Georg Ebers
Per aspera
Georg Ebers

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Siebenzehntes Kapitel.

Der Philosoph kündete dem Kaiser an, wen er bringe, und da bis zum Eintritt Melissas geraume Zeit verging, vergaß Caracalla sein schauspielerisches Vorhaben und blieb gesenkten Hauptes sitzen; denn wohl infolge der Sonnenstrahlen, von denen sein Scheitel getroffen worden war, hatte sich der Kopfschmerz schnell zu unerträglicher Heftigkeit gesteigert.

Ohne dem Mädchen auch nur einen Blick zu schenken, nahm er einige der lindernden Pillen des Galen und vergrub das Gesicht in die Hände.

Frei von Scheu vor dem Löwen war die Jungfrau vorwärts geschritten; denn Philostratus hatte sie versichert, daß er gutartig sei, und die Tiere ließen sich gern von ihr streicheln. – Auch vor der Person des Kaisers fürchtete sie sich nicht; denn sie sah, daß er litt, und die Angst, mit der sie seine Schwelle betreten hatte, verwandelte sich schnell in Mitleid.

Philostratus hielt sich an ihrer Seite und folgte gespannt jeder Bewegung des Kaisers.

Der Mut, den dies bescheidene Kind dem Raubtier und dem nicht minder furchtbaren Manne gegenüber zeigte, erfreute ihn, und seine Hoffnung wuchs, als ein Sonnenstrahl ihr das glänzende Haar streifte, das Frau Berenike mit eigener Hand geordnet und mit weißem Bombyxbande durchflochten hatte.

Wie das Urbild sittiger, jungfräulicher Anmut mußte sie selbst dem ruchlosesten Wüstling erscheinen.

Es war auch gut, daß das lange Kleid und der Peplos von der feinsten weißen Wolle ihr ein wahrhaft vornehmes Ansehen verliehen.

Dies kostbare Gewand hatte die Matrone für die verstorbene Korinna anfertigen lassen und aus vielen erwählt, um es an Stelle des bescheidenen Kleidchens zu setzen, das die alte Dido der jungen Herrin gestern angethan hatte. Feinfühlig war die Matrone bedacht gewesen, der Jungfrau ein einfach würdiges, in seiner Schmucklosigkeit beinahe priesterlichstrenges Ansehen zu geben. Nichts an ihr sollte auf den Wunsch deuten, zu gefallen, und alles, was sie trug, durch seine Gediegenheit jeden Gedanken an die ärmlichen Bittstellerinnen der gewöhnlichen Art ausschließen.

Der Philosoph fühlte, daß für das Aeußere seines Schützlings gut gesorgt sei; doch das lange Schweigen des Kaisers, dessen Ursache er erkannte, begann ihn zu beunruhigen; denn bisweilen stimmte der Schmerz den Herrscher milde, noch öfter aber trieb er ihn an, sich für das eigene Leid durch rohe Eingriffe in das Lebensglück anderer gleichsam zu rächen.

Endlich schien auch seine Schutzbefohlene die Fassung, die ihn eben noch an ihr erfreut, zu verlieren; denn er sah, wie die Brust ihr schneller und höher wogte, wie ihr Mund zuckte und die großen Augen in feuchtem Glanze zu leuchten begannen.

Jetzt glättete sich das Antlitz des Cäsar ein wenig. Dann hob er das Haupt, und während sein Blick den Melissas traf, tönte leise und wohllautend der Gruß »Freue Dich!« ihr von den Lippen.

Da bemächtigte sich des Philosophen eine große Besorgnis, und zum erstenmal fühlte er die ganze Schwere der Verantwortlichkeit, die er auf sich genommen; denn so schön, so berückend liebreizend wie jetzt, wo sie in holder Verwirrung, angstvoll und doch ganz beherrscht von dem Wunsche, die Gunst des Mannes zu gewinnen, der sie mit einem Worte so hoch beglücken oder so elend machen konnte, zu Caracalla aufschaute, war sie ihm nie erschienen.

Wenn dieser Knecht der Leidenschaften, den vielleicht nur eine Laune dahin geführt hatte, der Liebeslust zu entsagen und ernste Sittenstrenge auch von seiner Umgebung zu fordern, dies bezaubernde Wesen begehrenswert fand, dann war es um sie geschehen.

Bleich und klopfenden Herzens blickte er dem weiteren Verlaufe des Unabwendlichen entgegen, dem er selbst die Wege geebnet.

Aber der Unberechenbare machte auch diesmal die Erwartungen des Philosophen zu schanden; denn nachdem er Melissa erstaunt, überrascht, außer Fassung, als sei er einem Wunder begegnet oder als sei der Geist eines Verstorbenen vor ihm aus dem Boden gestiegen, angestarrt hatte, sprang er auf und rief, indem er die Hand fest um die Lehne des Stuhles krampfte, dem Philosophen zu: »Was ist das? Täuschen mich die Sinne, oder wird hier ein schändliches Spiel mit mir getrieben? Aber nein, nein! Meine Augen sind so gut wie mein Gedächtnis . . . Dies Mädchen . . .«

»Was kommt über Dich, Cäsar?« unterbrach ihn der Philosoph mit wachsender Unruhe.

»Etwas, etwas . . .« stieß Caracalla hervor, »das euch zum Schweigen bringen wird, das eure thörichten Zweifel . . . Nur Geduld . . . Nur einen Augenblick wartet . . . Gleich sollst Du . . . Doch zuerst . . .« und damit wandte er sich an Melissa: »Wie heißt Du, Mädchen?«

»Melissa,« versetzte die Gefragte leise und mit zitternder Stimme.

»Dein Vater und Deine Mutter?«

»Heron nennen sie ihn; die Mutter aber – sie ist tot – war Olympias, die Tochter des Philipp.«

»Und ihr seid makedonischen Blutes?«

»Ja, Herr. Vater und Mutter sind von rein makedonischer Herkunft.«

Da suchte ein strahlender Blick des Kaisers das Auge des Philosophen, und mit dem kurzen Rufe: »Das ist, denk ich, genug,« klatschte er in die Hände, und sogleich eilte der alte Kämmerer Adventus aus dem Nebenzimmer herbei, und die Schar der »Freunde des Kaisers« drängte ihm nach; Caracalla aber herrschte sie an: »Ihr wartet, bis ich euch rufe. Du, Adventus, bleibst! Ich brauche die Gemme mit der Hochzeit des Alexander.«

Während der Freigelassene nun einem Kästchen von Ebenholz aus dem Schreibtische des Kaisers das Gewünschte entnahm, erfaßte Caracalla den Arm des Philosophen und sprach mit eindringlichem Eifer: »Als Erbe meines Vaters, des göttlichen Severus, kam diese Gemme mir zu. Sie ward hergestellt, bevor die Jungfrau dort zur Welt kam. Gleich wirst Du sie sehen, und wenn Du dann noch behauptest, es sei ein Wahn . . . Aber warum solltest gerade Du es bezweifeln? Auch dem Pythagoras und Deinem Apollonius war es bewußt, wessen Leib ihre Seele in einem früheren Dasein belebte! Die meine – die Mutter verlachte mich deswegen und andere wagten das Gleiche – die meine hatte vor einem halben Jahrtausend in dem Größten der Großen, in dem des Makedoniers Alexander, die beneidenswerte Heimat.«

Damit riß er dem Freigelassenen die Gemme aus der Hand, und während er sie mit den Blicken verschlang und dazwischen Melissa prüfend ins Auge faßte, fuhr er eifrig fort. »Sie ist es. Nur ein Blinder, ein Narr, ein Böswilliger kann es bezweifeln! Wer von nun an meiner Ueberzeugung spottet, ich sei zur Welt gekommen, um das zu früh erloschene Leben des edlen Heros zu Ende zu führen, der soll es bereuen! Hier – es ist ja natürlich – hier in der von ihm gegründeten Stadt, die seinen Namen trägt, wird mir die Gewißheit, daß das Band, das den Sohn des Philipp mit dem des Severus, mit mir, verknüpft, mehr ist als ein Gebilde des Wahns. Diese Jungfrau – fasse sie nur schärfer ins Auge – in ihr ist die Seele der Roxane zur Auferstehung gelangt, wie mit mir die des Alexander, der ihr Gemahl war. Nun liegt es wohl auch für Dich auf der Hand, wie es kam, daß dies junge Geschöpf dem Drange nicht wehren konnte, für mich das Herz und die Arme im Gebet zu erheben. Ihre Seele war, da sie noch in der Roxane weilte, mit der des Heros in Liebe verbunden; jetzt aber in der Brust dieses schlichten Kindes zog es sie zu der unvergessenen Seele, die hier, hier in dieser Brust eine neue Wohnung suchte und fand.«

Begeistert und so fest überzeugt von der Wahrheit seiner sonderbaren Annahme, als verkünde er eine göttliche Offenbarung, hatte der Kaiser geredet.

Jetzt rief er den Philosophen zu sich heran und forderte ihn auf, die in den Onyx geschnittene Roxane mit seinem jungen Schützling zu vergleichen.

Die schöne Perserin stand auf der Gemme dem Alexander gegenüber. Beide reichten einander die Hände zum Ehebunde, und zu Häupten des herrlichen Paares schwang der geflügelte Hymen die hellbrennende Fackel.

Auch Philostratus erstaunte beim ersten Blick auf das Kunstwerk und gab seiner Ueberraschung den lebhaftesten Ausdruck; denn in der That glich das Antlitz der Roxane auf dem handgroßen, geschnittenen Muschelstück Zug für Zug der Tochter des Heron. Jeder mußte dies seltene Spiel des Zufalls für etwas Wunderbares, ja Unerhörtes halten, der nicht wußte – und von dem kleinen, die Gemme betrachtenden Kreise ahnte es keiner – daß dieselbe eine Jugendarbeit des Heron sei, welcher der Roxane die Züge seiner jungen Neuvermählten geliehen hatte, zu deren lebendem Ebenbild Melissa, die Tochter der Olympias, herangewachsen war.

»Und seit wann,« fragte Philostratus, »ist dies herrliche Kunstwerk Dein eigen?«

»Es stammt, ich wiederhole es, aus dem Nachlaß meines Vaters,« versetzte dieser. »Severus trug es bisweilen. Warte ein wenig. Nach der Schlacht bei Issos, beim Triumph gegen den Pescennius Niger – es ist als säh' ich es vor mir – trug er sie an der Schulter, und das war . . .«

»Zweiundzwanzig Jahre ist es her,« fiel ihm Philostratus ins Wort; Caracalla aber fragte Melissa: »Wie alt bist Du, Mädchen?«

»Achtzehn Jahre, Herr,« lautete die Antwort, und sie gefiel dem Kaiser; denn er lachte hell auf und schaute dem Philosophen triumphirend ins Antlitz.

Dieser gab ihm auch willig zu, daß ihm selten etwas Ueberraschenderes begegnet sei, auch wünschte er dem Cäsar Glück, den Zuruf einer inneren Stimme in so handgreiflicher Weise bestätigt zu finden. Die Seele des großen Alexander möge aus ihm noch Herrliches wirken.

Während dieser Rede war die Angst, welche sich Melissas beim ersten Anblick des Kaisers und bei seinem langen Schweigen bemächtigt hatte, völlig geschwunden. Der furchtbare Mann, dessen Schmerzen ihre mitleidige Seele zu ihm hingezogen hatte, erschien ihr jetzt mehr wunderlich als schrecklich. Der Gedanke, daß sie, die bescheidene Künstlertochter, die Herberge der Seele des persischen Königskindes sein solle, belustigte sie sogar, und als der Löwe das Haupt zu ihr erhob und den Estrich wedelnd mit dem Schwanze schlug, fühlte sie, daß sie sein Wohlgefallen erwecke. Einem raschen Triebe folgend, legte sie ihm die Hand auf die Stirn und streichelte ihn furchtlos. Dem gezähmten Fürsten der Wüste aber gefiel die Berührung der leichten, warmen Mädchenfinger, und indem er das Auge an dem runden Arm Melissas rieb, ließ er ein leises, wohlgefälliges Knurren vernehmen.

Das freute den Kaiser und galt ihm für eine Bestätigung seiner wunderlichen Ueberzeugung. So stark hingezogen fühlte sich sein »Perserschwert« nur zu wenigen; und der Tänzer Theokrit dankte die Gunst, die ihm Caracalla erwies, zum Teil dem Umstande, daß der Löwe ihm bei der ersten Begegnung besonders zutraulich begegnet war. Doch so lebhaft wie diesem Mädchen hatte das Tier noch keinem Fremden sein Wohlgefallen bezeugt. Nur wenn er selbst ihm zusprach und ihm schmeichelte, wedelte er so lebhaft mit dem Schweife. Der Instinkt ließ die Bestie das alte, wunderbare Band ahnen, das seinen Herrn mit der neuen Bekannten vereinte, und auch darauf wies der Mann, der in allem, was ihm begegnete, einen Fingerzeig höherer Mächte sah, den Philosophen hin und fügte dazu die Frage, ob der Schmerz, der ihn vorhin wieder jäh überfallen, nicht eher Dank der Nähe der wiedererstandenen Seele der Roxane, als in Folge der Pillen des Galenus so ungewöhnlich schnell vergangen sein möge.

Philostratus hielt es für geratener, dieser Annahme nicht zu widersprechen und wußte das Gespräch sehr bald auf die gefangenen Angehörigen Melissas überzuleiten.

Leise stellte er es dem Caracalla als schönste Aufgabe dar, die Seele derjenigen zufrieden zu stellen, die dem Heros, dessen Leben er fortführe, so teuer gewesen, und der Kaiser, welchen es freute, den Philosophen jenen Wahn, der ihm schmeichelte, als erwiesene Thatsache anerkennen zu sehen, stimmte ihm bei.

Mit einer Milde, deren ihn wenige fähig gehalten hätten, befrug er Melissa nach ihrem Bruder Alexander, und der Klang der Stimme, mit dem sie ihm bescheiden, aber klar und voll schwesterlicher Liebe Antwort erteilte, behagte ihm so wohl, daß er sie, ohne sie zu unterbrechen, länger reden ließ, als es sonst seine Art war.

Endlich verhieß er ihr, den Maler zu verhören, und, wenn es angehe, Gnade zu üben.

Darauf klatschte er wieder in die Hand und befahl dem Freigelassenen Epagathos, der ihm die Dienste eines vertrauten Kammerherrn leistete, den gefangenen Alexander sogleich zu ihm zu führen.

Wie vorhin dem Adventus, so war diesmal dem Epagathos das Gefolge nachgedrängt, und da der Cäsar die Eingetretenen nicht wieder verjagte, wollte Melissa sich in das Nebengemach zurückziehen; der Herrscher aber gebot ihr zu bleiben.

Glühend und vergehend vor Scham und Verlegenheit blieb sie neben dem Stuhle des Caracalla stehen, und ob sie auch die niedergeschlagenen Augen nur dann und wann verstohlen zu erheben wagte, fühlte sie doch, daß hundert Blicke sie neugierig, herausfordernd, frech und verächtlich maßen. Wie gern wäre sie entflohen oder in den Boden gesunken; doch sie mußte standhalten und mit zuckenden Lippen die Zähne zusammenbeißen, um den Thränen zu wehren, die sich ihr in die Augen drängen wollten.

Der Kaiser achtete ihrer nicht mehr.

Es lüstete ihn, den Freunden und Gesellschaftern das Wichtigste mitzuteilen, das ihm begegnet war, doch geflissentlich hielt er noch damit zurück, während sie vor ihm Aufstellung nahmen. Den anderen voran schritt der Oberpriester des Serapis mit dem Günstling Theokrit, und Caracalla trug ihnen ungesäumt auf, den neu ernannten Nachtstrategen zu ihm zu führen. Aber die Wahl war noch nicht vollzogen worden. Zwischen zwei bewährten Männern, meldete Theokrit, schwanke die Wage. Der eine, Aristides, sei ein wohlbeleumdeter Grieche, der andere zwar nur ein Aegypter, doch so ausgezeichnet wegen seines strengen Eifers, daß er ihm den Vorzug gebe.

Da fiel ihm der Oberpriester ins Wort und versicherte, daß der von Theokrit begünstigte Mann allerdings die Eigenschaften besitze, die jener an ihm rühme, doch in einem Maße, das ihn unter der griechischen Bevölkerung der Stadt im höchsten Grade verhaßt gemacht habe; durch Gerechtigkeit und Milde aber sei in Alexandria mehr zu erreichen als durch herausfordernde Strenge.

Da lachte der Günstling auf und versicherte, daß er vom Gegenteil überzeugt sei. Eine Bürgerschaft, die sich herausnehme, des göttlichen Cäsar, ihres Gastes, in so unerhörter Weise zu spotten, müsse die Macht Roms und seines Herrschers schmerzlich zu fühlen bekommen. Der abgesetzte Nachtstratege habe wegen der halben Maßregeln, die er getroffen, das Amt verloren, und der Grieche Aristides laufe Gefahr, in seine Fußstapfen zu treten.

»Keineswegs,« unterbrach ihn der Oberpriester mit vornehmer Würde. »Der Hellene, den ich vorschlage, ist ein würdiger und mutiger Mann; der Aegypter Zminis aber, die rechte Hand des Gestürzten – es muß gesagt sein – ein gewissenloser, grausamer Schurke.«

Hier ward der Streit unterbrochen.

Melissa, der es während desselben vor den Ohren gesaust hatte, war bei der Nachricht, dem Angeber Zminis solle der Befehl über die Sicherheitsbehörde der Stadt anvertraut werden, erblassend zusammengeschreckt. Wenn das geschah, waren die Ihren sicher verloren. Es mußte verhindert werden, und bei dem letzten Wort des Oberpriesters berührte ihre Hand die des Kaisers, und wie dieser auffuhr und sich erstaunt nach ihr hinwandte, raunte sie ihm so schnell und leise zu, daß nur wenige es bemerkten: »Nicht der Zminis! Er ist unser Todfeind.«

Nur mit einem flüchtigen Blicke streifte der Kaiser das Antlitz des kühnen Mädchens, und doch entging ihm nicht, wie tief es erblaßt war.

Das sanfte Rot auf ihren Wangen und das Grübchen, welches er, während sie vorhin den Löwen streichelte, in denselben bemerkt hatte, waren ihm unsagbar reizend erschienen. Sie hatten sie auch dem Bilde der Roxane auf der Gemme so ähnlich gemacht, daß die Veränderung ihres Aussehens sein Bedauern erweckte. Sie sollte wieder lächeln, und gewohnt, jeden Verdruß andere mitfühlen zu lassen, herrschte er die »Freunde« unwillig an: »Kann ich denn überall sein? Geht auch das Kleinste nicht ohne mich vorwärts? An dem Präfekten der Prätorianer wäre es gewesen, Bericht über die beiden Vorgeschlagenen zu erstatten, wenn ihr nicht einig werden konntet; doch seit gestern abend sah ich ihn nicht. Wer sich erst rufen läßt, wenn ich ihn brauche, versäumt schon eine Pflicht. Macrinus kennt sonst die seine. Weiß einer, was ihn zurückhielt?«

Unwillig, ja bedrohlich hatte diese Frage geklungen, und der Präfekt der Prätorianer war ein mächtiger Mann, dessen Brauchbarkeit ihn schwer antastbar machte. Dennoch ließ der Prätor Lucius Priscillianus nicht auf die Antwort warten. Es war der boshafteste und mißgünstigste Ränkeschmied am Hofe, und er haßte den Präfekten, weil er selbst nach seiner Stellung trachtete, welche die höchste im Staate war nach der des Kaisers. Einige seiner Sklaven hatten den Macrinus stets zu belauern, und mit einem höhnischen Achselzucken begann er. »Es wundert mich, daß der eifrige Mann, dem der schwere Dienst die Kräfte bereits zu lähmen beginnt, noch nicht hier ist. Den Abend und die Nacht braucht er hier übrigens zu besonderen Dingen, von denen man besorgen muß, daß sie seiner Gesundheit und der Gemütsruhe, die sein Amt erheischt, wenig förderlich sind.«

»Was soll das?« fragte Caracalla; der Prätor aber fuhr unbeirrt fort: »Ewige Götter! Wen verlangt es nicht, einen Blick in die Zukunft zu thun?«

»Das ist es, was ihn zurückhält?« fragte der Kaiser mehr neugierig als unwillig.

»Jetzt am lichten Tage wohl kaum,« fuhr Priscillianus fort, »die Geister, die er beschwören läßt, scheuen, sagt man, das Licht. Aber er wird müde sein vom Wachen und der heftigen Erregung.«

»So ließ er in der Nacht Geister erscheinen?«

»Sicherlich, hoher Cäsar. Aber es fehlt den Geistern in dieser Stadt der Philosophen an Logik. Wie sich Macrinus wohl selbst die Voraussagung erklärt, daß er, der ja schon auf der höchsten für unsereinen erreichbaren Stufe steht, noch höher steigen solle?«

»Wir werden ihn fragen,« versetzte der Kaiser gelassen. »Du aber hüte die Zunge; denn sie brachte schon manchen um den Kopf, den ich noch gern unter den Lebenden sähe. Wünsche sind straflos. Wem gefiele wohl nicht die Stufe des höher stehenden andern? Dir, Freund, wäre die des Macrinus genehm. Thaten? Ihr kennt mich. Vor ihnen bin ich sicher, so lange jeder von euch dem andern das Aufsteigen so herzlich mißgönnt. Du hast das scharfe Spürauge wieder bewährt, mein Lucius, und wär' es nicht zu viel der Ehre für diese aufsässige Stadt, einen Römer in der Toga prätexta an die Spitze ihrer Sicherheitsbehörde zu stellen, so könnt' es mich lüsten, Dich zum Nachtstrategen Alexandrias zu machen.

»Ihr seht mich heut in gehobener Stimmung. Du kennst die Gemme dort, die von meinem Vater stammt, Cilo. Schau sie an und auch dies Mädchen. Tritt nur näher, Priester des göttlichen Alexander, und auch ihr leiht dem Wunder die Augen, Theokrit, Antigonus, Dio, Pandion, Paulinus. Vergleicht das Frauenbild auf der Gemme dort mit der Jungfrau an meiner Seite. Sie war noch lange nicht geboren, als ein Meister diese Roxane in den Stein schnitt. Auch ihr seid überrascht? Wie in mir die Seele des Alexander, so ist in dieser da die der Roxane zum andernmal ins Leben getreten. In Gegenwart des Philostratus ward es durch untrügliche Zeichen bestätigt!«

Hier unterbrach der Alexanderpriester den Caracalla, indem er im Tone fester Ueberzeugung ausrief: »Ein seltenes Wunder! Verneigen wir uns vor dem edlen Gefäß der großen Seele des Alexander. Ich, der Priester des Heros bestätige, daß der hohe Cäsar diejenige fand, in der die Seele der Roxane fortlebt.«

Damit drückte er die Hand aufs Herz und verbeugte sich tief vor dem Kaiser, und die anderen thaten es ihm nach.

Auch der Spötter Julius Paulinus folgte der Aufforderung des priesterlichen römischen Ritters; doch flüsterte er dem Cassius Dio ins Ohr: »Die Seele des Alexander war neugierig und wollte sehen, wie es sich in demjenigen hause, der ihm von allen Sterblichen am wenigsten gleichsieht.«

Auch über die Milde, die plötzlich über den Cäsar gekommen zu sein schien, schwebte dem früheren Konsul ein spöttisches Wort auf den Lippen; doch zog er vor, zu sehen und zu hören, als Caracalla den Günstling Theokrit zu sich heranwinkte und ihn, der sich jeder seiner Launen gefällig erwies, ersuchte, von der Wahl des Zminis zum Nachtstrategen abzusehen.

Es widerstehe ihm, sagte er laut, die Obhut der eigenen Person und der Stadt des Alexander einem Aegypter anzuvertrauen, da ein für diese Aufgabe geschickter Grieche zur Hand sei. Nachher gedenke er, sich beide Bewerber vorführen zu lassen und in Gegenwart des Präfekten der Prätorianer die Wahl zu treffen.

Darauf wandte er sich an die anwesenden Truppenführer und rief: »Entbietet meinen Gruß den Soldaten! Ich konnte mich ihnen gestern nicht zeigen. Vorhin sah ich mit Bedauern, wie der Regen sie hier in der üppigen Stadt durchnäßte. Das will ich nicht länger mit anschauen. Die Prätorianer und die makedonische Legion sollen Quartiere erhalten, von denen sie lang zu erzählen haben. – Ich gönn' es ihnen weit lieber als den widrigen Krämern, auf weicher Wolle zu schlafen und von silbernen Tellern zu speisen. Sagt ihnen das.«

Hier wurde er unterbrochen; denn Epagathos meldete eine Deputation des Museums und zu gleicher Zeit den aus dem Gefängnis herbeigeführten Maler Alexander.

Da fuhr Caracalla unwillig auf: »Laßt mich mit den Silbenstechern in Frieden! Empfange Du sie in meinem Namen, Philostratus. Verlangen sie Unverschämtes, so lasse sie wissen, wie ich ihnen und dem Museum gesinnt bin. Geh und kehre dann zu uns zurück. – Bringt mir den Maler. – Ich will allein mit ihm reden. Ihr Freunde, folgt unserem Alexanderpriester und Idiologen, der hier bekannt ist, und seht euch die Stadt an. Ich werde euch fürs erste nicht brauchen.«

Ungesäumt gehorchte die große Schar der Entlassenen.

Nun wandte Caracalla sich wieder Melissa zu, und das Auge leuchtete ihm hell auf, als er in ihren neu geröteten Wangen die Grübchen wieder entdeckte.

Ihr bittender Blick begegnete dabei dem seinen, und die frohe Erwartung auf den Bruder verlieh ihm einen den freundlosen Mann beglückenden Glanz.

Schon während der letzten Rede waren seine Augen bisweilen auf ihr ruhen geblieben; doch die ihren hatten ihn in Gegenwart so vieler Fremden gemieden. Jetzt meinte er, gebe sie aus freiem Herzensantrieb zu erkennen, daß seine Gunst sie beglücke. Ihre, der Roxane, Seele mußte sich ja ohnehin zu ihm hingezogen fühlen. Er glaubte fest daran. Das Gebet und Opfer für ihn – er wiederholte es sich – hatten es bewiesen.

Als Alexander eingeführt wurde, trug er es ihm nicht nach, daß der Bruder, der in seiner lebhaften Weise der Schwester die Arme entgegengestreckt hatte, erst von Melissa auf ihn hingewiesen werden mußte.

Dieser Jungfrau kam jede Huldigung zu, und dazu fesselte ihn der herrliche Wuchs des Alexander.

Schon lange Zeit hatte ihn keine Jünglingsgestalt so lebhaft an die Marmorbilder der großen Meister Athens erinnert. Wie die Verkörperung des Ideals hellenischer Kraft und Jugendschöne erschien ihm der Bruder Melissas. Man hatte ihn im Gefängnis des Umwurfes entkleidet, und er trug nichts als den kurzen Chiton, der auch die starken und doch weich geformten Arme frei ließ. Zum Ordnen und Salben des Haares war ihm keine Zeit gelassen worden, und nun umgab ihm das hellbraune Gelock in ordnungsloser Ueppigkeit das schöne Haupt. Wie ein olympischer Sieger, der mit allen Spuren des Kampfes sich aufmacht, um den Kranz zu empfangen, erschien dem Cäsar dieser gottbegnadete Jüngling.

Keine Spur von Furcht vor dem Kaiser oder seinem Löwen schädigte diesen Eindruck. Auch die Verbeugung, womit er an den Herrscher herantrat, war bei aller Ehrerbietung weder demütig noch befangen, und bitterer Verdruß, daß dieser Liebling der Gottheit ihn zur Zielscheibe seines Spottes erwählt, überkam den Cäsar.

Es wäre ihm wie ein großes Schicksalsgeschenk erschienen, wenn gerade dieser Jüngling, der Bruder einer solchen Schwester, ihm seine Neigung geschenkt und mit dem scharfen Auge des Künstlers das Große erkannt hätte, das er trotz seiner schnöden Frevelthaten in der eigenen Brust zu spüren meinte. Dazu wünschte er mit einem seltsamen, ihm sonst unbekannten Bangen, daß das Vergehen des Malers es ihm gestatten möge, Gnade zu gewähren.

Während Alexander ihn noch vertrauensvoll bat, es seiner Jugend und der bösen alexandrinischen Art, die er von Eltern und Großeltern ererbt, zu gute zu halten, wenn sich seine Zunge leichtfertig gegen ihn, den Allmächtigen, vergangen, und der Fabel von der Maus und dem Löwen zu gedenken, schwanden die Falten, womit er den Jüngling anfänglich an die Furchtbarkeit seiner Macht zu mahnen gesucht, von der Stirn Caracallas. Der Gedanke, von diesem herrlichen Künstler, dessen scharfes Auge das Schöne vom Unschönen so sicher unterschied, für häßlich gehalten zu werden, war ihm abscheulich.

Bis dahin hatte er ihm schweigend zugehört; plötzlich aber fragte er, ob er, Alexander, den er nie beleidigt, es gewesen sei, der die schändlichen Verse unter den Strick an die Thür des Serapeums geschrieben, und da der Künstler dies mit aller Entschiedenheit verneinte, war es dem Kaiser, als sei ihm eine Last von der Seele gefallen.

Dennoch bestand er darauf, aus des Malers eigenem Munde zu vernehmen, was es sei, das seine Spottlust herausgefordert habe.

Nach einigem Sträuben und nachdem Melissa den Cäsar vergeblich gebeten, dies Bekenntnis sich selbst und dem Bruder zu ersparen, rief Alexander: »So muß das Wild denn freiwillig ins Netz und, stellt sich Deine Gnade nicht dazwischen, wohl auch in den Tod. Was ich sagte, bezieht sich zum Teil auf die seltene Kraft, die Du so oft im Felde und im Zirkus bewährtest, und sodann auf etwas, das ich jetzt selbst mehr als gern nicht gesagt haben möchte. Es heißt, Du habest Deinen Bruder getötet.«

»Das, also das,« unterbrach ihn der Kaiser, und sein Antlitz gewann ohne sein Zuthun einen finstern Ausdruck.

»Ja, Herr,« fuhr Alexander tief aufatmend fort. »Dich belügen hieße zu dem ersten einen zweiten Frevel fügen, und ich gehöre zu denen, die gern mit gleichen Füßen in das kalte Wasser springen, wenn es schon sein muß. Deine Kraft, sagte ich, kenne die Welt; ja sie überbiete bisweilen die des Vaters Zeus; denn der habe den Sohn – den Hephästos meint' ich – nur auf die Erde geworfen – Deine starke Faust aber habe den Bruder durch die Erde hindurch in die Tiefe des Hades geschleudert. Das ist's. Ich that nichts hinzu und verschwieg nichts.«

Angstvoll war Melissa diesen kühnen Worten gefolgt.

Der Präfekt der Prätorianer, Papinian, einer der größten Rechtsgelehrten seiner Zeit, hatte durch seine bloße Weigerung, den Tod des Geta für entschuldbar zu erklären, den Zorn des Kaisers erregt, und die edle Antwort, daß es leichter sei, einen Brudermord zu begehen, als ihn zu verteidigen, ihm das Leben gekostet.

Während Caracalla, so lang er sich gütig gegen sie erwiesen hatte, ihr abstoßend erschienen war, zog es Melissa nun wieder zu dem Aufgebrachten hin.

Wie die Wunden des Erschlagenen sich aufthun sollen, wenn der Mörder an ihn herantritt, pflegte Caracallas gereizte Seele dem wildesten Zorne Thür und Thor zu öffnen, wenn ein Unvorsichtiger ihn an seine schwerste Blutthat erinnerte. Auch diesmal hatte die Mahnung an den Brudermord seinen Zorn erregt, doch er kam nicht zum Ausbruch; denn wie ein Wolkenbruch die Flamme löscht, die der Blitz entzündet, hatte die seiner Kraft gewidmete Huldigung, die der Spott Alexanders enthielt, seinen Ingrimm beschwichtigt.

Die Ironie, die das höhnische Wort des Künstlers erst recht zum Witze machte, wäre dem Caracalla, hätte es einem anderen gegolten, sicher nicht entgangen; diesmal aber bemerkte er sie nicht oder wollte sie nicht bemerken, schon um Melissa im Glauben zu lassen, seine Manneskraft sei wert, bewundert zu werden. Außerdem sah er seinen Wunsch erfüllt, diesem Jünglinge vergeben zu können, und so maß er ihn nur mit einem strafenden Blick und rief ihm, um Spott mit Spott heimzuzahlen und um dem Missethäter zu vergegenwärtigen, vor welchem Geschick ihn die kaiserliche Gnade bewahre, drohend zu: »Es könnte mich reizen, auch an Dir meine Kraft zu versuchen, doch mit einem windigen Witzbold, den die Luft fortweht, wirft es sich schlechter als mit dem Sohn eines Kaisers. Wenn ich es darum einstweilen unterlasse, so geschieht es nur, weil Du diesem Arm« – und damit spannte er die Muskeln, die durch Uebung eine starke Schwellung gewonnen, prahlerisch an – »weil Du ihm eben zu leicht bist. Aber meine Hand reicht weit. Jeder Häscher ist ein Finger daran, und sie hat deren tausend. Du lerntest, mein' ich, schon etliche kennen, als sie Dich fingen.«

»Das nicht,« entgegnen Alexander und lächelte leise, während er sich ehrerbietig verneigte. »Deiner eigenen Kraft wag' ich nicht zu widerstreben, aber die Spürhunde des Nachtstrategen sind mir umsonst auf den Fersen gewesen. Freiwillig begab ich mich in den Kerker.«

»Freiwillig?«

»Um den Vater, den sie gefangen nahmen, aus der Haft zu befreien.«

»Sehr edel,« versetzte der Kaiser höhnisch. »Dergleichen schafft einen guten Namen, doch muß man ihn manchmal mit dem Leben bezahlen. Das scheinst Du vergessen zu haben.«

»Nein, hoher Cäsar, ich erwartete den Tod.«

»So bist Du ein Philosoph, ein Verächter des Lebens?«

»Keins von beiden. Das Leben ist mir das Höchste; denn nimmt man es mir, so ist es vorbei mit dem Genuß seiner köstlichsten Güter.«

»Köstlichste Güter,« wiederholte der Kaiser. »Ich möchte wissen, welche Du mit diesem Namen beehrst?«

»Liebe und Kunst.«

»So?« fragte der Cäsar und warf einen flüchtigen Blick auf Melissa. Dann fuhr er mit veränderter Stimme fort: »Und die Rache?«

»Diesen Genuß,« entgegnete Alexander freimütig, »hab' ich noch nicht kennen gelernt. Es ist mir eben noch nichts ernstlich Böses angethan worden, bevor der schurkische Zminis, der wahrlich unwert ist, als Finger an Deiner Hand Uebles zu stiften, unsern Vater unschuldig der Freiheit beraubte.«

Da warf ihm der Kaiser einen mißtrauischen Blick zu und sagte ernst: »Jetzt aber könntest Du Gelegenheit finden, den Wohlgeschmack der Rache zu kosten. Wär' ich furchtsam – der Aegypter handelte ja nur als mein Werkzeug – hätte ich Grund, mich vor Dir zu hüten.«

»Mit nichten,« fiel ihm Alexander mit einem liebenswürdigen Lächeln ins Wort, »es liegt ja in Deiner Hand, mir lauter Gutes zu erweisen. Thu's! Es sollte mir eine Lust sein, Dir zu zeigen, daß ich zwar leichtsinnig über die Maßen, dabei aber doch ein dankbarer Mensch bin.«

»Dankbar?« wiederholte Caracalla mit einem häßlichen Lachen. Dann erhob er sich langsam und schaute dem Alexander mit dem Rufe: »Es könnte mich lüsten, es mit Dir zu versuchen,« scharf ins Antlitz.

»Und ich bürge dafür, daß Du es nie bereuen wirst,« fiel ihm Melissa ins Wort. »So schwer er sich auch verging, er ist wert Deiner Gnade.«

»Ist er's?« frug Caracalla und schaute ihr wohlgefällig ins Antlitz. »Was die Seele der Roxane mit diesen roten Lippen so eifrig versichert, muß ich wohl glauben.«

Dann hielt er wieder inne, maß den Alexander noch einmal mit einem prüfenden Blick und fuhr fort: »Du hältst mich für stark und müßtest diese Meinung, die ich zu schätzen weiß, ändern, wenn ich Dir Gnade schenkte wie ein weichmütiges Mädchen. Ich habe Dich in meiner Gewalt. Du verwirktest das Leben. Schenk' ich es Dir, so muß ich dafür eine Gegengabe verlangen, um nicht der Betrogene zu sein.«

»Gib den Vater frei, und er thut, was Du nur immer verlangst,« unterbrach ihn Melissa; Caracalla aber schnitt ihr das Wort ab mit dem Rufe: »Man stellt dem Kaiser keine Bedingung. Tritt zurück, Mädchen!«

Melissa folgte gesenkten Hauptes diesem Gebot und schaute erst besorgt, dann aber erstaunt auf die lebhafte Unterredung dieser so verschiedenartigen Männer.

Alexander schien das Ansinnen des Kaisers ablehnen zu wollen, bald aber mußte ein Vorschlag desselben ihm etwas Vergnügliches in Aussicht stellen; denn von seinen Lippen klang das leise, wohllautende Lachen, das der Schwester oft in trüben Stunden die Seele erhellte. Dann wurde das Zwiegespräch wieder ernster, und Caracalla rief so laut, daß Melissa es verstand: »Vergiß nicht, mit wem Du redest. Wenn Dir meine Zusage nicht genügt, so kehre zurück in den Kerker.«

Da zitterte sie wiederum für den Bruder; doch ein gutes Wort des Alexander besänftigte die Leidenschaft des schrecklichen Mannes, der sich keinen Augenblick gleich blieb. Auch der Löwe, der ungefesselt neben dem leeren Stuhle des Herrschers lag, machte sie bisweilen besorgt; denn wenn der Kaiser unwillig die Stimme lauter erhob, richtete er sich grollend in die Höhe.

Wie schrecklich war dies Tier und sein Gebieter!

Lieber auf einer Schiffsplanke zeitlebens von der Braudung auf und nieder geschleudert werden, als verdammt sein, das Dasein dieses Mannes zu teilen! Und doch lag etwas in seinem Wesen, das sie anzog; ja, es widerstand ihr, von ihm übersehen zu werden.

Endlich wandte Alexander sich an Caracalla und fragte bescheiden, ob er Melissa anvertrauen dürfe, was er ihm verheißen.

»Das soll meine Sache sein,« entgegnete der Kaiser. »Du denkst, ein schwaches Mädchen sei immer noch ein besserer Zeuge als keiner. Vielleicht bist Du im Rechte. Es sei also hier wiederholt: Wenn Du mir auch das Ungeheuerste zu hinterbringen hast, gegen Dich soll sich mein Unwillen nicht kehren. Dieser da – warum soll es Dir verschwiegen bleiben, Mädchen – begibt sich in die Stadt und sammelt dort die Scherze und witzigen Epigramme, die man mir zu Ehren ersann.«

»Alexander,« fiel hier Melissa dem Herrscher tief erblassend ins Wort und erhob abwehrend und von schwerer Angst ergriffen die Hände; Caracalla aber kicherte vor sich hin und fuhr munter fort: »Ja wohl! Das Ding ist gefährlich, und darum versprech' ich mit meinem kaiserlichen Wort, ihn den Frevel der anderen nicht büßen zu lassen. Im Gegenteil! Er ist frei, wenn die Blumenlese mir genügt, die er heimbringt.«

»Aber,« fügte Alexander, den die malmenden Blicke und das bleiche Antlitz der Schwester nun auch bedenklich machten, in bestimmtem Tone hinzu: »Du gelobtest mir auch noch ein zweites, und darauf – ich wiederhole es – lege ich das schwerere Gewicht. Du wirst mich nicht zu bekennen zwingen, noch durch andere zu erforschen versuchen, wer dies oder jenes Witzwort über Dich ersann oder aussprach.«

»Genug,« fiel ihm der Kaiser ungeduldig ins Wort; Alexander aber ließ sich nicht irre machen, sondern fuhr eifrig fort: »Dein Wort, man stelle dem Kaiser keine Bedingung, ich vergaß es nicht; doch trotz meiner elenden Machtlosigkeit besteh' ich auf dem Recht, in den Kerker zurückzukehren und dort zu erwarten, was über mich verhängt wird, wenn Du mir nicht noch einmal vor dieser hier zusicherst, weder nach dem Urheber der Worte zu fahnden, die mir etwa zu Ohren kommen, noch mich selbst durch irgend einen Zwang zu nötigen, den Namen des Epigrammatikers zu nennen. Warum soll ich Deiner Neugier und Deinem Gefallen an scharfem Witze nicht dienen? Bevor ich aber auch nur das Geringste thäte, was nach Verräterei schmeckt, zehnmal lieber das Beil oder den Galgen!«

Da rief Caracalla mit verfinsterter Stirne laut und kurz: »Ich gelob' es!«

»Und wenn Dich nun der Zorn übermannt?« klagte Melissa und erhob bittend die Hände; der Kaiser aber versetzte streng: »Es gibt keine Leidenschaft, die den Cäsar zu einem Meineide hinreißt.«

In diesem Augenblick trat Philostratus wieder mit dem Freigelassenen Epagathos in das Zimmer, und letzterer meldete den Präfekten der Prätorianer.

Da bat Melissa, ermutigt durch die Anwesenheit des gütigen Freundes: »Aber, nicht wahr, großer Cäsar, Du gibst unsern Vater und Bruder jetzt frei?«

»Vielleicht,« versetzte Caracalla. »Sehen wir erst, wie dieser da seinen Auftrag erfüllt.«

»Du wirst mit mir zufrieden sein,« versetzte Alexander, der nun wieder heiter drein schaute, und den es reizte, dem viel umschmeichelten Tyrannen ungefährdet Dinge ins Gesicht zu sagen, die ihm den Spiegel vorhalten würden, ohne – des meinte er sich versichert zu haben – andere und sich selbst damit zu gefährden.

Dann verneigte er sich zum Abschied. Melissa that das Gleiche und sagte so unbefangen, als liege hier das Kommen und Gehen frei in ihrer Hand: »Nimm meinen Dank, großer Cäsar. O, wie heiß will ich mein Leben lang für Dich bitten und beten, wenn Du Dich gegen meinen Vater und die Brüder gnädig erweist.«

»Das heißt, Du willst mich verlassen,« frug Caracalla.

»Es kann ja nicht anders sein,« versetzte Melissa scheu. »Ich bin eine Jungfrau, und die Männer, die Du erwartest . . .«

»Doch wenn sie mich verlassen?« forschte Caracalla weiter.

»Auch dann wirst Du meiner nicht bedürfen,« stammelte das Mädchen.

»Das heißt,« fiel der Kaiser ihr herb ins Wort, »daß Du Dich vor der Wiederkehr fürchtest. Das will sagen, daß Du dem Manne, für den Du betetest, aus dem Wege gehen möchtest, so lang er sich wohl fühlt. Faßt das Leid ihn aber wieder an, das Dein Mitgefühl einmal erregte, dann überläßt auch Du den Mann mit dem schnell erregten Zorn am liebsten sich selbst oder der Sorge der Götter.«

»So nicht, so nicht,« bat Melissa und schaute ihm mit einem Blick in die Augen, der ihn so tief ins Herz traf, daß er milde und bittend fortfuhr: »So zeige, daß Du diejenige bist, für die ich Dich halte! Ich zwinge Dich zu nichts. Geh hin, wohin Du begehrst, halte Dich fern von mir, auch wenn ich Dich rufe, aber,« und hier verfinsterte sich ihm wieder die Stirn, »aber woher sollte ich Gnade finden für diejenige, von der ich Teilnahme erwartet hatte und freundliche Neigung, und die mich flieht wie die anderen.«

»O Herr, Herr!« stieß hier Melissa angstvoll hervor.

»Geh nur,« unterbrach sie der Kaiser, »ich brauche Dich nicht.«

»Nein, nein,« scholl es nun dem Mädchen bang von den Lippen. »Rufe mich, und ich will kommen! Nur vor den anderen und ihren höhnischen Blicken sollst Du mich schützen, nur – o ihr ewigen Götter . . . Wenn Du meiner bedarfst, will ich Dir dienen, und gern, von Herzen gern will ich es thun. Aber wenn ich Dir etwas gelte, wenn meine Gegenwart Dir lieb ist, wie kannst Du das Schlimmste über mich bringen? . . .«

Hier hemmte ihr ein jäh hervorbrechender Strom von Thränen die Stimme; über das Antlitz des Kaisers aber flog ein triumphirendes Lächeln, und indem er Melissa die Hände von dem feuchten Antlitz zog, sagte er gütig: »Die Seele des Alexander hier drinnen trägt nach der Roxanes Verlangen. Das ist es, was mir Deine Nähe so wert macht. Nie und nie sollst Du zu bereuen haben, meinem Rufe zu folgen. Ich schwör' es bei den Manen meines göttlichen Vaters, und Du, Philostratus, bist der Zeuge.«

Da atmete der Philosoph, der den Caracalla zu kennen meinte, erleichtert auf, und Alexander sagte sich froh, die Gefahr, die er auf die Schwester hatte einbrechen sehen, sei nun beseitigt. Den Roxane-Wahn, von dem Caracalla ihm vorhin wie von einer feststehenden Thatsache geredet, hielt er für eine närrische Laune des wunderlichen Mannes, die Melissa besser als Verheißungen und Schwüre beschützen werde.

Heiter faßte er die Hand der Schwester und sagte mit zuversichtlicher Frische: »Rufe sie nur, wenn Du wieder krank bist, so lange Du hier bist. Ich weiß ja aus Deinem eigenen Munde, daß es keine Leidenschaft gibt, die den Cäsar zu einem Meineid hinreißen könnte. Gestattest Du ihr jetzt, mir zu folgen?«

»Nein,« versetzte Caracalla kurz und befahl ihm, zu erfüllen, was er auf sich genommen. Dann wandte er sich an den Philostratus und ersuchte ihn, Melissa zu Frau Euryale, der würdigen Gattin des Oberpriesters, zu geleiten, die schon seiner Mutter eine gütige, nievergessene Gastfreundin gewesen.

Wie gern führte der Philosoph gleich darauf die junge Schutzbefohlene der Matrone zu, die ihrer Rückkehr längst bangen Herzens entgegengesehen hatte.


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