frommen spielen, ewige Götter, das hat was auf sich, und da muß man doch wieder . . .«

»Ich weiß schon,« unterbrach ihn Serapion und drohte ihm lächelnd mit dem Finger. »Jetzt thun es noch die Katzensprünge, nachher aber wird das leicht verdiente Gold mit den Flötenspielerinnen geteilt. Doch heute abend brauche ich Dich, und fühlst Du Dich schwach, so schließ' ich Dich ein.«

»Thu es,« bat Kastor so dringend, als habe man ihm eine Gunst in Aussicht gestellt. »Was das alles für nichtswürdig lustiges Zeug ist! Dorothea bringt die Schöne zu rechter Zeit. Es ist alles in Ordnung!«

Damit verließ er, ein Liedchen trällernd, mit leichtem Tanzschritt das Zimmer.

»Ein köstlicher Bursche,« sagte der Syrer und blickte ihm wohlgefällig nach.

»Schade um ihn,« fügte Serapion hinzu. »Zum Besten wäre er begabt, doch ein Gewissen, das seinen wilden Trieben Schranken setzte, fehlt ihm vollkommen. Woher sollt' er's auch haben? Sein Vater gehörte zu einer Bande von ephesischen Pantomimenspielern, und die Mutter war eine blonde Tänzerin aus Cypern. Aber ganz Alexandria kennt er, und dazu dies Gedächtnis! Was für ein Schauspieler wäre der Bursche geworden! Ohne sich nur zu verkleiden, durch bloße Verschiebung der Züge macht er sich zum Greis, zum Blödsinnigen, zum Philosophen.«

»Und der Spürsinn, der Spürsinn!« rief der Syrer begeistert. »Sobald er das Bild der Korinna sah, wußte er, daß er ihr Ebenbild am andern Ufer des Sees unter den Christen gesehen. Heute morgen fand er sie, und nun steckt sie dem Jäger im Garn. Wie klug auch, daß er sie von der Dorothea zu Dir führen läßt!«

»Das, und sie im Namen des Bischofs Demetrius zu laden, schrieb ich ihm vor,« bemerkte der Magier. »Einer Fremden wäre sie nimmer gefolgt, und Dorothea muß ihr aus den Versammlungen der Glaubensgenossen bekannt sein.«


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