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Josef folgte dem Ruf der Mutter.
Noch einmal hatte er sorgsam glättend über das wellige Haar gestrichen und voll peinlicher Genauigkeit den Staub von dem dunkeln Sonntagsrock gebürstet. Er war es so gewöhnt, den Salon der Mutter von Kindheit auf als ein gewisses Etwas anzusehen, welches Respekt und Achtung erheischt, welches seine Ceremonie vorschreibt und stets mit dem Gefühl: »Eine Auszeichnung dadurch zu erfahren« betreten wird.
Auch heute lag der Ausdruck würdevoller Feierlichkeit auf den schmächtigen Zügen des Sekundaners, als er die Portière teilte und in das süßduftende, dämmerig stille Zauberreich seiner angebeteten Mutter eintrat.
Excellenz Torisdorff lag auf dem Divan, welcher mit geschmackvoller Genialität unter die breiten Fächerblätter trefflich gepflanzter Palmen geschoben war. Der Salon zeigte noch unverändert die gediegene Eleganz, mit welcher der verstorbene General die geliebte Frau umgeben hatte.
Goldgestickte Decken, von einer Orientreise heimgebracht, drapierten mit starren Seidenfalten die Wände, sorglich jedes Fleckchen Tapete verhüllend, welches die prächtigen Gemälde, – Erbstücke aus der Ahnengallerie der Hagendorfs, – sowie die Meißner Figuren und Bronzevasen auf den Goldkonsolen, noch freigelassen hatten.
Krystallfunkelnde Armleuchter, mit dem großen Lüster harmonierend, genial gemalte Sessel und Tischchen, weiche Atlaspolster und schwellende, spitzenüberrieselte Kissen füllten den Raum, welcher trotz seiner prächtigen Ausstattung dennoch den Charakter außerordentlicher Gemütlichkeit trug.
Die vielen, kostbaren Hochzeitsgeschenke der Fürstlichkeiten und Hofgesellschaft, welche die so sehr beliebte Hofdame ehemals besonders reich bedacht, repräsentierten einen Kunstwert, welcher der ganzen Torisdorffschen Wohnung das Gepräge größter Wohlhabenheit verlieh und die glänzende Maske war, hinter welcher sich Frau Sorge mit dem Thränentüchlein versteckte. –
Der ganzen Umgebung angemessen war die Erscheinung der Besitzerin, welche trotz aller Einfachheit ihre Persönlichkeit mit einem Reiz zu umgeben wußte, wie es nur wirklich vornehmen Frauen eigen ist, welchen es zur zweiten Natur geworden, durch guten Geschmack zu wirken.
Die Sommerhitze machte sich selbst hier in dem so tief verhängten und geschützten Salon bemerkbar, darum trug Excellenz ein Morgenkleid von weißem Batist, – durchaus schlicht in Form und Ausschmückung, eine Arbeit ihrer eigenen, fleißigen Hände, welche mit Hilfe der einzigen
Dienerin die Nähmaschine handhabten, zur Verzweiflung Josefs, welcher diese Arbeit in hohem Grade schädlich für die zarte Frau hielt.
Aber was half es! Die teueren Schneiderrechnungen mußten gespart werden, überall da, wo keine fremden Blicke hindrängen, an Hauskleidern, Wäsche und Flickereien, – schlimm genug, daß die Gesellschaftstoiletten so tadellos gearbeitet sein mußten, – die konnte nur eine Schneiderin liefern, – Noblesse oblige! –
Aber selbst das Einfachste sah an der hochgewachsenen schlanken Gestalt der Generalin so chic und kleidsam aus, daß man schon früher in der Gesellschaft die scherzende Bemerkung gemacht hatte: Selbst in Sackleinwand bleibt Ines Torisdorff vom Scheitel bis zur Sohle Excellenz! –
Auch jetzt blieb ihr Sohn einen Moment in überraschtem Anschauen vor der noch jugendlichen Mama stehen, ehe er voll zärtlicher Devotion ihre Hände küßte, bis die schlanken Arme ihn innig an die Brust der Mutter zogen und Ines durch Küsse und Liebkosungen die Erlaubnis gab, wiederum von ihrem Liebling geherzt zu werden.
Selbst jetzt, mit übervollem Herzen, wahrten beide ein gewisses Ceremoniell, welches nie durch ein Ungestüm die Form und gute Sitte verletzte, und dennoch nicht als störend empfunden ward, weil es zu dem Natürlichen, Selbstverständlichen gehörte, welches dem ganzen Wesen der Torisdorff den Stempel aufdrückte.
Excellenz war eine verhältnismäßig noch junge Frau, wohl noch jünger aussehend als sie war, weil ihre mädchenhaft schlanke, weiche und biegsame Figur, mit den etwas müden Bewegungen, den Beschauer in jeder Berechnung irre führte. Auch ihr sehr schmales, feingeschnittenes Gesicht mit den großen, feuchtgläuzenden Blauaugen, welche meist etwas verschleiert und traumbefangen in die Welt blickten, –- das reiche, aschblonde Haar, welches kein Silberfädchen verrät, und schließlich der matte, so überaus zarte Teint, farblos und gleichmäßig wie bei einer Wachsfigur, trugen dazu bei, über das Alter zu täuschen, und die jüngsten Herren trugen noch mit Begeisterung die Schleppe der anmutigen Frau, wenn sie ihr in den Salons begegneten.
Josef hatte sich einen kleinen Sessel neben den Diwan geschoben. Er hielt die schlanken Hände der Mutter krampfhaft mit den seinen umschlossen und blickte ihr mit beinahe angstvoll forschendem Blick in das Antlitz,
»Lina sagte mir, du habest wieder einen leichten Anfall gehabt, Mütterchen! Aber ich finde zu meiner großen Freude und Beruhigung, daß du wohler aussiehst wie je! Du hast ja seit langer Zeit nicht so rosige Wangen gehabt wie heute, und deine Augen blitzen wie die Sterne zur Winterszeit!« –
Die feine Röte auf dem Antlitz der Frau vertiefte sich, beinahe verlegen wandte sie den Blick. »O, mit dem Anfall hat es diesmal absolut nichts auf sich, Darling!« – wehrte sie hastig ab, »es war nur ein wenig Herzklopfen, verursacht durch eine momentane Aufregung.« –
»Eine Aufregung?!« –
Excellenz schob mit nervös bebenden Händen die schmalen Goldreifen an dem Arm höher empor. »Nichts von Bedeutung – ein kleiner Ärger. – Ich wollte dir eigentlich gar nichts davon sagen, denn schießen kannst du dich doch noch nicht mit ihm, und da ist's besser, du regst dich nicht erst über solch eine unverschämte Frechheit auf! – Aber – vielleicht ist es doch besser, du weißt Bescheid – denn sein Sohn – ich weiß nicht, wie du mit ihm stehst – und – und – ach, Josef – es ist schrecklich!« –
Mit jäher Bewegung drückte die Sprecherin das Taschentuch gegen die Augen und schluchzte krampfhaft auf. Der junge Torisdorff war aufgesprungen, eine drohende Falte senkte sich zwischen seine Brauen und die knochigen Knabenhände ballten sich.
»Eine Frechheit – eine Beleidigung? – Mutter – es ist deine Pflicht – du mußt mir diesen Buben nennen!« – stieß er bebend durch die Zähne hervor. Erschrocken blickte Ines auf uud nahm hastig die bebende Rechte in die ihre. –
»Mißverstehe mich nicht, mein Herzenskind! Nein, keine Beleidigung in deinem Sinn – im Gegenteil – er denkt mir eine enorme Ehre anzuthun – aber – daß er es überhaupt gewagt – das –«
Und wieder erstickte ihre Stimme in lautem Aufschluchzen.
»Liebe Herzensmama, – ich verstehe dich nicht! – Erbarme dich meiner und laß mich alles wissen! –«
Da richtete sich die Generalin auf und deutete mit der Hand erregt nach einem kleinen Marmortisch in dem Erker. – »Sieh und lies es selbst, Darling, – ich kann so etwas nicht aussprechen!« –
Josef trat hastig nach dem Erker hin und schlug die Portière zurück.
»Ah!« – Ein Laut höchster Überraschung und Entzückens rang sich von seinen Lippen.
Ein wundervolles Blumenarrangement, so köstlich und eigenartig in verschwenderischer Fülle, wie er noch keins gesehen, bot sich ihm dar.
»Mama – das ist ja feenhaft!« stammelte er.
Excellenz drückte das Antlitz tiefer in die Kissen. »Lies nur erst!« stieß sie kurz hervor.
»Lesen? – was? – wo? –«
»Der Brief liegt – ach so – da – auf dem Teppich.«
Josef beugte sich und nahm das elegant couvertierte Schreiben, welches so verächtlich zu Boden geschleudert war, überrascht empor.
»Ich darf es lesen, Mama?« –
Eine jähe, zustimmende Bewegung der weißen Frauenhand.
Mechanisch setzte sich der junge Torisdorff auf einen der nächst stehenden Sessel nieder, klappte das steife Papier auseinander und überflog hastig den Inhalt des langen Schreibens.
Und während er las, stieg es rot und immer röter in seinem blassen Gesicht auf, und seine Hand bebte wie im Fieber und sein Atem stockte. Ein Heiratsantrag! – ein Heiratsantrag an seine Mutter! – und von wem?
»James Franklin Sterley, – Kommerzienrat.«
Der erhobene Arm sank schlaff hernieder, – weit offen, ins Leere gerichtet, starrten Josefs Augen – vornübergeneigt, wie versteinert saß er im Sessel.
James Franklin Sterley! Der reiche, schwerreiche Bankier, dessen Sohn Klaus sein Mitschüler in der Klasse war! Der vielbeneidete Klaus, welcher den Spitznamen »Nabob« erhalten, welcher so oft mit elegantem Viererzug den Schulweg zurücklegte, welcher ihm noch gestern, bei Schluß der Schule, gesagt hatte: »Josef – ich fahre morgen mit dem Expreßzug nach Tirol, – will dieses Jahr unsere Villa am Tegernsee bewohnen und ein bißchen auf Gemsen jagen! Sag', Josef – könntest du nicht mein Gast sein? – ich darf mir einladen, wen ich will, – und dich möchte ich am liebsten mitnehmen!« –
O, wie gern – wie leidenschaftlich gern wäre er dem Ruf gefolgt! Nach Tegernsee – in das Haus dieses Krösus, in die herrliche, köstliche Gotteswelt hinein!
Aber er hatte traurig den Kopf geschüttelt und die Hand des Freundes gedrückt. »Ich danke dir von ganzem Herzen, Klaus, und ich freue mich sehr, daß du an mich denkst und mir die Freude bereiten willst, – aber es geht nicht, – wahrlich nicht. Ich muß bei Mama bleiben. Sie ist so leidend, sie darf nicht allein sein, – sie kann diesen Sommer wohl gar nicht reisen und ich muß ihr selbstverständlich Gesellschaft leisten! Ich danke dir, Klaus!«
– Und nun? Nun hielt der Vater dieses Beneidenswerten um die Hand seiner Mutter an? War so etwas überhaupt auszudenken?
Er war im ersten Augenblick so fassungslos, so starr vor Staunen, daß er wie geistesabwesend vor sich hinblickte und seine Gedanken erst sammeln mußte.
Und dann kam ihm plötzlich das Verständnis für die Empörung seiner Mutter.
James Franklin Sterley! – Kommerzienrat – Bankier – ein reicher Mann, welcher nichts weiter hat, als seine Millionen – unadelig – Kaufmann – Gott im Himmel! wie wagt er es, um eine der vornehmsten Frauen der Residenz zu werben? Um eine Excellenz von Torisdorff! –
Ja, solch' eine Vermessenheit ist Beleidigung – ist mehr wie das. –
Josef zuckt zusammen. Wahrlich, ist es eine Schmähung? Wie nun, wenn es Hilfe und Errettung aus tiefster Not wäre, – wenn der liebe Herrgott im Himmel diesen Brief als Antwort auf sein heißes, inbrünstiges Gebet gesandt hatte? – Er drückt beide Hände gegen den Kopf und ringt nach Atem. – Nein, tausendmal nein! Wie kann es der getreue Gott wollen, daß ein Weib untreu werde! – Hat seine Mutter nicht ihrem verstorbenen Gatten die Treue bis in den Tod gelobt, und nun soll sie ihn vergessen? –
Da trifft sein Blick wieder den Brief. »Es sei ferne von mir, Excellenz, das Andenken Ihres teuern, verewigten Herrn Gemahls aus Ihrem Herzen reißen zu wollen! Im Gegenteil, es soll mir eine heilige, liebe Pflicht gegen den unvergeßlichen Entschlafenen sein, sein Andenken heilig und in den Herzen von Mutter und Sohn lebendig zu erhalten! Ich verlange nicht jene bräutliche Liebe von Ihnen, Excellenz, welche Sie dem Toten gezollt, ich bitte Sie nur um Ihre opfermutige Freundschaft, meinem verwaisten Hause eine neue Herrin zu sein, mir zu gestatten, Ihnen meine tiefe, innige Verehrung und Neigung beweisen zu dürfen, indem ich Ihnen alles zu Füßen lege, was ich mein eigen nenne. Gestatten Sie mir auch, Ihren Sohn, den Freund des meinen, mit Liebe und Sorge umgeben zu dürfen, und seien Sie versichert, Excellenz, daß ich mein ganzes Lebensglück darin suchen will, Sie auf Händen zu tragen und glücklich zu machen. – –
Wie ein Stöhnen entrang es sich der Brust des Lesenden. – Glücklich will er sie machen, glücklich und gesund! – Er will keinen Raub an den Rechten des Toten begehen, – er will nicht um eine zärtlich Liebende, – sondern nur um eine neue Herrin für sein verwaistes Haus werben, er sagt und bekennt es ehrlich, und doch verletzt diese Offenheit nicht, er ist ja selber Witwer, welcher vielleicht eine treue, unwandelbare Liebe zu der verklärten Gattin im Herzen tragt. Er sucht eine Repräsentantin für sein fürstliches Heim, – wer paßt besser dazu, wie eine Excellenz Torisdorff? Und wo bietet sich je wieder eine Möglichkeit, so viel, so alles was not ist, für Gesundheit und Leben der heißgeliebten Mutter thun zu können?
Sollte es doch die Antwort des lieben Herrgotts auf sein Gebet sein?
Wie ein Beben stiegt es durch die Glieder des Denkers, er preßt die eiskalten Hände in einander und sinkt noch tiefer in sich zusammen.
Frau Ines hat das Taschentuch vor den Augen sinken lassen; ihr Blick haftet groß und verwundert auf dem Sohn, in regungslosem Beobachten und Forschen. Zum erstenmal im Leben versteht sie ihn nicht. – Er hat den Brief gelesen und zerknäult ihn nicht voll Empörung und Zorn, ihn ebenso verächtlich von sich zu schleudern wie sie?
Er hat den Heiratsantrag, welcher im Grunde genommen nicht ein solcher, sondern ein kühl berechneter, geschäftlicher Vorschlag ist, gelesen, und er braust nicht auf in Entrüstung? Er fühlt nicht die Beleidigung, welche für das Weib in demselben liegt? – Kein heißes, himmelanstürmendes Liebeswerben, sondern nur das Ausschreiben einer vorteilhaften Stellung als »Herrin des Hauses!« – Josef ist noch kein Mann, aber er ist doch schon alt genug, um zu empfinden, wie solch ein Antrag der Eitelkeit der Eva Wunden schlägt! –
Ines ist eine weltgewandte, – aber keine geistreiche Frau, welche in Menschenherzen liest. – Was sie an dem Heiratsantrag verletzt, ist für das wehe Herz des Sohnes Balsam, es versöhnt seine Eifersucht, welche für den Vater sowohl wie für sich selbst Partei gegen jeden glühenden Liebhaber ergreifen würde, dem ernsten, entsagungsvollen Mann jedoch, welcher nur bietet, ohne zu fordern, welcher nicht als Räuber der Liebe, sondern als Mehrer derselben kommt, unwillkürlich seine Sympathie entgegen bringt. –
Immer ungeduldiger beben die Lippen ihrer Excellenz. Josef hat den Brief gelesen, – er las auch seine Unterschrift – James Franklin Sterley! – Und er bricht nicht in ein schallendes Gelächter aus, welches dem Antrag des Herrn Bankiers die Kritik spricht, welches ihn dazu stempelt, was dieser Brief ist? Eine Farce! eine freche Selbstüberhebung – eine ... . – – Nein, Josef lacht nicht, – er seufzt tief auf und starrt regungslos vor sich nieder.
»Josef!!« – wie ein zitternder Aufschrei ringt es sich von den Lippen der Generalin.
Da zuckt ihr Sohn zusammen und erhebt sich hastig. Er streicht die Haare aus der Stirn und blickt die Mutter verwirrt an.
»Mamachen – ja – ich – ich habe gelesen.« –
»Und das ist alles, was du darauf zu erwidern hast?« –
Josef setzt sich schweigend an die Seite der Mutter und hält ihre bebenden Hände zwischen den seinen.
»Noch bin ich so überrascht, Herzensmutter, daß ich weder Worte noch Gedanken finde! Ich ahnte es ja gar nicht, daß du den Kommerzienrat Sterley überhaupt kennst!« –
»Mein Gott, Darling, ich habe es nie für der Mühe wert gehalten, dir von diesem Mann zu sprechen, oder doch – sagte ich dir nicht, daß er auf dem letzten Wohlthätigkeitsbazar für fabelhafte Summen Bücher bei mir kaufte? – Ich machte – dank seiner Freigebigkeit, die besten Geschäfte von allen Damen. Erzählte ich es dir nicht? – nein? nun, dann deuchte es mir wohl nicht interessant genug für dich!«
»Nur das eine Mal sahst du ihn?« –
»O nein! Bei dem letzten Diner auf der amerikanischen Botschaft führte er mich zu Tisch. – Er ist, so viel ich weiß, Amerikaner. – Ich war etwas indigniert über diesen Tischnachbar, ließ es aber als wohlerzogene Frau den unschuldigen James Franklin nicht merken, – was konnte er dafür! Im Gegenteil, ich erinnerte mich des Bazars und war so liebenswürdig zu ihm, wie zu den anderen Gästen auch. Diese Dankesquittung hat er wohl mißverstanden – – – «
»Machte er dir keinen Besuch? – –
»Gewiß, das hatte er schon früher gethan, als ich ihn einigemal im Salon der Gräfin Brütz getroffen hatte, – sie ist ja auch geborene Amerikanerin und er besorgt wohl ihre Geldgeschäfte, daher die Bekanntschaft.« –
»Und er zeigte dir nie, was er für dich fühlt?«
Excellenz Torisdorff lachte etwas nervös auf. »Ich bitte dich, Josef, wo nichts ist, kann man auch nichts zeigen! – Eine vakante Stelle als Repräsentantin spiegelt sich nicht in den Augen!! Immerhin war er sehr aufmerksam, soweit dies bei seiner Steifheit und Langweiligkeit möglich ist, – ich glaube sogar, er hat sich ein paarmal zu artigen Phrasen hinreißen lassen, – nun – und seine Blumen –.«
»Blumen? –«
Die Generalin errötete und senkte momentan die langen Wimpern über die Augen.
»Er schickte in der letzten Zeit öfters schöne Sträuße und Jardinièren.« – –
»Ach! Ich sah sie aber niemals!« –
Frau Ines neigte das Haupt noch tiefer. »Vergib mir, Josef, ich schämte mich, daß ich von einem Herrn Sterley Blumen annahm, – aber sie kamen mir so gelegen! Das erste Mal war gerade der Geburtstag der Prinzeß Helene, – ich wollte ihr so gern eine Aufmerksamkeit erweisen, gleichsam als Dank für alle Beweise ihrer Gnade, welche sie mir in der letzten Zeit gegeben, – da schickte ich die wundervolle Jardinière sogleich an sie weiter, und freute mich bei der Audienz über die Huld, mit welcher die hohe Frau meinen Morgengruß aufgenommen! – Nun – und das nächste Mal traf die Jardinère gerade am Morgen von Eva Dürings Hochzeit ein! Ich empfand es so sehr peinlich, daß ich ihr nicht die mindeste Liebenswürdigkeit erweisen konnte, wo ich so viel Güte in ihrem Elternhaus genossen!
Mein simples Schlüsselkörbchen, welches ich ihr gestickt, war doch überhaupt nicht der Rede wert! – Da kam das schier fürstliche Blumenarrangement Sterleys – und obwohl ich mir das erste Mal so bittere Vorwürfe gemacht hatte, Huldigungen von diesem Mann anzunehmen, war ich gerade an diesem Tage zu schwach, so energielos, – die Gelegenheit war so verlockend – o sich mich nicht so groß an, Josef, ich empfinde das Unpassende meiner Handlungsweise ja selbst am meisten. – Aber es ist so namenlos schwer, immer zu wollen und doch nicht zu können! Zu wissen, welche Pflichten Namen und Stellung uns auferlegen und doch nicht die Mittel zu besitzen, solchen Anforderungen genügen zu können! O Josef – ich habe es mir nicht so schwer gedacht, arm zu sein! Wahrlich keine Bettlerin empfindet die Mittellosigkeit so herb wie ich, die es nie gelernt und geübt hat, zu entsagen, die mit Ansichten und Begriffen ausgewachsen ist, welche ein Vermögen bedingen!« –
Excellenz Torisdorff drückte abermals das Taschentuch vor das Antlitz und neigte das Haupt schwer gegen die Schlüter des Sohnes.
Josef streichelte liebevoll das seidenweiche Blondhaar, welches in duftigen Wellen unter seinen Fingern glänzte, und atmete beklommen auf.
»Sterley ist reich, – sehr reich, – in seinem Hause kennt man kein Entsagen!« murmelte er durch die Zähne.
Ines zuckte leicht zusammen und richtete sich jäh auf. Ein beinahe entsetzter Blick traf den Sprecher.
»Josef – willst du damit sagen – – – o nein, das ist ja unmöglich! Wie sollte sich dein Fleisch und Blut so verleugnen! –«
Ein fast bitteres Lächeln spielte um die Lippen des jungen Menschen: »Ich kenne Sterley nicht. Welchen Eindruck machte seine Persönlichkeit auf dich?« –
Excellenz Torisdorff richtete sich unruhig auf: »Josef, – ich glaube bei Gott, du erwägst die Möglichkeit, seinen Heiratsantrag anzunehmen?« –
»Und wenn ich es thäte, Herzensmamachen?« – Das klang müde und resigniert, aber auch sehr bestimmt, »Es wäre zum mindesten ein sträflicher Leichtsinn, wenn wir uns solch einen ernsten Schritt nicht überlegen wollten. Bitte antworte mir doch – welch einen Eindruck machte der Bankier? – Sei ehrlich und wahr, Mutter!«
Die Generalin hatte sich hastig erhoben und schritt erregt im Salon auf und nieder. Sie preßte die bebenden Lippen zusammen und schlang die Hände ineinander, und dann faßte sie jäh die Rechte ihres Sohnes und zog ihn neben sich vor das Porträt des verstorbenen Gatten und fragte herb: »Wagst du es auch vor ihm, deinem Vater – dem Mann, welcher nichts höher hielt, als seine Ehre und seinen Namen – wagst du es auch vor ihm, deiner Mutter zuzumuten – eine – eine Frau Sterley zu werden?« –
Josef war tief erbleicht, ein schmerzlicher Blick tiefster Seelenqual traf die geliebten Züge des Verklärten, wie ein Zittern rieselte es durch seine schmächtige Gestalt, wie ein Schwächegefühl, welchem man nicht länger widerstehen kann. Und als er sich mit erlösendem Aufschrei an die Brust der Mutter werfen wollte, sah er plötzlich in ihr Antlitz, welches sich jetzt zum erstenmal von hellerem Licht beschienen, ihm zuwandte.
Er schrak zusammen. Wie elend – wie unsagbar leidend sah sie aus! – Welche Schatten um die Augen, welche feinen Linien des Schmerzes um Mund und Nase!
»Krank! – kränker als sie ahnt!« Die Stimme des Arztes klang plötzlich an sein Ohr: »Es muß bald etwas geschehen, wenn sie erhalten bleiben soll, und Ihre Pflicht als Sohn ist es, dafür zu sorgen!« –
Er legte den Arm um die Mutter und blickte abermals zu dem Bild des Vaters auf. Ja, Mama, auch vor ihm, den ich achte, ehre, liebe, wie keinen anderen Mann auf Gottes Welt, auch vor meinem Vater wiederhole ich meine Worte, und ich habe in diesem Augenblick sogar das wundersame Empfinden, als stünde ich an seinerstatt vor dir, – als wären meine Gedanken in dieser Stunde die seinen! Er hat dich geliebt, wie ich dich liebe, – – – er meinte es ebenso treu und selbstlos mit dir, wie ich es auch thue, – und könnte er es noch, so würde er dein teures Leben wohl auch schützen und schirmen und bereit sein, ihm jedes Opfer zu bringen! Sieh, Mutter, alles was uns kommt – das kommt von Gott, und wir haben nicht das Recht, aus Hochmut und Eitelkeit seine Wege zu durchkreuzen! – Sterley wirbt nicht um dich als Geliebte, sondern um die Herrin seines Hauses, – er will das Andenken deines Gatten nicht tilgen, sondern es respektieren, und in Ehren halten. Was anderes also macht dir seine Werbung unsympathisch, wenn es nicht der Stolz, der kaltherzige Stolz ist, welcher einen Herrn Sterley nicht für gleichberechtigt mit uns hält? – Ist er ein braver und rechtlicher Mann, ehrenfest und vornehm in seinen Gesinnungen, wie man es ihm allseits nachrühmt, – nun – so ist es deine Pflicht – ich wiederhole es – seinen Antrag reiflich zu erwägen!« –
»Josef! – Kind! woher nimmst du solche Worte und Gedanken, was hat dich so völlig verändert – welch ein unbegreiflicher Wechsel deiner Ansichten?!« –
Der junge Torisdorff legte den Arm um seine Mutter und führte sie nach dem nächsten Sessel, auf welchen sie wie gebrochen niedersank, – er selber kniete an ihrer Seite nieder und blickte ihr ernst in die Augen. »Du bliebst mir noch die Antwort schuldig, Mama, – welchen Eindruck machte Sterleys Persönlichkeit?« –
Ines starrte geradeaus. »Einen guten, sympathischen«, antwortete sie beinahe rauh, – »er trägt seinen Reichtum nicht protzenhaft zur Schau. – Aber ich bin keine Menschenkennerin – ich weiß nicht, was sich hinter der glatten Stirn eines solchen Zahlenmenschen versteckt, – ich kann nicht beurteilen, ob er nur Gentleman scheint oder auch wirklich ist!«
»Du bist eine sensible Natur, Mutter, du würdest es instinktiv fühlen, wenn der Kommerzienrat« – – Excellenz schauderte leicht zusammen – »eine unfeine, brutale oder herzlose Natur wäre. Sein Brief spricht für ihn, – ehrlich, ohne Phrasen, treu gemeint. Wenn sein Sohn Klaus Ähnlichkeit mit ihm hat, so ist er ein in jeder Beziehung chevaleresker Mann.«
»Locken dich denn die Millionen so gewaltig, Josef?« Ines fühlte, wie die Hand des Sohnes in der ihren zuckte, – er antwortete nicht sogleich, dann aber fuhr er mit unverändert ruhiger Stimme fort: »Ja, sie dünken mir ein gar herrliches Geschenk, welches der liebe Gott uns in ihnen bietet!«
»Wer weiß, ob du jemals einen Dollar davon zu eigen bekommst! – Wie manch' schöne Illusion hat bei solchen Spekulationen schon betrogen!«
»Ob ich etwas davon habe, ist ja gleichgültig; du würdest auf jeden Fall den Reichtum genießen, und das ist die Hauptsache.«
»Wie genießt eine Madame Sterley das Leben? Es dürfte wohl kaum nach dem Geschmack einer Excellenz Torisdorff sein!« –
»Sei nicht so bitter, Mamachen! Laß uns doch ruhig die Für und Wider besprechen – und beharrst du bei deiner Weigerung – je nun – du bist ja deine eigene Herrin! Wie eine Frau Sterley das Leben genießt? In vollen Zügen. Vor allen Dingen stehen ihr alle Mittel zu Gebote, sich Leben und Gesundheit zu erhalten! Sieh mal, Mamachen, du bist leidend.« –
»Unsinn! – mir fehlt nicht das mindeste! Etwas bleichsüchtig und nervenschwach! – welch eine Frau des neunzehnten Jahrhunderts wäre das nicht?« –
»Der Doktor beurteilt dein Leiden ernster.« –
»Einbildung! er ist übertrieben besorgt! ich selber muß es wohl besser wissen, wie ich mich fühle, wie er!«
Josef seufzte tief auf und strich etwas nervös mit der Hand über die Stirn. Dann fuhr er ruhig fort: »Nun, so würde man die schönen Reisen zum Vergnügen machen! Denk, Mamachen, wenn wir jetzt aus dieser Hitze heraus könnten; eine eigene Villa am Tegernsee oder an der Nordsee beziehen könnten, wenn dort alles so reich – so üppig – zauberhaft schön wäre, – wenn du so ohne Not und Sorge jeden Wunsch befriedigen könntest – nur die Zaubergerte heben und vor dir sehen könntest, was dein Herz begehrt!« –
»Ja, es ist sehr heiß«, murmelte Ines mechanisch, »und frische Luft atmen« -
»Hier in der Residenz ein solch fürstliches Palais bewohnen wie das Sterleysche, muß im Winter ja auch schön sein, – aber eine Reise nach Kairo – oder Nizza – wäre wohl noch schöner! Du klagtest über die Kälte und den vielen Wind im Winter noch mehr, wie jetzt über die Hitze.« –
»Ja, eine Reise nach dem Süden wäre wohl das Ideal all meiner Wünsche, – das hiesige Klima mordet mich.« –
»Nicht wahr, das empfindest du selbst, Herzensmutter, und dann bedenke, wie gut es sich ausnehmen würde, wenn du deine Visiten nicht mehr zu Fuß bei Wind und Wetter machen müßtest, sondern mit den vier Vollblutrappen vorfahren könntest.«
Excellenz Torisdorff machte eine jähe, leidenschaftliche Bewegung, »Glaubst du, daß mau mich als Frau Sterley überhaupt noch in der Gesellschaft empfangen würde? – Siehst du, Josef, – dieser Gedanke – von den Menschen, welche jetzt meinesgleichen sind, über die Schulter angesehen, womöglich verleugnet zu werden, – mich selber aus der Gesellschaft derer, bei welchen all meine Interessen, all meine Lebensfasern – mein ganzes Sein und Denken wurzelt, auszuschließen – diesen Gedanken ertrage ich nicht, Josef! solch eine Demütigung würde mich töten!« –
Auch in die Stirn und Schläfen des jungen Torisdorff stieg bei solch einer Annahme das Blut und seine Augen flammten auf wie in drohendem Zorn, dann biß er die Zähne zusammen und ließ das Haupt tief zur Brust sinken, in diesem Augenblick durfte die Mutter am wenigsten sehen, welche Qualen heldenhafter Selbstverleugnung sein junges Antlitz spiegelte.
Momentan herrschte tiefe Stille. Dann fuhr Josef ruhig fort: »Wie kommst du auf solch seltsame Idee? Du, die so beliebt – so bekannt hier ist.« – –
Ines schüttelte erregt den Kopf und preßte ihre Hand auf seine Lippen: »Umsonst – hör auf, Josef – ich heirate ihn nicht, – ich darf es nicht, – um unseres Namens willen, – Noblesse oblige!« –
Und wieder ein Augenblick atemlosen Schweigens. Josef hatte die Hände zusammengekrampft, sein Blick irrte wie in flehender, verzweifelnder Angst zu dem Bild des Vaters. Was sollte er noch sagen – was noch ersinnen, um den moralischen Zwang auf sie auszuüben, welchen der Arzt ihm zur heiligen Sohnespflicht gemacht, ihr teures Leben zu retten! – Josef war noch zu jung, zu erregt, zu verzweifelt in dieser Stunde, um mit dem Verstand des Mannes die Situation zu ermessen und ihr gerecht zu werden. Mit der Zähigkeit übertriebenen Pflichtgefühls, gepaart mit der verzweifelnden Angst und Sorge um das Leben des teuersten Wesens, welches er noch auf der ganzen, weiten Welt besaß, erfaßte er den einzigen Rettungsanker, welchen ihm Gott selber, als Antwort auf sein Gebet, zugeworfen. Und wie sein Blick über des Vaters Bild irrte, fiel ein greller Sonnenstrahl über die Uniform desselben und mit ihm leuchtete es wie ein neuer, hilfreicher Gedanke in Josefs gequälter Seele auf. »Mutter!« –
»Was willst du?«
»Mutter, hast du mich lieb?« –
Wie weich, wie flehend dies klang! Ines richtete sich jäh auf und schlang laut aufschluchzend die Arme um den Sohn.
»Über Alles, – Josef, – bezweifelst du das?«
»Hast du mich auch lieber – wie – wie deinen Stolz?«
»Wie meinst du das?«
»Hast du mich so lieb – wie unseren Namen?« –
–»Josef! – um deinet- und des Namens willen entsage ich ja selbst Millionen!« –
»Und wärst du imstande ein noch größeres Opfer zu bringen?« –
Befremdet blickte sie in seine flehenden Augen.
»Welch eines?« –
»Nimm diese Millionen an! – um meinet- und meines Namens willen!« –
»Kind!«
Da preßte er das farblose Antlitz auf ihre Knie.
»Ich bin ein Egoist, Mutter, ich weiß es und schäme mich nicht, es dir einzugestehen, denn ich fordere nicht allein für meine Person, sondern auch für das Wappenschild, welches ich führe. Es gilt die Zukunft, Mutter! – Ich bin nicht stark genug, um Soldat zu werden, ich fühle es, meine Kräfte reichen nun und nimmer dazu aus! Studieren lassen kannst du mich nicht, also muß ich entweder Jugend und Glück opfern und Kleriker werden, ich, ein Torisdorff, deren es nicht mehr viele gibt, oder ich muß den Namen ganz ablegen und ein Handwerk erlernen, – denn als Freiherr – du verstehst mich – Mutter, auch ich sage: Noblesse oblige! und in meinem Mund hat das Wort einen noch ernsteren Klang als in dem deinen! – Du opferst ein wenig, den Klang des Namens für den Rest deines Lebens, aber du erkaufst demselben durch dein persönliches Opfer den alten Glanz, – ich jedoch würde alles hingeben müssen, ohne auch nur das mindeste dafür einzutauschen! Weißt du nun, um was ich bitte, Mutter? – James Franklin Sterley würde seinem Stiefsohn niemals die Mittel zum Studium verweigern, er würde es mir ermöglichen, später aus eigener Kraft und eigenem Fleiß ein Ziel zu erreichen, dessen sich kein Torisdorff zu schämen braucht, ein Ziel und Streben, welches meinen Vater noch im Grabe ehren wird! – Dein Opfer, Mutter, würde dich in deinem Sohn segnen! – Man sagt, die Liebe einer Mutter überwindet alles, sie versetzt Berge, sie gibt, sie duldet, – sie wagt alles für ihr Kind! - Ist das wahr, Mutter? – O, dann beweis es mir!« –
Ines lehnte das bleiche Antlitz zurück, ihre weitoffenen Augen blickten wie bei einer Träumenden, welcher durch selige Gedanken eine Offenbarung wird, ein Lächeln, süß und geheimnisvoll schwebte um ihre Lippen, Und dann preßte sie das Haupt ihres Sohnes an die Brust und flüsterte: »Vergib mir, Josef, daß ich auch nur einen Augenblick dich und dein Glück vergessen konnte!«