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Dem ermordeten Bruder


Eurasien

»Gebenedeites Völkerfrikassee!«
Mummelt der Buttje in der See.
Aber der jachste Held springt ungern in den Himmel,
Beschneit Hurradämmerung Haubitzgebimmel.

Und Panzer keucht sein Sterbelied,
Ahnt sausenden Torpedos Triller,
Und dummen Kontinents Kanonen gähnen müd,
Und nach dem Zahler schielen schon die Zieler.

Verwaistes Wimmern mondweißer Stuben,
Den Tod erleben ihre Buben.
O Knochenmarmor, weichend der Feuertrombe,
Die Rache knirscht noch Zahn um Zahn, Bombe für Bombe!

Sklaven! Zertreten! Unrettbar! In Ketten!
Ein Kannibale war Moses? Berg Sinai Höllenort?
Gott brüllte: »Du sollst nicht töten!«
Nie dringt an Herden heiligstes Wort,
Eurasien zirpt zarteres Flöten:

»Ein fester Mörser ist unser Gott!«

 

Der Erlöser

Auch ich ehrte
Die höllisch verlotterten Kriegsfackeln
Alexander, Channi-Baal, Cäsar, Napoleon.
Possierlich war mir das Schmunzeln des pfiffigen
Deichhauptmanns Bismarck,
Wenn rings jeder Kaiser ihm aufsaß.
Aber zuviel Mußhelden
Übersterben jetzt diese Zwangserde,
Begeistert fallen sie für die Anleihen
Der Taschenkrebse, die sich gemästet
In Kino-Marschällen verehren,
Glanzverwaschenen Filmen der Übelzeit.
Unzahl der Heroen verpestet die Feste,
Aber in Freiheit lebt kein Mensch!
Wann, wann naht, endend den Trott,
Ambrosisch leichten Stuhles ein Gott,
Scheißt auf die Erde,
Begräbt sie im gebührenden Kot?!

 

Ode

Soll ich Süßholz, Mondschein singen?
Ist nicht Licht im Donnerdickicht,
Wut ist, Blutsintflut und gute
Arche fern dem Ararat!

Soll ich: Trauerwald, aufweinen?
Soll ich Feiglinge besingen,
Indianer Wildeuropas,
Die stupiden Kampfstiervölker,
Euch Einpeitscher dieses Schlachtviehs:
Hetzmarschälle, Kriegsberichter,
Nachttopfgucker des Blutruhms?

Ja, euch sing ich, christliche Vaterländer,
Nationen, die in der Schlacht sich paaren,
Unschuldige Bluttrinker,
Denen der Storch brachte den Krieg.

Barbaropa, humanes Banditenasyl,
Krupp, Creuzot, Putilow, Maxim,
Heimatkünstler, Wohltäter der Menschheit,
Euch grüßen in Ehrfurcht
Buddho und Jesus,
Beide winseln um die Ehrenlegion,
Das eiserne Kreuz dritter Klasse
Oder die Lotosblume mit Schwertern.

 

Die Helfer sind tot

Dies ist die Klage des Friedfertigen, bitterer Hauch des Gefährten der Menschen und Tiere, Schwermut, Stimme der Verzweiflung, vom Dunkel der nahenden Nacht ihm entrungen am Kleinmutabend.

Wo sind die Heiligen, die in euch aufgerichtet hat des Gewissens Dämon, der »Herr«, der Gebote zeugte? Wo sind die Propheten – wo seid ihr: Mausche, Jeschu, Muhamed? Dahingeschwunden seid ihr zänkischen Hirten, Zimmerleute und Kameltreiber zum Schülerschreck, eurer Unverträglichkeit wegen, im Jähzorn der Primadonnenrachsucht euerer Rede: »Du sollst keine falschen Götzen haben außer mir.« Als ihr mit euern Lehren der Eingötterei schwanger ginget, besser – ihr wärt auf dem Mond niedergekommen mit solch blutigen Speisegesetzen, Kreuzigungen, Holzstößen, heiligen Kriegen und Kreuzzügen!

»Du sollst nicht töten!« rollte der Sinaidonner wider Mausche. Aber harthörig war Mausche, ein Krieger und Viehschlächter, verstand nicht das Wort, einging er nicht ins verheißene Land, seine sterbenden Augen sahen es nur von fernem Berg. Und immer noch tanzt sein Volk, das weiße Volk um das lebende, bebende Kalb und schlachtet es, schlachtet sich um Gold! Auch er, der vor Jeschu herlief die Nacht: der Täufel Jochanan war bedeckt von Kamelhaar, fraß Heuschrecken für sich, unschuldiggrünes Leben des Feldes. Es kam die Überantwort – der Heuschrecken Henker ward überantwortet seinen Henkern, es metzgete eine Metze sein Haupt, wie das Kind Grashüpfern ein Bein bricht.

Und als Jeschu einging in die schwere Zwangsarbeitssphäre der Erde, wandelte sich sein reinstes Licht in Nebel. Über dem Säugling Jeschu wurden geschwungen von Miriam Brandopfer, Sündopfer: zwei junge Turteltauben dem Tode. Nicht mied der Sohn Davids blutiges Mahl – austeilte er Freunden Osterlämmer und unsträfliche Fische, schuldlosschuldigen Raubfisch und algenfromme. Er richtete an Gerichte von Fischen – so ward er gerichtet. Mit dem letzten Hauch des gerichteten Fischers gedieh der härteste Teufel vor den Richtbaum und erkannte: »Das Holz dieses Kreuzes ist gut, ich werd es in Speere spalten!« Ihr feiert die Auferstehung der Speere. Das Licht lebt, leuchtet noch nicht. Nebel, Dunkel, Weltverfinsterung! Ein feste Teutoburg ist unser Gott Jehovah!

 

Der rote Krieger

Bis an den Hals versink ich in den Knochen der Schädelstätte. Wütend rüttelt mein Geist seit Jahren am Gitter, den Käfig in Trümmer, euch, meine Freunde, und mich aus dem Kerker zu reißen. Aber, o Brüdermillionen, die Kraft ist noch bei den Raubmenschen und Menschenräubern, bei den Mächten des Todes und der Zerstörung. Nicht mehr, glaub ich, kommt Licht; Frieden ist Traum, Gott eine leere Chimäre. Gleich nach der Bergpredigt entschlief Christus für immer! Erhebe dich, wandle, erwecke dich, Totenerwecker! Spalte mit deiner hölzernen Kreuzkrücke den eisernen Kreuzrittern die ehernen Stirnen! Du hast Grund dich zu rächen! Vom Wasserflugzeugmutterschiff »Mary« erhoben sich Flieger, warfen Bomben auf Nazareth, Beth-Lechem.

Aber eher wird ein sinnreiches Tier, ein wütender Hund Tyrannen zerreißen, ehe Soldaten der Menschheit eine gerechte Handgranate die Hand füllt.

Immer noch läßt sich der unbeholfene Walfisch, der Leviathan »Menschheit« von den Blut-Egeln, Schwert-Fischen, Fleisch-Sägen zerschlitzen. Sternbewohner, Marsmörser torpediert ihr die blutrünstigen Fliegermücken!

Verflucht alle Meere, die Unterboote beherbergen; verflucht alle Häfen, in denen Panzerschiffe hausen. Verflucht alle Feldbäuche, kugelsichern Generäle und Kapitäne zur Luft, verflucht alle Munitionsarbeiter und Feldeisenbahner! Verflucht alle Durchhälter, Sozialpatrioten, zeitungsberichtenden Kriegszuhälter und Heldenschriftsteller, verflucht die zweideutig scharwenzelnden Journalisten, Schnittlauch auf allen Blutsuppen! Verflucht Pflegerinnen, die Verwundete ans Messer liefern, Verletzte fürs graue Feld heilen, für den blendenden Kopfschuß. Verflucht alle Weiber, die bei Offizieren schlafen, verflucht alle Mütter, die ihren Leib zum Schlachtfeld machen – den Mordstaaten, Prothesenkönigen, erlauchten Krüppelprotektoren, Blinden-Präsidenten, Krokodilstränen ausgießenden Friedenskanzlern Söhne: Krieger gebären! Verflucht alle Spektakel: Cabarets, Kino-Theater, Operettenbordelle, die den Hinterländern mit vaterländischen Affenpossen das Durchhalten versüßen! Verflucht alle Pfaffen, die mordenden Soldaten ein gutes Gewissen verschaffen. Verflucht alle Federhelden, die, vom Weltkrieg im Dichten gestört, hinterm Ofen, fern vom Schuß, »Revolution!« schreien und schreiben, unter geheimnisvoll dröhnenden Gebärden, wichtigtuerischen Schiebermienen mit revoltierenden Geschichten, Aufsätzen, Gedichten ihre honorarpflichtige Pflicht getan zu haben meinen. Verflucht unsere, meine eigene zuwartende Feigheit, die noch immer nicht den mächtigen Rüstungsgaunern und Stahlschelmen das Messer in den Magen stieß.

Anwidert mich Beifall, Widerhall aller Guten: sie gehen ins Theater, statt auf die Straße zu gehen. Schriftsteller heißen höchstens Browning, aber sie tun es nicht; ihre Bomben sind mit Eis gefüllt, gehen in den Bauch und nicht ans Leben! Die Führer sprechen rot, aber sie kämpfen blaß. Verflucht seien alle Schreiber und Leser. Verflucht sei das Wort! Im Anfang war die Tat!

 

Urteil

Und ewig
Von der Krippe bis zum Krupp
Fällt die Menschheit
Trupp für Trupp.
Und ewig

Bleibt ein Söldner der Soldat,
Und ewig
Klebt an Sozialdemokraten Verrat,
Matronen sind die Revolutionsmatrosen,
Krokodilstränen weint die Regierung.

Heerwürger, Blutberichter, Mordmarschälle –
Nicht Wilhelm und nicht Ludendorff –
Keiner fiel dem Richterschwert!
Aber der Befreier Seele
Hat euch mörderisch verstört.

Wild lecken die Bluthunde ihre Blutsuppe.
Über Liebknecht und Luxemburg
Großer Sieg der Regierungstruppe,
Großer Sieg der Bürgerbäuche.
Sie füllen Menschenblut in ihre Schläuche.

Dies ist nicht Volk, ist Pöbel.
Dem Kehricht sing ich lieber meine Litanei.
Und wenn ich euch mit tausend Donnern riefe,
Es schliefe doch,
Das arme deutsche Volk verschliefe,
Mordend noch im Traum,
Seine Zeit.

 

Dem ermordeten Bruder

O Kind, das nie nichts sah!
Die Front war Ferne,
Der Arzt nur allzunah.

Aus dumpfem Enghaus,
Wiederkehr der Lehrerschrullen,
Träumtest Du Dich in heldische Patrouillen.
Gefangener Falter im Kriegsgespinst!
Trat morgens Grau die Sterne aus,
Die Schuhe noch bestaubt von Schulausflügen,
Hungernd und hustend tatest Du Dienst,
Im Kot laufend bis ans Ende der Straßen,
Wo abends unter bekümmertem Himmel
Soldaten verschimmeltes Maisbrot fassen.

Dann kamen die Schmerzen.
Stolz wolltest Du nicht klagen,
Marode Dich nicht melden vor Kameraden.
Es boten zu viel Lieferanten
Gesunden Blinddarm dem Messerarm.
Dich Ohnmächtigen, Kranken nannten
Kriegsärzte einen Simulanten.

Und, todeiternde Tage zu spät, verdammt
Metzger-Ärzte das Messer zum Mörderamt.
Du trugst tränenlos die Überqual,
Der Du, verblutend im Wiener Militärspital,
Strafweise Sterbende sterben sehen
Mußtest im Todessaal.

Kind, Du schenktest schwindend
Der einzigen guten
Wärterin Andersens Märchen.
Den Erzprinzen Deines Alters
Lärmen noch Lerchen,
Sie kämpfen Tennis, spielen Etappe,
Krieg? Famos! Feudale Attrappe!
Dir ward Digitalis; Injektionen:
Kampfer, Kochsalz, Koffeïn.

Steil ins Urweh schwillt die Fieberkurve.
Du sehntest Dich nach Haus.
Auftat sich letztes Tor.
Vergebens nahmst Du Dir vor,
Viel Milch zu trinken
Und gesund zu werden.
Aber Du mußtest sinken
Zu den getöteten Herden.

»Magst du nicht die Milchstraße trinken?!«
Flüster ich alter Irrenwärter zu Gott.
»Sieh, dort sind noch viel solche Sterne,
Sie wimmern zu mir in Erdbeschwerden.
Willst du nicht endend deine Kinder einlullen?
Laß ab von schrillen Schöpfungsschrullen,
Mach dich auf letzte Patrouillen!

Sonnenverfinsterer,
Hausherr vom Himmelhaus,
Mann im Mond – tritt die Sterne aus!
Nimm von ihnen ihre große Zeit,
Tod und all deiner Kriege Leid.

Mein Bruder hatte nur ein Märchenbuch
Und ein wenig tödliches Soldatentuch.
Dem Kind, das nie nichts sah –
Die Front war Ferne –
Du tratst ihm allzunah!«

 

Hoffnung

Als ich ganz zernichtet war,
Vor Nacht und Hölle und Pest und Erde
Verging im dunkel tosenden Raume,
Erschienen die Dinge,
Trost zu schütten über den Gram.

Das Licht kam,
Silberne Möwen schwebend im Reinen,
Und die Hügel der Sonne: bewaldetes Erz,
Die Seen und Teiche des Grünen,
Wege in liebliches Land
Und verfallen im Abend Ruinen.

»Ich glaube nicht an Menschen!«
Sang die Erde,
»Das Wasser ist da,
Die blau schwingenden Ströme,
Die Welt sich bewegender Bäume
Und die himmelan jubelnden Felsen
Und der euch alle liebt:
Der Grünsprecher Frühling.«

 

Friede

Die Bäume lauschen dem Regenbogen,
Tauquelle grünt in junge Stille,
Drei Lämmer weiden ihre Weiße,
Dorfbach schlürft Mädchen in sein Bad.

Rotsonne rollt sich abendnieder,
Flaumwolken ihr Traumfeuer sterben.
Dunkel über Flut und Flur.

Froschwanderer springt großen Auges,
Die graue Wiese hüpft leis mit.
Im tiefen Brunnen klingen meine Sterne.
Der Heimwehwind weht gute Nacht.

 


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