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Durch einen tiefen Gebirgseinschnitt erreichten wir den Nordabhang des Höhenzuges, der wie ein Rückgrat diesen Arm der Insel durchzieht. Im Tale lagen acht Hütten aus Gras und Mattengeflecht. Jedes dieser geräumigen Bauwerke ruhte auf Pfählen und trug ein in eine Spitze auslaufendes Dach. In einer Umzäunung weideten Büffel, Bergschafe, Schweine und zahlreiche Hühnervögel. Ein ausgedehnter Wald von Kokospalmen sowie zahlreiche Anpflanzungen mit Pisangs bewiesen den haushälterischen Sinn dieser Wilden.
Dumpfe Schläge auf einer Art Trommel zeigten uns, daß die Bewohner des Dörfchens Anstalten zu unserm festlichen Empfange trafen. Eine Schar Kinder lief uns entgegen. Sie hatten sich rote Blüten ins Haar gesteckt und ein paar frische Palmenwedel über Brust und Schulter befestigt. Die Männer trugen jetzt breite Gürtel aus Bast, in die ringsum die gebogenen Hauer der Hirscheber eingeflochten waren, Lange Lanzen mit roh geschmiedeten Eisenspitzen sowie Bogen und Pfeile bildeten die Bewaffnung.
Wir hatten in unsern Säcken alles an Geschenkartikeln zusammengesucht, was wir entbehren konnten. Diese zahlreichen, für uns fast wertlosen Kleinigkeiten übergab ich demjenigen der Männer, den ich für den König, oder wie er sich sonst nennen mochte, angesehen hatte. Durch Pantomimen deutete ich an, daß die Sachen für die gesamte Einwohnerschaft bestimmt seien. – Zu dieser letzteren Andeutung machte der Alte zwar ein saures Gesicht, denn er hätte alle die Dinge am liebsten für sich behalten. Schließlich wich er jedoch der Gewalt der über ihn herfallenden Weiblichkeit und verteilte gewissenhaft Stück um Stück an seine »Untertanen.« Nur eine leere Whiskeyflasche, deren Bedeutung ihm allerdings nicht bekannt war, behielt er für sich.
Als sich das erste Erstaunen über alle die fremdartigen Gegenstände ein wenig gelegt hatte, zog uns eine ältere Frau zu einer geräumigen Hütte, die etwas abseits vom Dorfe zwischen den Palmen stand. Sichtlich war sie eben erst von den Eigentümern geräumt worden. Hier konnten wir unsere Packsäcke niederlegen und die Nacht verbringen, wie wir aus der Geberdensprache der Frau entnahmen.
»So, jetzt wären wir glücklich unter Dach und Fach,« sagte ich zu meinen Gefährten, die damit beschäftigt waren, das Gepäck aufzustellen. »Nun fragt es sich, wie wir es anstellen sollen, um wieder fortzukommen.«
Gyßler lachte laut auf.
»Das ist doch sehr einfach, wir schnallen unsere Bündel und wandern weiter.«
»Meinen Sie? Darüber habe ich meine ganz besonderen Ansichten. Ich habe in der Südsee schon mehrfach die Erfahrung gemacht, daß man wohl in ein Dorf herein, aber nur schwer wieder heraus kann. Die Dajaks im benachbarten Borneo und die Papuas drüben in Neuguinea haben mich damals auch als lieben Gast empfangen. Ich lebte ganz frei zwischen ihnen, aber die Hütte oder das Dorf durfte ich nicht verlassen. Wir wollen sehen, wie man uns hier behandelt. Aber um eines bitte ich Sie, Kameraden, zeigt den Wilden keine Schießwaffen! Augenscheinlich kennen sie diese noch nicht. Geht es dann hart auf hart, dann liegt in dem Blitz und Donner vielleicht unsere Rettung.«
»Glauben Sie wirklich, daß diese Wilden noch keine Ahnung von Feuergewehren haben? Das klingt fast unglaublich. Die Holländer versuchen doch überall ins Innere ihrer Kolonien einzudringen und da wäre es doch merkwürdig, wenn dort noch Menschen lebten, die von ihrem Vorhandensein keine Kenntnis hätten.«
»Denken Sie nur an Sumatra und an Ceram und selbst Timor. Diese Inseln sind auch über zweihundert Jahre unter europäischer Herrschaft und doch finden Sie da noch Eingeborene, die einen Weißen nur aus alten Überlieferungen kennen.«
»Zerbrechen Sie sich nicht den Kopf darüber,« warf jetzt Liebert ein. »Das alles wird sich ja sehr bald herausstellen. – Sehen Sie, da kommen schon ein paar Ehrenjungfrauen, die uns zu Tisch bitten.«
Die jungen Mädchen näherten sich ungezwungen unserer Hütte. Ich winkte ihnen einzutreten und als sie dann wie angewurzelt im Eingang stehen blieben und erstaunt auf den Inhalt unseres Gepäcks blickte, da wußte ich bestimmt, daß diese Wilden wenigstens noch keine Ahnung von europäischen Dingen haben konnten.
Ich sagte das den Kameraden, die sich bemühten den Besucherinnen die Benutzung einiger Gebrauchsgegenstände vorzuführen. Düwell gab mir Recht, meinte aber, das schlösse nicht aus, daß einer der Männer vielleicht doch mit Küstenbewohnern zusammengekommen sein könnte.
»Um ganz sicher zu gehen, nehmen wir unsere Gewehre mit. Kennen die Wilden die Dinger, dann wissen sie, warum wir uns nicht davon trennen. Im andern Falle stört es sie auch nicht.«
Liebert hatte mit seinen Worten das Richtige getroffen. Die Mädchen waren abgeschickt worden, uns zum Mahle zu holen. Mit einer einzigen Bewegung deuteten sie uns das an. Wir wurden kurzerhand an die Luft gesetzt! – Gyßler war mit seiner Toilette noch etwas im Rückstande, aber das ließen die »Damen« nicht gelten. Es ging ihnen einfach nicht in den Kopf, wie man seine Beine überhaupt in derartige Stoffröhren stecken konnte. Alles Sträuben half nichts. Er mußte ohne seine »Beinrohre« am Festtische Platz nehmen. Dieser Mangel in der Bekleidung gab uns später noch Stoff zum Lachen.
Um ein großes Feuer gelagert, erwarteten uns unter einem gewaltigen Mangobaume, die Männer dieses kleinen Reiches, Sie hockten alle auf ihren Fersen und bedienten sich ihrer Pfeile teils als Stützpunkt, teils als »Tischgerät.« Auf einem Rost aus glimmenden Baumstämmen brieten ein Hirscheber und ein Bergschaf, die man so wie sie waren, letzteres nur der Haut entkleidet, gebraten hatte. Natürlich darf man sich nicht etwa einen sauberen, knusprigen und appetitlich duftenden Braten unter dieser Bezeichnung vorstellen. Das was uns hier geboten wurde, waren zwei blutige, dunkle Klumpen, die auf der einen Seite halb verbrannt und auf der andern nur halb gar waren.
Um der Etikette zu genügen, gingen wir, bevor wir uns setzten, der Reihe nach zu den Männern, berührten unsere Stirn und drückten ihnen dann die Hand. So hatte ich es bei der ersten Begrüßung dem Alten abgelauscht und das beifällige Gemurmel, das dieser Zeremonie folgte, belehrte mich, daß ich das Richtige damit getroffen hatte. – Wir schlossen uns am Ende der Reihe an den letzten Wilden an und hatten so die Genugtuung, daß wir zusammen blieben.
Ein altes Weib, vermutlich die Königin, eilte mit einem großen eisernen Messer herbei und begann das Mahl zu servieren. Mit tiefem Schnitt trennte sie den Bauch des Schweines auf. In das dadurch entstandene Loch tauchte sie ihre kralligen Finger und brachte sämtliche Eingeweide des Ebers zum Vorschein.
»Um Gotteswillen, das sollen wir doch nicht etwa essen,« rief Liebert mit allen Zeichen des Grausens. »Das bringe ich um keinen Preis der Welt herunter.«
»Machen Sie sich und uns nicht unglücklich durch eine Ablehnung,« warnte ich. »Sie wissen, daß alle wilden es als Beleidigung ansehen, wenn man ihre Speisen verweigert.«
Das alte Weib wickelte sich die Eingeweide um ihren dürren, nicht gerade saubern Arm und schritt auf unsere Gruppe zu.
»Gottlob, sie beglückt Gyßler mit der Delikatesse,« rief Liebert aus, indem er den Atem hörbar von sich stieß.
»Warte, du schadenfroher Kerl, das ist dir nicht geschenkt!« erwiderte dieser. Damit schnitt er mit seinem Messer ein großes Stück aus der Lunge des Schweines und deutete der Alten an, mir das nächste Stück zu reichen. Mit einem leisen Grauen sah ich die übelduftende Speise vor mir auftauchen. Ich wählte mir aber mit einer schnellen Handbewegung das Herz und ließ es geschehen, daß Düwell den Rest der Lunge nahm. Nun blieben für Liebert wirklich nur noch die zum Teil gefüllten Därme übrig. Stöhnend und schimpfend trennte er sich ein kurzes Endchen Darm aus der Schlinge und schob es mit zusammengekniffenen Augen in den Mund. Die Frau blieb aber neben ihm stehen. Sie konnte ebensowenig wie die übrigen Wilden begreifen, daß man nur so wenig von einer derartigen Götterspeise nahm.
Liebert, der die erstaunten Gesichter der Wilden gewahrte, wußte sich jedoch zu helfen. Er sprang auf, faßte die Alte bei der Hand und geleitete sie zu dem »König«. Dort machte er einige tiefe Verbeugungen und sagte, indem er dem Oberhaupte die Rechte auf die Achsel legte, mit verbindlichem Lächeln:
»Hier, altes Haus. Iß die Därme samt Inhalt selbst und mögen sie dir gut bekommen.« (Er drückte sich etwas drastischer aus!)
Dann kehrte er auf seinen Platz zurück und nickte dem König wiederholt freundlich zu.
Der Alte wußte anfangs nicht, wie er diese ungewohnte Begrüßung aufnehmen sollte. Es mußte ihm aber dann wohl eingefallen sein, daß die Weißen andere Gebräuche haben könnten – kurz er beruhigte sich und schlang die ekle Speise mit augenscheinlichem Genuß hinunter.
Dieser ganzen Höflichkeitsbezeigung sahen die übrigen Wilden stumm zu. Man merkte an ihren zuckenden Mundwinkeln, daß auch sie gern etwas von dem eklen Fraß gehabt hätten. – Ihre Geduld wurde nicht lange auf die Probe gestellt. Da der Etikette nun Genüge geschehen war, hieben sie mit ihren Messern in das Schaf und rissen sich förmlich um die Eingeweide.
Unterdessen hantierte der alte König mit seinem stumpfen Messer in dem Fleische des Ebers. Man merkte, daß er ein besonders saftiges Rippenstück herauszulösen bestrebt war. Da er aber gerade an der ungaren Seite arbeitete, mußte er die Finger und schließlich die Pfeilspitze zu Hilfe nehmen. Endlich befreite er eine blutige Rippe aus ihrem Zusammenhang. Fein säuberlich leckte er das Blut von dem Fleische und von seinen Fingern und rief dann die Alte zu sich.
Mit einer stillen Ahnung hatte ich diesem eifrigen Zerlegungsversuche des Alten zugeschaut. Durch einen leisen Ellenbogendruck lenkte ich nun die Aufmerksamkeit des neben mir sitzenden Schweizers auf die Hantierungen unseres Gastgebers und verbarg nur schwer das Lächeln, das sich mir in Erwartung des Kommenden auf die Lippen drängte. Liebert und Düwell betrachteten gedankenvoll das Geraufe der Wilden um den Schafskadaver.
Da erhob sich der Alte. Wie er es vorher von unserm Kameraden gesehen, nahm er das Weib beim Arm, drückte ihr den triefenden Knochen in die Hand, und geleitete es zu dem ahnungslosen Liebert. Entsetzt wollte dieser aufspringen, als er die Beiden um das Feuer auf sich zuschreiten sah. Doch deutete er unsere warnenden Zurufe glücklicherweise richtig. Ruhig, das Gesicht in würdige Falten gelegt, nahm er die dargebotene Rippe entgegen, verbeugte sich mit vollendeter Grazie vor dem edlen Paare und begann das Stück zum Munde zu führen.
Wenn er aber geglaubt hatte, daß sich der König nun der allgemeinen Fütterung zuwenden würde, dann irrte er sich. Die Augen des Alten wichen nicht von ihm. Gleichsam als müsse er jeden Bissen seines Gastes zählen, verfolgte er jede Bewegung Lieberts. Dieser begriff endlich, daß er den Blicken seines Gegenüber doch nicht entrinnen konnte und fiel mit einer wahren Gier, wobei der nagende Hunger nicht geringen Anteil hatte, über den blutigen Knochen her. Erst als das letzte Fleischfetzchen verzehrt war, wandte sich der König der allgemeinen Esserei zu, an der auch wir uns beteiligten.
Nach beendetem Mahle wurde ein Getränk herumgereicht, das aus einer Frucht hergestellt zu sein schien und das uns vortrefflich mundete. Die Trinkschalen bestanden aus der äußern Hülle einer großen grünen Frucht, die ich nicht kannte. Sie wurden von den Wilden ebenfalls verzehrt. Ich konnte sie des starken Gewürzgehaltes wegen nicht genießen.
Die Frauen und Kinder durften erst essen, als alle männlichen Personen ihre Sitze verlassen hatten. Für sie waren die Überreste gerade gut genug. Die armen Wesen stürzten sich mit einer wahren Gier auf die halbgaren Reste der beiden Tiere und suchten sich selbst die abgenagten Knochen streitig zu machen.
Die Männer hatten sich in ihre Hütten zurückgezogen. Um unsere Personen kümmerte sich kein Mensch mehr und wir bummelten daher in gemütlichem Spazierschritt an den einzelnen Wohnungen vorbei nach unserm neuen Heim. Unterwegs fiel uns ein Bau auf, der in seiner Konstruktion von den übrigen Hütten abwich. Da der Eingang offen war, traten wir ein. Ein tiefes Halbdunkel ließ uns zuerst nichts unterscheiden. Als sich das Auge aber an das Zwielicht gewöhnt hatte, gewahrten wir an der Rückwand des Hauses eine roh geschnitzte Holzfigur, die eine gräuliche Fratze darstellte. Zu beiden Seiten des Idols hingen breite Streifen dürren Bastgeflechtes von den Wänden, die mit den unteren Enden in einer korbartigen Tonschüssel ausliefen. Eine eingetrocknete dunkle Masse bildete den Inhalt der Schüsseln. Kopfschüttelnd betrachteten wir diese seltsame Zusammenstellung, die teils an das Innere Afrikas, teils an die Papuas erinnerte.
Plötzlich faßte Düwell meinen Arm und deutete nach der linken Wand. Dort standen in einer Reihe etwa dreißig Menschenköpfe. Zum Teil waren sie bereits mumifiziert, zum Teil aber noch merkwürdig frisch. Einer trug sogar unverkennbare Zeichen der malaiischen Rasse. Dadurch erhielten wir den Beweis, daß diese anscheinend so harmlosen Wilden doch mehr von der Existenz fremder Rassen wußten, als sie ahnen ließen.
Wir verließen eiligst das unheimliche Haus und zogen uns in unsere Hütte zurück, um über die weiter zu unternehmenden Schritte zu beraten. Zuhause fanden wir alles so vor wie wir es verlassen hatten. Kein Gegenstand war berührt worden. Die Neugierde überwog demnach doch nicht die hochgehaltene Gastfreundschaft.
»Ich schlage vor, heute Abend noch das Dorf zu verlassen,« sagte Gyßler, als wir uns von unserm Erstaunen über das Gesehene erholt hatten. »Die Freundschaft der Wilden kommt mir zu uneigennützig vor, um echt zu sein. Die Köpfe dort im Tempel gehören verschiedenen Menschenrassen oder doch -gattungen an. Die Wilden haben sie zweifellos ihren Opfern abgeschnitten. Es fragt sich nur, ob dies hier im Dorfe oder irgendwo bei einem Überfall geschehen ist.«
»Wie wäre es, wenn Sie die Männer einmal in malaiischer Sprache anredeten? Soviel ich mich erinnere, versuchten Sie das noch nicht, verstehen die Männer malaiisch oder ist auch nur einer von ihnen der Sprache mächtig, dann wissen wir woran wir sind. Durch geschickte Fragestellung bringen wir dann schon heraus, was hier los ist.«
»Der nächtlichen Abreise stimmen auch wir zu,« rief Liebert, der mit Düwell die Packsäcke wieder geordnet hatte. »Mir haben die Wilden deshalb nicht gefallen, weil sie so gar kein Interesse für unsere Gewehre gezeigt haben. Menschen, die eine derartige Maschinerie noch nie gesehen haben und denen jeder blanke Knopf gefällt, pflegen sich wenigstens mit Blicken nach den Metallteilen der Waffen umzusehen.«
»Je mehr ich über das ganze Gebahren der Menschen nachdenke, desto unerklärlicher ist mir das Volk. Wenn die Männer wirklich so rücksichtsvoll sind, wie sie zu sein scheinen wollen, dann begreife ich die brutale Härte nicht mit der sie ihre eigenen Angehörigen behandeln. Andererseits sage ich mir wieder, daß es dem Alten ja ein Leichtes gewesen wäre uns im Schlaf die Hälse abzuschneiden, als er uns im Zelte entdeckte.«
Gyßler, der nachdenklich auf seinem Holzklotz gesessen, hob den Kopf:
»Ich werde mal versuchen, ob es nicht möglich ist, mich mit den Leuten in der Sprache der Orang-Budji zu verständigen. Diese wohnen in der Nordostecke der Insel und ich erlernte deren Sprache, als ich am Kap Coffin Dienst tat. Bei der Gelegenheit will ich auch das Innere der Hütten genau betrachten, wenn dieser Stamm mit Weißen oder Malaien in Berührung gewesen ist, finden sich auch Gegenstände davon in den Hütten... Übrigens kommt da gerade solch ein nackter Sünder auf unsere Bude zugelaufen. Ausgerechnet das größte Galgengesicht schickt man hierher.«
»Reden wir malaiisch, Gyßler,« rief Düwell, »und sprechen wir ihn direkt in der Sprache an. versteht er sie, dann verrät er sich sicher.«
Der Schweizer antwortete in der verabredeten Sprache, als der Wilde im Eingang der Hütte erschien. Düwell begrüßte ihn mit geheuchelter lebhafter Freude und sagte, daß er sich erst jetzt erinnere ihn schon einmal an der Küste gesehen zu haben.
Der Versuch blieb erfolglos. Der Mann zuckte wohl unmerklich zusammen, als er die Laute vernahm, aber nichts ließ erkennen, ob er sie auch verstanden habe, war das der Fall, dann war er wohl der vollendetste Schauspieler.
Da wir weder aus den Kehltönen noch aus den Gesten des Mannes erraten konnten, was ihn zu uns geführt, redete Gyßler ihn in der Budjisprache an. Diese Worte riefen seine Aufmerksamkeit hervor. Er machte ein Gesicht, wie etwa ein Hund, dem man etwas vorredet. Nach und nach erhellte sich seine Miene und plötzlich faßte er auf ein Wort nach, das er zwar anders aussprach, dessen Bedeutung er indeß wußte.
Nun machte es dem Wilden Vergnügen sich in eine Unterhaltung mit dem Schweizer einzulassen. Nachdem beide erkannt hatten, daß nur eine veränderte Aussprache an dem mangelnden Verstehen die Schuld trug, gaben sie sich Mühe eine Unterhaltung anzubahnen. Mitten im Satz ließ Gyßler auch ein malaiisches Wort fallen, das jedoch unverstanden blieb.
»Ich möchte mit dem Kerl einen Spaziergang machen, wer geht mit?« fragte Gyßler. »Liebert, du bist der Stärkste, bitte begleite mich.«
Die drei Männer schlenderten langsam durch den Palmenhain an den Hütten vorbei nach dem Platze, wo wir gegessen hatten. Unterwegs machte Gyßler den Versuch in das Innere der Hütten einzudringen, wurde jedoch von dem Wilden daran gehindert. So zutraulich die Weiber und Kinder morgens waren, so scheu wichen sie jetzt jeder Begegnung mit uns aus.
»Die Geschichte wird mir immer rätselhafter,« sagte ich zu Düwell gewendet. »Ordentlich unheimlich kommt mir hier alles vor. So unwirklich und geisterhaft treten die Menschen auf. Wenn ich nur wüßte, was das zu bedeuten hat.«
Wir erfuhren es bald.
Durch den Palmenhain schritt eine weibliche Gestalt. Abweichend von den weiblichen Angehörigen des Stammes trug sie um den Unterkörper den javanischen Sarong. Der Oberkörper war unbekleidet.
»Da, schauen Sie mal die Frau an, Düwell. wenn das keine Javanin ist...«
»Wahrhaftig!« rief Düwell. »Sie haben recht! Übrigens scheint sie hierherzukommen. Ich werde sie anrufen.«
Auf den malaiischen Ruf blieb die Frau, wie vom Blitz getroffen, stehen. Helles Erstaunen ging über die schönen Züge. Sie lächelte freundlich und setzte den Fuß an, um sich uns zu nähern. Da flog aus der nächsten Hütte ein altes Weib auf die Javanin zu, riß sie unsanft am Arm und trieb sie mit Fauststößen in die Hütte.
»Das ist aber stark!« schrie Düwell und wollte hinausstürzen, um der Javanin seine Hilfe anzubieten.
Ich hielt ihn zurück.
»Seien Sie vernünftig, Düwell. Merken Sie sich die alte Regel, die in allen Ländern der Welt Kurs hat: ›Mische dich niemals in Weibergeschichten, die dich nichts angehend‹. Lassen Sie auch hier den Dingen ihren Lauf. Jetzt bin ich überzeugt, daß wir unter heimtückischen Menschen sind. Sorgen wir daher zunächst für unsere Sicherheit.«
Liebert und Gyßler kamen zurück.
»Ich werde aus den Leuten nicht klug,« sagte letzterer. »Entweder sind es wirkliche Wohltäter fremder Wanderer oder die abgefeimtesten Schurken, die mir jemals zu Gesicht kamen.«
»Ich glaube das letztere,« erwiderte ich. Dann erzählte ich, was wir gesehen hatten.
»Es bleibt dabei – wir ziehen aus, sobald die Sonne untergegangen und die Bande sich zur Ruhe gelegt hat!« sagte Liebert. »Wehe dem, der mich daran hindert.«
»Wie steht es mit Lebensmitteln?« fragte ich. »Wenn wir gejagt werden, können wir nicht selbst jagen. Haben wir genug für zwei Tage?«
»Ein paar gebratene Enten sind noch da. Noch riechen sie nicht, aber...«
»Bis morgen mittag sind sie verzehrt,« erwiderte ich. »Richtet nur Waffen, Beil und Messer handlich her, damit wir herausgeben können, wenn man uns anrempelt.«
Die Sonne ging eben unter. Ihre letzten Strahlen vergoldeten noch die Bergkuppen, da stahl sich ein dunkler Schatten durch den Palmenhain. Im Eingang unserer Hütte erschien die junge Javanin.
»Oh, ihr fremden Männer, rettet mich! Rettet mich und euch. Wenn der Häuptling zurückkehrt, werdet ihr getötet. Er ist grausam und blutgierig.«
Erstaunt hatten wir die Erscheinung betrachtet und deren Worte vernommen. In fliegender Hast erzählte sie uns, daß man sie vor Monaten von einer Farm an der Nordküste geraubt und hierher geschleppt habe. Der Häuptling sei jetzt nach Süden über das Gebirge gezogen um dort Frauen zu rauben. Man erwarte ihn täglich zurück, wir wären des Todes, wenn er uns hier fände.
Wir blickten uns fragend an.
»Ich führe euch, weiße Herren. Ich kenne einen Schleichweg, den ich mir zur Flucht ausersehen habe. Nehmt mich mit! Heute noch. Die Leute hier fürchten den nächtlichen Wald und verfolgen euch nicht. Oh, bitte, nehmt mich mit von hier.«
Kopfschüttelnd hörte ich die Übersetzung der Worte an. Allerlei Bedenken stiegen in mir auf. Nicht zuletzt über die Verletzung der uns gewährten Gastfreundschaft, die von den meisten wilden Völkern heilig gehalten wird. Die Dorfbewohner hatten uns freundlich aufgenommen und bis jetzt konnten wir über die Behandlung nicht klagen.
»Wer weiß, ob die Aussagen des Mädchens auf Wahrheit beruhen,« sagte ich aus diesen Erwägungen heraus, »wenn wir die Frau mit uns nehmen, tragen wir auch die Verantwortung für die Entführung – denn schließlich wird es so aufgefaßt werden. Hat der Häuptling sie wirklich geraubt und ist sie seine Frau geworden, dann hat er die beste Entschuldigung für einen feindlichen Überfall ...«
»Wir wollen uns nicht in die rechtliche Beleuchtung des Falles vertiefen,« sagte Gyßler jetzt, »denn damit verlieren wir nur Zeit. Die knappe Frage lautet: Nehmen wir die Frau mit uns oder nicht?«
Düwell und Liebert stimmten mit dem Schweizer dafür – ich blieb also mit meinen Bedenken allein.
Das Mädchen war unserer Unterhaltung mit ängstlicher Spannung gefolgt. An den Augen las sie uns das Für und Wider ab. Als sie mein kategorisches »Nein« vernahm, brach sie in ein herzzerbrechendes Jammern aus. Ihre großen dunklen Augen füllten sich mit Tränen und wie vernichtet sank sie zu Boden.
Ich mußte mich abwenden. Zu den Gefährten gewendet rief ich dann:
»Macht ein Ende, Leute! Vorwärts! Die Zeit vergeht und wenn die Sonne aufgeht, müssen wir schon weit sein.«
»Wir nehmen das Weib also mit?«
»Meinetwegen denn, vertrauen wir auf unser Glück und hoffen wir, daß wir wirklich damit ein gutes Werk tun.«
Das Mädchen mußte, so wie es dastand, die Flucht ergreifen. Eine Rückkehr in ihre Hütte hielt sie für zu gefährlich, und auch dort besaß sie nichts, was ihr für eine nächtliche Wanderung dienlich sein konnte.
Beim Scheine der prächtig leuchtenden Sterne traten wir einzeln hinaus in das Dunkel des rauschenden Palmenwaldes. Die Nacht war lau und die laut rasselnden Zikaden übertönten mit ihrem Schleifen das Knacken der von uns niedergetretenen dürren Blattrippen. Die Javanerin ging voran. Sie durchschritt den Wald mit einer Sicherheit, der ihre Angabe, sie habe bereits einen Schleichweg ausfindig gemacht, glaubwürdig erscheinen ließ. – Bald ging der Kokoshain in einen regelrechten Urwald über und nun konnten allerdings nur die scharfen Augen einer Insulanerin den Pfad erkennen, den wir zu gehen hatten. Geschmeidig wie ein Wiesel schlüpfte sie durch die kaum erkennbaren Öffnungen in dem Gewirr der Schlingpflanzen. Sie zog Liebert, dessen Handgelenk sie umspannt hielt, hinter sich her. In ihrer Angst um das Gelingen ihrer Flucht strebte das Weib nur vorwärts und überließ es uns, ob wir folgten oder nicht. Da hier im Walde tiefste Finsternis herrschte, klammerten wir uns an Lieberts Rock und bildeten so eine Schlange, deren letztes Ende absolut keine Ahnung davon hatte, was vorn vorging.
Unbekümmert um die über unsern Köpfen zusammenschlagenden Zweige, nicht achtend der scharfen Dornen, die sich bei der eiligen Flucht in unsere Kleider hängten, unbekümmert um die scharfen Bisse der in ihren Wohnungen gestörten großen Baumameisen, hasteten wir weiter. Bald öffnete eine Lichtung einen kurzen Ausblick auf den nächtlichen Himmel, bald überschritt der Fuß einen trügerischen Sumpfboden.
Zwei Stunden wohl dauerte diese lautlose Flucht durch den Wald, als das Gelände endlich einen öden Charakter annahm. Das nunmehr an das lichte Dunkel der Tropennacht gewohnte Auge unterschied kleine Wasserläufe. Niederes, zähes Buschwerk kroch zwischen scharfem Geröll hindurch. Dann stieg der unsichtbare Pfad in großen Spiralen aufwärts, einer sich drohend aus der Nacht herausschälenden Gebirgswand entgegen.
Meine schmerzenden Glieder verlangten eine kurze Ruhepause. Ich rief um eine Rast. Dicke Schweißtropfen perlten auf meiner Stirn und ein brennender Durst machte sich geltend.
Die Javanin blieb einen Augenblick stehen, wie eine Amazone, die ihr Kampffeld übersieht, hob sich die biegsame Gestalt gegen den Nachthimmel ab. Keine Bewegung deutete auf Ermüdung. War es der Wille zum Sieg oder verlieh die Natur ihren Kindern eiserne Lungen. Das Weib lief fast den steilen Berg hinauf und schien es nicht zu fassen, daß die weißen Männer ihm, dem Weibe, nicht zu folgen vermochten.
»Fragen Sie die Frau doch einmal, Düwell, wohin sie uns zu führen gedenkt. Die Felsen dort vor uns scheinen mir unübersteigbar. Wenn sie den Schleichweg schon bis hierher ausgekundschaftet hat, dann möchte ich wissen, warum sie wieder zurückkehrte.«
Die Antwort klang wenig überzeugend.
»Wir kommen bald an einen Fluß, der sich durch das Gebirge einen Weg gebrochen hat. Dessen Lauf folgen wir aufwärts und überschreiten in seinem Bette das Gebirge.«
»Und was finden wir auf der andern Seite?«
»Wald und Berg und Seen und Dörfer,« war die lakonische Antwort.
»War die Frau schon dort drüben?« beharrte ich.
Statt aller Antwort stieß sie einen kurzen Ruf aus und winkte uns, ihr zu folgen. Wie ein aufgescheuchter Nachtvogel flatterte sie in dem wehenden Mantel Lieberts den Berg hinan. Sie sprang, wie im Übermut auf die erratischen Blöcke und hüpfte tänzelnd durch die zahllosen Quellbäche. Wir keuchten atemlos hinterdrein und gaben uns kaum die Mühe, uns über die merkwürdige Situation Gedanken zu machen.
Endlich erreichten wir den höchsten Punkt des Hanges. Die Hand auf die schwer atmende Brust gepreßt, warfen wir wie auf Kommando die Packsäcke zu Boden. Ein kurzer Blick galt dem prachtvollen Himmel, an dem das immer herrliche Sternbild des südlichen Kreuzes das baldige Ende der Nacht anzeigte. Die Frau ließ ihre Blicke ringsum ins Ungemessene schweifen und schien ganz zu vergessen, daß sie nicht allein hier stand.
»So – nun will ich genau wissen, was hier vor uns liegt. Ich lasse mich weder durch Tränen noch Bitten beeinflussen, einen Schritt weiter zu gehen, wenn uns die Javanin nicht reinen Wein einschenkt. Im übrigen nehme ich die Führung jetzt an mich. Düwell, übersetzen Sie das der Frau.«
Diese mußte schon an dem Tone gemerkt haben, daß ich mit dem Marsche ins Blaue hinein nicht einverstanden war. Sie wartete daher Düwells Frage erst gar nicht ab, sondern faßte ihn an der Hand und zog ihn auf einen unsern Standort überragenden Felsblock. Dort deutete sie mit der ausgestreckten Hand nach Nordosten.
Düwell richtete den Blick dorthin und rief nach kurzem Schauen:
»Kommen Sie doch einmal hier herauf. Ich glaube, ich erkenne das Meer!«
Das Meer – im Nordosten! Das hieße ja Erlösung von allen Strapazen.
In wenigen Sprüngen standen wir neben den beiden und stießen fast gleichzeitig den Ruf aus: »Wahrhaftig, das Meer!«
Fern, unendlich weit entfernt, sahen wir leuchtende Punkte auf einer unermeßlichen Fläche wie Irrlichter umhertanzen. Trepangfischer!
Während wir uns an dem Anblick des so heiß ersehnten Zieles freuten, betrachtete ich das Land, das uns noch von der Küste trennte. Und nun wurden meine Hoffnungen bedeutend herabgestimmt. Zu unsern Füßen deutete ein matter Streifen den Fluß an, von dem die Javanin gesprochen hatte. Ein kaum vernehmbares Rauschen machte auch die Angaben der Frau, daß sich der Fluß einen Weg durch die rauhen Felsen gebrochen, wahrscheinlich. Wir durften daher mit ziemlicher Sicherheit darauf rechnen, daß ein See unserm Vordringen ein Hindernis bereiten würde. Und nun drängte sich mir von neuem die Frage auf, woher kennt das Weib diesen Weg? Wohin führt er?
Gyßler übernahm es, Klarheit darüber zu verschaffen. Der ersten Frage wich die Frau aus. Der von ihr eingeschlagene Weg würde uns in einigen Tagereisen an die Nordküste führen. Richtiger, bis an die ersten Farmen der Weißen. Allerdings lägen zwischen unserm jetzigen Standort und dem erwähnten Ziele einige Eingeborenendörfer, die wir wahrscheinlich in weitem Bogen umgehen müßten.
»Ob die Javanin bei uns bliebe?«
Sinnend hörte sie diese Frage. Dann gab sie nach kurzer Überlegung eine zustimmende Antwort.
»Die weißen Männer haben mir vertraut und sind mit mir gegangen. Ich werde bei ihnen bleiben, solange ihnen Gefahr droht.«
»Von wem erwartest du diese drohende Gefahr, Mädchen?«
»Der Häuptling der Sadjo wird mich verfolgen. Er wird mich den Weißen wieder abnehmen wollen. Aber ich kehre nicht mit ihm zurück. Ich geleite die weißen Männer sicher zu den Farmern.«
»Kennt denn der Häuptling diesen Weg?« hieß ich fragen.
»Natürlich ... das heißt,« unterbrach sie sich, – »er wird sich denken, daß ich hierher geflohen bin.«
»Aha!« rief ich, als mir Gyßler diese Worte übersetzte, »daher die genaue Kenntnis des Weges! Wer weiß, wie oft die Sadjo, oder wie der Stamm sonst heißt, diese Straße schon gezogen sind. Und wer weiß, wie bald wir sie auf den Fersen haben!«
Die Javanin schüttelte den Kopf, als Gyßler ihr meine Bedenken mitteilte.
»Vor dem zweiten Sonnenaufgang wird der Häuptling nicht zurückkehren. Dann wird er mich suchen. Bis dahin haben wir aber den See erreicht, und dort kenne ich ein sicheres Versteck...«
»Ich danke für alle Verstecke. Wir haben uns einmal in ein richtiges Wespennest gesetzt und müssen nun sehen, wie wir wieder herauskommen. – Was sagte ich Ihnen, Düwell? Man soll sich nie in Weiberdinge mischen – jetzt haben wir den Beweis für meine Theorie.«
Leichtfüßig sprang die Javanin von dem Felsen herab und schickte sich an, den sehr steilen Abhang nach dem Flusse zu hinunterzusteigen. Ich wehrte ihr. –
»Solange es nicht Tag ist, unternehme ich den Abstieg nicht!« erklärte ich. »Ich habe keine Lust, ohne Not den Hals zu riskieren. Unsere Traglasten hindern uns so zu hüpfen, wie das junge Weib es gewohnt zu sein scheint.«
»Ich sehe auch gar nicht ein, warum wir gerade hier hinuntersteigen sollen. Wie die Frau angibt, müssen wir durch den Wasserfall klettern, also bleiben wir doch so lange hier oben, bis wir der Einstiegstelle gegenüberstehen,« sagte Gyßler, der schon Zeichen von Ermüdung gab.
»Das ist wahr,« pflichtete jetzt auch Liebert dem Kameraden bei. »Düwell, rufe die Wildkatze mal herauf, wir suchen uns selbst den Abstieg.«
Die Javanin wurde ordentlich zornig, als sie hörte, daß wir ihr nicht mehr zu folgen beabsichtigten.
»Es gibt nur diesen einen Weg, der zum Flusse führt,« beharrte sie. »Ich kenne das Gebirge genau und weiß, was ich tue.«
»Aber auch wir wissen, was wir wollen,« ließ ich ihr übersetzen. »Bis hierher sind wir dir gefolgt, jetzt folgst du uns!«
Zornesröte huschte über die gelben Züge und verlieh dem Gesichte einen schönen Ausdruck. Sie rief lebhaft:
»Und wenn ich es nicht tue?«
»Dann gehen wir allein. Aber hüte dich, uns zu verraten. Ich bin noch viel blutgieriger als dein Sadjo!«
Mit den Worten nahm ich die Büchse von der Schulter und wog sie spielend in der Hand.
Die Gebärde erfüllte die Frau mit Furcht. Die Röte wich einer grauen Leichenfarbe, und mit leisem Zittern neigte sie den Kopf. Wortlos schritt sie den Grat entlang nach Osten. Von Zeit zu Zeit schweifte ihr Auge über die Gegend, aus der wir gekommen waren, gleichsam als erwartete sie von dort etwas.
Das Vertrauen, das meine Gefährten in die Angaben der Javanerin gesetzt hatten, war einem tiefen Mißtrauen gewichen, von nun an beobachteten wir jede ihrer Bewegungen. Wir ertappten sie auch gar bald dabei, wie sie, scheinbar absichtslos, die Zweige der Dornenbüsche einknickte, offenbar in der Absicht, etwaigen Verfolgern ein Zeichen zu hinterlassen.
Nun befahl ich Düwell und Liebert, das Weib in die Mitte zu nehmen und jeden Versuch, eine Spur zu hinterlassen, zu vereiteln. Sie merkte bald, daß wir sie durchschaut hatten und ging nun verdrossen weiter.
Die ersten Sonnenstrahlen fanden uns dem Wasserfall gegenüber auf einem fast steil abfallenden Abhang. An dieser Stelle schien mir ein Abstieg in das Flußbett unmöglich. Auch Gyßler teilte meine Meinung. Die Javanin stand mit einem triumphierenden Lächeln an eine Wettertanne gelehnt und weidete sich an unserer Verlegenheit. Sie war augenscheinlich froh, daß sie recht behalten hatte.
So leicht gaben wir jedoch das Spiel noch nicht verloren, wir verfolgten den Bergrücken, der hier eine Biegung nach Süden machte, eine Strecke weit und fanden auch richtig eine Abstiegmöglichkeit. Eine stark geneigte sogenannte Sandreiße fiel ohne Unterbrechung in die Schlucht am Fuße des Berges. Dort verlor sie sich in einem verkrüppelten Baumbestande.
»Hier fahren wir ab!« rief Gyßler. »wir fällen ein paar Laubbäume und benutzen sie als Schlitten. Das gibt eine famose Rodelpartie!«
Ohne sich weiter um die Zustimmung der Kameraden zu kümmern, hieb er ein paar verkrüppelte Bäume um, und lud uns ein, das Gleiche zu tun.
Die Javanin sah diesen Vorbereitungen verständnislos zu. Zu stolz, um zu fragen, ließ sie ihre Augen aufmerksam über die Hantierungen Gyßlers schweifen und warf auch suchende Blicke in der Richtung nach dem Wasserfall.
Als Gyßler dann seinen Rucksack auf die breiten Astgabeln band und sich selbst darauf setzte, lief sie herbei.
»Auf Wiedersehen – kommt bald nach!« rief er, indem er mit den Händen abstieß und erst langsam, dann mit wachsender Geschwindigkeit den Weg hinuntersauste, daß hohe Sandwolken aufwirbelten.
Die Talfahrt dauerte einige Minuten. Als Gyßler unten aufstand und den Hut schwenkte, fragte ich:
»Wer kommt nun an die Reihe? Düwell, geht das Weib mit uns oder bleibt sie hier? Rücksicht wird nicht genommen!«
Liebert stieß sich bereits ab. Auch er kam unten glücklich an und winkte froh hinauf.
»Das Weib fürchtet sich,« sagte Düwell. »Sie will auf keinen Fall allein zurückbleiben, denn sie scheint wirklich Angst zu haben, daß sie der Häuptling verfolgen wird.«
»Dann nehmen Sie sie mit sich! Hier, der Baum ist breit genug für zwei Personen. Den Rucksack behalten Sie auf dem Rücken!«
Es kostete viel Mühe und bedurfte langer Reden, ehe sich die Javanin entschloß, das neuartige Verkehrsmittel zu benutzen. Auch Düwell war mit der Leitung des primitiven Rodelschlittens nicht vertraut. So kam es denn, daß er auf halbem Wege seine Beine bis an den Leib in den Sand bohrte und stecken blieb. Alle Anstrengungen, sich zu befreien, blieben erfolglos. Ich stieß nun als Letzter ab und hatte die Richtung so gut berechnet, daß ich dicht an den beiden vorüberglitt. Durch einen Fehler beim Bremsen konnte ich Düwells Hand nicht ergreifen, sondern faßte nur das Laub. Das hielt ich denn auch fest. Durch mein Gewicht riß ich dann die beiden los. Unglücklicherweise gab Düwell meinem Rufen keine Folge und so wurde er, mit der Javanin im Arm, platt auf dem Rücken liegend, hinter mir hergeschleift. Da ihm der Rucksack als Bremse diente, landete er ohne Schaden, aber unter dem Gelächter der Gefährten, unten an.
»Nun aber vor allen Dingen frühstücken!« rief Liebert. »Einen solchen Hunger wie heute habe ich lange nicht verspürt.«
Ohne Widerspruch warfen wir uns an einer dichten Stelle in das dürre Gras und verzehrten eine Ente nach der andern.
Der Javanin bemächtigte sich jetzt eine seltsame Unruhe. Sie lauschte angestrengt nach dem Flusse hinüber und versuchte einige Male aufzustehen, um sich umzuschauen.
Düwell ermahnte sie zur Ruhe und sagte ihr offen, daß wir sie für eine Verräterin halten müßten, wenn sie sich nicht unsern Anordnungen fügte. Er ließ dabei durchblicken, daß wir sie, im Falle unser Verdacht sich bewahrheitete, unfehlbar töten und ihren Körper den Geiern vorwerfen würden.
Die Drohung wirkte. Gedankenvoll starrte sie ins Leere, dann wollte sie wissen, was wir tun würden, wenn uns der Häuptling einhole.
»Den schießen wir einfach nieder und lassen ihn liegen. Die Aasvögel werden ihn schon begraben.«
Bei diesen Worten zuckte das Weib zusammen und blickte unwillkürlich um sich, als ob sie einen Weg zur Flucht suche. Diese Bewegung, so rasch sie auch ausgeführt wurde, gab unserm Verdacht neue Nahrung.
Gyßler wandte sich mit einer drohenden Bewegung an das Weib:
»Jetzt sage uns endlich einmal die Wahrheit. Hat dich der Sadjohäuptling wirklich geraubt und gefangen fortgeführt?«
»Ja!« nickte sie.
»Wie kommt es denn, daß du diese Gegend so genau kennst?«
Verlegenes Schweigen. Als Gyßler zum Revolver griff, brach die Javanin in Tränen aus.
»Weil ich bereits einmal entflohen bin. Am See wurde ich wieder eingefangen!«
»Warst du allein?«
»Nein, mit einem Malaien aus unserer Farm bin ich geflohen. Er hatte meine Spur gefunden und holte mich.«
»Und was wurde aus ihm?«
Ein Lächeln glitt über die schönen Züge:
»Sein Kopf steht im Tempel.«
Die zynische Gebärde, die diese Antwort begleitete, jagte uns einen Schauder über den Rücken. Unwillkürlich rückten wir ab von dem dämonischen Weibe.
Gyßler fuhr fort:
»Woher wußte der Häuptling von deiner Flucht und dem Wege, den ihr einschlugt. Hinterließest du Zeichen?«
Die Frau blieb stumm, aber in ihren Augen lag die Bestätigung.
»Ich weiß, daß du auch heute Zeichen hinterließest,« sagte der Schweizer, »wenn uns der Häuptling findet, wirst du vor ihm sterben, denn damit hast du uns verraten, vermeide also jede Bewegung, die unsern Verdacht bestätigen könnte, denn von diesem Augenblick an lassen wir dich keine Sekunde mehr unbeobachtet.«
»Ich begreife die Beweggründe nicht, die das Weib dazu veranlassen, dem Häuptling auf diese Art Männer auszuliefern, die nur ihr Gutes wollen. Denn in Wirklichkeit ist ihr die Gefangenschaft gar nicht so unangenehm.«
»Mein lieber Gyßler, das Problem der weiblichen Psyche wird niemals vollkommen gelöst werden. Hier scheint die Triebfeder in dem Bestreben zu liegen, den Häuptling zur Eifersucht zu reizen. Daß sie dabei Menschenleben opfert, läßt sich durch eine perverse Eitelkeit erklären, vielleicht spielen auch andere Motive mit. Wir müssen jedenfalls damit rechnen, daß uns der Sadjo nachsetzt, wenn er auch wohl kaum die Spur der Rodelpartie findet. Der Sand hat keine Spur hinterlassen.«
»Wenn er oben die frische Baumfällung sieht, wird er auch wissen, welchen Weg wir eingeschlagen haben. Immerhin halte ich es für geraten, unser Hauptquartier in eine andere Gegend zu verlegen. Irgendwo findet sich eine Stelle mit freiem Ausblick, an der wir ruhig schlafen können, denn ich muß sagen, daß ich mich nach einer längeren Ruhe sehne.«
Eine Viertelstunde später arbeiteten wir uns im Bette eines kleinen Baches in östlicher Richtung durch einen undurchdringlich scheinenden Urwald. Um etwaige Verfolger zu täuschen, blieb ich etwas zurück und brach, wie ich es bei der Javanin gesehen, kleine Zweige in der Richtung auf den Wasserfall ab. Dann trat ich in den Bach und folgte den Gefährten, vorher überzeugte ich mich, daß uns niemand beobachtet hatte.
Einen zur Verteidigung wie geschaffenen Platz fanden wir auf einer Anhöhe, die ein Teich krönte. Ich hielt ihn für einen alten Krater, denn die Umwallung und die ganze lavaübersäte Umgebung sprachen dafür. Allerdings barg der Teich Fische in großer Anzahl. Dürres Holz, das ein Orkan von den umliegenden Felswänden heruntergeworfen haben mochte, lieferte uns gutes Brennmaterial.
»Hier bleiben wir mindestens zwei Tage,« entschied Liebert, »Wenn wir nichts anders bekommen können, leben wir von Fischen, die sind auch nicht schlecht.«
»Ich muß erst schlafen!« rief Gyßler, »sonst bringe ich keinen Bissen herunter. Düwell wird mir Gesellschaft leisten, denn auch ihm fallen die Augen zu. Paßt nur gut auf die Wildkatze auf. Das Weib brütet Verrat.«
Die Warnung war überflüssig. Ich befahl dem Weibe mit meinem Raupennetz Fische aus dem Weiher zu fangen und bedeutete ihr durch Pantomimen, daß sie keinen Laut von sich geben dürfe. Sie ging auch gehorsam an das Wasser und bewies eine solche Geschicklichkeit beim Fange der Fische, daß ich schon nach einer halben Stunde abwinkte, – Die Javanin schien aber an dem Geschäft Geschmack zu finden. Als ich ihr das Netz wegnahm, streifte sie den Sarong ab und sprang in den Teich, um den Fang mit den Händen fortzusetzen.
Liebert lehnte an der natürlichen Brustwehr des Kraters und schnitzte spitze Hölzchen, an denen die Fische geröstet werden sollten. Plötzlick bemerkte ich, daß er angestrengt in die Ferne blickte, dann langsam von dem Stein glitt und auf mich zukam. Möglichst unauffällig sagte er:
»Unten am Wasserfall sind Wilde. Ich zähle fünf Männer. Sorgen Sie dafür, daß die Braune dort kein Zeichen gibt.«
Die Nachricht ließ mich auffahren, sofort hatte die Javanin die Bewegung erspäht. Mit einem Satze war sie aus dem Wasser und machte Miene, an die Umrandung zu laufen. Ehe sie aber dorthin kam, flog ihr Lieberts Decke über den Kopf. Im nächsten Augenblick krümmte sie sich unter den eisernen pommerischen Fäusten am Boden. Wenn aber Liebert geglaubt hatte, ein schwaches Weib vor sich zu haben, dann wurde er jetzt eines Besseren belehrt. Die Javanin gebärdete sich wie rasend und entwickelte gewaltige Kräfte, die ihr bei der unglaublichen Geschmeidigkeit ihres Körpers um ein Haar die Freiheit gebracht hätten. Zum Glück kam Düwell, den ich mit Gyßler geweckt hatte, dem Gefährten zu Hilfe. Die rasende Frau wurde solide gebunden und geknebelt und dann vor die Läufe unserer Büchsen an der Brüstung niedergelegt. Sie sollte ohne Gnade getötet werden, wenn uns durch ihr Zutun etwas zustieße.
Mit dem Fernglase beobachtete ich das Treiben der Wilden, die allem Anscheine nach von dem Berge hinuntergestiegen waren, den uns die Javanin als den einzigen Weg bezeichnete. Die Männer kletterten wie die Affen in den Steinen um den Wasserfall herum, der anscheinend gar keinen Übergang über das Gebirge bildete, wie ich bemerken konnte, schauten sie in die Spalten der Felsen. Einer sprang mit einem kühnen Satze sogar durch das fallende Wasser, wahrscheinlich um dort nach uns zu suchen. – Das dauerte so eine halbe Stunde lang. Die Wilden traten hierauf zusammen, betrachteten die Höhen ringsum, als ob sie dort die Feinde vermuteten und gingen dann auseinander. Sie suchten den Wald ab.
Mit begreiflicher Spannung verfolgten wir jeden Schritt der Wilden, wir sahen sie den Lauf des Flusses absuchen und oft ratlos zu den Bergen emporblicken. Augenscheinlich vermuteten sie uns dort irgendwo versteckt. Die Hartnäckigkeit, mit der die Männer gerade an jener Stelle nach unsern Spuren suchten, bewies uns, daß die ganze Fluchtkomödie von dem Weibe aus irgendeinem Grunde absichtlich in Szene gesetzt sein mußte.
Gyßler hielt das der Frau in harten Worten vor und ließ ihr keinen Zweifel darüber, daß sie als erstes Opfer fiele, wenn die Verfolger Miene machen sollten, uns in unserm Lager anzugreifen. Die Rede machte jedoch keinen Eindruck auf die Frau, denn ihre Augen blickten so teilnahmslos in die Welt, als ob sie die ganze Sache nichts anginge.
Einer der Wilden entfernte sich in der Richtung nach dem Bache, an dessen Ufern wir gerastet hatten. Dort fand er bald die von mir absichtlich gezeichneten Büsche, zu denen er sich neugierig niederbeugte. Auf seinen Ruf liefen auch die übrigen zu der Stelle, und nun begann eine eifrige Debatte, deren Gegenstand die eingezeichneten Büsche zu sein schienen.
Liebert, der das zuerst sah, machte mich darauf aufmerksam.
»Die Wilden zerbrechen sich den Kopf darüber, wer wohl die Büsche eingeknickt haben könnte. Sie erkennen am Bruch, daß das nicht von der Hand der Frau geschehen sein kann. – Ich fange an zu glauben, daß die Männer nicht uns, sondern nur das Weib suchen.«
»Der Gedanke kam mir schon, als ich nur fünf Leute bemerkte. Sie mußten doch wissen, daß unserer vier ihnen ebenbürtig gegenüber ständen, falls es zum Kampfe käme. Und für so leichtsinnig halte ich die Wilden nicht, daß sie sich unüberlegt in ein gefährliches Abenteuer stürzen, wenn sie nur das Weib haben wollen, dann mögen sie ruhig kommen. Ich bin froh, wenn wir die wilde Katze los werden, obschon sie uns als Führerin gute Dienste getan hat.«
Unten am Bache war man sich, wie es sich zeigte, einig geworden, die weitere Umgebung des Ortes systematisch abzusuchen. Die Männer verteilten sich rechts und links des Bachufers und verschwanden, durch das Buschwerk unsern Blicken entzogen, in dem Walde.
»Jetzt werden sie unsere Frühstücksstelle finden und erst recht nicht wissen, woran sie sind. Besonders die leere Konservenbüchse dürfte ihnen Kopfzerbrechen machen,« sagte ich lachend zu meinem Nachbar. »Ich sehe im Geiste die dummen Gesichter, die von denen der Affen nicht sehr verschieden sein werden.«
Düwell, der an der andern Seite des Kraters Ausguck hielt, kam gebückt zu uns herangesprungen:
»Obacht, dort unten kommt ein Wilder. Gleich wird er unsere Fährten finden.«
»Ich denke, wir machen uns bemerkbar,« sagte ich, meine Büchse schußbereit haltend. »Es hat keinen Zweck, jetzt noch Verstecken zu spielen, denn nun können wir doch nicht mehr ungesehen weiterziehen.«
Als kein Widerspruch erfolgte, erhob ich mich langsam und blickte über die Brustwehr. Dort stand, keine zehn Schritte entfernt, ein Wilder und spähte eifrig nach den von uns hinterlassenen Fährten. Er war so vertieft in seine Untersuchung, daß er mich erst bemerkte, als ich mich leise räusperte. Dann aber fuhr der Kopf in die Höhe, und nun bot sich mir ein Anblick, der mich zum Lachen reizte und meine Kameraden an meine Seite rief.
In den Zügen des Mannes spiegelte sich unverhohlenes Entsetzen beim Anblick der vor ihm aus dem Boden wachsenden Köpfe mit der unbekannten Kopfbedeckung. Da er von unsern Körpern nichts wahrnehmen konnte, war es erklärlich, daß ihn die unvermutete Erscheinung tatsächlich jeder Bewegungsmöglichkeit beraubt hatte. Seine Lanze entglitt seinen Händen und große Schweißtropfen bildeten sich in dem vor Schrecken erdfahlen Gesichte. Keines Wortes mächtig, blieb er mit starr auf uns gerichteten Augen stehen.
Besser als dieser Anblick konnte uns nichts von der Harmlosigkeit der Wilden überzeugen, wir wußten jetzt, daß die Leute nur die Entflohene suchten. In der Absicht, dem Manne das Versteck des Weibes zu zeigen, erhob sich Liebert und sprang mit einem Satze auf die Brustwehr.
Diese turnerische Leistung löste den Bann des Wilden. Ein rauher Schrei entfuhr seinen Lippen, und ohne nur die Lanze aufzuheben, rannte er mit allen Zeichen der Angst den Hang hinunter in den Wald.
»Das verstehe ein anderer,« rief Liebert kopfschüttelnd. »Ist denn hier die ganze Gegend verhext? Aus dem Weibe werde ich nicht klug; in der Art ihrer Reden finde ich keinen Sinn, und nun kommen noch die Männer und gebärden sich wie Irrsinnige! Ich bin neugierig, wie sich das noch entwickelt!«
»Da uns die Javanin nicht mehr schaden kann, dürfen wir sie nun auch befreien,« sagte ich und bat Düwell die Frau loszubinden.
Sie fauchte wie eine wirkliche Wildkatze und wenn nicht die Furcht vor den Gewehren sie zurückgehalten hätte, so wäre Düwell wahrscheinlich sehr übel zugerichtet worden. Ihn trafen die ersten Wutausbrüche, und es waren nicht gerade schmeichelhafte Ausdrücke, die er zu hören bekam.
Gyßler setzte die Javanin von der Anwesenheit ihrer Freunde in Kenntnis. Sie starrte den Kameraden ungläubig an und sprang auf den Rand des Kraters um sich von der Wahrheit seiner Worte zu überzeugen. Als sie niemand sah, kletterte sie wieder herab und drang nun in Düwell, der ihr sagen sollte, daß Gyßler sie nur habe erschrecken wollen.
»Wieso sollte dich die Nachricht erschrecken?« fragte Gyßler. »Du hast die Leute doch selbst auf unsere Spur gelockt. Das tut man doch nicht, wenn man sie fürchtet.«
Diese Worte trafen die Javanin wie Peitschenhiebe.
»Wen habe ich auf unsere Fährte gelockt?« schrie sie mit zischender Stimme. »Glaubst du, weißer Mann, daß mich der Häuptling mit euch fortgehen ließe? Er wird mich töten, wenn er mich findet. Sage, sprich, es war nicht wahr was du sagtest?«
Ein Zittern lief durch die schlanke Gestalt und ein unverkennbarer Zug tiefster Angst prägte sich in dem Gesichte der Frau aus. Wir alle waren in diesem Augenblicke überzeugt, daß sie tatsächlich die Wahrheit gesprochen hatte.
»Die Sache wird immer rätselhafter,« sagte ich zu Gyßler gewendet. »Fragen Sie doch nochmal, ob wir wirklich eine Verfolgung des Häuptlings zu fürchten haben, oder ob die ganze Erzählung Humbug war. Wir müssen endlich klar sehen.«
Unterdessen hatte der so überstürzt davongelaufene Wilde seine Begleiter herbeigeholt und sie an den Fuß unserer Anhöhe geleitet. Sie standen in größerer Entfernung hinter den Bäumen und berieten augenscheinlich, wie sie sich uns gegenüber verhalten sollten.
Ich zog das Mädchen an die Umwallung und zeigte ihr die im goldenen Schein der untergehenden Sonne sich plastisch von dem helleren Hintergrunde abhebenden Männer. Scheu hob sie den Kopf und blickte lange und angestrengt zu der lebhaft gestikulierenden Gruppe herüber. Dann wandte sie sich um. Ihre Mienen drückten keinerlei Aufregung aus.
»Nun, wer ist das?« fragte Gyßler.
»Ich kenne die Männer nicht. Es sind keine Sadjo,« antwortete sie achselzuckend. »Der Häuptling kann auch noch gar nicht in das Dorf zurückgekehrt sein.«
»Es wird besser sein, wenn dich die Männer dort unten nicht in unserer Mitte sehen,« sagte nun Düwell. »Wenn sie mit den Verfolgern zusammentreffen, können sie dich nicht verraten.«
»Fürchten sich die weißen Männer vor dem Sadjohäuptling?« fragte mit blitzenden Augen die Javanin.
»Wir fürchten keinen Menschen. Wir wollen aber auch kein Blut vergießen, wenn es nicht nötig ist. Wenn der Häuptling uns einholen sollte, steht es dir frei zu ihm zurückzukehren, aber kämpfen werden wir nicht mit ihm!«
»Also werdet ihr mich seiner Gewalt wieder ausliefern?«
»Das hängt ganz von dir ab. Benimmst du dich so verräterisch wie heute morgen, dann mag er dich mitnehmen. Willst du aber wirklich nicht in seine Hütte zurückkehren und uns begleiten, dann füge dich den Befehlen unseres Führers.«
Während Düwell diese Unterhaltung mit dem Weib pflog, hatte Gyßler eine Verbindung mit den Eingeborenen hergestellt. Auf ein in der Budjisprache zugerufenes Begrüßungswort, gaben die Wilden Antwort und liefen auch nicht davon, als Gyßler nun über den Rand sprang und zu ihnen hinabstieg.
Das Resultat der Unterredung war ein durchaus zufriedenstellendes. Diese Eingebornen, deren Dorf wir in der Dunkelheit in nächster Nähe passiert hatten, fanden in der ersten Morgenstunde bereits unsere Fährten. Da diese in eine unbewohnte Gegend führten, verfolgten sie dieselben und glaubten, daß es auf die Nester der zahlreich an den Hängen des Wasserfalles lebenden großen Tauben abgesehen war, deren Eigentumsrecht sie für sich beanspruchten.
Über den Stamm der Sadjo befragt, bestätigten sie die Abwesenheit des Häuptlings, der wegen seiner Grausamkeit gefürchtet war. Das Dorf, in dem wir uns als Gäste aufgehalten hatten, sei nicht die eigentliche »Residenz« der Sadjo. In dem Dorfe wohnten fast nur Gefangene. Es ging auch die Sage, daß eine fremde Frau dort gefangen gehalten werde.
»Und wo befinden wir uns jetzt?«
»Das Land der Orang-Budji beginnt auf der andern Seite des Gebirges. Der Stamm wird für ebenso kriegerisch gehalten wie die Sadjo und man gibt uns den Rat sehr vorsichtig zu sein, denn mit den weißen Männern lebten die Budji im Kriege.
»Wohin gehen die Männer jetzt? Bleiben sie über Nacht hier?«
»Sie übernachteten in den Felslöchern am Wasserfalle, weil sie die Geister fürchten, die hier allnächtlich ihr Unwesen treiben.«
»Hm, demnach müssen wir wieder einmal bei Nacht und Nebel abziehen,« erwiderte ich. »Der Schlaf wäre uns allen so notwendig wie das Wasser. Und das alles verdanken wir nur dem Weibe dort.«
»Nicht ungerecht sein,« entgegnete Liebert. »Auch ohne die Frau wären wir in diese Zwickmühle geraten, im Gegenteil – wir säßen dann noch tiefer in der Patsche. Das arme Wesen, mag es nun verrückt sein oder nicht, nehmen wir jedenfalls noch mit uns; d. h. wenn es will. Wir schlafen jetzt abwechselnd jeder vier Stunden und um vier Uhr brechen wir auf. Gyßler wird sich wohl über den Weg informiert haben.«
»Allerdings« – erwiderte dieser. »Aber wir wählen einen andern, wir könnten sonst die Verfolger bald auf den Fersen haben.«
Es wurde mir recht sauer um ein Uhr aufzustehen. Aber da auch die Gefährten sich mit den kurzen vier Stunden begnügten, überwältigte ich meine Schlaftrunkenheit und begann das Frühstück zu bereiten, zu dem wir heute die übrig gebliebenen wohlschmeckenden Fische braten wollten. Ein kurzes Bad in dem Teiche verscheuchte vollends die Müdigkeit.
Punkt vier Uhr weckte ich meine Kameraden und die »Wildkatze«, wie wir die Javanin nun nannten, und bereiteten uns zum Abmarsch vor. Diesmal übernahm ich die Führung, trotz der Proteste des Mädchens, das mit aller Gewalt zu dem Wasserfall zurückkehren und dort über das Gebirge gehen wollte. Keiner von uns zeigte aber das geringste Verlangen nach einer halsbrecherischen Kletterpartie, und so behielten wir schließlich unsern Willen. –