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V.

Einige Tage nach dieser Scene im Garten kam Blandine zu Kehlmark, der sich allein in seinem Atelier befand und im Begriff war, zu schreiben.

Sie hatte lange geschwankt, bevor sie sich zu einem Schritt entschloß, den sie für unerläßlich hielt, dessen Gefährlichkeit sie sich indessen nicht verhehlte.

Obwohl sie tausend Tode litt, so dachte sie doch nur daran, Kehlmark zu warnen, ihn zu schützen vor den Folgen seines allzu intimen Einvernehmens mit diesem kleinen Vagabunden. Sie wollte selbst ihren Ohren nicht glauben, die ihr den Überschwang dieser Leidenschaft verraten hatten; sie blieb dabei, darin nur eine etwas unüberlegte Laune zu sehen, besonders da sie die Überspanntheit des Deichgrafen kannte, seine Sucht nach Neuem, sein Ungestüm, mit dem er an alle seine Unternehmungen, an seine geringsten Handlungen herantrat, er, der nur seinem inneren Drange zu folgen gewohnt war.

Als sie eintrat, überraschten ihre Blässe und ihr verändertes Aussehen den Deichgrafen.

Sobald er sie gebeten, Platz zu nehmen und sich nach dem Zweck ihres Besuches erkundigt hatte, begann sie entschlossen und ohne Umschweife, aber mit erstickter Stimme:

»Ich hielt es für meine Pflicht, den Herrn Grafen davon in Kenntnis zu setzen, daß man schon rings im Lande anfängt, sich mit der beständigen Anwesenheit des jungen Govaertz hier in Escal-Vigor zu beschäftigen. Abgesehen davon, daß er ins Schloß kommt, aber ich fürchte, Heinrich, daß Sie wirklich eine übertriebene Vorliebe für diesen elenden kleinen Bauernjungen vor seinen Kameraden an den Tag legen, außerdem ...«

»Blandine!« rief Kehlmark; er stieß seine Briefschaften zurück, warf seine Feder hin und erhob sich hastig; die Kühnheit dieser Einleitung verblüffte ihn.

»O, verzeihen Sie mir, Herr Heinrich«, begann sie wieder, »ich weiß wohl, daß Sie auf jene hinsichtlich Ihrer Handlungen keine Rücksicht nehmen. Aber immerhin, die Leute sind hier so beschränkt! Sie sehen jeden Tag diesen jungen Bauern in Ihrer unmittelbaren Nähe, und da beginnt ihre Einbildungskraft und ihre Verläumdungssucht zu arbeiten ...«

»Allerdings ein Grund, mich zu beunruhigen!« rief der Graf mit erzwungenem Lachen. »Was soll mir das wohl thun? In der That, Blandine, ich staune, daß Sie sich mit den Klatschereien des Pöbels befassen ... Das heißt doch wahrhaftig, diesen erbärmlichen Neidhammeln zu viel Rücksicht bezeigen ...«

»Indessen, Herr Heinrich«, fuhr sie schon ein wenig unsicherer fort, »ich möchte Ihnen doch ganz ergebenst bemerken, daß ich die Verwunderung der Dörfler nicht ganz für unbegründet halte. Offen gestanden, trotz seiner guten Eigenschaften ist dieser Guido Govaertz keine Gesellschaft für Sie ... Das müssen Sie doch zugeben! ... Sie sehen nur mehr ihn, oder Sie treiben sich mit diesen Strolchen aus Klaarwatsch umher, sogar bis ans andere Ende der Insel ... Von Ihren früheren Freunden wird niemand mehr nach Escal-Vigor eingeladen ... Alles das ist nicht naturgemäß und ruft bloß unnötiges Geschwätz hervor ... Auch andere als böswillige Lästerzungen und tadelsüchtige Splitterrichter hätten recht, sich darüber aufzuhalten ...«

»Blandine!« unterbrach sie der Deichgraf in einem eisigen und hochfahrenden Ton, »seit wann erdreisten Sie sich, meine Handlungen zu überwachen und mir bezüglich der Leute, die ich bei mir sehen will, Vorschriften zu machen?«

»O seien Sie mir nicht böse, Herr Heinrich!« hauchte sie, ganz niedergeschmettert durch seinen harten Ton und seinen grimmigen Blick; »ich bin nur Ihre unwürdige Dienerin, ich weiß es, aber ich liebe Sie noch immer«, fuhr sie unter Thränen fort, »ich bin Ihnen ganz ergeben. Ich möchte Ihnen ja in nichts entgegentreten ... aber Ihr Ruf, Ihr erlauchter Name sind mir noch teurer und heiliger, als mein Gefühl für Sie ... Nur meine große Liebe läßt mich so sprechen. Ach, Heinrich, wenn Sie wüßten! ...«

Und Schluchzen überwältigte sie, so daß sie nicht weiterreden konnte.

»Blandine!« sagte der Deichgraf etwas milder – denn dieser heftige Schmerz besänftigte ihn –, »was ficht Sie an? Noch einmal, ich verstehe Sie gar nicht. Erklären Sie sich endlich deutlicher ...«

»Wohlan denn, Herr Graf, nicht nur, daß die Leute im Dorfe sich über Ihre seltsame Zuneigung zu dem kleinen Hirtenjungen mokieren, einige gehen sogar so weit, zu behaupten, daß Sie ihn von seinen Pflichten gegen die Seinigen abwendig machten ... Und was erfindet man nicht sonst noch alles! ... Kurz, alle Welt sieht scheel darauf, daß Sie diesen kleinen Kuhhüter so verhätscheln ...«

»Und doch haben Sie selbst auch einst die Kühe gehütet! Wie stolz Sie jetzt geworden sind!« sagte der Deichgraf mit Grausamkeit.

»Ich bin nur stolz darauf, Ihnen anzugehören, Herr Graf! außerdem hat die gnädige Gräfin ...«

Blandine zögerte.

»Meine Großmutter?« forschte der Graf.

»Ihre verehrungswürdige Großmutter, meine gütige Beschützerin, hat mich zu Ihnen erhoben; aber sie hat mich hauptsächlich gelehrt, Sie zu lieben!« fügte sie in rührendem Tonfall hinzu, so daß das Herz Kehlmarks sich zusammenkrampfte.

»Ja gewiß, ich weiß das wohl, meine arme Blandine! Ich habe dich auch lieb und vertraue dir vollständig! ... Doch gerade deshalb bin ich erstaunt, dich mit diesen Mißgünstigen und Klatschsüchtigen im Einverständnis zu sehen ...

Ich habe mir nichts vorzuwerfen, das magst du wissen. Die Protektion, die meine Großmutter dir zu teil werden ließ, ich lasse sie jetzt diesem jungen Bauernburschen angedeihen, und nun kommst du, und willst mir das Gute, das ich für dieses verkannte und verstoßene Kind thue, als Verbrechen auslegen? ... Ach, Blandine, ich verstehe dich nicht mehr ... Guido ist ein selten begabter Junge, eine Ausnahme-Natur ... Er interessierte mich von dem Tage an, seit ich ihn zum ersten Male sah ...«

»Dieser verwünschte Serenaden-Abend!«

Der Graf that, als habe er diesen herben Ausruf Blandinens nicht gehört, und fuhr fort:

»Es gefiel mir, ihn zu mir zu erheben, ihn zu lehren und zu bilden, aus ihm das Kind meines Geistes zu machen, all mein Wissen mit ihm zu teilen. Was ist da Tadelnswertes daran? Ich liebe ihn ...«

»Sie lieben ihn zu sehr!«

»Ich liebe ihn, so wie es mir gefällt zu lieben ...«

»O Heinrich! Zwillingsbrüder hängen nicht mehr an einander, wie Sie diesen obskuren kleinen Hirtenjungen zu lieben scheinen ... Nein, hören Sie, seien Sie nicht böse über das, was ich Ihnen sagen will, aber ich glaube, Sie haben niemals eine Frau so geliebt, wie diesen elenden Strolch ... Warten Sie, Sie sollen alles wissen ... Gestern Abend hatte ich mich in den Büschen hinter der Bank versteckt, wo Sie alle beide saßen. Ich hörte die glühenden Worte und die schrecklichen Dinge, die Sie ihm zuraunten mit einer Stimme ... ach, mit einer Stimme, die mir das Innerste zerriß! ... Ich war noch da, als Sie ihn umarmten, als Sie einen langen Kuß auf seine Lippen drückten und als er, nachdem Sie zu seinen Füßen gesunken, sich erschauernd an Ihren Busen schmiegte.«

»Ah!« machte Kehlmark zornig, »soweit haben Sie sich erniedrigt, Blandine?! ... Sie haben spioniert! Meine besten Glückwünsche!«

Da er fürchtete, daß ihn der Zorn übermannen könnte, so warf er ihr nur noch einen feindseligen Blick zu und schickte sich an, das Zimmer zu verlassen.

Aber sie klammerte sich an seine Kniee und ergriff seine Hände.

»Verzeihen Sie mir, Heinrich; aber ich konnte nicht mehr! – Ich wollte Gewißheit haben!... Zuerst weigerte ich mich, meinen eigenen Augen und Ohren zu glauben ... O Gnade!... Gnade um Ihretwillen, Herr Graf! Sie wissen nicht, Sie haben Feinde. Der Pfarrer Bomberg paßt Ihnen auf und brennt darauf, Sie zu verderben! Geben Sie ihm nicht durch eine Unvorsichtigkeit selbst Waffen in die Hand! Kompromittieren Sie sich nicht weiter! Andere als ich hätten Ihnen gestern Abend auflauern können. Lassen Sie dieses Unglückskind von sich. Schicken Sie ihn wieder zu seinen Herden zurück! Noch ist es Zeit ... Fürchten Sie den Skandal. Trennen Sie sich von diesem Burschen, bevor man sich laut erzählt, was man sich jetzt ohne Zweifel im stillen denkt und sich leise zuflüstert ...«

»Niemals!« schrie Kehlmark auf mit einer beinahe wilden Entschiedenheit. »Niemals! Hören Sie!

Noch einmal, ich habe nichts Böses gethan, im Gegenteil, ich will nur das Beste dieses Kindes! Nichts wird mich von ihm losreißen!«

»Nun gut! Dann werde ich gehen!« sagte sie, indem sie sich erhob. »Wenn dieser unheilbringende kleine Hirtenjunge noch einmal den Fuß nach Escal-Vigor setzt, so verlasse ich Sie!«

»Ganz nach Belieben! Ich halte Sie nicht!«

»O Heinrich!« flehte sie jammernd, »ist es möglich! All Ihre Güte, Ihre Nachsicht für mich ist also dahin! Er jagt mich fort! O mein Gott!«

»Nein, ich jage Sie nicht fort, aber ich werde es niemals dulden, daß man mir vorschreibt, was ich zu thun und zu lassen habe. Wenn diejenigen, die vorgeben, mich zu lieben, sich nicht vertragen können und unter einander eifersüchtig sind, so trenne ich mich von dem Teil, der Drohungen ausstößt und neidisch ist und Ränke spinnt gegen ein anderes Wesen, das mir teuer ist. Dies ist alles. Jetzt und in Zukunft will ich frei leben, ungehindert in meinen Sympathien und meinen Neigungen. Ferner«, fuhr er fort, indem er sie bei der Hand ergriff und sie mit einem unsagbaren Ausdruck von Stolz und Herausforderung ansah, »erinnern Sie sich, was ich Ihnen sagte, bevor ich mich hier vergrub. Ich wollte mich von Ihnen trennen. Haben Sie Ihr Versprechen vergessen: ›Ich will nichts weiter sein als Ihre treue Wirtschafterin und Ihnen in nichts beschwerlich fallen!‹? Ich gab Ihren flehenden Bitten nach, doch ahnte ich damals schon, daß Sie es eines Tages bereuen würden, mich nicht meinem Schicksal überlassen zu haben ... Die jetzige Stunde giebt mir recht. Diese Erfahrung genügt, denke ich ... Trennen wir uns ohne Groll, Blandine, denn jetzt ist der Augenblick da, wo wir für immer scheiden müssen ...«

Welch herbes Los, welche entscheidende Wendung las sie in dem Blick des Deichgrafen!

»Nein, nein!« schrie sie auf. »Ich will nicht! Ich erneuere mein Versprechen von damals. Du wirst es sehen, Heinrich! Ich halte Wort ... O, man kann mich nicht so plötzlich von deinem Herzen reißen!«

»Sei es denn!« willigte Kehlmark ein; »versuchen wir es noch einmal. Aber du wirst dich mit Guido Govaertz vertragen. Er ist das Wesen, das ich auf der ganzen Welt am meisten liebe; er ist mir unentbehrlich wie die Luft, die ich atme; er allein fesselt mich an das Leben ... Und besonders niemals eine Anspielung in seiner Gegenwart über das, was sich soeben zwischen uns abgespielt hat. Hüte dich, die mindeste Rachsucht zu zeigen, diesem Kinde den geringsten Vorwurf zu machen. Wenn ihm ein Unglück zustieße, wenn ich ihn verlöre, wenn er mir auf die eine oder die andere Weise entrissen würde, so würde das mein Tod sein. Hast du mich verstanden?«

Sie neigte ihr Haupt zum Zeichen der Unterwerfung, entschlossen, die härtesten Qualen zu ertragen, wenn es nur von seinen Händen und unter seinen Augen geschähe.


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