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V.

Die Hochzeit des Kommerzienrates Sterley war gefeiert worden, aber überraschenderweise nicht mit dem ungeheueren Pomp, welchen man erwartet hatte. Es fand eine sehr würdige Feier statt, zu welcher nicht viele Einladungen ergangen waren, welche aber einen Kreis der auserlesensten Menschen um das Brautpaar versammelte.

Von einem Polterabend hatte man völlig Abstand genommen, und die erwartungsvolle, enttäuschte Gesellschaft ward durch ein nur allzu eifrig kolportiertes Versprechen auf große und glänzende Feste der Saison vertröstet.

Man schrieb die Beschränkungen der Hochzeitsfeierlichkeiten der Generalin zu, und respektierte den schlichten Ernst, mit welchem sie ihre zweite Vermählung behandelte. Sie war keine Braut, welche voll überschäumenden Glückes diesen Festtag mit Rosen und Reigen schmücken wollte, der Witwenschleier wehte unsichtbar, als trüber Schatten über das kostbare Spitzengewebe, welcher ihren jetzt merklich ergrauenden Scheitel im Verein mit weißen Rosen zierte, und wenn das Hochzeitspaar auch noch voll stattlicher Rüstigkeit zum Altar schritt, so war es doch keine maienholde, myrtengrüne Liebesfeier, welche es verband, sondern ein herbstlich stilles Finden und Binden, umrauscht von welkem Laub. –

Excellenz Torisdorff genoß große und aufrichtige Sympathien, darum konnte selbst die Enttäuschung der vergnügungssüchtigen Menge sie wegen solcher Zurückhaltung nicht in Mißkredit bringen. Um so mehr bedauerte man die Nachricht, daß die Neuvermählten eine mehrmonatliche Reise noch vor Weihnachten nach dem Süden antreten wollten.

Den Beginn der Saison aber benutzte Mister Sterley, um seiner Gemahlin Gelegenheit zu geben, den Glanz ihres neuen Hauses zu entfalten.

Die Diners jagten sich, und eine Gesellschaft, welche früher in dem Palast des Amerikaners fremd gewesen, versammelte sich jetzt in den Salons, welche seit den wenigen Wochen doch schon das Gepräge der aristokratischen Hausfrau trugen.

Man staunte, wie es bei aller Gediegenheit und tadellosen Eleganz doch so einfach und ohne protzigen Anstrich in dem Hause des Millionärs herging.

Ines hatte die Verwaltung des Hauswesens von der Stunde ihrer Vermählung an übernommen und ihr Gatte gab ihr volle Freiheit, dasselbe ganz nach ihrem Geschmack einzurichten. Er stellte ihr eine noch bei weitem höhere Summe zur Verfügung, als wie die Hausdame bisher zur Bestreitung der Menage bezogen hatte, und überwies seiner Gemahlin außerdem ein Toilettengeld, welches den außerordentlichsten Ansprüchen genügen konnte.

Dennoch richtete Frau Sterley gar vieles in dem luxuriösen Hausstand bedeutend einfacher ein, ohne daß der Bankier eine Änderung bemerkte; sie beschränkte das Küchenpersonal und stellte unnötige Ausgaben ein, sie führte eine scharfe Kontrolle über alle Einkäufe und fand es zur höchsten Überraschung und Empörung des Haushofmeisters und der Dienerschaft durchaus nicht unter ihrer Würde, sich um jede Kleinigkeit zu bekümmern und alle Fäden der Wirtschaft in ihren energischen Händen zu vereinigen.

Die guten Zeiten für die Bediensteten waren aus, und man kündigte voll Indignation der neuen Herrin, welche so ungewohntes Regiment einführen wollte,

Ines bewilligte jedes Abschiedsgesuch mit einer gewissen Hast, welche durchaus nicht den Anschein hatte, als ob sie durch dasselbe in Verlegenheit gesetzt sei, – ja, ein Ausdruck von Befriedigung und Genugthuung spiegelte sich in ihrem Antlitz, als der Tag ihrer Abreise näher rückte und das ungeheuere Personal auf die wenigen Leute zusammen geschmolzen war, welche das verwaiste Haus zu hüten hatten,

Josef und Klaus waren für die Zeit der elterlichen Abwesenheit bei der Tante Torisdorff einquartiert, gegen eine monatliche Pension, welche Ines fürstlich, der Bankier hingegen recht besorgt »sehr mager« nannte.

Die alte Geheimrätin hingegen fand es geradezu traumhaft schön, daß sie außer den zwei »lieben, netten Jungen« noch solchen Sack voll Geld in das Haus geschleppt bekam. –

»Wie praktisch, wie bewunderungswert du doch alles einzurichten verstehst, Ines!« sagte Sterley voll ehrlicher Verwunderung, die Hand seiner liebenswürdigen Frau ritterlich an die Lippen führend. Sie saßen beide vor dem behaglichen Theetisch, auf welchem der silberne Kessel über dem Spiritus sang, wobei die Hausfrau voll graziöser Ruhe und Sicherheit persönlich ihres Amtes waltete, nicht einen ganzen Troß horchender Lakaien mehr im Zimmer duldend.

»Die elektrische Klingel ist mir ja zur Hand, brauche ich Bedienung, so rufe ich dieselbe aus dem Vorzimmer herein. Es ist so ungemütlich, James, wenn wir nicht einmal die Theestunde zu ungenierter Aussprache für uns allein haben!«

Sterley war beseligt über diese Ansicht seiner Gattin, welche ihm bewies, daß sie sich im tête-à-tête mit ihm wohl fühlte.

Auch jetzt hielt er ihre schlanke Hand noch mit herzlichem Druck in der seinen.

»Weißt du auch, Teuerste, daß mich deine Ökonomie etwas besorgt macht?«

Sie sah ihn überrascht an. »Inwiefern das?«

»Ich fürchte, das Wirtschaftsgeld reicht nicht aus, und deshalb legst du dir derartige Beschränkungen auf, um das Fehlende zu ersparen!«

Sie lächelte, »O, ihr reichen Männer, wie ihr doch so völlig jeden Maßstab verliert! Wenn man mit einer Witwenpension seit Jahren auskommen mußte, so wird ein sparsames Haushalten zur Gewohnheit. Ich kann es nicht sehen, wenn das Geld für nichts und wieder nichts zum Fenster hinausgeworfen wird. Daß alles comme il faut und tadellos in deinem Hanse sei, James, habe ich mir zur Bedingung gemacht, gleicherzeit erachte ich es aber auch als meine Pflicht, über das Deine zu wachen, daß nicht Verschwendung und Unehrlichkeit ihre Ernte halten!«

»Tausend Dank, du Vortrefflichste aller Frauen! So bedarf es also wirklich keines Zuschusses mehr?« –

»Im Gegenteil; heut ist der letzte dieses Monats, und ich wollte dich so wie so nachher noch bitten, mit mir abzurechnen. Ich habe sehr schöne Überschüsse in deine Hand zurückzulegen, und hoffe, du wirst mich um dieser Ersparnisse willen recht loben!« –

Das Gesicht des Kommerzienrates strahlte vor Freude, abermals zog er die Rechte der Sprecherin an die Lippen, »Wie reich mich diese kleine Hand macht, erkenne ich von Tag zu Tag mehr; – sie schüttet so viele ideale Glücksgüter über mich, daß der schnöde Mammon nicht auch noch dazu kommen darf, das würde mich ja erdrücken! Nein, meine liebe Ines, was du in Haus und Hof sparst, das ist dein redlich erworbenes Eigentum, über welches dir freie Verfügung zusteht. Gebrauche es für deine Person, oder zur Unterstützung anderer, je nachdem es dir in den Sinn kommt. Ich habe dir das Nadelgeld und den Betrag für die Wirtschaftslage ausgesetzt und als festen Etat in mein Budget aufgenommen, – Zuschüsse können jederzeit aus einer Extrakasse bewilligt werden, Rückzahlungen nehme ich hingegen nicht an. Wenn du sparst, – so thust du es mir für dich!« –

Die Augen der Kommerzienrätin leuchteten, eine feine Röte stieg in ihre Wangen. Sie umschloß die Hand ihres Gatten mit heftigem Druck.

»Wie gut du bist, James! Wie sehr du mich erfreust! Hab' innigen Dank dafür! Ich gestehe es ehrlich ein, daß das Sparen mir eine doppelte Freude bereiten wird uud nehme dein großmütiges Geschenk dankbar an!« –

Und dann wandte sie sich zur Thür, durch welche ihre beiden Söhne eintraten, und begrüßte dieselben mit auffallend freudiger Erregung. – Als sie Josef in die Arme schloß, leuchteten ihn die Augen der Mutter so freudig an, wie seit langem nicht.

Ja, Ines sparte gern, – sie that es anfänglich mit freudigem Eifer, und der Kommerzienrat amüsierte sich darüber und war hochbeglückt, ein »Etwas« gefunden zu haben, wodurch er der anspruchslosen Frau angenehme Aufmerksamkeiten und ihr in wahrhaft erfreuender Weise seine Neigung und Verehrung darbringen konnte. Er neckte sie mit ihrer »Sammlung abgelegter Hundertmarkscheine

« und steuerte derselben bei jeder Gelegenheit bei.

»Sparst du eigentlich in den Strumpf?« lachte er einmal, als er ihr eine Rose auf den Teller legte, deren Stiel anstatt mit Staniolpapier mit einer hohen Geldnote umwickelt war, »oder kaufst du mir bald eine neue Eisenbahnaktie ab?«

Sie lachte, aber sie errötete. »Ich kaufe mir Bonbons dafür!« antwortete sie scherzend.

»Alle Achtung, für solche Ausgaben muß ich ja anständiger beisteuern!« –und er legte in bester Laune noch ein Zweipfennigstück neben diese Geldnote.

Ines schloß auch diesen Betrag in ihre Geldbörse ein und versicherte, daß es ein Wahrwort sei: »Wer den Pfennig nicht ehrt, ist des Thalers nicht wert.« –

Sterley war überzeugt, daß es seiner Frau besondere Freude bereite, heimlich Wohlthaten zu erweisen, armen Verwandten oder verschämten Armen, welche nicht gern als Almosenempfänger von ihm erkannt werden wollten.

Er fragte darum diskreter Weise nie nach den Ersparnissen, um so weniger, als Ines niemals aus freien Stücken darüber berichtete. Daß die Gemahlin des vielfachen Millionärs für sich, oder für ihren Sohn zurücklegen könnte, kam ihm gar nicht in den Sinn. Wozu das? Sie weiß, daß sowohl sie als Josef durch sein Testament aufs glänzendste versorgt sind, und so lange wie er lebt, haben sie ihm nur die Hände hinzuhalten, um dieselben goldgefüllt wieder zurückzuziehen.

Dennoch befand er sich in einem großen Irrtum. Ines trug jeden Groschen zu ihrem früheren Bankier, um dort, völlig getrennt von den Millionen ihres Gatten, ein geheimes Depot für Josef anzulegen.

Eine wunderliche Veränderung war mit ihr vorgegangen.

Seit jener Stunde, in welcher ihr Sohn voll leisen Vorwurfs an ihre opfermutige Mutterliebe appellierte, hatte sich ein Stachel in ihr Herz gesenkt, welcher ihr Tag und Nacht keine Ruhe ließ.

Sie mußte für ihr Kind sorgen, sie hätte es längst thun müssen!

Sie war nicht immer eine mittellose Witwe gewesen, als ihr Gatte noch lebte, da hatte sie im Überfluß, und es wäre nur recht und billig gewesen, hätte sie damals an die Zukunft und an ihren Sohn gedacht, anstatt ohne Bedenken zu verbrauchen, was ihr Gemahl ihr so reichlich an Wirtschaftsgeld zuwandte.

Ihre Jugend und Lebenslust kannte damals das Wort Sorge noch nicht, worum hatte sie sorgen sollen? – Und doch empfand sie die Worte ihres Sohnes als einen schweren Vorwurf, wie die heimliche, bittere Anklage: »Konnte damals nicht deine Mutterliebe ein Opfer bringen und für meine Studien sparen?«

Ines überkommt es plötzlich wie eine große Schuld und Verantwortlichkeit.

Damals brachte sie kein Opfer, – jetzt bringt sie eins. – und wie groß dasselbe ist, weiß nur der, welcher die Gefühle eines stolzen Frauenherzens kennt, welcher weiß, was es der so exklusiv denkenden, vornehmen Frau kostet, sich plötzlich Frau Sterley zu nennen!

Da hieß es sein besseres Ich, sein ureignes Sein und Wesen aus dem Herzen reißen.

Excellenz hatte es gethan, aber der Todesstreich, welcher dabei ihren Stolz traf, schnitt tief in ihr innerstes Wesen, und ließ es an solcher Wunde rettungslos erkranken.

Was erst nur eine selbstquälerische Einbildung gewesen, ein eifriges Bemühen, Versäumtes nachzuholen, das ward bald zu einer fixen Idee, zu einer Krankheit, welche Leib und Seele ergriff.

Ines sparte, sie wollte diesmal sparen, so lange es an der Zeit war!

Was sie für ihren Sohn gethan, sollte nicht vergeblich sein.

Sie selber hatte einen geliebten Namen hingeben müssen, einen Namen, welchen ihr alles Gold und alle Millionen eines Mister Sterley nicht ersetzen konnten. Ein Schwan, welcher mit stolzen Flügeln hoch oben durch blaue Lüfte zog, und nun mit gebrochenen Schwingen in einem Palast in verschwenderischer Pracht gefangen gehalten wird, vergißt es doch nicht, daß er einst sein Haupt im Himmelsodem gebadet, und trauert, so lange er lebt, dem verlorenen Glück nach. Ines sorgte für ihren Sohn – und für ihres Sohnes Namen.

Was sie verlor, sollte er doppelt besitzen, den alten Glanz in alter Herrlichkeit.

Und diese geheime Arbeit, dieses ruhelose, unersättliche Ansammeln von Kapital, was ihr in erster Zeit nur eine wohlthuende Freude gewesen, bekam bald eine Gewalt über sie, welche aus der Sparsamkeit den Geiz gebar. –

Der Besitz Lichtenhagens genügte ihr nicht für Josef. Was nützt ein Landsitz ohne genügendes Kapital? Mister Sterley aber ist sehr jung und rüstig, bis sein Testament in Kraft tritt, vergeht die beste Lebenszeit ihres Sohnes.

Sie kennt Josefs stolzen Sinn, welcher sich schon zum Vorwurf macht, das Geld, welches sein Studium erfordert, von dem Stiefvater anzunehmen, – er wird als Besitzer von Lichtenhagen versuchen, in jeder Weise seine Schulden an den Millionär abzutragen, nie aber noch neue Kapitalien von ihm annehmen oder gar fordern. Aber das, was sie für ihn zurücklegt, das wird er annehmen und das bleibt ihm gewiß, wie auch das Leben seine Karten noch mischen sollte.

Ines hat so viel von Bankierexistenzen gehört, welche kometenartig auftauchen, durch den Goldglanz märchenhaften Reichtums alle Blicke auf sich zogen und blendeten, um plötzlich, über Nacht, spurlos wieder in dem Nichts zu verschwinden, aus welchem sie so rätselhaft emporgestiegen sind. Und diese Gründerzeit mit ihren Höhen und Tiefen lag noch nicht allzulange hinter ihnen und machte sie mißtrauisch.

Darum wollte sie das Eisen schmieden, so lange es heiß war, – und sie that es. –

Der Kommerzienrat ließ seiner Gattin in all ihrem Thun und Handeln völlige Freiheit.

Sein Haus war äußerst gewissenhaft verwaltet, die Sparsamkeit empfand er persönlich nicht, und wenn die Diners und Feste auch keinen solch opulenten Eindruck machten wie ehedem, so war ihnen jetzt eine so vornehme Reserve eigen, welche die Gäste, die sich seit seiner Verheiratung um die Tafel gruppierten, in jeder Weise sympathisch berührte.

Was Sterley bezweckt hatte, war erreicht. –

Die Beziehungen seiner Gattin waren auch die seinen geworden. Die einflußreichen und hochstehenden Persönlichkeiten, welchen er näher zu treten wünschte, verkehrten in seinem Salon, und bei einer köstlichen Cigarre und bei den echten Liqueuren, welche mit aller Anspruchslosigkeit serviert worden waren, hatte er schon manches geheime Ziel erreicht, und die maßgebenden Herren für Ideen gewonnen, welche ihre goldenen Früchte in die Säcke des Millionärs lieferten.

Dadurch war er kühner und unternehmungslustiger geworden, und was er früher als riskiert und unsicher zurückgewiesen hätte, das wagte er jetzt mit der Zuversicht eines Mannes, welcher auf völlig festen Füßen zu stehen meint.

So waren etliche Jahre vergangen.

Ines schritt in nonnenhaft einfacher Kleidung, welche anfangs als taktvolle Bescheidenheit sehr anerkannt, bald aber als outriert bespöttelt ward, in dem Palast des Gatten umher, mit krankhaftem Eifer spähend, wo ein Groschen abzuknapsen sei, und dabei ward sie sichtbar alt und jedem heiteren Leben gram.

Seit die Söhne das Abiturientenexamen gemacht und die Universität beziehungsweise die Malerakademie bezogen hatten, war es noch stiller und einfacher in dem Hause geworden. Denn Ines seufzte über die horrenden Summen, welche die »Borussia« sowohl, wie die Studien ihres Stiefsohnes Klaus verschlangen, welcher wie ein Prinz in München auftrat und nur zuviel Gelegenheit fand, bei seiner großen Gutmütigkeit Abnehmer für sein Geld zu finden. –-

Er unterstützte arme Kollegen, schickte jenen auf eine Künstlerfahrt nach Italien, bezahlte wieder anderen den Lebensunterhalt und diesem wieder teure Studien und Modelle – und da gerade durch die Modelle manche Woge verzweifelten Elends zu ihm getragen ward, gab er mit vollen Händen und dem glückseligen Lachen eines Menschen, welcher es im tiefsten Herzen empfindet, daß geben seliger als nehmen ist.

Dabei ließ er sich selber nicht zu kurz kommen. Leben und leben lassen! stand als leuchtende Devise auf seinem Banner, welches er durch die üppige Saison Münchens trug.

Er genoß das Leben in vollen Zügen, mit der frischen, idealen Empfänglichkeit einer Künstlernatur, welche sich an dem Kelch der Schönheit berauscht, ohne die Gifttropfen mit zu schlürfen, welche verderbendrohend auf seinem Grunde ruhen.

Klaus war eine viel zu edle und vornehm beanlagte Natur, ein viel zu rein und hochdenkender Mensch, um seine Genüsse im Morast zu suchen, und er bewies es seinen Freunden, daß man die volle Freiheit des Künstlers ausnutzen kann, ohne der Gemeinheit zum Opfer zu fallen.

Nach wie vor bestand seine innige Kameradschaft mit Josef, trotz der Trennung wurden sie einander nicht fremd.

Briefe voll ehrlich treuer Beichten flogen zu dem jungen Torisdorff, welcher in seiner schwermütigen, etwas pedantischen Weise mit guten Ermahnungen antwortete und sein günstiges Gegengewicht selbst über Berg und Thal geltend machte.

Öfters war es schon vorgekommen, daß Josef daheim bei eifrigem Studium saß, als plötzlich die Thür aufflog, zwei Arme sich jubelnd um ihn schlangen und der blonde Lockenkopf des Stiefbruders sich an seine Wange drückte. Dann war's, als sei ein Wirbelwind in das stille Zimmer gekommen.

Die Bücher waren in den nächsten zehn Minuten versteckt und Josef, vom Bann der Freude und der fascinierend liebenswürdigen Persönlichkeit des jungen Malers gefangen, fügte sich dem Leben, welches Sterley über ihn verhing. Ein Wandern und Schweifen durch das wonnige, sonnige Rheinland begann, hier ward ein reizendes, landschaftliches Motiv im Skizzenbuch festgehalten, und dort stahl der Künstler voll kecken Übermutes ein rosiges Mädchengesicht, welches ahnungslos unter dem Reblaub hervorlächelte.

Josef war der eifrigste Bewunderer solcher Schöpfungen, und wenn er auch oft mißbilligend den Kopf über Bruder Klaus und seine flotten Ungeniertheiten schüttelte, so versöhnte ihn dennoch der Erfolg, welchen der junge Maler in wohlgefüllter Mappe heimbrachte. –

Selbstverständlich besuchte er auch die Studentenkneipen und war bei Josefs Korpsbrüdern bald der beliebteste und stets gern gesehene Gast, und wenn Torisdorffs Einfluß bändigend und zügelnd auf den Brausekopf Sterley wirkte, so übte seinerseits auch Klaus eine günstige Gewalt auf den Stiefbruder aus, indem er den so ernst und grüblerisch Beanlagten aus seinen übertriebenen Studien herausriß und ihn der Jugend und dem Leben zuführte. Er seufzte oft tief auf: »Du bist eine unglückliche Natur, Josef! Du nimmst alles so schwer, du schleppst traurige Eindrücke jahrelang mit dir und quälst dich mit selbstgeschaffener Pein! Ich glaube, du wärest imstande, um einer vagen Illusion willen dein ganzes Lebensglück zu opfern. Du phantasierst dir Riesen und Drachen in den Weg, gegen welche du erbittert ankämpfst ohne siegen zu können, denn deine Gegner existieren nicht. – Bist du denn wahrhaftig nicht imstande, eine einzige Dummheit zu machen? – Du bist überhaupt kein Student, du bist ein alter Mann, schon mit fünfzehn Jahren warst du ein Greis gegen mich! – In abermals zehn Jahren, wenn ich ein junger Ehemann werde, bist du ein Methusalem. Ist so etwas in der Ordnung?! – Was soll diese Kopfhängerei und dieser Weltschmerz? – Du hast alles, was dein Herz begehrt! Genieße dein Glück! Danke dem lieben Herrgott, und zeige ihm, daß du es verdienst! Warum verliebst du dich nicht? Die schönen Mädels rennen dich über den Haufen und du siehst sie nicht im Wege an! Hast du schon einmal ein rosiges Mündchen geküßt? Bei Gott, ich glaube wahrhaftig, du Unmensch thatest es nicht! Was bezweckt so ein Weiberhaß, womit motivierst du ihn?«

Und Josef lachte und zuckte die Achseln. »Lediglich, weil mir noch kein weibliches Wesen so gut gefiel, um in mir den Wunsch zu erwecken, sie zu küssen; – wenn ich ein Mädchen küsse, so heirate ich es auch.« – –

»Grundgütiger, dann muß ich Türke werden! –«

»Schlimm genug, ich hoffe, nie in solche Verlegenheit des Reichtums zu kommen! Aber ich will dir keine Moral predigen, Klaus. Deine Küsse haben die Mädchen, so Gott will, nicht unglücklich gemacht. Wir sind so verschieden beanlagt! Was bei dir einen Scherz, eine Tändelei bedeutet, würde bei mir bitterer Ernst sein! Du bist ein Schmetterling, dessen Natur ihn von Blume zu Blume treibt, ich ward wohl ans dem Stamme der Asra geboren, welche sterben, wenn sie lieben!«

»Hoho, du brauchst ja keine Schöne aus dem Serail zu entführen!« –

»Nein, das verspreche ich dir, aber ich glaube dir auch schwören zu können, daß meine erste Liebe auch meine letzte sein wird,«

»Und ich fürchte, daß ich noch oft, noch recht oft eine andere lieben werde, ehe meine letzte Liebe kommt, welche mit der Heirat schließt!« seufzte Klaus voll Humor, »ja, ich versichere dir, daß diese Überzeugung es mir recht schwer machen wird, mich überhaupt zu verloben, denn ich werde mir immer selber mißtrauen, ob es auch schon an der Zeit gewesen, mich ernstlich zu binden mit Herz und Hand!«

»Nun, dann wollen wir beide innig wünschen, daß auch du erst Methusalem sein mögest, ehe das entscheidende Wort auf deine Lippen tritt! Ich weiß wirklich nicht, Klaus, welcher von uns beiden der Beneidenswertere ist!« –

Nicht nur in diesem Punkte, sondern auch in den meisten anderen bildeten die beiden jungen Männer die ausgesprochensten Gegensätze, und doch herrschte eine vollkommene Harmonie zwischen beiden, ein Ineinanderaufgehen der herzlichsten Liebe und Achtung. Klaus war seit jeher ehrlich genug, den Fleiß und die Strebsamkeit Josefs anzuerkennen, auch imponierte ihm der eigenartige Charakter des so frühreifen Stiefbruders, wie eine gewisse Schwermut und eine bizarre Lebensanschauung niemals ihre Wirkung auf junge kindliche und harmlose Gemüter verfehlt.

Josef hingegen war sehr stolz auf das bedeutende Talent Sterleys, dessen herzliche Offenheit und Zuneigung ihm schon in der Schule sehr sympathisch gewesen und dessen selbstlose Liebe ihm schon in Ostende sein ganzes Herz gewonnen hatte. Bei der tiefen Empfindung und zähen Beharrlichkeit, mit welcher der junge Torisdorff alles festhielt, was er einmal ergriffen und zu seiner Überzeugung gemacht, wurzelte die Liebe für seinen Stiefbruder so fest in seinem Herzen, daß wohl kein Sturm des Lebens imstande sein konnte, sie zu lösen; und diese Sturmesprobe sollte sie nur zu bald bestehen.

Hatte James Franklin Sterley die Neigung seiner Frau, anfangs möglichst einfach und zurückgezogen zu leben, nur während etlicher Reisemonate im Süden lächelnd geduldet, so leistete er seit letzter Zeit dieser Marotte Vorschub, ja, er schlug Ines aus freien Stücken vor, bereits im Herbst in ein wärmeres Klima überzusiedeln, was der Arzt so dringend für ihre Gesundheit fordere. Frau Sterley war nicht genug Menschenkennerin und wohl auch zu apathisch, um die nervöse Unruhe ihres Gatten, welche sich schon seit längerer Zeit seiner bemächtigt hatte, zu bemerken.

Sie wunderte sich wohl, daß er längere Geschäftsreisen unternahm und angestrengter wie sonst auf dem Bureau arbeitete, aber sie fragte nicht nach der Ursache, denn sie hatte für kaufmännische Angelegenheiten zu wenig Sinn und Verständnis.

Eines Morgens, als sie in Kairo ihr Schlafzimmer verlassen und bereits auf der Terrasse des Hotel Shepheard saß, auf ihren Gatten und auf das Frühstück zu warten, trat Mister James ihr entgegen, und sie erschrak bei seinem Anblick. – Wie sah er aus! Leichenblaß, verfallen und greisenhaft, mit tiefen, dunklen Ringen um die Augen, die glanzlos zu ihr hernieder blickten. Er verneigte sich marionettenhaft und küßte ihr, wie immer, die Hand, aber die Worte, welche er sprechen wollte, klangen heiser, wie ein unverständliches Gurgeln.

»James, um Gottes willen, bist du krank? Du siehst so erschreckend bleich aus!«

Er schüttelte den Kopf, ein krampfhaftes Lächeln zuckte um seine Lippen, »Eine fatale Nachricht, eine Aufregung, aber nichts von Bedeutung – – –«

»Josef – Klaus! – Barmherziger Gott, ist etwas passiert?« stieß Ines bebend vor Schreck hervor, jählings den Arm des Sprechers umklammernd.

Er drückte beruhigend ihre Hand und schüttelte den Kopf: »Gott sei Dank, nein! Es ist nur eine geschäftliche Nachricht!«

»James, ich glaube es nicht! Du willst mich auf etwas Entsetzliches vorbereiten, erbarme dich, und sage mir die Wahrheit!«

Er zog ein Telegramm aus der Brusttasche und schob es ihr mit bebenden Händen zu. »So lies und überzeuge dich, es wird dich am besten beruhigen!«

Das Papier schwankte zwischen ihren Fingern, mit weit aufgerissenen Augen starrte sie darauf nieder: »Northern & Sons, sowie Veillard & Louis Brachfelder soeben Konkurs angekündigt!«

Ines atmete tief auf und blickte ihn verständnislos an.

»Ein Konkurs? Was gehen dich diese Ausländer an?« Sterley strich mit dem duftenden Batisttuch über die hohe Stirn,

»Der Konkurs dieser Ausländer kostet mich die Hälfte meines Vermögens!« antwortete er mit gläsernem Blick, »und wenn diese bedeutenden Börsenkrache noch weitere im Gefolge haben, so werden meine Verluste noch größer! Solch Fallissement eines großen Bankhauses ist wie eine Lawine, es reißt mit sich in das Verderben, was mit ihm in Berührung kommt!«

»Welch trauriges Schicksal!« Ines nahm voll warmer Teilnahme die Hand ihres Gatten in die ihre: »So muß es einem Landwirt zu Mute sein, welchem ein Hagelschlag die schöne, sichere Ernte vernichtet!«

Er preßte ihre Hand an seine Lippen, aufs höchste betroffen sah er in ihr so ruhiges, unverändertes Gesicht, welchem der Verlust von Millionen nicht ein Wimperzucken verursachte!

»Ines, du hochherziges, tapferes Herz!« stieß er durch die Zähne hervor. »Gott segne dich für deine Worte! O, jetzt sehe ich erst, welch ein Glück mir in dir ward! Der schwere Verlust hat mich dennoch reich gemacht durch dich, deren volle Freundschaft und warme Sympathie ich jetzt erst kennen lerne! Ach, Ines, Gott verhüte das Schlimmste. Ich bin seit dem heutigen Tage nicht mehr der reiche Sterley wie ehedem, aber ich bin, so Gott will, auch noch kein armer geworden! Die Hauptsache ist jetzt, daß ich so schnell wie möglich heimkehre, um mit allen Kräften für meine Interessen wirken zu können. Kann ich das Verlorene auch nicht gleich wieder einholen, so will ich doch das Gebliebene erhalten und so viel als möglich zu retten suchen!«

»Ich begleite dich, ich kehre mit dir heim, ich lasse dich nicht in diesem trostlosen Zustande allein, James!« – Wie ruhig sie sprach, wie freundlich sie ihn anlächelte!

Dem Kommerzienrat traten die Thränen in die Augen, – er wollte sich abermals in bebender Hast über ihre Hand neigen, sie inbrünstig zu küssen, eine Blutwelle schoß in sein fahles Antlitz – und jählings die Arme hebend, die gekrampften Hände gegen die Schläfe zu pressen, sank er mit einem tiefen Aufstöhnen vornüber.

Ehe Frau Sterley ihn umfassen und halten konnte, schlug sein Körper schwer auf den Marmortisch auf und glitt wie leblos an ihr nieder zu Boden.


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