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Über die braunrote Heide trabte ein Reiter auf seinem prächtig geschirrten Schimmel. Schwer schlugen die Hufe des Rosses auf den unübersehbaren, farbenfrohen Teppich. Wie von einem leichtsinnigen Weib war das lustige Tuch zwischen dem grauen Schlick der Marschen und der schwarzen Erde älteren Ackerlandes hingeworfen. Eine helle Herbstsonne leuchtete gläsern vom Himmel, und der erste Frühwind sprühte zuweilen bunte Tropfen von den Kräutern.
Dem Tier aber ward keine leichte Bürde, denn sein Lenker hatte einen Knaben vor sich auf den Sattel genommen. Den hielt er fest mit der Linken umfangen, und während er den Gaul allein mit den Schenkeln steuerte, zeigte die Rechte unaufhörlich auf Nähe und Weite. Jeder Tümpel mit Torf oder Meergrund, jede einschießende Wiese wurde mit hellem Jubel, mit freudeerfülltem Stolz begrüßt.
»Sperr deine blauen Augen ja weit auf, mein Büblein«, lud der Störtebecker triumphierend ein, und dabei drückte er seinen Gefährten ohne weiteres an seine weitgeschwellte Brust, ja, er herzte sogar stürmisch das vor ihm flatternde blonde Haar, weil er in diesem Augenblick nichts neben sich dulden konnte, was nicht bedingungslos seiner Macht unterworfen war. »Sieh, da und dort, vor uns, neben uns, alles mein, dein, uns allen.«
Und berauscht von dem ungeheuerlichsten Erfolge, trunken von der Vorstellung, daß auf diesem morgenfrischen Boden Menschheitswende wachsen sollte, so grundsprengend, so segenschwer, so planvoll, wie es vorher auf deutscher Erde weder von Carolus Magnus, dem Ordnungsstifter, noch später von Priestern oder Laien geahnt war, da ließ der von Schöpferlust Beseligte seinen Begleiter zur Seite sinken, warf sich über ihn und preßte seine Lippen durstig auf den Frauenmund. Was er hier liebkoste, das verschwamm ihm. Er küßte seinen eigenen Gedanken, der in der Frauenbrust wie in einem Tempel für ihn bewahrt lag, er umfing in jenem Leib, der sich zu ihm bekannte, gewissermaßen die Erfüllung und Vollendung seines Traums. Und diesmal widerstrebte ihm Linda nicht. Selbstvergessen, verklärt, ganz und gar eins mit dem Willensmächtigen, blickte sie mit großen, grüßenden Augen zu ihm empor, und in ihrem Kinderlächeln prägte sich die Überzeugung, daß alle Schmach, alle Schande in dem Feueratem, in dem brausenden Wehen des Werkes geläutert und von ihr genommen sei. Ein segenspendender Gott hatte sie befruchtet, und sie diente ihm dafür und empfing zum Lohn die Gnade des Schauens. Eine Entzückung durchrieselte sie, und aufgehoben von einem Wirbel unvorstellbaren Empfindens, unterfing sie sich dessen, was sie nie vorher gewagt, schüchtern schlang sie beide Arme um den zu ihr geneigten Männernacken und hielt ihn fest. Selbst den wilden Mann beschlich ein fernes Verständnis für die opfervolle Gabe, die ihm hier gereicht wurde.
»O du blondes Gold«, entlud er sich in frohem Übermut, »wie freue ich mich deiner! An dir klebt kein Unrat, bist nicht durch der Krämer Hände gewandert, und man kann sich leicht die Seligkeit um dich kaufen.«
Noch einmal vernahm die käferdurchsummte Heide neben dem regelmäßigen Hufschlag das helle Jauchzen befriedigten Siegerglückes, und die Heideeinsamkeit legte sich tröstend um ein aufgestörtes Frauenherz.
So zogen sie fürbaß, an dunklen Torfmooren und weiten Strecken gelben Flugsandes vorüber, und solange die silberne Morgenstille mit ihnen wanderte, waren die Einsamen nicht nur eng aneinandergebunden durch das gemeinsame Drängen nach einem frommen, kindlichen Zeitalter, sondern auch das geheimnisvolle Weben zwischen Mann und Weib spann feine heißen Fäden um sie. Immer wieder, wenn das Hochgefühl seiner Sendung dem Reiter die Brust sprengen wollte, dann warf er sich gegen die schlanken Frauenglieder, und mit Herzklopfen und entzückter Duldung vernahm Linda all die Tollheiten und unbändigen Neckereien, die er ihr zuflüsterte.
Wo war ihre Nonnensehnsucht geblieben?
Aus einer moorigen Senkung waren sie eben aufgetaucht, als ein Wiehern ihres Schimmels die Versunkenen weckte. Heftig schleuderte das Tier den Kopf. Ein weiter offener Wiesenplan dehnte sich vor ihnen, verschiedene Wege schlängelten sich über die Grasebene, und an einer Kreuzung dampfte eine Staubwolke.
»Holla«, rief der Störtebecker, froh, den ihm bereits eintönigen Schleckereien entzogen zu sein, und bettete die Hand über die Augen. »Schau, ein Trupp von Reisigen. Laß uns sehen, wen sie schon so früh geleiten?«
Und sofort setzte er dem müden Gaul die Sporen ein, keuchend und schnaufend trabte der Schimmel dem Kreuzweg entgegen.
Vor ein paar Balken, die roh und kunstlos über eine Binsenniederung gelegt waren, hielt ein Zug berittener Spießknechte. Sie trugen sämtlich den blauen Brokmerpfeil an ihren schwarzen Filzröhren und warteten nur darauf, daß der elende zweirädrige Reisekarren, wie er zu jenen Zeiten von vornehmen Frauen benutzt wurde, ungefährdet über das Balkengestell hinüberknarre. Die Dame selbst jedoch, anstatt geduldig auf dem harten Sitzbrett ihres Käfigs auszuharren, hatte längst den Braunen eines der Knechte bestiegen, denn es war Occa, des tollen Occo Tochter, die, kaum der Aufsicht ihrer Mutter entzogen, ihrer Neigung zu ausgelassenen Streichen verfiel. Rittlings wiegte sie sich im Sattel, und da sie heute das kniefreie rote Friesenröckchen angelegt hatte, so sah der sich nähernde Freibeuter mit Behagen, wie die eng verschnürten Beine der Reiterin geschmeidig und wohlgefügt den Leib ihres Rosses umfingen.
Da sprang dem stets erhitzten Weiberjäger sofort das Blut in den Adern. Das ungewöhnliche Bild junger, zu jeder Verschwendung bereiter Lebenslust berückte ihn, und plötzlich sah er sie weißgliedrig auf dem dunklen Fell reiten, Meerwasser träufelte ihr über Brust und Nacken, und das aufgelöste Gold der Haare flatterte ihr feucht um die Schultern.
Kein Zweifel, der begehrliche Mann atmete schneller – er hatte die Schöne bei seiner Einfahrt schon so geschaut, wie er sich alle Weiber am liebsten vorstellte.
Mit einem Stoß schob der Störtebecker seinen Gefährten zur Seite, um frei und ungehindert den Anblick genießen zu können. Und in der eigensüchtigen Meinung, daß seine Gedanken auch unausgesprochen von jedem verstanden werden müßten, schwenkte er heftig seine Kappe zum Gruß und schrie hinüber:
» Courte et bonne, bist du der Wasserteufel oder nicht?«
Die schöne Occa jedoch verstand. Auch sie wirbelte ihre gelblederne Kopfbedeckung durch die Morgenluft und rief mit heller Stimme zur Antwort:
»Und du, Schuimer, was bist du für ein vierbeiniger Reiter?«
Da beugte sich der Seefahrer noch weiter vor und klopfte, nahe genug herangerückt, Occas Braunem die Halsung.
»Laß gut sein«, erwiderte er hastig und nur darauf erpicht, das kurze Reitergewand der Blonden zu berühren, »dies hier ist mein Diener. Ich gönne dem Zarten gern jede Schonung. Doch nun, du Fisch und seltener Vogel, sage mir, wohin geht die Reise?«
Langsam löste die Broke-Tochter ihre braunen Augen von dem Knaben, der noch immer durch die Linke seines Herrn vor dem Sturz bewahrt wurde, und da sie mit dem Scharfblick der Frauen wohl gleich das wahre Geschlecht dieses Dieners erraten haben mochte, so glitt ein spitzbübischer Zug über ihr feines Antlitz, und der Zwang überkam sie, den frechen Reiter sogleich bestrafen und peinigen zu müssen.
»Nun, du Allwissender«, entgegnete sie mit strahlendem Spott, »da du doch den Umgang mit edlen Frauen zu kennen scheinst, so sage mir, wohin gehört eine ehrbare Hausfrau rechtmäßiger, wenn nicht zu ihrem Eheherrn? Der meinige ist, damit du es weißt, Luitet van Neß, und ich hoffe, daß er meiner alleweil in Sehnsucht gedenkt.«
»Nun, da wollte ich doch – –«, fiel der Störtebecker aus allen Himmeln, der ganz offen seinen Grimm darüber verriet, weil dieser glatte Vogel aus dem Garn zu hüpfen versuchte, »nun, da wollte ich doch, der unterste Grund der Hölle öffnete sich – –«
»Für wen?« lauerte die Goldblonde, innig befriedigt über die Wirkung ihres Geständnisses, indem sie sich blinzelnd nach vorn krümmte und dabei ihre Knie immer höher auf den Rücken des Pferdes zog.
Der Riese aber hatte seine erste Anfechtung überwunden. Und da – juchhe – da höhnte er schon über seine gewissenhafte Bürgerbedenklichkeit. Seit wann machte er denn vor Weihwasser und Sakrament halt? Bei allen Wonnen des heißen Blutes, und würde diese Occa mitsamt ihrem Hausherrn statt auf dem Karren in ihrem Ehebett durch die Lande rollen, der Wilde schwor sich, er wollte sie dennoch vor den Augen ihres Nutznießers aus den Laken reißen.
So raste die unstillbare Wut nach Alleinbesitz von allem Schönen und Sinnepeitschenden durch denselben Erlöser, der gekommen war, um die Mißgunst und den ewig regen Neid der anderen zu befrieden. Im Augenblick aber verbeugte er sich geschmeidig im Sattel, schwenkte noch einmal die Kappe und griff ohne weiteres nach den Zügeln von Occas Braunem.
»So werbe ich denn«, sprach der Schalk, »bei der Hausfrau des Häuptlings van Neß um gute Nachbarschaft.« Und ehe noch eine Antwort erteilt werden konnte, warf er die Hand vor. »Geh, heiße deine schwarzen Filzröhren sich beiseitedrücken, denn ich will dir selbst das Geleite geben.«
Überrascht, mit jenem schwebenden Lächeln, das mehr verhieß, als es zu halten gesonnen war, und vor allen Dingen brennend vor Neugier, was ihr wohl bei dem Zusammensein mit dem blutigen, sagenumsponnenen Gewaltmenschen bevorstehe, nickte die schöne Occa, schon wandte sie sich mit einer kurzen Bitte an ihre Begleiter, als unvermutet das so vielversprechend eingeleitete Abenteuer gestört wurde.
Besorgt um jedes Wort, das nicht der gemeinsamen – oder noch besser, der ihr allein gehörigen Aufgabe galt, so hatte Linda, noch im Arm ihres Gebieters, dem leichtfertigen Geplänkel gelauscht.
Und nun? Diese kaum verhüllten Scherze hier auf heiligem Boden?
Ihr schwindelte, sie wußte nicht mehr, was sie trieb. Ach, sie vergaß sich. Zu ihrem Unheil trat sie aus dem Bann ihres bisherigen bescheidenen Dienens heraus.
»Herr«, kehrte sie sich bebend zurück und legte dem Riesen ihre zitternde Hand auf die Brust, »du wolltest –«
Gestört verzog der Störtebecker die Stirn, sein gekrümmter Arm schob die Andrängende von sich.
»Was wollte ich, Licinius?« warnte er, als ob er seinem Gefährten noch bei rechter Zeit zu Einkehr und Besinnung raten möchte. »Was wollte ich?«
Doch Linda war durch das, was vorausgegangen, durch die wilden Liebkosungen ebenso wie durch die Nähe des ersehnten Zieles zu sehr aus ihrer Bahn geschleudert, als daß sie ihr bescheidenes, unauffälliges Wesen nicht völlig verleugnet hätte.
»Herr«, mahnte sie mit einer dringenden, beschwörenden Gebärde, »wozu willst du hier noch länger säumen? Vergiß nicht, o vergiß nicht, daß deine Flotte und die künftigen Ansiedler deiner harren.«
War es die Zurechtweisung, die ihm hier öffentlich erteilt wurde, oder drückte die Gewißheit dem Herrschsüchtigen ihren Stachel tief ins Blut, daß nun auch andere an seine Pläne tasten durften? Rot vor Unmut schleuderte er sich herum, und die Bewegung war so gewaltsam, so rücksichtslos, daß Licinius ohne weiteres aus dem Sattel geworfen wurde. Kaum vermochte sich der Halbbewußtlose noch vor dem Sturz zu bewahren. Aber auch so taumelte er ein paar Schritte über den Grasboden, bis er endlich an Occas Braunem einen Halt fand. Luftberaubt, an allen Gliedern bebend lehnte er sich hier an den Leib des Tieres. »Bube«, schrie der Störtebecker in einem schrecklichen Ton, und man sah, wie seine Rechte vergeblich die Lederpeitsche suchte, »will das Gesinde seinen eigenen Herrn zu Botengängen heuern? Gleich pack dich und tu selbst, was du so schön beschrieben. Oder, bei allen Furien, ich will dir Beine machen.«
Schon hatte der Gereizte den Striemer gefunden, und nun knallte er ihn, zur Züchtigung entschlossen, so grausam durch die Luft, daß Occa, von einem Schauder ergriffen, sich schützend über den Knaben beugen mußte.
»Laß ab«, wehrte sie dem Ergrimmten, dessen in Brand geratene rollende Augen ihr plötzlich Grauen einflößten, und bezeichnend setzte sie hinzu: »Willst du Wüterich etwa dies zarte Gebein zerfleischen?«
Da hielt der Seefahrer auf halbem Wege inne, aber auch Linda erwachte; einen leeren, weiten, zerrütteten Blick heftete sie auf den Mann, der bisher in einer aufrechten Flamme vor ihr hergezogen, dann schüttelte sie stumm das Haupt. Und wie jemand, der für immer den Weg verloren, stürmte sie mit einemmal über Wiesen und Heide von dannen.
Winziger und unkenntlicher wurde der schießende, schwarze Fleck hinter den ginsterbraunen Erdwellen.
Hätte sie sich nur noch ein einziges Mal umgewandt, sie würde bemerkt haben, wie der Reiter, der sie eben züchtigen wollte, jählings die Faust vorwarf, als könnte er seinen Gefährten mit diesem einen Griff bändigen und wieder an seine Seite zwingen. Allein die Entfernung hatte sich bereits zwischen beide gelegt und verschlang alles. Um die Flüchtende kreiste die Ebene in langen, sich jagenden Streifen. Bald wirbelten Moorgründe auf sie zu, bald tanzten Gräben um sie her, dann hüpften plötzlich wieder Dornbüsche aus dem wild gewordenen Sande, bis schließlich allerhand Wege ihr entgegenstürzten, die sich um die Verirrte stritten.
Nach Stunden erst langte ein bestaubter, zerrissener, kotbedeckter Knabe auf dem großen Schiffe im Hafen an. Hohläugig, zusammenhanglos richtete er den Befehl des Herrn an die Mannschaft aus, dann verkroch er sich unter den Aufbau, und auf dem Prunkbett des Bischofs wälzte sich bald darauf ein krampfgeschüttelter, fiebernder Haufe. Immer von neuem falteten sich ein Paar blutlose Hände, damit sie Gedeihen, Segen, Vollendung auf das Werk herabflehten. Auf das Werk – auf das Werk, das sich von seinem Schöpfer trennen wollte.
Nach mehrstündigem Ritt machten die Broke-Reisigen endlich Rast. Auf den Wunsch ihrer Dame waren sie dem nachfolgenden Paar weit vorausgeritten, so daß sie ihre Herrin sowie deren Begleiter fast aus den Augen verloren. Jetzt tränkten sie ihre Rosse aus einem der flachen Heidebäche. Die Knechte aber konnten auch deshalb ihre Herrschaft nicht entdecken, weil die beiden, während sie ihre Pferde friedlich grasen ließen, sich in eine der vielen Flugsandgruben gelagert hatten, um nun ebenfalls der Ruhe zu pflegen. Trotz des dürren Bodens war die Senkung über und über mit bunten Wiesenblumen bestanden, und auf dem oberen Rand blühten Ginster und wilder Dorn. Ein verwunschener, heimlicher Platz. Langhin hatte sich der Störtebecker ausgestreckt, wohlig fühlte er unter sich die heiße Erde, und da er stärker atmete, so war es ihm, als sei es ein leichtes, auch den blauen Himmel in sich einzuschlürfen. Unter halbgeschlossenen Wimpern blinzelte er zu der unweit sitzenden Occa hinüber. Die flocht an einer langen Ringelkette von Marienblumen. Sobald sie jedoch ihre braunen Augen spähend über den scheinbar Ruhenden hinstreifen ließ, dann glitt jedesmal ein spöttisches Lächeln um den herrischen Mund des Riesen, denn seine Ungeduld errechnete bereits den Augenblick, wo seine Wünsche sich erfüllt haben würden. Hier, an diesem eigens dazu geschaffenen Fleck, mußte das ihn sooft anspringende Fieber gelöscht werden, sonst wäre es ja eine Ruchlosigkeit gewesen, seinen treuen Licin durch Peitschengeknall von seiner Seite getrieben zu haben.
Als ihm der Knabe einfiel, schlug er die schwarzen Augen hartherzig auf, er schüttelte sich, und eine wirre, unklare Rachsucht erfaßte ihn, als wäre der Fall dieser Nahen die schuldige Genugtuung für die andere. Und ohne sich noch durch irgend etwas hemmen zu lassen, richtete er sich auf und schnellte wie eine große Schlange zu seiner Gefährtin hinüber. Verwundert verfolgte die sein Treiben.
»Fürchtest du dich nicht?« forschte er, als er Occa erreicht hatte, und dabei stützte er sich mit beiden Armen über die Zusammensinkende. »Du weißt doch, was man für Lieder von mir singt? Ich spaßte nicht lange mit schönen Frauen, die mir gefallen.« Die Broke-Tochter regte sich kaum, und während jenes spitzbübische Lächeln ihren Mund verschönte, das ihren Bedränger immer ärger zu Tollheit und Gewalt reizte, da warf sie dem Geneigten lässig ihre Blumenkette um den Hals.
»Gewißlich, du langer Mensch«, sprach sie sorglos zu ihm empor, »mir geschieht nichts von dir.«
Doch der Störtebecker hielt sich nur noch mit Mühe.
»Du möchtest leicht irren«, entgegnete er gepreßt, und es klang wie das dumpfe Murren vor einem Gewitter, »was sollte mich hindern?«
Da geschah das, was den eigenwilligsten und herrschsüchtigsten aller Männer mitten im Laufe festhielt. Eine kleine Hand war es, die erst neckisch an der Blumenkette zauste, bis sie ihm unvermutet einen leichten und doch fühlbaren Backenstreich versetzte. Dem Freibeuterfürsten aber schwirrte es vor Augen, tausend zügellose Stimmen schrien in ihm auf, die Züchtigung, und wenn es auch nur eine eingebildete, im Spiel zugefügte war, sie erinnerte ihn an seine Sassenzeit und versetzte den Ungebändigten in Raserei.
Mit einemmal fühlte er einen sich windenden Frauenleib in seinen Armen, er wollte ihn schonen, um sich seiner Beute desto ungestörter freuen zu können, umsonst, wieselhaft glitt es unter seinen Armen dahin, im nächsten Augenblick schon fuhr von dem Hügelrand, auf den das kurzröckige Weib gesprungen war, ein heller Ruf über die Ebene.
Von fern antworteten die Knechte.
»Merke dir das, du leichtfertiger Tor«, sprach Occa derweil strafend, obwohl ihre blitzenden Augen und ihre rasch schöpfende Brust Milderes verhießen. »Weißt du nicht, daß jeder, der einer Friesin Ehre verletzt, dem Tod vor dem UpstalsboomEin uraltes friesisches Volkegericht. verfällt? Auch wir, du Schuimer, scherzen hier nicht. Zudem – ich bin eine Fürstentochter. Was würde mit dem neugekauften Lande und deinen Ansiedlern geschehen, wenn deine Untat ruchbar würde? Zweifelst du etwa daran, daß die Burgherren, meine Freunde und Vettern, froh, einen Anlaß gefunden zu haben, über eure kleine Schar herfallen würden, um die Gefährlichen wieder zu verjagen? Warum handeltest du auch so unklug, die See zu verlassen, wo du ein Gewaltiger warst, mehr und fürstlicher als all die kleinen Tyrannen hier in der Runde?«
Als die wohlbedachten Worte auf den Gescholtenen herabfielen, da riß der Mantel von Wollust und Üppigkeit auseinander, mit dem der Seefahrer dieses junge Weib einzig bekleidet wähnte. Denn der Weltkundige erkannte, wie hinter der goldumrahmten Stirn, im verborgenen zwar und doch schon geformt, Absichten und Pläne wuchsen, die seiner Erdumgestaltung feindlich entgegenwirkten. Deutlich erriet der Scharfsichtige, daß hier ein sein spinnender Eigennutz am Werke wäre, der, wie überall auf der mißgestalteten Erde, von der Bedrängnis der anderen seinen Vorteil ziehen wollte.
Da lachte der Störtebecker über seine törichte Verblendung und sprang mit einem Satz, geheilt und entladen, wie er glaubte, neben die Reiterin.
Die aber achtete seiner fürder nicht weiter. Mochte sie durch die Gewohnheit belehrt sein, daß es keiner stärkeren als Blumenketten bedürfe, um solch üppigen Jäger nach sich zu ziehen, jedenfalls warf sie sich, ohne ihrem Begleiter auch nur noch einen Blick zu gönnen, rittlings auf ihren Braunen und sprengte dann in scharfem Flug voran. Und doch meinte der nachsetzende Freibeuter, der schmale, feine Goldkopf unter der gelben Lederkappe hätte ihm einen bestimmten, nicht mißzuverstehenden Wink erteilt. Da knallte der Störtebecker während der sich jetzt entspinnenden Hetze fröhlich, kraftbewußt seine Lederpeitsche durch die Luft. Heißa, solch eine Pirsch war gerade nach seinem Geschmack. Er wußte ja, wonach er strebte.
» Tamen«,Lateinisch: »Dennoch«. schrie er plötzlich voll stürmender Wildheit, während der Heidepfad unter ihm dröhnte, und er warf beide Arme gegen den Silberhimmel. So lautete der Schildspruch, den sein Lehrer Wichmann ihm einst mit auf den Weg gegeben hatte: » Tamen«.
Da wandte die vorausfliehende Occa zum erstenmal ein wenig das Haupt zur Seite.
Im Burghof zu Neß erst kehrte sich seine Führerin unter dem rohen, viereckigen Hauseingang nach ihrem Gaste um.
»Komm«, sagte sie kurz, »damit ich dich leite.«
Leicht strich sie den Staub von ihrem wamsähnlichen Oberrock, dann stieg sie ihm eine dunkle Treppe voran. Sie mußten sich in einem turmartigen Gebäude befinden, denn die Stufen wanden sich im Kreise und wurden immer enger und ausgetretener. Eine faule, stockige Finsternis quoll ihnen entgegen und beschwerte den Atem. In dem Schuimer aber regte sich sicherste Erwartung. Jeden Augenblick meinte er, eine Hand müßte nach der seinen tasten.
Allein seine Sinne spannten sich vergebens. Nach wie vor hörte er die leichten, huschenden Tritte über sich, die Dunkelheit schien sich mit ihnen zu drehen und hauchte eine feuchte Kälte aus.
Aber da endeten die Stufen, ein ebener Gang oder eine Halle mußte erreicht sein, denn plötzlich spürte der Gast seine Führerin dicht neben sich. Wiederum strich sie ihm über das Gesicht und flüsterte:
»Warte!«
Dann entfernten sich ihre Schritte, und der Fremde stand allein, eingeschlungen von der Schwärze. Einen Augenblick lang beschlich den Einsamen das Bedenken, es könnte ihm hier vielleicht von seiner Wirtin eine Falle gestellt worden sein, ja, den zur Tatlosigkeit Verdammten durchzuckte die Ahnung, die wilde, herrliche Jagd nach allem Unerreichbaren möchte womöglich in diesem Moderwinkel ihr Ende gefunden haben. Allein, kaum gedacht, ließ ihn sein unerschöpfliches Vertrauen auf seinen Stern all solche Einwendungen hinter sich schleudern. Und jetzt – nein wahrhaftig –, ganz in seiner Nähe, nur gedämpft durch eine verschlossene Tür, fing er ein sonderbares Grunzen auf, wie wenn ein Schwein sich über dem Futtertrog besonders wohl fühlt, und alsbald gesellte sich das seine Gelächter Occas hinzu.
Dem Störtebecker schoß das Blut ins Antlitz. Giftig träufelte ihm sein Jähzorn ein, er selbst böte wahrscheinlich den Anlaß zu dem heimlichen Vergnügen seiner Schönen, er, der gefürchtete Schwarzflaggenherrscher, der als Gefoppter, als demütig Wartender vor der Tür einer Listigen lauerte.
Da aber stand der Freibeuter geblendet still. Unmerklich war eine niedrige Tür vor ihm aufgeglitten, und der Anblick, der sich ihm jetzt bot, traf den Eindringenden so unerwartet, daß er in jähem Wechsel kaum eine rohe Lachlust bezwang. Wahrlich – und der Störtebecker hieb sich auf die Brust, wie wenn er unbedingt Spuk und Augentrug von sich scheuchen müßte, dort drinnen in dem kreisrunden Turmloch, unter allerlei albernen Geräten und verworrenen Meßtafeln, dazu bestimmt, nach dem Aberwitz der Zeit den Gestirnen ihr Geheimnis zu entlocken, da hockte auf einem niedrigen Dreifuß ein Wulst von Speck und Fett, der sich eben in seinem weiten grünen Tappert mühselig umwandte. Dies war der Häuptling Luitet van Neß, ein Mann, den selbst seine besten Freunde »das Ferkel« nannten. Fragwürdig blieb nämlich seine Menschengestalt. Kleine, triefende Schlitzäuglein, eine ungeheuerliche, weit vorstrebende Schnauze sowie ein ebenso heftig zurückfallendes Kinn gaben dem kurzbeinigen Fettklumpen tatsächlich etwas vom Borstenvieh. Und es bedurfte für den Beschauer nicht erst seiner grunzenden Stimme sowie der blonden Stacheln auf dem platten Haupt, um die Ähnlichkeit unheimlich zu vervollständigen.
Und dies sollte der Gatte der schönen Occa sein?
Vorgebeugt verharrte der Störtebecker an der Tür, offenen Mundes, mit dem ganzen beleidigenden Unglauben eines von der Natur Beglückten starrte er bald auf dieses Schaubudenwunder hin, bald suchte er von der Goldblonden eine Erklärung zu erhaschen. Als er jedoch auffing, wie das junge Weib dem behaglich Grunzenden die kurzen Borsten kraute, wobei sie hinter dem Rücken des Dicken dem Freibeuter schnippisch zunickte, da löste sich die ungemessene Verstricktheit des Betroffenen endlich in einem langen, wilden Gelächter aus. Sogar Herr Luitet, der eben zur Begrüßung heranwatschelte, verfiel in ein beifälliges Grunzen, auch die Burgfrau schloß sich von der großen Heiterkeit nicht aus. Um ihre Lippen aber zuckte es wie jemandem, der sich des Endes bewußt ist.
Kannte sie doch allein den Anfang.
Von ihrer eigenen Mutter, der Quade Fölke, an dieses gemästete Scheusal verkuppelt, sollte die heitere Lebensfreude der Jungfräulichen wohl nach Absicht ihrer Peinigerin möglichst bald in Trübsal und Elend ersticken. Allein diesmal erwiesen sich die Berechnungen der Quade als trügerisch. Da das Ferkel einzig und allein auf der nächtlichen Sternenwiese graste, so stellte es an seine irdische Begleiterin keinerlei Ansprüche, ja, bald geschah es, daß Occa mehrfach am Tage in die Turmzelle ihres Gatten emporsprang, um ihm voller Genugtuung die Wünsche und Verlockungen ihrer junkerlichen Anbeter zu offenbaren. Und während ihre kleine Hand den behaglich Grunzenden puffte oder ihm spöttisch die kurzen Borstenhaare kraute, da konnte man die beiden häufig in ungemessene Heiterkeit über die genasführten Liebhaber ausbrechen hören. Frau Occa hielt sich das »Ferkel«, wie vornehme Damen ihrer Zeit mancherlei mißgestaltete Kreatur in ihrer Nähe fütterten, und so hatte sich zwischen den Gatten allmählich die beide Teile befriedigende Vertraulichkeit guter Geschwister ausgebildet.
Auch über den Seeräuber mußte dem Klumpen wohl schon vorher eine ausführliche Schilderung hinterbracht sein, denn während er ihn pustend und schnaufend begrüßte, blinzelte er aus den schrägen Schlitzäuglein beinahe mitleidig an dem Riesen in die Höhe. Fast schien es, als ob der Weise seinen ungewöhnlichen Gast bereits im voraus bedauerte. Dann aber besann sich der Hausherr auf seine dunklen Künste oder vielleicht auch auf das, was man seinem platten Schädel eben erst eingeblasen hatte. Geheimnisvoll wickelte er sich in sein grünes Kleid, um ernsthaft das Haupt zu schütteln.
»Du überschreitest das Maß«, vertraute er endlich seinem Besucher an. Witternd und feucht zitterte dabei sein Rüssel.
»Getroffen«, nickte der Störtebecker, der sich noch immer nicht fassen konnte, wobei er allerdings mehr die Burgherrin als den Klumpen im Auge behielt, »ich messe sieben Schuh.«
»Das ist es nicht«, murmelte das »Ferkel« abmahnend. Darauf ergriff er eine durch allerlei Striche und Zeichen geteilte Stange und hielt sie schräg gegen den Fremden, so daß die Sonne einen schwarzen Strahl über den Freibeuter malte. »Du überschreitest das Maß«, wiederholte er hartnäckig.
»Potz Blitz«, fiel der Störtebecker lebhaft ein, indem er frisch nach der Stange schlug, »ich will auch mein Begehren nicht messen, und wenn es bis an den Mond wüchse.«
Rasch wechselte er dabei einen Blick mit Occa, die noch immer hinter der Lehne eines unförmlichen Stuhles stand, und so frech und gefräßig züngelte wieder seine Flamme, daß er gar nicht merkte, wie auch dem »Ferkel« jene geheime Zwiesprache keineswegs entging.
»Vom Übel«, verurteilte der Sternendeuter, nunmehr seiner Sache sicher. »Jedem ward sein Maß bestimmt. Der Kundige zählt die Regentropfen. Höre, du bist wohl ein lang aufgeschossener Bursch und tobst auf der Erde lärmdoll umher, aber weißt du denn, was am Himmel für dich angeschrieben steht?«
»Meiner Seel«, beteuerte der Störtebecker, der sich jetzt ungebeten auf eine Ecke des Ziegelherdes niederließ, denn das Geschwätz des Dicken wurde ihm lästig, »laß mich die Erde zurechtrücken und heiße du inzwischen dein Weib, mir einen Morgenimbiß auftischen, so will ich dir wohl oder übel den Jupiter, die Venus und die beiden Dioskuren dazu verkaufen.«
»Verspotte nicht die Ewigwachen«, murrte der Klumpen und hielt jetzt seine Stange prüfend gegen das Fenster und mitten in das Sonnenlicht hinein. »Occa mag dir Hunger und Durst stillen, wie ihr beliebt. Ich wehre ihr nichts. Sie ist frei. Weil alles Geschehen ohnehin aus dem Lichtnebel quillt, der, gewogen und gezählt für jeden von uns, im Unendlichen schwimmt. Occa mag dir das Nachtlager rüsten, und du wirst nicht anders handeln, mein Freund, als die Staubkörner es wollen, die gebieterisch über dir und in dir tanzen. Geh hin und versuche es.«
Diese Gelassenheit jedoch übermannte sogar den sorglosen Gewaltmenschen. Geräuschvoll sprang er vom Herd, und seine Verblüffung steigerte sich noch, als ihm der helle Triumph aus den Zügen der Goldblonden entgegensprühte. Mühsam nur faßte er sich, und indem er sich neigte, warf er im Trotz und wie zum Abschied hin: »Wohlan, Luitet van Neß, so nehme ich deine Gastlichkeit an, und ich will hoffen, daß es meinen Staubkörnern unter der Pflege deines Weibes wohlergehen werde.«
»Jeder muß das hoffen, was ihm beschieden ist«, sprach das »Ferkel« dunkel.
Ruhig ließ der Nekromant seinen Besucher zum Ausgang gelangen, aber gerade als die Reckengestalt sich unter das niedrige Pförtlein bücken wollte, da scharrte der Klumpen, der sich inzwischen wieder auf den Dreifuß niedergezwängt, mit dem Fuß über ein auf der Diele herumliegendes Pergament, so daß ein trockenes Rascheln entstand.
»Nimm dies mit dir, Maßüberschreiter, Tobender im Käfig«, grunzte er gleichgültig, »ein Bote unserer lieben Mutter Fölke brachte es heute. Vielleicht erkennst du daraus, wie das Unsichtbare auf Erden stets hinter uns hersprengt. Hier« – er bückte sich und reichte das Blatt unter Keuchen seiner Hausfrau –, »es ist nur eine Hornisse aus dem großen Schwarm«, schnarchte er schläfrig, in sein Fett versinkend.
»Was für ein Fetzen?« wandte sich der Störtebecker gebieterisch zurück.
Und Occa las. Es war ein Sendschreiben der Hansestädte an die ostfriesischen Häuptlinge, eine freundliche Mahnung, die aber viel eher einem düsteren Drohen glich, indem dadurch den Edeljunkern, den Enno, den Allena, Beninga, Cankena, den Neß, Broke und dem Propst Hisko van Emden auf das gemessenste untersagt wurde, irgendeinen Verkehr mit den Vitalianern, den Gleichebeutern, diesen Schwären und Beulen am Leibe der handeltreibenden Völker, zu unterhalten. Und mit heller Stimme, beinahe jubelnd, verkündigte Occa, während ihr der Störtebecker belustigt über die Schulter schaute, den Schluß:
»Von allen Gottabtrünnigen, von allen lästerlichen Bösewichtern aber, so jemals die Ruhe, den Frieden und die Ordnung in Stadt und Land gestört, ist gewißlich der Störtebecker der verworfenste und wird der Strafe der Verdammnis nicht entgehen.«
»Sicherlich, das wird er nicht«, unterbrach Occa vergnügt und versuchte den ihr Nahen an einer seiner Locken zu reißen. Dann fuhr sie fort:
»Es ward uns jedoch kund, daß dieser friedlose Übeltäter, nachdem er die Ostersee durch Mord rot gefärbt, auch gestohlen und gebrannt, wo er nur konnte, jetzt unter euch das lügnerische Gerücht aussprengt, er wolle eine Bruderschaft aufrichten, derengleichen selbst unserem Seligmacher Jesu Christo nicht gelang.«
Hier stockte die Goldblonde abermals, biß sich auf die Lippen und schüttelte unbefriedigt das Haupt, bis sie endlich aufmerksamer weiterlas:
»Um diesen neuen Frevel gegen Obrigkeit und schuldige Demut nicht reif werden zu lassen, damit aber auch fürder der gemeine Kaufmann sein Handelsgut ungefährdet über See bringen möge, sei hiermit den Edlen der Friesen zu ihrem eigenen Nutz und Frommen voll Ernst und schwerer Sorge empfohlen, die Raubgesellen ohne Zögern aus dem Land zu jagen, Burgen und Häfen ihnen zu verschließen, ihren Anführer aber zu greifen und nach peinlichem Gericht genädiglich vom Leben zum Tode zu befördern. Sollte dies indessen nicht geschehen, so wollen die hansischen Städte doch all ihre Macht aufbieten, um unter dem Beistand des Himmels dem Schwarmwesen in euren Ländern ein Ziel zu setzen.« Unterzeichnet war das Schriftstück »Tschokke, erster Alderman von Hamburg«; und das schiffgeschmückte Siegel der Stadt hing darunter.
Der Störtebecker spießte das Manifest mit dem Schüreisen und warf es ins Feuer.
Gleich einem Fürsten ward der Schuimer auf Burg Neß bewirtet. Occa ließ ihm ein wohlduftend Bad richten, Knechte und Mägde bedienten ihn, frisches Linnen ward dem Gast gereicht, und immer hörte der in der Badestube lärmend Singende, wie die Hausfrau nicht weit von der geschlossenen Tür herumstrich. Diese Nähe bestärkte ihn noch in seinen wilden Vorsätzen. Allein bald merkte er, wie die glatte Tochter der Quade es mit vieldeutigem Lächeln darauf abgesehen hatte, ihn zu necken und dem Gewalttätigen unter allerlei Schmeichelei und trügerischer Zuvorkommenheit die Hände zu binden. Ja, manchmal blitzte es in dem Geiste des Riesen geradezu auf, als ob alles nur geschehe, um dem abwesenden »Ferkel« ein Ergötzen zu bereiten. Occa saß zwar beim Mittagsmahl neben ihrem Gaste an der Herrenseite der Tafel, jedoch der lange Saal war mit so zahlreicher Dienerschaft angefüllt, Köche, Mundschenken, Spießknechte liefen ab und zu, daß jedes vertrauliche Wort untergehen mußte, und der Störtebecker, nachdem er im Unmut Becher auf Becher herabgestürzt, plötzlich aufbegehrte:
»Du Allerschönste glaubst wohl, ich sei König Wenzel, der Hundezüchter,Man erzählte damals, daß König Wenzel seine erste Gattin eines Nachts durch seine wilden Hunde zerreißen ließ. daß du so bunt geschmückte Pfauen vor mir auftragen läßt? Und weißt doch, wie mein Sinn nach ganz anderer Labe steht.«
»Du könntest auch mehr sein, als du bist«, entgegnete die Goldblonde, zur Seite rückend.
Der Schuimer verstand dies nicht. »So laß mich aufbrechen«, fuhr er wütend vom Stuhl.
»Bleib«, flüsterte Occa hinter ihrer Hand.
Da vermochte der Begierige sich nicht loszureißen.
Am Abend gab es auf der Burg Neß ein Gelage. Im Vorbeireiten waren Propst Hisko van Emden sowie Occas sprudelköpfiger Verehrer, der junge Allena, auf der Feste eingekehrt, und nun saßen die Männer in dem langen Saal hinter den Weinkannen beieinander, ließen abwechselnd den unsichtbaren Hausherrn, aber noch öfter die um den Durst ihrer Gäste so sorglich bemühte Burgfrau leben, und unter klappernden Würfeln, unter Lärm und Schelmenliedern wußten sie allerlei von den Händeln des gerade jetzt bedrohlich aus den Fugen brechenden Reiches zu berichten.
»Weißt du schon, Teurer«, schlang der Propst weinselig seinen Arm um den Nacken des Seefahrers und brachte seine wulstigen Lippen bis dicht an das Ohr des Gefährten, »wir sind drauf und dran, den Prager JudenschlächterKönig Wenzel, zu dessen Absetzung schon Vorbereitungen getroffen wurden. in die Moldau zu werfen. Wir jagen ihn fort. Kann auch in einem Weinfaß Buße tun. Gib acht, bald wird der PfälzerRuprecht, der Gegenkaiser. auf seinen Stuhl hüpfen. Da schlägt für mutige Degen wie dich ein glücklich Stündlein. Wie mancher ritt nicht unter einem Federhut aus und kam mit einer Krone heim. Wie wär's, du Siebenschuhhoch? Wir könnten den Handel selbander schlichten!«
Mißmutig schob der Störtebecker den gar zu Vertraulichen zurück, denn in ihm kochte Grimm, weil er den Allena ihrer belustigt lauschenden Wirtin seine verrückten Geständnisse zuflüstern sah.
»Laß das Gefasel, Hochwürdigster«, zischte er böse und zerdrückte fast den Silberbecher in seiner Faust, »mein Ehrgeiz sucht Futter für leere Mäuler.« Als der schöne Mann abermals die Hungernden erwähnte, da sandte Occa dem Riesen einen offen feindseligen Blick zu, der Propst aber brach in ein unvernünftig Gelächter aus. Sein Leib hüpfte ihm. Er erstickte fast.
»Schäker du«, prustete er, indem er dem Freibeuter seine Faust fest in die Rippen setzte, »da wir hier in Liebe und Traulichkeit beisammensitzen, so offenbar uns doch, welch ein einträglich Schelmenstück du hinter deinem wüsten Gerede verbirgst? Weiß doch jedes Kind, daß Reichtum und Völlerei gerade so ewiglich beschlossen sind als Därmeknurren und Hungereingeweide.«
Der Propst ahnte wohl kaum, wie nichts den Störtebecker so verstörte, so von Grund aus umwühlte als Spott über jenes nackte Elend, das seine Phantasie sich in grausiger, jahrelanger Arbeit als ein düsteres Feld ausgemalt hatte, über das entblößte Menschen auf Nacken und Schultern Steinlasten in eine hoffnungslose Ferne schleppen, während den Trägern Arme und Beine bereits verfaulen.
Unheimlich erblaßt sprang der Riese auf, der herrische Mund bebte ihm, da er an seine Jugend dachte, und in jäher Wut schlug er nach der Weinkanne, so daß sie umstürzend ihren Inhalt ergoß.
»Weh euch«, schrie er, wobei er jeden einzelnen seiner Genossen in tödlicher Fremdheit maß, denn in diesem Augenblick wurde ihm klar, daß der Wahrspruch der Schwarzflaggen sein eigenes Schicksal tatsächlich bis zum Rand füllte. »›Aller Welt Feind« – hütet euch –, es ist nicht wohlgetan, wenn ihr den bösen Geist in mir gegen euch wachruft, ihr, ihr, die ihr nichts als schmausen und tanzen könnt.«
Das viele vergossene Blut seines Lebens hüpfte vor ihm auf dem Tisch in roten, zuckenden Flämmchen. Es wurde ängstlich still um die Tafel.
»Und gerade will ich tanzen«, meldete sich mit einemmal Occas helle, aufreizende Stimme.
Furchtlos, nur darauf erpicht, die Spannung aufs äußerste zu steigern, ergriff die Goldblonde unvermutet die umgeworfene Kanne, und sie höhnend gegen den Seefahrer schwingend, begann die Geschmeidige zu aller Erstaunen mitten im Saale einen zierlichen Kreis zu schlingen. Die Augen ihrer Zuschauer vergrößerten sich, eine Weile wurde durch den seltenen Anblick jedes Wort und jede Bewegung der Männer gelähmt. Dies war ja auch nicht der schwerfällige Reigen, wie er sonst im Brokmerland geübt wurde. Nein, der hinstarrende Störtebecker wußte allein, daß so – den Krug auf der Schulter, den Leib zurückgeworfen – Künstler der Hellenen einst ihre berauschten Nymphen auf schwarzen Vasen zu bilden pflegten.
Da brach plötzlich der tosendste Beifall aus. Der Propst hämmerte mit den Fäusten auf den Tisch, der Allena schleuderte seinen Becher durch die Luft, der Störtebecker jedoch, von einem Wirbel in den anderen gejagt, durch listige Berechnung aus Eis in Siedehitze gerissen, und vor allen Dingen unfähig, irgendwo eine Grenze für sich zu dulden, er machte Miene, den Tisch umzustürzen, um gleichgültig gegen all die Zeugen mit zitternden Fäusten sich dieser behenden Beute zu bemächtigen.
»Sachte, sachte, Freundchen«, lallte der Propst und hing gewaltsam seine Wucht an den Bewußtlosen, » Amantes, amentes.Verliebte – Verrücke. Schier dich, ich rate dir, um dein Hungerreich und laß hier Herrn Luitet, den Tanz und den Wein herrschen. Hörst du?«
In diesem Augenblick aber hielt auch Frau Occa inne, atemschöpfend stellte sie ihren Krug auf die Erde, verneigte sich dankbar gegen den Propst, und während sie ein paar Mägde zu sich winkte, sprach sie mit kaum verhehlter Genugtuung:
»Es ist Mitternacht, ihr Herren. Suchet jetzt still euer Lager auf, damit ihr meinen Eheherrn nicht stört. Denn sein Tagewerk beginnt erst, wenn wir anderen ruhen.« Und blitzend vor Übermut setzte sie noch hinzu: »Und träume jeder von dem, was er wünscht.«
»Nun, Gott verdamm' dich«, murrte der Emdener hinter der rasch Entschwindenden her und lockerte bereits seinen Gürtel vom Leibe. »Soll man denn nicht mal im Traum seine Ruhe finden? Komm, Teurer.«
Damit wollte der Weinvolle seinen Arm unter den des Seefahrers schieben, der Störtebecker aber stieß ihn zurück, daß der Betroffene in die Arme des Allena taumelte, und offenen Mundes mußten die beiden Zurückbleibenden erleben, wie der Riese ohne Abschied gleich einem Sturmwind aus dem Saale fuhr. Bald darauf verkündete Hufschlag, daß ein Reiter trotz Nacht und Pfadlosigkeit seinen Weg suchte.
Verdutzt strich sich Propst Hisko über die niedrige Stirn, dann, nachdem er sich ein wenig besonnen, sagte er gähnend:
»Heißt mit Recht Schuimer, der Kerl. Wer weiß, wie lange seine Woge steigt? Wollen doch mit den Hansischen nicht gänzlich brechen, Allena. Vorsicht ist ein sicherer Hühnerstall.«
Über der nächtlichen Heide flimmerte der weite Sternenhimmel, der Meerwind schlich summend durch das kurze Gestrüpp, und im Mondlicht wanderte der unmäßig verlängerte Schatten von Tier und Mensch seitwärts neben dem Trabenden her. Eine angespannte Stille mühte sich, dem Einsamen ihr Geheimnis ins Ohr zu wispern. Aber dem Störtebecker war diese Sprache lang vertraut. Befreit lauschte er dem Atem der Weite, und als er den Erdgeruch spürte, als die feuchten Moornebel um ihn quollen, da brannte in ihm eine unerklärliche Sehnsucht auf, und ein wahnwitziges Gelüst packte den Stürmischen, sich mit dieser Erde zu vermählen, tief alle Wurzeln in sie zu strecken, damit er auf ihr blühen könne wie ein Baum. Unsichtbar, sichtbar stiegen vor ihm aus schwarzen, bläulich glitzernden Torfgründen zukünftige Häuser und Gehöfte auf, er hörte Menschengesang aus der Leere, erkannte das Brummen des gesättigten Viehs, und weit hinten in der Schwärze verlor sich das Stöhnen zusammenbrechender Leiber, das bisher in der rasenden Musik seines Lebens stets den Unterton geseufzt hatte.
Wie leicht verbrauste doch, was er eben noch der Gier und der Lust abjagen wollte, nur das Ausweiten für die Unzähligen versprach Dauer, nur alle Leben zugleich gelebt zu haben, das, ja, das allein sättigte, das stillte.
Dies war die glücklichste Stunde des Gewaltmenschen. Traum und Erfüllung hielt er zu gleichen Teilen in seiner Rechten wie in seiner Linken. Mit einem Ruck zügelte er sein Roß, und sich weit zurückwerfend, so daß alle Gestirne ihm standhalten mußten, hob er die Faust gegen den brennenden Wirbel, und heiser vor Inbrunst schrie er in die ewig sich vertiefende Gasse hinein:
»Lauert nur, schielt aus tausend zornigen Augen, ihr könnt mir die Saat nicht mehr aus der Brust reißen. Sie soll aufgehen, trotz euch, wider euch!«
Gegen Morgen erst zog er sein Tier hinter sich her auf die Warfe der Brokeburg. Auf einer Steinbank im Hofe hockte die Fölke in ihrem grauen Fältelkleid, und ihre Spinnenfinger verfolgten eifrig die breiten Zeilen des Hamburger Manifestes. Kaum wurde sie jedoch des abgetriebenen Reiters ansichtig, da strich ein giftig-süßer Schein über das blutlose Antlitz der Quade, und sie stopfte das Pergament in ihre Tasche, als ob sie einen köstlichen Schatz vergraben müßte.
»Nun«, fragte sie mit ihrer harten Stimme, »bringst du mir Grüße von Occa, Mann?«
Der Störtebecker aber antwortete nicht. Sein Blick hatte von der Anhöhe den Hafen getroffen, und siehe da – dort unten in der schmalen Fahrtrinne lag Schiff an Schiff, eine Gasse von Masten hatte sich gebildet, und überall flatterten die schwarzen Wimpel in den frühen Morgen.
»Wohl«, sagte die Fölke, ohne sich zu rühren, »die Deinen sind gekommen. Und hier auf der Burg harrt dein Diener – dein Bube«, setzte sie spürend hinzu.
Noch immer stand der Riese sprachlos neben ihr. Nur seine Brust dehnte sich weiter, höher – bis zum Zerspringen. Dort unten – sein Schwert, sein Pflug, sein Werkzeug. Hier oben die Schale, in die sein Gedanke gegossen war, und weit umher unter dem Frührot die zukunftsdampfende Erde.
Mächtig breitete er die Arme, und trunken vor Glück, im Ton des Bräutigams, der endlich die Entschleierte umfängt, jauchzte er: