Joseph von Eichendorff
Dichter und ihre Gesellen
Joseph von Eichendorff

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Sechsundzwanzigstes Kapitel

Jungen Eheleuten kommt am Hochzeitsmorgen die Welt wie verwandelt vor, als wäre über Nacht alles schöner und jünger geworden, denn die Erde putzt und spiegelt sich gern in fröhlichen Augen. Wieviel lustiger unserem Paare, gleich Zugvögeln über der prächtigsten Gegend, da war des grünen Waldlebens genug, schattige Gründe, fliegende Schimmer über das Land und unabsehliche, selige Fernen! – Allmählich erst tauchte Fortunaten alles aus dem Morgenglanze auf. Er erfuhr nun, daß der seltsame Lothario Graf Victor selber war und seit geraumer Zeit hier oben als Vitalis lebe, heiter und streng, ein Einsiedler ohne Kutte, ein Jäger, nach höherem Wild gestellt. – Jetzt gab sich auch jener Fremde als Baron Manfred kund, denselben Vetter, der damals Fiamettas Tante auf ihrem Schlosse besucht. Er hatte von ihrer Liebe und ihrem Heimweh gehört und für Fortunaten um ihre Hand bei der Tante geworben. Als aber darauf die scheue Marchesin von dem vermeintlich unbekannten Bräutigam so plötzlich die Flucht ergriffen, verfolgte er unausgesetzt ihre Spur bis Hohenstein, wo er unmittelbar nach Fortunats Abreise eintraf. Dort erfuhr Walter von ihm den ganzen Zusammenhang sowie den gegenwärtigen Aufenthalt des Grafen Victor, und voll Freude waren sie nun alle noch denselben Morgen aufgebrochen, um Fortunaten eiligst einzuholen. So hatte also Fortunat sein Liebchen vor sich selbst entführt und ein jeder vor lauter Klugheit die möglichst größte Konfusion angerichtet, der liebe Gott aber unversehens alles wieder gescheuter gemacht.

Morgen wollten die Gäste wieder weiterziehen. Unerwartet waren sie hier auf einer jener Zinnen des Lebens zusammengekommen, die immer nur für wenige Raum hat – das fühlten sie wohl. Was hatten die Freunde nun alles einander zu erzählen in der kurzen Zeit, Lust und Leid, Vergangenes und Künft'ges! So war ihnen der Tag in der schönen Einsamkeit schnell verflossen. Als es aber schon wieder abendkühl wurde, saßen sie alle zusammen vor der großen Aussicht unter den hohen Buchen, welche den Abhang an der Klosterruine beschatteten. Spuren von Kiesgängen, sorgfältig mit Buchsbaum umzäunt, Lauben und halbzerworfene Rasenbänke bezeichneten ringsumher den ehemaligen Klostergarten, nur einzeln zestreute Blumen, wie verlorene Kinder, schimmerten noch aus der alten Zeit durch das wuchernde Unkraut. Hier hatte der geschäftige Einsiedler einen Tisch gedeckt und Stühle gesetzt, er ließ es sich durchaus nicht nehmen, die Herrschaften aufs beste zu traktieren mit Wein, Obst, Honig und Nüssen, was er nur hatte. Für Fiametta aber hatte er einen Kranz von lustigen Waldnelken besorgt. Er blätterte emsig in seinem Brevier und schenkte ihr die schönsten Heiligenbilder daraus, dabei steckte er ihr immerfort das Beste von dem Naschwerk zu und hatte seine herzinnige Freude, wie sie so schön mit dem Kränzlein aussah und fröhlich plaudernd die Nüsse knackte. – Da hörten sie auf einmal in geringer Entfernung einige Saitenklänge. »Dacht ich's doch«, fuhr der Einsiedler auf, »da hat er mir doch meine alte Zither in der Klause aufgestöbert!« – Im Gebüsch aber hörten sie singen:

Wir zogen manchen Wald entlang,
Viel fröhliche Gesellen,
Und salutierten mit Gesang
Die Burgen und die Quellen.
Nun sang man den zu Grabe still,
Dem sie zur Hochzeit geigen,
Der andre in den Himmel will
Auf wilden Felsen steigen.
Von den einsamen Felsensteigen
Schau ich ins Land so weit,
Da dunkelt und rauscht's so eigen
Von der alten, schönen Zeit.

»Da kriegen wir alle was ab«, sagte Fiametta. – »Nun, nun, wir wollen's ihm schon zurückzahlen«, meinte der Einsiedler, »aber er singt eine schöne Note, es ist mir ganz wie in meiner Soldatenzeit, wenn ich so bei stiller Nacht mit der Zither im Biwak lag.« – Es sang weiter:

Was für ein Gezwitscher ist!
Durchs Blau die Schwalben zucken
Und schrein: ›Sie haben sich geküßt!‹
Vom Baum Rotkehlchen gucken.
Der Storch stolziert von Bein zu Bein;
»Da muß ich fischen gehen «
Der Abend wie im Traum darein
Schaut von den stillen Höhen.
Und wie im Traum von den Höhen
Seh ich nachts meiner Liebsten Haus,
Die Wolken darüber gehen
Und löschen die Sterne aus.

Fiametta flüsterte wieder: »Ist ihm denn seine Liebste gestorben?« – »Ach, das ist eine dumme Geschichte mit seiner Amour«, erwiderte der Einsiedler, »tut mir den Gefallen und bedauert ihn nicht lange, das will er nur, sonst macht er noch immer mehr Flausen davon.« »Wer ist's denn?« fragte Fiametta. Aber der Spielmann sang von neuem:

Im Schloß ihr wohl am Fenster steht
Und herzt euch nach Gefallen,
Der Herbst schon durch die Felder geht,
Da hört ihr's unten schallen.
»Das klingt ja wie vom Felsenrand
Einst bei des Klausners Buchen,
Ich glaub, das ist der Musikant,
Der kommt zum Kindtaufskuchen.«
Und die Vögel ziehn über die Buchen,
Der Sommer der ist vorbei,
Ich aber muß wandern und suchen,
Wo der ewige Frühling sei.

Hier entstand plötzlich ein heftiges Geräusch, und eh' sie sich's versahen, kam der Sänger in hastiger Flucht durch Laub und Äste geradezu über die alte Gartenmauer dahergeflogen, daß die losen Steine hinter ihm dreinkollerten. Fiametta drängte sich scheu an Fortunat, dieser erkannte zu seinem Erstaunen in dem Flüchtling Dryander. Der Doktor aber blickte noch immer wild zurück, setzte seinen Hut, der vor Eile ganz schief saß, auf dem Kopfe zurecht und schimpfte, außer sich vor Zorn und Schreck, über die dumme Romantik: kaum beträte man das Revier eines Poeten, so schössen verstorbene Doppelgänger, gleich wahnsinnigen Pilzen, aus dem unvernünftigen Boden und säßen auf den Klippen umher und wackelten mit den Köpfen – Da erkannte er auf einmal in Fiamettas Augen das hübsche Jägerbürschchen vom Donauschiff, und seine ganze Gedankenfolge bekam dadurch plötzlich einen anderen Zug. Fiametta errötete und fragte ihn lächelnd, ob er sich noch mit ihr schlagen wolle? Er aber besann sich nicht lange. »Oh«, entgegnete er tapfer, »ich habe damals auf dem Schiffe alles recht gut gewußt und wollte nur die Damen ein wenig schrecken.« – »Ja, ja, das hat die Schiffsgesellschaft wohl gemerkt«, sagte Fortunat, »denn sie haben deinen zurückgelassenen Hut über die Tür des Wirtshauses angenagelt zum ewigen Gedächtnis eines verwegenen Duellanten, der vor Zorn und Wut plötzlich die Verschwindsucht bekommen.«

Unterdes hatte der Einsiedler das Gebüsch hinter der Mauer untersucht und kam nun mit großem Gelächter zurück. Gerade in dem wildverwachsenen Versteck, wo Dryander das Ständchen gebracht, befand sich der zertrümmerte Eingang zur Klostergruft; dort saß seit alter Zeit ein Totengerippe, wie ein Wächter zwischen den Steinen, dem der Einsiedler, als er vorhin Tisch und Stühle abräumte, in der Eile des Doktors Schlafpelz umgehangen. Mitten im Gesange nun sich umwendend, hatte Dryander plötzlich sich selbst zu erblicken geglaubt und so mit größter Behendigkeit die Flucht ergriffen.

Jetzt erfuhr Fortunat auch, daß der Doktor schon seit längerer Zeit in einem angeblichen Bußanfall bei dem Einsiedler sich aufgehalten, der ihm sehr gut war und immer tausend Spaß und Händel hatte mit dem kuriosen Gesellen. Heut noch vor Tagesanbruch aber war Dryander gleichfalls voll Eifer ausgezogen, um Fortunaten aufzusuchen, ohne in seiner Zerstreuung vorher erst die Braut zu betrachten. Unterwegs aber hatte er bald die ganze Geschichte wieder vergessen und schlenderte wohlgemut nach dem nächsten Städtchen, wo er sich im Gasthause tüchtig restaurierte. Das gefiel ihm so wohl, daß er unverzüglich einen großen Einkauf an Wein, Braten und Kuchen machte und einen Burschen zum Tragen mietete, der soeben zu allgemeinem Ergötzen aus seinem Korbe den Markt hervorlangte und sich dann ermüdet neben sie ins Gras setzte.

Wer Dryandern genau kannte, konnte bald bemerken, daß er sich wieder einmal in jener phantastischen Faselei befand, wo er sich und andere überredete, ganz besonders unglücklich zu sein. Victor sah ihn scharf an. »Nun beichte nur gleich«, sagte er, »was ist wieder passiert?« – Der Doktor zögerte erst, dann begann er mit einer gewissen weichen Feierlichkeit: »Ihr wißt alle, daß meine liebe kleine Frau mich verlassen.« – »Sie mußte wohl«, fiel ihm Victor ins Wort, »du wolltest ihre gesunde, herbe, klare Prosa durchaus auf die poetische Lyra spannen, was Wunder, wenn endlich die Saite sprang!« – »Und einem Husarenlieutenant an den Schnurrbart flog«, sagte der Doktor ärgerlich über die Unterbrechung. »Kurz, ich wußte wohl ein Jahr lang nicht, wohin sie gekommen. Heute nun, als ich mit diesem guten Jungen da soeben zu den Bergen zurückkehren will, sehen wir ein rotes Ziegeldach durchs Grün schimmern. Wir traten näher, da steht ein Brunnen unter einem blühenden Apfelbaum, die Bienen summen drin in der schwülen Mittagstille, an dem Brunnen aber sitzt ein junges Weib, ihr Kindlein auf dem Arm – es war mein liebes Trudchen. »Gott grüß dich, schöne Frau«, sag' ich, und bitt' um einen frischen Trunk. Da blickt sie erschrocken auf – sie kannte mich nicht mehr.« – »Nein, Herr«, fiel hier der Bursch mit dem Korbe ein, »sie erkannte Euch gleich und schrie: »Herrje, Fritz, komm geschwind, da ist mein alter Mann!« – »Ganz recht«, fuhr Dryander fort, »und da kommt ihr neuer Mann, der verabschiedete Husarenlieutenant, in hohen Schmierstiefeln und Hemdsärmeln, Heu und Häcksel in den Haaren, und fährt in der Eile in seinem alten Flauschrock mit der Faust zum Ellbogen heraus, ein Kernwirt, sonst ein guter Kerl. Wir gingen nun miteinander ins Haus, ich lobte alles nach Kräften.« – »Ihr erzählt alles so konfus«, sagte der Bursch wieder, »Ihr fragtet zuerst, was in der Stadt der Spieß Lerchen koste, die draußen so hübsch sängen?« – »Kann sein!« – »Nein, ich weiß noch alles ganz genau. »Und, einmal als Philosoph gesprochen«, sagtet Ihr dann, »was braucht ein fühlendes Herz mehr: ein ländliches Schloß mit wacklichten Mansarden, ein sanfter, unter dreijährigen Dünger gesetzter Hügel daneben, ein schlängelnder Bach aus dem Kuhstall nach der lachenden Wiese« – »Halt das Maul«, fuhr ihn Dryander an. »Ich stand in der Haustür, mit tiefer Wehmut überblickte ich noch einmal den Apfelbaum, das stille Gärtchen und Trudchens Gestalt – dann wandt' ich mich –« Hier konnte der Bursche das Lachen nicht halten. – »Was hast du?« fragten die andern. – »Mit Erlaubnis«, sagte er, »und als der Herr so von dem schlängelnden Bach sprach, erwischte ihn der Herr Lieutenant am Flügel und schmiß ihn zum Hause heraus, daß er mir bald in den Korb gefallen wäre.« – »Nun, wenn Ihr's besser wißt, so ist mir's auch recht«, entgegnete der Doktor, ergriff eine Flasche und wollte fort, kehrte aber wieder um, nahm noch eine zweite unter den Arm und ging eilig in die Ruine. »Wahrhaftig«, sagte Fortunat lachend, »da ist Lug und Einbildung, Wahrheit und Dichtung so durcheinandergefilzt und -gewickelt, daß er selber nicht mehr heraus kann! ich wette, er ist nun auf acht Tage in allem Ernst wieder in seine kleine Frau verliebt!«

Während dieser Gespräche war es völlig dunkel geworden. Für Fiametta hatte man unterdes zwischen den Trümmern eine Lagerstatt von duftendem Heu bereitet, und ihre müden Augen waren schon untergegangen, als der Mond über die stillen Wälder aufging. Der Einsiedler, über seinem Rosenkranze nickend, bewachte sie von fern, die andern saßen noch zusammen bis tief in die Nacht. – Dryander aber hatte mit großer Umständlichkeit Papier, Federn, Wein und gestopfte Pfeifen in eine Zelle zusammengeschleppt, wo man ihn öfters eifrig auf und nieder gehen sah. Er wollte die schöne Nacht benutzen, um ein großes Gedicht, mit dem er sich schon lange in Gedanken herumtrug, endlich recht mit Ruhe niederzuschreiben. Da hatte er aber lauter Störungen. Erst nickte ihn aus irgendeinem Mauerloch unaufhörlich ein melancholischer Schuhu an, gegen den er sich sehr erboste, weil er es für eine üble Vorbedeutung hielt. Dann erwachte eine Nachtigall und schmetterte gerade vor seinem Fenster. Er wollte sie mit dem Schnupftuch verjagen, darüber verlor er seine beste Feder hinterm Ohr, die Zugluft durchs offene Fenster fuhr in die beschriebenen Blätter, und als er um sich griff, schimpfte und haschte, löschte ihm gar der Wind das Licht aus. Da ballte er voller Zorn alle Papiere in seine Tasche zusammen, setzte den Hut auf den Kopf und nahm draußen, da alles schon schlief, mit wenigen Worten nur von dem Einsiedler Abschied, der, halb im Traum, nicht wußte, was geschah. Dann raffte er noch geschwind die Viktualien vom Tische in den Korb und rüttelte den Burschen auf. Der mußte ohne weiteres voraus, und so wanderte er mit langen Schritten den Wald hinab, um nie mehr auf diesen Berg zurückzukehren, wo ihm die untreue Tugendwirtschaft auf einmal unglaublich langweilig vorkam.

Wir aber lassen das Irrlicht wandern und überschauen noch einmal das nächtliche Gebirge. Die Wälder und Abgründe liegen noch geheimnisvoll umher in der tiefen Stille, nur das ungewisse Flimmern der Sterne verkündet die Nähe des Morgens. Durch die weite Einsamkeit aber tönt ein Gesang, es ist Victors Stimme:

Nächtlich macht der Herr die Rund,
Sucht die Seinen unverdrossen,
Aber überall verschlossen
Trifft er Tür und Herzensgrund,
Und er wendet sich voll Trauer:
»Niemand ist, der mit mir wacht.«
Nur der Wald vernimmt's mit Schauer,
Rauschet fromm die ganze Nacht.
Waldwärts durch die Einsamkeit
Hört ich über Tal und Klüften
Glocken in den stillen Lüften,
Wie aus fernem Morgen weit.
An die Tore will ich schlagen,
An Palast und Hütten: Auf!
Flammend schon die Gipfel ragen,
Wachet auf, wacht auf, wacht auf!

Da regt sich's nach und nach immer lauter und lauter vor dem verfallenen Kloster, gesattelte Pferde wiehern durch die Dämmerung, Walter treibt geschäftig zur Eile, um noch vor der Mittagshitze ins Tal zu kommen, Fiametta sitzt schon auf ihrem Zelter und schüttelt sich und plaudert reiselustig in der Kühle. Jetzt tritt zu aller Erstaunen auch Victor mit dem Einsiedler ganz wanderfertig aus dem Kloster. »Glückauf!« ruft er ihnen fröhlich entgegen, indem er Fiamettas Pferd am Zügel faßt und den Zug beginnt, der wegkundige Einsiedler, eine Reisetasche umgehängt und einen dicken Wanderstab in der Hand, schreitet im Zwielicht rüstig voran.

»Nun, das ist einmal ein Wort!« rief Fortunat freudig aus, während sie so langsam den Wald hinabzogen, »du wanderst also mit?« – »Was hast du vor?« fragte Manfred fast betroffen. – »Beschlossen war es längst«, sagte Victor, »und heute leuchten schöne gute Sterne. Ihr wißt's noch nicht: ich bin auch Bräutigam.« – Hier öffnete er den Reiserock, unter dem die Kleidung eines katholischen Priesters sichtbar wurde. – »Mein Lieb ist streng und ernst«, fuhr er lächelnd fort, »drum wollt' ich hier oben mich erst zusammenraffen und innerlich besinnen. Glaubt mir, ein herrlich Ding ist's um die Einsamkeit auf hohen Bergen; das Buch des Lebens versteht doch nur, wer um Gottes Willen lernt und nicht um der Welt Gunst.« – Manfred sah ihn lange schweigend an. »Nun wahrlich«, sagte er dann, »wenn ich dich auf dem Schlachtfelde wiedergefunden hätte, hoch zu Roß mit der Fahne voran!« – »Du sprichst ja wie ein Mädchen davon«, entgegnete Victor, »wie wenn es keinen Krieg gäbe, als den die schmucken Lieutenants führen.« – »Und dein großes poetisches Talent«, unterbrach ihn Manfred wieder, »du wirfst es fort, wie ein Verschwender?« – »Was wär' denn Poesie«, meinte Victor unwillig, »wenn sie in einem Goldschnitt auf einer Morgentoilette durchzublättern wäre? Talent! das ist nur ein Blitz, den der Herr fortschleudert in die Nacht, um zu leuchten, und der sich selbst verzehrt, indem er zündet. Nein, Freunde, genug endlich ist des weichlichen Sehnens, wer gibt uns das Recht zu klagen, wenn niemand helfen mag! Nicht morsche Mönche, Quäker und alte Weiber; die Morgenfrischen, Kühnen will ich werben, die recht aus Herzensgrund nach Krieg verlangt. Auch nicht übers Meer hinüber blick' ich, wo unschuldige Völker unter Palmen vom künftigen Morgenrot träumen, mitten auf den alten, schwülen, staubigen Markt von Europa will ich hinuntersteigen, die selbstgemachten Götzen, um die das Volk der Renegaten tanzt, gelüstet's mich umzustürzen und Luft zu hauen durch den dicken Qualm, daß sie schauernd das treue Auge Gottes wiedersehen im tiefen Himmelsgrund.« – Manfred konnte sich lange nicht erholen. »Ist mir's doch«, sagte er endlich, »wie von einem hohen Berg ins Meer zu sehen, wo mir dein Schiff in der Morgenglut verschwindet. Der Anblick schreckt und blendet mich, ich muß den festen Boden fühlen unter mir, ein nahes Ziel von Tag zu Tag im Auge haben.« – »Geht, geht«, fiel Fortunat hier ein, »über eueren Reden verlier' ich mich selber ganz. Du Victor zumal, verwirrst mir schon seit gestern, wie ein nächtliches Wetterleuchten, der Seele Grund: tiefe Klüfte mit kühnen Stegen darüber und manche alte, geliebte Gegend fernab, aber alles so fremd und wunderbar wie in Träumen. Zuletzt ist's doch dasselbe, was ich eigentlich auch meine in der Welt, ich habe nur kein anderes Metier dafür als meine Dichtkunst, und bei der will ich leben und sterben!«

Jetzt standen sie auf einem Abhang, von dem veschiedene Pfade auseinandergingen. Hier hielt Victor plötzlich an, sein Weg führte ihn noch weiter über den Gebirgskamm nach der Stadt, wo die neuen Gefährten seiner harrten. Er schien tief bewegt. – »Wie's da unten nebelhaft sich durcheinanderschlingt« – sagte er, in die Täler schauend – »man hört schon Stimmen da und dort verworren aus dem Grund, Kommandoruf und Trompetenklänge durch die stille Luft und Morgenglocken dazwischen und den Gesang verirrter Wanderer. Und wo die Nebel auf einen Augenblick sich teilen, sieht man Engel ernst mit blanken Schwertern auf den Bergen stehen und unten weite Geschwader still kampfbereit aufblitzend, und der Teufel in funkelndem Ritterschmuck reitet die Reihen entlang und zeigt den Völkern durch den Wolkenriß die Herrlichkeit der Länder und ruft ihnen zu: »Seid frei, und alles ist euer!« – O Freunde, das ist eine Zeit! glückselig wer drin geboren war, sie auszufechten!« – Hier reichte er ihnen noch einmal die Hand und wandte sich schnell zum Walde. »Ade, du geistliches Soldatenherz!« rief Fortunat erschüttert aus. Sie sahen ihm alle noch lange schweigend nach, dann schieden auch sie voneinander. Manfred wollte dem Ruf zu einem bedeutenden Staatsdienste folgen, da hoffte er, wenn auch auf anderer Bahn, auf den frischen Gipfeln des Lebens mit Victorn wieder zusammenzutreffen. Walter aber begleitete das junge Ehepaar zunächst noch nach Hohenstein; ihm war's, als sei seit seiner Jugendzeit die Welt zu groß und weit geworden für ihn, er sehnte sich recht aus Herzensgrunde nach seinem stillen, schattigen Gärtchen zurück – Und so sehen wir denn die rüstigen Gesellen auf verschiedenen Wegen das Gebirge langsam hinabreiten, und eine tiefe Wehmut befällt uns unter den leise rauschenden Bäumen, da nun alle die lieben, langgewohnten Stimmen nach und nach verhallen, wie wenn wir im Herbst die bunten Wandervögel über uns fortziehen hören.

Fiametta aber ritt voll stiller Freude und Erwartung neben Fortunaten in den dämmernden Morgen hinein, denn er hatte ihr nun entdeckt, daß er ihren Palast in Rom angekauft habe, dort wollten sie wieder hin. – Vor ihnen glänzte schon manchmal die Landschaft unermeßlich herauf, alle Ströme zogen da hinaus, Wolken und Vögel schwangen sich durchs heitere Blau ihnen nach, und die Wälder neigten sich im Morgenwind nach der prächtigen Ferne. – »Weißt du noch dein Märchen im Baum?« sagte Fiametta lachend, »nun bin ich wirklich Aurora.«

Und als Victor sich noch einmal auf der Höhe zurückwandte, waren schon alle im Morgenrot verschwunden. Durch eine Waldschlucht nur sah er unten einen schwerbepackten Rüstwagen und ein Häuflein Wanderer zu Fuß und zu Roß am Walde vorüberziehen, er erkannte seine alten Komödianten, Dryander schritt mit der Geige wieder voran. – So stand er noch lange in Gedanken oben – da ging die Sonne prächtig auf, die Morgenglocken klangen über die stille Gegend, und der Einsiedler sang:

Wir ziehen treulich auf die Wacht,
Wie bald kommt nicht die ew'ge Nacht
Und löschet aus der Länder Pracht,
Du schöne Welt, nimm dich in acht!

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