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In der Hofmark Blutenburg.

A. D. 1480.

Es war Sonntag. In der neuerbauten Kirche zu Pipping hatten die Glocken hell und klar in die sommersonnige Morgenluft geklungen. Jetzt schwiegen sie, denn Jene, die sie in ihren Frieden geladen, waren längst ihrem Rufe gefolgt; zu frommen Gebeten vereinigt, knieten sie auf den Bänken des kleinen Bethauses. So friedlich sich aber die Gestalten aneinander gereiht hatten, einen seltsamen Anblick hätten sie doch einem fremden Beschauer darbieten mögen; denn ungleich waren sich Alle, sowohl an Alter als Gestalt, an Ausdruck ihrer Gesichter, wie an Tracht und von weitem in's Auge springender Lebensstellung.

Als der erste in der Reihe kniete ein Mann, dessen glatt anliegendes Haar mit der gebogenen Nase, dem bartlos vorstehenden Kinn und den scharfen Augen in sonderbarem Widerspruch stand. Auch sein schwarztuchenes, rothseiden ausgeschlagenes Gewand mit dem breiten weißen Spitzenkragen machte einen schier unheimlichen Eindruck. Das war Herzog Sigismund von Bayern, der Stifter des Pippinger Gotteshauses, der allsonntäglich hieher mit allen Insassen seines unfern gelegenen Lustschlößlein's Blutenburg Herzog Sigismund lebte, nachdem er seinem Bruder Albrecht IV. die Regierung Bayerns abgetreten hatte (3. September 1467), auf seinen Schlössern Dachau, Nanhofen, Menzing, Starnberg, Grünwald und dem später erbauten Blutenburg. Arnp. bib. V., cap. LXXII. zum Gottesdienste kam. Ein lustiger Herr war er immerdar gewesen, der leichtherzig große Summen Goldes an Maler, Dichter und Sänger, Bildhauer und Baumeister gespendet; seit er sich gänzlich von der Regierung zurückgezogen und die Staatssorge auf seines Bruders Albrecht Schultern gewälzt hatte, trieb er es noch toller. Darum gerieth sein Säckelmeister oftmals in große Noth und der Weg zum Herzog Albrecht, mit der ewig gleichen Klage, lastete schwer auf dem getreuen Mann. Dann grollte auch wohl der herzogliche Bruder, wenn gleichwohl er nimmermehr seine Hilfe versagte: Herzog Sigismund aber lachte sorglos und muthete seinem Beutel noch stärkere Ausgaben zu denn zuvor.

In der Kirche freilich hielt er das Antlitz nach dem Altar gerichtet, aber die Augen fuhren ihm unruhig hin und her. Es war so seine Art.

Die schöne Frau an seiner Seite, die sich in tiefe Andacht versunken über ihr Gebetbuch neigte, war das einzige Weib, das Zeit seines Lebens seine Gedanken dauernd zu fesseln vermocht hatte. Vielen war er in ritterlicher Courtoisie zu Füßen gelegen, gescherzt und gespielt hatte er mit der Prinzessin des Fürstenhofes, Mit Margaretha, einer markgräflich brandenburgischen Prinzessin, verlobt, hatte er bald das Verhältniß gelöst, um nie mehr zu heirathen. wie mit der geringen Bauernmagd – diese Eine hatte er geliebt. Rückkehrend zu ihr hatte er manche Freude willig hingeworfen und niemals vergessen, daß er ihr einst gelobt, sie als sein Weib zu ehren und zu achten, wenn gleich sein Stand ihm versagte, mit der Tochter eines bürgerlichen Offiziers eine rechtmäßige Ehe einzugehen. Seit Jahren lebten sie und ihre Kinder, die der Herzog öffentlich als seine Söhne anerkannte, auf seinem Schlößlein Blutenburg.

Die beiden Knaben knieten bei ihrem Magister, einem kleinen schmächtigen Mann mit verschmitztem Gesichte, im zweiten Kirchenstuhl. In der dritten Reihe hatte eine ältliche Frau und ein halbwüchsiges Mägdlein Platz genommen, das war Frau Magdalena, der kleinen Burg Schaffnerin und ihr Töchterlein Renata. Weiter zurück gegen die Pforte drängte sich des Schlosses Ingesind.

Jetzt that sich die Sakristeithüre an der rechten Seite des Kirchleins auf und der Priester schritt daraus hervor, zur seltsamen Kanzel hinauf. Eng war der Ort, drauf der Prediger stand, roh und allen Geländers baar die Stufen, die dazu emporführten, ein über der Kanzel schwebendes gothisches Dach nur durch täuschende Wandmalerei dargestellt, an der Brüstung aber die Bilder dreier heiliger Apostel in kräftigen Farben trefflich angebracht.

Mit heller Stimme las der Geistliche das Evangelium; in schlichter Weise legte er die Worte der Verkündigung aus. Dennoch gerieth seine Rede gut und lieblich, denn er sah die Welt mit den Augen eines Kindes und der Erkenntniß eines Weisen, was trotz anfänglich scheinbar himmelweit von einander liegender Entfernung, zuletzt doch auf einen Punkt zusammenfällt. Freilich war es wundersam, aus seinem Munde die entsagungsreichen Lehren und Mahnungen der Kirche zu hören, denn er war jung und von anmuthender Gestalt, doch war etwas über ihn ausgegossen, wie ein Schimmer aus anderer, besserer Welt. Wie er die Hand ausstreckte und des heiligen Johannes Worte nachsprach: »Liebet einander!« da glich er wirklich dem Lieblingsjünger des Herrn, wie ihn der Künstler, der das Bild des Evangelisten an den Korb der Kanzel gemalt, sich gedacht haben mochte. So wenigstens meinte Renata, die mit gefalteten Händen unaufhörlich zu ihm aufsah.

Renata war noch halb ein Kind, hochaufgeschossen und hager, mit dunklen Haaren und gelblicher Hautfarbe, eckig in allen Bewegungen. Unbeachtet hatte sie bisher unter den Andern dahin gelebt, ohne selber auf ihre Umgebung sonderlich Acht zu haben. Jetzt war die Zeit nimmer fern, wo die bergende Knospe springen und die Blume hinaustreten wollte an's leuchtende Sonnenlicht. Darum sah sie heute mit anderem Sinne als sonst nach den heiligen Bildern und dem Kaplan; aber noch war sie sich der Wandlung selber nicht bewußt, schöner nur däuchte ihr die Welt und lustsamer und ein dankbar Gefühl durchströmte ihr Herz.

Wie der Gottesdienst zu Ende war, verließ der Herzog die Kirche. Frau Katharina, seine Traute, führte er an der Hand, die Knaben sprangen wild um sie her, so daß der Magister Mühe hatte, ihrem unbändigen Toben Einhalt zu thun. Denn der Herzog war ein allzu nachsichtiger Vater, wie er seinen Untergebenen stets der beste Herr gewesen; er mochte Andern die Freude nicht vergällen, die er sich selber allenthalb zu verschaffen strebte.

In gemessener Entfernung folgte das Gesinde. Allen voran die Schaffnerin mit ihrem Töchterlein. Frau Magdalena war eine ehrenfeste, fleißige Frau, die ihr Kind mit warmer Muttersorge liebte; doch war ihr Sinn nur auf's Nächstliegende gerichtet und darum blieb ihr der Tochter jung aufsprießendes Gefühlsleben unverständlich, und auch Renata wagte der Mutter gegenüber sich nicht auszusprechen.

Als sie zu dem kleinen Sumpf kamen, den eine Ausspülung der Würm nächst Pipping macht, sah Renata zwischen den Schilfhalmen lichte Schwanenblumen ihre rosigen Köpfchen erheben, da schritt sie vorsichtig, daß die Feuchtigkeit ihre Sonntagsschuhe nicht verderbe, an den Rand des Geröhrichts und pflückte einen Strauß und dann zur Mutter rückkehrend bat sie sanft: »Gern möcht' ich den Heiligen zu Pipping die Blüthen verehren, wenn die Frau Mutter es mir nicht wehren wollte!«

Frau Magdalena warf einen zustimmenden Blick auf die Tochter: »Ich will Deinen frommen Gedanken nicht hinderlich sein!«

Da schritt Renata die kurze Wegstrecke wieder zurück. Es war ihr so feierlich zu Muthe wie noch nie. In St. Wolfgang's Gotteshaus Pipping war dem hl. Wolfgang geweiht; noch zeigen die Bilder Darstellungen aus seinem Leben. war's jetzt still und friedlich. Ein verflogen Bienlein nur umsummte den Hochaltar. Dorthin richtete Renata ihre Schritte, aber auf halbem Wege blieb sie stehen.

»Ob der heilige Wolfgang den Blumen auch wohl hold ist? Einen Andern wüßte ich, dem sie angenehmer sein möchten!« Als ob sie sich besinnen wollte, hielt sie einen Augenblick inne – dann ging sie entschlossen der Kanzel zu.

»Des Heilands Lieblingsjünger bist Du gewesen,« wandte sie sich an des heil. Johannes Konterfei, »gütig warst Du und milde allezeit, Du wirst auch meine armselige Gabe nicht verachten.«

Unter dem Bild stak ein Nagel in der Mauer. Er hatte bei der Einweihung des Gotteshauses zum Aufhängen von grünen Gewinden gedient, daran festigte Renata jetzt ihren Busch mit einem Binsenstengel. Zufrieden besah sie noch ihr Werk, dann schritt sie, sich vor dem Hochaltar neigend, dem Ausgange zu. Bevor sie aber noch die Thüre erreicht hatte, gewahrte sie den Kaplan, der eben der Sakristei entschritt, um gleich ihr den Heimweg anzutreten, denn auch er hatte im Schlosse zu Blutenburg seine Behausung.

Freundlich nickte er ihr zu: »Hast Du ein sonderlich Anliegen, daß Du so lang in der Kirche säumst?« frug er mild. Sie schüttelte das Haupt: »Im Sumpf unten fand ich die lichten Blüthen, ich aber hatte die Meinung, den Heiligen damit ein Wohlgefallen zu bereiten.« Sie deutete auf den Strauß.

Der Kaplan lächelte: »Und warum hast Du just jenen Apostel erwählt zu Deiner Begabung?«

Renata senkte erröthend das Haupt: »Der Jüngste ist er und der Fröhlichste!« sprach sie leise, »er wird meine Meinung am Eh'sten verstehen.«

»Einen guten Fürbitter hast Du Dir erkoren,« sprach der junge Priester glänzenden Auges, »auch mein Patron ist er, denn sie haben mich auf seinen Namen getauft und ein starker Helfer ist er mir gewesen bis zur Stunde.«

Renata erwiderte nichts. Sinnend ging sie neben dem hochgewachsenen Manne her, dem der Morgenwind in den hellbraunen Locken spielte. Nach einer Weile wandte Herr Johannes sich um und sah mit liebevollem Blick auf das Kirchlein zurück. »Ein freundlicher Gedanke des Herzogs war's, an dem einsamen von der Würm bespülten Ort dem Herrn ein Haus zu bauen, Noch bestätigt eine alte Tafel dem Eingang gegenüber die Gründung durch Herzog Sigmund:
»der durchlauchtig hochgenannt
Sigmund Hertzog in Bayernlandt
dazu pfallentzgraff bei rein
sein kraft und hilffe groß hat schein
an disfem gotzhaus sand Wolfgang
gott zu lob er pawet nit zu lang
in jares ziel von grund ans end.
den ersten stain mit seiner hennd
leget zu unsers Herren jarn
do der vierzehen hundert warn
acht und sybentzig auch geacht
vor Pfingsten am kirchtag vollbracht
den anfang mit vleis für war.
darnach im achtzigsten jar
am suntag vor der Himmelfahrt
mariä der junkfrawen zart
den tempel in gottes ern
weyhen lyeß durch den Herrn
und milden Fürsten hochgeporn
Gott abwend seinen ewgen zorn. Amen.
und glückselig mag jener sein, dem sie einmal an jener Mauer das Grab schaufeln, denn fröhliches Ausruhen wird ihm werden, in weltfern sonniger Vergessenheit.«

Renata sah erschrocken auf: »Hart muß der Tod sein, mir graut vor seiner Knochenhand!« Herr Johannes aber lächelte nur: »Auch mich bedünkt, ihn noch eine Weile entbehren zu können, denn auch mir steht der Tagstern noch im Aufgang, dennoch möcht' ich nicht leben, bis die Kräfte schwinden, im vollen Sonnenschein würd' ich am liebsten Abschied nehmen vom Leben.«

Renata's Hand zitterte; zum ersten Mal hatte sie einen Einblick gewonnen in eines Andern Seele, das reifte ihre eigenen Gedanken. Des Herrn Wort war sie ausgegangen zu hören und ihr eigenstes Denken hatte sie dabei verstehen gelernt; wie sie über die Schloßbrücke ihrer Wohnstätte zuschritt, wußte sie mit plötzlicher Klarheit, daß sie kein Kind mehr sei und eine Thräne, halb aus Trauer, halb aus Freude ob solcher Erkenntniß, rang sich aus ihrem großen Auge. – – – –

* * *

In Hof und Stall der Hofmark Blutenburg gebot dazumal ein wortkarger Mann als Vogt, der in früherer Zeit dem Herzog Sigismund manch' verschwiegenen Dienst als Reitknecht gethan. Noch war er des Herzogs Vertrauter, bei den Dienstleuten aber war er nicht gut beleumundet, denn sein mürrisches Wesen scheuchte die Andern aus seiner Nähe. Nur Renata, dem Kinde der Schaffnerin, war er zugethan; die hatte ihm einst für einen von einem Dachs gebissenen Hund eine heilende Salbe geschenkt – seitdem ließ er ihr alltäglich vom Pferdhafer für ihre kleinen Kostgeher, die Sperlinge und Finken, zukommen. Zuweilen auch sah er selber zu, wie das Mägdlein die geliebten Näscher fütterte und er freute sich, daß einer mit besonders röthlichem Strich auf dem graulichen Flügel Renata immerdar liebkosend auf Hand und Schulter flog.

Bei solcher Gelegenheit fand sich einst Herr Christophorus, der Magister, bei ihm ein. Der mußte vielen Unfug von seinen Schülern erleiden, dafür hielt er sich in freien Stunden schadlos, indem er nach Kräften strebte, auch andern Menschen Ungelegenheiten zu bereiten. Heute strahlte sein Antlitz in Erwartung besonderer Freude, wie er zu dem Vogt trat, und kichernd sprach er: » Masculinus, oder männlichen Geschlechtes ist der Vogel, darum wendet er sich zumeist feinen Jungfern zu, hi, hi!«

Der Vogt brummte nur unverständlich vor sich hin. Aber Herr Christophorus war nicht willens, das schier vom Zaun gebrochene Gespräch wieder fallen zu lassen, fuhr vielmehr, immerdar seinem Ziele zustrebend, lauernd fort: »Ist ein seltsamer Zug im regno naturae, daß sich immerdar Starkes mit Feinem paaret; haben's alle selber erfahren, oder etwan nicht?«

»Hab' von dem selbigen Zug meinerseits nicht allzu viel verspürt,« knurrte der Vogt und wollte ihm den Rücken wenden. Der Magister aber ließ ihn nicht: »War's nicht für Euch, so war's doch in fremdem Dienst, daß Ihr Euch von holdseligen Lippen Botenlohn erwarbt.«

Der Vogt nickte: »Mag sein!« brummte er feindselig.

»Hat Euch wohl viel Arbeit gemacht die jetzige Frau Landesmutter?« forschte Herr Christophorus weiter.

»Was scheert's Euch?« platzte der Vogt heraus; doch der Magister ließ sich auch damit nicht vertreiben. »Mag ein mühselig Hin- und Herreiten gewesen sein, bis Grünwald als Schankung in ihre Hand fiel!« Herzog Sigmund schenkte seiner nachmaligen Schwägerin Kunigunde das Schlößlein Grünwald.

Der Vogt verzog den Mund: »Dazumal galt's mehr ihrer fürstlichen Frau Mutter.« Der vorhergenannten, wie ihrer Mutter, der Gemahlin des Kaisers Friedrich III., soll Herzog Sigmund in zarter Verehrung nahe gestanden haben.

Herr Christophorus spitzte das Ohr: »Ei, hätt's nicht für möglich gehalten. Auch die schöne Barbara von Swabing stand jener Zeit im Ruf, beim Herzog in Gunst zu sein.«

Der Vogt nickte wieder: »Ist schon so gewesen. Hab' ihr manchen Maibusch in des Herrn Auftrag in's Fenster gesteckt.« Dann wandte er sich zum Gehen. Noch einen Versuch wollte der Magister machen, ihn zurückzuhalten, aber der Vogt schob ihn bei Seite und verschwand in der dunkeln Scheuer. Da trat Herr Christophorus mit wichtiger Miene den Rückzug an.

Renata hatte den Vorgang mit angesehen und gehört, und ein unaussprechlicher Widerwille gegen den kleinen Lehrer, der des Herzogs Brod aß, und doch sein Thun und Treiben insgeheim zu erkunden strebte, erfaßte sie. »Er ist falsch!« dachte sie und ein herbes Gefühl der Verachtung erfüllte ihr unerfahren Herz.

Am andern Tag saß Renata vor der Thüre des Schlosses, die in den Hof mündete, auf der Holzbank und rupfte die weichen Federn und Flaumen von etlichen Dutzend Feldhühnern, die der Herzog selbst erlegt hatte und die zu Mittag die Tafel zieren sollten. Ganz in ihre Arbeit vertieft, achtete sie anfänglich nicht der Stimmen, die ihr zu Häupten von der hölzernen Altane, die vorspringend der ganzen Mauerwand entlang lief, herniederklangen.

»Was willst Du?« rief der Herzog lachend. »Hätte ich Brei kochen sollen, derweilen ich zu München in der Burg saß? Ein Hundeleben war's; Vormittags: Erstattung von Vorträgen des Kastners und Rentners und wie sie alle heißen; Mittags: schmale Kost; Nachmittags: Pfaffentrost und Abends: langweilige Gesichter – da freilich riß ich oftmals mein Rößlein aus dem Stall und wenn ich bisweilen im Vorbeiweg bei Jungfer Bärbel Zusprache hielt, so geschah's nur, weil solches in der herzoglichen Hausordnung nicht aufgezählt war.«

Frau Katharina klagte dawider: »All Euer Thun wisset Ihr trefflich zu beschönen, und ist solches auch keine Kunst mir gegenüber, denn niemals bin ich zugegen, wenn Ihr in die Stadt reitet.«

»Dennoch scheint Ihr die Wolken im Sold zu haben, daß Ihr alle geheime Kunde wisset!« klang des Herzogs Stimme entgegen.

»Nicht die Wolken stehen in meinem Dienst, ein alt und unscheinbar Vöglein nur hat mir in's Ohr gesungen, was mir widerwärtig gewesen zu hören. Auch Grünwald, Euer einstiges Jagdschlößlein, soll Euch in manch' froher Stunde beherbergt haben und nachher zum Dank in den Besitz der jetzigen Frau Herzogin Kunigunde gegeben worden sein und derselbige Vogel hat nicht einmal gewußt, ob die köstliche Gabe mehr dem Liebreiz Eurer Schwäherin oder der Stattlichkeit ihrer Frau Mutter gegolten.«

Herzog Sigmund stieß den Fuß so heftig auf die Dielen, daß der Altan über Renata's Haupt erzitterte. »Tod und« – doch er mochte sich schneller besänftigt haben, als zu erwarten stand. »Einem Raben scheinst Du zu lauschen, der das unschuldige Geschehniß in Schlimmes verkehrt. Daß ich damals den lauschigen Winkel im Isarthal hingab, geschah als Dank, daß meine Schwäherin und ihre Mutter Dich so warm gerühmt hatten.«

»Wem soll ich größeren Glauben schenken, dem Unglücksvogel, der die üble Meldung that oder dem Taubenstößel, der sie mit lachendem Munde widerlegt?« frug Frau Katharina einlenkend.

»Laß uns Frieden schließen, meine Taube; als Kriegsentschädigung will ich Dir eine goldene Kette verehren, so schwer und prächtig sie der Goldschmied zu fertigen vermag,« entgegnete Sigmund.

»Immer bist Du bereit zum Geben!« lachte nun auch wieder Frau Katharina; dann entfernten sich die Stimmen.

Renata saß reglos vor sich hinstarrend, dann richtete sie sich schier mit Gewalt empor. »Auch sie denkt klein und verächtlich!« sprach sie mit zuckender Lippe.

Noch saß sie in solchen Gedanken, da kam Herr Johannes über den Hof geschritten. Die Sonne schimmerte in seinem lockigen Haar, daß es anzusehen war, als webe sie eine Strahlenkrone d'rum. Wie Renata ihn erschaute, sprang sie auf und vertrat ihm den Weg: »Ich hab' eine Frage an Euch, Herr Kaplan!«

Herr Johannes blieb bereitwillig stehen.

»Was soll einer thun,« fuhr Renata mit gedämpfter Stimme fort, »der unfreiwillig fremde Meinung, die ihm unehrlich däucht, erlauscht?«

Der Kaplan lächelte. »Das Gehörte soll er vergessend in den Wind werfen, daß der's verwehe; sich selber aber mag er's als Warnung bewahren, daß er niemals Geheimes zu vollbringen strebe.«

Renata neigte das Haupt. »Ich will mich mühen nach Euern Worten zu thun!« sprach sie, die bekümmerten Augen zu Boden schlagend. Herr Johannes aber strich ihr sanft über den Scheitel: »Selten nur ist ein ganz redlicher Mensch zu finden und schier niemals geht er ungeschädigt durch's Leben. Dennoch magst Du festhalten an dem reinen Glauben Deiner Kinderjahre, denn ein starker Helfer ist der Herr Jedem, der guten Willens ist.« Dann schritt er weiter.

Renata sah ihm vertrauensvoll nach: »Es wird sein, wie er gesagt hat, denn kein Falsch kann über seine Lippen kommen.«

Am nächsten Morgen trug Frau Katharina die versprochene güldene Kette bereits über dem sammtenen Gewand; zweimal hing sie um ihren Hals und war reich und kostbar anzuschauen, werth, auf des Kaisers Mantel zu prangen, also daß des Schlosses sämmtliches Ingesind sie bewundernd betrachtete. Renata nur wandte ihren Blick zur Seite, wie sie ihr begegnete; der lichte Schein des Goldes brannte ihr in den Augen. Als aber am Nachmittag, da Renata Leinwand auf die Bleiche legte, der Herzog und Frau Katharina hoch zu Roß an ihr vorüber kamen und letztere auf das Mägdlein niederschauend mit vornehmem Mitleid zum Herzog sprach: »Es muß schlimm sein, in ewiger Werkeltagsarbeit sein Leben zu vertrauern!« – da flog ein verächtlich' Lachen um Renata's Mund und sie sah der vornehmen Frau mit unsäglich herbem Blicke nach: »Eher mag mir von der Bauernarbeit das Blut von den Fingern traufen, eh' ich Falschheit treibe, wie Eine, die geringschätzig über mich wegschaut.« Dann fuhr sie sich mit der Hand über's Gesicht, als wolle sie die häßlichen Gedanken verwischen und wieder murmelte sie leise: »Wie kann ich vergessen, was mir doch den Sinn verkehrt?« – –

* * *

Der Sommer war vergangen im gleichen Gang. Der Herzog war oft abwesend von Blutenburg, zuweilen auf der Jagd, zuweilen in Dachau; Frau Katharina begleitete ihn. Da waren die Knaben dem Magister allein überlassen. Der aber waltete nicht immer seines Amtes, so getreu er sollte. Oftmals saß er am Flüßlein Würm und vergnügte sich mit dem Fischfang, dieweil die Knaben unbeaufsichtigt im Garten tobten oder mit Knechten und Mägden in Stall und Scheuer rohe Scherzreden tauschten.

Solch' Treiben aber mißfiel Herrn Johannes, und weil er den Knaben, die im Grunde ihres Herzens noch unverdorben waren, wohlwollte, so vermeinte er seine Pflicht zu thun, wenn er den Herrn Magister daran gemahnte.

Doch nicht jeder gute Same findet einen guten Grund. Auch Herr Johannes traf mit seiner wohlmeinenden Anschauung auf schlimm' Entgegenkommen.

»Wenn Herrn Sigismund's Knaben wild werden, so ist's des Herzogs Sache, nicht die meine,« trotzte Herr Christophorus, »die Sprache des alten Roms bin ich gekommen, ihnen beizubringen, und ich hab' sie glücklich so weit gebracht, daß sie des Cäsars Buch » De bello gallico« zur Noth zu lesen vermögen – was sie nebenher an deutschen Grobheiten gelernt haben, kümmert mich wenig, und auch Euch dächt' ich, möchte es besser geziemen, Euren Rath von Dingen ferne zu halten, die Euch nichts angehen.«

Da ging Herr Johannes still von dannen, wohl einsehend, daß er beim Magister nichts auszurichten vermöchte. Darum wollte er's bei den Knaben versuchen. Freilich ward ihm schwer ihre Neigung zu gewinnen, denn aller Zucht baar, waren sie gewohnt, nur ihrer eigenen Laune zu gehorchen. Dennoch gelang's; denn eines war ihm eigen, das ihre Herzen trotz anfänglicher Gegenwehr mit Gewalt eroberte: er hatte bei ansehnlicher Größe eine seltene Gewandtheit in allen Leibesübungen und wenn er seinen langen Priesterrock ablegte und mit mächtigem Schwung über den hohen Sprungbock setzte, dann that's ihm der wildeste Bube nicht nach; und die Knaben Hans und Sigismund sahen bewundernd zu dem Herrn Kaplan auf, der ihnen so weit überlegen war an Kraft und manneswürdigem Muth und dessen Augen doch immer gleich mildstrahlend auf sie niedersahen.

Oftmals sah Renata vom Hof aus den lauten Spielen zu; zuweilen bangte ihr vor einem Wagstück, das Herr Johannes unternahm; dennoch freute sie sich, daß er seine Stärke erwies, und nicht selten war's, daß sie länger als nöthig nach dem Grasgarten schaute, den die Knaben zu ihrem Tummelplatz erkoren hatten.

Einstmals, als Herr Johannes seine kleinen Freunde mit der Armbrust nach vorgestecktem Ziel schießen ließ, wollte auch Herr Christophorus die Waffenübung sich nahe besehen; dieweil er aber gewöhnt war, alles Thun geheim zu halten, so schlich er sich von der Außenseite, wo dichtes Strauchwerk den Garten von der unfern fließenden Würm trennte, an den Raum. Am gegenüber liegenden Ende standen die Jungen schußbereit, in der Mitte war die Scheibe aufgerichtet, aber die kleinen Schützen vermochten sie nicht zu erreichen. Da ergriff Herr Johannes die Waffe, ihnen den Vortheil zu weisen; er legte an und drückte ab – der Bolz übersprang weit das Ziel. Wie Herr Christophorus sich eben lauschend im Busch zurecht schob, drang ihm das spitzige Geschoß in das erst jüngst neu aus der Stadt beschaffte, zierlich ausgesteppte Barett, daß das bunte Kunsterzeugniß des herzoglichen Hofschneiders, zusammt dem mörd'rischen Eisen, in die Wellen der Würm flog, stromabwärts treibend sich oftmals überschlug und scheuen Fischlein nicht geringen Schreck verursachte, bis es zuletzt, oberhalb Menzing in dichtem Schilfwerk stecken bleibend, einer faulen Wasserratte zur willkommenen Schlafstelle ward.

Herr Christophorus kam ob solchen Geschehnisses außer sich. Mit funkelnden Augen sprang er den Kaplan an, ihn mit Vorwürfen überhäufend. »Ist nicht einmal mehr das armselige Leben eines friedlichen Menschen sicher vor Euerer Mordwaffe? Schreckliches exemplum gebet Ihr meinen discipulis, für deren gedeihliche Wohlfahrt ich haftbar bin. Dem Herzog will ich berichten von Eurer Leichtfertigkeit, auf daß er Euch des angemaßten Umgangs mit seinen Söhnen, der überdies ein Eingriff in meine Rechte ist, entledigt.«

Herr Johannes ließ ihn austoben; wie der Magister endlich Luft schöpfte, sagte er gelassen: »Wie konnt' ich ahnen, daß Ihr Eure Scholaren so insgeheim beobachten wolltet? Vielmehr wähnte ich sie unbeaufsichtigt, darum gesellte ich mich zu ihnen. Was aber Euer verloren Barett anlangt, so werd' ich den Schaden bessern. Heut' noch will ich einen reitenden Knecht nach München schicken, ein gleich schönes zu bestellen.«

Des Kaplans Ruhe machte den kleinen Magister noch wilder. »Dem Herzog werd' ich's klagen, dem durchlauchtigsten Herzog!« schrie er aus vollem Hals und sprang mit großen Sätzen über den Hof in sein Gelaß; dort verriegelte er die Thüre, immer noch tobend und scheltend und kam auch am selbigen Tag nimmer zum Vorschein. – –

Zwei Tage hernach traf der Herzog wieder in Blutenburg ein. Herr Johannes gedachte kaum mehr des Vorfalles, er hatte den Schaden gesühnt und meinte das Seine gethan zu haben, aber Herr Christophorus sann auf Rache.

Gleich nach des Herzogs Ankunft hatte er ihm von des Kaplans böswilligem Gebahren berichtet und wie er damit nur ein ungläubig Lächeln erzielte, hatte er sich an Frau Katharina gewandt. Doch auch sie schenkte ihm kein willig Gehör, denn dem Kaplan war üble Absicht nicht zuzutrauen, zumal auch ihre beiden Söhne der Wahrheit gemäß für Herrn Johannes zeugten.

Darum beschloß der Magister sich selber die Genugthuung zu verschaffen, die ihm von den Andern verwehrt worden war. Seitdem war ihm der Frohsinn erstorben, Sonnschein und Vogelsang ließ er unbeachtet, das Jauchzen seiner Schüler und selbst des Herzogs gnädiger Gruß entlockte ihm keine freundliche Miene. Erst als er eines Tages den Kaplan, Brevier betend, im Grasgarten allein auf- und niedergehen sah, fuhr etwas wie Lachen über seine farblosen Lippen; aber es war ein häßliches Lachen, dem Schrei des Raubthieres vergleichbar, das zum Sprung ansetzt auf die sichere Beute.

Wie ein Fuchs schlich er sich auch heute wieder in das umfriedende Gebüsch des Wiesenraumes und duckte sich hinter das dichte Laub eines mit zahlreichen Schößlingen aufstrebenden Holderstrauches. Als Herr Johannes im Lesen stehen blieb, flog ihm ein spitzer Feldstein in wohlgezieltem Wurf an die Stirn, daß er zusammenstürzte, wie der Baum beim Wolkenstrahl.

Niemand hatte die Unthat erspäht, wer sollte Kläger sein wider den kleinen Magister?

Als der Vogt nach den Fischkaltern schauen ging, fand er Herrn Johannes, reglos mit zerschlagenem Haupt auf der Erde liegend. Da ging bald ein groß Geschrei durch das Schloß, ob des unerhörten Frevels.

Der Herzog und Frau Katharina selber kamen an das Lager des schwer Wunden, der Medikus aber machte ein bedenklich Gesicht, denn Herr Johannes gab auf seine angestrengtesten Bemühungen kein Lebenszeichen von sich.

Der Herzog war wüthend: »Wer hat es gewagt, in meinem Frieden, dem Kaplan meiner Kirche, das Leben anzutasten? eine Frechheit ist's, beispiellos! hätte ich den Uebelthäter, ich würd' ihn vierteln lassen!«

Herr Christophorus aber behielt sein Geheimniß für sich, so dachte man nicht an ihn. In einem Herzen nur dämmerte ein schlimmer Verdacht. Renata hatte kurz vor der Schreckenskunde den Magister, über den Hof schreitend, trockene Blätter aus seinem spärlichen Haar schütteln sehen. Wie sie nachher Herrn Johannes todtwund in sein Gemach schleppten, ahnte sie, wer sein Mörder sei. Das Herz des Weibes ist geheimen Ahnungen zugänglicher, als das des Mannes, zumal da, wo seine Neigung in Mitleidenschaft gezogen ist. Renata ging schier wie sinnlos umher, so hatte das Unfaßliche sie betäubt.

In ruhelosem Harren verging der Tag und die folgende Nacht. Als das Morgengrauen durch die Wolken brach, trat der Medikus mit ernstem Gesicht aus des Kaplans Gelaß. Renata kauerte in einer Fensternische des Flurs, sie hatte lange auf ihn geharrt, wie sie fragend zu ihm aufsah, neigte er wehmüthig das Haupt. »Er ist todt,« sagte er in dumpfem Tone, »bevor die Sonne aufging, hat seine Seele sich geschieden von seinem Leib.« Leise, als wolle er die Ruhe des Todten nicht stören, ging er weiter.

Renata blieb wie versteint zurück. Wie ein Donnerschlag war das Wort in ihr Herz gefallen. Noch hatte sie das Schlimmste nicht für möglich gehalten. Schaudernd knüpfte sie das Brusttuch fester; ihr war, als müsse sie frieren, nun Jener geschwunden, der mild und freundlich gegen Alle, gleich einem Sonnenstrahl über die Erde gewandelt war.

In der Tiefe des Ganges wurden Schritte laut, darum ging Renata unwillkürlich weiter, dem Ausgang zu; als sie in's Freie trat, blendete sie schier das Sonnenlicht, traurig schlug sie die Augen zu Boden. Da lag vor ihren Füßen ein todter Sperling; wie sie sich zu ihm niederbückte, hatte er einen starkröthlichen Strich im grauen Flügel. »Du auch!« flüsterte sie, bei ihm niederkauernd und das kleine leblose Thierchen streichelnd, dann flossen ihre Thränen unaufhaltsam.

Da legte sich eine wohlgepflegte Hand auf ihre Schulter. Als sie sich umsah, stand der Herzog hinter ihr. »Was weinst Du, arm Kind?« frug er mitleidig.

Sie sah aus ihren großen nassen Augen zu ihm auf: »Einen Vogel hab' ich todt gefunden, der mir vertraut war!«

Herr Sigismund lächelte: »Viel Federnträger noch flattern auf den Baumzweigen; wie magst Du Dich grämen um den Verlust des Einzelnen?«

Renata aber schüttelte das Haupt: »Er war noch so jung, so jung! Ach, und es ist so traurig zu sterben, bevor die Sonne aufgegangen!« und wieder senkte sie das Gesicht und schluchzte wie zuvor.

Dem Herzog schwand die Geduld: »Ein thöricht Mägdlein ist das Kind Frau Magdalenens!« sprach er unmuthig und er wandte sich nach dem Stall.

Renata achtete nicht auf ihn. »Er war noch so jung, so jung!« wiederholte sie müde, »ach, und es ist so traurig zu sterben, bevor die Sonne aufgegangen;« und dann anknüpfend an die Erinnerung, klagte sie weiter: »Ein wahres Wort hat er dereinst gesprochen: – ›selten nur ist ein ganz redlicher Mensch zu finden und schier niemals geht er ungeschädigt durch's Leben!‹ – Was breitet der Herr seine Hand nicht aus, Jene zu schützen, die ihm vertrauen, – Jene zu strafen, die seine Gebote mißachten? Will auch der Himmelvater seinen Gesalbten ungesühnt in die Grube fahren lassen – ich will das Recht des Gemordeten wahren! So wahr der Heiland sich mir dereinst gnädig erweisen mag – aufdecken will ich die feige That! und nicht ruhen, bis der Todte gerächt ist!« – – – – – – – – – – – –

* * *

Drei Tage darauf legten sie neben der Pippinger Kirche Herrn Johannes in's Grab. Ein stattlich Geleit hatte sich eingefunden, dem Entschlafenen die letzte Ehre zu geben. Manche Wange ward feucht, denn alle waren ihm gut gewesen; auch der Magister stund dabei und drückte das Schnupftuch erbaulich an die Augen.

Der Burgkaplan Herzog Albrecht's war aus München gekommen, die Trauerfeier abzuhalten. Zum Vorwurf seiner Grabrede hatte er sich die alte Regel erwählt: »wenn die Morgenröthe die Wolken allzurosig färbt, folgt ein regnerischer Tag d'rauf«. Er übertrug sie auf des Verstorbenen lichte Gemüthsart und seinen frühen Tod; und er forderte die Umstehenden auf, Jenem nachzueifern, den der Herr so sehr geliebt habe, daß er ihn schon in blühender Jugend zu sich in die ewige Heimath und Seligkeit aufgenommen.

Wie die Seelenmesse beendet war, ging die Versammlung auseinand. Der Herzog mit den Seinen nach Blutenburg, auch der herzogliche Burgkaplan folgte ihm, er war von Herrn Sigismund zu einer Kollation geladen worden, die Andern in die Nachbarhöfe. Renata nur blieb mit heißen, thränenlosen Augen an dem frischaufgeschütteten Hügel zurück. »Die Sommerblumen sind geschwunden und nur die Distel blüht noch am Feldrain«, sprach sie leise; »das aber ist keine Blume für ihn und so mag seine Ruhestätte leer sein von buntem Schmuck. Leichter dann kann die Sonne zu ihm dringen, die er so sehr geliebt«. Mit verschlungenen Händen neigte sie sich zur Erde in wortloser Klage. – –

Während der nächsten Tage herrschte in der Blutenburger Hofmark schier unheimliche Stille. Der Herzog war mit Frau Katharina wieder gen Dachau geritten. Die Knaben saßen trübselig in ihrem Gemach; sie trauerten um den liebgewordenen Spielgenossen; auch der Magister hielt sich still auf seiner Stube. Durch das leere Haus klang nur Frau Magdalenens laute Stimme und das Rasseln ihres gewaltigen Schlüsselbundes.

Die Thüre zu jenem Gelaß, das Herr Johannes bewohnt hatte, stand offen; unberührt, ungeordnet lag noch Alles durcheinander, wie er es benützt hatte. Auf dem Tisch das Schreibzeug und die Rohrfeder, weiterhin ein Buch und die abgelaufene Sanduhr, daneben ein blutig Tuch, es war in den letzten Schreckensstunden dorthin geworfen worden. Zu Häupten der Lagerstelle stand noch das Kruzifix und die seltsam gestalteten Leuchter mit den niedergebrannten Wachskerzen. Eine schauerliche Stille waltete in dem öden Raum; zuweilen nur pickte der Holzwurm, zuweilen sahen zwei große Augen wie traumverloren über die Schwelle. Die Sage erzählt, daß auf thauigem Waldrain, wo des Nachts die Nixen getanzt, der Fayenring zurückbleibt, doch nur kenntlich dem Auge des Sonntagskindes – so ist es auch bei besonders bevorzugten Menschen: an der Stätte, wo sie gewandelt, haftet noch nach ihrem Weggang ein lichter Schein, und unsichtbar nur bleibt er Jenem, der mit unmusischem Sinne durch's Leben geht. Renata lehnte manch' lange Stunde an dem Thürpfosten und schaute in die Leere; einzutreten wagte sie nicht. Ihr war, als weile die Seele des Todten noch an dem Ort seiner einstigen Heimstätte und als könne sie Zwiesprache halten mit dem Verlorenen.

Eifrig aber verbarg sie vor den Andern, selbst vor der Mutter ihr wunderliches Treiben; es hätte ihr als Entweihung gegolten, die Gedanken an Jenen preiszugeben, der ihr vorgeschwebt als die Verkörperung alles Guten und Schönen.

Endlich nahte die Stunde, da die Stube für den künftigen Kaplan in Stand gesetzt werden sollte. Mit Beben vernahm Renata die Kunde. Wie konnte ein Fremder Besitz ergreifen von dem Eigenthum des Herrn Johannes? Sie hatte noch nicht erfahren, daß alljährig auf den welken Halmen des Vorjahres der junge Graswuchs sich breitet und zur Höhe reckt, um dereinst selber ein welker Halm, einer neuen Vegetation als Untergrund zu dienen. Dennoch verstand sie nur zu wohl, daß sie Abschied nehmen müsse von dem letzten Trost, der ihr aus seliger Vergangenheit geblieben war. Darum schlich sie sich noch einmal an die liebgewordene Stelle.

Wie sie sich aber mit leisem Tritt der Thüre näherte, vernahm sie im Innern Geräusch und da sie hinein blickte, erschaute sie Herrn Christophorus, wie er mit schonungsloser Hand die Bücher und Schreibgeräthe des Kaplans zusammensuchte, um sie nachher mit sich zu nehmen. Als er an das blutige Tuch stieß, warf er es geringschätzig zu Boden. Da konnte Renata nimmer an sich halten. Mit einem Sprung stand sie neben dem Magister. Ihre großen dunklen Augen flammten, ihre bleichen Lippen bebten: »Was suchet Ihr hier!«

Erschrocken fuhr er zusammen ob der unerwarteten Anrede des Mägdleins; aber er faßte sich schnell; mit grinsender Freundlichkeit entgegnete er: »Des seligen Herrn Johannes Arbeitsgeräth will ich zusammenlesen und es sorgfältig bewahren, bis zu des durchlauchtigsten Herrn Herzogs Rückkunft, der mag dann drüber verfügen nach allerhöchstem Gutdünken!«

Renata hielt sich krampfhaft an der Tischplatte; »Wagt es nicht, sein Eigenthum anzutasten! In Blut wird sich Euch die Tinte verkehren und aus den Büchern wird Euch der Fluch entgegenschauen, der Fluch, der sich an Jeden heftet, der unschuldiges Blut vergossen hat.«

Jetzt erbleichte auch der Magister: »Seid Ihr toll?« keuchte er mühsam.

Renata aber lachte schneidend, daß es laut von den Wänden widerhallte. »Nur zu klar seh' ich; Euch aber möcht's wohl genehm sein, wenn meine Sinne umnebelt wären, damit ich nicht weiter sagen könnte, wie der Herr Magister Christophorus mit seltsam dürrem Blattkranz im Haar aus dem Garten floh, dieweil Herr Johannes wenig Schritte von ihm todtwund auf den Rasen sank.«

Dem Magister rann der Schweiß in großen Tropfen über die Stirne. »Was wollt Ihr?« rang es sich klanglos aus seiner Brust hervor: »Ich versteh' Euch nicht?«

»O, ich will mich Euch verständlich machen!« rief Renata triumphirend, »läg' er selber noch da der unschuldig Hingemordete, ich würde Euch vor sein Lager führen, dann möchte Euch wohl ein Grauen kommen vor dem neuaufquellenden Blut, das Euch den feigen Mord in's Angesicht schrie. Vor solchem Gottesurtheil nun freilich seid Ihr sicher, denn Euer armes Opfer liegt längst in der Erde. Eins aber habt Ihr vergessen: wie Ihr vorhin sein Blut berührtet, da ist's wieder lebendig worden, wie damals, da Ihr es vergossen!« Blitzschnell hob sie das Tuch von der Diele und hielt es ihm unter's Gesicht. Ein Eck war bei dem achtlosen Zur-Seite-Schleudern, in den am Boden stehenden Wasserkrug gerathen, davon glänzten die Flecken auf's Neue naß und frischroth. Der Magister taumelte; er sah sich verloren. Die Gedanken jagten sich in seinem Hirn: Angst vor den Folgen seiner schlimmen That, Haß gegen Renata, die seine Schmach aufgedeckt und den Anderen verkünden wollte und zugleich Bewunderung vor ihrem unerschrockenen Muth; aber der Trieb der Selbsterhaltung gewann die Oberhand. »Ich muß sie gewinnen«, dachte er, »gleichviel um welchen Preis!«

»Habet Erbarmen mit einem Unglücklichen!« jammerte er »und ich will Euch einweihen in das schreckliche Geheimniß. Euch hab' ich geliebt seit manchem Mond, Ihr aber habt mich verachtet und nur Augen gehabt für den Kaplan; da überkam mich die Eifersucht; lange Zeit rang ich mit ihr, sie aber ward übermächtig in mir: das Ungeheure geschah! Wollet Ihr mich nun noch verdammen?«

Renata ließ das Tuch sinken, schier wollte die Eitelkeit sie verblenden – aber sie schaute in des Magisters Auge und sah in der Tiefe den Schelm lauern. Da fuhr sie empor: »Meinet Ihr Eine zu trügen, die Euch durchsieht bis auf den Grund?«

Der Magister trat ihr näher: »Ihr habt mich immer verkannt, das war mein Unheil.«

Renata schüttelte sich widerwillig: »Ihr seid schlecht!« rief sie verächtlich.

Herr Christophorus ersah, daß sie auf solche Art nicht zu gewinnen sei: »Ich muß es anders versuchen!« dachte er. Mit raschem Griffe faßte er ihren Arm: »Elend habet Ihr mich gemacht für Zeit und Ewigkeit, dafür müsset Ihr mein sein!« Er sprach's mit schlimmem Ton. Da fiel es Renata wie Schuppen von den Augen; sie fühlte die zuckende Hand des Mannes auf der ihren, sie sah seinen gierigen Blick, die finstere Entschlossenheit in seinem sonst so feigen Gesicht – und sie wußte, daß sie sich des Schlimmsten von ihm zu versehen hatte. Ein unendliches Grauen kam ihr vor dem Elenden. Gewaltsam riß sie sich von ihm los: »Zurück!« Wie er nochmals nach ihr greifen wollte, faßte sie den schweren Eichenstuhl mit fast übermenschlicher Kraft und schleuderte ihn nach ihm. Und es war ein guter Wurf gewesen. Das schwere Gestühl schlug dem Magister eine tiefe Schramme in den Kopf, daß er aufschreiend wider die Wand taumelte.

Renata sah kalten Blutes auf ihn: »Das ist die Buße für Euern schlechten Willen; für die schlechtere That steht die Sühne noch aus, ich aber will sie einbringen, den blutigen Schatten zu versöhnen.« Und wieder hob sie den Stuhl und schwang ihn nach dem Magister. Da klang ein Schlag und ein Schrei zugleich durch's Haus, daß die Mauern widerhallten. Der drang über den Flur in die große Gesindestube und schreckte den Vogt und die Knechte und Mägde von der Mittagsmahlzeit; auch Frau Magdalena lief eilig herbei, den Grund des Lärms zu erspähen.

Wie sie an das Todtengemach kamen, bot sich ihnen ein grausiger Anblick. In einem Winkel lag der Magister blutüberströmt mit unkenntlichem Gesicht; in der Mitte stand Renate kalt und reglos, wie ein Steinbild.

Klagen und Jammern drang aus dem Haufen der Herzudrängenden. Nur der Vogt blieb besonnen. Er bückte sich zu Herrn Christophorus nieder und befühlte seinen Kopf; bald aber richtete er sich in die Höhe: »Der Schädel ist ihm gespalten!« sprach er ruhig, »wer hat's gethan?«

Da lösten sich Renata's Lippen: »Ich!« sprach sie mit vernehmlicher Stimme.

Ein Schrei klang von der Thüre her: »Mein Kind!« mein Kind!« Renate kannte die Stimme ihrer Mutter, aber sie wandte nicht das Haupt, ruhig stand sie da, wie zuvor. Die Anderen wichen erschrocken zurück, nur der Vogt trat mitleidig zu ihr: »So bist Du dem Gesetze verfallen!« Renata nickte, ein flüchtig Lächeln spielte um ihren Mund: »Ich hab' gethan, was ich für gut gehalten, thut Ihr, was Euch recht bedünkt!« dann sah sie mit leuchtendem Auge im Kreis, aber sie gab keinerlei Antwort mehr auf die Fragen und Reden des Gesindes, auch ließ sie sich ruhig vom Vogt nach dem Gefängnißthurm abführen.

Nur wie auf dem Flur Frau Magdalena sich ihr schluchzend mit gerungenen Händen in den Weg warf und halb verzweifelnd rief: »Wie konntest Du mir Solches thun, die ich Dich treulich behütet seit Deinem ersten Athemzug?« – da lächelte sie wieder: »Wohl hast Du meinen Leib gut geschützt, daß kein Dorn ihn geschädigt und kein Hagelkorn ihn zerschlagen hat, um meine Gedanken aber warst Du unbekümmert, darum sind sie geworden, wie der Zufall es gab!« Dann schritt sie weiter, antheilslos wie im Traume. – – – – –

* * *

Seit Renata hinter versperrten Thüren saß, war die Sonne schon etliche Male auf- und niedergegangen. Der Herzog war wieder nach Blutenburg gekommen und hatte auch den neuen Kaplan mitgebracht. Die abermalige Gewaltthat stimmte ihn mißmuthig, zumal Frau Magdalena ihm Stunde für Stunde anlag, bei dem halbwüchsigen Mägdlein, das noch kein richtig Verständniß für die That gehabt, Gnade für Recht ergehen zu lassen; insonderheit auch im Haushalt viel vernachlässigt ward und sich just, um die Widerwärtigkeit voll zu machen, ein italienischer Sänger für den Abend hatte ansagen lassen.

Darum beschloß Herr Sigismund, all' den Verdrießlichkeiten ein schleunig Ende zu machen. Er ging selber hinauf nach dem südwestlichen Außenthurm, wo die Gefangene in Haft lag.

Wie er in die geöffnete Thür trat, blieb er überrascht stehen. Er hatte ein gebrochenes Kind zu finden erwartet, wie er Renata zuletzt bei dem todten Sperling gesehen – aber jene, die vor ihm saß, war ein still und verschlossen Weib, das mit bleichen Wangen und großen Augen im Schein der untergehenden Sonne erschien wie eine Unirdische.

Wie sie den Herzog erschaute, hob sie sich hoheitsvoll von der Bank. Herr Sigismund stand betreten ob solchem Empfang. Gewaltsam rang er nach Worten: »Was hast Du gethan?«

»Einem feigen Mörder hab' ich zu seinem Recht verholfen,« entgegnete sie ruhig.

Der Herzog erstaunte noch mehr. »Wie kannst Du seine Missethat erweisen?«

»Er hat sie mir selber zugestanden!«

»Der Zeuge ist todt; doch gesetzt, ich ließe ihn gelten, weißt Du nicht, daß wer die Hand aufhebt wider seinen Nächsten, selbst dem Tod verfallen ist?«

»Darum eben that ich's, nicht ungerächt wollt' ich den Todten unter der Erde wissen!«

Herr Sigismund verlor die Fassung: »Aber es wird auch Dir den Kopf kosten!«

Renata verzog die Lippen. »Was liegt an mir! Hab' ich doch Einem genug gethan, der mehr werth war, als ich und alle Andern!« Wie Verklärung lag es über ihren Zügen.

Der Herzog war ein eifriger Verehrer alles Schönen und Eigenartigen. Wie er die Form eines Bauwerkes oder den Wohlklang eines Liedes richtig zu beurteilen verstand, so erkannte er auch mit raschem Blick das Ungewöhnliche in Renata's Wesen. »Wahrlich,« sprach er schimmernden Blickes, »Herr Johannes ist noch im Grab zu neiden, denn mit eindringlichem Wort weißt Du sein Lob zu künden; schade, daß ihm die Freude dran nimmer werden sollte. Um solch' warmer Theilnahme möchte Dir mancher wohlgesinnt werden. Ich selber wäre bereit, Dich aus dem Käfig entwischen zu lassen, wenn Du mir Dein lieblich Mündlein zum Kuß bieten wolltest.«

Renata schoß das Blut in die Wangen: »Hab' ich darum mein Leben gering geachtet, daß ich selbst meinem Herrn zum Spott worden bin? Dem Recht hab' ich nachgestrebt allezeit, auch jetzt will ich nur mein Recht fordern. Darum sendet mir einen Priester, denn nicht gerne möcht' ich ohne den Trost und Beistand der Kirche den letzten Weg antreten.« Sie hatte bestimmt gesprochen.

Der Herzog trat ernst zurück: »Es war so Dein eigener, freier Wille, ich will dem Recht seinen Lauf lassen!« Mit langsamen Schritten verließ er die Zelle.

»Auch er ist schlecht!« murmelte Renata ihm nach, derweil sich draußen der Schlüssel im Schloß drehte.

Bald nach ihm erschien Herr Konrad, der neue Kaplan. Er war ein Mann von rundlichem Gesicht, nicht schön, nicht häßlich; gutmüthige Behäbigkeit in allen Bewegungen.

»Ihr habet nach mir verlangt?« begann er streng.

Renata sah ihm gemessen entgegen. »Ich mag den Todespfad nicht betreten, ohne in Ehren abgeschlossen zu haben mit dem Leben.«

Verwundert sah der Kaplan sie an. »Wie könnet Ihr von Ehre reden, die Ihr durch ehrlose Handlung Eure Jugend beflecktet?«

»In gutem Glauben vergoß das Blut des Mörders, denn Jenen meinte ich damit zu sühnen, der licht und anmuthig, wie der Lieblingsjünger des Herrn auf Erden gewandelt und der dem heimtückischen Frevler zum Opfer fiel. Wie ich's auf des Herrn Johannes Grab geschworen, so hab' ich's gehalten; und reuelos schwinde ich aus dem Sonnstrahl. In seiner Nähe nur möcht' ich in der Erde schlummern, damit ich ihn einst bei der großen Urständ wieder zu sehen vermag.«

Herr Konrad sah forschend in Renata's Gesicht: »Er mag wohl sehr schön gewesen sein, der Herr Johannes?«

Renata's Augen blitzten, aber sie hielt seinem Blick Stand: »Einem Diener Gottes vermeinte ich die geheimsten Gedanken zu vertrauen, nicht hatte ich mich so schlimmer Meinung von Euch versehen.«

Der Kaplan sah verwundert nach ihr: »Ihr seid scharf und schnell fertig mit Eurem Wort!«

»Wer Essig in den Wein schüttet, der mag sich nicht wundern, wenn der Trank sauer schmeckt«, sprach sie herb; dann kreuzte sie die Arme über die Brust und trat an das kleine Fenster, dem Kaplan den Rücken wendend. Der sah sich auf solche Art von der armen Sünderin, der er gekommen war, den letzten Trost zu spenden, entlassen. Er ging. Dennoch wollte es ihm nicht zu Sinn, daß Eine, die solche Schuld auf sich wisse, mit so ruhiger Zuversicht vom Tod und einstiger Auferstehung sprechen könne. Kopfschüttelnd schritt er nach seinem Gemach.

Wie Renata sich wieder allein sah, ging sie in dem kleinen Geviertraum überlegend auf und nieder. »Dumpf ist die Luft und schwül im Kerker; ich mag sie nimmer athmen, denn matt werden dem Gefangenen die Gedanken in langer Haft; ich aber will gleich ihm scheiden in voller Kraft.« Sie lehnte ihr Haupt an die schmale Fensteröffnung.

Im Grasgarten, auf der Stelle, wo erst vor wenig Tagen Herr Johannes tödtlich getroffen zusammengebrochen, war ein Tisch mit Blumen und Früchten und großen Weinbechern aufgestellt. Dort saß der Herzog bei dem welschen Gast und Frau Katharina; auch Herr Jörg Gankoffer Jörg Gankoffer, der Baumeister der Hauptkirche zu U. L. Frau zu München, starb 1488 und hat in derselbigen Kirche sein Grab. von Halsbach, der Baumeister, war von München zu dem kleinen Gelage herausgeritten.

Eben hob Sigismund den Becher und wandte sich artig zu dem Italiener: »Wohl ist Euer Land die Heimath des Gesanges, denn selbst Euere Kinder üben die holde Kunst; dennoch trachten auch wir Euch nachzustreben, denn was die Natur vergaß, uns in die Wiege zu legen, das öffnet uns seine Schatztiefen beim Einzug der jungen Liebe. Deß will ich Euch eine Probe geben.« Er griff nach einer an seiner Stuhllehne hängenden Laute und fuhr einleitend über die Saiten. »Da ich meine Katharine zuerst erschaute, wie sie lieblich blühte, der vollen Rose gleich, da flehte ich sie um ein Zeichen ihrer Gegenminne an und sie schenkte mir das Lied:

»Schwarz, roth, weiß,
Mit vielem Fleiß,
Zu Euerm Preis
Sing' ich Euch heut' dies Lied!
Weiß, schwarz, roth,
In Freud und Noth,
Bis in den Tod
Die Lieb mich zu Euch zieht.« Ein Gedicht mit der Aufschrift: »Schwarz, roth und weiß etc. etc.« soll wirklich die Geliebte des Herzogs Sigmund auf ihn gemacht, und er von da an diese Farben allzeit getragen haben. Mon. boica XX. 682. 704.

»Seitdem trag' ich nur immer ihre Farben.« Er wies auf sein schwarz und rothes Gewand mit dem weißen Spitzenkragen; der Italiener brach in Lobeserhebungen aus.

Renata trat vom Fenster weg.

»Drückt noch so schwer des Gräu'ls Gewicht,
Doch lacht der Himmel heiter,
Und ob das beste Herz auch bricht –
Die Welt geht ruhig weiter.«

»Sie scherzen auf der Stelle, die noch kaum trocken ist vom Blut des Gefällten. Ich bin fremd worden in meiner Heimstätte, darum ist's Zeit, daß ich zu den Unirdischen gehe.« Sie schwang sich auf den Sims und ermaß den Sprung in die Tiefe. Unten zogen die Wasser der Würm in gleichmäßigem Lauf an den Mauern des Thurmes vorbei.

»Gut, daß sie mich nicht in den Keller gesperrt, sondern mir den Ausweg gelassen haben!« murmelte sie, winkte noch einmal nach dem Pippinger Gotteshaus und sprang dann mit ausgebreiteten Armen hinab. Hoch auf klatschten die Wellen und wirbelten noch lang im Kreis. Der untergesunkene Körper aber trieb abwärts dem Menzinger Mühlenwehr entgegen. – –

* * *

Am nächsten Morgen erhob sich Herr Konrad mit dem festen Vorsatz vom Lager, noch einmal zu der Gefangenen zu gehen und trotz ihrer letztabweisenden Haltung die arme Verlorene auf den rechten Weg zu leiten, denn immer noch verfolgte ihn wie ein Vorwurf der Gedanke an ihr Wort: »Einem Diener Gottes vermeinte ich die geheimsten Gedanken zu vertrauen, nicht hatte ich mich solcher Meinung von Euch versehen!«

Bevor er aber noch seine Stube verließ, drang schon die Botschaft an sein Ohr, daß der Müller von Menzing Renata's Leichnam aus dem Wasser gezogen habe. Herr Konrad war tief erschüttert.

Wie er sich mählig gefaßt, ging er zum Herzog und verhandelte lang mit ihm: »Unzurechnungsfähig war das Mägdlein bei ihrer ersten That, wie bei ihrem selber herbeigeführten Ende; also hab' ich sie erkannt, da ich gestern mit ihr sprach; darum meine ich, ein christlich Begräbniß sei ihr nicht zu versagen. Einem Geweihten hat sie mit Hintansetzung ihres eigenen Lebens die Treue gehalten, ich dächte, auch wir sollten nicht kleiner denken als sie;« und der Herzog nickte einwilligend zu des Kaplans gutgemeinten Vorschlägen.

So ward Renata still neben dem Grab des Herrn Johannes in die Erde gesenkt und die Sonne warf ihren verklärenden Schein zu gleicher Zeit über die beiden Ruhestätten. – – – – – – – – – – – –

* * *

Jahrhunderte sind darüber hingegangen. Ringsum hat sich alles anders gestaltet. Nach dem Zeitalter gothischer Bauart kam dasjenige der Renaissance und über dem neuerstandenen Nymphenburg verfiel Blutenburg der Vergessenheit. Zuletzt kam es in Privathände. Das kleine Kirchlein zu Pipping aber ragt noch, ein Denkmal des fünfzehnten Jahrhunderts, und aus der Reihe eckiger Heiligenbilder leuchtet noch jenes des heiligen Johannes jugendlich schön und lieblich wie in der Vergangenheit.


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