George Eliot
Adam Bede - Erster Band
George Eliot

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Drittes Buch

Zweiundzwanzigster Abschnitt

Der Anfang des Festes

Der dreißigste Juli war gekommen, einer von den halb Dutzend warmen Tagen, die es bisweilen mitten in einem regnichten, englischen Sommer giebt. Die letzten drei oder vier Tage war kein Regen gefallen, und das Wetter war vollkommen schön: auf den dunkelgrünen Hecken und den wilden Kamillen, die am Wege wuchsen, lag weniger Staub als gewöhnlich; doch war das Gras trocken genug, daß sich die Kinder drin wälzen konnten, und keine Wolke war zu sehen, als ein langer Zug heller, zarter Schäfchen hoch, hoch oben am fernen Himmel. Vollkommenes Wetter für einen Festtag im Freien, aber gewiß nicht die beste Jahreszeit für einen Geburtstag. Die Natur scheint grade eine heiße Pause zu machen; die schönsten Blumen sind alle dahin; die süße Zeit des ersten Wachsens und der unbestimmten Hoffnung ist vorbei, und die Erntezeit ist noch nicht wieder da, und man ängstigt sich vor den Gewittern, welche vielleicht die kostbare Frucht im Augenblick der Reife zerstören. Die Wälder sind alle ein dunkles, einförmiges Grün; die schwer beladnen Heuwagen knarren nicht mehr langsam über die Feldwege und verstreuen im Fahren süßduftende Büschel auf die Brombeersträuche; die Wiesen sind oft ein wenig gelblich, aber das Korn hat noch nicht seinen letzten rotgoldnen Glanz. Die Lämmer und Kälber haben ihre unschuldige, muntere Zierlichkeit schon ganz verloren und sind dumme, junge Schafe und Kühe geworden. Aber der Landwirt kann sich ausruhen in dieser Pause zwischen Heu- und Kornernte, und darum meinten die Bauern und Arbeiter in Hayslope und Broxton, es sei recht gut von dem Kaptän, daß er grade jetzt großjährig werde, wo sie sich ganz ungeteilt dem großen Faß Bier hingeben könnten, welches den Herbst nach der Geburt des Erben gebraut war und an seinem einundzwanzigsten Geburtstage ausgeschenkt werden sollte. Schon früh am Morgen hatten die Kirchenglocken lustig geläutet, und jeder beeilte sich, mit der nötigsten Arbeit vor Mittag fertig zu werden, wo man sich dann ankleiden müsse, aufs Schloß zu gehen.

Die Mittagssonne strömte in Hettys Schlafkammer, und kein Vorhang milderte den heißen Schein auf ihrem Kopfe, als sie sich in dem alten, fleckigen Spiegel besah. Doch war das der einzige Spiegel, in welchem sie Hals und Arme sehen konnte; in dem kleinen Wandspiegel, den sie aus Dinas früherer Schlafkammer nebenan geholt hatte, konnte sie sich nur bis ans Kinn sehen und bis an die hübsche Stelle ihres Halses, wo die Rundung der Wangen in eine andere Rundung überging, welche von dunkeln zarten Locken überschattet wurde. Und heute grade kam es ihr mehr auf Hals und Arme an als sonst; denn abends beim Tanzen wollte sie kein Halstuch tragen, und ihr weißes Kleid mit den roten Punkten hatte sie sich den Tag vorher so zurecht gemacht, daß sie die Ärmel lang oder kurz tragen konnte. Sie war schon jetzt so gekleidet, wie sie am Abend sein wollte, und trug ein Vorhemdchen von wirklichen Spitzen, welches die Tante ihr für diesen höchsten Festtag geliehen hatte. Aber gar keinen Schmuck; selbst die kleinen runden Ohrringe, die sie täglich trug, hatte sie abgelegt. Indes hatte sie offenbar noch etwas anderes vor, ehe sie das Halstuch und die langen Ärmel anlegte, die sie bis zum Abend tragen wollte; denn nun öffnete sie den Auszug, der ihre geheimen Schätze enthielt. Es ist länger als einen Monat her, daß wir sie diesen Auszug öffnen sahen, und jetzt enthält er neue Schätze, so viel kostbarer als die alten, daß diese hinten in der Ecke liegen müssen. Die großen Ohrringe von farbigem Glas reizten Hetty jetzt nicht mehr; sie hatte ein viel schöneres, goldenes Paar mit Perlen und Granaten in einem kleinen hübschen, mit weißer Seide gefütterten Etui. Welch eine Freude, das kleine Kästchen heraus zu nehmen und die Ohrringe zu besehen! Philosophiere nicht darüber, lieber Leser; sag' nicht, Hetty, die so hübsch war, müsse gewußt haben, daß es gar nichts ausmache, ob sie Schmucksachen trüge oder nicht, und zudem könne es ihr kaum ein Genuß gewesen sein, sich Ohrringe anzusehen, die sie nur in ihrer Schlafkammer tragen durfte; denn das Wesen der Eitelkeit liege grade in der Beziehung auf die Eindrücke, die man auf andere mache; – Leser, so lange du so verständig theoretisierst, wirst du nie die Weiber verstehen. Versuche lieber, dich all deiner theoretischen Vorurteile zu entschlagen, als wolltest du die Psychologie eines Kanarienvogels studieren, und sieh' dir nur die Bewegungen dieses hübschen, runden Dinges an, wie sie, mit einem unbewußten Lächeln auf die Ohrringe in dem kleinen Kästchen, ihr Köpfchen seitwärts neigt. Du glaubst, das Lächeln gilt dem, der sie gegeben hat, und ihre Gedanken weilen bei jenem Augenblicke, wo er sie ihr in die Hand gab –?! Nein, warum hätte sie sonst die Ohrringe lieber genommen als was anderes? Und ich weiß bestimmt, daß sie vor allem andern Schmuck Ohrringe zu haben wünschte.

»Die lieben kleinen Öhrchen!« hatte Arthur eines Abends gesagt und dabei leise hineingekniffen. Hetty saß neben ihm im Grase und hatte ihren Hut abgelegt. »Ich wollte, ich hätte ein Paar hübsche Ohrringe!« fuhr sie heraus, noch ehe sie wußte, was sie sagte; aber der Wunsch lag ihr so auf der Zunge, daß er mit dem leisesten Atem über die Lippe flog. Und am folgenden Tage – es war erst vorige Woche gewesen – war Arthur nach Rosseter hinübergeritten und hatte ein Paar gekauft. Der kleine Wunsch, den sie so naiv geäußert hatte, schien ihm so reizend kindlich; so etwas hatte er noch nie gehört, und er wickelte das kleine Etui viele Male in Papier, damit er es Hetty mit wachsender Neugier loswickeln sähe, bis endlich ihre Augen ihr neues Entzücken in seine zurückstrahlten.

Nein, sie denkt nicht zumeist an den Geber, als sie die Ohrringe anlächelt; denn jetzt nimmt sie sie aus dem Kästchen, nicht um sie an die Lippen zu pressen, sondern sie im Ohr zu befestigen – nur für einen Augenblick will sie sehen, wie hübsch sie sind und sie guckt sie in dem Spiegel an, indem sie das Köpfchen erst dahin, dann dorthin wendet, grade wie ein Vögelchen, welches aufhorcht. Wenn man das Mädchen ansieht, dann soll einer verständig bleiben in Sachen der Ohrringe; wofür wären denn diese zarten Perlen und Steine da, wenn nicht für solche Ohren? Selbst gegen das kleine, runde Loch kann man nichts haben, welches sie im Ohrläppchen machen; vielleicht haben Wassernixen und dergleichen liebliche Wesen ohne Seelen diese kleinen runden Löcher von Natur in den Ohren, um gleich Juwelen hineinhängen zu können. Und Hetty muß so ein Wesen sein; es ist zu schmerzlich zu denken, daß sie ein Weib ist und das Schicksal des Weibes ihr bevorsteht, daß sie sich in jugendlicher Unwissenheit ein leichtes Gewebe von thörichten, eitlen Hoffnungen webt, welches sie vielleicht einst umgarnt und unterdrückt, ein vergiftetes, tückisches Gewand, das plötzlich all ihre flatternden, leichtfertigen Empfindungen in ein Leben voll tiefen Jammers umwandelt.

Aber nicht lange kann sie die Ohrringe anbehalten, Onkel und Tante möchten sonst warten; sie legt sie schnell wieder in das Etui und schließt es ein. In Zukunft wird sie mal alle Ohrringe tragen dürfen, welche sie will, und schon jetzt lebt sie in einer unsichtbaren Welt von glänzenden Kleidern, schimmernder Gaze, glatter Seide und weichem Samt, alles wie's ihr die Kammerjungfer auf dem Schloß in Fräulein Lydias Ankleidezimmer gezeigt hat; sie fühlt die Armbänder an ihrem Arm und tritt auf einem weichen Teppich vor einen großen Spiegel. Aber etwas hat sie in dem Auszug, was sie heute wagen kann zu tragen, weil sie es an das Halsband von dunkelbraunen Beeren hängen kann, welches sie an großen Festtagen immer trägt, und die braunen Beeren muß sie anlegen; ihr Hals sähe sonst zu kahl aus. Es war ein hübsches kleines Medaillon mit Email-Blumen auf der Rückseite und einem schönen goldnen Rande vorne um das Glas, welches zwei kleine, dunkle Ringel und dahinter eine hellbraune, leicht gekräuselte Locke sehen ließ. Hetty mochte das Medaillon nicht ganz so gern leiden als die Ohrringe, aber sie konnte es unter ihren Kleidern tragen, wo es keiner sah. Indes hatte Hetty noch eine andre Leidenschaft, die nur etwas schwächer war als ihre Putzsucht, und wegen dieser andern Leidenschaft trug sie das Medaillon gern, selbst in ihrem Busen versteckt. Sie hätte es immer getragen, wenn sie nicht die Fragen ihrer Tante gescheut hätte, weshalb sie ein Band um den Hals trüge. Heute schlang sie die Kette von dunkelbraunen Beeren hindurch und machte sich das Halsband um. Es war nicht sehr lang, und das Medaillon hing nur ein klein wenig in ihren Busen unter das Kleid hinab. Und nun brauchte sie nur noch ihre langen Ärmel anzuziehen, ihr neues, weißes Flortuch um den Hals zu legen und den Strohhut aufzusetzen, der heute weiß eingefaßt war, weil der Rosabesatz in der Julisonne etwas gelitten hatte. Dieser Hut war heute in Hettys Freudenkelch der bittere Tropfen; er war nicht ganz neu, gegen das weiße Band gesehen ein wenig bräunlich, und das würde jeder bemerken, fürchtete sie, während Marie Burge gewiß einen ganz neuen Hut aufhätte. Um sich zu trösten, sah sie ihre feinen weißen baumwollenen Strümpfe an; sie waren wirklich sehr nett, und sie hatte fast all ihr Taschengeld dafür ausgegeben. Hettys Zukunftstraum machte sie nicht gleichgiltig gegen einen Triumph in der Gegenwart; Kapitän Donnithorne freilich liebte sie so, daß er andere Leute gewiß gar nicht ansehen würde, aber diese andern Leute wußten nicht, wie lieb er sie hatte, und in ihren Augen wollte sie selbst für eine kurze Zeit nicht schäbig und unbedeutend aussehen.

Als Hetty hinunterkam, war die ganze Gesellschaft schon auf dem Flur versammelt, alle natürlich in ihren Sonntagskleidern, und die Glocken hatten den ganzen Morgen zu Ehren des jungen Herrn so geläutet und alle Arbeit war so früh geschehen, daß Martinchen und Thoms doch etwas unruhig wurden, ob es nicht bloß zur Kirche ginge, bis ihre Mutter sie versicherte, das gehöre nicht zu den Festlichkeiten des heutigen Tages. Pachter Poyser hatte gemeint, man brauche das Haus nur zuzuschließen und könne es sich selbst überlassen; es sei keine Gefahr, hatte er gesagt, daß jemand einbreche, denn alle Welt werde im Schlosse sein, Diebe und alles. »Wenn wir das Haus zuschließen,« meinte er, »dann können die Leute auch alle hingehen; so 'nen Tag bekommen sie ihr Lebelang nicht noch mal zu sehen.« Aber Frau Poyser antwortete mit großer Entschiedenheit: »ich habe nie das Haus allein gelassen, seitdem ich verheiratet bin, und werde es auch nie thun. Es hat schlechtes Gesindel genug die letzte Woche her um den Hof herumgelungert, die uns jeden Schinken und jeden Löffel wegtragen könnten, und all das schlechte Volk hängt immer zusammen, und wir können noch von Glück sagen, daß sie nicht schon mal hergekommen sind und die Hunde vergiftet haben und uns alle im Bett umgebracht, ehe wir's merkten, so Freitag Nacht, wenn wir das Geld zum Wochenlohn für die Leute im Hause haben. Und sicher wissen die Vagabonden grade so gut wo wir hingehen, wie wir selbst; wenn der Böse etwas vorhat, dann findet er gewiß die Mittel.«

»Uns im Bette umbringen?! Unsinn!« rief der Mann, »ich habe doch meine Flinte in unserer Kammer, sollte ich meinen, und du hast Ohren, die es gleich hören, wenn eine Maus am Speck knabbert. Aber wenn es dich beunruhigt, dann kann lieber Alick zuerst zu Hause bleiben und Gottlieb nachher um fünf Uhr nach Hause gehen, damit Alick doch auch etwas vom Feste hat. Sie können auch die Hunde loslassen, wenn's zum schlimmsten käme.«

Diesen Vorschlag zur Güte nahm Frau Poyser an, hielt es aber doch für geraten, alles nach Kräften zu verschließen und zu verriegeln, und jetzt im letzten Augenblick vor dem Aufbruch verschloß Nanny die Läden im Flur, obgleich grade hier, unmittelbar unter den Augen Alicks und seiner Hunde, ein Einbruch am allerwenigsten zu erwarten war.

Der bedeckte Karren ohne Federn stand bereit, die ganze Familie ohne die Knechte aufzunehmen. Der Pachter und sein Vater saßen auf dem vordersten Sitz, und drinnen war Platz für alle Frauen und Kinder; je voller der Karren, desto besser: man fühlte dann das Stoßen des Wagens weniger, und die breite Nanny mit ihren dicken Armen war ein vorzügliches Kissen, um drauf zu fallen. Aber der Pachter fuhr nur im langsamen Schritt, damit der Wagen an dem warmen Tage so wenig wie möglich stieße, und so konnte man bequem Grüße und Bemerkungen mit den Fußgängern austauschen, die desselben Weges gingen und zwischen den grünen Wiesen und den goldnen Kornfeldern wie bewegliche Farbenflecke aussahen, hier eine ganz rote Weste, genau von der Farbe der Mohnrosen, die etwas zu dick im Korn standen, dort ein dunkelblaues Halstuch, dessen Zipfel über einen funkelnagelneuen, weißen Kittel hinwehten. Ganz Broxton und ganz Hayslope sollte auf das Schloß kommen und da zur Feier des Erben lustig sein, und die alten Männer und Frauen, welche die letzten zwanzig Jahre nie mehr so weit den Hügel hinabgekommen waren, wurden auf den Vorschlag des Pastors von Broxton und Hayslope auf einem besonderen Leiterwagen hergefahren. Die Kirchenglocken läuteten wieder, zum letztenmal ehe die Leute, welche sie in Bewegung setzten, den Hügel hinabkamen, um auch an dem Feste teilzunehmen, und ehe die Glocken noch verklungen waren, hörte man andere Musik herankommen, so daß selbst der alte Braune vor Poysers Wagen das Ohr spitzte. Es war die Musikbande des Wohlthätigkeitsklubs, der in aller Pracht aufzog, in hellblauen Schärpen nämlich und mit blauen Bandschleifen und mit seiner großen Fahne, auf der ein Steinbruch abgebildet war mit der Umschrift: »Bruderliebe walte immer.«

Die Karren durften natürlich nicht in den Park; alle mußten an den Eingangspforten aussteigen und das Gefährt zurückschicken.

»Wirklich, der Park sieht schon aus wie ein Jahrmarkt,« sagte Frau Poyser, als sie vom Karren abgestiegen war und die Leute haufenweise unter den großen Eichen zerstreut sah, während die Jungen im heißen Sonnenschein umherliefen, um sich die hohen Kletterstangen anzusehen mit den flatternden Kleidungsstücken oben daran, den Preisen für die glücklichen Sieger. »Ich hätte nicht gedacht, daß es in den beiden Dörfern so viel Leute gäbe. Himmel, wie heiß ist's in der Sonne! Totty, komm hier in den Schatten, oder du verbrennst dir dein kleines Gesicht über und über. Sie hätten das Essen auf dem offenen Platze da kochen können und das Feuer sparen. Ich muß ein bißchen in Frau Best ihr Zimmer gehen und mich ausruhen.«

»Wart' noch ein bißchen, warte doch noch,« sagte ihr Mann; »da kommt der Wagen mit den alten Leuten; wenn die absteigen und alle zusammen hineingehen, so was sieht man nicht wieder. Ihr habt wohl noch welche davon in jungen Jahren gekannt, he, Vater?«

»Ja, ja,« antwortete der alte Großvater und stellte sich langsam in den Schatten der Portierwohnung, von wo er die Alten absteigen sehen konnte. »Ich weiß noch, wie Jakob Taft zwanzig Stunden hinter den schottischen Rebellen hermarschierte, als sie von Stoniton umkehrten.«

Er fühlte sich selbst ganz jung, als er den Patriarchen von Hayslope, den alten Vater Taft, vom Wagen steigen und in seiner braunen Nachtmütze und auf zwei Stöcke gestützt auf sich zukommen sah.

»Nun, Meister Taft,« rief er mit äußerster Kraftanstrengung – denn obschon er wußte, der alte Mann sei stocktaub, hielt er es doch für schicklich, ihn anzusprechen – »nun, Ihr haltet Euch noch gut; Ihr könnt Euch heut amüsieren, trotz Eurer neunzig und drüber.«

»Guten Tag, Meisters, guten Tag,« antwortete Vater Taft mit zitternder Stimme, da er die Leute um sich her bemerkte.

Von ihren Söhnen oder Töchtern geführt, die selbst schon alt und grau waren, gingen diese Greise auf dem Fahrwege nach dem Hause, wo ein besondrer Tisch für sie bereit stand; Poysers dagegen nahmen verständig ihren Weg über das Gras und ließen sich im Schatten der großen Bäume nieder, wo sie zugleich die Vorderseite des Hauses mit dem sanft geneigten Rasenplatze und den Blumenbeeten davor, so wie das hübsche gestreifte Zelt am Rande des Rasens überblickten, an welches sich im rechten Winkel zwei größere Zelte auf beiden Seiten der offenen Lichtung anschlossen, wo nachher die Spiele gehalten werden sollten. Das Haus war eigentlich nur ein einfaches Viereck aus der Zeit der Königin Anna, aber an einer Seite war es an das Überbleibsel einer alten Abtei angebaut, wie sich wohl ein neues Bauernhaus hoch und stattlich neben alten und niedrigen Wirtschaftsgebäuden erhebt. Der schöne, alte Bau lag ein wenig zurück und im Schatten hoher Buchen, aber die Sonne stand jetzt auf der höheren und vorspringenden Front, alle Vorhänge waren heruntergelassen und das Haus schien am heißen Mittag zu schlafen. Der Anblick machte Hetty ganz traurig: Arthur war gewiß in einem der Hinterzimmer bei der vornehmen Gesellschaft und erfuhr vielleicht gar nicht, daß sie da sei, und es würde lange, lange dauern, ehe sie ihn zu sehen bekäme, – wohl bis nach Tisch, wo er den Pächtern eine Rede halten sollte, wie es hieß.

Aber Hetty hatte mit ihrer Vermutung nur zum Teil recht. Es war gar keine vornehme Gesellschaft da, nur Irwines, die schon früh im Wagen geholt waren; und Arthur war in jenem Augenblick nicht in einem Hinterzimmer, sondern ging mit dem Pastor in die großen Kreuzgänge der alten Abtei, wo für alle kleinen Leute vom Gute und für die Dienstboten der Bauern lange Tafeln gedeckt waren. Ein recht hübscher, junger Britte war er heute, in bester Stimmung und sein hellblauer Frack nach der besten Mode; den Arm trug er nicht mehr in der Binde. Und wie offenherzig und aufrichtig sah er aus! aber offenherzige Leute haben ihre Geheimnisse, und Geheimnisse hinterlassen auf jungen Gesichtern keine Spuren.

»Wahrhaftig,« sagte er, als sie in den kühlen Kreuzgang traten, »die kleinen Leute haben es am besten; dieser Kreuzgang ist an so einem heißen Tage ein köstliches Eßzimmer. Das war ein vorzüglicher Rat von Ihnen, Irwine, daß das Essen so ordentlich und behaglich als möglich sein sollte und nur für die Gutsleute, zumal ich doch nur über eine kleine Summe verfügen konnte; denn wenn mein Großvater auch davon sprach, mir freie Hand zu lassen, – als es zum Klappen kam, konnte er sich doch nicht dazu entschließen.«

»Lassen Sie das gut sein, Arthur,« erwiderte Irwine; »mit dieser Einfachheit werden Sie den Leuten mehr Vergnügen machen. Man verwechselt bei solchen Gelegenheiten beständig Gastfreiheit mit Lärm und Unordnung. Es klingt sehr großartig, so und so viele Schafe und Ochsen wurden ganz gebraten und jeder konnte mitessen, der grade kam, aber am Ende kommt's gewöhnlich heraus, daß keiner ein genießbares Essen gehabt hat. Wenn die Leute mittags ein gutes Essen und eine leidliche Quantität Bier bekommen, dann haben sie nachher, wenn es kühler wird, noch Freude am Spiel. Daß gegen Abend mancher etwas über den Durst trinkt, kann man nie verhindern, aber Trunkenheit und Dunkelheit passen besser zusammen als Trunkenheit und Tageslicht.«

»Nun, ich hoffe, so schlimm wird's nicht werden. Den Leuten von Treddleston gebe ich ein besonderes Fest in der Stadt, so bleiben sie uns hier vom Halse, und Casson und Adam Bede und noch einige zuverlässige Leute werden nachher beim Bierausschenken aufpassen, daß alles in Ordnung abgeht. Aber kommen Sie, lassen Sie uns jetzt hinaufgehen und uns die Tische für die Pächter ansehen.«

Sie gingen die steinerne Treppe hinauf, welche in die lange Galerie über dem Kreuzgang führte, wohin seit hundert Jahren alle staubigen, wertlosen, alten Bilder verbannt waren – modrige Porträts der Königin Elisabeth und ihrer Hofdamen, General Monk mit einem ausgeschlagenen Auge, Daniel in der Löwengrube – kaum sichtbar, und Julius Cäsar zu Pferde mit einer großen Nase und einem Lorbeerkranze, seine Schriften in der Hand.

»Wie vortrefflich, daß dieses Stück der alten Abtei erhalten ist!« sagte Arthur. »Wenn ich erst Herr im Hause bin, dann lasse ich die Galerie prächtig restaurieren; wir haben kein Zimmer im Hause, das nur ein Drittel so groß wäre wie dies. Der zweite Tisch ist für die Pachterfrauen und die Kinder. Frau Best meinte, die Mutter und Kinder säßen am liebsten unter sich. Die Kinder mußte ich hier haben, es sollte recht ein Familienfest sein. Für diese kleinen Jungen und Mädchen werde ich mal der alte Herr sein, und sie werden ihren Kindern sagen, wie viel hübscher ich als junger Mensch gewesen sei, als mein eigner Sohn. Unten ist auch ein Tisch für die Frauen und Kinder. Aber Sie werden sie nachher alle sehen; Sie gehen doch hoffentlich nach Tisch mit mir hinauf?«

»Ja gewiß,« erwiderte der Pastor; »ich werde ihre Jungfernrede nicht versäumen.«

»Und es giebt noch etwas, was Sie gern hören werden,« sagte Arthur. »Kommen Sie mit in die Bibliothek und ich will Ihnen alles erzählen, während Großvater noch bei den Damen ist. Es wird Sie überraschen,« fuhr er fort, indem sie sich niedersetzten. »Großvater hat endlich nachgegeben.«

»Was? Wegen Adams?«

»Ja; ich wäre schon zu Ihnen hinübergeritten und hätt's Ihnen erzählt, aber ich hatte zuviel zu thun. Sie erinnern sich doch, daß ich es ganz aufgegeben hatte, über die Sache mit ihm zu reden; ich hielt sie für hoffnungslos; aber gestern morgen ließ er mich auf sein Zimmer kommen und eröffnete mir zu meiner großen Überraschung, daß er sich wegen der neuen Einrichtungen entschieden habe, die wegen Satchells Arbeitsunfähigkeit getroffen werden müßten; er wolle Adam als Forstaufseher anstellen mit einem Pfund Gehalt die Woche, und ein Pony sollte ihm hier bei uns gehalten werden. Ich glaube indes, das Rätsel ist nicht schwer zu lösen; er sah von Anfang an, der Plan sei vorteilhaft, aber er hatte erst eine besondere Abneigung gegen Adam zu überwinden, und überdies, wenn ich etwas vorschlage, so ist das gewöhnlich für ihn Grund genug, es zu verwerfen. Großvater ist voll seltsamer Widersprüche: ich weiß, er wird mir all sein Geld hinterlassen, was er gespart hat, und es soll mich gar nicht wundern, wenn er die arme Tante Lydia, die er ihr Lebelang tyrannysiert hat, mit fünfhundert Pfund jährlich abfindet, nur um mir desto mehr geben zu können, und doch kommt's mir bisweilen so vor, als wenn er mich förmlich haßt, weil ich sein Erbe bin. Ich glaube, wenn ich den Hals bräche, so hielte er das für das größte Unglück, was ihn treffen könnte, und doch scheint's ihm eine Lust, mir das Leben zu einer Reihe von kleinlichen Widerwärtigkeiten zu machen.«

»Ach, mein Junge, nicht bloß Frauenliebe ist lieblose Liebe, wie Äschylus es nennt. Auch bei Männern giebt's viel lieblose Liebe auf der Welt. Aber erzählen Sie mir doch von Adam. Hat er die Stelle angenommen? Sie wird ihm zwar, soviel ich sehe, nicht viel mehr einbringen, als er jetzt verdient, aber er behält doch gewiß viel freie Zeit für sich.«

»Ja, mir war's auch zweifelhaft, als ich mit ihm drüber sprach und zuerst wollte er nicht recht dran. Er wandte ein, er fürchte meinen Großvater nicht befriedigen zu können. Aber ich erbat es mir als eine persönliche Gunst, er möge sich durch keine Gründe abhalten lassen, die Stelle anzunehmen, vorausgesetzt nämlich, daß er wirklich die Beschäftigung gern habe und nicht etwas vorteilhafteres aufgäbe. Und er versicherte mich, es wäre ihm die liebste Beschäftigung, und auch in anderer Beziehung brächte es ihn einen guten Schritt weiter; er würde dann den langgehegten Wunsch erfüllen können, Meister Burge zu kündigen. Er sagte auch, er würde reichlich Zeit haben, ein kleines Geschäft für sich selbst daneben zu führen, welches er mit Seth betreiben will und vielleicht allmählich auszudehnen denkt. So hat er denn endlich eingewilligt und heute soll er mit den großen Pächtern zusammen essen; ich will dann seine Anstellung ankündigen, und die Leute sollen mit mir auf Adams Gesundheit trinken. Das ist 'ne kleine Scene, die ich zu Ehren meines Freundes Adam aufführe. Er ist ein tüchtiger Kerl, und ich will bei dieser Gelegenheit gern den Leuten zeigen, daß ich ihn dafür halte.«

»Eine Scene,« sagte der Pastor lächelnd, »worin Freund Arthur auch eine hübsche Rolle zu spielen denkt.« Aber als er Arthur erröten sah, fuhr er milder fort: »Meine Rolle, das wissen Sie ja, ist immer die eines alten Brummbären, der an jungen Leuten nichts zu bewundern findet; ich gebe nicht gern zu, daß ich auf meinen Schüler stolz bin, wenn er den liebenswürdigen macht. Aber heute muß ich schon den liebenswürdigen Alten spielen und Ihren Toast auf Adam unterstützen. Hat Ihr Großvater auf dem andern Punkte auch nachgegeben und eingewilligt, einen anständigen Rentmeister zu nehmen?«

»Nein, das nicht,« sagte Arthur, indem er sich ungeduldig von seinem Stuhle erhob und, die Hände in den Taschen, im Zimmer auf und abging. »Er hat da einen Plan im Kopfe, das Vorwerk hier am Gute zu verpachten, wo dann der Pächter Milch und Butter für das Schloß liefern soll. Aber ich frage ihn gar nicht danach, ich ärgere mich zu sehr. Ich glaube beinahe, er will alle Geschäfte selbst thun und gar keinen Rentmeister annehmen. Übrigens ist's erstaunlich, wie viel Energie der alte Mann noch hat.«

»Nun, es wird Zeit, daß wir zu den Damen gehen,« sagte der Pastor und erhob sich ebenfalls. »Ich muß doch meiner Mutter sagen, was für einen prächtigen Thron Sie ihr unter dem Zelte errichtet haben.«

»Ja wohl, gehen wir, wir müssen auch frühstücken,« erwiderte Arthur. »Es wird zwei Uhr sein; da läutet schon die Glocke für die Pächter zu Tisch.«


 << zurück weiter >>