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Casanovas letztes Abenteuer

Ich bin Memmo Croce und war der alte Diener meines Herrn, des weltbekannten Giovanni Jacopo Casanova de Seingalt. Eigentlich heiße ich mit Vornamen Domenico. Aber mein Herr rief mich stets mit der in Venedig beliebten Abkürzung »Memmo«. Ich habe dank meines Oheims, der ein Geistlicher war, schon als Kind schreiben gelernt und war darum meinem Herrn, der lieber diktierte als selber schrieb, bei der Abfassung seiner berühmten Denkwürdigkeiten eine stete große Hilfe. Gekommen sind wir bei dieser unserer Arbeit bis zum Jahre 1773, in welchem Casanova ungefähr sein fünfzigstes Lebensjahr vollendet hat. Und seine Abenteuer in Triest schließen die Kette der sonderbaren Fügungen ab, die sein unruhiger Geist und die stets wechselnde Laune des Schicksals ihm bereiteten.

Man merkt, ich habe mir einige seiner Wendungen und seine ganze Schreibweise ein wenig zu eigen gemacht. Ich werde versuchen, in ihr, so gut es mir gelingt, die Geschichte der traurigen letzten dreizehn Jahre zu erzählen, die mein Herr noch in dieser Welt der Ränke und Träume, der Machtgier und der Liebesleidenschaften verbracht hat. Nachdem Casanova das langweilige Triest, in dem man nur vom Meer, vom Handel und von Politik redet, verlassen hatte, war es ihm für eine kurze Zeit wieder vergönnt, sich in seiner Heimatstadt Venedig aufzuhalten. Sobald er die Aufhebung des Verbannungsediktes erfuhr, brach er sofort nach den Lagunen auf und erreichte die Stadt seiner Väter in einer schönen Nacht, die er, stets geneigt, die natürlichen Wunder dieser Welt noch zu erhöhen, sogleich durch eins oder mehrere verliebte Abenteuer, die er mit seinen Landsmänninnen anzettelte, noch von sich aus zu verschönern suchte.

Indessen, es steht mir nicht an, die Erfolge, die mein Herr und Meister noch auf diesem, seinem Leib- und Lieblingsgebiet errungen hat, zu schildern und mit dem Schwung seines Pinsels und der Fülle der Farben zu wetteifern, die er auf seinem Malbrett hat, wenn es gilt, die Freuden des Fleisches zu schildern. Ich bin nur dazu geschaffen, den Niedergang und Ausklang Casanovas zu beschreiben und maße mir nichts anderes an. In Venedig schien nun das Glück, dem die Alten, wie ich von meinem Herrn weiß, mit Recht den Namen eines launischen Weibes »Fortuna« verliehen, dem gereiften Casanova zunächst weit mehr zu lächeln als dem jungen Leichtfuß, der er ehedem gewesen war. Wurde er doch sogar binnen kurzem daselbst zum Geheimagenten des Inquisitionstribunals für den inneren Dienst ernannt. In dem nämlichen Venedig, das ihn einstmals wegen Betrugs und Sittenlosigkeit hatte verhaften und in jene schauerlichen, weltverhaßten Bleikammern sperren lassen, die von meinem Herrn in seinen Lebenserinnerungen, in denen er auch seine Flucht aus diesem erstickend heißen Verlies geschildert hat, mit allen ihren Schauerlichkeiten wahrheitsgetreu wiedergegeben worden sind.

Aber der unselige Hang Casanovas zur bösen Nachrede oder auch nur zum Geklatsch über diejenigen, die seine Spottlust reizten, verdarb ihm bald wieder dieses helle Mittagslicht des Schicksals, das auf ihn fiel, und zog neue Schatten herbei. Er machte sich in einem Roman, den er aus Müßiggang und Übermut niederschrieb, über den venezianischen Edelmann Grimaldi lustig. Als ich ihn einmal befragte, warum er dies getan habe, zumal, da ihm dieser mächtige adlige Herr, wie er selber zugeben mußte, persönlich sehr gewogen gewesen sei, da grinste er in seiner überlegenen Weise mich an, als ob er hätte sagen wollen: »Was verstehst du, Tölpel, davon?« Und dann meinte er wiederum mit verächtlichem Unterton: »Ich hatte meinen Spott doch allegorisch gefaßt.« Nun täuschte sich aber mein Herr häufig darüber, daß die Leute, die er also »allegorisch« oder wie er es sonst nennen mochte, anzuöden pflegte, ihn nicht verständen. Die meisten begriffen leider nur zu schnell, wen er mit seinen so benannten allegorischen Späßen verhöhnen wollte, und nahmen sie ihm, jetzt auch aus dem Grunde, weil er sie noch dazu für dumm verschlissen hatte, doppelt krumm. So auch der Herr Grimaldi, der alsbald einen Ausweisungsbefehl für Casanova erwirkte. Siebenundfünfzigjährig sah sich mein Herr nun wiederum aus seiner Heimat verbannt und an die Luft, die jenseits der Lagunen weht, gesetzt.

Was noch beginnen in diesem Alter, in dem die Spannkraft, die Reiselust wie die Schönheit des Menschen, selbst wenn alles drei so stark wie in meinem Herrn geflackert hat, zu verfliegen drohen? Da war es ein letztes großes Glück für Casanova, daß er in Paris, wohin er sich zunächst begeben, wo er aber kaum noch Beachtung gefunden hatte, im Palast des dortigen venezianischen Gesandten den Grafen Waldstein aus Böhmen kennenlernte. Paris hatte keine Zeit noch Lust mehr, Gelegenheiten für galante Abenteuer, wie sie ein Casanova bis zur Tollheit liebte, zu bieten. Man sprach dort jetzt nur noch vom dritten Stand und seinen Forderungen, statt von Frauenzimmern und von der Liebeskunst. Und an den Seinebrücken wurden politische Streitschriften und nicht mehr schlüpfrige Gedichte, gewagte Bekenntnisse feilgeboten.

Dort war also für Casanova kein gutes Wetter mehr noch die leichtlebige Gesellschaft von früher, die allabendlich unter sich eine Pharaobank aufmachte und sich hinterher maskiert und unmaskiert dem schönsten Lebensgenuß in der Liebe ergab. Diese Zeit war überhaupt vorüber. Nicht nur in Paris, sondern in der ganzen bekannten Welt. Und die letzten Köpfe, die nichts wie Leichtsinn, Schäkerei und Verliebtheit in den ihrigen hatten, wurden alsbald maschinenmäßig abgeschlagen. Wie ein alter gerupfter Habicht hüpfte mein Herr im Gefolge des Grafen Waldstein, der ihn auf sein Schloß Dux bei Teplitz in den böhmischen Hochwäldern zu Gast geladen hatte, aus dem bunten, ergötzlichen Vogelhaus, in dem er bisher sein Wesen getrieben hatte, in die Waldeinsamkeit. Die vielfarbigen seidenen Trachten seiner Jugend waren mehr und mehr der einfachen schwarzen Bürgerkleidung gewichen, die Herr Franklin aus Amerika in Mode gebracht hatte. Und die artige, verführerische, aristokratische Zeit machte der quäkerhaften, tugendsamen, bourgeoisen Platz.

Nun fingen für Casanova jene letzten dreizehn Jahre an, die ich zum größten Teil als sein ihm zugewiesener Bedienter miterlebt habe. Wenn der Graf persönlich anwesend war, mochte es noch hingehen mit dem Dasein auf seinem verwunschenen Schloß, das, wie mein Herr oft meinte, ebensogut hinter dem Mond hätte liegen können als im Herzen Europas. So wenig ging hier überhaupt vor sich. Aber der Graf brachte wenigstens etwas Lärm mit sich und heizte meinem allmählich immer mehr einschlafenden Casanova wieder zuweilen ein. Zunächst mußte mein Herr die kabbalistischen Fragen beantworten, die der Graf ihm stellte. Zu diesem Hauptbehuf hatte sich Graf Waldstein ja meinen Gebieter von Paris mitgenommen. Er bildete und baute dann aus Zahlen eine Pyramide und eine Reihe Kolumnen auf und errechnete mit Addition und Subtraktion die gewünschte Auskunft auf die Fragen, die an ihn gerichtet wurden. Ob mein Herr selber diesem kabbalistischen Zahlenorakel, das er mit einem höchst geheimnisvollen Brimborium betrieb, Glauben schenkte, das ist mir nie ganz klargeworden. Jedenfalls hat er sich für seine Person niemals kabbalistischen Bescheid gegeben, noch bei der Magie über die Zukunft erkundigt oder sich das Horoskop gestellt. Wie er ja auch, wenn er erkrankte, höchst selten einen Arzt herbeizog, sondern die Heilung ruhig der Natur überließ, wodurch er denn ein für seinen lockern und ausschweifenden Lebenswandel ungewöhnlich hohes Alter von dreiundsiebzig Jahren erreicht hat. Was um so verwunderlicher ist, da er doch, wie er selber in seinen Denkwürdigkeiten einräumt, jene böse Krankheit, die man »die Franzosen« nennt, am eigenen Leibe durchgemacht hat. »Das sicherste Mittel, alt zu werden, Memmo, ist dies, sich nur im äußersten Notfall einem Arzt anzuvertrauen«, hat er mir mehr als einmal eingeschärft.

Fernerhin zogen sich die beiden, Casanova und der Graf Waldstein, wenn er da war, häufig in die verschwiegenen Kellerräume des Schlosses zurück, um alldort alchimistische Studien und Zauberkünste zu betreiben. Freilich behaupten die böhmischen Lakaien des Grafen, die von seinen Reisen nach Paris leidlich das Französische beherrschten, daß die beiden sich dort unten weniger damit beschäftigt hätten, Gold zu machen, sondern sich einander saftige Geschichten zu erzählen, in welcher Kunst ein Casanova seit jeher ein unübertroffener Meister ist.

Von vielen weiteren Liebeserlebnissen meines Herrn ist freilich kaum etwas zu berichten. Denn die gelegentlichen Anbändeleien mit Kammerkätzchen und Dienstmädchen, die sich in unserm Schloß herumtummeln, verdienen nicht erwähnt noch gar ausgemalt zu werden. Dies Kleinwild, wie er sich ausdrückte, überließ er neidlos mir zum Abschießen. Meist gab es ja auch nur böhmische Kuchelbären unter der hiesigen weiblichen Dienerschaft, grobe und schmutzige Geschöpfe, die man vor der kleinsten Liebkosung erst waschen mußte. Derlei gründliche Säuberungen hatte mein Gebieter früher, wie ich aus seinen Aufzeichnungen wohl wußte, gelegentlich an einigen Mädchen ausgeführt. Aber zu solchen umständlichen Reinigungsverfahren als Vorverhandlungen vor dem gegenseitigen Friedensschluß der Liebe schien er jetzt zu alt und zu bequem geworden zu sein.

So blieb ihm denn nicht viel anders in diesem düstern Waldschloß Dux zu tun übrig als in der Bücherei herumzustöbern, deren böhmisches Durcheinander er in Ordnung bringen sollte. Aber dazu gehörte die Geduld und Peinlichkeit eines deutschen Schulmeisters. Und über beide Eigenschaften verfügte mein stets zappeliger und regelloser Herr am allerwenigsten. Infolgedessen benutzte er seine Muße jetzt – und eigentlich waren alle Stunden für ihn Mußestunden – um mit Hilfe meiner flinken Feder alle seine Erinnerungen aufzuzeichnen, die ihm sein Alter als einzige halbwelke Frucht, die es noch aufbringen konnte, zu bieten hatte. Mehr als einmal habe ich hierbei das ungewöhnlich starke und lebhafte Gedächtnis Casanovas zu bewundern gehabt, das sich längstvergangene Vorgänge und schon im Grabe modernde Menschen so genau zurückrufen konnte, als ob sie eben gestern erst verklungen oder vor einer Stunde verschwunden seien. Insbesondere seiner zahllosen Liebeleien und der Schäferstunden, die ihm die Schönen früher gewährt hatten, entsann er sich mit einer verblüffenden Bestimmtheit und Deutlichkeit. »Warum wunderst du dich darüber so sehr, Memmo?« rief er einmal aus, als ich wieder einmal die Frische bestaunte, mit der ihm die Einzelheiten solcher Abenteuer in der Erinnerung geblieben waren. »Ich gleiche einem greisen Geizhals, der seine Schätze zusammenkratzt, die er sich früher erworben hat. Er weiß, daß er nichts Neues mehr hinzugewinnen kann. Darum weidet er sich an dem, was er von gestern und vorgestern besitzt. »Überhaupt, mein lieber alter Memmo!« seufzte er und sah dabei aus wie eine verwelkte Liebhaberin, »man hätte mit fünfundfünfzig Jahren abtreten sollen von dieser Bühne der Leidenschaften, wie es meine Frau Mutter getan hat, die ihre Liebeslaufbahn mit der ihr höchstmöglichen Verbindung, einem Verhältnis mit August dem Starken, König von Polen, abschloß und sich dann in die Erde legte, die für sie sicher »masculinum« war. Die Ketzer oder Protestanten würden mit Recht auf ihren Grabstein noch die Worte des Herrn gesetzt haben: ›Ihr ist viel vergeben; denn sie hat viel geliebet.‹ Ein alter Casanova, das ist ein Widerspruch an sich, ein Oxymoron, wie die Alten sagten«, fügte er mit Stirnrunzeln hinzu. Ich weiß zwar nicht, was die Alten mit diesem dunkel und unheilvoll klingenden Wort »Oxymoron« gemeint haben. Aber sicherlich ist es ein höchst unangenehmer Begriff gewesen. Denn mein Herr schnitt eine Grimasse bei diesem Wort, als hätte er angebrannte Schokolade, noch dazu ohne Zucker, zu sich nehmen müssen, und strich sich dabei einige Male wehmütig über seine mager gewordenen und jetzt leicht frierenden Beine, als wären ihm ein paar Ratten darübergelaufen, welche Tiere ihm schon allein wegen ihres üblen Geruchs widerwärtiger waren als Katakomben. Und er hat recht. Von dem Casanova von ehedem ist nicht mehr viel stehengeblieben. Seine große, wohlgebildete Gestalt, die einst einen Friedrich den Großen vor ihm stehenbleiben und ihn anreden ließ: »Wissen Sie, daß Sie ein sehr schöner Mann sind!«, diese gute Erscheinung, die er einst machte, ist krumm und unansehnlich geworden. Wozu freilich eine gewisse Unsauberkeit in der Kleidung, der er sich in dieser Einsiedelei gern hingibt, das ihrige beitragen mag. »Für wen soll ich mich hier putzen, Memmo?« fragte er mich mißgelaunt wie meistens, als ich einmal über seine Brustkrause zu lächeln wagte, an der am Mittwoch noch Spuren von dem Schnepfendreck hingen, den er am Sonntag schnabuliert hatte. »Soll ich etwa für die Forstadjunkten des Grafen, die hier auf dem Schloß und in den Wäldern herumfaulenzen, großen Staat machen? Oder für die böhmischen Holzsammlerinnen?«

Seine Augen, die jetzt meist klein und erloschen aussahen, bekamen dabei wieder einen Schimmer ihres früheren Glanzes wie jedesmal, wenn er auf die Weiblichkeit, und sei es auch in ihren letzten dürftigsten Vertreterinnen, zu sprechen kommt. Auch seine Haut zeigt, wenngleich sie von dem Landleben gerötet ist, leicht etwas Faltiges und Zusammengerolltes wie oft getragene Handschuhe. Weshalb er sie zuweilen, wenn er sich über sein altes Fell im Spiegel geärgert hat, dick mit weißem Mehl bepudert, wie dies die Kurtisanen in Venedig, die in ihr Mittelalter kommen, zu Hause zu tun pflegen. Am schlimmsten freilich haben seine Zähne unter der Zeit gelitten und unter der feuchten nebeligen Luft, die im Winter um dieses Waldschloß streicht. Ich glaube, er hat von seinem prächtigen Raubtiergebiß, auf das er weiland so stolz war, nur noch drei Trümmerstücke übrigbehalten, wenngleich er selber sich einredet, noch dreizehn zu haben. Der Teufel weiß, was für Stummel er dabei noch mitzählt. Jedenfalls sind seine Backen über den Kiefern ganz hohl und eingefallen, was mir das Rasieren, das er sich als einzigen billigen Luxus noch täglich gestattet, stets äußerst schwierig macht. Ich muß allerdings zugeben, daß er es ganz geschickt versteht, diesen Mangel in seinem Munde zu kaschieren, indem er, sobald er lacht oder lebhaft spricht, was freilich nur noch selten vorkommt, seine Hand wie einen Schild oder, noch treffender ausgedrückt, wie einen Damenfächer vor seine Lippen hält, die im Leben mehr noch geküßt als gegessen und getrunken haben. Und zwar macht er dies Verbergen eines Fehlers mit einem Rest jener Anmut, durch die er so viele Frauen und auch eine Reihe nicht unbedeutender Männer in seinen jungen Jahren zu bezaubern wußte. Ganz freilich kann auch diese Geschicklichkeit im Verschleiern nicht die Häßlichkeit seines zahnlosen Mundes zudecken. Und als man jüngst berichtete, daß man bei neu ausgegrabenen ägyptischen Mumien auf künstliche Gebisse gestoßen sei, die von den Ärzten der Pharaonen den Fürsten und Reichen am Nil eingesetzt worden seien, meinte Casanova, als er davon erfuhr: »Mir scheint, wir noch lebenden Mumien würden beim Lächeln sehr gegen diese toten abfallen.«

Man kann sich denken, daß es infolge dieser seiner stark geminderten Schönheit nicht mehr viel Liebestaten von ihm zu vermelden gibt, die er auf Schloß Dux vollführt hätte. »Das Epos meines Lebens ist dort zu Ende, wo ich es beschloß«, antwortete er, als ich ihn kurz vor seinem Tod einmal bat, doch der Welt seine Erlebnisse kundzutun, die ihm nach seiner letzten Verbannung aus Venedig sicherlich doch noch in Paris begegnet wären. »Nein!« fügte er hinzu. »Ich bin eigentlich in dem Augenblick bereits gestorben, als ich merkte, daß mein Körper schwächer geworden war als mein Liebesverlangen. Das widerfuhr mir bei jenem Aufenthalt in Paris. Und seitdem habe ich mich, wie du siehst, hier in dieser Wildnis lebendig begraben.«

Ich wüßte darum, so genau ich auch über seine letzten dreizehn Jahre aus persönlicher nächster Nähe mit ihm unterrichtet bin, nur noch ein einziges Liebesabenteuer von ihm zu verkünden. Ein einziges und letztes. Und weil ich unter den daran Beteiligten allein gesehen und gefühlt habe, wie es meinem Herrn zugesetzt hat, ja wie er, wenn man es so auffassen mag, geradezu mit daran gestorben ist, so will ich es allen Freunden und auch Freundinnen vorerzählen, die Casanova noch nach seinem Tod in sämtlichen Ländern hat, in denen seine Erinnerungen gedruckt und, was bei ihm dasselbe besagt, verbreitet und verschlungen worden sind.

Unter den Gästen, die sich hin und wieder und besonders zur Jagd beim Grafen Waldstein einfanden, war ohne Zweifel der Fürst von Ligne der anziehendste und eindrucksvollste. Aus uraltem belgischen Adelsgeschlecht stammend, hatte er sich nicht nur als Kriegskünstler hervorgetan, sondern auch durch seine Schriften, die er später unter dem Titel »Mischungen« erscheinen ließ, einen geachteten Namen als geistreicher Beobachter seiner Zeit erworben. Er stand in Briefwechsel mit dem Prinzen Eugen, dessen Leben er auch beschrieben hat, sowie mit Männern wie Rousseau, Voltaire, Friedrich dem Großen, Goethe und andern großen Geistern. In der Gesellschaft dieses ebenso gebildeten wie liebenswürdigen Fürsten, der meinem Herrn eine von diesem dankbar erwiderte Vorliebe zubrachte, befand sich meistens, wenn er uns aufsuchte, ein sehr eigenartiges junges Mädchen. Eine Art Nichte von ihm, die schön zu nennen gewesen wäre, wenn nicht ein stets befangener Ausdruck wie ein Schatten über ihrem Gesicht gelegen hätte. Sie hörte auf den Namen »Melanie«. Das heißt, sie war auf ihn getauft worden. Hören konnte sie ihn nicht. Denn sie war, es mit einem traurigen Wort zu sagen, taubstumm. Die Melancholie, die sie umschwebte, zu verdrängen, wurde, wenn sie im Schlosse weilte, von dem Grafen Waldstein regelmäßig zu ihrer Gesellschaft ein kleines böhmisches Bäslein von ihr eingeladen, das sonst in Prag wohnte. Dies muntere Mädchen, Bozena gerufen, das nicht nur einen Schalk, sondern mindestens dreie im Nacken hatte, vermochte die wehmütige Stumme durch ihr stets frisches und launiges Wesen ein wenig aufzuheitern.

Sie machte infolge dieser ihrer kindlichen natürlichen Lebhaftigkeit und Übermütigkeit auf alle, die sie auf dem Schlosse kennenlernten und mit ihr zu tun hatten, den besten Eindruck. Nicht zuletzt auch auf meinen Herrn, den die ausgelassenen, die fröhlichen und leichtlebigen Mitglieder des weiblichen Geschlechtes immer ganz besonders anzogen. Die schlaue Bozena mußte dies wohl auch bemerkt haben. Und bei einem ihrer Besuche auf dem Schloß Dux beschloß sie, dem alten, in sie verschossenen Seladon ein Schnippchen zu schlagen. Sie verfertigte einen zärtlichen Brief an Casanova, in dem sie ihn zu einem Stelldichein in einem Gartensaal einlud, der als letzter unbewohnter Raum in dem Schloßflügel lag, den die beiden Mädchen als Gäste des Grafen Waldstein bewohnten. Mein Herr fiel nicht sofort auf diesen Köder herein. Vielmehr hatte ich ihn während des ganzen Tages, an dessen Morgen er den süßen Zettel empfing, in stillen Grübeleien gesehen, die ich mir freilich erst später in ihren Gründen ganz zu erklären wußte. Auch besichtigte er nach seiner Gewohnheit erst genau das Gelände, auf das man ihn zum holden Liebeszweikampf aufgefordert hatte.

Der Gartensaal lag im ersten Stock des Schlosses. Man gelangte von unten durch eine schmale Wendeltreppe hinauf, die, wie es hieß, aus einem einzigen Baum geschnitzt worden war. Diese gewundene Treppe führte von einem Verschlag aus, den man zum Verwahren von Gartengestühl und -gerät benutzte, zur Saaltüre, die in der Regel verschlossen war. Dummerweise für meinen Herrn lag dicht neben dem Verschlag noch ein Zimmer zu ebener Erde, in das der Graf Waldstein vor kurzem ein großes Möbelstück hatte aufstellen lassen, das ihm von Paris zugeschickt worden war. Beim Auspacken enthüllte sich dieses riesige Dings als eine mit grünem Tuch überzogene Tafel, auf der man le noble jeu de billard, das mir von Frankreich aus bekannt war, spielen konnte.

Das Schreiben, das die verschmitzte Komtesse Bozena heimlich meinem Herrn in die Hand gespielt hatte, gab ihm, wie ich hinterher, als es von mir aufgefunden wurde, ersah, folgenden Feldzugsplan: Er möge sich bei Eintreten der Dunkelheit in den Verschlag begeben und dort so lange warten, bis ihm durch ein leises Pochen oben an der Türe das Zeichen zum Beginn des Schäferstündchens gegeben werde. Nur möge er sich um des Himmels und seines Glücks willen ganz still in seinem Verschlag verhalten. Denn es könnte geschehen, daß dem Grafen Waldstein und seinem Besuch, ihrem Oheim, dem Fürsten Ligne, noch spät abends die Lust zu einer kleinen Partie Billard ankäme. Wenn die beiden hierbei seine Nähe in dem Verschlag wahrnehmen würden, so sei es um Bozenas jungfräuliche Ehre und womöglich auch um sein ferneres Verbleiben auf dem Schlosse geschehen.

Es war noch ein wenig hell, vielmehr katzengrau, als mein Herr sich listig zu diesem seinem letzten Liebesstündchen schlich. Der alte Casanova hatte sich wieder so prächtig herausstaffiert wie in seinen Glanztagen, wenn er zu Hoffesten ging: Ein paar kirschrote Seidenhosen waren in gutem Einklang zu kanariengelben Kniestrümpfen gebracht, mit denen wiederum ein moosgrüner Rock aufs angenehmste kontrastierte. Mir und der heutigen farbloseren Zeit schien er etwas zu bunt angezogen. Indessen in dem Mondlicht einer schönen Mainacht, wie sie alsbald heraufzog, bekam sein Aussehen etwas Abenteuerliches und Traumhaftes, als ob eine verschollene Vergangenheit in ihm wieder aufgestiegen sei und schlafwandelte. Den fehlenden Haarwuchs wußte er mit einer weißen Perücke geschickt zu ersetzen. Diese, sowie der Zierdegen, den er an seiner Linken trug, gaben ihm etwas Ritterliches, Großherrenhaftes, das unsere heutige ungeschmückte und mehr natürliche Tracht nicht mehr aufzubringen vermag. Lange zögerte er, ob er eine Maske zu seinem Stelldichein anziehen solle. Jedenfalls sah ich ihn eine ganze Weile vor seinem Spiegel stehen und immerzu wie ein Schauspieler, der sich über seine Maske noch unschlüssig ist, allerhand bunte Larven versuchen, die er noch von seinen venezianischen Tagen mit sich schleppt. Schließlich entschied er sich für eine heckenrosenrote Halbmaske, die er sich vor sein Gesicht band.

Also wie ein Modebild aus früheren Zeiten angetan, sah ich ihn aufgeregt wie vor einer Erstaufführung durch den Park zu dem ihm angegebenen Schauplatz hüpfen, wo er wie ehedem den leidenschaftlichen Amoroso darzustellen gedachte. In dem Verschlag, den er schnell erreichte und wo er sich bis zum Augenblick der Erlösung auf eine Stufe der Wendeltreppe niedersetzte, fand er nicht etwa eine Schüssel mit Wildbret und kaltem Geflügel, noch eine Flasche süßen Malvasier oder Muskateller vor, Leckereien, wie sie vordem wohl von seinen Huldinnen in den Schlupfwinkeln, in denen er auf sie warten mußte, zu seiner Stärkung für die späteren Liebestaten aufgestellt worden waren. Nein! Die spielerische Bozena, die das Ganze nur als Schabernack auffaßte, hatte als ersten Streich, den sie dem alten Liebhaber antat, die jetzt schon ganz im Finstern liegende Treppe mit Haselwurzsamen bestreut, einem zum Niesen reizenden Pulver, das man in Böhmen und Sachsen als Zusatz zum Schnupftabak verwendet.

Zum Glück war die Nase meines Herrn, der in den letzten Jahren seines Aufenthaltes auf Erden mehr geschnupft hat als der große Friedrich in seinem ganzen Leben, derart ausgepicht, daß ihn so leicht nichts zum Niesen brachte. Immerhin stach und kitzelte ihn dies Pulver doch ein paarmal so in die Augen, daß er »Hazi« machen mußte. Was ihm um so unangenehmer war, da nebenan in dem

Billardzimmer der Graf Waldstein und sein Gast, der Fürst Ligne, beim Schein einiger Gartenleuchter noch ein Billardspiel begonnen hatten, wie dies die listige Bozena vorausgesagt. Das Anschlagen der elfenbeinernen Bälle aneinander, sowie eine laute, lustige Unterhaltung, die die beiden Edelleute führten, ließen sie jedoch den leisen Lärm, den Casanova nebenan mit seinem Niesen hervorrief, nicht vernehmen. Es war darum wohl kaum nötig, daß mein Herr, wie er mir später erzählte, um seine Geräusche, die er hervorbrachte, zu vertuschen, hin und wieder mit seinem zahnlosen Mund ein Piepsen von sich gab, wie es Ratten ausstoßen. Wiewohl ihm diese übelriechenden Tiere stets besonders unleidlich waren, hatte er doch in den Verliesen und Verstecken, in denen er zuweilen sein abenteuerliches Leben verbringen mußte, diesen lästigen Nagern, die dort mit Vorliebe herumrascheln, ihre Sprache, um es so zu nennen, abgelauscht. Er machte ihnen auch jetzt ihre Töne mittels seiner hohlen Wangen derart täuschend nach, daß die beiden Billardspieler nach einigen unlustigen Stößen die Partie abbrachen. »Überlassen wir das unheimliche Feld den Ratten, die hier pfeifen, und machen wir noch eine Mondscheinpromenade durch den Park!« habe Graf Waldstein geäußert, wie mein Herr zu seinem Spaß in seinem Versteck hörte. Und der Kriegskenner Fürst Ligne habe noch bemerkt: »Eine Schlacht abbrechen ist besser als sie zu verlieren«, womit er auf seinen schwächeren Stand in der Billardkunst gegen den Grafen anspielen wollte. Die beiden Herren hatten dann ihre langen Stäbe in die Ecke gestellt und waren in das von Luna vergoldete Grün des Gartens hinausgegangen.

Wenn Casanova nun geglaubt hatte, alsbald das sanfte Pochen an der Türe zu vernehmen, das ihm den Beginn seiner Freuden verkündete, so irrte er sich sehr. Denn die nichtsnutzige Bozena ließ ihn noch eine lange Weile schmachten, in der er sich dadurch zu trösten versuchte, daß er alle früheren von ihm derart auf der Treppe oder in einem Versteck abgesessenen Fristen vor süßen Liebesstunden in seiner Erinnerung vorüberziehen ließ. Der Mond, der ihn wie einen bunten verflogenen Falter in seiner Ecke beschien, leistete ihm, seit jeher ans Kuppeln gewöhnt, bei dieser Qual des Harrens Gesellschaft. Aber da er stumm war, vermocht' er es nicht zu verhindern, daß mein Herr Casanova ein paarmal über seiner Wartefrist einnickte, was ihm noch nie zuvor bei solchen Gelegenheiten widerfahren war.

Schließlich erklang jenes heiß ersehnte Geräusch. Aber so laut, daß mein Gebieter, aus einem Ansatz zu einem neuen Schläfchen erwachend, sich nicht klar darüber war, ob er das Pochen nicht schon ein oder das andere Mal verschlummert hatte, weil es jetzt also ungestüm erscholl. Es tönte in seinen Ohren wie ein Vorwurf nach. »Wie! Alter Casanova! Muß man dich jetzt wiederholt zu einem Liebesstreich wecken! Dich, der du in früheren Jahren bei jedem leisen Anzeichen einer Schäkerei deine Ohren und alles an dir spitztest, dich in ein Abenteuer zu stürzen!«

Er glaubte dann noch einige Schritte über sich zu vernehmen, von denen er in seiner Müdigkeit, die er schwer von sich schüttelte, nicht recht wußte, ob sie sich näherten oder davonliefen. Er strich sich ein paarmal über seine hageren Knie, die in dem letzten Winter häufig von einem schmerzhaften Reißen heimgesucht wurden. Doch dann reckte er sich zu seiner alten Höhe auf. Band die Maske, die er in seinem Versteck abgezogen hatte, wieder um. Stützte die Linke lässig, so daß die etwas vergilbte Spitzenkrause an seinem Ärmel weit hervorguckte, auf den Korb seines Zierdegens. Und stelzte dann feierlich zu dem artigen Minnespiel, das, wie er hoffte, seiner wartete.

Indes, es kam ihm droben, als er nun die Türe zu dem kahlen Gartensaal aufstieß, niemand zärtlich entgegen. Noch legten sich zwei schwanenweiße Arme tändelnd um seinen Nacken. Es herrschte hier oben eine völlige Finsternis und Leere, wie es Casanova zunächst erschien. Die verschmitzte Bozena hatte nämlich alle Laden vor den Fenstern des Saales zugezogen und verriegelt, so daß nicht das kleinste Mondstrählchen hereingucken konnte. Ein einziger fahler Schimmer fiel von der beleuchteten Treppe durch die offene Tür in den großen kahlen Raum.

In diesem dünnen Lichtstreifen vermeinte nun mein Herr, nachdem er seine mattgewordenen alten Augen allmählich an die Finsternis ringsumher gewöhnt hatte, eine hellere Gestalt stehen zu sehen. Neugierig und kühn, wie er beides zusammen in seinen besten Tagen war, schritt er auf das vermeintliche Liebchen zu. Freilich ein wenig steifbeinig, wie er, der weiland gewandteste Tänzer, nun von dem langen Hocken auf der Treppe geworden war. Nun hatte die pfiffige Bozena statt ihrer eine hohe Puppe herausgeputzt, die auf dem Schloß zu Kleiderproben verwendet wurde. Man muß hierzu bemerken, daß die Böhmen und Böhminnen wahre Meister in der Kunst des Puppenmachens sind, was man zum Nepomukfest wie zu Weihnachten hier auf allen Straßen beobachten kann. Auch Bozena hatte ihre Puppe so geschickt herausstaffiert, daß man sie in der Tat von weitem für ein lebendiges Wesen halten konnte, zumal wenn man sie, wie mein Herr, nur aus den schmalen Schlitzaugen einer Maske wahrnahm. Auch hatte Bozena ihr Ersatzgeschöpf in böhmische Volkstracht gekleidet, die sie selbst auch zuweilen anlegte, weil sie ihr besonders gut stand, Casanova persönlich hatte ihr, wie ich mich entsann, mit seinen dürren Händen laut wie einer Schauspielerin Beifall zugeklatscht, als sie an einem Festabend auf dem Schloß in dieser bunten ländlichen Gewandung erschienen war.

Verblendet von der süßen Gunst, die ihm, wie er glaubte, bald bevorstehe, näherte sich mein Herr der ausgestopften Liebhaberin, die wie ein Köder für ihn ausgeschmückt war. In der Aufregung, die ihn über diesem ihm längst entwöhnten Abenteuer ergriff, verschob sich, als er sich den Schweiß von der Stirn wischen wollte, seine Maske, so daß er sich die letzten Schritte zu seinem ihm vorgetäuschten Liebchen fast tappen mußte. Die schelmische Bozena, die vom Gang aus durch die Türritze das Spiel belauschte, das sie abgekartet hatte, wollte vor Lachen fast in ihrem Winkel ersticken über die possierlichen Bewegungen, die Casanova, halb blind, nun vollführte. Wie ein aus der Mode gekommener Tanzmeister machte er einige Knickse und Kratzfüße vor der schweigsamen künstlichen Geliebten, ehe er sie berührte.

Ja, Bozena hätte jetzt sicherlich schon laut loskichern müssen, wenn sie nicht plötzlich noch eine andere Lauscherin bemerkt hätte, deren Anblick ihre Heiterkeit allerdings jählings in eine entsetzte Bestürzung verwandelte. Diese Zweite, die mit ihr die Katzenbuckel und Sprünge des verliebten alten Katers beobachtete, war Melanie, die Nichte des Fürsten Ligne, die hinter einer spanischen Wand in einer Ecke des Saals das eigenartige Schauspiel verfolgte, das ihr hier geboten wurde. Ihre Augen hatten sich wie die ihrer Freundin bereits an das Dunkel des Raums gewöhnt und vermochten darum alles, was hier geschah, schnell aufzunehmen. Die arme Taubstumme hatte während des ganzen Tags den Vorbereitungen zugeschaut, die ihr Bäschen Bozena für ihren Gimpelfang betrieb. Sie hatte sich ein um das andere Mal über den farbigen, klirrenden Flitter wie über die Bänder gewundert, die von ihrer lachenden Verwandten an die Puppe gesteckt wurden, als hätte man diesem toten Ding durchaus Leben und Blut einhauchen wollen. Indessen, es war ihr, trotzdem ihr Bozena dies oder jenes zu erklären suchte, nicht völlig klargeworden, was ihre Freundin mit dieser Mummerei bezweckte. In ihrer Ungewißheit und Neugier hatte sich Melanie nun heimlich in den Saal geschlichen, in den die bunt herausstaffierte Puppe gebracht worden war, und harrte nun mit weit geöffneten Augen, wie sich die ihr fremden Vorgänge weiter entwickeln würden.

Der »Herr Baron«, wie sich mein Herr im ganzen Schlosse nennen ließ, begann sich nunmehr, wie es seine Art war, an die weibliche Gestalt heranzureiben, wie er es selber wohl bezeichnete. Das heißt, er schmiegte und preßte sich mit seinen recht dürr gewordenen Beinen an die ihm noch immer stumme Puppe, die seine knochigen Finger nun auch zu betasten wagten. Hierbei schnitt er ein paar zärtliche Grimassen, die höchst verliebt aussehen sollten, aber mehr läppisch und traurig wirkten wie die Kraftanstrengungen eines Greisen. Zwischen seinen abgestandenen und längst außer Brauch gekommenen Süßholzraspeleien ließ er dazu ein Fauchen vernehmen, das früher vielleicht aufreizend oder erschreckend geklungen haben mochte, nun jedoch etwas Häßliches und gekünstelt Brünstiges an sich hatte.

Voll Schaudern war die schöne taubstumme Melanie seinem Tun und Treiben gefolgt, das wie ein armseliger Abklatsch der besten Vorlagen erschien, die er sich vordem selber mit seinen Liebesabenteuern vorgemacht hatte. Dunkel regte sich in dem armen gezeichneten Mädchen eine Ahnung von dem, was dieser Mann dort mit seinen Fratzen und anzüglichen Seufzern und Gebärden anstellte. Zugleich aber wurde dies von der Schöpfung vernachlässigte unschuldige Wesen von einem solchen Grauen vor der körperlichen Liebe gepackt, wie sie sich da in ihrer nächsten Nähe schnalzend und balzend abspielte, daß sie, der die Stimme fehlte, ein ängstliches Gurgeln von sich stieß, wie es Taubstumme in den Augenblicken der Erregung hervorbringen können. Damit rannte sie, an allen Gliedern vor Verwirrung zitternd, zu der Türe, hinter der die mit ihr erschrockene Bozena stand, die jetzt die außer sich geratene Freundin bestürzt in ihre Arme schloß.

Casanova hörte die nach Luft und Ausdruck ringenden Laute, die das verstörte Geschöpf von sich gab. Nahm jedoch in der Finsternis zunächst an, daß sie von dem Wesen kamen, um dessen holde Gunst er sich bemühte. Bis er Melanie, mit allen Ausdrücken der Bestürzung aufächzend, aus dem Saal hinausjagen sah. Fuchsschlau witterte er alsbald, daß man ihn foppen könnte, und zog blitzschnell seinen Zierdegen, den er nun gegen seine vermeintliche Huldin zückte. »Madame! Wenn Sie glauben, daß ein Casanova sich ungestraft zum besten haben ließe, so irren Sie! Wenn er auch noch niemals eine Frau verletzt hat, es sei denn im süßen, von ihr heimlich erwünschten Liebesstreite, so –«

In diesem gleichen Augenblick machte ein stöhnendes Geräusch seinem hastig hervorgestoßenen Gerede ein Ende. Ein Geräusch, das aus den Wänden hervorzubrechen schien und das gurgelnde Geschrei der soeben entflohenen Melanie verdreifacht wiedergab. Der Saal zeichnete sich nämlich durch ein mehrmaliges Echo aus und wurde deswegen als Merkwürdigkeit von Gästen besucht und von den Schloßbewohnern selber möglichst gemieden, weil sich allerlei unheimliches Gerede an ihn knüpfte. Auch jetzt löste dies wiederholte Echo, das sich selber den unglückseligen Schreckenslaut der armen Melanie wiedergab, ein Gruseln bei denen, die es vernahmen, aus. Bei der leichtfertigen Bozena, die ihren Streich längst bitter bereute, ebenso wie bei Casanova, der da glaubte, ringsum Geister zu vernehmen, die in diesem gespenstischen Saal aus allen Ecken auf ihn eindrängen. Späterhin hat er mir gestanden, daß ihm zumute geworden sei, als habe er zum ersten Male in seinem Dasein den Ton der Psyche, der »Seele« vernommen, jener ihm peinlichen, leidigen Gottheit, die von den alten Griechen als zarteste Jungfrau mit Schmetterlingsflügeln oder gar als ein Falter selber gebildet worden sei. Mit diesem himmlischen Wesen, dem die neue empfindsame Zeit wieder allerorts ihre duftenden Altäre aufstellt, hatte sich mein Herr zeitlebens nie gern abgegeben. Ja, er war ihm sogar geflissentlich stets aus dem Wege gegangen.

Den ihm mißlichen Spuk zu bannen, fuchtelte er nun eine Weile mit seinem Degen um sich herum, nach der Art der früheren großen Herren, die gegen das ihnen Unbequeme wie gegen den Teufel selber mit der offenen Klinge losgingen. Hierbei stieß er versehentlich so heftig an die weibliche Puppe, daß sie hinfiel und ihm in der Plumpheit, mit der dies geschah, den ganzen Schabernack enthüllte, den man sich mit ihm erlaubt hatte. Ohne sich noch eine weitere Blöße zu geben, jagte Casanova alsbald die krumme Treppe herunter, auf der er soeben den Verlauf dieser traurigen Begebenheit, die ihm hier widerfahren war, herangewartet hatte. Wie ein geschlagener General jagte er alsdann durch den Park seiner einsamen Kammer zu, in der er seine Nächte auf dem Schloß allein mit sich und seinen Erinnerungen zu verbringen pflegt. Ohne jedes weibliche Wesen und jene Art Unterhaltung, der er ehedem bis zur Lendenlahmheit gefrönt hatte. Seine bunte Kleidung, mit der er sich aufgemustert hatte, kam ihm nach diesem verunglückten Unternehmen ganz lächerlich vor. Sie umfing ihn, der sich jetzt am liebsten für eine Zeit in ein Kloster verkrochen hätte, schlotternd wie ein Gewand, das einem zu weit und zu groß geworden ist. Und er hatte ein ihn beschämendes Gefühl, wie es einer haben mag, der in Maskentracht in eine Kirche geraten ist.

In diesem Zustand vollkommener Aufgelöstheit und Niedergeschlagenheit sah ihn der Fürst von Ligne, der mit seinem Wirt, dem Grafen Waldstein, aus der Tiefe des Parkes heimwandelte, gefolgt von einer Dienerschaft, die Fackeln hinter ihnen hertrug. Die beiden plauderten im Mondschein von den »Leiden des jungen Werther«, diesem Modebuch jener Zeit, das den Augen von Frauen und Männern Bäche und Ströme von Tränen entlockt hat. »Ich habe eine französische Übersetzung des Werther unserm venezianischen Signore Amoroso zugeschmuggelt«, erzählte Graf Waldstein. »Ja! Er hatte es eine Weile auf seinem Nachttisch liegen. Aber er muß keinen Gefallen an dem Büchlein gefunden haben. Denn ich sah nach ein paar Wochen, daß sein Lesezeichen sich noch immer an der nämlichen Stelle vorne im Anfang des Romans befand. ›Diese Deutschen sind lächerlich‹, erklärte er mir zu seiner Entschuldigung. ›Sie tun immer so, als ob sie das Gefühl erfunden hätten.‹«

In diesem Augenblick machte der Fürst von Ligne den Erzähler auf den an dem Schloß vorüberhastenden Casanova aufmerksam. »Stürzt er dort nicht an uns vorbei, Euer schnurriger Bücherverwahrer? In einer ganz sonderbar farbigen Aufmachung?« Der Graf Waldstein, der an Kurzsichtigkeit litt, zog sein Augenstielglas hervor. Doch er konnte nur noch einen Schatten meines Herrn wahrnehmen, der nun in dem Schloßturm verschwand, in dem sein Schlafgemach lag. »Du mußt dich geirrt haben, mein lieber Karl Joseph. Casanova hat sich längst zur Ruhe begeben.« »Mag sein!« bemerkte der Fürst, »daß es eine Sinnestäuschung von mir gewesen ist. Oder eine Erscheinung? In deinem Gespensterschloß soll es ja, wie man sagt, immerzu spuken. Vielleicht war es auch nur der bunte Geist unseres Jahrhunderts, das bald zu Ende geht und das schon schwarz wie ein Blut- und Trauergerüst ausgeschlagen ist, der dort noch herumstrich.«

Dies ist die wahrheitsgemäße Geschichte des letzten Liebesabenteuers meines Herrn, wie ich sie teils aus seinem eigenen Munde vernommen, teils nach den Berichten der gräflichen Leibdiener wie auch der Kammerzofen der mutwilligen Bozena zusammengestellt habe. Der Spott, den sie mit meinem Herrn getrieben hatte, drang auch zu den Ohren ihres Verwandten, des Grafen Waldstein, der sie daraufhin streng ins Gebet nahm und ihr jede weitere Eulenspiegelei gegen den alten Casanova aufs strengste untersagte. Sogar die große Puppe, deren sich das spottlustige Mädchen bei ihrem Streich bedient hatte, ließ der Graf der häuslichen Benutzung entziehen und in eine Rumpelkammer schaffen, wo sie noch jahrelang in einem Winkel verstaubte und verkam. Sie schien ihm irgendwie durch die Berührungen, die ihr der verliebte Lebegreis hatte angedeihen lassen, behext zu sein.

Mitten im Sommer des nächsten Jahres starb mein Herr. Ich fand ihn am Morgen des 4. Juni 1798 tot im Bette liegen, als ich gekommen war, ihm seine Tasse Schokolade zu bringen, mit der er den Tag begann und endete. Dies Lieblingsgetränk seines Venedigs war auch die Wonne und der Trost seines Alters geblieben, das den Wein mehr und mehr meiden mußte. Wir hatten am Abend vorher, als ich ihm beim Auskleiden half, noch von den großen kriegerischen Erfolgen des jungen Napoleon Bonaparte gesprochen, der sich soeben anschickte, seinen Feldzug nach Ägypten auszuführen. »Gib acht auf den, Memmo!« bemerkte mein Herr. »Dieser neue Italiener wird sich auf seinem Gebiet nicht minder hervortun wie ich auf dem meinigen. Er ist gewissermaßen meine Fortsetzung. Nur auf einer andern Linie. Und Europa und die Welt werden ihn bald ebenso anstaunen, wie die Zeit vor dieser schrecklichen Revolution mich bewundert hat.«

Ich wollte ihm noch einen Spiegel reichen, bevor er sich zu seiner letzten Ruhe begab. Doch Casanova wehrte ab. Er betrachtete sich jetzt lieber in seinen Denkwürdigkeiten als in seinem nunmehrigen Dasein. »Meine jetzige Maske ist mir etwas zu fratzenhaft geworden«, erklärte er häufig. Und am liebsten hätte er wohl ständig jene zarte rote Larve umgebunden, mit der er zu seinem letzten mißlungenen Stelldichein wandelte, ähnlich wie eine verblühte Dirne, die immerzu dick Rot auflegt, um das unaufhaltsam vordrängende Alter zu überschminken. Aber diesem übermächtigen Feind ist auf die Dauer niemand gewachsen.

Ich hatte meinem Herrn vor seiner letzten Nacht noch eine Kerze angezündet, die ich an sein Bett auf das Tischchen stellte, in dessen Schieblade er jene Maske nebst ein paar andern Erinnerungsstücken aus seinem Liebesfrühling und -sommer verwahrte. Nebst einer von mir angefertigten Abschrift seiner Lebenserinnerungen, in der er gerne vor dem Schlummer und auch in schlaflosen Nächten zu blättern und zu lesen pflegte. Wir waren letzthin von dem Grafen Waldstein mehrfach zur Sparsamkeit angehalten worden, weil man nicht wußte, ob jene fürchterliche Empörung, die das Volk in Frankreich gegen die Aristokraten angezettelt und ausgetobt hatte, nicht auch nach Deutschland und Böhmen überspringen würde. Darum hielt der Graf es für geraten, einmal das Seinige möglichst beisammenzuhalten, zum andern seine Leute und das Gesinde nicht durch größere Verschwendung aufzureizen. »Einfachheit und Enthaltsamkeit!« war also als Befehl ausgegeben, zwei Worte, die meinem Herrn stets in den Tod verhaßt waren.

Infolge dieser gräflichen Aufforderung zur Kasteiung hatte ich zunächst nur eine Talgkerze an das Lager meines Herrn gerückt. Aber Casanova, dessen Riechvermögen wie das eines guten Jagdhundes bis zuletzt vorzüglich geblieben war, bemerkte es schnuppernd alsbald und zankte: »Weg mit dem Talggestank dieser neuen Fabrikzeit, Memmo! Ein Venezianer hat nur Wachskerzen um sich bis an sein Ende.« Ich tat darauf nach seinem Geheiß und zündete ein Wachslicht an dem Talgflämmchen an, das ich hierauf auspustete. Der üble Geruch nach Schweinefett, der von dem qualmenden Docht aufstieg, veranlaßte meinen Herrn zu seiner letzten Bemerkung, die er mit zusammengezogener Nase machte: »Fi! Alter! Das riecht ja, wie eine arme Seele erlöscht!« Wobei man erneut den Widerwillen wahrnehmen konnte, den er allem Seelischen nachtrug.

Der triefäugige Schloßkaplan, dieser böhmische Pfaffe, schalt mich am andern Tag weidlich aus, warum ich ihn nicht noch zu meinem Herrn gerufen hätte, damit er ihm die Beichte abnehmen und die letzte Ölung hätte geben können. Indessen, zunächst einmal sah man Casanova wirklich nicht an seiner langen spitzen Nase an, daß sie am nächsten Morgen schon nichts mehr riechen konnte. Und dann, so frage ich jeden: Was hätte mein Herr noch beichten und bekennen können? Hat er nicht alle seine Sünden lächelnd in seinen Aufzeichnungen eingestanden? Denn seine letzte Tollheit, die ich in seiner Weise zu berichten versucht habe, war ja nur mehr der Versuch einer Ausschweifung, die im Entwurf steckengeblieben war. Schließlich gehört zu einer Absolution auch dies, daß der Beichtende vorher Reue und Besserung verspricht. Dazu aber hätte man meinen Herrn wohl schwerlich bewegen können. Oder wenn es dem Pfaffen in der Schwäche des letzten Stündchens meines Herrn doch geglückt wäre, was hätten die Schwüre der Bußfertigkeit eines Casanova vor dem höchsten Richter gegolten? »Gute Vorsätze sind wie die Versprechungen, die man einem Schneider macht«, pflegte er zu sagen. »Man hat im Augenblick, da man sie ablegt, vielleicht die festeste Absicht, sie zu halten. Doch gleich hinterher denkt man bei sich: Wozu alles immer gleich erfüllen? Das Aas von Schneider kann warten.«

So ist es gekommen, daß mein Herr unheilig, wie er gelebt, auch drüben angelangt ist. Und mir scheint dies folgerechter gewesen zu sein, als wenn man ihn für den Himmel präpariert hätte, in den er meiner bescheidenen Meinung nach nicht hineinpassen würde. Oder man müßte sich jedenfalls eine ganz andere Vorstellung von diesem Himmel machen, als es unsere heilige Kirche tut.

Die Wachskerze, die ich an sein Lager gestellt hatte, ohne zu ahnen, daß es seine Totenkerze sein würde, war am andern Morgen, als ich zu meinem Herrn kam, bis auf ein winziges Stümpfchen abgebrannt. Sie hatte dem sterbenden Casanova so viel Liebe gespendet, wie er selber in seinen besten Jahren von sich zu geben pflegte, und war bis zum letzten Tropfen abgeschmolzen. Immerhin muß er, als es zur Neige mit ihm ging, noch etwas unruhig geworden sein, mein armer Herr. Denn er hatte die Bettlaken von sich gestrampelt, also daß seine untere Hälfte völlig nackt dalag. Das lockte wiederum die Neugier der Kammermädchen und böhmischen Weibsbilder im Schloß, die auf die Kunde von dem Tod meines Herrn und diesem Anblick schleunigst eine nach der andern heranschlichen, sich diesen wohlentwickelten Mann zu betrachten. Also daß der tote Casanova fast noch so eifrige Bewunderinnen fand, wie der lebende sie in seinen heitersten, artigsten Zeiten gehabt hatte. Allmählich aber begann mich, seinen bis zum Tod getreuen Diener Memmo, dies glotzende Frauenvolk zu ärgern. Ich jagte sie fort und deckte Casanova zu, wobei ich dachte: Einmal muß der Vorhang fallen.


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