Marie von Ebner-Eschenbach
Das Gemeindekind
Marie von Ebner-Eschenbach

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18

Der Winter in diesem Jahr trat gleich im Anfang mit ungewöhnlicher Kälte und ungewöhnlicher Reinlichkeit auf. Der Schnee, der einen ganzen Tag und eine ganze Nacht hindurch in kleinen, dichten Flocken aus massigen Wolken niedergewirbelt war, blieb silberweiß liegen; auf den Fahrwegen bildeten sich glatte Schlittenbahnen, und schmale Fußpfade liefen glitzernd von Haus zu Haus und am Rande der Felder hin. An der Hütte Pavels vorbei schlängelte sich der meistbenützte von allen, der Pfad, den die Holzknechte auf ihren jetzt regelmäßigen Gängen in den herrschaftlichen Wald ausgetreten hatten. Wenn sie am Morgen an die Arbeit gingen, trafen sie Pavel schon an der seinen; und wenn sie gegen Abend aus der Arbeit kamen, schien der unermüdliche Bursche gerade auf dem Punkt angelangt, auf dem der Fleiß zum Hochgenuß wird, zur seligen Besessenheit. Sie blieben dann meistens vor seinem Gärtlein ein wenig stehen, sahen ihm zu und wechselten ein paar Worte mit ihm. – Einmal tat Hanusch, der Roheste unter den Rohen, als ob er nicht imstande wäre zu erkennen, was für ein Ding das sei, mit dem Pavel sich plage.

»Ein Dachstuhl wird's«, erklärte dieser.

»So? Baust noch ein Grubenhaus?«

- Nein, kein Haus, einen Stall beabsichtigte er im nächsten Frühjahr zu bauen.

»Und was wirst einstellen?«

»Werdet schon sehen«, lautet Pavels Antwort, und Hanusch brach in ein Hohngelächter über seine Geheimnistuerei aus und rief, indem er den viereckigen Kopf zur Seite neigte und mit dem Pfeifenrohr nach den übrigen deutete: »Die werden's sehen, ich weiß's schon. Wett'st um ein Seidel, daß ich's weiß?«

Das Gekicher der anderen bewies, daß sie eingeweiht waren in den versteckten Sinn der Behauptung ihres Gefährten. Pavel aber kümmerten diese elenden Neckereien wenig, und er sandte den Urhebern derselben, wenn sie sich endlich trollten, höchstens ein gelassenes: »Hol euch der Teufel!« nach.

Der Holzknechte wegen wäre es ihm nicht eingefallen, den an seinem Wohnort vorbeiführenden Fußsteig zu verwünschen; er verwünschte ihn aus einem viel triftigeren Grunde. – Auf diesem Fußsteig kam jetzt ein-, auch zweimal die Woche Mägdlein Slava dahergewandert, als Botin der Frau Baronin an den Oberförster. Der alte Herr war krank gewesen, erholte sich langsam, und zur Unterstützung der Fortschritte seiner Rekonvaleszenz sandte ihm die gnädige Frau allerlei gute Sachen: edlen Wein aus ihrem Keller, feine Rehrücken, kräftige Hammelkeulen, und meistens war Slava die Überbringerin dieser Leckerbissen. Pavel bemerkte mit Verdruß, daß sie den Schritt verlangsamte, wenn sie in die Nähe seines Gärtleins kam, und seine Ansiedlung neugierig betrachtete. Was hatte sie zu betrachten, was hatte sie sich um seine Ansiedlung zu kümmern? In guter Absicht geschah es gewiß nicht. Er gefiel sich darin, sein Vorurteil gegen sie zu nähren; er überredete sich unter anderem, daß sie die Anführerin der Kinder gewesen, die ihm dereinst seine Ziegel zertreten hatten. Sie auf der Tat zu ertappen war ihm allerdings nicht gelungen; aber das bewies keineswegs ihre Unschuld, es zeigte nur, daß sie sich darauf verstanden, rechtzeitig die Flucht zu ergreifen, die von ihr Verleiteten im entscheidenden Augenblick treulos verlassend. Wie sie an ihren Spießgesellen, hatten hundert- und hundertmal die Genossen seiner Bubenstreiche an ihm gehandelt: Er wußte, wie es tat, in der Patsche stecken gelassen zu werden. Nachträglich noch hätte er für sein Leben gern den Verratenen eine Genugtuung verschafft, sollte sie auch in nichts anderem bestehen als in einem an die Verräterin gerichteten eindringlichen Vorwurf. Gewöhnlich verbiß sich Pavel, wenn er Slava von weitem erblickte, derart in seine Beschäftigung, daß es nichts zu geben schien, wichtig genug, ihn darin zu unterbrechen.

Einmal machte er aber doch eine Ausnahme.

Da kam sie daher mit ihrem Henkelkorbe, leichten Ganges, vom Sonnenlicht umflossen, die Hexe, trug ein dunkles Wolltuch um das von der Winterkälte rosig angehauchte Gesicht geknüpft, eine gut gefütterte und doch ungemein zierliche Jacke, ein faltenreiches Röcklein, das bis zu den Knöcheln reichte, blau, mit weißen Sternchen besät, und hohe Stiefel an den schlanken Füßen, unter denen der Schnee knisterte. Und munter und frisch war sie, daß es ein Vergnügen hätte sein müssen, sie anzusehen, wenn einem das Herz nicht voll des Grolls gegen sie gewesen wäre.

Bei der Umzäunung der Grubenhütte angelangt, hemmte sie, wie sie pflegte, den Schritt und musterte das Häuschen vom Grunde bis zum Firste.

Plötzlich richtete Pavel sich von seiner Arbeit auf, warf die Hacke hin, und auf das Mägdlein zuschreitend, sprach er: »Was schaust?«

Und sie, überrascht, aber nicht im mindesten erschrocken, wurde sehr rot und erwiderte: »Was soll ich schauen?«

»Nichts«, versetzte Pavel unwirsch, »gar nicht schauen sollst, weitergehen sollst.«

Das schien jedoch keineswegs ihre Absicht, vielmehr hatte sie sich dem Zaun genähert, und da Pavel dies seinerseits auch getan, standen sie ziemlich nahe aneinander. Sie, in der ganzen Zuversicht ihrer Schönheit, ihrer Jugend, ihres Frohsinns; er in seiner befangen machenden Erbitterung gegen sie, gegen ihre lügenhafte Anmut und Holdseligkeit.

Slava hatte ihren Korb neben sich auf den Boden gesetzt und bewachte ihn fortwährend mit ihren Blicken, als ob sie fürchte, daß er davonlaufen werde, sobald sie ihn aus den Augen ließe; und so, mit gesenkten Lidern und leise bebenden Lippen, sagte sie: »Ich schau das Haus an, weil ich mich nicht getrau, dich anzuschauen.«

Pavel zog die Brauen finster zusammen und murmelte etwas von einem »bösen Gewissen«.

Da wurde sie wieder rot: »Wer hat ein böses Gewissen?«

»Der fragt.«

»Ich?... warum hätte denn ich ein böses Gewissen?«

Die geheuchelte Treuherzigkeit, mit welcher diese Frage gestellt war, erweckte Pavels Zorn, und während tausend brennende Ausdrücke für denselben sich ihm auf die Lippen drängten, plumpste er heraus mit dem schwächsten, dem kindlichsten: »Hast du mir nicht meine Ziegel zertreten?«

Das Mädchen erhob die Augen, ihr Blick ruhte voll und hell auf ihm: »Wann soll ich das getan haben?... Das hab ich nie getan.«

»Lüg nicht«, herrschte er sie an.

»Ich lüg nicht«, erwiderte sie, »warum sollt ich lügen? Ich hab's nicht getan, und damit gut.«

- Er glaubte ihr, er konnte nicht anders als ihr glauben, und schon etwas besänftigt, fuhr er fort: »Bist du mir nicht nachgelaufen mit einem Stein in der Hand?«

»Aber Pavel, wer wird sich denn sowas merken, was ein dummes Kind getan hat. Was hast du nicht alles getan?« Sie schlug leicht und zierlich mit der Hand in die Luft: »Sowas vergißt man. Ich bitte dich, Pavel, vergiß das.«

Er schwieg; es überkam ihn wie Scham über sein allzu treues Gedächtnis. Hatte sie nicht recht? – sowas vergißt man. Von Verzeihen, ja von Dankbarkeit gegen die Urheber unserer Prüfungen hatte Milada gesprochen, vom Vergessen der Beleidigung – nicht. Um ihm davon zu sprechen, von diesem gründlichen Heilmittel, hatte die kleine nichtsnutzige Feindin kommen müssen.

Sie sagte noch ein paar freundliche Worte, beugte sich, hob ihren Korb auf und setzte ihre Wanderung fort.

Pavel blieb allein mit Lamur, mit seiner Arbeit und mit seinen Gedanken. – Vergiß, dann brauchst du nicht zu verzeihen! Vergiß, dann hast du auch keinen Grund, dir etwas darauf einzubilden, daß du verziehen hast. Wenn man's nur träfe! Er besann sich, daß er es einmal getroffen hatte der hübschen Widersacherin gegenüber, damals, als er aus dem Schloß gestürzt kam, voll des Glücks über das große Geschenk der Frau Baronin. Und was einmal zufällig und unwillkürlich gelang, sollte es nicht wieder gelingen können, freiwillig und mit gutem Bedacht?

Bei ihrem nächsten Gange zum Forsthause hielt Slava abermals ein Ständchen mit Pavel, und seine erste Frage an sie war: »Wenn du kein schlechtes Gewissen gegen mich gehabt hast, warum hast du dich gefürchtet, mich anzuschauen?«

»Weil du immer so verdrießlich gewesen bist und schreckliche Augen auf mich gemacht hast. Das mag ich nicht, ich hab's gern, daß man fröhlich ist und mich freundlich ansieht.«

Mit diesem »man« meinte sie nicht etwa ihn allein, sie meinte jeden. Pavel täuschte sich nicht lange darüber. Es war ein Teufelchen der Lustigkeit in ihr, das sie antrieb, den Ernst zu bekämpfen, wo immer sie ihm begegnete; und diese Lustigkeit, die fast bis an die Grenze der Ausgelassenheit gehen konnte, verbunden mit den hohen Ehren, in welchen sie ihr nettes Persönchen hielt, und ihrem jungfräulich züchtigen Wesen machte ihren von jung und alt empfundenen Zauber aus.

Auf niemanden jedoch wirkte er unwiderstehlicher als auf Arnost; den hatte sie völlig umstrickt, und er machte Pavel gegenüber weder ein Hehl aus seinen Liebesschmerzen noch aus seiner Eifersucht auf ihn. Als ein verständiger, mit praktischem Sinn ausgerüsteter Bursche fand er nichts erklärlicher, als daß Slava den Inhaber eines Hauses und eines Feldes ihm, der nur ein Haus und den dazugehörenden kleinen Gemeindeanteil besaß, vorziehen müsse.

Daß Pavel in die Reihen der Bewerber um die Gunst oder die Hand des hübschen Mädchens zu treten beabsichtige, schien ihm so ausgemacht, daß er nicht einmal danach fragte, und sein Freund, dem er das zu verstehen gab und der schon hatte sagen wollen: Bist ein Narr, ich denk nicht an sie, sie ist mir gleich wie was, verschluckte diese Antwort; denn – er wollte nicht lügen.

Gleichgültig war sie ihm nicht, sie hatte es doch auch ihm angetan. Nicht wie dem Arnost; von einem blinden Verliebtsein war bei ihm keine Rede, aber warm machte ihm ihre Nähe, und überaus gut gefiel sie ihm, und überaus lieb wäre es ihm gewesen, wenn er den Zweifel hätte loswerden können, der sich in ihrer Gegenwart immer wieder meldete und eine gewisse bange, unbestimmte Erwartung: jetzt und jetzt wird sie etwas tun, das mir ans Herz greifen und mir die Freude an ihr verderben wird.

Ein anderes Bedenken, das ihn früher schwer gepeinigt hatte, war er ganz losgeworden, das: Wird mich denn eine Ordentliche nehmen? Wird eine Ordentliche unter einem Dach mit meiner Mutter leben wollen? Nun, die Slava war eine Ordentliche und ließ ihn merken, daß sie ihn nehmen würde, obwohl sie recht gut wußte, daß die Mutter heute oder morgen heimkehren und Aufnahme finden werde bei ihrem Sohn. Sie fragte ab und zu nach ihr und sprach einmal: »Eine Mutter bleibt halt doch immer eine Mutter; sie soll sein, wie sie will, wenn man nur eine hat. Ich hab keine.«

Pavel begrüßte sie nun stets sehr artig, machte nie mehr schreckliche Augen »auf sie«, verhielt sich aber, was auch in seinem Innern drängte und gärte, äußerst zurückhaltend gegen die Kleine, während Arnost vor ihr in Weichheit zerschmolz oder in Flammen aufloderte. Der verliebte Bursche war immer genau unterrichtet von jedem ihrer Schritte, und immer traf sich's, daß er an den Tagen, an denen sie einen Botengang ins Forsthaus unternahm, zufällig just nichts zu tun hatte und sich Pavel zur Verfügung stellen konnte, um ihm bei seiner Arbeit behilflich zu sein. Kam die Erwartete dann, so fand sie die zwei an den Zaun gelehnt und ihrer harrend. Wer es in größerer Sehnsucht tat, ob der Ernste, verschlossene, ob der andere, sie selbst wußte es nicht. Sie benahm sich mit beiden gleich herzlich, gleich kameradschaftlich, sprach aber mehr mit Arnost, weil sich der viel besser aufs Scherzen und Spaßen verstand.

Nach Weihnachten brachte Slava einmal eine Kunde aus dem Schlosse, durch welche alle eingeschlummerten Sorgen Pavels über seine Schwester wieder wachgerüttelt wurden. Milada war krank gewesen, die Frau Baronin hatte neuerdings einen Besuch im Kloster gemacht und war von neuem getröstet heimgekehrt. Es ging besser, versicherte sie, es ging gut. Dennoch hatte sie sich von »ihrem Kinde« nicht leicht getrennt, gedachte bald zu ihm zurückzukehren und dann mehrere Wochen, als Gast der Frau Oberin, im Kloster zu verweilen. Vorher aber – ließ sie Pavel sagen – wolle sie ihn noch sprechen.

Er beeilte sich, von der Erlaubnis Gebrauch zu machen, fand die alte Dame gebeugt und unruhig und, je mehr sie das war, desto bemühter, sich selbst Frieden zu erringen und den der anderen nicht zu stören.

Die Frau Baronin gab Pavel das Versprechen, ihm unmittelbar nach ihrem Eintreffen in der Stadt eine Zusammenkunft mit Milada zu erwirken, und nahm dafür sein Wort in Empfang, daß er sich um eine solche nicht auf eigene Hand bemühen werde.

Er schrieb an Milada, erhielt einige schöne, tröstliche Zeilen, wartete auf die Abreise der Frau Baronin, und als diese erfolgte, auf die Berufung zu seiner Schwester. Sein Herz war schwer und wurde nur etwas leichter, wenn es Pavel gegönnt war, sich an dem Anblick des holden Mädchens zu laben, das Arnost und er nicht mehr anders als die »Goldamsel« nannten.

Die Zeit kam, in welcher er es töricht zu finden begann, sich länger gegen die in ihm aufkeimende Neigung zur Wehr zu setzen. Daß Slava eine besondere Liebe für ihn hege, bildete er sich nicht ein; aber er zweifelte auch nicht, daß sie, wenn Arnost und er um sie freiten, ihm den Vorzug geben und, einmal verheiratet, ein braves Weib sein werde, wie sie ein braves Mädchen gewesen war. Aus Rücksicht für den Freund auf sie zu verzichten, der Gedanke war ihm im Anfang allerdings manchmal durch den Sinn geflogen; aber diese Regungen der Großmut hatten sich in dem Maße vermindert, als sein Wohlgefallen an dem munteren Ding wuchs und wuchs.

Gegen Arnost war er so aufrichtig wie dieser gegen ihn.

»Wie lieb du sie hast, ich hab sie lieber«, sagte Arnost.

»Was nützt das, wenn sie mich nimmt«, sagte Pavel. »Und ich werd sie nächstens fragen, ich will auch einmal glücklich sein.«

Arnost erwiderte: »Frag sie.« – Sein Entschluß war gefaßt. Am Tage, an dem Pavel das Jawort Slavas erhielt, wollte er die Hütte, in welcher er seit dem Tode seiner Mutter allein hauste, verkaufen und Soldat werden. Es ist kein schlechtes Leben beim Militär, besonders für einen, der es wie Arnost schon nach zweimonatlicher Dienstzeit zu einer Charge gebracht hat.

Eines nebligen Januarvormittags kam er in höchster Aufregung zu Pavel und teilte ihm mit, heute mache die Kleine ihren letzten Besuch beim Oberförster, er sei gesund, die Sendungen aus dem Schlosse hörten auf.

Arnost stand der Angstschweiß auf der Stirn, in seiner Brust ging es zu wie in einem Pochwerk. »Ich halt's nicht mehr aus«, sagte er. »Heute mußt du reden, oder ich rede.«

»So red«, sagte Pavel, »ich werd aber auch reden.«

Sie sahen einander mit Augen an, aus denen der Haß funkelte, und gingen hinter dem Zaun hin und her wie zwei Löwen im Käfig.

Lamur saß auf der Schwelle, schwarz und häßlich, und beobachtete in stiller Verachtung die beiden von der Leidenschaft gequälten Menschenkinder.

Nun brach ein breiter Sonnenstrahl durch den weißen Dunst, der ringsum auf den Feldern und Wegen lagerte, und verwandelte ihn in licht und farbig glitzernden Duft, von dessen durchsichtigen Schleiern umwoben die kleine Slava herannahte, an diesem Tage, gerade an diesem, an dem die feindlichen Freunde ein Wort im Vertrauen an sie zu richten gedachten, nicht allein.

Sie hatte eine Begleiterin mitgenommen – die Vinska.

Arnost und Pavel entdeckten es zugleich, und der erste rief und der zweite murmelte: »Verwünscht!«

Ein kleines Stück Weges hinter dem jungen Weibe und dem jungen Mädchen kam die Schar der Holzknechte. Sie gingen heute so ungewöhnlich spät in den Wald, weil gestern Sonntag gewesen war und weil ein Holzknecht, der sich achtet, »am Montag früh immer Feierabend macht«, wie Hanusch zu sagen pflegte.

Vinska schien es für nötig zu halten, ihr Kommen dadurch zu erklären, daß sie mit dem Herrn Oberförster wegen des Ankaufs von Bauholz sprechen müsse und sich Slava angeschlossen habe, weil sich's zu zweien doch immer besser gehe.

Arnost fing das Wort sogleich auf, gab ihr recht, und ihre Gefährtin anstarrend, stammelte er etwas Verworrenes von der Torheit, das nicht einzusehen und lieber allein dahinzuzotteln durchs Leben, statt mit einem, der einen übermenschlich gern hat.

Pavel flüsterte ihm ein zorniges: »Red du nur!« zu, und nachdem sein erster Verdruß über Vinskas Anwesenheit verraucht war, forderte er sie und Slava auf, bei ihm einzutreten und ein wenig zu rasten. Damit öffnete er das Gitterpförtchen und hieß sie, nachdem sie seiner Einladung Folge geleistet hatten, nicht ohne hausherrliche Würde, auf eigenem Grund und Boden willkommen.

Diese Höflichkeit vollzog sich vor den Augen der heranrückenden Holzknechte und gab den wüsten Gesellen Anlaß zu Glossen der empörendsten Art.

Pavel wußte keine Antwort darauf, und von seinem Platze aus rief er mit unterdrückter Wut den Holzknechten zu: »Packt euch!«

Sie erwiderten mit Roheiten, schlimmer als alle vorhergehenden, und Hanusch, bequem an den Zaun gelehnt, die Pfeife zwischen den Zähnen, tat, als ob er den im Gärtlein liegenden Dachstuhl aufmerksam betrachtete, und sprach: »Der is ja fertig, jetzt kannst anfangen, den Stall zu bauen... Bau ihn! bau ihn! tummel dich, die du einstellen willst, is schon auf'm Weg... die aus'm Zuchthaus!«

»Die, ja – die!« scholl es im Chor, und Hanusch schrie, daß die Adern an seinem Halse schwollen: »Nehmt ihn! Weiblein! Vor der Schwiegermutter aus'm Zuchthaus braucht ihr euch nicht zu fürchten, die kommt in den Stall, die Mutter!...«

Die Worte reuten ihn.

Pavel hatte sich aufgebäumt, aus seiner Brust drang ein gräßliches Stöhnen, über die Zähne floß das Blut der zerbissenen Lippe. Einen Augenblick schaute er... Da stand die Frau, die er geliebt hatte – da stand das Mädchen, das er liebte, da der ehrliche Bursche, dem er es streitig machen wollte, und dort am Zaun der Schurke, der ihn in ihrer Gegenwart unauslöschlich beschimpft hatte; auf dem Boden aber, zu seinen Füßen, lag sein gutes Zimmermannsbeil. Die Dauer eines Blitzes, und er hatte es ergriffen und geschleudert. – Hanusch kreischte und bog aus. Das nach seinem Kopf gezielte Beil flog haarscharf an seinem Ohr vorbei. Alle schrien, Pavel stieß Vinska weg, die ihm den Weg vertreten wollte, schwang sich über den Zaun und sprang mitten unter die Holzknechte hinein.

So furchtbar war er anzusehen, ein so maßloser Zorn sprühte aus seinen Augen, daß der ganze Trupp vor ihm zurückwich – am weitesten Hanusch, die Hand am Ohr. Aber schon war er ereilt und gestellt von einem, der noch rascher gewesen als Pavel. Lamur hatte ein unheilverkündendes Knurren ausgestoßen, sich seinem Herrn vorangeworfen und Hanusch an der Gurgel gepackt. Der glitt aus, wankte und stürzte dicht vor Pavel nieder, die hervorgequollenen Augen in verzweiflungsvoller Angst auf ihn gerichtet, der schon seinen Fuß erhob, um den Mund zu zermalmen, der ihm solche Schmach angetan... Plötzlich jedoch, wie von Abscheu und Entsetzen ergriffen, totenbleich geworden, stampfte er den Boden und rief: »Zurück, Lamur!«

Ungern ließ der Hund ab von seiner Beute. Hanusch erhob sich mühsam, seine Genossen machten Miene, alle zusammen auf Pavel loszugehen, besannen sich aber eines anderen. Sie parlamentierten noch eine Weile mit Arnost, während Pavel, dumpf vor sich hinbrütend, dastand, und zogen endlich, kleinlaut geworden, weiter. Erst in einiger Entfernung vom Grubenhaus faßten sie den Mut, sich zurückzuwenden und in Drohungen zu ergehen, auf welche niemand hörte und die auch nicht erfüllt wurden.

Die Zurückgebliebenen bildeten eine kleine stumme Gruppe. Pavel schien der letzte sein zu wollen, das Schweigen zu brechen. Er war an die Tür der Hütte getreten und sah zu seinem Hunde nieder, der seinen Blick ernst und verständnisvoll erwiderte.

Eine Weile verging, bevor sich Slava so weit ermunterte, daß sie Pavel an seine vorhin gemachte Einladung erinnern konnte. Halblaut erneuerte er dieselbe, und lächelte das Mägdlein, auf dessen Gesicht sich die Spuren des überstandenen Schreckens malten, fremd und traurig an. Man trat ins Haus, in die durch Habrechts Großmut eingerichtete Stube mit der niederen Decke, mit den kleinen Fenstern und dem Fußboden aus gestampftem Lehm. Der Tisch stand in der Mitte der Stube, wie er in der Mitte des Lehrerzimmers gestanden hatte, der alte Lehnstuhl und drei Sessel um ihn herum. In der Ecke, der Herdnische gegenüber, der schmale Schrank, der das Heiligtum des Hauses trug, des Freundes kostbares Vermächtnis, die Bücher, in denen immer zu lesen er Pavel empfohlen hatte. Nicht umsonst; man sah es den schlichten Bänden an, daß sie oft, wenn auch in schonender Ehrfurcht, zur Hand genommen wurden.

Vinska nahm Platz im Lehnstuhl, Slava auf einem Sessel neben ihr. Die erste schwieg, die zweite äußerte sich verbindlich über die Reinlichkeit, die im Hause herrschte, brach aber ab, verwirrt durch die strengen Mienen der drei anderen.

Arnost war zu Pavel getreten und hatte ihm ein paar Worte zugeraunt, und Pavel hatte den Kopf geschüttelt, sich nicht mehr geregt und stand, wie auf dem Fleck angewurzelt, in finstere Gedanken versunken.

Lange bezwang sich Arnost, zuletzt aber siegte seine Ungeduld; er faßte Pavel bei der Schulter und sprach: »Was simulierst? Hör auf... Was liegt dir dran, was ein paar Betrunkene reden?«

»Ja«, fiel die Kleine mit ihrer glockenhellen Stimme ein, »was liegt dir dran? Laß die Leut reden, und sprechen wir lieber von was Lustigem.«

Pavel horchte auf – eine so liebe Stimme, und konnte doch einen Mißklang erwecken.

»Von was Lustigem? – Gut – ich hab's nicht anders im Sinn.« Er lachte herb und trocken, kam auf den Tisch zu und wandte sich an die Kleine: »Ich bin ein Freiwerber«, sprach er, »für den da, für den Arnost. Wir haben es schon lang zusammen ausgemacht, daß ich dich fragen soll, ob du ihn nimmst?«

»Mach keinen schlechten Spaß«, fuhr ihn Arnost derb an, »was soll denn das heißen?« Und noch derber gab Pavel zurück: »Willst vielleicht nicht mehr werben? Ist die Lieb schon verraucht?...«

»Oh, was die Lieb betrifft...«

Der Ausdruck, mit dem diese Worte gesprochen wurden, erledigte die Frage übergenügend.

Eine Viertelstunde später verließ ein Brautpaar die Hütte Pavels. Der Bräutigam glückselig, die Braut still zufrieden. Arnost war ihr lieber als Pavel; noch lieber jedoch wäre ihr Arnost mit dem Felde Pavels gewesen.

Vinska empfahl sich zugleich mit den Verlobten, die sie ins Forsthaus begleiten wollte. Am Ausgang des Gärtchens jedoch hieß sie die jungen Leute vorangehen, blieb stehen und sprach zu Pavel: »Was war das jetzt? Es hat geheißen, du hast die Slava gern?«

»Ich hab sie auch gern«, rief er, und mit seiner Selbstbeherrschung war es zu Ende; »aber wie soll denn ich heiraten, wie soll denn ich ein Weib nehmen, ich, dem's alle Tag geschehen kann, er weiß nicht wie, daß er einen erschlagen muß, weil er sich nicht anders helfen kann? Ich hab Schand fressen sollen, dazu hat die Mutter mich geboren. Jetzt haben sie ›was Bessres‹ aus mir machen wollen, der Herr Lehrer und meine Schwester Milada, und jetzt schmeckt mir die Schand nicht mehr, und jetzt bring ich sie nicht mehr hinunter, das ist mein Unglück.«

Nach einer Pause, in welcher Vinska die Augen fest auf den Boden gerichtet hielt, sagte sie: »Du bist mitgegangen beim Begräbnis von meinem armen Peter. Ich hab dir noch nicht danken können, weil du mir immer ausweichst.«

Er zuckte die Achseln und erwiderte: »Ich werd dir nimmer ausweichen. Leb wohl.«

»Lieber Pavel«, nahm sie nach abermaliger Pause wieder das Wort; »eh ich geh, mußt du noch was anhören. Ich hab keine Ruh, die Leut lassen mir keine Ruh. Mein armer Peter ist erst drei Monate tot, und schon haben sich zwei Freier bei mir gemeldet.«

»So such dir einen aus.«

»Ich glaube«, sagte Vinska, nachdem sie eine Weile in den Schnee geblickt, »daß ich eine Witfrau bleiben werde.«

»So bleib eine Witfrau. Leb wohl.«

Schon im Begriffe zu gehen, wandte sie sich noch einmal zu ihm und begann von neuem mit beklommener Stimme: »Du hast gut sagen: Leb wohl. Wenn man gegen jemanden so schlecht gewesen ist wie ich gegen dich, lebt sich's nicht wohl!«

»Deswegen brauchst dir keine grauen Haare wachsen zu lassen«, sprach er ruhig; »das hab ich alles vergessen.«

Sie senkte den Kopf auf die Brust, ein Schmerzenszug umspielte ihren Mund: »Und du«, fragte sie, »wirst du wirklich immer ein Junggesell bleiben?«

»Ja«, entgegnete er; »ich bleib der einsame Mensch, zu dem ihr mich gemacht habt.«


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