George Eliot
Adam Bede - Erster Band
George Eliot

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Einundzwanzigster Abschnitt.

Die Abendschule und der Schulmeister.

Barthel Massey bewohnte eins von den paar zerstreut liegenden Häusern am Rande einer kleinen Haide, über welche der Fahrweg nach Treddleston mitten hindurch ging. Adam gebrauchte nur eine Viertelstunde, um vom Pachthof dahin zu kommen, und als er die Hand an der Thürklinke hatte, konnte er durch das nicht verhängte Fenster acht oder neun Köpfe sehen, die sich bei dem Scheine kleiner Lichtstümpfchen über ihre Schreibpulte beugten.

Als er eintrat, war grade Lesestunde, und Barthel Massey nickte ihm bloß zu und ließ ihn Platz nehmen, wie und wo er wollte. Adam war heute nicht zum Lernen hergekommen, und sein Geist war zu sehr mit persönlichen Angelegenheiten beschäftigt, zu voll von den letzten beiden Stunden, die er in Hettys Nähe verlebt hatte, als daß er sich bis zum Schluß der Stunde mit einem Buche hätte unterhalten können; er setzte sich also in eine Ecke und sah sich in halber Zerstreutheit um. Was er vor sich sah, hatte er seit Jahren fast jede Woche gesehen; er hatte jede Schnörkelei im Kopf auf der eingerahmten Vorschrift von Barthels eigener Hand, die über dem Kopfe des Schulmeisters hing, damit seine Schüler stets ein erhabenes Vorbild vor Augen hatten; er kannte die Rücken aller Bücher auf dem Bort, die über den Pflöcken für die Schreibtafeln an der Weißen Kalkwand entlang lief; er wußte genau, wie viele Körner schon aus der Maiskolbe gefallen waren, die von einem Balken herunterhing; er hatte schon längst seine Einbildungskraft erschöpft bei dem Versuche, sich vorzustellen, wie das Bündel vertrockneter Seetang in seinem ursprünglichen Element ausgesehen haben und gewachsen sein möge, und von dem Platze, wo er saß, konnte er auf der alten Karte von England, die an der Wand ihm gegenüber hing, gar nichts sehen, weil sie vor Alter statt wie früher schön gelbbraun, nunmehr wie ein gut angerauchter Meerschaumkopf aussah. Fast ebenso bekannt wie der Schauplatz war ihm das Schauspiel, welches er vor sich sah; doch hatte ihn Gewohnheit nicht gleichgiltig dagegen gemacht, und selbst in seiner gegenwärtigen Stimmung, in sich selbst versunken wie er war, regte sich in ihm vorübergehend ein altes Mitgefühl, als er auf die derben Gestalten hinblickte, die mit den steifen Fingern mühsam Feder oder Griffel hielten oder sich bescheiden beim Lesen abquälten.

Die Leseklasse, die grade auf der Bank vor dem Schreibpult des Schulmeisters saß, bestand aus den drei Schülern, die am meisten zurück waren. Um das zu erkennen, brauchte Adam bloß dem Schulmeister selbst ins Gesicht zu blicken, wie er über seine Brille wegsah, die er jetzt nicht gebrauchte und daher bis vorn auf die Nase vorgeschoben hatte. Das Gesicht hatte seinen sanftesten Ausdruck: in den grauen, buschigen Augenbrauen lag Güte und Mitleid, und der Mund, der gewöhnlich mit trotzig vorstehender Unterlippe fest zusammengepreßt war, schien heute nachlässig gelöst, um mit einem Worte oder einer Silbe zur Aushilfe rasch bei der Hand zu sein. Dieser sanfte Ausdruck war um so auffallender, als die Nase des Schulmeisters, eine unregelmäßige Adlernase, die etwas nach einer Seite stand, eigentlich sehr furchtbar aussah, und seine Stirn überdies jene eigentümliche Straffheit hatte, die immer ein Zeichen von hitzigem, ungeduldigem Temperament ist: die blauen Adern zogen sich wie dicke Stränge unter der durchsichtigen, gelblichen Haut her, und der einschüchternde Ausdruck dieser Stirn war nicht durch die leiseste Anlage zur Kahlheit gemildert; denn das graue, borstige, ziemlich kurz geschnittene Haar stand in so dichten Reihen darum her, wie je.

»Nein, Wilhelm, nein,« sagte Barthel mit freundlicher Stimme, indem er Adam zunickte, »macht das noch mal; dann findet Ihr vielleicht, welches Wort a, l, t, geschrieben wird. Es ist derselbe Satz, den Ihr schon vorige Woche gelesen habt.«

Wilhelm war ein stämmiger Bursch von vierundzwanzig Jahren, ein vorzüglicher Steinsäger, der bei seiner Arbeit so viel verdiente, wie nur einer in seinen Jahren, aber eine Lesestunde mit lauter einsilbigen Worten war für ihn eine härtere Arbeit als der härteste Stein, den er je hatte durchsägen müssen. Die Buchstaben, klagte er, seien so unbändig ähnlich, man könne gar nicht den einen vom andern unterscheiden; natürlich, bei seinem Sägen hatte er mit so feinen Unterschieden nichts zu thun, wie zwischen zwei Buchstaben, wo bei einem der Strich über die Linie, bei dem andern unter die Linie geht. Aber Wilhelm war fest entschlossen, lesen zu lernen, und zwar aus zwei Gründen: erstens nämlich konnte sein Vetter Thoms alles vom Blatt weg lesen, Geschriebenes wie Gedrucktes, und hatte ihm neulich einen Brief geschrieben, daß es ihm recht gut gehe und daß er als Aufseher angestellt sei; zweitens hatte Sam Philipps, der mit ihm sägte, lesen gelernt, als er schon über zwanzig Jahre war, und was so 'n kleiner Knirps wie Sam konnte, den er, wenn's drauf ankam, zu Brei schlagen wollte, das mußte er auch können. Und so war er denn hier und zeigte mit seinem dicken Finger auf drei Worte auf einmal und hielt den Kopf ganz auf die Seite, um desto besser mit dem Auge das eine Wort festzuhalten, welches er grade aus der Reihe hervorheben sollte. Wie groß Barthel Masseys »Wissenschaft« sei, das war für ihn etwas so Ungeheures, daß seine Vorstellung davor zurückbebte; er würde kaum zu bestreiten gewagt haben, der Schulmeister habe bei der regelmäßigen Wiederkehr des Tages und den Veränderungen des Wetters etwas zu sagen.

Wilhelms nächster Nachbar war ein Mann von ganz anderem Schlage: er war ein Ziegelbrenner und gehörte zu den Methodisten; nachdem er dreißig Jahre seines Lebens sich bei seiner Unwissenheit vollkommen zufrieden gefühlt hatte, war er kürzlich fromm geworden und damit war das Verlangen in ihm erwacht, die Bibel lesen zu können. Aber auch ihm wurde das Lernen schwer, und auf dem Wege zur Schule hatte er heute abend wie gewöhnlich besonders um Hilfe gebetet, da er ja dies schwere Werk nur zu seiner Seelenstärkung unternommen habe, damit er mehr Sprüche und Lieder auswendig lernen könne, um böse Erinnerungen und böse Gewohnheiten oder kurz gesagt den Teufel zu bannen. Denn der Ziegelbrenner war ein berüchtigter Wilddieb gewesen und sollte sogar mal einen Förster ins Bein geschossen haben. Wie dem aber auch sein möchte, gewiß ist, daß kurz nach diesem Vorfall und kurz nach der gleichzeitigen Ankunft eines tüchtigen Methodistenpredigers in Treddleston eine große Veränderung über den Ziegelbrenner gekommen war, und obgleich er in der ganzen Gegend immer noch mit seinem alten Spitznamen »Schwefel« hieß, so verabscheute er doch jetzt nichts mehr als eine Berührung mit diesem übelriechenden Stoffe. Er war ein breitgebauter Mensch und hatte ein hitziges Temperament, welches ihm bei der Aufnahme religiöser Ideen mehr half als bei der trocknen Arbeit, einfach das ABC zu lernen. Ja, er war in seinem Entschluß, die Abendschule zu besuchen, schon wieder etwas wankend geworden, da ihm ein andrer Methodist versichert hatte, der Buchstabe töte nur den Geist, und er befürchte, Freund Schwefel sei zu begierig nach Kenntnissen, die den Menschen nur aufblähen.

Der dritte Anfänger war vielversprechender. Er war ein großer, magerer Mensch, fast so alt wie »Schwefel«, mit einem sehr blassen Gesicht und tief blaugefärbten Händen. Er war Färber, und bei dem Färben von grober Wolle und alten Weiberröcken hatte ihn der Ehrgeiz gefaßt, sich über die wundersamen Geheimnisse der Farbe näher zu unterrichten. Er hatte wegen seiner Färberei schon einen großen Ruf in der Gegend und wollte nun durchaus eine Methode entdecken zur billigeren Herstellung von Carmoisin und Scharlach. Der Materialwarenhändler in Treddleston hatte ihn darauf aufmerksam gemacht, er könne sich viel Arbeit und Kosten sparen, wenn er lesen lerne, und seitdem widmete er seine Feierstunden der Abendschule und erklärte seinen Entschluß, sein kleiner Junge solle Masseys gewöhnliche Schule besuchen, sobald er nur eben alt genug sei.

Es war rührend zu sehen, wie diese drei großen Männer, denen man die harte Arbeit ansah, sich sorgsam über die abgegriffenen Bücher beugten und mühsam herausbrachten: »das Brot ist alt, das Bier ist gut, der Rock ist neu.« Ein schwer Stück Arbeit nach ganzen Seiten voll einzelner Worte, die nur im ersten Buchstaben verschieden waren! Barthel Massey rührte es in tiefster Seele; solche ausgewachsene Kinder wie diese waren die einzigen Zöglinge, für die er keine scharfen Beiworte, keine Ausbrüche der Ungeduld hatte. Er hatte sonst durchaus kein ruhiges Temperament, und in den Singstunden zeigte es sich deutlich, daß geduldig sein ihm nicht leicht wurde, aber heute abend, wo er über seine Brille weg dem Steinsäger Wilhelm zusieht, der ganz verzweifelt vor den Buchstaben a-l-t sitzt und sie bald von der einen, bald von der andern Seite anstarrt, da glänzen seine Augen in ihrem sanftesten und freundlichsten Lichte.

Nach der Lesestunde kamen zwei junge Leute zwischen sechzehn und neunzehn Jahren mit ihren Rechenexempeln, die sie auf der Schiefertafel gerechnet hatten; sie sollten nun kopfrechnen, bestanden aber diese Probe so unvollkommen, daß Barthel Massey sie erst einige Minuten sehr bedenklich durch seine Brille anstarrte und zuletzt in bitterm, scharfen Tone anfuhr, indem er zwischen jedem Satze einhielt und mit einem Knotenstock, den er zwischen den Knien hatte, auf die Erde stieß.

»Da seht ihr! Ihr könnt's nicht besser als vor vierzehn Tagen, und ich will euch sagen warum. Ihr wollt rechnen lernen; schön und gut. Aber ihr meint, um rechnen zu lernen, brauchtet ihr nur zu mir zu kommen und wöchentlich zwei- oder dreimal eine Stunde oder so zu rechnen, und kaum habt ihr eure Mützen aufgesetzt und die Thür hinter euch, dann schlagt ihr euch die ganze Geschichte aus dem Sinn. Ihr geht herum und pfeift ein Stückchen, und was ihr denkt, ist euch so einerlei, als waren eure Köpfe Rinnsteine für jeden Quark, der grade durch will, und habt ihr mal was Gutes drin, dann wird es bald genug wieder weggespült. Ihr meint, lernen sei billig zu haben; ihr brauchtet nur hinzugehen und Barthel Massey wöchentlich seine paar Groschen zu bezahlen, dann bringe der euch das Rechnen bei, ohne daß es euch Mühe macht. Aber ich will euch sagen, mit dem Geldbezahlen lernt man nichts; wenn ihr rechnen lernen wollt, dann müßt ihr die Zahlen im Kopfe behalten und eure Gedanken darauf richten. Zu zählen und zu rechnen giebts bei jeder Sache, wenn man will; eine Zahl ist bei allen Dingen, selbst bei den Narren. Ihr könnt zu euch selbst sagen: »Ich bin einer und Hans ist auch einer; wenn mein Narrenkopf vier Pfund wiegt und Hans seiner drei Pfund drei und drei Viertel Lot, wie viel Gran wiegt dann mein Kopf mehr als Hans seiner?« Wer ernstlich rechnen lernen will, der kann sich immer ein Exempel aufgeben und im Kopfe ausrechnen: bei der Schuhmacherarbeit z. B. kann er seine Stiche immer nach fünfen zählen und sich einen Preis dafür stellen – ich will mal sagen, einen halben Pfennig – und dann ausrechnen, wie viel Geld er in einer Stunde verdienen kann, und dann weiter, wie viel an einem Tage und dann endlich, wie viel zehn Arbeiter in drei oder zwanzig oder hundert Jahren verdienen können, und dabei kann er den Pfriemen doch so fleißig gebrauchen, als wenn er nichts im Kopfe hat und den Teufel drin herumtanzen läßt. Aber das kurze und lange an der Sache ist dies: Ich will keinen in meiner Abendschule haben, der sich bei dem, was er lernen will, nicht eben so viel Mühe giebt als wollte er sich aus einem dunklen Loche ans helle Tageslicht emporarbeiten. Ich schicke keinen weg, weil er dumm ist; wenn der blödsinnige Christoph etwas lernen wollte, so würde ich versuchen, es ihm beizubringen. Aber ich will nicht meinen Unterricht an Leute wegwerfen, die glauben, das Lernen sei mit ein paar Groschen abgemacht und es lasse sich nach Hause nehmen wie ein Lot Schnupftabak. Kommt mir also nicht wieder, oder beweist mir, daß ihr mit eurem eigenen Kopfe gearbeitet habt, statt zu glauben, ihr könntet für Geld meinen für euren arbeiten lassen. Das ist das letzte Wort, was ich euch zu sagen habe.«

Bei diesem Schlußsatze stieß Barthel Massey mit seinem Knotenstock noch stärker auf als vorher, und die armen Bursche standen ganz niedergeschlagen auf und gingen brummig fort. Die andern Schüler hatten glücklicherweise nur ihre Schreibbücher zu zeigen, die von den ersten Anfängen bis zu ganz ausgeschriebener Handschrift gingen. Und bloße Schriftzüge, wenn sie auch noch so falsch waren, reizten den Schulmeister nicht so wie falsche Exempel. Nur war er ein wenig strenger als gewöhnlich bei dem großen Z eines Schülers, der eine ganze Seite voll geschrieben hatte, denen sämtlich der Kopf verkehrt stand. Der alte Knabe selbst meinte, es werde wohl damit nicht ganz in Ordnung sein, bemerkte indes zu seiner Verteidigung, diesen Buchstaben gebrauche man fast gar nicht und er sei bloß so an den Schluß des ABC gesetzt; eigentlich könne man das Und-Zeichen (&) eben so gut gebrauchen.

Endlich hatten alle Schüler ihre Mützen genommen und »gute Nacht« gesagt; nun stand Adam auf, der seines Lehrers Gewohnheit kannte, und sagte: »soll ich die Lichter ausmachen, Herr Massey?«

»Ja, mein Junge; bloß dies eine will ich mit ins Haus nehmen; und da du grade in der Nähe bist, so verschließe auch die Hausthür,« antwortete Barthel und stieg mit Hilfe seines Stocks von dem kleinen Katheder. Zu ebener Erde erkannte man sofort, daß er den Stock nötig brauchte; sein linkes Bein war nämlich viel kürzer als das rechte. Aber bei aller Lahmheit war der Schulmeister so rüstig, daß man sie kaum für ein Unglück hielt, und wer ihn durch die Schulstube und den Tritt nach seiner Küche hinauf hätte gehen sehen, der würde leicht begriffen haben, warum die ungezogenen Schuljungen bisweilen überzeugt waren, er könne so rasch gehen wie er wolle und sie mit seinem Stocke einholen, wenn sie auch noch so schnell liefen.

So wie er mit dem Lichte in der Hand in die Küchenthür trat, ließ sich in der Ecke neben dem Kamin ein leises Gewinsel hören, und eine schwarzbraune Hündin, von jener verständig aussehenden Rasse mit kurzen Beinen und langem Leibe, die in früherer Zeit zum Drehen des Bratspießes gebraucht wurde, kroch ihm entgegen, wedelte mit dem Schwanze und blieb bei jedem zweiten Schritt stehen, als seien ihre Neigungen schmerzlich geteilt zwischen dem Korbe in der Ecke und ihrem Herrn, den sie doch begrüßen mußte.

»Nun, Füchschen, was machen deine Jungen?« fragte der Schulmeister und ging eilig nach der Ecke und leuchtete in einen niedrigen Korb hinein, wo zwei noch ganz blinde junge Hunde aus einem Nest von Flanell und Wolle ihren Kopf dem Lichte zuwandten. Die Alte konnte nicht einmal ihren Herrn sie ruhig ansehen lassen; sie trat in den Korb und gleich wieder heraus und benahm sich mit der ganzen Thorheit eines Weibes, obschon sie dabei immer so klug aussah wie ein Zwerg mit einem seltsam großen Kopf und Leibe auf möglichst kurzen Beinen.

»Ei, sieh da, Sie haben Familie, Herr Massey?« sagte Adam lächelnd, als er in die Küche trat. »Wie geht das zu? Ich glaubte, das sei hier gegen das Gesetz.«

»Gesetz?! Was nutzt ein Gesetz, wenn ein Mann einmal so thöricht ist, eine Frau ins Haus zu lassen?« antwortete Barthel und wandte sich mit einer gewissen Bitterkeit von dem Korbe weg. Er nannte die Hündin immer eine Frau und schien gar nicht mehr zu wissen, daß er nur bildlich spreche. »Hätte ich gewußt, Füchschen sei ein Frauenzimmer, so hätte ich sie ruhig von den Jungens ersäufen lassen; aber da ich sie mal mir angeeignet hatte, mußte ich sie auch behalten. Und nun sieh, was sie mir gebracht hat – das listige, heuchlerische Frauenzimmer,« fügte er in einem so schneidenden Tone hinzu, daß das Tier den Kopf senkte und die Augen zu ihm emporrichtete, als fühlte es den Vorwurf tief – »und noch dazu an 'nem Sonntag grade vor der Kirche hat sie sich gelegt. Wie oft hab' ich nicht gewünscht, blutdürstig zu sein! dann hätte ich die Alte und ihre Jungen mit einem Strick umgebracht.«

»Es ist mir lieb, daß Sie aus keiner schlimmeren Ursache in der Kirche fehlten,« sagte Adam. »Ich war schon bange, Sie wären zum erstenmal in Ihrem Leben krank. Und grade gestern hätt' ich Sie so besonders gern in der Kirche gesehen.«

»Ach, mein Junge, das glaub' ich, das glaub' ich,« erwiderte Barthel freundlich, ging zu Adam heran und legte ihm die Hand auf die Schulter, an die er mit seinem Kopfe eben hinanreichte. »Du hast es sauer gehabt in den letzten Tagen. Aber ich hoffe, nun kommen bessere Zeiten für dich. Ich hab' dir was neues zu sagen. Aber erst muß ich was essen, ich bin ganz ausgehungert. Setz' dich, setz' dich.«

Barthel ging in seine kleine Vorratskammer und holte ein vorzügliches selbst gebackenes Brot hervor; es war nämlich sein einziger Luxus in diesen teuren Zeiten, einmal täglich Brot statt Gerstenkuchen zu essen, und er rechtfertigte das damit, ein Schulmeister müsse für sein Gehirn sorgen und Gerstenkuchen gehe in die Knochen und nicht ins Gehirn. Dann kam ein Stück Käse und ein Krug Bier mit einer wahren Krone von Schaum darauf. Er stellte alles auf den runden, tannenen Tisch vor den großen Lehnstuhl, der in der Ecke am Kamin, zwischen dem Hundekorb und einem Fenstervorsatz mit Büchern stand. Der Tisch war so reinlich, als wäre Füchschen eine vorzügliche Hausfrau mit einer karrierten Schürze gewesen; ebenso der steinerne Flur und die alten, aus Eichenholz geschnitzten Möbeln, Tisch, Schrank und Stühle, die heutzutage in vornehmen Häusern teuer bezahlt würden, den Schulmeister aber nur ein altes Lied gekostet hatten, waren so frei von Staub, wie es an einem Sommertage nur möglich war.

»Nun, mein Junge, rück näher. Von Geschäften wollen wir erst nach dem Abendbrot sprechen: mit leerem Magen ist kein Mensch verständig. Aber« – hier stand Barthel wieder auf – »Füchschen muß auch ihr Abendbrot haben, hol' sie dieser und jener! Sie thut zwar nichts damit, als ihre überflüssigen Jungen zu ernähren. So sind diese Weiber; einen Kopf haben sie nicht, für den sie zu sorgen brauchen, und darum geht bei ihnen alles ins Fett oder in die Jungen.«

Er holte aus der Vorratskammer eine Schüssel mit allerlei Resten vom Mittag, über die Füchschen sogleich herfiel und sie mit der äußersten Geschwindigkeit aufleckte.

»Ich habe schon Abendbrot gehabt, Herr Massey,« sagte Adam; »ich will zusehen, während Sie essen. Ich bin auf dem Pachthofe gewesen, und da ißt man immer früh Abendbrot wie Sie wissen; man sitzt da nicht so lange auf wie hier im Hause.«

»Ich weiß nicht, wie sie es da halten,« erwiderte Barthel trocken, indem er sich Brot schnitt. »Ich gehe selten hin, obgleich ich die Jungens gern habe und der Pächter selbst ein guter Kerl ist. Mir sind da zu viel Frauenzimmer im Hause; ich hasse das Geräusch von Weiberstimmen; die Weiber summen immer oder quieken, ja, summen immer oder quieken. Frau Poyser stets voran wie eine Pfeife, und die jungen Mädchen – na, das ist mir grade als wenn ich Wasserwürmer ansähe; denn was wird draus? Stechende Mücken, stechende Mücken. Da, trink' etwas Bier, mein Junge; ich hab' es für dich abgezogen, ganz appart für dich.«

»Nein, Herr Massey,« erwiderte Adam, der die Einfälle seines Freundes heute ungewöhnlich ernst nahm, »sein Sie nicht so hart gegen die Geschöpfe, die Gott uns zu Gefährten bestimmt hat. Ein Arbeitsmann wäre übel dran, wenn ihm nicht 'ne Frau das Haus und das Essen besorgte und alles rein und in Ordnung hielte.«

»Unsinn! Es ist die albernste Lüge, die ein verständiger Mann wie du glauben kann, daß eine Frau ein Haus in Ordnung hält. Die Geschichte ist erfunden, weil die Frauen doch mal da sind und zu etwas gut sein müssen. Ich sage dir, es giebt nichts unter der Sonne – nichts wirklich nötiges, was ein Mann nicht besser machen kann als 'ne Frau, außer etwa Kinder kriegen, und auch das machen sie schlecht genug; besser, es wäre den Männern überlassen. Ich sage dir, eine Frau kann ihr ganzes Leben lang jede Woche ihre Pastete backen und sieht doch nie ein, daß es um so rascher geht, je heißer der Ofen ist. Ich sage dir, eine Frau macht dir deine Suppe jeden Tag zwanzig Jahre lang und denkt nie dran, das Verhältnis zwischen Mehl und Milch abzumessen; ein bißchen mehr oder weniger, denkt sie, macht keinen Unterschied, und wenn die Suppe denn mal schlecht wird, wie das oft genug vorkommt, dann liegt's am Mehl, oder es liegt an der Milch, oder es liegt am Wasser. Sieh' mich an! Ich backe mir mein Brot selbst und das ganze Jahr durch ist's immer ein Gebäck; nähme ich aber noch 'ne Frau außer Füchschen ins Haus, so müßte ich bei jedem Backen Gott um Geduld bitten, falls das Brot steif würde und nicht aufginge. Und was Reinlichkeit angeht – mein Haus ist reinlicher als jedes andere im Dorfe, und doch ist mehr als die Hälfte davon mit Frauen reichlich gesegnet. Nachbars kleiner Junge kommt des Morgens zu mir und hilft, und in einer Stunde machen wir so viel rein, wie eine Frau in dreien, und die ganze Zeit schleudert sie einem noch das Wasser eimerweise um die Füße und läßt den Vorsatz vorm Kamin und die Feuerzange und alles mitten im Zimmer stehen, daß man sich die Beine dran zerstößt. Rede mir nicht davon, daß Gott solche Kreaturen uns zu Gefährtinnen bestimmt hat! Daß er Eva im Paradiese dem Adam zur Gefährtin gegeben – meinetwegen! da gab's kein Essen zu verderben und kein andres Weib, mit dem sie hätte schwatzen oder Unheil anrichten können, und was für Unheil sie doch anrichtete, zeigt sich bei der ersten Gelegenheit. Aber es ist ganz gottlos und gegen die Bibel, daß eine Frau ein Segen für den Mann sei; man könnte ebensogut sagen, Nattern und Wespen und Schweine und wilde Tiere seien ein Segen, da sie doch nur Übel sind, die zu unserm jetzigen Prüfungsstande gehören und die sich ein Mann mit Recht so weit wie möglich vom Leibe hält, in der Hoffnung, daß er sie im andern Leben ganz los wird – daß er sie im andern Leben ganz los wird.«

Barthel war bei diesem Ausfall so aufgeregt und ärgerlich geworden, daß er sein Abendbrot ganz vergaß und das Messer nur gebrauchte, um mit dem Heft auf den Tisch zu schlagen; gegen den Schluß seiner Worte waren die Schläge so scharf und häufig und seine Stimme so keifend geworden, daß Füchschen sich verpflichtet fühlte, aus dem Korbe zu springen und zu bellen.

»Stille, Füchschen!« brummte Barthel und wandte sich nach ihr um; »du bist wie die andern Weiber auch – fährst immer dazwischen, ohne zu wissen warum.«

Gedemütigt kehrte Füchschen in ihren Korb zurück, und ihr Herr fuhr mit seinem Abendbrot schweigend fort; Adam unterbrach ihn nicht; er wußte, der alte Mann würde schon in bessere Laune kommen, wenn er sein Abendbrot genossen und sich die Pfeife angezündet hätte. Adam war schon gewohnt, ihn so sprechen zu hören, hatte aber über Barthels vergangenes Leben nie so viel erfahren, um zu wissen, ob seine Ansicht über den Ehestand auf eigner Erfahrung beruhe. Auf diesem Punkte war Barthel stumm; es war sogar ein Geheimnis, wo er vor den zwanzig Jahren gelebt hatte, die er nun schon in dieser Gegend zum großen Glück für die Bauern und Handwerker als ihr einziger Schulmeister verlebte. Auf jede Frage, die man in dieser Beziehung wagte, antwortete Barthel immer: »O, ich bin viel herumgekommen – ich bin viel im Süden gewesen« und die Bauern hätten sich eben so leicht nach 'ner besondern Stadt oder Dorfe in Afrika erkundigt als im Süden.

»Nun, mein Junge,« sagte Barthel endlich, als er sich zum zweitenmale eingeschenkt und seine Pfeife angezündet hatte, »nun wollen wir etwas plaudern. Aber zunächst sag' mir, hast du etwas neues gehört?«

»Nicht, daß ich wüßte,« antwortete Adam.

»Aha, sie halten es geheim, sie halten es geheim, das konnt' ich mir denken. Aber ich hab' es zufällig herausgebracht, und die Neuigkeit betrifft dich, Adam, oder ich kann keinen Quadratfuß von einem Kubikfuß unterscheiden.«

Barthel paffte dabei in derben, schnellen Zügen und sah Adam ernst an. So ein ungeduldiger, gesprächiger Mann wie er, versteht nie seine Pfeife mit leisen, gleichmäßigen Zügen im Gange zu halten; er läßt sie immer fast ausgehen und bestraft sie dann für diese Nachlässigkeit. Endlich sagte er:

»Satchell hat 'nen Schlaganfall gehabt. Ich hab' es aus dem Jungen herausbekommen, der heute schon vor sieben Uhr morgens nach Treddleston zum Doktor mußte. Er ist hoch über sechzig, weißt du, und wird den Anfall nicht leicht überwinden.«

»Nun, sagte Adam, dann wird wohl mehr Freude als Kummer im Kirchspiel sein, wenn's mit ihm zu Ende geht. Er ist immer selbstsüchtig und schadenfroh gewesen und 'n Klatschmaul obendrein, aber am Ende hat er doch keinem so viel Schaden gethan wie dem alten Herrn. Freilich ist der Herr selbst drum zu tadeln; giebt so 'nem dummen Kerl alle Gewalt in die Hände, bloß um die Kosten für einen tüchtigen Rentmeister zu sparen. Und ich wette doch, durch die schlechte Verwaltung der Forsten allein hat er mehr verloren, als ihm zwei Geschäftsführer gekostet hätten. Wenn es mit Satchell zu Ende geht, so kommt hoffentlich ein bessrer Mann an seine Stelle; aber, was mich das angeht, seh' ich doch nicht ein.«

»Aber ich, ich sehe es ein,« entgegnete Barthel, »und andere auch noch. Der Kaptän wird jetzt großjährig – das weißt du so gut wie ich – und 's ist zu erwarten, daß er etwas mehr zu sagen bekommt und ich weiß – und du weißt's ebensogut – wie's der Kaptän mit den Forsten zu halten wünscht, wenn sich eine gute Gelegenheit zu einer Änderung bietet. Er hat vor vielen Leuten gesagt, wenn er die Macht hätte, würde er dir die Verwaltung der Forsten übergeben. Noch vor kurzem hat der Bediente beim Pastor gehört, wie er so zu seinem Herrn gesprochen hat. Als wir am Sonnabend Abend bei Casson unsere Pfeife rauchten, kam der Bediente auch hinzu und erzählte es uns, und wenn einer gut über dich spricht, dann stimmt der Pastor immer bei, darauf kannst du dich verlassen. Wir haben es bei Casson hin und her besprochen, sage ich dir, und einer und der andere wollte dir was anhängen, denn wenn die Esel zu singen anfangen, da kannst du dir wohl denken, was für 'ne Melodie herauskommt.«

»Wie? Habt ihr's in Meister Burge seiner Gegenwart verhandelt, oder war er Sonnabend nicht da?«

»O, er ging weg, ehe der Diener kam, und Casson, der ja immer für andere mitsprechen muß, weißt du, stellte die Meinung auf, Burge sei der rechte Mann für die Verwaltung der Forsten. »Ein angesehener, wohlhabender Mann, sagte er, der beinahe eine sechzigjährige Erfahrung vom Bauholz hat; es wäre recht schön, wenn Adam Bede unter ihm stände, aber es ist nicht anzunehmen, daß der Herr einen jungen Menschen wie Adam anstellt, wenn ältere und bessere Leute dazu da sind.« Aber ich sagte: »Das wär' 'ne schöne Geschichte, Casson. Meister Burge kauft ja Bauholz; wollt Ihr ihm die Forsten in die Hand geben, und mit sich selbst Geschäfte machen lassen? Ihr laßt doch auch nicht Eure Kunden selbst aufschreiben, was sie schuldig sind, nicht wahr? Und was das Alter einer Sache wert ist, das hängt doch davon ab, ob der Stoff selbst was taugt. Wer aber in Meister Burge seinem Geschäft die eigentliche Stütze ist, das weiß ja jedes Kind.«

»Ich danke Ihnen, Herr Massey, daß Sie so freundlich für mich gesprochen haben,« sagte Adam. »Aber trotz alledem hat Casson dies eine Mal nicht ganz Unrecht gehabt. Es ist nicht recht wahrscheinlich, daß der alte Herr mich jemals anstellt; ich habe ihn vor zwei Jahren beleidigt und das hat er mir nie vergeben.«

»Nun, und wie war das? Davon hast du mir nie etwas gesagt,« fragte Barthel.

»O, es war eigentlich Unsinn. Ich hatte einen Rahmen zu einem kleinen Wandschirm für Fräulein Lydia gearbeitet – sie macht ja immer so Stickerei – und sie hatte mir alles besonders vorgeschrieben, und es war so viel geredet und ausgemessen, als gäb's ein ganzes Haus zu bauen. Indes es war ein niedlich Stück Arbeit und ich that es gern für das Fräulein. Aber Sie kennen das ja, Herr Massey, diese kleinen knifflichen Geschichten kosten viel Zeit. Ich arbeitete nur in den Feierstunden daran, oft spät in der Nacht, und mußte manch liebes mal nach Treddleston gehen wegen kleiner Messingnägel und solch Zeug, und ich drechselte die kleinen Knöpfe und die Verzierungen und schnitzte die durchbrochene Arbeit nach einem besondern Muster so niedlich wie was sein konnte, und als es fertig war, gefiel es mir sehr. Ich brachte es dem Fräulein, damit sie mir noch angäbe, wie die Stickerei befestigt werden müßte – eine sehr hübsche Arbeit, Jakob und Rahel, wie sie sich bei der Herde küssen, ein wahres Bild – und der alte Herr saß dabei, wie er meist zu thun pflegt. Nun, ihr gefiel der Rahmen auch sehr und sie fragte mich, was sie mir dafür schuldig sei. Ich forderte nun nicht aufs Geratewohl, das ist nicht meine Art, wissen Sie; ich hatte es sehr genau berechnet und verlangte ein Pfund dreizehn Schilling. Das war nämlich für das Material und auch für meine Arbeit, und war gewiß nicht zu viel. Da sah der alte Herr groß auf, betrachtete sich so nach seiner Art den Rahmen und sagte: »ein Pfund dreizehn Schilling für so 'ne Spielerei wie das! Liebe Lydia, wenn du mal Geld für so was ausgeben willst, warum kaufst du's nicht in Rosseter, statt daß du hier für plumpe Arbeit doppelt so viel bezahlst? Das ist keine Arbeit für einen Zimmermann; gieb ihm ein Pfund und nicht mehr.« Das Fräulein glaubte natürlich, was er ihr sagte, und sie kann sich auch nicht recht von ihrem Gelde trennen – im Grunde ist sie so schlimm nicht, aber er hat sie unter der Fuchtel gehabt – und nun zerrte sie an ihrer Börse herum und wurde so rot wie ihr Band. Aber ich machte eine Verbeugung und sagte: »nein, Fräulein, ich danke Ihnen; ich will Ihnen den Rahmen verehren, wenn Sie mir erlauben. Ich habe für meine Arbeit den gewöhnlichen Preis gefordert und ich weiß, daß sie gut gemacht ist, und so 'nen Rahmen wie den kaufen Sie – ich bitte Se. Ehren um Entschuldigung – in Rosseter nicht unter zwei Pfund. Ich will Ihnen gern meine Arbeit geben; ich habe sie ganz in meinen Freistunden gemacht, und kein andrer hat was dabei zu sagen als ich; aber wenn Sie mich dafür bezahlen, so kann ich nicht weniger nehmen als ich gefordert habe; das hieße ja, ich hätte mehr gefordert als recht war. Entschuldigen Sie, Fräulein; ich wünsche Ihnen einen guten Morgen.« Ich verbeugte mich und war zur Thür hinaus, ehe sie noch was erwidern konnte; sie stand da mit ihrer Börse in der Hand und sah recht einfältig aus. Ich wollte nichts gegen den Respekt sagen, und sprach so höflich wie ich konnte. Aber wenn mir jemand nachsagen will, ich wollte ihn übervorteilen, das kann ich mir nicht gefallen lassen. Und am Abend brachte mir der Bediente richtig mein Pfund und die dreizehn Schilling in Papier gewickelt. Aber von der Zeit an habe ich deutlich gemerkt, daß mich der alte Herr nicht leiden kann.«

»Sehr wahrscheinlich, sehr wahrscheinlich,« bemerkte Barthel nachdenklich. »Man kann ihn nur herumbringen, wenn man ihm zeigt, was am meisten in seinem eigenen Interesse ist, und das muß der Kaptän thun – das muß der Kaptän thun.«

»Ich weiß doch nicht,« sagte Adam; »der alte Herr ist schlau genug, aber es muß noch was anderes da sein als Schlauheit, wenn Leute begreifen sollen, was am letzten Ende ihr wirkliches Interesse ist. Sie müssen ein Gewissen haben und den Glauben an Recht und Unrecht, das ist mir unzweifelhaft. Daß der alte Herr glauben sollte, er würde auf dem graden Wege ebensoviel Vorteil haben wie durch Kniffe und Schliche – dazu ist er in seinem Leben nicht zu bringen. Überdies, ich habe nicht viel Lust, in seinen Dienst zu treten; ich mag mich mit keinem vornehmen Herrn zanken, am wenigsten mit einem alten Herrn über achtzig, und sicher würden wir uns nicht lange vertragen. Wär' der Kaptän erst Herr, dann wär's was andres; er hat ein Gewissen und den rechten Willen, und für ihn arbeitete ich lieber als für jeden andern.«

»Nun, nun, mein Junge; wenn das Glück an deine Thür klopft, steck' nicht den Kopf zum Fenster hinaus und heiß' es seiner Wege gehn, das rat' ich dir. Im Leben giebt's auch Grades und Ungrades, so gut wie bei den Zahlen, und damit muß man sich auch befassen lernen. Ich sage dir jetzt, was ich dir vor zehn Jahren gesagt habe, als du den kleinen Michel, weil er dir einen schlechten Schilling anhängen wollte, so durchprügeltest, ehe du noch wußtest, ob er spaßte oder Ernst machte – ich sage dir, du bist sehr vorschnell und stolz und leicht aufsässig gegen Leute, die dir nicht in den Kram passen. Wenn ich ein bißchen wild und steifnäckig bin, das schadet nichts; ich bin ein alter Schulmeister und verlange nie höher zu steigen. Aber was soll es nutzen, daß ich all die schöne Zeit verwendet habe um dich schreiben und zeichnen und messen zu lehren, wenn du nicht vorwärts kommst in der Welt und den Leuten zeigst, daß es wirklich seinen Vorteil hat, wenn man einen Kopf auf der Schulter hat und keine Rübe? Denkst du wirklich bei allem, was sich dir bietet, die Nase hoch zu halten, weil es vielleicht einen Geruch hat, den keiner herausriecht als du selbst? Das ist grade solche Thorheit wie die, daß eine Frau einem Arbeiter das Leben behaglich macht. Dummes Zeug und Unsinn! Barer, blanker Unsinn! Überlaß das Narren, die niemals über das einfache Addieren hinauskommen. Ja wahrhaftig, einfaches Addieren! Ein Narr und noch ein Narr, und in sechs Jahren sind es sechs Narren mehr – das ist immer dieselbe Geschichte; groß oder klein, das ist dabei einerlei.«

Während dieser etwas hitzigen Ermahnung zur Kälte und Mäßigung war ihm die Pfeife ausgegangen und Barthel setzte seiner Rede die Krone auf, indem er ein Zündholz wütend am Kaminfeuer ansteckte; dann paffte er wieder ganz ingrimmig und hielt seine Augen immer fest auf Adam gerichtet, welcher sich alle Mühe gab, nicht zu lachen.

»Das ist recht verständig, was Sie da sagen, Herr Massey,« erwiderte Adam, sobald er sich ganz ernst fühlte, – »so verständig wie Sie immer sprechen. Aber Sie werden doch zugeben, daß es mir nicht zukommt, auf Möglichkeiten zu bauen, die vielleicht nie eintreten. Was ich zu thun habe, ist, so gut ich kann mit meinem Handwerkszeug und meinem Material zu arbeiten. Kommt mir mal eine gute Gelegenheit, so werde ich an Ihre Worte denken; aber bis dahin kann ich nichts thun, als mich auf meine Hände und meinen Kopf zu verlassen. Ich trage mich mit einem kleinen Plan für Seth und mich herum, daß wir auf eigne Hand etwas feine Tischlerarbeit machen und uns so etwas beiher verdienen. Aber es ist schon spät geworden; es wird ziemlich elf Uhr ehe ich nach Hause komme und Mutter liegt vielleicht wach im Bett; sie ist jetzt unruhiger als sonst. Gute Nacht also, Herr Massey.«

»Gut denn; ich bringe dich ans Thor, es ist 'ne schöne Nacht,« sagte Barthel und nahm seinen Stock. Füchschen war sofort wieder auf den Beinen und die drei gingen hinaus in die Sternennacht, bei Barthels Kartoffelbeeten vorbei an das kleine Pförtchen.

»Komm Freitag Abend in die Singstunde, wenn du kannst, mein Junge,« sagte der alte Mann, indem er die Thür hinter Adam schloß und daran gelehnt stehen blieb.

»Gewiß, wenn ich kann,« antwortete Adam und schritt auf dem blaßschimmernden Wege dahin. Er war das einzige, was sich auf der großen Fläche bewegte. Die beiden grauen Esel, grade vor den Ginsterbüschen eben sichtbar, standen so still, daß sie aussahen wie aus Sandstein gehauen – so still wie das graue Strohdach der Lehmhütte nicht weit davon. Barthel behielt die wandernde Gestalt im Auge, bis sie in der Dunkelheit verschwand, während Füchschen schon zweimal ins Haus zurückgelaufen war, um ihre Jungen zu belecken.

»Ja, ja,« brummte der Schulmeister, als Adam verschwand, »da gehst du mit deinen großen Schritten; aber du wärest nicht was du bist, wenn du nicht ein Stück von dem alten, lahmen Barthel in dir hättest. Auch das stärkste Kalb muß was zu saugen haben. Da ist mancher große plumpe Kerl, der wüßte nichts vom ABC, wenn Barthel Massey nicht wäre. Nun, nun, Füchschen, du närrisch Tier, was giebt's, was giebt's? Ich soll hineingehen? Ja so, ich darf nicht mehr meinen eigenen Willen haben. Und diese Jungen, was meinst du, daß ich damit anfange, wenn sie erst doppelt so groß sind wie du? – ich weiß ja doch, der große Köter hier nebenan ist Vater dazu, nicht wahr, du kleine schlaue Hexe?« – Füchschen kniff den Schwanz zwischen die Beine und lief rasch ins Haus; das hieß auch Dinge berühren, die ein wohlerzogenes Frauenzimmer überhören muß.

»Aber was hilft es, mit einer Frau zu sprechen, die kleine Kinder hat?« fuhr Barthel fort; »sie hat kein Gewissen, kein Gewissen, es ist alles in die Milch gegangen.«


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