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»Doch wenn sie liebt, nimm Dich in Acht!« | |
»Carmen« Bizet. |
Die eleganteste Straße der Residenz war die Bellevue, eine Filigranarbeit köstlichster Gitter, hinter welchen inmitten tadellos gepflegter Gärten, reservirt und hoch aristokratisch die einzelnen Villen lagen. Sie zog sich längs des Parkes in gerader Linie dem Palais zu, gewissermaßen eine Verlängerung des Schloßplatzes, um welchen sich die Gesandtschafts-Hotels, die Privathäuser des Prinzen Detlef und verschiedener auswärtiger Fürstlichkeiten, Museum, Galerien und der Dom gruppirten.
Den Platz zum Teil noch überblickend, dicht am Beginn der Bellevue, lag die Villa Carolina. Hochstämmige Ulmen und Lindenbäume beschatteten im Sommer ihr Dach, welches sich platt, mit verschiedenen allegorischen Figuren geschmückt, über das einstöckige, blendend weiße Gebäude breitete, dessen Seitenwände zwei mächtige, von Säulen getragene Balkons flankirten.
259 Ein hohes Broncegitter säumte den schmalen Vordergarten, zwei geschmackvolle Reverberen erhoben sich neben der Thüre.
Der Hofmarschall, Graf zu Lattdorf, bewohnte Villa Carolina.
In dem kleinen Boudoir der ersten Etage, welches den Austritt auf den linksseitigen Balkon gewährt, sitzt eine junge Dame, trotz des Zwielichts noch eifrig über ein Buch geneigt.
Ein dunkles, sehr elegantes Kleid fällt in weichen Falten von ihren Hüften, spannt sich knapp um die schlanke, außerordentlich graziöse Figur, und schließt mit goldener Stickerei hoch an dem Hals.
Die letzten Reflexe eines roten Abendhimmels spielen auf dem blonden, sehr modern und kleidsam frisirten und von weichen, duftigen Stirnlöckchen umzitterten Köpfchen.
Der Schnee fällt dichter draußen; dürre Weinranken werden von dem Wind über die Balkonballustrade geweht, düsterer färbt sich der Himmel und die Schatten werden tiefer in dem kleinen Salon.
Da läßt die junge Dame das Buch sinken und streicht langsam mit der Hand über die Stirn, wendet das Antlitz zum Fenster und blickt regungslos hinaus in das tolle Treiben der Schneesternchen. Es ist Josephine von Wetter. Ist sie es auch wirklich? Kaum, daß man sie wiedererkennt, so wundersam hat sie sich verwandelt. Noch ist es dasselbe rosige, süße Gesichtchen, welches Graf Lehrbach im Heu der heimatlichen Flur gezeichnet und 260 »Gänseliesel« getauft hat, aber es ist kein Kindergesicht mehr, ein ernster, veredelnder Hauch liegt darüber, welcher sich oft sogar in schmerzlichen Linien um die Lippen zieht. Die Stirn scheint markiger geworden zu sein, sie trägt plötzlich das charakteristische Gepräge der Familie, nach welchem man die Freiherrn von Wetter so oft »Trotzköpfe« geheißen hat, die kleine Falte senkt sich scharf zwischen die dunkeln Augenbrauen.
Auch der Blick hat sich verändert. Wohl ist ihm der lachende Glanz noch eigen, aber er zeigt sich nicht mehr so wie früher, er scheint seelenvoller, sinnender, kühler und mehr in sich gekehrt, oft sogar sprüht es wie Stolz und leidenschaftlicher Trotz daraus hervor. Die Künste der Schneiderin und Modistin haben jede Aehnlichkeit mit dem Groß-Stauffener Haideröslein wie mit Zauberei verwischt. Da sieht man es, wie Kleider Leute machen! Ueber der ganzen Erscheinung der jungen Dame schwebt der Nimbus distinguirtester Eleganz; wenn Josephine einen Blick in den hohen Wandspiegel wirft, vom lockigen Scheitel bis hinab zu dem zierlichen Hackenstiefelchen, und dann an die steifen Kattunkleider und die Nagelsohlen von daheim denkt, dann muß sie unwillkürlich die kleine Hand an die pochende Schläfe pressen, es ist ihr wie ein Traum.
Tief in die Sammetpolster ihres Sessels zurückgelehnt, liegt sie und starrt träumend in die wirbelnden Schneeflocken hinaus. So hatten sie auch an jenem Unglücksabend in tollem Tanze die 261 Luft durchflimmert, an jenem Abende, welcher bestimmt gewesen war, einen jähen Wendepunkt ihres Lebens zu bilden.
Wie Nebelbilder ziehen die Stunden, die Bilder jenes Hofballes an ihr vorüber. Ihr Herz krampft sich zusammen in dem Gedanken an all' die namenlos bittere Qual, welche ihrer jungen Seele so erbarmungslos der Liebe Leid kund gethan. Sie blutet noch fort, die Wunde, welche Falschheit und Spott ihr geschlagen, wenn's obenauf auch ruhig geworden ist, gleich dem Wasserspiegel, unter welchem viel blühendes Leben begraben liegt, das Sturm und Flut zur Tiefe riß.
Die Erinnerung an den ersten Ball verschwimmt in einem Meer von Thränen. Kaum weiß sich Josephine noch klar zu entsinnen, wie es gekommen, daß sie hier in Villa Carolina eine zweite Heimat gefunden. Sie erinnert sich noch, daß am nächsten Morgen Onkel Bernd mit selig verschwärmtem Gesicht von dem vortrefflichen Souper erzählt hat, von den zahllos vielen alten und neuen Freunden, welche ihn permanent umringt haben, um sich seine »Kaiserbegegnungen« mitteilen zu lassen, wie er fast den ganzen Abend in diesen, seinen liebsten Erinnerungen geschwelgt hat.
»Es war ja Spott – bitterer Hohn – ein nichtswürdiges Spiel, das sie mit Dir ahnungsloser Seele getrieben!« hätte Josephine aufschreien mögen, sie preßte die Lippen zusammen und schwieg.
262 Dann hatten sie angefangem ihre Sachen wieder einzupacken.
Sie erinnerte sich noch, wie ein Lakai kam und ein Billet von der Hofdame, Gräfin Aosta, brachte, welches die überraschende Mitteilung enthielt, daß Königliche Hoheit, die Frau Herzogin-Mutter die Frau Baronin von Wetter zu einer Audienz in das Palais befehlen ließ. Und Tante Renate setzte mit vieler Genugthuung den violetten Sammethut auf und machte ein so resolutes Gesicht, als gälte es jetzt, mit aufgestreiften Aermeln für ein gutes Recht zu kämpfen. Sie war davongefahren, lange Zeit ausgeblieben und dann mit etwas schiefgewehter Coiffüre und hochrotem Kopf wieder heimgekehrt. Ihr Auge blitzte, und ihren energischen Schritten und Bewegungen sah man es an, daß sie innerlich hochbefriedigt war.
Onkel Bernd fieberte vor Neugierde und that sofort sechs Fragen auf einmal, seine gestrenge Hausfrau aber sagte nur lakonisch: »So! . . . Jetzt hab' ich's mir mal vom Herzen geredet und hab' der Herzogin ein Licht über ihre liebenswürdigen Residenzler aufgesteckt! . . . Weiß nun, was an den lieben Freunden dran ist! Aber sehr freundlich war sie und bedauerte sehr, daß sich Phine gestern Abend nicht gut amüsirt hat, meinte, weil sie noch zu fremd sei, würde schon bald anders werden!« Und jäh vor das junge Mädchen hintretend und beide Hände auf ihre Schultern legend, fragte sie kurz und hart:
263 »Sag' Phine, möchtest Du wohl noch hier bleiben?«
Da hob diese ihr blasses Gesichtchen, und zum ersten Mal trat der Charakterzug der Wetters scharf in dem Antlitz hervor. »Ja, Tante, für mein Leben gern, es graut mir vor der Stauffener Einsamkeit!« sagte sie entschlossen.
Die Augen der alten Dame blickten sie durchdringend an. »Auch allein . . . ohne Onkel und mich – als Besuch bei Ange Lattdorf?« fuhr sie mit etwas vibrirender Stimme fort. »Mich bringen keine hundert Pferde wieder auf einen Hofball.«
Wenn die Freifrau ein ängstliches Aufschrecken, ein heftiges Sträuben gegen diese Trennung erwartet hatte, so irrte sie; Josephine sah sie ruhig an, ohne mit einer Wimper zu zucken, schien förmlich empor zu wachsen unter tiefem Atemzug und entgegnete: »Auch allein, liebe Tante, wenn es nicht anders sein kann; bei Lattdorfs schon am liebsten, denn ich habe Ange aufrichtig gern!«
Zuerst schien Tante Renate fast beleidigt durch diese schnelle Zustimmung, dann aber überlegte sie es sich anders, nickte befriedigt und strich mit der Hand über der Nichte Blondköpfchen. »Das ist recht, Kind, mußt anfangen selbständig zu werden, um allein Deinen Weg zu finden. Einsam wird es uns zwar sein, ohne Dich, ganz wunderlich einsam, aber im Frühling kommst Du ja wieder, und es ist besser für Dich und uns, wenn die Wirtschaft daheim beaufsichtigt bleibt. Hat mir schwer genug auf der 264 Seele gelegen, wie's drunter und drüber gehen wird ohne mich!«
Onkel Bernd kämpfte wie ein Held mit seiner Rührung.
Nachmittags war man dann zur Villa Carolina gefahren. Mit unendlich vieler Liebe und Herzlichkeit wurde Josephine im Familienkreise aufgenommen; sie kam sich keinen Augenblick fremd unter diesen Menschen vor.
Tante Renate verhandelte lange Zeit mit der Gräfin, welche sie nach dem Thee bat, ihr in den Nebensalon zu folgen – wie sie scherzend sagte.
»Ich weiß, liebe Gräfin, daß meine Nichte vollkommen neu equipirt werden muß,« kam Frau von Wetter sofort auf des Pudels Kern. »Die altmodischen Fähnchen passen nicht mehr hier in die elegante Welt, das habe ich gestern gesehen. Du lieber Gott, Sie dürfen mir keinen Vorwurf machen, daß ich mich nicht früher umgeschaut habe, aber fast zwanzig Jahre aus dem Lande leben, heißt mehr als verrosten. Josephine soll und darf es an nichts fehlen, sie hat unseren Namen zu repräsentiren! Wenn Sie die Güte hätten, teuerste Frau, mir eine Liste mit den nötigen Toiletten und Mänteln, Hüten &c. &c. aufzusetzen, würde ich unendlich dankbar sein! Ich schreibe noch heute Abend an Gerson und lasse die ganze Bescheerung zusammen kommen!«
»An Gerson?« Gräfin Lattdorf zuckte die Achseln und sagte mit vertraulichstem Plauderton: »Dazu 265 würde ich Ihnen nicht raten, Sie machen sich unnötig eine enorme Depense, denn Gerson ist wohl gut, aber doch recht teuer! Ich kann Ihnen eine bessere Quelle nennen, aus welcher ich seit langen Jahren alle Toiletten für mich, meine beiden verheirateten Töchter und Ange bezogen habe! Es ist ein hiesiges Konfektionsgeschäft, eines unserer ersten, renommirtesten und solidesten Häuser. Die Toiletten sind sämmtlich hochelegant und originell, ohne auffallend zu sein, dabei von superber Façon, welche mit den sehr civilen Preisen kaum in Einklang zu bringen ist; wie gesagt, der ganze inländische Adel zählt zu der Kundschaft dieser Firma.«
Tante Renate war gern einverstanden, beide Damen besprachen noch die diversen Details, und dann kehrten Herr und Frau von Wetter mit vielen herzlichen Dankesworten in das Hotel zurück, Josephine blieb gleich in dem reizend behaglichen Fremdenzimmer, welches bereits für sie hergerichtet war.
Dann kam der Abschied von den Pflegeeltern; Lattdorfs und Hattenheim gingen mit an den Bahnhof.
Josephine hatte nicht geweint, nur hinterher, am Abend, in der Dämmerung war sie in ihr Zimmer gegangen, hatte das Antlitz auf die weißen Stickereien ihres Kopfkissens gedrückt und bitterlich geschluchzt.
Komtesse Ange folgte ihr und schlang zärtlich die Arme um das einsame, unglückliche Kind; da 266 war ihrer Freundschaft erster Knoten geknüpft . . . . Die nächsten Tage waren voll Trubel und Aufregung. Gräfin Lattdorf fuhr jeden Vormittag mit Josephine von Laden zu Laden, kaufte ihr all' die tausend eleganten Dinge, welche eine Dame von Stande nötig hat, um vor der Kritik ihres Spiegels bestehen zu können.
Die Kammerjungfer frisirte sie in der nämlichen Art wie Ange, und die Komtesse jubelte hell auf, drehte die kleine »country-miss« nach allen Seiten und konnte sich an der reizenden Verwandlung gar nicht satt sehen.
Nach ungefähr acht Tagen war die erste Toilettenlieferung fertig gestellt, zwei dunkle Hauskleider und eine hellseidene Abendtoilette. Josephine kam sich zuerst recht fremd und beklommen in den neuen Sachen vor, welche so ganz anders an ihrem Körper saßen, als die Stauffener Blousen und Röcke, welche Tante Renate mit Hilfe der Nähmamsell des nächsten kleinen Marktfleckens meist selbst geschneidert hatte, aber die Kammerfrau der Gräfin, welche die Anprobe hielt, rief ein um das andere Mal wahrhaft enthusiastisch:
»Brillant, gnädiges Fräulein, wie angegossen sitzt Alles! – oh, mon Dieu, wie das Ihre Figur verändert!«
Und Ange und die Gräfin nickten sehr befriedigt, und sagten, »sie sei gar nicht wieder zu erkennen!« Da trat Josephine vor den Spiegel und schaute ganz betroffen auf die schlanke, elegante 267 Erscheinung, welche das Glas zurückwarf. War sie das? Nein, das war ein bunter, strahlender Schmetterling, welcher plötzlich aus der grauen Larve geschlüpft war. Dann begriff sie nicht, wie sie jemals so geschmackloses Zeug, wie die soeben abgestreiften Wollenfalten hatte tragen können, und wenn sie an ihre Hofballtoilette dachte, stieg ihr das Blut in die Wangen. Auffallend war es, welche Aehnlichkeit sie jetzt in der Figur mit Gräfin Ange hatte. Diese bewegte sich nur graziöser und eleganter, hatte ein so sicheres Auftreten und wußte so verständig und welterfahren zu reden, da bat Josephine mit süßem Schmeichelwort, sie doch als gelehrige und dankbare Schülerin anzunehmen. All' die Aeußerlichkeiten konnte sie ihr schon trefflich absehen, aber die Lücken in der Bildung, namentlich in der Belesenheit empfand sie selber sehr schmerzlich. Ange lachte und sagte: »Du bist gerade klug genug, liebes Herz, und Deine Naivetät wird den Menschen besser gefallen, als all das mühsam aufgepfropfte Wissen, mit welchem Blaustrümpfe und Schöngeister renommiren! Die Lektüre guter Bücher wird Dir schnell den Schliff geben, welchen Du Belesenheit nennst!« Und sie hatte ihren Bücherschrank geöffnet und ihr einen Roman gereicht: »Benutze jeden freien Augenblick und lies! Hier lernst Du das Leben der eleganten Welt und des Hofes kennen, das wird zwar manchen Nimbus von Deinen Idealen streifen, aber Dir doch sehr nützlich sein! Und hier findest Du mehr zum Lesen, wenn es Dir gefällt, moderne 268 Sachen, über die man sprechen und ein Urteil haben muß!«
Ach lesen! Mit welcher Leidenschaft las doch Josephine! Oft mangelte ihr das rechte Verständniß für die Verhältnisse, dann fragte sie Ange. Mehr und mehr schlossen sich die jungen Mädchen einander an, es däuchte Beide, als seien sie seit langen Jahren so innig vereint und sich zugethan gewesen.
Der ernste, sinnende und doch so praktisch gesunde Sinn der jungen Komtesse hatte das gefunden, was er brauchte, eine Freundin, welcher sie Etwas sein konnte, welcher sie unentbehrlich war, welcher ihre reichen Fähigkeiten dienen konnten. Sie sorgte, unterwies, bemutterte und bildete heran, sie liebte Josephine aufrichtig um ihres lauteren Herzens, ihrer süßen Natürlichkeit halber.
Nie hatte sie vorher das Bedürfniß gehabt, sich so herzlich an eine andere junge Dame der Gesellschaft anzuschließen, die waren so fertig, so superklug und so unendlich welterfahren und modern. Sie verkehrte mit Allen, ohne einer Einzelnen näher zu stehen, obwohl sie große Unterschiede zwischen ihnen machte, sie empfing die Mädchen wohl, aber sie nahm sie nicht bei sich auf.
Hattenheim verkehrte viel in dem Lattdorfschen Hause. Mit dem Vorrecht des Verwandten kam er oft freundschaftlich und ungebeten zum Thee, oft allein, hie und da in Begleitung eines Freundes, welcher mit Gräfin Ange musiciren wollte.
269 Mit großen Augen, fast betroffen hatte Reimar auf Fräulein von Wetter geschaut, da sie ihm zum ersten Mal »verwandelt« entgegentrat. Er war frappirt von soviel Schönheit und Anmut, welche ihr Licht bis jetzt so unbegreiflich unter den Scheffel gestellt hatte.
Josephine reichte ihm die Hand, fragte mit ihrem herzigen Kinderlächeln, wie ihm das Gänseliesel denn als Städterin gefalle, und ob er sie auch so gewaltig verändert finde? Sie hoffe es, denn es habe arg notgethan!
Da stieg ihm das Blut in die Schläfe, er sagte ihr ein paar ungeschickte Worte, die aber sehr schmeichelhaft klangen, und stand wieder schweigend und schaute sie verstohlen an.
Als er der Gräfin »Guten Abend« sagte, umspannte er ihre Hand mit fast schmerzhaftem Druck. »Du hast es herrlich verstanden, Tante, ich danke Dir dafür, nun wird sie anders im Ballsaal stehen!« flüsterte er, aber es lag eine tiefe Wehmut in seinem Blick, und im Herzen dachte er: »Wie lieb war sie mir mit dem häßlichen Kleid und dem krausen Kinderkopf, das ist hin, ewig hin, nun wird sie nie mehr lachen wie früher, 's ist ein Rauhreif gefallen und hat die kleinen Falten um die Lippen und in die Stirn gesenkt, und Günther hat es auf dem Gewissen.« Und wie er an Graf Günther dachte, da blitzte sein Auge plötzlich auf, und sein Blick flog wieder über Josephinens reizende Erscheinung, stolze Genugthuung schwellte seine Brust.
270 Noch hatte Fräulein von Wetter kein größeres Fest nach jenem ersten Hofball besucht, sie wollte bis Neujahr warten, um dann mit Ange zusammen die Saison zu beginnen.
Graf Lehrbach hatte sie einmal flüchtig wiedergesehen, als sie zur Mittagsstunde durch den Park geschritten war, um Ange, welche eine Visite bei einer kranken Excellenz abstattete, entgegenzugehen.
Da waren ihr drei sehr laut konversirende Spaziergänger entgegen gekommen, die Prinzeß Sylvie in kurzem Jaquet, beide Hände in den Taschen und eine Schwippgerte unter den Arm geklemmt, Fräulein von Dienheim im kecken Jägerhut mit einem Hund an der Leine, und zur Seite Graf Lehrbach.
Alle drei waren plötzlich verstummt und hatten sie starr angesehen, Sylvie bediente sich sogar in ungenirtester Weise ihres Kneifers. Dann hatte Josephine gegrüßt und ihre ganze Aufmerksamkeit der Prinzessin geschenkt, Günthers Blick vermeidend. Aber sie hatte es bemerkt, daß er sich noch hastig nach ihr umwandte, und hörte die Stimme Sylviens: »Donnerwetter – das war ja Ihr ländliches Idyll, Fortunatus!« – dann eilte sie mit fiebernder Hast weiter.
Jener Gang durch den Park hatte übrigens noch ein Nachspiel.
Als Josephine an den Pavillon kam, stand sie einen Augenblick still, um sich an dem entzückenden Anblick des kleinen Schlößchens zu erfreuen. Die 271 klare Wintersonne beleuchtete die weißen Säulen und weckte blitzende Funken auf der Kuppel und den Minarets, welche sich wie märchenhafte Zauberbauten gegen den klaren, blaugrauen Winterhimmel abhoben. Der Schnee lag auf den grünen Fichten, Taxus und Cederbosquets, so frisch und fleckenlos, als sei ein glitzernder Schleier über sie gebreitet, und droben auf dem Balkongitter hing der dichte Epheu wie eine festliche Guirlande, durch welche die vergoldeten Pfeilspitzen der Stäbe wie grelle Sternchen aufleuchteten.
Als Josephine die Front umgehen wollte und die Biegung des Weges durchschritt, wich sie unwillkürlich zurück und blieb momentan, in Anschauen versunken, hinter dem dichten Bosquet des stachlichen Houx stehen.
An einem geöffneten Fenster der ersten Etage stand Herzogin Marie Christiane. Ein dunkler Pelz lag auf ihren Schultern, ein schwarzes Spitzentuch umhüllte das Haupt und ließ das schmale, durchsichtig bleiche Gesicht fast geisterhaft grell hervortreten. Mit weißen Händen streute sie Brodkrumen und Getreidekörner auf den beschneiten Rasen hernieder und sah es mit ihrem milden, geduldigen Lächeln, wie das zwitschernde Völklein kleiner Perlhühner, Pfauen, Tauben und überwinternder Vögel sich darüber her stürzte, piepsend, flatternd, gurrend und oft naseweis zum Fenstersims emporstrebend, um die Körnlein schon unter den Fingern der Fürstin wegzustibitzen.
272 Kaum, daß Josephine das reizende Bild ganz mit dem Blick erfaßt hatte, schrak sie auch schon jäh empor und stürmte mit leisem Schreckensruf zwischen die gefiederten Gäste Marie Christianens.
Ihr Schrei fand droben am Fenster ein Echo.
Mit täppischen Sprüngen war der junge Hühnerhund des Prinzen Alexander von der freien Balkontreppe des Parterres herabgejagt, war schneller als der Gedanke mitten zwischen die scharrende Schaar gestürmt und hatte ein Perlhühnchen gefaßt, um es in einem Spiel auf Tod und Leben unter den Pfoten zu halten.
Mit gellendem Geschrei stäubte das bunte Völkchen auseinander, aber gleichzeitig flog ein großer Ballen Schnee aus Josephinens Händen gegen den Hund, welcher mit linkischem Satz zur Seite sprang und momentan sein Opfer freigab.
Fräulein von Wetter sprang zu, raffte das Hühnchen empor, welches halb betäubt, kläglich piepsend, mit den Flügeln schlug, und nahm es wehklagend in den Arm.
»Tausend Dank, mein liebes Fräulein!« rief Marie Christiane mit noch leicht vibrirender Stimme; »das nenne ich einen Retter in der Not! Bitte kommen Sie mit dem armen, kleinen Patienten zu mir herauf; wir wollen sehen, ob er bösen Schaden gelitten hat!«
Sehr verlegen, jetzt erst ihre Situation bedenkend, grüßte Josephine respektvoll empor; die Herzogin nickte und winkte noch einmal, dann trat 273 sie vom Fenster zurück, und das junge Mädchen hörte einen hellen Glockenton aus dem Zimmer herniederhallen.
Ohne zu zögern, faßte sie das Perlhuhn sicher und behutsam, schritt um den Pavillon herum und stieg die Treppe zu dem Säulengang empor.
Das Gesicht eines Portiers erschien hinter der Glasthür, sah die Fremde einen Augenblick scharf musternd an und öffnete dann stumm mit einer devoten Verneigung.
»Die Herzogin?« fragte Fräulein von Wetter, sich etwas unschlüssig in dem großen, hallenartigen Vestibul umblickend.
»Bitte, diese Treppe. . . . . Der Lakai steht droben, Hoheit empfängt aber um diese Stunde nicht,« fügte er gleichzeitig hinzu, »wenn gnädige Frau sich jedoch bei der Hofdame, Fräulein von Sacken, melden lassen wollen. . . .«
In demselben Augenblick stürmte ein Lakai die teppichbelegten Stufen herab, verneigte sich sehr tief und atemlos vor Josephine und sagte mit einladender Geste: »Hoheit erwarten das gnädige Fräulein!«
Durch lange, helle Korridore ging's, an den Seiten Gemälde und kunstvolle Wandleuchter, in den Wandnischen laubiges Grün. Eine altmodische Uhr tickte auf dem Kamin, helles Feuer prasselte hinter dem gußeisernen Gitter.
Dann trat sie in ein mäßig großes Gemach, warm und behaglich, mehr einfach als elegant. Weiche Wollenportièren deckten die Thüren und 274 dämpften das Fensterlicht; ein breitlehniges Sopha, hohe Sessel und ein Glasschrank mit vielen Nippes hinter den Scheiben, in der Fensterecke ein Harmonium, dicht daneben ein Tisch mit vielen, sichtbar eifrig benutzten Büchern in schlichtem Einband und an den Wänden verschiedene Porträts fürstlicher Anverwandten bildeten die Einrichtung, nicht zu vergessen die grüne Epheulaube auf dem Fenstertritt. Durch die Portièren der Seitenthür trat die Herzogin, ging mit schnellen Schritten auf Josephine zu und reichte ihr herzlich die Hand. Sie hatte den Pelz abgelegt, aber das Spitzentuch umhüllte noch ihr Haupt, die Wangen waren vor Erregung gerötet.
»Nicht, nicht, mein liebes Kind!« wehrte sie mit unendlich wohllautender Stimme, als Josephine sich, durch das Huhn auf ihrem Arm genirt, etwas ungeschickt zum Kuß auf die Hand herniederneigte. »Sie kommen ja als Krankenträgerin, nicht als ceremonieller Besuch zu mir! Wie freundlich und geistesgegenwärtig von Ihnen, der bösen Diana noch rechtzeitig das grausame Spiel zu unterbrechen. Armes, kleines Geschöpfle, arg zerzaust hat Dich der wüste Gesell, hast's Dich nimmer versehen gehabt.« Der süddeutsche Dialekt klang durch ihre Worte, lieb und weich mischte er sich in das Kosen, mit welchem sie das Tier von Josephinens Arm nahm und sich mit ihm auf den Sessel neben dem Fenster setzte.
»Das Beinchen hat ihm der Hund gebrochen, Hoheit,« sagte Josephine, ohne jegliche Scheu neben 275 der hohen Frau niederknieend, um dem geschickten Walten der schlanken Hände zuzusehen, welche die einzelnen Glieder untersuchten, »und hier an der Brust und dem Hals sind Federn ausgerissen, es blutet an zwei Stellen!«
»Ganz recht,« nickte Marie Christiane, »oh weh, das Knöchelchen ist durch . . . hier stößt der Splitter vor . . . . Da wird's arge Schmerzen leiden, wenn's uns nit völlig dran kaput geht! Und war so ein lieb Gickele, hat mir immer so viel Spaß gemacht.« Sie drehte den Kopf beengt in dem Spitzenshawl.
»Machen Sie das Maß Ihrer Güte voll, Fräulein von Wetter, und nehmen Sie mir das Tuch ab«, fuhr sie dann fort, »es genirt mich und ich kann das Hühnle nit loslassen, sonst hupft's mir davon!«
Josephine löste den Shawl von dem glatten Scheitel der Herzogin so vertraulich und unbefangen, als sei sie ein jahrelanger Gast im Pavillon; und als die hohe Frau dann eigenhändig eine Bandage um das gebrochene Glied legen wollte, da holte Josephine den Verbandkasten aus der untersten Schublade des Glasschrankes, welche ihr die Herzogin bezeichnete, die homöopathische Apotheke und von dem Schreibtisch im Nebensalon die Brille . . . und griff eifrig zu, zog auf Geheiß den warmen Mantel ab und plauderte so ehrlich und harmlos von Stauffen, wo sie auch manches Puthuhn durchgepäppelt habe, und von ihrer Verwunderung, daß 276 die Herzogin ja geschickt und sicher sei, wie der beste Arzt!
Da lächelte die hohe Frau, blickte ihr tief in die klaren Augen und erzählte von Hospital und Armenpflege, wo sich dergleichen leider Gottes durch die Praxis lerne, man müsse nur Geduld und ein gläubiges Herz haben.
Und Josephine schien es, als ginge ein wundersames Strahlen von der bleichen Stirne aus.
Sie half noch ein Lager für das Huhn bauen, nahm dazu den Nähkorb, welchen sie, mit Charpie und Leinwandstreifen angefüllt, hinter der Epheulaube gewahrte, und Marie Christiane nickte eifrig und läutete ihrer Kammerfrau, daß sie noch ein wollenes Tuch besorge.
Dann bestand sie darauf, daß Josephine erst noch eine Tasse Bouillon tränke, es sei Frühstückszeit, welche sie durch ihre gütige Hilfe in der Villa Carolina versäumt habe.
Der Lakai servirte die gemalte Tasse und eine Silberplatte mit Sandwichs belegt, und Josephine langte gehorsam zu.
Es war seltsam, sie hatte so gar nicht das Gefühl, am Hofe zu sein; es war Alles so unendlich behaglich und ungezwungen bei der Herzogin, man glaubte in dem traulichen Heim einer lieben Freundin zu sitzen, wo man weiß: »Hier findest Du ein Herz, wenn Du eines suchst.«
Just als Josephine sich verabschiedete, trat Fräulein von Sacken ein.
277 Sie schien nicht überrascht, sie wußte wohl schon von dem fremden Besuch in dem Pavillon; sie lächelte und reichte dem jungen Mädchen herzlich die Hand. Sie war schon älter, sehr wenig hübsch und außerordentlich einfach gekleidet, aber sie hatte einen sehr liebenswürdigen Ausdruck im Gesicht und schien recht heiteren Temperaments zu sein.
Die Herzogin entließ das junge Mädchen mit den gütigsten Worten.
»Als getreue Pflegerin müssen Sie aber nun auch von Zeit zu Zeit nach Ihrem Patienten sehen,« sagte sie scherzend, »und jedes Mal mein willkommener Gast sein. Dann erzählen Sie mir, wie gut Sie sich bei Spiel und Tanz amüsiren und tragen das Echo jenes heiteren Lebens in meine Einsamkeit. Auf Wiedersehen denn, Fräulein Josephine, und einen Gruß an die Gräfin und Ange!«
So war Fräulein von Wetter gegangen, um nach wenigen Tagen mit Komtesse Ange ihren Besuch zu wiederholen. Dem Hühnchen ging es über Erwarten gut und in der Epheulaube wurde lange und traulich geplaudert.
Auch dem Vortrag eines jungen Missionars wohnten die beiden Mädchen in dem Pavillon bei.
So waren fast vier Wochen verstrichen, die Mitte des Decembers erreicht und Weihnachten stand vor der Thür. – – –
Noch immer schneite es draußen, noch immer lag Josephine regungslos in dem Sessel und träumte hinaus. Dort hinten, wo sich die Domkuppel wie 278 ein schwarzer Koloß gegen den Nachthimmel abzeichnet, liegt Stauffen. Still, einsam, friedlich, ein aufgeschlagenes Buch voll süßer Erinnerungen. Ach, daß sie dort wäre! Jähes Heimweh packt ihre Seele und läßt kühle Schauer über sie hinwehen; sie schlägt die Hände vor das Antlitz und stöhnt leise auf. »Nicht zurück, nicht dahin, wo ich so glücklich war, ich ertrüg' die Wandlung nicht! Alles spricht dort von ihm, und die Ruhe gellt mir schrecklicher in die Ohren, als hier sein spöttisches Lachen!« Und wieder breitet sie sehnsüchtig die Arme aus und schluchzt: »Tante Renate!« und dann liegt sie still in den Sammetpolstern und faltet die zitternden Hände. Warum blieb sie denn hier? Das wußte sie selber nicht, aber sie konnte nicht fort. Es war ihr, als habe sie all' ihr Glück in einen großen, schwarzen Sarg gelegt und den Deckel zugeschlagen, jeder Hoffnung, jedes Trostes bar; aber es schien, als habe sie auch den langen Trauerschleier gleichzeitig mit festgenagelt, und der hielt sie nun und ließ sie nicht fort von dem düsteren Schrein und war das thränenfeuchte Band, welches sie so rätselhaft fesselte. Und dann wieder senkte sich die Wettersche Falte in die Stirn, die Lippen preßten sich trotzig zusammen, und durch die Zähne klang's: »Ich geh nicht . . . . . so nicht . . . nicht, als ob ich vor ihm entfliehe, nicht, als ob seine Falschheit mich ins Herz getroffen; das Gänseliesel wird ihm erst noch gegenüberstehen, wird ihm zeigen, daß nicht alle Herzen sein Spielzeug sind. Ich bleibe!«
279 Und so hatte sie auch Tante Renate gleich im Voraus gesagt, daß sie zu Weihnachten nicht nach Stauffen kommen werde, das sei nur ein erneuter Abschied, kaum ein Wiedersehen. Und die Freifrau hatte erstaunt den Kopf geschüttelt und bei sich gedacht: »Es ist wunderlich, welch' einen Einfluß so ein Bischen Herzeleid auf den Charakter hat. Jene eine Ballnacht hat das Mädchen um Jahre gealtert, hat sie zu einer Wetter gemacht; ihr Vater war auch so. Erst ein Jüngling, sorglos wie ein lachender Morgen; dann, nach dem Tode seines einzigen Söhnchens, ein Mann mit eckiger Stirn und eisernem Willen. Das Schicksal reift über Nacht.« –
Dunkel war es in dem kleinen Boudoir geworden, kaum, daß man noch die einzelnen Gegenstände unterscheiden konnte. Nur durch die offene Ofenthür fiel heller Feuerschein und warf tanzende Lichter auf den Teppich.
Leise Schritte klangen auf dem Korridor, die Portièren teilten sich, und Komtesse Ange trat ein.
»Richtig, noch schwarze Finsterniß hier oben! Kleiner Nachtfalter, wo steckst Du? . . . . Bist Du hier? . . . . . Gib Stimmchen!«
Und die junge Dame tastete sich vorwärts, zog im Vorüberschreiten an dem Schellenzug und trat dann neben den Sessel am Fenster, auf welchem ihr Josephine ein leises: »Guck, guck!« entgegen gerufen hatte.
Sie zog das blonde Köpfchen an ihre Brust. 280 »Ahnst Du gar nichts, kleine Weisheit?« scherzte sie; »sagt Dir Dein klopfendes Herzchen nicht, welche Neuigkeit ich bringe?«
Josephine schrak fast empor. »Eine Neuigkeit?« fragte sie hastig.
»Wer ist wohl drunten bei Mama?«
»Hattenheim!«
»O ahnungsvoller Engel Du! Ganz recht, Hattenheim und Baron d'Ouchy, und was bringen sie wohl?«
»O, sag es schnell!« bat Fräulein von Wetter fast ängstlich.
»Nichts Geringeres als die Nachricht, daß übermorgen die vielbesprochene Schlittenpartie zu Stande kommen wird. Daß Reimar Dein Kavalier sein wird, ist selbstverständlich« – die Stimme der Komtesse wurde leiser – und mich hat Baron d'Ouchy engagirt, weil er der einzige Herr ist, den Du mit allerhöchstem Wohlwollen auszeichnest, und ganz entschiedene Sympathien dazu gehören, um in einem Schlitten zu fahren, denn langweilige Gesellschaft ist in diesem Falle unerträglich.«
Da Josephine schwieg, fuhr Ange lebhafter fort: »Es ist prächtig, daß wir Vier zusammen in unserem Schlitten fahren werden, Mama wünscht es, da sie es nicht für passend hält, zwei junge Leute allein stundenlang sich zu überlassen, obwohl es allgemeiner Brauch ist. Hast Du schon solch eine große Partie mitgemacht?«
Josephine verneinte. »Mit wem wird Graf Lehrbach fahren?« fragte sie plötzlich.
281 Ange lachte leise auf. »Da sieht man's, wie fremd Du noch hier bist, kleines Närrchen. Graf Lehrbach! Glaubst Du, das enfant gâté des Hofes, der Entrepreneur der ganzen Partie, würde im letzten Schlitten sitzen? Entweder verstößt Prinzeß Sylvie ihm zu Ehren mal wieder gegen jegliche Etiquette und wählt ihn zu ihrem Kavalier, oder er tröstet sich mit Fräulein von Dienheim und macht es wie vergangenes Jahr, statt hinter dem Schlitten der Hoheit, neben demselben zu fahren; das nennt man dann einen seiner Geniestreiche und klatscht Bravo. Aber nun komm, liebes Herz, eben bringt Heinrich Licht. Ich will ein paar Noten heraussuchen, und dann gehen wir hinunter und musiciren, d'Ouchy spielt sehr gut Geige und scheint darauf zu brennen, Dich wiederzusehen. Also schnell!«
Der Diener hatte die brennende Lampe auf den Tisch gestellt und war auf leisen Sohlen wieder hinter der Thüre verschwunden, Ange kniete vor einem Bücherschrank und packte etliche Notenhefte zusammen.
»Wer ist eigentlich Baron d'Ouchy, sein Name klingt so fremdartig!« fragte Josephine gedankenvoll.
Ange unterbrach sich momentan und blickte auf.
»Er ist französischer Emigrant von aristokratischem Geblüt, aber sehr arm. Er interessirt mich, obwohl ich außer seinem Geigenspiel wenig Einnehmendes an ihm finde. Ich halte ihn für eines jener stillen Wasser, auf deren Grunde Wirbel und rasende Flut kochen; sein Auge zeigt's, da wechselt Feuer und Eis wie Aprilwetter, und die 282 Augenbrauen sprechen von einem Fanatismus, der über Leichen geht.«
»Mir kam er so ruhig und kühl vor, als sei er aus Marmor gemeißelt, wie die Statue hier.« Fräulein von Wetter legte die Hand auf den Sockel einer mythologischen Heldenbüste, welche zu ihrer Seite auf dunkler Säule stand.
Ein seltsamer Ausdruck spielte um die Lippen der Komtesse. »Ganz recht, er ist ein berechnender Charakter, kühl bis ans Herz hinan, die Leidenschaften spiegeln ihre Flamme nur in seinem Auge, ohne zu zünden; er wird sich nicht leicht verlieben. Wenn er es aber thut, wird es nicht die allbekannte Liebe und Schwärmerei sein, sondern rasender Wahnsinn jeder Fiber und jedes Nervs, eine fessellos sich Bahn brechende Lawine, die zu Grunde reißt, was sich ihr entgegenbäumt. Ich würde mich fürchten vor einem solchen Geliebten!« Ange hatte sich erhoben, sie stand vor Josephine und legte die weiße Hand auf ihre Schulter. Wie ein warnendes Aufleuchten ging es durch ihr sanftes Auge, sie neigte das Haupt noch näher, daß fast Wange an Wange ruhte. »Doch wenn er liebt, nimm Dich in Acht!« sang sie leise und fügte dann ernst hinzu: »Seine Liebe wird der Zigeunerliebe gleichen, von welcher Carmen singt, ›fragt nicht nach Recht, Gesetz und Macht‹, und die bringt keinen Segen!«
Josephine sah fast erstaunt auf die Freundin.
»Hast Du Angst, ich würde mich in ihn verlieben?« lachte sie leise herb auf.
283 Ange schüttelte langsam den Kopf. »Nein«, sagte sie kurz, schlang den Arm um die schlanke Taille des jungen Mädchens und schritt mit ihr über den Korridor, die Treppe hinab.
Der rote Lichtschein fiel auf das bleiche Antlitz d'Ouchys; er stand der Thür zugewandt an einem Büchertisch und durchblätterte Journale. Sein Auge traf Josephine, als sie eintrat, es schien zu wachsen im Blick, Betroffenheit malte sich in seinen Zügen, dann zog ein Lächeln um die Lippen, daß die Zähne grell aufblitzten. »Charmant!« hatte er gemurmelt.
Man unterhielt sich sehr animirt; Josephine hatte sich neben Hattenheim gesetzt und plauderte von der Schlittenpartie, d'Ouchy sah die Noten an, welche ihm Komtesse Ange reichte, und stritt sich mit ihr über italienische Musik.
Dann setzte sie sich auf seinen Wunsch an den Flügel und spielte aus der Parsifal-Ouvertüre, welche er heftig angefeindet hatte; er stand auch, wie es schien, in regungslosem Lauschen, auf das Instrument gelehnt, so oft aber Josephine emporsah, begegnete sie seinem Blick. Zum Schluß war er zerstreut; dann griff er selber zur Geige und trug etliche ungarische Lieder vor. Es war nicht leicht, ihn zu accompagniren: er spielte unberechenbar, ohne Takt, aber dennoch meisterlich. Oft schien Ange die Hände lauschend still zu halten, dann stürmte sie, von seinem Feuer hingerissen, in wilder Melodie dahin, und immer klappte es trefflich; sie verstanden 284 einander gerecht zu werden, ihr Spiel ergänzte sich gegenseitig.
D'Ouchys düstere Züge verklärten sich während seines Vortrags, seine hohe Gestalt wuchs noch empor, es lag eine heiße Glut auf der Stirn und vertiefte den Blick; die weißen Zähne gaben dem Antlitz einen fast dämonischen Ausdruck.
Wild, zügellos, immer wechselnd war sein Spiel, Lachen und Schluchzen und dazwischen ein greller Aufschrei und dann ein leises Flüstern, als ob der Wind durch Trauerweiden streift.
Als er die Geige aus der Hand legte, war er wieder der Alte, kühl, höflich, sehr bescheiden.
Die Hofmarschallin war entzückt und sagte ihm tausend anerkennende und aufrichtig gemeinte Worte, er schrieb jedoch jedes Verdienst der so unvergleichlichen Unterstützung der Komtesse zu.
Dann wandte er sich zu Josephine, welche mit großen leuchtenden Augen zu ihm aufsah; sie hatte noch niemals im Leben ein solches Spiel gehört. Sie wollte ihm auch gern Etwas sagen, aber sie wußte nicht recht, was; sie war so ungeschickt in Redensarten. Da reichte sie ihm denn in reizender Naivetät die Hand entgegen und sagte treuherzig: »Ich möchte Ihnen noch lange zuhören!«
Baron d'Ouchys Blick traf den ihren, er neigte sich stumm und drückte chevaleresk einen Kuß auf ihre Hand; wie heiß seine Lippen waren! Josephine erschrak davor.
Beim Thee saß sie zwischen Hattenheim und 285 dem Hofmarschall, mit welchem sie besonders gern plauderte. Mit d'Ouchy redete sie fast gar nicht, nur einmal kam es ihr unwillkürlich, einen Vergleich zwischen ihm und Reimar anzustellen. Die ganze Art und Weise des jungen Diplomaten war ihr fremd und machte sie beklommen, in Hattenheims blauen Augen aber sah sie, wie man durch ein offenes Fenster in die Heimat schaut; sie fühlte sich so sicher und geborgen an der Seite des blonden, ernsten Mannes.
Die Nacht war kalt und stürmisch. Der Wind pfiff um die Fenster und schüttelte die kahlen Baumwipfel, ein Hagel von Eiskörnern schlug prasselnd gegen die Scheiben.
Josephine schrak oft aus dem Schlaf empor. Es war ihr dann immer; als höre sie Baron d'Ouchys Geige durch den Sturm, wild und toll, und sie drückte das Antlitz in die Kissen und hielt sich die Ohren zu, aber es klang dennoch fort und wurde zu Anges Stimme, die sang: »Doch wenn er liebt, nimm Dich in Acht!« Erst leise, dann immer lauter, wie Donner klang's zuletzt und die Geige schrillte hell auf dazu! . . .
Aber nein . . . horch . . . es ist ja nur der Sturm . . . es ist ja dunkele, einsame Nacht: seid still, ihr bösen Stimmen. Da faltete sie die Hände und dachte an daheim; leise kam der Traum und küßte von Neuem ihre weiße Stirn. 286