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Warum Gottfried Keller nicht heiratete

Bei manchen Männern ist es unerklärlich und bleibt es auch nach ihrem Tode noch rätselhaft, warum sie zeitlebens nicht die Frau gefunden haben, nach der sie sich als nach ihrer natürlichen Ergänzung sehnten. Bei Brahms zum Beispiel will es nicht nur junge Mädchen wundern, daß er, der die Liebe sang wie Anakreon, als ein bärbeißiger Junggeselle von der Erde schwinden mußte. Aber auch bei Gottfried Keller, dem ihm in der Schwermut wie in der etwas täppischen Neckerei so nah verwandten und befreundeten Dichter, erstaunt uns sein lediger Zustand, den er schließlich in Permanenz erklärt hat. Gehörte er doch nicht zu den weiblich empfindenden Poeten wie Grillparzer, die in sich schon eine Frau mitschleppten, die sie mit Rücksichtnehmen und steter leichter Verletzlichkeit immerzu in Atem hielt. Keller war eine durchaus männliche Natur und hätte zum Ausgleich recht wohl ein weibliches Wesen an seiner Seite brauchen können, statt sich nur mit dem Sauser oder den Schweizer Landweinen zur Niederschlagung seiner Schwarzgalligkeit abgeben zu müssen. Aber außer ein paar verunglückten Liebeserklärungen, die sämtlich auf die verkehrte Seite fielen, ist es ihm nur einmal gelungen, wenigstens halb ans Ziel zu kommen, dadurch, daß er sich – verlobte. Doch hatte er sich hierzu ein Mädchen ausgesucht, das mit ihrem Gemüt noch viel finsterer stand als er in jungen Jahren mit dem seinigen. Und weil sie das langsame, selige Sterben, das er zeitlebens trieb, indem er sich abends in den Wein stürzte, nicht verstand, so war sie schneller mit einem Male aus der Welt gegangen, indem sie ins Wasser sprang und nachher ihm nur wie ein dunkler Grabstein noch in der Erinnerung stand. Danach ließ der Dichter es nicht einmal mehr zu einem Geständnis seiner Liebessehnsucht kommen, dessen sich zwei Frauen in früheren Jahren sogar in schriftlicher Form von ihm rühmen konnten. Denn zweimal hat er in feierlichem Werbebrief sein Herz dem anderen Geschlecht angetragen. Aber beide Weibsbilder waren bereits vergeben, als er sich endlich mit seinem Schreiben vor sie hintraute. Warum er es nicht längst in Person getan, warum er nicht selbst für sich geworben hat, was bei den Frauenzimmern immer noch mehr wirkt, als der leidenschaftlichste Erguß auf dem Papier, das erklärt sich aus folgender, in bestimmten Zeitabschnitten wiederkehrender Traumerscheinung des Dichters.

Er sah jedesmal in der Nacht vor dem Tag, an dem er das Geständnis seiner Liebe vortragen wollte, sich mit der geliebten Person Arm in Arm eine Marmortreppe heruntergehen. Zu deren beiden Seiten standen hochstöckig gezogene, blühende Rosen. Und zwar waren dieselben zur rechten Seite der Treppe rot und zu ihrer linken weiß aufgegangen. Die erkorene Frauensperson und er wandten sich dann zunächst immer den roten Blumen zu. Ganz deutlich beobachtete der träumende Dichter durch seine großen, scharfen Brillengläser, wie die Geliebte sich neben ihm niederbog, also daß er ihren nackten Nacken sah mit dem reizvollen Grübchen, an dem die meisten Menschen sich viel zu wenig ergötzen. Und dann bohrte er sich gemeinsam mit ihr in die Rosenkelche und ihren Duft. Vielmehr, er wollte es tun. Denn in diesem Augenblick brach immer dies Bild ab. Und er schaute sich zusammen mit der angeschmachteten Frau zur anderen Seite der Treppe gewandt, wo die weißen Rosen wuchsen, Sie kamen ihm wie die entfärbten, bleichen und kranken Geschwister der roten vor und wirkten wie das nüchterne weiße Tageslicht nach dem verflogenen, lieblichen Anhauch der bräutlichen Morgenröte. Außerdem waren sie diesmal in seiner Vorstellung vermischt mit hohen Fuchsien, einer Blumenart, zu der er eine gewisse leise Zuneigung, aber zugleich auch eine eigentümliche Abwehrempfindung wie vor etwas Fremdem fühlte. In der Vermengung mit diesen steifen Blüten erschien ihm das Beet stets wie eine Anzahl schöner Augenblicke, mit denen verquickt ebensoviele prosaische und quere wuchsen.

Die Geliebte neben ihm trug jetzt das schwere Langhaar gelöst. Es ward ihm nicht klar, ob sie es selber entflochten hatte oder ob er dies getan. So oft er jedoch, angezogen von solcher, dem Manne reizvollen Pracht, zugreifen und seine Hand in das Gespinst ihrer Locken tauchen wollte, merkte er, daß er einen Besen zwischen den Fingern hatte, einen richtigen, nüchternen Hausbesen, mit dem man die Wohnstuben auskehrt. Zornig rannte er dann im Traum jedesmal mit diesem Besen auf der Suche nach der plötzlich von seiner Rechten verschwundenen Geliebten herum. Durch lange Laubengänge und Gartenwege, wie sie jeder Phantasievolle aus seinen eigenen Traumbildern kennt. In seiner Faust mit dem Besen voll Wut herumfuchtelnd, streifte er allen blühenden Zierat ab, der ihm unterwegs begegnete, also, daß es zu seinem Kummer rings um ihn immer kahl und kahler wurde. Bis er schließlich vor eine dunkle Felsengrotte kam, die verborgen dalag zwischen Bäumen und übermoostem Gestein. So wie es wohl auf Bildern seines Schweizer Freundes Böcklin dargestellt war, der das ausgeführt hatte, was ihm als in der Poesie gestrandetem Malerlehrling ehedem vorgeschwebt hatte. Gerade wollte er, immer noch auf der Jagd nach der verlorenen Geliebten, in diese umwucherte Grotte eindringen, als jedesmal zu seinem Schreck eine Art Drache aus derselben hervorfuhr, der ein gewaltiges Zünglein gegen den entsetzten Poeten rollen ließ. Indem dies Zünglein sich schlangenartig hin und her bewegte, begann sich eine Schrift darauf zu bilden, so daß dem Untier schließlich eine Art bedrucktes Band oder Zettelein aus dem Maule hing, wie solche auf alten Legendenbildern wohl etlichen Heiligen aus dem Munde wachsen. Auf dem Zettel stand aber deutlich das folgende Sprüchlein zu lesen:

»Tu's nicht! Tu's nicht,
Du Isegrim!
Denn wird es Pflicht,
So wird es schlimm!
Wer sich nicht selber tragen kann,
Der fang's erst nicht zu zweien an.«

Diese Reimerei, die der Dichter nach dem Erwachen aus seinem Traum nie mehr ganz richtig zusammenbekommen konnte, hinterließ in Gemeinschaft mit den übrigen Erscheinungen ein höchst bedrückendes Gefühl in dem Poeten. Jedesmal kam er aus den verwobenen Maschen dieses Traumes wie ein gefangen gewesenes Fischlein bang aufatmend hervor. Die Scheu des in die Freiheit vernarrten Künstlermenschen vor einem Zwang, und zwar auf dem allerempfindlichsten Gebiet der Liebe, hielt ihn von einer offenen Werbung zurück. Er brachte dann nur noch gerade so viel Mut auf, statt seines Mundes die Feder zu einem Heiratsantrag zu spitzen, wiewohl dies Bild nicht mehr ganz auf ihn paßt, weil er statt mit dem romantischen Gänsekiel schon ausschließlich mit Stahlfedern schrieb und in die moderne Welt hineingewachsen war. Statt seiner Person langte somit dann ein in zierlichen deutschen Buchstaben gekritzelter Werbebrief vor die Augen seiner Erkorenen. Aber auch diesen Zeilen haftete noch so viel Ehebangnis und Familienfurcht an, daß man bei dem einen Schreiben, das uns die Sammelwut der Pietät erhalten hat, den Eindruck gewinnt, als habe er der Umworbenen das ablehnende »Nein« geradezu auf die Lippen legen wollen.

So mußte er sich denn bis an sein Ende unbeweibt durchs Leben schleppen. Nur seine Schwester Regula, die plump und unschön, mit starkem Unterkiefer und dickem Hals in die verliebt vernarrte Welt hinausstierte und knurrend seine Räusche zählte, stand ihm als Hausgenossin zur Seite. Der Ruhm kam und auch nach der bitteren Not der Jugendbummeljahre ein gewisser Wohlstand, der es ihm ermöglichte, sich immer wieder mit einem guten Tropfen über die Alltäglichkeit seines Amtes wie der ganzen Erdenbürgerei hinwegzuschwemmen. Doch er mußte auch von sich schließlich singen:

»Ach, am Ende war ich König,
Aber ohne Königin.«

Und als er auf seinem letzten Lager ruhte, bleich und matt, und seine Seele in bunten Träumen wie Englein, die auf und nieder schweben, verdämmerte, da murmelten seine Lippen in den noch zögernden Tod:

»Und die lieblichste der Dichtersünden
Laßt nicht büßen mich, der sie gepflegt:
Süße Frauenbilder zu erfinden,
Wie die bitt're Erde sie nicht trägt.«

Da ergriff der Tod das Lämpchen und blies mit seinem eisigen Hauch zweimal hinein, bis sein Flämmchen erlosch.


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