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In der Frühe des folgenden Morgens befand sich die Sängerfamilie auf dem Wege nach dem Hause des reichen Porphyrius. Sie war nicht vollzählig, denn Dada hatte zu Hause bleiben müssen. Der Schuh des Alten, welcher gegen den Dämon geschleudert worden war, hatte das frisch gewaschene Kleid des Mädchens von der Stange neben dem Herd gerissen, und in der Frühe war es mit großen Brandlöchern auf der Asche gefunden worden.
Dada besaß kein anderes gutes Gewand, und so mußte sie trotz ihrer ungeduldigen Weigerung und vieler Thränen bei dem kleinen Papias bleiben.
Agne's eifriges Verlangen, an ihrer Stelle den Knaben zu hüten und ihr mit dem eigenen Kleide auszuhelfen, war von Karnis und seiner Gattin bestimmt abgelehnt worden; und Dada hatte erst still und gutwillig, sehr bald aber in aller Fröhlichkeit mitgeholfen, Kränze für die Anderen zu winden und Agne's schlichtes, tiefschwarzes Haar mit einem zierlichen Gewinde von Veilchen und Epheuranken zu schmücken.
Die Männer hatten sich schon gesalbt und Pappel- und Lorbeerkränze aufgesetzt, als der Hausmeister des Porphyrius erschienen war, um sie in das Haus seines Gebieters zu führen. Nun galt es auch für sie Entsagung üben, denn der Bote veranlaßte sie, die Kränze abzulegen, weil sie den Unwillen der Mönche im Hofe erregen und draußen den christlichen Pöbel aufreizen würden. Enttäuscht und ebenso niedergeschlagen, wie er kurz vorher siegesgewiß und froh gewesen, war Karnis in's Freie getreten.
Die Mönche, welche sich vor dem Xenodochium zusammengeschaart hatten, blickten ihn und die Seinen mißtrauisch und feindselig an, und die Freudigkeit, mit der er früh in den Tag hineingeschaut hatte, wollte nicht wiederkehren, so lange er sich in der engen, halbdunklen Hafengasse, wo es nach Theer und gesalzenen Fischen roch, durch das Gedränge Bahn brechen mußte. Der Hausmeister ging mit Frau Herse dem Zuge voran und gab ihr gesprächig den gewünschten Bescheid.
Sein Gebieter gehörte zu den größten Kaufherren der Stadt und hatte seine Gattin vor zwanzig Jahren bei Gorgo's Geburt verloren. Die beiden Söhne des Hauses befanden sich gegenwärtig auf Reisen. Die Greisin, welche sich gestern so freigebig gegen die Sänger erwiesen, war des Porphyrius Mutter Damia. Sie verfügte über ein großes eigenes Vermögen und galt trotz ihres hohen Alters immer noch für die Seele der Geschäfte des Hauses und für eine in der Geheimwissenschaft tief erfahrene Frau. Maria, die fromme Christin, welche die Herberge zum vollendeten Märtyrer gestiftet hatte, war mit Apelles, dem verstorbenen Bruder des Porphyrius, vermählt gewesen, hatte sich aber ihrem Schwager und ihrer Schwiegermutter völlig entfremdet. Natürlich, denn sie stand an der Spitze der rechtgläubigen Frauen Alexandrias; das Haus des Porphyrius aber war trotz der Taufe seines Gebieters so gut heidnisch wie irgend eins in der Stadt.
Karnis hörte nichts von dem Allen, denn zwischen ihm und seinem Weibe gingen zwei Sklaven, welche die Lauten und Flöten der Sängerfamilie trugen, und vor ihnen her Orpheus und Agne. Diese schaute immerfort zu Boden, als wolle sie das, was sie hier umgab, zu sehen vermeiden; nur wenn Orpheus sie etwas fragte, schlug sie das Auge scheu auf und antwortete kurz und befangen.
Bald gelangten die Wanderer durch einen finstern Gang an den Kanal, welcher den Meereshafen Kibotus mit dem mareotischen See verband, in dem die Nilschiffe vor Anker gingen. Karnis athmete auf, denn hier war es licht und hell, ein leiser Nordwind trug ihm die erfrischende Luft des Meeres entgegen, und die schlanken Palmen am Rande der Wasserstraße warfen lange, die vollen Kronen der Sykomoren mächtige Schatten über den breiten, bunt belebten Weg. In allen Zweigen sangen Vögel, und der alte Sänger sog mit tiefen Zügen die wunderbar leichte und würzige Luft des ägyptischen Lenzmorgens ein.
Als er auf der Mitte einer hochgewölbten Brücke angelangt war, welche über den Kanal führte, blieb er plötzlich stehen und schaute wie gebannt nach Südosten.
Von tiefer Begeisterung ergriffen, hob er die Arme, die Augen wurden ihm feucht und gewannen den Glanz der Jugend zurück, und wie immer, wenn ein herrliches Werk der Gottheit oder der Menschen sein Herz mit Entzücken erfüllte, trat ungerufen vor seine Seele das Bild seines verstorbenen ältesten Sohnes, welcher sein Freund und Gesinnungsgenosse gewesen. Bald war es ihm, als liege sein Arm auf der Schulter des früh dahingegangenen Jünglings, der seinen zweiten, ruhigeren Sohn Orpheus an Schwungkraft der Seele weit überboten hatte, und als genieße er gemeinsam mit ihm den großen Anblick, welcher sich ihm darbot.
Auf Fundamenten von Felsen und mächtigen Quadern erhob sich vor ihm ein Bauwerk von wunderbarer Größe und Schönheit. Es leuchtete im Gold des Morgenlichtes hell und prächtig, und seine edlen, farbenbunten Formen schienen selbst Glanz auszustrahlen in blendender Fülle. Über seiner vergoldeten Kuppel breitete sich der reine, ungetrübte Azur des afrikanischen Himmels, und wie die Sonne am Firmament, entsandte das blanke, gewaltige Halbrund leuchtende Strahlen. – Rampen für Wagen und Stufenreihen für andächtige Fußgänger führten zu ihm empor. Der Unterbau, welcher dieses Wunderwerk menschlicher Hände, den Tempel des Gottes Serapis, trug, war wie für die Ewigkeit gefestigt, und die Säulen an seiner Vorhalle trugen die Decke eines Raumes, welcher für die Größe der himmlischen und nicht für die Kleinheit sterblicher Wesen bestimmt zu sein schien. Wie Kinder unter den Bäumen eines hochstämmigen Waldes bewegten sich Priester und Beter unter ihnen umher. Auf der Bekrönung des Daches, in Hunderten von Nischen und auf zahllosen hervorragenden Theilen schienen sich alle Götter des Olymps, alle Heroen und Weisen Griechenlands ein Stelldichein gegeben zu haben, und schauten hier in glänzendem Erz, dort in schön bemaltem Marmor dem Nahenden entgegen. Gold und glänzender Farbenschmuck leuchteten von allen Gliedern dieses Wunderbaues. Selbst den großen Reliefbildern in dem doppelten Giebelfeld und den kleineren an der langen Metopenreihe hatte die Hand des Malers sprechendes Leben verliehen. Die Einwohnerschaft einer ganzen Stadt hätte in diesem Bauwerke Unterkunft gefunden, und es wirkte in seiner Gesammtheit wie ein schöner Chorgesang aus der weiten Brust götterfreundlicher Riesen.
»Sei gegrüßt, froh und demüthig gegrüßt, hoher Serapis! Dank dir, daß es diesen alten Augen vergönnt ist, dein göttliches, ewiges Haus noch einmal wiederzusehen!« murmelte Karnis andächtig vor sich hin. Dann rief er seine Gattin und seinen Sohn, wies schweigend auf den Tempel, und als er sah, wie des Orpheus Augen still und in trunkenem Entzücken an den herrlichen Formen des Serapeums hingen, rief er feurig: »Des Königs der Götter, des hohen Serapis edle Festung! Ein dauerhaft Werk! Ein halbes Jahrtausend ist seine Vergangenheit, seine Zukunft die Ewigkeit! Ja, ja, sie ist es, und so lang es in solcher Herrlichkeit dasteht, sind die alten Götter noch nicht überwunden!«
»Es rührt auch Keiner an diesen Bau,« fiel ihm der Hausmeister in's Wort, »denn jedes Kind in Alexandria weiß, daß die Welt morsch zusammenstürzt, sobald man Hand daran legt, und wer des Gottes ehrwürdiges Bildniß . . .«
»Es schützt sich selber,« unterbrach ihn der Sänger. »Aber ihr, ihr christianischen Heuchler, die ihr vorgebt, das Leben zu hassen und den Tod zu lieben, – lüstet es euch nach dem Ende der Dinge, so vergreifet euch nur frisch an diesem Wunder! Thut es, thut es – nur zu!«
Der Alte schwang die Faust gegen einen unsichtbaren Feind; Herse aber sprach ihm zornig nach: »Nur zu, nur zu!« und fuhr dann ruhiger fort: »Wenn Alles zusammenbricht, gehen die Götterfeinde mit uns zu Grunde; und ein Ende zugleich mit Allem, was schön ist und was man lieb hat, das kann uns nicht schrecken!«
»Unbesorgt,« versetzte der Hausmeister. »Der Bischof hatte die Hand schon nach diesem Heiligthume ausgestreckt, aber der große Olympius ließ die Tempelschänder nicht heran, und sie haben mit blutigen Köpfen abziehen müssen. Unser Serapis läßt eben nicht mit sich spaßen. Er bleibt, wenn alles Andere vergeht. ›Die Ewigkeit‹, sagt der Priester, ›ist für ihn eine kleine Minute, und wenn Millionen von Menschengeschlechtern verblüht sind, ist Er immer noch derselbe wie heute.‹«
»Heil, Heil dem erhabenen Gotte!« rief Orpheus und streckte die Hände dem Tempel entgegen.
»Ja, Heil, ewiges Heil soll ihm blühen!« wiederholte sein Vater. »Serapis ist groß, und sein Haus und sein Bild, sie werden dauern . . .«
»Bis der Mond wieder voll ist!« fiel ihm mit finsterem Spott ein Vorübergehender in's Wort und drohte mit der Faust nach dem Tempel.
Orpheus wandte sich, um den Unglückspropheten zu strafen; dieser aber war schnell in die Menge zurückgetreten und floß mit dem ruhelosen Volksstrome weiter.
»Bis der Mond wieder voll ist!« murmelte Agne, welche bei dem begeisterten Rufe des Orpheus zusammengeschaudert war, dem Unheilsboten nach. Dann blickte sie bekümmert auf den jungen Sänger; doch als sich Herse um weniges später nach ihr umschaute, hatte sich der Ausdruck ihrer Züge geändert, und die Matrone konnte sich über das sonnige Lächeln an ihren Lippen freuen. Auch mancher junge Alexandriner, der zu Fuß oder zu Wagen an den Fremden vorbeikam, sah sich nach ihr um, denn das Lächeln verlieh ihrem bleichen, stillernsten Gesicht einen geheimnißvollen Zauber. Und es blieb ihr noch treu, nachdem sie die Brücke verlassen und sich dem Ufer des Sees genähert hatten, denn was ihre Seele einmal ergriffen, daran spann sie lange fort; und während sie jetzt im hellen Glanz des Morgenlichtes dahinschritt, stand vor ihrem inneren Auge der volle Mond am nächtlichen Himmel, sah sie den Sturz des großen Abgottes und über den Trümmern marmorner Tempel einen unabsehbaren, leuchtenden Heerzug. Apostel und Märtyrer wogten in ihm dahin, der Heiland schwebte ihm heiter und siegesfroh voran, und auf den lichten Wolken, die ihn umgaben, wiegten sich Engel und sangen herrliche Lieder, die ihr inneres Ohr mitten unter dem vielstimmigen Lärm des Hafens deutlich vernahm.
Erst als man sie aufforderte, den Kahn zu besteigen, verrannen diese Gesichte.
Herse stammte aus Alexandria, und Karnis hatte hier schöne Jahre verlebt; aber Orpheus und Agne war hier Alles neu, und die Christin gewann denn auch, sobald sie dem lauten Volksgetümmel entronnen war, das ihr weh gethan hatte, Antheil an ihrer Umgebung und richtete dann und wann eine Frage an den alten Sänger. Der jüngere hatte nicht Augen genug, um zu sehen, und es gab hier in der That Vielerlei zu bewundern. – Da lagen die großen Schleusenwerke am Eingange des Kanals, welcher den See mit dem Meere verband, da wiegten sich in einem besondern Hafen die stattlichen kaiserlichen Nilschiffe, welche die Verbindung der Garnison von Alexandria mit den Militärstationen am unteren und oberen Nil aufrecht zu erhalten hatten, da prunkten die schönen, geschmückten Fahrzeuge, welche dem Comes, dem Präfekten und anderen hohen Beamten zur Verfügung standen, da lagen endlich Handelsschiffe von jeder Größe in unzählbarer Menge vor Anker. Wie Vogelschwärme, welche über ein Kornfeld streichen, schwebten lange Züge von Segeln in jeder Farbe über den leicht bewegten Spiegel des Sees. An den Ufern desselben war jeder Zoll benutzt und bebaut. Auf dem südlichen sah man aus der Ferne die langen Spalierreihen der Weinberge, die blaugrün schimmernden Laubmassen der Olivenwälder und Haine von schlankstämmigen Palmen, deren Kronen sich zu einem schön gewölbten Baldachindache vermählten. Weiße Gartenmauern, bunte Tempel, Kapellen und Landhäuser blinkten aus dem Grün hervor, und wie Diamantenlicht blitzte es auf, wenn die schrägen Strahlen der Sonne die Tropfen streiften, welche von den ruhelosen Schöpfrädern und Eimern am Ufer aufstoben und fielen. Wasserwerke von kunstreichem Gefüge, viele von den größten Gelehrten ersonnen und aufgestellt, waren die Waffen, mit denen der Mensch die Wüste, welche diesen See ursprünglich umgab, gezwungen hatte, sich mit Grün zu schmücken und seine Saat mit Ernte und Frucht zu belohnen. Von der Einöde war hier seit Jahrhunderten jede Spur verloren gegangen. Der freigebige Dionysus und die üppigen Gartengötter hatten die fleißige Menschenhand gesegnet, und doch lagen ihre Bilder in vielen Grundstücken, ja in allen, welche Christen gehörten, umgestürzt und zertrümmert am Boden.
Wie viel hatte sich hier seit dreißig Jahren geändert, und nichts zur Freude des Alten. Auch Herse schüttelte häufig das Haupt und, nun die Ruderer den halben Weg zurückgelegt hatten, wies sie auf eine weite, kahle Fläche am Ufer, wo sich ein Neubau schon hoch über die Fundamente erhob, und rief ihrem Gatten traurig zu:
»Erkennst Du die Stelle? Wo ist unser alter lieber Dionysustempel geblieben?«
Karnis erhob sich bei diesen Worten so schnell und heftig, daß der Kahn umzuschlagen drohte und der Hausmeister ihn nöthigen mußte, sich ruhig zu halten: er aber befolgte diese Mahnung nur schlecht, denn seine Arme blieben in lebhafter Bewegung, wie er ihm zurief: »Denkst Du, man muß hier in Ägypten gleich bei lebendigem Leibe zur Mumie werden? Da bleib' ein Anderer ruhig! Schändlich ist es, nichtswürdig; einer Taube schwillt hier die Galle! Das herrliche Bauwerk, die Zierde der Stadt, die Freude der Menschen fortgekehrt, weggeblasen wie Staub von der Straße. Seht ihr's? – seht ihr's? Zerschlagene Säulen, Gliedmaßen von Marmor, hier, da, überall auf dem Grunde des Sees! Dies Haupt, dieser Torso! Große, edle Meister haben sie unter dem Beistand der Götter gebildet; und sie, sie die Kleinen, Unedlen haben sie, von bösen Dämonen besessen, zertrümmert. Was würdig war, ewig zu leben, sie haben's ersäuft. Warum? Wollt ihr's wissen? Weil sie das Schöne scheuen, wie die Eulen das Licht. Ja, sie, sie! Nichts fürchten, nichts hassen sie so wie das Schöne! Wo sich's auch zeigt, reißen sie's nieder, auch wenn es die Gottheit selber gemacht hat. Bei den Unsterblichen klag' ich sie an, denn wo ist der Hain, keines Menschen, sondern des Himmels eigenstes Werk, geblieben, unser Hain mit seinen kühlen Grotten, seinen uralten Stämmen, seinen schattigen Verstecken und all der Lust und Wonne, von der er so voll war wie die reife Beere mit süßem Saft?«
»Gefällt, ausgerodet ward er,« fiel ihm der Hausmeister in's Wort. »Der Kaiser hat das Heiligthum dem Bischof Theophilus geschenkt, und der ging sogleich an's Zerstören. Der Tempel ward niedergerissen, das heilige Geräthe zusammengeschmolzen, mit den Bildwerken wurde Spott getrieben, bevor man sie in den Kalkofen warf. Das Haus dort drüben wird eine christliche Kirche. Denkt an die lustige, schönfarbige Säulenhalle von früher und seht den grauen Speicher an, der da aufwächst!«
»Warum dulden's die Götter? Hat Zeus seine Blitze verloren?« fragte Orpheus und ballte die Faust, ohne auf Agne zu achten, die bleich und in sich zusammengezogen dasaß, seitdem das Gespräch diese Wendung genommen.
»Er schlummert, um mit furchtbarer Kraft neu zu erwachen,« versetzte der Alte. »Die Marmorbrocken, die Trümmer da unten! Eine schnelle Kunst, das Vernichten! Die Menschen sind von Sinnen gekommen und dulden den Frevel. In's Wasser und in den Ofen haben sie geworfen, was Götter entzückte. Klug, klug und weise! Die Fische und Flammen sind stumm und können keine Anklage erheben. Ein Wütherich, eine Stunde genügt, um zu vernichten, was erhabene Geister, was Jahrhunderte schufen. In Trümmer legen, verwüsten, das ist ihr Ruhm, aber einen Tempel, wie der dort war, bringen sie so wenig neu zu Stande wie einen Hain mit sechshundertjährigen Bäumen. Da, dort! Siehst Du, Herse? Da in der Grube, wo die schwarzen Bursche den Kalk mischen – sie haben ihnen Hemden angezogen, weil ihnen sogar die schöne Gestalt des menschlichen Leibes verhaßt ist – da war die Grotte, in der wir Deinen armen Vater wiedergefunden.«
»Die Grotte?« wiederholte die Matrone, schaute mit feuchten Augen nach dem Ufer hin und gedachte des Tages, an dem sie als Mädchen am Dionysusfeste in den Tempel des Gottes geeilt war, um ihren Vater zu suchen. Der war ein kunstreicher Gemmenschneider gewesen und hatte sich am Feste des Gottes nach alter alexandrinischer Sitte, von süßem Wein berauscht, auf die Straße begeben, um dem dionysischen Zuge zu folgen. Als er am folgenden Morgen nicht heimgekehrt war und auch Mittag und Abend ihn nicht nach Hause bringen wollten, hatte sie sich aufgemacht, um ihn zu suchen. Karnis war damals ein reicher junger Student gewesen und hatte als Miethsmann die schönsten Räume ihres väterlichen Hauses inne gehabt. Er war ihr bei dem schweren Gange begegnet und gar freundlich bereit gewesen, ihr suchen zu helfen; und sie hatten den Verschwundenen auch bald in einer von Epheu umrankten Grotte im Haine des Dionysus wiedergefunden, kalt, regungslos, wie vom Blitze erschlagen. Die Umstehenden hatten gemeint, der Gott habe ihn in seine rauschende Heerschaar entrückt. – In diesen schweren Stunden war Karnis ihr Freund geworden, und wenige Monate später hatte sie ihm als Gattin die Hand gereicht und war ihm in seine Heimat Tauromenium auf Sicilien gefolgt.
Das Alles trat ihr jetzt vor die Seele, und auch ihr Gatte blickte nachdenklich und stumm in's Wasser, denn jede Stätte, an der unser Leben eine entscheidende Wendung genommen, besitzt, wenn wir ihr nach langer Abwesenheit wieder begegnen, die Kraft, Vergangenes zur Gegenwart zu beleben.
So blieb Alles stumm in dem Kahne, bis Orpheus seinen Vater anstieß und ihm den Isistempel zeigte, in dem er gestern der schönen Jungfrau begegnet war.
Der Alte wandte den Blick auf das immer noch unbeschädigte Heiligthum und sagte bitter: »Ein barbarisches Bauwerk: die Kunst der Ägypter gehört längst zu den Toten, und der Tiger mag nur Lebendiges fressen.«
»Dies Heiligthum ist doch kein so übler Bissen,« versetzte der Hausmeister, »aber es hängt ihnen zu hoch, denn der Grund und Boden, auf dem es steht, gehört unserer alten Herrin, und privates Eigenthum schützt das Gesetz. – Die Schiffswerft hier müßt ihr euch später einmal betrachten; eine größere giebt es vielleicht nicht auf der Erde. Das Holz, das da aufgestapelt ist: Cedern vom Libanon, Eichen vom Pontus, schwere und eisenharte Stämme aus Äthiopien – soll Hunderte von Talenten werth sein.«
»Und gehört das auch Deinem Herrn?« fragte Karnis.
»Nein; aber der Besitzer ist der Großsohn eines Freigelassenen unseres Hauses. Jetzt sind es reiche und angesehene Leute, und Meister Clemens sitzt im Senat. Der Mann dort im weißen Gewande, das ist er.«
»Ein Christ, sollt' ich meinen,« sagte der Sänger.
»Freilich,« versetzte der Hausmeister. »Aber was Recht ist, muß Recht bleiben. Ein braver und tüchtiger Mann ist er dennoch. Strenge Zucht herrscht hier auf der Werft und auf der andern an der See im Hafen des Eunostus. Nur seine Meinung kann Clemens Niemandem lassen; darin ist er gerade wie die Anderen. So viele Sklaven und Arbeitsleute er kauft oder anwirbt, so viele Christen weiß er zu machen; und die Söhne sind gerad' wie der Alte, auch der Konstantin, obgleich er ein kaiserlicher Offizier ist und so schmuck und scharf wie nur einer. – Was uns betrifft, wir lassen Jedermann seinen Glauben. Porphyrius macht kein Hehl aus seiner Gesinnung, und doch werden all die vielen Schiffe, die wir für den Kornhandel brauchen, bei dem Christen gebaut. – Aber da wären wir!«
Das Boot hielt an einer breiten Marmortreppe, welche aus dem See in den Garten des Porphyrius führte, und je tiefer Karnis in denselben eindrang, desto freudiger athmete er auf; denn hier, hier waren die alten Götter zu Hause. Ihre Bilder schimmerten aus dem dunklen Laubwerk immergrüner Sträucher hervor, sie spiegelten sich in klaren Weihern, und schöner Wohlgeruch wehte hier von einem bekränzten Altar, dort von einem frisch gesalbten Steine den Ankömmlingen entgegen.