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Hans Graf von Wilczek, geb. 7. Dezember 1837. Fideikommißherr, erbliches Mitglied des österreichischen Herrenhauses und Reichsrates, Dr. jur. hon. c., Geh. Rat, Ehren-Mitglied der Akademie der Wissenschaften, Ritter des Goldenen Vlieses und des Schwarzen Adlerordens, Ehrenbürger der Stadt Wien usw. usw. vermählt 1858 mit Emma, Gräfin Emo-Capodilista, geb. 18. August 1833.
Wenn ich den Namen Wilczek höre, schreibe oder lese, so überkommt mich stets ein Gefühl des Stolzes – den Grafen Hans Wilczek meinen Freund nennen zu können. Unter vielem, das mir mein Leben in Wien an wertvollen Errungenschaften brachte, steht die gute Erfahrung vornan, einer Persönlichkeit ins Herz blicken zu dürfen, an der ich nichts auszusetzen habe.
Will ich hier auch Dinge erwähnen, die den Namen Wilczek in allen Ländern der Donaumonarchie bekannt gemacht haben, so kann ich berichten, daß er in der Schlacht von Königgrätz 1866, da er als Freiwilliger in seinem Regiment diente, seinen schwerverwundeten Hauptmann weit vor der Front im ärgsten preußischen Kugelregen holte, ihn auf seine Schulter lud und zu der Truppe brachte. Ich will auch erwähnen, daß er die Nordpolexpedition von Payer mitmachte, Eisbären schoß und Franz-Joseph-Land in Besitz nahm, daß er in Wien die berühmte »Rettungsgesellschaft« gründete (und fast ganz mit eigenen Mitteln erhielt), ich will vor allem erwähnen, daß er die weit über die Grenzen Österreichs hinaus bekannte Burg Kreuzenstein wiederherstellte, und zwar nach eigenen Forschungen und Plänen.
Es ist nicht zuviel gesagt, wenn ich Wilczek als einen der besten Kenner der Gotik bezeichne. Der Wiederaufbau dieser herrlichsten aller Burgen auf einem Berggipfel an der Donau bei Korneuburg wird durch alle Zeiten ein Schulbeispiel für gotische Baukunst bleiben, sowohl als Profanbau, als auch kirchlicher Bau, sowohl was Festräume, als auch was Wohnräume nebst allem Zubehör betrifft.
Es gehört zu meinen schönsten Erinnerungen, wenn ich mit Wilczek von Wien nach Kreuzenstein fuhr und mich mit ihm in die Schätze der Burg vertiefte, andachtsvoll in der zauberhaften Schloßkapelle weilte und seinen Erzählungen lauschte, unter welchen Abenteuern er die angehäuften gotischen Schätze in allen Ländern Europas erworben hatte, was allerdings nur ihm als eindrucksvolle Persönlichkeit und zugleich als Herr eines sehr großen Vermögens möglich war. Denn vieles vermochte er nur zu erwerben, wenn er z. B. Klöstern fromme Stiftungen machte, die irgendeinen gotischen Gegenstand besitzen, der, wie er sagte, zu irgendeiner besonderen Stelle der Burg »gehörte«.
Kann ich jemals vergessen, wenn ich mit Wilczek in der unbeschreiblich stimmungsvollen Kapelle dem Orgelspiel seiner Tochter, Gräfin Elisabeth Kinsky, lauschte – und wir dann hinauf in das kleine Türmerzimmer stiegen, wo man, wie in einer Laterne, über der Burg und dem herrlichen Donautale schwebt und wir dort oben ein Frühstück einnahmen, auf uralten Tellern, mit gotischen zweizackigen Gabeln die Fleischbrocken balancierend?
Kann ich es vergessen, wenn wir nach seiner Besitzung Seebarn bei Kreuzenstein fuhren und in dem schönen alten Herrenhause bei der gütigen alten Gräfin und Tochter Elisabeth rasteten und durch die Gänge und Räume schritten, an deren Wänden wohl alle alten Kupferstiche, die der selige Riedinger jemals von sämtlichen jagdbaren Tieren – zu vielen Hunderten zeichnete oder verzeichnete, hängen? Wenn wir dann hinüber zur Burg durch das fruchtbare Land und durch die Höfe fuhren, in deren großen Gebäuden die gotischen Vorräte lagerten, die Wilczek in aller Herren Länder gesammelt hatte? Da war das eine Haus angefüllt nur mit gotischen Bettstellen, ein anderes nur mit Türschlössern usw. Ich fragte ihn, was er mit diesen unerhörten Massen von Türschlössern und Beschlägen zu machen beabsichtigte, denn soviel Türen würden zehn Kreuzensteins nicht aufweisen, um alles anzuwenden, »Jede Tür«, antwortete er mir, »hat ihren ganz eigenen Charakter. Der Raum, in dem sie angebracht ist, desgleichen. Die Schlösser und Beschläge müssen sich der Stimmung absolut anschließen, die in dem Raume herrscht. Da muß man häufig 50 probieren, ehe das Gefühl der Einheit befriedigt wird.« Diese »zarte« Empfindung ist nun allerdings durch solche Möglichkeiten zu wählen in der ganzen Burg zum Ausdruck gebracht. Die »Echtheit« ist durch das ungeheuerliche Material zu einer fast zwingenden Gewalt des Eindrucks einer herrlichen, großen, gotischen Einheit erhoben worden. Das aber war es auch, was mein künstlerisches Innere zu einer Begeisterung für Kreuzenstein erhob, wie sie kaum durch irgendeinen anderen Eindruck jemals entfacht worden ist.
Ich glaube, daß Wilczek sich freuen müßte, wenn er genau wüßte, was er mir mit Kreuzenstein gegeben hat. Etwas wirklich Vollkommenes wird immer ein fühlendes Herz und einen kultiviertem Geist begeistern. Hier trägt nun noch meine Spezial-Leidenschaft dazu bei: eine interessante Burg, das Kleid höchster Vollendung – und der Herr dieser Burg und Herrschaft, die von Baner im 30jährigen Krieg zerstört, nun zu unsagbarer Schönheit wiedererstand, ist mein Freund.
Und welcher Freund! – in seinem Verkehr empfand ich stets den Eindruck einer Stärkung und einer Erquickung zugleich. Wilczek gehört zu den seltenen Männern, die niemals eine Empfindung verschleiern, weil sie sich deren keiner zu schämen haben. In ihm geht Freundschaft und Kraft Hand in Hand: ethische Empfindung, Kunst-Enthusiasmus und hohes künstlerisches Können, geeint mit kraftvollem, energischem Leben – und trotz aller Ideale tiefe Achtung, ja Bewunderung für den Geist, der Maschinen schafft. Ein Mann, der in der Kapelle zu Kreuzenstein seinen Kopf und seine Knie in schlichter Frömmigkeit vor seinem Gott beugt, – und darüber gar vergißt, daß er selbst der Schöpfer dieses herrlichen Denkmals war.
Ein Tvpus für den »ausgeglichenen Menschen«, der beste Mann, den Österreich hat.
Gäbe es einen Staat wie Wilczek ist: ausgeglichen, stark und gut, tapfer und weich, klug und gerecht, Künstler und Krieger, so wäre es wert, für diesen Staat zu leben. So wie es mir wert dünkt, zu leben, wenn man einen solchen Freund besitzt.
Liebenberg, Juni 1920.
Es sind viele Iahre vergangen, seit ich die vorstehende Erinnerung meinem teuern Freunde Wilczek widmete. Jahre des Krieges – und Jahre des Umsturzes. Es steht eine fremde Welt vor mir, und die Marksteine der Tradition, zu der ich gehöre, sind zerbrochen – denn ich bin 1847 geboren. Ich blicke mit Wehmut zurück zu dem Aufstieg Preußens, das ich als mein tapferes, wenn auch kleines – königliches Vaterland von Kindheit an bis zu dem Kriegsjahre 1866 verehrte, ich blicke auch mit tiefer Wehmut zurück auf Preußens Aufstieg bis zum deutschen Kaiserreich und mußte nun den Abstieg des Jahres 1918 erleben – ihn mit meinen alten Augen sehen, die einst im Glanz seines Ruhmes leuchteten.
Und mein treuer Freund Wilczek, der noch 10 Jahre weiter zurückblicken kann als ich, der seinen Kaiser von Österreich in Glanz und Ruhm noch vor dem Jahre 1848, noch als Herr über die Lombardei und Venetien sah, blickt nun auf ein Trümmerfeld des großen Reiches auf zahllose Sprachengebilde kleiner Staaten, die sich befehden und neiden. Von dem alten österreichischen Kaiserstaat ist nichts geblieben als eine seltsame Erinnerung, von der die Väter nun den Kindern erzählen.
Das hat ihn getroffen mit 81 Jahren, wie es mich mit 71 Iahren in Deutschland traf!
Doch hatte ihn vorher noch etwas anderes getroffen, das ihn tief erregen mußte: ein Brand zerstörte im zweiten Jahre des Weltkrieges, 1915, einen Teil seines herrlichen Kreuzenstein! Dohlen hatten sich Nester in einem der zahlreichen Rauchfänge über den Dächern gebaut, und von dem Reisig dieser Nester war Geäst hinunter auf eine Feuerstelle gefallen. Der Brand in dem Raum wurde erst entdeckt, als es schwierig war, Herr des Feuers zu werden. Die unersetzliche Bibliothek mit ihrem herrlichen Tafelwerk und den angrenzenden Räumen gingen in Flammen auf, ehe Rettung nahte.
Ich hatte meinen Freund Wilczek seit Jahren nicht gesehen, und ich dachte mir, daß es ihn doch wohl erfreuen würde, zu lesen, was ich ihm zu Ehren schrieb – ehe der Sensenmann an sein Bett trat. So gab ich denn meiner »Gegenschwieger«, der Gräfin Mathilde Stubenberg, Mutter meiner lieben Schwiegertochter, als sie Liebenberg nach einem längeren Besuch 1920 verließ, meine Aufzeichnung nach Österreich mit. Sie sollte diese an die Tochter Wilczeks, Gräfin Elisabeth Kinsky, für den Vater geben.
Es verging manche Woche, ehe bei den unerhört schwierigen Postverhältnissen, die den Briefverkehr zwischen Deutschland und dem in einzelne Teile zerfallenen Österreich hemmen, die Sendung landete und die Antwort eintraf.
Das war ein Brief der Gräfin Elisabeth Kinsky, sodann eine Anzahl großer Photographien aus Kreuzenstein, die die Brandstellen wiedergeben, und schließlich ein Brief von der Hand meines alten Freundes.
Ich lasse hier die beiden Briefe folgen, die nun den Abschluß meines Erinnerungsblattes bilden und die Gestalt meines treuen, alten Freundes lebendig vor unsere geistigen Blicke stellen.
Smolenice, Slowakei (ehemals Ungarn), 17. Mai 1920.
Lieber Fürst Eulenburg.
Ihre inhaltsschwere Sendung wurde mir hierher nachgeschickt, wo ich mich von schwerer Pflege meiner teuren Mutter, der es gottlob wieder gut geht, erhole.
Es war sehr lieb von Ihnen, daß Sie mir die Freude geben wollten, Papa Ihre Aufzeichnung zu senden, und danke ich Ihnen vielmals dafür, ebenso wie für die unverdient lieben Worte, die Sie über mich darin erwähnen.
Ja, was ist alles geschehen, seitdem wir uns zum letztenmal gesehen! – Wenn wir auch den Kopf hoch halten und uns nicht niederdrücken lassen, unsere Herzen sind ja doch gebrochen!
Papa ist tätig und fleißig wie immer und gibt uns ein herrliches Beispiel. Der Zusammenbruch hat aber auch diesen Riesen erschüttert, mehr als seine Jahre. – Durch die mißlichen Verkehrsmöglicheiten kann er auch sein Kreuzenstein viel seltener besuchen. Dort ist Gott sei Dank alles in Ordnung. Die Spuren des Brandes sind verwischt und nur mehr dem Kenner bemerkbar. Das Interesse für die Burg steigt beim Publikum von Jahr zu Jahr. Sogar der Bolschewismus würde dort vielleicht haltmachen.
Bitte, lieber Fürst Eulenburg, sagen Sie der Fürstin meine herzlichsten Grüße.
Mit nochmaligem herzlichen Dank Ihre ergebene
(gez.) Elisabeth Kinsky.
Wien, 9. Juni 1920.
Lieber, edler Freund.
Ich erinnere mich nicht, daß mich ein Schreiben je so erfreut hat als das Deinige vom 13. Mai, welches deine liebe Gegenschwieger mir aus Liebenberg zu bringen die Güte hatte.
Nur kann ich die Empfindung nicht bekämpfen, daß ich den Inhalt Deines Briefes noch höher stellen würde, wenn er nicht mir gälte. Mir sagt er zuviel Gutes und stellt mich zu hoch, denn ich denke und fühle und wirke stets so, wie alle von gleicher Art, und Du stellst mich um einen Grad höher als die anderen.
Um auf Deinen Brief zurückzukommen und auf die alten schönen Zeiten auf Burg Kreuzenstein, – so tritt die Genauigkeit deines Gedächtnisses in fast unwahrscheinlicher Form zum Ausdruck. Daraus kann ich auch wohl ersehen, welch tiefen Eindruck die Arbeit meines Lebens Dir dort gemacht haben muß.
Ich gebe ja zu, daß sie mir im großen ganzen gelang, doch hätte ich manches anders und besser machen können. »Man arbeitet nur dann richtig, wenn man von Uberschätzung fern bleibt und nie ganz zufrieden ist mit seiner Arbeit.«
Das hat auch das Gute mit sich gebracht, daß ich noch in der Lage bin, Hand an die Arbeit zu legen und zu verbessern, – eine große Hilfe in schweren Augenblicken der jetzigen Zeit, über dieselben hinüberzukommen.
Ich glaube, daß ich das letztemal die Freude hatte, bald nach der Rückkunft meiner Hilfsaktion in Messina Dich zu sehen – und das sind schon viele Jahre.
Gar oft dachte ich an dich und gar wenig nur hörte ich von Dir und den Deinen. Es kamen die schweren Zeiten, und ich hoffte, wenn die besseren kommen würden, Dir wieder einmal nähertreten zu können. In den Leidens- und Umsturzzeiten öffnet oft ein Wiedersehen, eine Begrüßung, alte Wunden. Jedenfalls sind unsere Wunden in Österreich tiefer, – Deutschland ist stärker, geeinter und wird gewiß wieder erstehen. Österreich ist ganz zerstückt und wird sich nicht wiederfinden können. Die Menschen sind schwach und klein – gedanken- und energielos. Ich schäme mich, ein Österreicher, ein Wiener zu sein. Wir haben alle unsere Ideale verloren, ein Chaos von Begriffen und Anschauungen umgibt uns.
Wenn ich den Kopf hoch halte, so ist es mir nur dadurch möglich, daß ich in der Vergangenheit lebe, auch bin ich zu alt, um für die Gegenwart zu leben und in derselben zu kämpfen. Bald wird ja das Jenseits kommen, und dort die Ruhe. Im Jenseits kann sich ja nichts verändert haben.
Zu diesen Zeilen gebe ich eine traurige Beilage. Einige Aufnahmen der Brandzerstörung von Kreuzenstein. 5000 Gegenstände, mit der Burg lebende Teile derselben, und ihre Sammelgeschichte gingen dabei im Jahre 1915 verloren, - sie zogen als Flamme und Rauch himmelwärts.
Ich hatte so viele Gegenstände gesammelt, daß das Verlorene ersetzt und die Lücken ausgefüllt werden konnten. – Doch ich werde mein ganzes Leben des Verbrannten nie vergessen, immer noch sehen und fühlen.
Meiner Familie geht es Gott sei Dank physisch ziemlich gut und vermehrt sie sich stattlich. Wir sind schon an die 23 Urenkel angelangt. Vor dem Feinde hatte ich einige Verwundete und Gefangene, doch kamen sie durch Gottes Gnade wieder alle zurück.
Ich selbst fuhr mit einem Spitalzug, den die Wiener Rettungsgesellschaft aufstellte, während des Krieges an die Fronten.
Darf ich Dich nun bitten, der für mich stets so ausnehmend guten und gnädigen Fürstin meine wärmsten Grüße zu Füßen zu legen und allen Deinen lieben Kindern, die meinem Herzen so wie Du nahestehen, alles Gute und Liebe zu vermelden.
Dich sein ganzes Leben warm verehrender Freund